Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Laura Hollisch war viel zu jung, um zu sterben. Trotzdem setzte sie ihrem Leben mit einem Sprung vom Balkon eines Appartements im Augsburger Hotelturm ein Ende. Für die Polizei war es ein Selbstmord und sie stellt die Ermittlungen bald ein.Was hat Laura zu diesem tragischen Schritt veranlasst? Der Vater des toten Mädchens beauftragt den Privatdetektiv Frank Gerber, Licht in das Dunkel des Todes seiner Tochter zu bringen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 194
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Alfred WallonSPRUNG IN DEN TOD
In dieser Reihe bisher erschienen
3501 Thomas Ziegler Überdosis
3502 Renate Behr Tod am Dreiherrenstein
3503 Alfred Wallon Sprung in den Tod
3504 Ulli B. Entschärft
Alfred Wallon
Sprung in den Tod
DER REGIONAL-KRIMIAugsburg
Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannUmschlaggestaltung: Mario HeyerTitelbild: Alfred WallonSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-992-8Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!
Manchmal gibt es Dinge im Leben, auf die man einfach nicht stolz sein sollte. Auch wenn der Arzt behauptet, dass sie unbedingt nötig sind und dazu beitragen, das körperliche Wohlbefinden deutlich zu verbessern. Ich selbst kam mir jedenfalls schrecklich albern vor, als ich mich an diesem Mittwochmorgen dazu entschloss, mich mit zwei Nordic Walking-Stöcken zu bewaffnen und einige Runden durch den Wittelsbacher Park zu drehen.
Im Grunde genommen war das nichts Außergewöhnliches, wie ich mir immer wieder einzureden versuchte – aber beim längeren Nachdenken bildete sich trotzdem die Vorstellung, wie lächerlich es eigentlich aussah, wenn ein erwachsener Mann wie ich mit zwei Stöcken durch den Park rannte und fest daran glauben sollte, dass so was guttat.
Wie dem auch sei – ich versuchte es trotzdem, denn während der letzten Monate hatte ich gewichtsmäßig etwas zugelegt und schon des Öfteren gemerkt, dass das Erklimmen mancher steilen Treppe mir den Schweiß auf die Stirn trieb. Höchste Zeit also, etwas dagegen zu tun, dass ich irgendwann in Atemnot geriet und womöglich noch Schlimmeres geschah.
Nicht dass Sie denken, ich hätte etwas gegen Sport. Aber Menschen, die sich Tag für Tag in ein Fitnessstudio begeben und mit anderen Sportfanatikern Gewichte um die Wette stemmen und sich dabei von den weiblichen Gästen des betreffenden Studios insgeheim bewundern lassen, waren mir schon immer ein wenig suspekt …
Sei’s drum – ich befolgte dennoch den gut gemeinten Rat meines Arztes, der mir im Übrigen etwas von einem erhöhten Blutdruck und ebensolchen Cholesterinwerten erzählt hatte und der Meinung war, ich solle besser die Warnzeichen meines Körpers erkennen und mich danach zukünftig richten, wenn ich das Rentenalter noch erleben wollte. Ich muss zugeben, dass seine Worte mich ein wenig nachdenklich gemacht hatten. Und das war auch der Grund dafür gewesen, dass ich nach dem Arztgespräch noch am selben Tag in die City-Galerie gefahren war und mir dort zwei Nordic Walking-Stöcke gekauft hatte – fest entschlossen, sie auch regelmäßig zu benutzen.
Heute war also Premiere meiner sportlichen Ertüchtigung. Mein Auto hatte ich auf dem großen Parkplatz am Ende der Imhofstraße abgestellt und war jetzt unterwegs zum Wittelsbacher Park. Zum Glück war es ein sonniger Herbsttag, und ich war nicht der Einzige, der in Sachen Sport im Park unterwegs war. Ich gehörte zu denjenigen, die sich ihre Zeit für sportliche Aktivitäten zum Glück nach Belieben einteilen konnten. Weil mein Job keine regelmäßigen Arbeitszeiten kannte.
Mein Name ist übrigens Frank Gerber. Ich bin Privatdetektiv und kümmere mich um Dinge, die für manche Leute extrem wichtig sind und die auch bereit sind, ein großzügiges Honorar lockerzumachen, um die Wahrheit zu erfahren. Letzteres kann jedoch sehr ernüchternd sein. Aber das ist eben mein Job. Manchmal kann man davon gut leben, aber oft frage ich mich auch, wie verrückt ich eigentlich bin, mich Tag für Tag auf die Lauer zu legen und irgendwelche Leute zu beobachten, die nach Meinung meiner Auftraggeber Dreck am Stecken haben und ich das beweisen soll. Im Lauf der letzten Jahre habe ich zur Genüge festgestellt, dass die äußere Fassade mancher Menschen nicht die Wahrheit ist, sondern sich dahinter so manche Abgründe auftun. In einige von ihnen habe ich geblickt und erkannt, dass die Welt da draußen nicht mehr so friedlich ist wie es den Anschein hat.
Ich bemerkte das ermutigende Lächeln einer älteren Dame, als ich mich schließlich in Bewegung setzte und fest entschlossen war, mindestens drei Runden durch den gesamten Park zu drehen. Was für einen Menschen mit meiner körperlichen Konstitution schon eine Herausforderung darstellt!
Irgendwo im Hintergrund – auf der anderen Seite des Hotelturms – hörte ich plötzlich eine laute und durchdringende Polizeisirene. Aber das ist in einer Stadt wie Augsburg nichts Besonderes. Hier ist die Polizei eigentlich fast jeden Tag im Einsatz, wenn etwas passiert. Also dachte ich nicht weiter darüber nach, sondern setzte meine Runde fort und bemerkte zu meinem Erstaunen, dass die ganze Sache gar nicht so lästig war, sondern sogar ein wenig Spaß machte. Manchmal kommt die Einsicht eben spät, dachte ich mit einem Schmunzeln. Aber wenigstens nicht zu spät …
Ich hatte jetzt den Teil des Wittelsbacher Parks erreicht, von dem man einen guten Blick auf die Tennisplätze in der Nähe des alten Rosenau-Stadions hatte. Auf den Plätzen waren schon einige Spieler damit zugange, sich ein Match zu liefern. Mein Interesse für Tennis hielt sich eher in Grenzen, deshalb setzte ich meinen Weg fort und legte sogar noch etwas Tempo zu, weil ich spürte, dass mir das guttat.
Auf einmal hielt ich inne, als ich das Blaulicht zwischen den Bäumen sah. Nicht weit von der Bauruine des Parkhauses direkt neben dem Hotelturm. Ich runzelte die Stirn und fragte mich, was dort passiert sein mochte. Auch die anderen Sportbegeisterten, die sich im Wittelsbacher Park aufhielten, hatten das Blaulicht bemerkt und hielten in ihren Aktivitäten inne.
Der Mensch ist von Natur aus neugierig. Vor allem, wenn Dinge passieren, die ungewöhnlich sind. Ich bin da nicht anders als die meisten anderen Menschen. Denn unterschwellig besteht immer der Wunsch, seiner Gier nach irgendwelchen Sensationen zu frönen und gleichzeitig innerlich aufzuatmen, dass man selbst nicht davon betroffen ist. Bei mir ist diese Neugier aber eher beruflicher Natur. Jemand wie ich, der schon so oft in menschliche Abgründe geschaut hat, ist gedanklich weit entfernt vom bloßen Gaffen. Vielleicht konnte ich ja sogar etwas tun, wenn vor Ort Hilfe benötigt wurde. Deshalb beschleunigte ich meine Schritte und näherte mich der betreffenden Stelle, wo ich das Blaulicht entdeckt hatte.
Je näher ich kam, umso mehr Einzelheiten konnte ich erkennen. Es war nicht nur ein Polizeifahrzeug, das hinter dem Parkhaus zum Stehen gekommen war. Zwei weitere standen auf der Zufahrt zum Lieferantenparkplatz des Hotelturms. Ein Rettungswagen traf gerade ein, während Polizisten in hektischer Betriebsamkeit mit einem rot-weißen Absperrband potenzielle Zuschauer auf Distanz hielten.
Auch wenn ich noch nicht nahe genug herangekommen war, um weitere Einzelheiten zu erkennen, so sagte mir doch das Absperrband genug. Hier musste etwas Schlimmes passiert sein!
„Bitte gehen Sie weiter!“, hörte ich einen der Polizisten zu einem jungen Paar sagen, das sich zu nahe an die Absperrung herangewagt hatte. „Es gibt hier nichts zu sehen. Behindern Sie nicht unsere Arbeit!“
Der junge Mann und die Frau befolgten die Anweisungen des Polizisten, aber es hatten sich mittlerweile noch mehr Leute versammelt, die sehen wollten, was hier geschehen war. Die Polizeibeamten hatten also alle Hände voll zu tun, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Ich stand an einer Stelle, die sich zwar nicht unmittelbar an der Absperrung befand. Aber von dort aus hatte ich trotzdem einen Blick auf den Lieferantenparkplatz – und was ich dann sah, war eindeutig. Mitten auf dem Platz lag eine reglose Gestalt. Dicht neben dem Kopf ein großer roter Fleck. Ich konnte gerade noch erkennen, dass es eine junge Frau war, bevor jemand eine Plane über ihr ausbreitete und sie so vor den Blicken der neugierigen Gaffer verbarg. Das war eine gute Maßnahme, denn zwischenzeitlich waren auch zwei Fotografen eingetroffen und versuchten, einige Fotos zu schießen. Die Beamten gaben ihnen jedoch klar zu verstehen, dass dies nicht der Zeitpunkt war, um die Sensationsgier der Leser ihrer Zeitung zu befriedigen und hielten sie auf Distanz.
„Schrecklich ist das!“, hörte ich jemanden hinter mir sagen. „Um Himmels willen – warum passiert denn so was …?“
„Und immer am Hotelturm“, fügte eine männliche Stimme hinzu. „Das passiert ja schließlich nicht zum ersten Mal.“
In diesem Moment konnte ich selbst nicht sagen, warum ich mich umdrehte und auf den älteren Mann und die Frau zuging, die schon vor mir hierhergekommen waren und demzufolge mehr mitbekommen hatten als ich.
„Was ist denn geschehen?“, fragte ich ehrlich betroffen, als ich an die reglose junge Frau dachte, die ich für wenige Sekunden gesehen hatte.
„Es ist wieder jemand gesprungen … von da oben!“, sagte der ältere Mann und zeigte hinauf zu den höheren Stockwerken. „Warum auch immer … ich verstehe es nicht. Wie kann jemand sein Leben einfach so wegwerfen?“
Darauf wusste ich auch keine Antwort. Ich zuckte nur bedauernd mit den Achseln und entfernte mich wieder ein Stück von der Absperrung. Es gab ohnehin nichts mehr zu tun, wo ich hätte helfen können. Für die junge Frau, die diesen Sprung in den Tod vollzogen hatte, kam ohnehin jede Hilfe zu spät.
Ich wollte mich schon abwenden, als ich plötzlich jemanden entdeckte, den ich kannte. Ein Mann in einer dunklen Lederjacke, der aus einem Wagen stieg, den er in der Zufahrt zum Hotelturm geparkt hatte. Er hatte es sehr eilig, die Stelle zu erreichen, wo die Tote unter der Plane lag. Bei ihm befand sich eine jüngere blonde Frau mit schulterlangen Haaren. Die Frau kannte ich nicht, den Mann aber schon. Es war Hauptkommissar Robert Brandner von der Augsburger Mordkommission.
Ich hatte schon einmal mit ihm zu tun gehabt, aber nicht deswegen, weil ich selbst ein Verbrechen begangen hatte, sondern weil wir beide zusammen in dramatische Ereignisse verwickelt gewesen waren, die damals halb Augsburg in Angst und Schrecken versetzt hatten. Ein Fall, der harmlos mit dem rätselhaften Tod eines Studenten begonnen und mit einer Rattenplage in Augsburg geendet hatte. Damals hatten Brandner und ich notgedrungen zusammengearbeitet, weil wir am selben Strang zogen – auch wenn der Hauptkommissar nicht gerade glücklich darüber gewesen war, einen Privatschnüffler wie mich in seine Ermittlungen mit einzubeziehen. Letztendlich hatte das aber zum Erfolg geführt. Zumindest teilweise …
Seitdem hatte ich Brandner nicht mehr wiedergesehen. Ich sah, wie er sich neben der Plane hinkniete und sie an einer Seite kurz anhob. Seine Miene verzog sich. Das sagte mir genug. Dann schaute er hinüber zu der Stelle, wo sich die Absperrung befand – und er entdeckte mich unter den Zuschauern. Ich zuckte kurz zusammen, weil mir sein missbilligender Blick nicht gefiel. Er sagte etwas kurz zu der blonden Frau, erhob sich dann und marschierte direkt auf die Absperrung zu. Keine Frage – er hatte mich erspäht und wollte jetzt vermutlich wissen, was ich hier zu suchen hatte.
„Was wollen Sie denn hier, Gerber?“, fragte er mich in einem Tonfall, der schon fast an Diskriminierung grenzte. Vor allem, als er meine beiden Nordic Walking-Stöcke sah.
„Wonach sieht es denn wohl aus?“, entgegnete ich. „Ich war gerade dabei, meine Runden durch den Park zu drehen, als ich die Polizeifahrzeuge und den Rettungswagen sah.“
„Und da dachten Sie wohl, das wäre ein neuer Fall für Sie?“
„Sie irren sich“, wies ich diesen unbegründeten Verdacht sofort zurück. „Ich wollte nachsehen, ob ich vielleicht helfen kann, Herr Hauptkommissar.“
„Da kommt jede Hilfe zu spät“, brummte Brandner mit einer Miene, die jedes kleine Kind in Angst versetzt hätte. „Was die Polizisten eben gesagt haben, gilt natürlich auch für Sie. Gehen Sie einfach weiter. Verstanden?“
„Ich werde Ihre Ermittlungen ganz gewiss nicht stören“, sagte ich und begleitete diese Aussage mit einer abwehrenden Geste der linken Hand. „Keine Sorge.“
„Das will ich auch hoffen“, fügte Brandner hinzu. „Was ist jetzt?“
Er wirkte ganz so auf mich, als sei ihm an diesem Tag schon eine gewaltige Laus über die Leber gelaufen – und jetzt kam dieser schreckliche Todesfall noch hinzu. Ich ahnte aber auch, dass Brandners Anwesenheit einen guten Grund haben musste, wenn er sich mit seiner Kollegin am Ort dieses tragischen Geschehens aufhielt. Ob da womöglich noch mehr dahintersteckte als nur ein tragischer Unfall?
Ich beschloss, die ohnehin schon schlechte Laune des Hauptkommissars nicht noch mehr zu strapazieren und zog mich langsam zurück. Genauso wie die anderen neugierigen Gaffer, die sich hier versammelt hatten. Schließlich gab es ja nichts mehr zu sehen, was einem einen Adrenalinkick versetzen konnte. Jemand war auf tragische Weise gestorben, und niemand hatte es verhindern können!
Irgendwie hatte ich die Lust verloren, meine freiwillig auferlegte Nordic Walking-Tour fortzusetzen. Auch mich lässt ein plötzlicher Tod nicht kalt. Vor allen Dingen, wenn es sich dabei um eine junge Frau handelte, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatte. Was in aller Welt hatte sie dazu getrieben, ihr Leben auf diese schreckliche Weise zu beenden? Oder hatte eventuell jemand nachgeholfen?
Mir ging in diesen Sekunden alles Mögliche durch den Kopf. Das lag aber auch daran, dass ich es gewohnt war, hinter die Fassaden zu sehen und das Düstere zu erkennen, das dort lauert. Die menschliche Psyche ist etwas, was man nur schwer verstehen oder gar kontrollieren kann. Und wenn womöglich noch Emotionen oder gar Enttäuschungen mit im Spiel sind, dann ist es ohnehin kritisch.
Ich trat den Rückweg zum Parkplatz an und fühlte dabei eine eigenartig melancholische Stimmung. Aber dann beschloss ich, mich wieder auf das Jetzt und Hier zu konzentrieren und Abstand zu gewinnen. Ich war mit der jungen Frau weder verwandt noch sonst irgendwie bekannt. Somit hätte ich mir eigentlich den Kopf nicht mehr darüber zerbrechen müssen, dass ein anderer Mensch für sich entschieden hatte, seinem Leben ein Ende zu setzen. Trotzdem beschäftigte mich dieses traurige Ereignis mehr, als ich mir selbst eingestehen wollte.
„Was ist denn da hinten los?“, riss mich plötzlich die Stimme eines verwahrlost aussehenden Mannes aus meinen Gedanken. Er hockte auf einer Bank, trug einen Mantel, der schon ziemlich in die Jahre gekommen war und hatte in der rechten Hand eine Bierflasche, die er schon fast geleert hatte. Ein grauer Stoppelbart umrahmte ein Gesicht, das im Leben schon viele Höhen und Tiefen erlebt haben musste.
„Jemand ist aus einem Appartement in die Tiefe gesprungen“, erwiderte ich und sah, wie der Mann kurz erschrocken dreinblickte, sich dann aber wieder unter Kontrolle hatte.
„Der hat’s wenigstens hinter sich und hatte Mut“, kommentierte er diesen Vorfall, trank anschließend den letzten Rest Bier und verstaute die Flasche in einer Plastiktüte. Das leise Klirren zeigte mir, dass sich darin noch weitere, möglicherweise leere Flaschen befanden, deren Inhalt er geleert hatte. „Ich wünschte mir, ich könnte das auch“, sprach er dann weiter, sah mich aber dabei nicht mehr an. Sein Blick war auf einen imaginären Punkt im Gras neben der Bank gerichtet.
Falls der Mann darauf gehofft hatte, dass ich jetzt mit ihm über seine Alltagsprobleme sprach, so hatte er sich getäuscht. Die Begegnung und anschließende Zurechtweisung durch Hauptkommissar Brandner hatte meine Laune getrübt. Ich wollte nur noch eins – so schnell wie möglich weg von hier und auf andere Gedanken kommen!
Auf dem Parkplatz verstaute ich die beiden Nordic Walking-Stöcke auf dem Rücksitz meines Wagens, wollte mich ans Steuer setzen und losfahren. Aber genau in diesem Augenblick kam ein Auto um die Ecke geschossen, dass ich das Quietschen der Reifen selbst bei geschlossenem Fenster nicht überhören konnte. Ein kurzer Blick nach hinten zeigte mir, dass es ein dunkelgrüner VW Golf älteren Baujahrs war. Und den Fahrer kannte ich! Sein Name war Joachim, Jo, wie er selbst genannt werden wollte, Jo Poschmann. Er arbeitete als freier Journalist in Augsburg. Über 1,80 m groß, nicht mehr ganz so schlank, immer mit einem Dreitagebart und Klamotten, die er lieber sorgfältig pflegen oder reinigen sollte. Auf mich machte er immer den Eindruck, als wenn er drei Tage lang in seinen Jeans und Hemd geschlafen und vergessen hatte, diese zwischendurch zu wechseln. Trotzdem machte er seinen Job immer sehr gut. Weil er wusste, wie man am Ball blieb – und er besaß eine ausgesprochene Spürnase dafür, wenn es um heikle Dinge ging. Ein rasender Reporter, wie man sich ihn bei klischeehafter Betrachtungsweise vorstellte. Immer auf der Suche nach einer brandaktuellen Story, mit der man Geld verdienen konnte.
Dass er so schnell wie möglich nach einem freien Parkplatz Ausschau hielt, konnte ich mir denken. Deshalb stieg ich aus und winkte ihm zu, um ihm zu signalisieren, dass er gleich meinen Platz haben konnte.
Er bremste ab, als er mich erkannte, ließ das Fenster herunter und schaute mich völlig erstaunt an – oder besser gesagt meine Jogging-Klamotten, die er in Zusammenhang mit mir offensichtlich als völlig ungeeignet betrachtete. Zumindest deutete ich seinen Blick so.
„Was machst du denn hier?“, wollte Jo wissen.
„Ob du’s glaubst oder nicht – ich war im Park zum Nordic Walking“, erwiderte ich und bemerkte, dass sich seine Gesichtszüge in eine spöttische Grimasse verwandelten. „Vorsicht!“, fügte ich deshalb rasch hinzu. „Du bewegst dich auf verdammt dünnem Eis, Jo.“
„Hast du den Auflauf da vorn beim Hotelturm mitbekommen?“, fragte mich Jo und überhörte meinen kritischen Tonfall. Er sah, wie ich nickte und fuhr deshalb rasch fort. „Kannst du mal schnell rausfahren? Ich hab’s nämlich eilig …“
„Da gibt’s nicht mehr viel zu sehen“, fiel ich Jo ins Wort. „Die Polizei hat schon alles abgesperrt und die Tote zugedeckt. Es haben schon Kollegen von dir versucht, einige Fotos zu machen. Aber die Polizei hat sie alle zurückgedrängt.“
„Und du warst zufällig in der Nähe?“
„Ja. Und ich wundere mich darüber, dass du diesmal nicht der Erste gewesen bist.“
„Herrgott, ich habe diese blöde Parkplatzsituation in der Imhofstraße nicht einkalkuliert“, seufzte Jo. „Ich bin schon das dritte Mal um den Block gefahren. Jetzt fahr bitte raus und lass mich endlich mein Auto abstellen. Ich hab’s eilig.“
Jo wirkte so angespannt wie eine brennende Zündschnur, die bald das Dynamit zum Explodieren bringen würde. Also tat ich ihm den Gefallen und fuhr aus der Lücke. Er stellte seinen Wagen dort ab, griff nach seiner Fotoausrüstung und wollte schon an mir vorbeirennen, als ich ihm noch etwas zurief.
„Eine junge Frau, Jo“, sagte ich zu ihm. „Ich habe sie kurz sehen können. Sieht nach einem Selbstmord aus. Aber Brandner ist trotzdem vor Ort und macht sich ein Bild. Pass also ein bisschen auf, dass du ihn nicht bei seinen Ermittlungen hinderst.“
„Der ist doch von der Mordkommission“, sagte Jo. „Was hat er denn dort zu suchen?“
„Frag ihn doch am besten – du bist doch der Journalist“, erwiderte ich. „Über meine Anwesenheit war er jedenfalls nicht erfreut. Und jetzt beeil dich, wenn du deine Story noch bekommen willst, Jo. Oder ein anderer schnappt sie dir womöglich noch vor der Nase weg.“
Er ging nicht mehr auf meine Bemerkung ein, sondern beschleunigte seine Schritte. Er blickte auch kein einziges Mal mehr zurück, sondern beeilte sich, so rasch wie möglich den Hotelturm und den Schauplatz dieses schrecklichen Unfalls zu erreichen. Falls es überhaupt ein Unfall war.
Ich startete den Motor und fuhr schließlich vom Parkplatz. Eigentlich hätte die Sache für mich damit erledigt sein können. Aber ich ahnte nicht, dass ich schon bald darauf mit diesen Ereignissen wieder konfrontiert werden sollte. Auf eine Art und Weise, mit der ich niemals gerechnet hätte …
*
Eine knappe halbe Stunde später erreichte ich die Fichtelbachstraße, in der sich meine Wohnung und gleichzeitig auch mein Büro befanden. Ich wohnte im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses, und das schon seit gut fünf Jahren. Trotzdem hatte ich es bis heute noch nicht geschafft, einen etwas engeren Kontakt zu meinen Nachbarn aufzubauen. Zum einen lag es wohl daran, dass an meiner Wohnungstür ein Messingschild mit der Aufschrift Frank Gerber – Private Ermittlungen hing. Zum anderen stand mir ohnehin nicht der Sinn danach, mir den neuesten Klatsch und Tratsch der Bewohner anzuhören. Ich verhielt mich freundlich, blieb aber trotzdem auf Distanz – und nachdem die anderen Mieter das begriffen hatten, ließen sie mich auch in Ruhe. Nichts anderes hatte ich erreichen wollen.
Ich hatte mein Auto in der Tiefgarage abgestellt und kam gerade wieder heraus, als ich sah, dass jemand auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus dem Auto stieg und genau auf mich zukam. Ein Mann mittleren Alters in unauffälliger Straßenkleidung – aber mit einem Aktenkoffer in der Hand. Und mit einem etwas vorwurfsvollen Blick, der mir galt. Als wenn er mir damit sagen wollte, wo ich denn eigentlich zum Teufel gesteckt hatte und er deshalb so lange hatte warten müssen.
„Herr Gerber?“, sprach er mich an. „Frank Gerber?“
„Ja“, erwiderte ich. „Und wer sind Sie?“
„Mein Name ist Moosgruber, Gerichtsvollzieher“, sagte er und zückte seinen Dienstausweis. „Wir müssen miteinander sprechen, Herr Gerber – und zwar dringend.“
Wenn es etwas gibt, was meine Laune sprichwörtlich in den Keller sinken lässt, dann ist es das Wort Gerichtsvollzieher. Für mich sind das Menschen, die immer im unpassendsten Moment kommen und etwas wollen, was ich nicht habe – oder zumindest nicht gleich.
„Hören Sie, ich habe gleich eine wichtige Telefonkonferenz“, sagte ich ausweichend und blickte dabei auf meine Armbanduhr. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir einen anderen Termin vereinbaren?“
„Sie hatten schon genügend andere Gelegenheiten, um Ihre fällige Rechnung zu bezahlen, Herr Gerber“, fiel er mir freundlich, aber immer noch sehr bestimmt, ins Wort. „Immer, wenn eine angemessene Frist verstrichen ist, komme ich oder einer meiner Kollegen mit ins Spiel. Das dürften Sie doch mittlerweile wissen, oder? Wir beide sehen uns zwar jetzt das erste Mal, aber ich habe mir Ihre Akte genau angesehen und festgestellt, dass es höchste Zeit ist. Sie verstehen?“
„Hören Sie – wir können doch in Ruhe über alles reden“, versuchte ich es trotzdem noch einmal, um wenigstens einmal einzulenken. „Sie müssen meine Lage verstehen. Als Selbstständiger gibt es mitunter manchmal unvermeidbare Engpässe. Die zu überbrücken ist nicht immer ganz einfach.“
„Immer selbst und ständig, nicht wahr?“, erwiderte Gerichtsvollzieher Moosgruber mit einem Lächeln, das seine Augen jedoch nicht erreichte. Er wirkte eher wie eine Spinne, die ihr Opfer bereits fixiert hat und es gleich mit ihrem Gift lähmen würde. „Herr Gerber, lassen Sie uns das Ganze ohne Aufsehen klären. Wir beide gehen jetzt in Ihre Wohnung, und dann finden wir ganz sicher eine Lösung.“
Ich musste einsehen, dass Moosgruber sich jetzt und hier nicht abschütteln lassen würde. Was blieb mir also anderes übrig, als auf seine Forderung – eine Bitte war es gewiss nicht mehr – einzugehen? Und alles wegen einer Rechnung, bei der ich mir mit dem Bezahlen einfach etwas Zeit gelassen hatte. Mein Auto hatte einige Reparaturen hinter sich, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Knapp 1.200,00 € waren es gewesen, und die konnte ich nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln. Gut, ich hatte die erste Mahnung der Werkstatt einfach ignoriert, die zweite zwar nicht – aber irgendwie war dann das eine zum anderen gekommen, und das Endziel war nun mal der Gerichtsvollzieher. Das war mir weiß Gott peinlich, aber ich konnte eben nicht zaubern, um meine Schulden zu bezahlen. Wenn man einmal eine Pechsträhne hat, dann wird man sie so schnell nicht mehr los.
Ich ging voraus, und Moosgruber folgte mir, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Kurz darauf stand er in meiner Wohnung und ließ seinen Blick mit Argusaugen in die Runde schweifen. Als befände er sich auf der Suche nach einem verborgenen Schatz und würde gleich fündig werden.
Falls er jedoch gehofft hatte, bei mir große Reichtümer zu finden, dann täuschte er sich aber. Ich lebte eher bescheiden, und Luxus war für mich ein ziemliches Fremdwort. Ich besaß nichts, was diese Bezeichnung verdient hätte, und meine Wohnung war eher zweckmäßig als aufwändig eingerichtet.
Seinen Blick deutete ich richtig, als er mich schließlich anschaute.