Sonnenfunken - Nataly von Eschstruth - E-Book

Sonnenfunken E-Book

Nataly von Eschstruth

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Beschreibung

Nataly Auguste Karline Amalie Hermine von Eschstruth war eine deutsche Schriftstellerin und eine der beliebtesten Erzählerinnen der wilhelminischen Epoche. Sie schildert in ihren Unterhaltungsromanen in eingängiger Form vor allem das Leben der höfischen Gesellschaft, wie sie es aus eigener Anschauung kannte. "Sonnenfunken" zählt zu ihren bekanntesten Werken.

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Nataly Eschstruth

Sonnenfunken 

Impressum

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Public Domain

(c) mehrbuch 

Inhaltsverzeichnis
Impressum
Auf Feuer!
Ihr Weihnachtswunsch
Gisela
Wie sie sich fanden!
Das letzte Gewitter
»Kwan-scheng«
Jochens Weihnachtsengel
Tante Lottchen

Auf Feuer!

Der Herr Kommerzienrat schlich auf den Zehenspitzen über den dicken Smyrnateppich und zog mit der fleischigen, grübchenbesäten Hand ganz vorsichtig — ganz unmerklich die rauschende Seidenportiere zurück, um in das Boudoir seiner Tochter zu lauschen.

Ein Zug beinahe nervöser Spannung lag auf dem sonst so heitern, jovialen Gesicht des noch immer recht stattlichen Witwers, und als sein Blick den dämmrig duftigen Raum der entzückendsten aller Schmollwinkelchen überflog, sah er nicht aus wie der selbstbewußte, siegfreudige Besitzer von anderthalb Millionen, sondern wie ein armer Sünder, welcher voll bebender Sorge der Entscheidung über sein Schicksal entgegen sieht.

Und das, was er in dem eleganten Boudoir sah, war nicht dazu angethan, seine bekümmerte Miene aufzuhellen.

Da lag Sibylla nachlässig und gelangweilt, in dem Rokokosesselchen, hatte das goldblonde Köpfchen beinahe schläfrig gegen die Goldschnitzerei der Lehne zurückgeneigt und blinzelte aus den sonst so strahlend großen Veilchenaugen in das rosige Dämmerlicht, wie ein kleines Kätzchen, welches just in süßen Schlummer sinken möchte.

Vor ihr lag die begonnene Malarbeit auf dem Tisch, — ein Amorchen, welches just zwei Herzen zusammen schmieden will, — aber noch war das dralle Fäustchen nur flüchtig angedeutet, und der Hammer, welcher zuschlagen sollte, fehlte ganz.

Sibylla aber hatte die schneeweiße, duftige Federboa um die Hände gewickelt und die zarten Schultern zusammen gezogen, als fröre sie, selbst jetzt noch, wo doch schon die Frühlingssonne so warm und golden durch die Fenster schien.

Und ihr gegenüber in einem andern Sessel, faul ausgestreckt, ruht die schlanke, elegante Gestalt eines jungen Mannes, des charmanten Mortimer Trimmis-Seggen, des Sohnes seines liebsten Jugendfreundes, welcher in New-York die wohl nicht »bessere« aber doch größere Hälfte der Firma Mahlenstadt-Trimmis repräsentiert.

Mortimer raucht eine Cigarette, hält die Augen halb geschlossen, als wäre sein reizendes Gegenüber kaum des Ansehens wert, und zieht mechanisch die dickflockige Seidendecke der Chaiselongue über die Knie, als fröstele auch er, — als empfinde auch er gleich der schönen Sibylla nichts anderes, als den einen, müden, gleichgültigen Gedanken: Kühl bis ans Herz hinan!

»Und welcher von Ihren Hunden erhielt also in der Ausstellung den Preis?« fragte Fräulein Mahlenstadt just mit verschleierter Stimme, und Mortimer unterdrückte ein Gähnen und antwortete: »Der schottische Windhund, ein Prachtexemplar, — Medaille I.« —

»Ah!« —

Und Sibylla nieste — und Mortimer hustete, sie froren thatsächlich alle beide, trotz der Frühlingssonne, trotz der vortrefflichen Luftheizung.

Der Kommerzienrat schlich ingrimmig zurück schloß die Salonthür hinter sich und wanderte ruhelos, mit schwer bewölkter Stirn auf dem spiegelnden Parkett seines Rauchzimmers auf und nieder.

Das waren ja nette Aussichten für die Verwirklichung seiner Pläne!

Anstatt mit glühendem Herzen und flammenden Wangen einander in den Armen zu liegen, sich zu herzen und zu küssen, als habe der Vesuv seine Feuerströme durch ihre Adern gegossen, saßen die beiden unglückseligen Leutchen einander gegenüber, unterhielten sich von der Hundeausstellung und froren bis ins Mark hinein.

Wie soll dabei eine Verlobung heraus kommen? Und kommen mußte sie, bald, sehr bald schon — das hatte sich der Kommerzienrat zugeschworen, hing doch nicht allein das Glück seiner Tochter, sondern auch das seine von diesem Bündnis ab!

Er blieb vor dem Spiegel stehn, musterte voll nervöser Unruhe seine noch so jugendlich schlanke Gestalt in dem tadellosen Smoking und strich das kleine Bärtchen über der Lippe. Vor sechs Wochen noch hatte er einen recht ehrwürdigen Vollbart getragen, dann war derselbe unter den flinken Händen des Friseurs gefallen.

Warum? Weil die reizendste aller jungen, bezaubernden Witwen, die Schneewitchenschönheit Mary ihm mit ganz besonderem Ausdruck in den dunklen Augen gesagt hatte: »Ich liebe keine Vollbärte! Ohne den Ihren würden Sie um zehn Jahre jünger und flotter aussehen.« Das ließ er sich nicht zweimal sagen, denn was hätte ihm mehr am Herzen gelegen, als der holden Zauberin zu gefallen!

Noch an demselben Abend trat er ihr — in der That um zehn Jahre jünger, flotter und unternehmungslustiger, entgegen, und Frau Mary errötete bei seinem Anblick wie ein junges Mädchen.

Mit der Glut eines Primaners drückte er ihre schlanken, sammetweichen Fingerchen an die Lippen, und sie flüsterte, schämig wie ein Backfisch: »Sehen Sie? Hatte ich nicht recht, daß der häßliche große Bart Sie alt machte wie ein Großpapa?!«

»Und nun?« lächelte er, und sein Blick flehte um ein ermutigendes Wort. »Nun?« — sie wandte sich schnell zur Seite und ließ sich in die fraisefarbenen Atlaspolster eines Sesselchens niederfallen, daß ihr zartgesticktes Theekleid ihren schlanken Körper wie eine glänzende Schlangenhaut umspannte, »nun könnte Romeo sich Ihre Jugend und Ihre Augen leihen, um die arme Julia rettungslos zu bethören!«

Es war ein Märzabend, das Wetter draußen kalt, windig, regnerisch.

Die Hagelschauer prasselten zeitweise gegen die hohen Spiegelscheiben, hinter welchen sich die blühenden Gardenien, Flieder und Azaleen zu duftigen Coulissen aufbauten, und im Kamin fauchte und sauste es so unwirtlich und dräuend, daß es nicht Wunder nehmen konnte, wenn bei solch schlechtem Wetter der sonst so gern besuchte Salon Frau Marys an diesem Theeabend leer blieb.

Mit Gelassenheit konstatierte es die Hausfrau, mit Entzücken, ihr einziger Gast der Kommerzienrat.

Die leise geflüsterten Worte der schönen Frau schürten den Funken seiner Anbetung zu einem himmelhoch auflodernden Feuermeer der Liebe.

Ehe sie es sich versah, saß er an ihrer Seite, hielt abermals ihre Hand und preßte sie in der seinen, und war es thatsächlich kein seeliger Traum, welcher ihn narrte? Die sonst so abweisende, unnahbare kleine Witwe drückte seine Hand wieder, zwar nur schüchtern, nur leise wie ein Hauch . . . aber es rieselte ihm dennoch wie »wabernde Lohe« durch alle Glieder und machte ihn kühn, — kühn bis zur stürmischen Liebeserklärung.

Kein Jüngling konnte mit leidenschaftlicheren Worten um die Erwählte werben, wie der sonst so ruhige, vernünftige Zahlenmensch Mahlenstadt, und Frau Mary saß ihm gegenüber, zupfte anfänglich etwas aufgeregt an der langen goldenen Kette, welche, von Perlen durchflochten, über ihre Brust fiel, sich um die schlanke Taille wand und ein blitzendes, leise klirrendes Knäuel von Herzen, Kleeblättern, edelsteinfunkelndem Getier und süß duftenden Riechfläschchen trug, — und sie senkte die dunklen Wimpern tief auf die Wangen und atmete so beklommen, als sei es das allererstemal im Leben, daß sie den Liebesschwüren eines Mannes lauschte.

Und als er schwieg und bebend vor Erregung in ihr Antlitz schaute, ihres entscheidenden Wortes harrend, da blickte sie lächelnd, sinnend, träumerisch an ihm vorüber in die bunte Blütenpracht des Straußes, welchen er ihr mitgebracht und schwieg.

»Mary!« rang es sich von seinen Lippen, »müssen Sie sich in der That so lange besinnen, ob Sie auch lieben, ob Sie die Meine sein können?!«

Da umschloß sie seine Hand mit ihren kühlen Fingerchen, neigte sich mit wunderlichem Blick über ihn und flüsterte: »Da Sie das Klügeln und Überlegen ganz verlernt zu haben scheinen, mein Freund, — muß ich es nicht für uns beide thun? Ja, Erwin, Sie sind erhört! Unbegreiflich! Mein Verstand, welcher sagt, daß jede zweite Ehe für eine Frau nur Leichtsinn und Luxus ist, — kapituliert vor Ihnen und mein Herz, welches sich so lange vor neuen Banden wehrte, liegt rettungslos in den Rosenketten Ihrer Liebe! — Aber halt! noch nicht zu früh gejubelt, mon ami! Ich ergebe mich Ihnen nicht bedingungslos, — denn ein Teil des Sieges gehört auch mir! Sie schwören im voraus alles zu, was ich verlange? Gut. Hören Sie. Sie sind Vater einer jungen, schönen, verzogenen, eigenwilligen Tochter, welche bis jetzt Herrin in Ihrem Hause war. Auch ich bin jung, verwöhnt, — auch ich bin es gewohnt, Herrin zu sein. Aber zwei Königinnen in einem Reiche sind zu viel, Krieg und Feindseligkeiten würden unausbleiblich sein, und auch die stirnrunzelnde Resignation einer entthronten Herrscherin ist kein erquicklicher Anblick für ein junges Paar. Das sehen Sie selber ein, lieber Erwin, nicht wahr? Und darum hören Sie meine Bedingung! Verloben und verheiraten Sie Sibylle, es wird Ihnen sicher nicht schwer fallen, — und wenn die kleine Göttin den Altar — auf welchem man ihr bisher in Ihrem Hause opferte — verlassen hat, so kommen Sie und holen Sie die Braut heim, Geliebter, ich bin alsdann bereit, all Ihre Liebe, Ihre Huldigungen und Ihren Weihrauch ungeteilt in Empfang zu nehmen!« —

Sie hatte es in ihrer graziösen Weise voll Scherz und Anmut gesagt, und doch war es ihr bitterer Ernst mit ihren Worten, das sah er selber nur allzugut ein und glühte vor Ungeduld und Verlangen, sein Töchterchen so schnell wie möglich unter die Haube zu bringen, um sein eigen Glück dadurch zu gewinnen! Wie aber das bei dem eiskalten, unberührten Herzchen seiner so wählerischen Tochter, welche er viel zu zärtlich liebte, um sie in eine verhaßte Ehe zu zwingen — anfangen? Da war guter Rat teuer.

Ein Zufall kam ihm zu Hilfe.

»Wer ist dieser hübsche Mensch?« fragte Sibylla eines Tages sichtlich betroffen, als sie auf dem Schreibtisch des Vaters das Bild des jungen Mortimer Trimmis-Seggen liegen sah.

Er gab Auskunft und berichtete dem Töchterchen, daß der Sohn seines Compagnons in den nächsten Tagen ein Rendezvous mit ihm in Paris nachgesucht habe, dringende Angelegenheiten zu besprechen.

»Wann reisest du? Schade, daß er nicht hierher kommt!« sagte Sibylla und blickte noch immer nachdenklich auf die Photographie hernieder. In den Augen des Kommerzienrats blitzte es auf wie jähe, freudige Hoffnung.

»Es wäre mir lieb, wenn du mich auf dieser Reise begleitetest, Sibylla!« sagte er.

Da warf sie das Köpfchen stolz zurück und sah so kühl und unnahbar aus wie stets.

»Damit Herr Trimmis glaubt, ich käme um seine Bekanntschaft zu machen?! Du solltest mich in dieser Beziehung doch kennen, Papa!«

Und er kannte sie, darum reiste er allein, als er aber zurückkam, befand sich Herr Mortimer Trimmis in seiner Begleitung.

»Wenn es dieser nicht wird, dann wird es so bald kein anderer!« kalkulierte der Kommerzienrat, denn er hatte es gar wohl beobachtet, wie Sibyllas Wangen jäh erglühten, als sie Sir Mortimer ganz unerwartet gegenüber stand, wie die Augen des jungen Mannes voll unverhohlenen Entzückens aufleuchteten, als sein Blick die reizende Erscheinung des jungen Mädchen umfaßte.

Mahlenstadt triumphierte bereits, aber leider zu früh.

Es war diese erste Begegnung der jungen Leute wie ein Sonnenstrahl im Winter gewesen, — sekundenlang lag die Welt wie in lichtem Frühlingsglanz, dann aber kamen Reif und Frost und deckten alles Keimen und Blühen wieder zu.

Mortimer und Sibylla verkehrten täglich zusammen, — der junge Mann sprach nicht von Abreise und das junge Mädchen hatte plötzlich nichts anderes mehr auf der Welt zu thun, als wie ihre Zeit dem Gast zu widmen, — und dennoch . . . es lag wie ein Eiseshauch über diesem Verkehr. —

Draußen in Flur und Feld ließ der Lenz auf sich warten, und drinnen in dem kühlen Salon ließ er ebenfalls auf sich warten, so ungeduldig der Kommerzienrat auch durch die Portiere lugte.

Das Kaminfeuer prasselte noch, obwohl es Mai war, und Mortimer und Sybilla saßen einander gegenüber, steif, langweilig, kühl bis an’s Herz hinan, — sie wickelten sich in Decken und Boas und froren . . . froren . . . froren alle Liebe zu Tode! —

Der Kommerzienrat schritt voll nervöser Ungeduld auf dem weichen Teppich seines Zimmers auf und nieder und nagte in vergeblichem Grübeln und Sinnen die Lippe.

Die leidenschaftliche Sehnsucht nach seiner Vereinigung mit Mary quälte ihn, und doch war die hartherzige kleine Frau durch kein noch so zärtliches Flehen, kein noch so stürmisches Bitten zu bewegen, die gestellte Bedingung zurückzunehmen.

»Glaube mir, Liebster, daß unser Frieden, unser Behagen und unser ganzes eheliches Glück von meiner so sehr gerechtfertigten Forderung abhängt!« sagte sie sehr weich und innig, aber auch sehr fest und bestimmt. »Du würdest es bald noch mehr bereuen wie ich, mich zum Nachgeben überredet zu haben, also danke es mir, wenn ich meinem Grundsatz treu bleibe!«

Danken! auch noch danken dafür!! Der arme Kommerzienrat hätte aus der Haut fahren mögen vor Ungeduld, um so mehr, als sich seit kurzer Zeit noch die Eifersucht bei ihm regte. Was wollte plötzlich der elegante, schneidige Sportsmann in dem Salon der jungen Witwe, er, der angeschwärmte Löwe des Tages, mit dem verlebten Gesicht und den dunkellodernden Augen, auf welche die jungen Mädchen Gedichte machten und von welchen sensible Frauen träumen?

Solche Don Juans sind gefährlicher wie man glaubt, denn unbegreiflicher Weise lieben die modernen Frauen mehr das interessante Kainsmal der Sünde auf dem Gesicht ihrer Helden, wie den Glanz der Tugend.

Bah! Kann ihm jener blasierte Modenarr gefährlich werden?

Wenn Mary auch noch so viel und angeregt mit ihm plaudert und plötzlich ein ausfallendes Interesse für Sport und Rennbahn zeigt? —

Lächerlich! Man munkelt, daß der ehemalige Diplomat stark verschuldet, daß sein Rennstall Blendwerk der Hölle, daß sein Kredit untergraben sei! Hat doch neulich noch ein Witzbold von ihm zitiert:

Ein einzig lahmer Schimmel, Zeugt von vergangener Pracht, Auch dieser, stark struppieret, Kann fallen über Nacht . . .

Und was würde Frau Mary sagen, wenn sie zu Fuß gehen sollte?!

Die schöne Witwe ist in leidlich guter Lage, aber sie ist lange, lange nicht reich genug um einen Mann heiraten zu können, welcher rennt, spielt . . liebt . . .

Und doch!! — Mahlenstadt streicht mit dem duftigen Seidentuch über die feuchte Stirn. Man lebt in dem Zeitalter der Absurditäten, der unglücklichen Lieben, welche mit Selbstmord enden, der krassesten Gegensätze derer, die nicht für einander bestimmt sind und sich dennoch finden, aller Vernunft, aller Möglichkeit zum Trotz! —

Man hat die Weiber nie sehr gut verstanden, — heut zu Tag wird man überhaupt nicht mehr klug aus ihnen . . . und Mary ist eine so völlig moderne, so ganz zeitgemäße Frau!

Nein, dieser qualvolle Zustand muß ein Ende nehmen, er muß es.

Sibylla und Mortimer mußten sich jetzt endlich verloben, und . . . »wollen sie nicht willig, gut, so brauche ich Gewalt!« —

Und der Kommerzienrat entzündete sich mit finsterer Stirn eine Cigarette, warf sich auf die fellbelegte Ottomane nieder und grübelte, wie er am besten und schnellsten zum Ziel gelangen könne.

Plötzlich blitzte sein Auge auf, ein Lächeln triumphierender Freude flog über die bewölkten Züge.

Hurra, der Stein der Weisen ist gefunden! Dem jungen Pärchen ist es zu kalt, einfach zu kalt zum Verlieben! —

Ist es ein Wunder, wenn die Herzen kühl und ruhig bleiben, wenn man sich fröstelnd in Boas und Decken wickeln muß?

Gewiß nicht!

Wie soll sich das heiße, süße Sehnen in die Seele schleichen, wenn draußen ein nebelgrauer Himmel und kahle Bäume trauern, wenn weder Rosenduft noch Nachtigallensang, weder Lenzeshauch noch zauberischer Sternhimmel in milder Maiennacht das ihre thun können?

Am lauwarmen Kaminbrand fängt kein Herz Feuer, und dieses kalte, regnerische Frühjahr trägt die Schuld daran, wenn Mortimer und Sibylla sich nun schon vierzehn Tage lang gegenüber sitzen, die gleichgültigsten Dinge verhandeln, niesen, gähnen und frösteln!

Das muß anders werden!

Auf Feuer sollen sie, eingeheizt soll ihnen werden, daß sie in der Glut gar nicht anders können, als wie in himmelhohen Liebesflammen aufzulodern!

Freilich, hier unter dem heimatlichen Himmel ist das nicht gut möglich.

Die Zentralheizung ist abgestellt und weil der Kommerzienrat ein Mann von Grundsätzen ist, läßt er sich seine Befehle nicht von ein paar kalten Frühlingstagen über den Haufen werfen. Es wird auch ganz gut und dienlich sein, einen kleinen Wechsel der Scenerie vorzunehmen. Das trauliche Boudoir Sibyllas ist nun zu etwas alltäglichem geworden und hat seinen Reiz verloren, darum wird es vorteilhaft sein, der kleinen Liebesgeschichte für neue Dekorationen zu sorgen.

Reisen! — Fort von hier! Nach dem Süden.

Aber wohin? —

Eines jener großen, bekannten Rendezvous der eleganten Welt, wie Kairo, Nizza, Riviera etc., ist nicht vorteilhaft.

Die jungen Leute sehen da viel zu viel anderes, werden zerstreut und abgelenkt.

Sibylla ist fraglos ein sehr hübsches, elegantes Mädchen, aber . . . du liebe Zeit! Kann es nicht ein tückischer Zufall wollen, daß in solch einem Badesammelpunkt eine noch schönere, noch schickere Lady auftaucht, welche Mortimers Blicke fesselt und Kommerzienrats Töchterlein in den Schatten stellt?

Nein! Papa Mahlenstadt ist ein gewiegter und feinfühliger Diplomat, er wird in erster Linie dafür sorgen, daß seine beiden Verlobungskandidaten möglichst auf sich selbst angewiesen sind.

Und hübsch warm sollen sie sitzen!

Eingeheizt soll ihnen von der lieben Sonne werden, daß ihnen Hören und Sehen vergeht!

Ein grausam schadenfrohes Lächeln spielt um die Lippen des Verschwörers.

Wartet nur! Wenn es auch hier zu kalt war zum verlieben und verloben, so soll es künftig nicht an Feuer fehlen!

Wollen sehen, ob dieses probate Mittel helfen wird!

Und fiebernd vor froher Erregung stürmt der Kommerzienrat an das Telephon und beruft seinen Hausarzt zu sehr wichtiger Besprechung in seine Villa.

Besagter Sanitätsrat war ein vernünftiger Mann, mit welchem sich schon ein Wort reden ließ, und da er so wie so eine Leidenschaft dafür hatte, seine Patienten in die Welt hinaus zu jagen, nach Süden, Norden, Osten oder Westen, gleichviel wohin, nur recht weit weg, damit die Luftveränderung eine geradezu märchenhafte und die Eisenbahnfahrt eine wirklich durchgreifende Rüttel- und Schüttelkur werde, — so genügte nur die zarte Andeutung des Kommerzienrats, »er sehne sich mal raus in andre Luft!« um seinen medizinischen Schutzengel in begeisterte Erregung zu versetzen.

»Selbstredend! Das sagte ich ja längst, daß Sie mal fort müssen! Ihre Nerven sind herunter, total herunter! Es ist zwar noch früh im Jahre, aber nach den neuesten Ansichten unserer Autoritäten ist es grade die kalte, herbe Frühlingsluft des Nordens, welche wahre Wunder an den zerrütteten Nerven thut! Packen Sie, lieber Freund! Packen Sie und reisen Sie so schnell wie möglich nach Schweden und Norwegen!«

Der Kommerzienrat schüttelte sehr entschieden den Kopf. »Nee, Verehrtester! Das Frieren besorge ich auch hier zu Hause! Im Gegenteil, wärmen will ich mich . . . milde Düfte und Lüfte atmen . . . mit den Nachtigallen kosen . . .«

»Ah! Also nach dem Süden? — Ganz ausgezeichnet! Ist grade das, was Ihnen gut thun wird. Sowie der Körper nach Wärme verlangt, muß sie ihm werden. Die Natur zeigt da selber den Weg, den wir nur blindlings zu gehen brauchen! Also nach dem Süden?! Vortrefflich. Wie denken Sie über Ägypten? Schon ein bißchen sehr heiß . . .«

»Na — das wäre mir grade recht, aber neben der Hitze will ich auch Ruhe haben, wissen Sie Sanitätsrätchen, so ein Idyll . . . so recht was fürs Herz und Gemüt! Kein Grandhotel mit befrackten Kellnern, staubigen Promenaden und alle Tage Mocturtleragout, aber dafür Natur! Landschaft! Liebliche Einsamkeit, wo einen die Sonne wenigstens durch Myrtengebüsche braun brennt!« . . .

»Ah ich verstehe — völlige Weltabgeschiedenheit! Ich hatte soeben eigentlich an Monaco für Sie gedacht, aber wenn Sie sich auf das Einsiedlerleben kapriziert haben . . . ja, warten Sie mal, Verehrtester . . . was wäre denn da so recht passend . . .« und der Doktor strich nachdenklich den braunen Spitzbart und versank in längeres Schweigen.

Endlich hob er sichtlich erfreut den Kopf.

»Nach dem Misocco-Thal! Nach Greno müssen Sie! Das bietet alles, was Sie verlangen. Um diese Zeit schon heiße italienische Sonne! Dabei doch frische und erquickende Alpenluft, Ruhe, Stille, Einsamkeit! O wenn ich an die unvergeßlich schönen Stunden zurück denke, die ich einst selbst als wandersfroher Mann in dem idyllischen Hause des Don Domenico verlebte! Kaum kann ich sagen, was mich ehemals mehr begeisterte, die wilde, köstliche Poesie des Thales von Misocco, mit seinen romantischen Burgen, den schattigen Lorbeer- und Kastanienhainen, den wogenden, mannshohen Maisstengeln mit den graziösen, lichtgrünen Blättern, wiegend und schmiegend wie breites Schilf, — mit der weißschäumenden Moesa Calancasca, von welchen ich nie wußte, ob sie toller durch das Land stürmten oder ich, — oder ob es mir die saftigen Maccaroni angethan hatten, welche Gina, die schöne, wilde, feurige Gina mit den schwarzen Glutaugen mir servierte — aber gleichviel was mich in Bande geschlagen! Ich war bezaubert, berauscht und mit Leib und Seele gefesselt an das wundersame Thal von Misocco!« —

Der Sanitätsrat hatte sich in wahre Begeisterung geredet, er strich mit der Hand über die Stirn und atmete so schwärmerisch auf, als stehe die schöne Gina immer noch mit der dampfenden Schüssel voll Maccaroni vor ihm. Aber grade das, was ihn ehemals in Entzücken und jetzt noch in zärtliche Sehnsucht versetzte, ließ dem Kommerzienrat das Misocco-Thal in fatalster Weise bedenklich erscheinen.