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Ein verwunschenes Schlösschen am See hat Marietta von einer Frau geerbt, die sie selbst nur aus den Erzählungen ihres verstorbenen Vaters kannte.
Durch dieses Erbe verändert sich das Leben des jungen Mädchens völlig. Nun wohnt sie in einem zauberhaften Schloss und wird von morgens bis abends von dienstbaren Geistern verwöhnt.
Dennoch ist ihr Glück über das Erbe nicht ungetrübt, denn mysteriöse Dinge geschehen im Schloss, für die Marietta keine Erklärung findet.
Wer ist der blonde Mann, dem sie zufällig am Ufer des Sees begegnet, den jedoch sonst angeblich niemand kennen will? Und was sucht der Mann, der sich Matthias Hornberger nennt und manchmal stundenlang am See sitzt? Welches Geheimnis verbirgt das Hausmeisterehepaar?
Als Marietta schließlich dem Rätsel ihres Erbes auf die Spur kommt, bricht eine Welt für sie zusammen ...
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Seitenzahl: 137
Cover
Das verwunschene Schlösschen am See
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Impressum
Das verwunschene Schlösschen am See
Erfolgsroman um ein erschütterndes Mädchenschicksal
Ein verwunschenes Schlösschen am See hat Marietta von einer Frau geerbt, die sie selbst nur aus den Erzählungen ihres verstorbenen Vaters kannte.
Durch dieses Erbe verändert sich das Leben des jungen Mädchens völlig. Nun wohnt sie in einem zauberhaften Schloss und wird von morgens bis abends von dienstbaren Geistern verwöhnt.
Dennoch ist ihr Glück über das Erbe nicht ungetrübt, denn mysteriöse Dinge geschehen im Schloss, für die Marietta keine Erklärung findet.
Wer ist der blonde Mann, dem sie zufällig am Ufer des Sees begegnet, den jedoch sonst angeblich niemand kennen will? Und was sucht der Mann, der sich Matthias Hornberger nennt und manchmal stundenlang am See sitzt? Welches Geheimnis verbirgt das Hausmeisterehepaar?
Als Marietta schließlich dem Rätsel ihres Erbes auf die Spur kommt, bricht von einer Sekunde zu anderen eine Welt für sie zusammen ...
Der Mann stand einfach so da und rührte sich nicht. Marietta Garvin beobachtete ihn nun schon eine ganze Weile und wunderte sich immer mehr. Ein paarmal hatte sie sich abwenden und zum Haus zurückgehen wollen. Doch es ging etwas von dem Mann aus, das sie fesselte.
Er war ein großer, stattlicher Mann mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Er hielt den Blick starr auf den See gerichtet, hatte ein kühnes Profil und ein leicht gebräuntes Gesicht.
Vom Wasser her wehte ein frischer Wind. Marietta hielt den Atem an, als der Fremde plötzlich einen Schritt zum Wasser hin tat und den Arm hob. Was hatte er vor? Er würde doch nicht ...
Nein, er hatte die Hand nur über die Augen gelegt. Die Sonne schien ihn zu blenden, denn sie brachte das Wasser zum Glitzern.
Marietta zögerte nicht länger. Entschlossen ging sie über den Rasen hinab und auf den Fremden zu. Er musste sie hören, da unter ihren Schuhen Gras raschelte, Äste knickten. Dennoch schaute er sich nicht um. Die Hand hatte er inzwischen sinken lassen, mit einer so resigniert wirkenden Bewegung, dass es Marietta ans Herz rührte.
»Guten Tag«, sagte sie, als sie dicht hinter ihm war und den Silberstreifen in seinem Haar entdecken konnte, der von der Stirn bis in den Nacken verlief.
Er gab ihren höflichen Gruß nicht zurück, als er sich zu ihr umwandte. Er hatte kluge blaue Augen und einen herben Zug um den gut geschnittenen Mund.
»Guten Tag«, sagte sie noch einmal, diesmal etwas weniger freundlich und mit einem fragenden Unterton.
Zu ihrer Überraschung wandte er sich schweigend dem See zu und starrte wieder auf das Wasser, das der Wind leicht kräuselte.
»Sie befinden sich hier auf einem Privatgrundstück«, erklärte Marietta ein wenig unwillig.
»Ja«, murmelte er.
»Der See ist verhältnismäßig groß«, fuhr sie fort. »Er hat auch Ufer, die jeder betreten darf.«
»Aber es ist hier geschehen und nicht woanders«, gab er zur Antwort.
»Was soll denn hier geschehen sein?«
Er warf ihr einen kurzen Blick zu, einen Blick, der ihr Blut in Wallung brachte. Was fiel dem Mann ein, sie derart verächtlich anzusehen?
»Sie sollten sich wenigstens vorstellen, wenn Sie schon stundenlang hier herumstehen«, sagte sie nun und gab sich absichtlich einen Ruck, um ebenso kühl und ruhig zu wirken.
»Wozu?«, fragte er achselzuckend, ließ den Blick noch einmal über die glitzernde Wasserfläche gleiten und kehrte dem See dann den Rücken zu. Beide Hände schob er in die Hosentaschen, als er mit gesenktem Kopf langsam am Ufer weiterging.
Als sie sich endlich gefasst hatte, war er bereits an dem ausgetrockneten Bett des Flüsschens angelangt, das ihr Grundstück vom nächsten trennte. Sie hatte kein Recht mehr, ihm Vorwürfe zu machen.
Nachdenklich kehrte Marietta Garvin eine Viertelstunde später in das kleine Schloss zurück, das sie vor Kurzem geerbt hatte und das ihr noch immer ein wenig fremd vorkam.
»Thaddaeus«, wandte sie sich an den glatzköpfigen Mann, der gerade Holzscheite neben dem Kamin in der Wohnhalle aufschichtete, »was ist eigentlich auf dem See passiert?«
»Auf dem See?«, wiederholte der alte Mann und richtete sich halb auf. Ein wenig erstaunt sah er Marietta an. »Nichts«, meinte er dann, während er mit seiner Arbeit fortfuhr. »Manchmal kentert ein Boot, und es wird dann auf dem See noch lauter«, berichtete der alte Mann. »Was sonst noch geschieht, interessiert meine Frau wohl mehr als mich. Ich kümmere mich nicht um die jungen Leute. Sie widern mich manchmal an, weil sie vor nichts Achtung und Respekt haben.«
»Ich gehöre auch zu den jungen Leuten, Thaddaeus«, erinnerte sie ihn lächelnd.
»Ja, Sie sind noch sehr jung, Fräulein Garvin.«
»Widere ich Sie auch an?«, wollte sie wissen.
»Mit anderen jungen Leuten möchte ich Sie nicht vergleichen«, erwiderte er ausweichend. »Außerdem sind Sie noch nicht lange hier, Fräulein Garvin.«
»Und Sie haben sich einen anderen Erben für diesen Besitz erhofft, nicht wahr?«
»Ja, das habe ich«, gab der alte Mann mit leiser Stimme zu. Mühsam erhob er sich, strich die lange grüne Schürze glatt und ging davon.
Wieder einmal hatte sie das Gefühl, hier niemals ganz heimisch werden zu können, solange Thaddaeus und seine pummelige Frau Elisa sich derart reserviert und wortkarg verhielten.
Marietta stieß sich seufzend von der Säule ab und ging über die breite weiße Marmortreppe nach oben. Ihr Blick sah so viel Schönes und Wertvolles, dass sich ihr Herz weit öffnete und wieder einmal mit Dankbarkeit erfüllte, weil sie all dies hier unerwartet geschenkt bekommen hatte.
Ich werde an Mark schreiben, nahm sie sich vor, als sie den Gang erreicht hatte, wo zwischen den Türen vergoldete Barocksessel standen, deren mattrote Samtpolster vor dem zarten Gelb der Seidentapeten leuchteten.
Im Gegensatz zu der etwas rustikal gehaltenen riesigen Wohnhalle mit ihren vielen Mahagonitüren war hier oben alles licht und zart. Jedes der Zimmer war in einem anderen Stil eingerichtet. Nicht eines der Gemälde war eine Kopie. Man hätte sich sehr wohlfühlen können, wäre da nicht das Empfinden gewesen, trotz des verbrieften Rechtes ein Eindringling zu sein.
Hier hatte eine alte Dame gelebt, die das Schöne geliebt hatte und sich Kostbares leisten konnte. Hier hatte ihr Neffe jahrelang damit gerechnet, eines Tages alles zu besitzen.
Und nun wohne ich hier, dachte Marietta, als sie dann in ihrem kleinen Salon stand und zu dem schwarz lackierten Schrank hinsah, der alle Schreibutensilien enthielt. Es war ein Original China-Schrank, mit einem zauberhaften Arabesken-Dekor in Braunrot und Goldgelb. Die rot-beigefarbene China-Brücke davor war echt und handgeknüpft.
Das ganze Zimmer war in diesen Tönen gehalten, strahlte Wärme und Behaglichkeit aus. Doch am liebsten von allem war Marietta der Pfauenthron-Sessel mit der wunderbaren Flechtarbeit.
Ihre Dankbarkeit der Gräfin von Sonnhusen gegenüber war groß und kannte trotz des Todes keine Grenzen. Jeden Tag suchte sie das Grab der Frau auf, die es testamentarisch bestimmt hatte, dass, falls der Neffe Konrad von Sonnhusen zu Tode kam, alles der einzigen Tochter jenes Mannes zufallen sollte, der Konrads Privatlehrer gewesen war.
Voller Zärtlichkeit dachte Marietta an ihren Vater, und wieder tat es ihr leid, dass er hatte sterben müssen, ohne dieses Schloss jemals wiedergesehen zu haben, in dem er, wie er sagte, die schönsten und harmonischsten Stunden seines Lebens verbracht hatte. Harmonisch war seine Ehe nicht gewesen, daran konnte sich Marietta sehr gut erinnern.
Ihre Mutter war einer Grippeepidemie erlegen, als sie, Marietta, kurz vor dem siebzehnten Geburtstag gestanden hatte. Sie hatte keine große Lücke hinterlassen.
Das Herzleiden ihres Vaters hatte sich nach ihrem Tod verschlechtert. Und zwei Tage vor Mariettas Abitur war er sanft entschlafen.
Sie setzte sich nun entschlossen hin, um an Mark zu schreiben, den Nachbarssohn, der als Austauschstudent zwei Jahre lang in Kalifornien gewesen war und noch nichts von ihrem, Mariettas, Glück wusste. Er würde jetzt daheim sein, in dem kleinen Fachwerkhaus mit der Bäckerei.
Marietta hatte ihm nach Amerika nicht schreiben wollen. Sie hatte ihm damals beim Abschied gesagt, dass es besser wäre, sich durch nichts zu binden. Was aber war schon dabei, wenn sie nun Kontakt zu ihm aufnahm?
Es fiel ihr schwer, unbefangen zu berichten. Immer wieder brach ihre Freude durch, aber auch ihre Sehnsucht nach Gesellschaft und Verständnis, ihr Bedürfnis, sich jemandem mitzuteilen. Sie schrieb auf feinstem Büttenpapier, mit dem eingepressten Wappen der von Sonnhusen. Der Brief wurde drei Seiten lang.
»Wie bekomme ich diesen Brief zur Post?«, fragte sie, als Elisa Hofer angeklopft hatte und eingetreten war, um sich zu erkundigen, was Marietta am Abend zu essen wünschte.
»Morgens um zehn kommt der Josef«, erklärte die dicke Frau, die zwölf Jahre jünger als ihr Mann war und durch ihr maskenhaft starres Gesicht dennoch älter wirkte, »der kann den Brief mitnehmen. Falls er so wichtig ist«, fügte sie mit lauerndem Blick hinzu.
Es war, als wehte Marietta etwas Kaltes an, als warnte eine leise Stimme sie vor dieser Frau, die ihren Pflichten wie ein Roboter nachkam und niemals eine Gemütsbewegung zeigte.
Marietta stand auf und klappte den Deckel am China-Schrank leise zu. Zweimal drehte sie den kleinen Schlüssel herum und zog ihn heraus.
»Ich möchte heute Abend nur etwas Obst essen, Elisa«, sagte Marietta. »Ich nehme es mit mir auf einen kleinen Spaziergang. Es ist ein so milder Abend.«
»Ich werde ein Körbchen zurechtmachen«, erwiderte Elisa Hofer und ging hinaus.
Marietta zog ihren hellen Sportmantel über und bändigte die dunkle Lockenpracht ihres Haares mit einem Kopftuch.
♥♥♥
Der Wind hatte nachgelassen, als Marietta ins Freie trat. Sie nahm das Kopftuch ab und öffnete drei der Lederknöpfe an ihrem hellen Mantel.
Auf dem See war es ruhig. Rings an den Ufern flimmerten Lichter. Es gab viele Ausflugslokale am See und zwei kleine Dampfer, die mehrmals am Tag darauf kreuzten. Doch heute schien irgendetwas anderes die vielen Touristen fortgelockt zu haben. Marietta empfand es als eine Wohltat, am See entlanggehen zu können und ihn ganz für sich zu haben.
Sie glaubte plötzlich zu verstehen, warum die Gräfin von Sonnhusen ihren Besitz ihr, Marietta, vermacht hatte. Gewiss hatte sie gehofft, dass sich der Sinn für das Schöne vom Vater auf die Tochter vererbt hatte wie auch Pflichtgefühl und Treue.
Marietta setzte sich am Ufer auf eine Holzbank und legte das Kopftuch in ihren Schoß. Das Schloss durfte sie nicht verkaufen, aber die Aktien der Gräfin von Sonnhusen brachten so viel ein, dass sie sich nicht zu sorgen brauchte.
Ein leises Geräusch schreckte sie auf.
»Ist da jemand?«, rief sie.
Plötzlich löste sich eine Gestalt vom dunklen Hintergrund der Sträucher und kam langsam näher. Sie erkannte sofort, dass es der Mann war, den sie nachmittags getroffen hatte.
»Sie treiben sich ja noch immer hier herum!«, rief sie ihm scherzend entgegen. Schweigend kam er näher, blieb neben der Bank stehen und starrte auf das Wasser, das nun geheimnisvoll dunkel schimmerte.
»Ich kann es nicht glauben«, sagte er.
»Ich kann es auch kaum glauben, dass Sie noch immer hier sind«, erklärte Marietta betont munter, ihre Furcht vor diesem seltsamen Fremden niederkämpfend. »Die Boote sind längst auf der anderen Seite. Wie wollen Sie von hier aus zurückkommen? An diesem Ufer liegen nur Privatgrundstücke. Sie werden Schwierigkeiten bekommen, wenn Sie hier im Dunkeln herumstrolchen.«
»Noch mehr Schwierigkeiten?« Er lachte kurz und hart auf.
Sie sah zu ihm auf, konnte jedoch nicht viel sehen. Das diesseitige Ufer lag im Waldschatten.
»Wohnen Sie hier?«, fragte er. »Oder machen Sie hier nur Urlaub?«
»Warum sollte ich Ihnen darauf eine Antwort geben, da Sie sich nicht einmal vorstellen wollen?«, erwiderte sie.
»Ja, warum sollten Sie«, gab er mit rauer Stimme zu. »Für Sie ist es belanglos, was hier geschah. Ihr Leben wurde dadurch nicht aus der Bahn geworfen, Ihr Ziel nicht ausgelöscht. Sie gehen hier fröhlich spazieren und wollen jemanden kennenlernen. Vielleicht suchen Sie ein bisschen Liebe? Es gibt sie ja so leicht an diesen verruchten Orten.«
Marietta schnappte nach Luft wie ein aufs Trockene geratener Fisch.
»Na, Sie machen mir Spaß. Ich bin die Besitzerin dieses Grundstückes, auf dem Sie unerlaubt herumspazieren und harmlose Menschen beleidigen. Sie können sich freuen, dass ich Sie nicht längst davonjagen ließ.«
»Ich hätte es sogar verstanden«, sagte er gelassen.
Er ist krank, durchzuckte es Marietta. Vielleicht will er sich heute Nacht das Leben nehmen? Hier, an diesem schönen Ufer! Man wird seine Leiche zwischen Schilf und den Nestern der Wasservögel finden. Und ich werde das schreckliche Bild nie mehr loswerden ...
»Nein!«, rief sie, sprang hoch und umklammerte seinen Arm. »Tun Sie es nicht! Sie sind noch jung! Sie sehen gut aus! Es ist doch sinnlos, gleich zu verzweifeln.«
»Wovon sprechen Sie eigentlich?«, fragte er und löste ihre Finger von seinem Arm.
»Von Ihnen! Von wem denn sonst«, antwortete sie verwirrt.
»Sie meinen, ich wollte ...« Er schüttelte den Kopf. »Dazu braucht man Mut«, murmelte er vor sich hin. »Und nicht einmal der ist mir geblieben.«
Fieberhaft überlegte Marietta, wie sie den Mann vom Ufer fortlocken und am Ende gar trösten könnte. Wie konnte sie ihn ablenken von seiner tiefen Resignation, die ihn an diesen See bannen wollte?
»Mir ist gar nicht gut mit einem Mal«, schwindelte sie, stöhnte leise und sank auf die Bank zurück. Da näherte er sich ihr, langte nach ihrer Hand und prüfte den Puls.
»Holen Sie tief Atem«, befahl er. »Und dann kehren Sie am besten ins Haus zurück. Es muss ja hier irgendwo ein Haus sein.«
»Mein Haus!«, stieß sie hervor, als er ihre Hand freigab.
»Wie fühlen Sie sich?«, fragte er, schon wieder aufs Wasser starrend.
»Nicht viel besser«, behauptete sie, und es stimmte ja auch, denn ihr Herz schlug viel zu schnell, seit er ihre Hand gehalten hatte. »Sie könnten mich nicht bis vor das Haus bringen?«, fragte sie kläglich. »Ich fürchte mich manchmal im Dunkeln.«
»Warum haben Sie sich dann so weit entfernt, wenn Sie sich fürchten?«
»Begleiten Sie mich ein Stück, bitte! Da ich Sie hier angetroffen habe, nehme ich mir ganz einfach das Recht, Sie um etwas zu bitten.«
»Zu bitten? Mich hat lange keiner mehr um etwas gebeten.«
»Sie sind allein?«, fragte sie leise.
»Ja, und das ist gut so.«
»Nein, das ist es nicht«, widersprach sie schnell. »Wenn man immer allein ist, führt man nur Selbstgespräche und erstickt fast an dem, was man einem anderen Menschen sagen möchte, einem, der wirklich zuhört.«
»Es hört keiner mehr richtig zu.«
»Ja, das stimmt«, bestätigte Marietta und wurde unversehens traurig.
Sie erhob sich ein zweites Mal, knöpfte den Mantel bis zum Kragen hin zu und band das Kopftuch wieder um.
»Wie auch immer Sie jetzt über mich urteilen mögen, mich würde es freuen, wenn Sie mit mir kämen. Ich habe mein schönes Schlösschen noch niemandem zeigen können. Ich habe es mir immer so hübsch vorgestellt, einen Gast zu haben und ihn bewirten zu dürfen.«
»Ich wäre kein guter Gast.«
»Sie meinen, weil es schon dunkel ist und es sich nicht schickt?«, fragte sie. »Ich bin ja nicht allein im Schloss«, fügte sie schnell hinzu, als müsste sie sich entschuldigen. »Und außerdem sind wir uns doch so fremd, dass sich niemand etwas dabei denken wird, wenn ...«
»... wenn Sie einen Gast haben möchten«, half er ihr weiter.
»Ja«, sagte sie voller Trotz und war doch dem Weinen nahe, weil alle Freude über dieses schöne Erbe im dunklen Wasser unterzutauchen schien.
»Sind Sie schon lange allein?«
»Ja und nein. Zuerst lebte ich in der Stadt, weit im Norden, am Rande des Ruhrgebietes. Dann kam Konrad von Sonnhusen ums Leben, und ich erbte alles.«
Der Mann war zurückgezuckt; Marietta wunderte sich. Stieß es ihn etwa ab, weil sie eine reiche Erbin geworden war, ohne etwas dafür zu tun?
»Ich habe ja auch Pflichten übernommen«, sagte sie hastig. »Ich muss ständig hier wohnen, darf den Besitz nie veräußern und Elisa und Thaddaeus nicht kündigen oder aus dem Haus treiben.«
»Wer sind Elisa und Thaddaeus?«, fragte er.
»Eine Art Hausmeisterehepaar, unzertrennlich, aber nicht sehr menschenfreundlich. Ich hab's manchmal arg schwer mit ihnen. Ich muss mir so oder so Gäste einladen, damit ich nicht nur mit den beiden Alten zusammen bin. Verstehen Sie das?«
»Ja, das verstehe ich«, erwiderte er, wandte sich vom See ab und ging in Richtung Wiese. Marietta holte ihn rasch ein.
»Wenn Sie schon inkognito hier sind, dann sollten Sie zumindest etwas höflicher sein«, beschwerte sie sich.
»Ja, das sollte ich«, gab er zu. »Doch ist mir manchmal, als hätte ich alles vergessen, als wanderte ich neben mir selbst her und sähe mir zu, wie ich immer unausstehlicher werde.«
»Ach, das reden Sie sich nur ein, weil Sie Kummer haben«, wehrte sie lächelnd ab. »Sie sind nicht unausstehlich. Ich finde Sie sehr nett – viel zu nett.«
»Warum viel zu nett?«, wollte er im Weitergehen wissen.