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Alles in Imke Jantzen sträubt sich dagegen, die Einladung der Baronin von Mayen-Wicklow, die sie ihr über einen Anwalt zukommen lässt, anzunehmen. Es schreit zum Himmel, dass die Frau, die ihr den Vater genommen hat, als sie ein kleines Mädchen von drei Jahren war, sie kennenlernen will. Ihr ganzes Leben musste sie auf den Vater verzichten, und nun ist er tot. Und sie soll seine Geliebte besuchen?
Doch Dr. Ratgen beschwört sie, dem Wunsch der kränklichen Baronin zu entsprechen, denn sie habe nicht mehr lange zu leben. Am Ende stimmt Imke schweren Herzens zu und fährt mit ihm in die österreichischen Berge. Als sie schließlich vor dem verwunschenen Märchenschloss der Baronin steht, nimmt der Zauber des Ortes sie sofort gefangen. Und wider Willen hat Imke das Gefühl, nach einer langen Irrfahrt heimgekommen zu sein ...
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Seitenzahl: 140
Cover
Küsse im Jagdschloss
Vorschau
Impressum
Küsse im Jagdschloss
Zwei Menschen im Bann ihrer Gefühle
Alles in Imke Jantzen sträubt sich dagegen, die Einladung der Baronin von Mayen-Wicklow, die sie ihr über einen Anwalt hat zukommen lassen, anzunehmen. Es schreit zum Himmel, dass die Frau, die ihr den Vater genommen hat, als sie ein kleines Mädchen von drei Jahren war, sie kennenlernen will. Ihr ganzes Leben musste sie auf den Vater verzichten, und nun ist er tot. Und sie soll seine Geliebte besuchen?
Doch Dr. Ratgen beschwört sie, dem Wunsch der kränklichen Baronin zu entsprechen, denn die habe nicht mehr lange zu leben. Am Ende stimmt Imke schweren Herzens zu und fährt mit ihm in die österreichischen Berge. Als sie schließlich vor dem verwunschenen Märchenschloss der Baronin steht, nimmt der Zauber des Ortes sie sofort gefangen. Und wider Willen hat Imke das Gefühl, nach einer langen Irrfahrt heimgekommen zu sein ...
Imke Jantzen lächelte dem jungen Mann entgegen, wurde jedoch plötzlich ernst, als sein Blick verletzend flüchtig an ihr vorbeiglitt und dann aufleuchtend an ihrer Begleiterin haften blieb.
»Ist das Ihre große Liebe, Fräulein Jantzen?«, erkundigte sich Marlies Buchner spöttisch.
Imke nickte sichtlich verärgert.
»Horst«, sagte sie leise und wie mahnend zu dem mittelblonden Mann, dessen sinnlichen Mund ein dünnes Lippenbärtchen zierte.
Es schien, als zuckte er leicht zusammen, doch schon lächelte er wieder, war der selbstsichere junge Mann, der sich seiner Wirkung auf das weibliche Geschlecht voll bewusst ist.
»Du kommst spät«, sagte er, ohne sie zu begrüßen, noch immer interessiert auf Marlies Buchner blickend.
»Wir hatten einen wichtigen Kunden«, erklärte Imke.
»Möchtest du mich nicht mit der bezaubernden jungen Dame bekannt machen?«, fragte er, den Blick freundlich auf das hübsche Mädchen gerichtet, das sich seinem stummen Werben nicht entziehen zu wollen schien.
»Horst Stetten – Marlies Buchner«, murmelte Imke widerwillig.
»Buchner?«, wiederholte er überrascht. Er starrte hinüber auf die Reklame des großen Geschäftshauses und fuhr erneut zusammen, als Marlies laut lachte.
»Ja, ich bin eine Buchner«, gab sie voller Stolz zu. »Und es wird Sie gewiss in Erstaunen versetzen, dass ich im Geschäft mitarbeite.«
»Nicht in Erstaunen, gnädiges Fräulein«, erwiderte Horst mit einer Verbeugung, »sondern mit der größten Hochachtung und Bewunderung. Sie hätten es ja nicht nötig, im Geschäft Ihres Herrn Vaters mitzuarbeiten. Alfred Buchner verfügt doch über Mittel und Wege, um sämtliche Arbeitsplätze mit tüchtigen und erstklassig ausgebildeten Kräften zu besetzen.«
»Das stimmt, aber da wir keinen männlichen Erben haben und meine einzige Schwester Schauspielerin werden will, habe ich mich bereit erklärt, mich zu opfern.« Marlies lachte klingend. »Seit vier Generationen ist das Unternehmen in unserem Besitz, Herr Stetten. Das verpflichtet, verstehen Sie?«
»Ja, aber wenn Sie den richtigen Mann heiraten, dann ...«
»Er muss erst einmal kommen«, unterbrach sie ihn und lachte wieder, eine Spur zu keck für Imkes Geschmack.
»Ich beneide Sie, gnädiges Fräulein«, sagte Horst, und Imke hatte plötzlich das Gefühl, höchst überflüssig und nicht seit über einem Jahr mit dem jungen kaufmännischen Angestellten bekannt zu sein.
»Wir müssen weiter, Horst«, drängte sie.
»Warum lerne ich Sie erst heute kennen, gnädiges Fräulein?«, fragte er, ohne Imkes Mahnung zu beachten.
»Weil ich lange Zeit im Ausland war, um meine Kenntnisse zu erweitern«, verriet sie ihm.
»Dann habe ich unsere Bekanntschaft also einem Zufall zu verdanken«, stellte Horst Stetten mit einschmeichelnder Stimme fest.
»Ja und nein. Ich wollte eigentlich nur ein Stück mit Fräulein Jantzen gehen. Mein Wagen wird in der Werkstatt überprüft. Ich will ihn jetzt abholen.«
»Oh, Sie haben einen Wagen«, stellte er mit großem Interesse fest.
Imke sah traurig zu dem Mann hin, der ihre Liebe mit Blicken, Gesten und Seufzern verleugnete.
»Wir müssen weiter, wenn wir pünktlich im Theater sein wollen, Horst«, mahnte sie erneut.
»Ach, das hat doch noch Zeit«, erklärte Marlies Buchner in gereiztem Ton.
»Und gleich nach Ihrer Rückkehr arbeiten Sie schon wieder?«, nahm Horst Stetten die Unterhaltung wieder auf.
Einem Fieber gleich hatte ihn das Interesse für dieses elegante Mädchen ergriffen. Eine Beziehung zur Buchner-Erbin könnte für ihn die Erfüllung all seiner Wünsche bedeuten. Mit einem Schlage könnte er sein bescheidenes Leben hinter sich lassen.
»Ich habe noch vier Wochen lang Urlaub bei Bekannten in Südspanien gemacht«, erzählte Marlies. Sie setzte sich in Richtung Werkstatt in Bewegung und hielt es wohl für selbstverständlich, dass die beiden ihr folgten.
»Horst«, sagte Imke und hielt ihn am Arm fest.
Marlies Buchner blieb noch einmal kurz stehen und drehte sich um.
»Wir müssen geradeaus, Fräulein Buchner«, erklärte Imke höflich.
»Ach ja, Sie wollen ins Theater«, meinte diese und sah Horst Stetten in die Augen. »Schade«, fügte sie hinzu und ging mit wiegenden Hüften davon.
»Wir hätten sie begleiten sollen«, grollte Horst Stetten. »Ich verstehe etwas von Autos, auch wenn ich keines besitze.«
»Marlies Buchner weiß sich sehr gut allein zu helfen, Horst.«
»Du siehst alles von deiner Warte aus, weil du seit Langem für dich sorgen musst und keine Angehörigen mehr hast.«
Imke Jantzen biss sich auf die Unterlippe und ging rascher weiter. Horst Stetten folgte ihr zerknirscht bis zu dem Haus, in dem sie ein möbliertes Zimmer bewohnte.
»Beeile dich«, forderte er sie auf. »Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
»Das ist nicht nur meine Schuld«, gab Imke mit fester Stimme zurück und betrat das Haus.
Während sie sich hastig fürs Theater umzog und die Enttäuschung zu vergessen suchte, dachte Horst sehnsüchtig an die überaus hübsche Buchner-Tochter.
Keine Freude, keine Bewunderung war in seinen blauen Augen, als er Imke später aus dem Mantel half. Seine Gedanken waren bei einer anderen. Und zum ersten Mal brachte er Imke nach der Vorstellung sofort heim und murrte nicht wie gewohnt, weil er sich so früh von ihr trennen musste.
»Gute Nacht«, sagte er kurz, und seine Stimme hörte sich seltsam fremd an.
»Sehen wir uns morgen, Horst?«, fragte die junge Frau unsicher.
»Nein, morgen geht es nicht. Ich muss etwas Wichtiges erledigen.«
»Dann übermorgen?« Traurig sah sie ihn an und erhoffte sich ein Lächeln oder einen zärtlichen Trost.
»Ich rufe dich an, Imke«, antwortete er knapp und ging. Sie hatte keine Gelegenheit mehr gefunden, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass man es bei Buchner nicht gern sah, wenn Angestellte privat telefonierten.
♥♥♥
Imke Jantzen machte sich in den Tagen danach nichts vor. Sie kannte Marlies Buchners Anziehungskraft auf die Männer. Sie wusste auch, wie leicht Horst Stetten für etwas Schönes, nicht Erreichbares zu begeistern war. Mit entsagungsvollem Lächeln nahm sie all die kleinen Beweise hin, die ihr deutlich machten, dass nach einem guten Jahr des Glücks ihr Traum von einer gemeinsamen Zukunft ausgeträumt war.
Horst hatte plötzlich immer viel zu tun. Er holte Imke abends kaum noch vom Geschäft ab. Er hatte sich an der Volkshochschule für irgendeinen Kurs angemeldet und deshalb mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass er in Zukunft auf die Theaterbesuche verzichten und stattdessen daheim lernen müsse.
Sein Zuhause war ein kleines Zimmer, das mit Argusaugen von seiner hageren Tante bewacht wurde. Ein einziges Mal war Imke in dem Haus gewesen, das Horst Stettens Tante gehörte. Sie hatte darin gefröstelt, obwohl es ein heißer Sommertag gewesen war. Und wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie Horst verstand und sich auch danach sehnte, aus der Enge ihres Lebens herauszukommen.
Die Theaterbesuche mit ihm waren der einzige Luxus gewesen, den sie sich gegönnt hatten, und sie würde auch in Zukunft nicht darauf verzichten.
Von Marlies Buchner sah sie sehr wenig. Das Mädchen war mit einem Angestellten zur Messe gefahren. Im Stillen freute sich Imke darüber, weil Horst nun vergeblich nach Marlies Ausschau halten würde.
Imke weinte in dieser Zeit oft und fühlte sich einsam und verlassen, aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass Horsts Zuneigung zu ihr doch recht oberflächlich gewesen sein musste. Sie überlegte, ob sie nicht ihre Arbeit bei Buchner aufgeben sollte.
Vierzehn Tage nach diesen quälenden Gedanken ging Imke wieder ins Theater und machte sich schick für diesen Abend.
Als sie auf ihrem Parkettplatz saß und wie zufällig nach rechts schaute, kam sie sich wie ein Aschenputtel vor. Schön und elegant saß dort Marlies Buchner. Zwischen grünen Spitzen und Rüschen schimmerten die braun gebrannten Schultern, leuchtete eine Perlenkette. Und der Herr neben Marlies, der sich jetzt zu ihr hinbeugte und ihr etwas ins Ohr flüsterte, war Horst! Er trug einen dunklen Abendanzug und hatte sein Haar anders frisiert.
Diese Stunden im Theater wurden für Imke zur nicht enden wollenden Qual. Sie ahnte nicht, dass Marlies Buchner sie längst entdeckt hatte und sich an ihrem Schmerz weidete. Ihr Vater, Alfred Buchner, stellte Imke nämlich stets als gutes Beispiel hin, lobte sie über alle Maßen und machte seiner Tochter immer wieder klar, dass sie niemals seine Nachfolge antreten könnte.
»Gehen wir noch irgendwohin?«, erkundigte sich Marlies nach der Vorstellung.
»Ja«, antwortete Horst Stetten gepresst, denn er war sich bewusst, was es für seine finanziellen Verhältnisse bedeutete, mit Marlies Buchner auszugehen.
»Wir gehen ins Maxim«, erklärte sie. »Dort können wir diesen ersten Abend wunderbar zu Ende feiern, Horst.«
»Ja«, sagte er wieder und wischte mit einer heftigen Handbewegung alle Skrupel fort. Nein, er würde sich diese Chance nicht entgehen lassen. Es gab Kredite, mit denen man die Zeit des Wartens auf das große Glück überbrücken konnte. Und es war vielleicht gut so, dass er gerade jetzt stellungslos war und somit viel Zeit für Marlies hatte.
»Wir werden viele Bekannte dort treffen. Ich werde sie dir alle vorstellen. Gut siehst du aus in dem neuen Abendanzug«, sagte Marlies anerkennend.
Horst nickte dankend und war stolz. Dass der Anzug geliehen war und dass er diesen Abend von dem Geld bezahlen würde, das er für seine Tante morgen an eine Versicherungsgesellschaft überweisen sollte, das ging keinen etwas an. Ihm würde schon ein Ausweg einfallen. Im Hintergrund gab es ja immer noch Imke, gutgläubig und hilfsbereit, die seit Langem eisern für die Aussteuer sparte und ihm aus alter Liebe gewiss mal aus einer Verlegenheit helfen würde.
♥♥♥
Um sich das Eisen warm zu halten, das er Marlies Buchners wegen schon hatte wegwerfen wollen, entschloss Horst sich, Imke wieder einmal vom Geschäft abzuholen, um sich erfolgreich herauszureden und eine zärtliche Versöhnung herbeizuführen.
Er brauchte Imkes Zuneigung jetzt mehr denn je, denn er wollte sich Geld von ihr leihen, einen hohen Betrag, der all das ermöglichen sollte, womit er bereits vor Marlies angegeben hatte. Von einem Wagen hatte er gesprochen, der bereits bestellt sei, und von einer kleinen Reise in die Schweiz. Nun musste er schnell dafür sorgen, dass das selbst erbaute Kartenhaus nicht jäh zusammenstürzte.
Horst Stetten trug an diesem Abend seinen neuen lindgrünen Anzug und wartete geduldig am Seiteneingang der Firma auf Imke. Doch sie kam nicht.
Schließlich ging er zu dem alten Mann im grauen Kittel, der die Einfahrt zum Innenhof von einer kleinen Loge aus überwachte.
»Könnten Sie mich mit Fräulein Jantzen verbinden?«, fragte er, nachdem er höflich gegrüßt hatte.
»Könnte ich, aber sie ist nicht da«, erwiderte der Mann schmunzelnd.
»Ist sie krank?«
Der Pförtner zuckte die Achseln.
»Weiß nicht. Unsereins bekommt nichts erklärt. Ist mir nur aufgefallen, dass das so freundliche Fräulein seit drei Tagen nicht zu sehen ist.«
»Seit drei Tagen«, wiederholte Horst betroffen.
»Haben wohl Streit gehabt, wie?«, erkundigte sich der alte Mann. »Das Fräulein sah ja auch zum Bedauern aus all die Tage zuvor.«
»Wer könnte mir jetzt noch etwas Näheres über Fräulein Jantzen sagen?«, fragte Horst.
»Höchstens der Chef. Er ist noch im Haus. Soll ich ihm Bescheid sagen?«
Alfred Buchner? Nein, so schnell wollte er dem Mann nicht gegenüberstehen, dessen Tochter er für sich und seine ehrgeizigen Pläne erobern wollte. Es hieß allgemein, der alte Buchner habe einen Röntgenblick und lasse sich nichts vormachen. Es würde ratsam sein, seine Sympathie über Marlies zu gewinnen. Und Marlies entschlüpfte ihm immer wieder. Sie ließ sich küssen, ohne sich stark beeindruckt zu zeigen.
»Danke, ich warte lieber auf Herrn Buchner«, antwortete Horst, grüßte knapp und kehrte zu seinem Platz seitlich des großen Gebäudes zurück.
Lange musste er nicht auf Alfred Buchner warten. Er war in Begleitung seiner Tochter Marlies. Die beiden unterhielten sich, sehr heftig, wie es schien, als sie sich nun dem Parkplatz zuwandten, der für Buchner-Kunden zur Verfügung stand.
In diesem Augenblick entdeckte Marlies den wartenden jungen Mann. Wie ein Erschrecken glitt es über ihr gebräuntes Gesicht. Horst hatte den Eindruck, als wollte sie fliehen. Tief enttäuscht verharrte er an seinem Platz, folgte den beiden nicht und machte keinen Versuch, etwas über Imke zu erfahren.
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Am folgenden Nachmittag erst rief Horst Stetten bei Buchner an und ließ sich mit der Personalabteilung verbinden. Er stellte sich mit verstellter Stimme und undeutlichem Namen vor und tat so, als wäre er ein Geschäftsmann, der an Fräulein Jantzen etwas zu liefern hatte.
»Sie hat acht Tage Urlaub genommen«, erklärte man ihm.
»Jetzt im Spätherbst?«, fragte er verwundert.
»Fräulein Jantzen musste zum Gericht, ich glaube, nach Karlsruhe«, erklärte das Mädchen am anderen Ende der Leitung. »Geben Sie mir Ihre Telefonnummer. Ich werde ihr Bescheid sagen, sobald sie zurück ist.«
»Ich rufe noch einmal an«, erwiderte Horst und legte auf. Warum war Imke vom Gericht vorgeladen worden?
Grübelnd ging Horst Stetten durch die abendlichen Straßen und hatte zum ersten Mal seit Tagen den Gedanken an Marlies Buchner weit zurückgelassen. Er brauchte dringend Geld. Er würde zu Imkes Vermieterin gehen, sich als Verlobter ausgeben und angeblich etwas aus Imkes Zimmer holen wollen.
Wie von einer bösen Macht gelenkt, wanderte er gen Norden, dorthin, wo zwischen hohen Fabrikschornsteinen und dichtem Dunst die kleine Siedlung lag, in der in vielen Häusern Zimmer vermietet wurden.
»Ihren Namen habe ich schon oft gehört«, verriet die Vermieterin, Frau Lagermann, während sie Horst neugierig musterte. »Ich habe mich oft gewundert, dass Sie niemals mit hereinkamen, Herr Stetten.«
Sieh einer an!, dachte er. Die gute Frau scheint großzügiger zu denken als Imke.
»Es gibt auch noch Ausnahmen, gnädige Frau«, antwortete Horst höflich. »Wenn man ein Mädchen liebt, achtet man es auch. Leider bin ich jetzt sehr in Eile. Ich hätte gern länger mit Ihnen geplaudert. Aber meine Braut hat mich angerufen. Sie braucht dringend ein paar Sachen. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich ...«
»Aber nein!«, rief Selma Lagermann, machte die Haustür weit auf und ließ den jungen Mann herein. »Es ging ja auch alles so schnell«, sagte sie. »Erst der Anruf des Anwalts, dann der Brief und schließlich die Überraschung, doch nicht so allein dazustehen.«
»Was sagen Sie da?«, stieß Horst hervor.
Die korpulente Frau stutzte. Misstrauen leuchtete in ihren Augen auf, indes sie den eleganten jungen Mann eingehend musterte. Wenn Imke Jantzen verlobt war, so musste dies heimlich und erst vor Kurzem geschehen sein. Das gab Selma Lagermann zu denken. Sie deutete auf die Tür hinter sich.
»Dort ist Fräulein Jantzens Zimmer«, sagte sie. »Doch Sie werden verstehen, dass ich mit hineinkommen muss. Ich kenne Sie nicht. Ich habe nicht das Recht, Sie dort ...«
»Danke«, erklärte Horst hochmütig und gar nicht mehr höflich. »Ich bin es nicht gewohnt, dass man mir so misstrauisch entgegenkommt. Ich habe Imke lediglich einen Gefallen erweisen wollen. Sie wird die Sachen, die sie dringend braucht, in Karlsruhe kaufen müssen, falls sie nicht kurz hierher zurückkommt.«
»Ach, Sie wissen schon alles!« Selma Lagermanns faltiges Gesicht zeigte Erleichterung. »Na, dann gehen Sie ruhig hinein. Ich habe es nicht so gemeint.«
Er nickte hoheitsvoll und ging entschlossen weiter. Die Möbel waren alt und dunkel. Nichts deutete in diesem Zimmer darauf hin, dass seine Bewohnerin ein Sparkonto mit über sechstausend Mark besaß. Das hatte Imke ihm an einem jener Abende strahlend anvertraut, als es in seinem Leben noch keine Marlies Buchner gegeben hatte.
Horst suchte vergebens nach Bargeld. Nach einigen Minuten gab er es leise fluchend auf, zwischen so vielen fraulichen Dingen herumzustöbern. Er packte irgendetwas zusammen und verließ das Zimmer.
»Das Richtige habe ich wohl nicht gefunden«, erklärte er der Frau, die schon auf ihn wartete.
»Wann kommt sie denn zurück?«, fragte Frau Lagermann.
»Bald«, wich Horst lächelnd aus.
Er starrte auf das schnell zusammengeraffte Bündel in seiner Hand, wurde plötzlich verlegen und ärgerlich und drückte Imkes Sachen der erstaunten Frau in die abgearbeiteten Hände.
»Ich hätte nicht kommen sollen«, erklärte er. »Ich mache alles verkehrt. Ich werde zu Imke fahren und ihr sagen, dass sie ... Ach, jetzt habe ich den Zettel mit ihrer Anschrift vergessen«, log er geschickt.
»Die kann ich Ihnen geben«, bot Frau Lagermann an. »Es ist aber wohl wirklich besser, wenn Sie die Sachen hierlassen«, fügte sie hinzu und eilte davon.
Nach einiger Zeit kehrte sie zurück und gab ihm die so sehnte Adresse von Imke. Horst bedankte sich artig und eilte aus der Wohnung.
»Grüßen Sie Fräulein Jantzen!«, rief die Frau ihm nach, als er durch den kargen Vorgarten davonstürmte.
Horst wusste nicht, was er nun machen sollte. Imke nachzufahren wie ein verliebter Primaner, dazu war er zu stolz und nicht mehr interessiert genug. Marlies Buchner schlich sich wieder in seine Gedanken. Spontan ging er in eine Telefonzelle und rief das geliebte Mädchen an.