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In der Region Brazos River und Trinity River terrorisieren Comanchen das Städtchen Bastrop. Die Bewohner stellen eine Bürgerwehr auf. Häuptling Canoma vom Stamm der Caddo-Indianer erkennt die brisante Situation zwischen Weiß und Rot und bietet den Texanern Hilfe an. Doch die Hilfe wird von einem zweiten Trupp Ranger missverstanden. Das Geschehen eskaliert in Gewalt und Tod.
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Seitenzahl: 237
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In dieser Reihe bisher erschienen
4701 Alfred Wallon Tod am Rio Blanco
4702 Alfred Wallon Canoma muss sterben
4703 Alfred Wallon Die erste Rebellion
4704 Alfred Wallon Kampf ohne Gnade
4705 Alfred Wallon Die Helden von Alamo
4706 Alfred Wallon Vergeltung für Alamo
4707 Alfred Wallon Überfall auf Parkers Fort
4708 Alfred Wallon Gefahr am Little River
4709 Alfred Wallon Rinder für Texas
4710 Alfred Wallon Das Fort am Colorado River
4711 Alfred Wallon Entscheidung am Elm Creek
4712 Alfred Wallon Hinterhalt am Trinity River
4713 Alfred Wallon Der Commanchen-Jäger
4714 Alfred Wallon Der Ritt nach Laredo
4715 Alfred Wallon Blutiger Sommer (Frühjahr’25)
4716 Alfred Wallon Tödlicher Herbst (Frühjahr’25)
TEXAS RANGER
BUCH 2
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Copyright © 2022 Blitz-Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Redaktion: Alfred Wallon
Logo: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten
www.Blitz-Verlag.de
ISBN: 978-3-95719-362-9
4702 vom 11.08.2024
Der lautlose Tod
Der Auftrag
Saat der Gewalt
Die Suche
Ein folgenschweres Missverständnis
Aufruf zum Krieg
Die Rache der Caddo und Tonkawa
Grausames Sterben
Historische Anmerkungen zum vorliegenden Roman
Über den Autor
6. Mai 1835
Fünf Meilen westlich von Bastrop
Irgendwann zwischen Mitternacht und Morgengrauen
Geduckte Gestalten schlichen lautlos durch die Nacht. Hasserfüllte Blicke richteten sich auf den Gebäude-komplex der kleinen Farm, die vor ihnen im Mondlicht lag. Ein Wohnhaus, dicht daneben ein Stall und zwei Schuppen. Nicht weit davon entfernt ein Corral, in dem sich ein Pferd befand. Alles war friedlich, fast schon idyllisch.
Die Tonkawa-Indianer, die sich hinter der mit Gras bewachsenen Hügelkuppe verborgen hatten, hatten die Farm schon seit einiger Zeit beobachtet. Pahayoko blickte erwartungsvoll zu dem wuchtigen Haus, in dem die Weißen lebten. Ein Mann, eine Frau und zwei Kinder. Es versprach Schutz und ließ die Bewohner glauben, dass sie dort vor nächtlichen Angriffen jeglicher Art sicher waren.
Der Tonkawa-Krieger wusste jedoch, dass dem nicht so war. Er und einige andere Krieger hatten das Haus schon seit einigen Tagen genau beobachtet, und die Weißen hatten nichts davon bemerkt. Sie waren völlig ahnungslos und gingen ihrer Arbeit nach. Pahayoko wusste nicht viel über die seltsamen Sitten und Lebensweisen der weißen Eindringlinge. Es interessierte ihn auch nicht. Für ihn zählte nur die Tatsache, dass diese Menschen seinem Volk einen Teil ihres Landes gestohlen hatten und immer mehr Weiße hierherkamen. Nicht, um das Land zu durchqueren und dann wieder zu verschwinden, sondern um für immer zu bleiben.
Der Stamm der Tonkawa hatte schon einige sehr böse Erfahrungen mit den Weißen gemacht. Pahayoko wusste, dass von diesen Menschen eine große Gefahr ausging. Sie hatten noch nie danach gefragt, wem das Land wirklich gehörte, bevor sie es in Besitz nahmen und so taten, als würden sie nun die neuen Herren sein. Pahayoko und viele andere Krieger seines Volkes hatten sich schon blutige Kämpfe mit den Weißen geliefert und einige von ihnen auch vertreiben können. Aber das reichte nicht aus. Es kamen immer wieder neue weiße Menschen ins Land. Sie waren so zahlreich wie die Grashalme in der Ebene, durch die der Wind wogte. Zu viele, um sie noch zählen zu können.
Pahayoko blickte hinüber zu der Stelle, wo Tabemohats und Mukwooru sich verborgen hielten. Sie signalisierten Pahayoko im silbernen Licht des Mondes, dass sie bereit waren und nur noch auf sein Zeichen warteten. Das galt auch für Huupi-Pahati und zwei weitere Krieger, die sich rechts von Pahayoko postiert hatten.
Nichts wies darauf hin, dass die Bewohner der Farm irgendetwas davon bemerkt hatten, dass der Tod gekommen war, um ihre nächtliche Ruhe jäh zu beenden. Kein Licht brannte im Haus, und immer noch war alles ruhig.
Pahayoko wusste, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, auf den er und die anderen fünf Krieger gewartet hatten. Sie erhoben sich ganz langsam und schlichen den Hügel hinunter. Genau auf das Wohnhaus zu. Jeder von ihnen hatte einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens gelegt und wartete nur darauf, einen der verhassten Weißen töten zu können, wenn er sich blicken ließ. Aber niemand im Haus schien etwas davon zu bemerken, dass Gefahr drohte. Tödliche Gefahr!
* * *
Das Grollen des Mischlingshundes riss Edna Dawson von einem Augenblick zum anderen aus dem Schlaf. Buster gebärdete sich auf einmal ganz nervös im angrenzenden Raum, kratzte mit den beiden Vorderbeinen abwechselnd auf dem groben Dielenboden und begann zu knurren.
Besorgt blickte Edna Dawson auf ihren immer noch schlafenden Mann Rick. Sie entschloss sich dazu, ihn zu wecken, beugte sich hinüber zu ihm und rüttelte ihn vorsichtig, aber beständig an der Schulter.
„Rick, wach auf!“, redete sie auf ihn ein. „Da draußen ist was.“
Der schwarzhaarige Farmer murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, als er so unsanft aus dem Tiefschlaf gerissen wurde. Zunächst blinzelte er noch und gähnte, dann blickte er in das besorgte Gesicht seiner Frau.
„Was ... was ist denn los, Edna?“, fragte er. „Warum weckst du mich mitten in der Nacht auf?“
„Hörst du es nicht?“, erwiderte Edna Dawson. „Buster knurrt die ganze Zeit. Er wittert was. Du musst nach dem Rechten sehen.“
Unwillkürlich blickte Rick Dawson durch die halb geöffnete Tür in den großen Raum, wo Buster in der Nähe des Fensters seinen Schlafplatz hatte. Aber da befand sich der Hund schon lange nicht mehr. Er war längst wach und lief jetzt aufgeregt vor der geschlossenen Haustür auf und ab. Dabei blieb es nicht, denn aus dem Knurren wurde jetzt ein lautes Bellen.
„Steh auf, bitte“, bedrängte ihn seine Frau nochmals. „Ich habe Angst, Rick.“
„Ich gehe ja schon“, brummte der Farmer, der immer noch schlechte Laune hatte, weil ihn Edna geweckt hatte. „Schau du nach Sally und Mike und beruhige sie, ja?“
„Das werde ich“, versprach ihm seine Frau und sah zu, wie er nun aufstand, hastig in Hemd und Hose schlüpfte und das Schlafzimmer verließ. Er zog seine Stiefel an und griff nach der Kentucky Rifle, die neben der Haustür stand. Natürlich geladen, sodass er jederzeit schießen konnte, wenn Gefahr drohte.
„Pa, was ist denn los?“, erklang auf einmal die ängstliche Stimme der zehnjährigen Sally. Zusammen mit ihrem zwölfjährigen Bruder Mike standen die beiden Kinder nur wenige Schritte von ihm entfernt, weil das Knurren und Bellen des Hundes sie ebenfalls aufgeweckt hatten. „Ist da draußen jemand?“
„Das werde ich gleich wissen“, sagte ihr Vater und deutete Edna mit einer kurzen Geste an, sich um die beiden Kinder zu kümmern. „Ich bin gleich wieder zurück. Ihr müsst keine Angst haben.“
Er sagte das, um Sally und Mike in erster Linie zu beruhigen. Tatsächlich gingen ihm in diesem Augenblick aber Dutzende unterschiedlicher Gedanken durch den Kopf. Weil er sich ausgerechnet jetzt daran erinnerte, wie aufgeheizt die Stimmung in Bastrop gewesen war, als er mit seiner Familie vor zwei Wochen dort gewesen war, um notwendige Einkäufe zu tätigen. Die Menschen hatten von einigen Überfällen durch Tonkawa-Indianer gesprochen, bei denen es auch Tote auf beiden Seiten gegeben hatte. Rick Dawson hatte entschieden, seiner Frau besser nichts davon zu erzählen, denn das würde sie nur ängstigen. Schließlich zählte die Dawson-Farm zu den besonders abgelegenen Farmen im ganzen Robertson County, und er hatte bisher viel Glück gehabt, dass ihn die Indianer in Ruhe gelassen hatten.
„Still, Buster!“, ermahnte er den Hund, der immer noch bellte. Aber das Tier hörte nicht auf ihn. Dawson schob den Riegel der Haustür beiseite und sah, dass sich Buster vordrängte, um als Erster ins Freie zu gelangen. Der Farmer ließ den Hund einfach loslaufen, während er die Rifle an sich nahm, ebenfalls hinausging und sah, wie der Hund mit lautem Bellen in der Nacht verschwand. Er schien etwas gewittert zu haben.
Busters Bellen verstärkte sich jetzt noch. Es kam von drüben zwischen dem Stall und dem angrenzenden Schuppen. Dort schien sich etwas zu befinden, was den Hund so nervös gemacht hatte. Vielleicht ein streunender Coyote? Dawson wusste es nicht, aber er würde es gleich herausfinden. Mit vorgehaltener Rifle näherte er sich vorsichtig und wachsam der betreffenden Stelle.
In diesem Augenblick brach Busters Bellen abrupt ab. Das Letzte, was Rick Dawson noch hörte, war ein schwaches Jaulen. Dann verstummte auch dieses gänzlich. Die Stille, die nun folgte, empfand der Farmer als sehr bedrohlich. Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken, als er sich vorstellte, was das unter Umständen bedeuten konnte. Trotzdem versuchte er, sich selbst zu beruhigen, indem er mit krächzender Stimme mehrmals nach Buster rief. Aber da kam nichts mehr. Der Hund war nirgendwo zu sehen.
Nur wenige Sekunden später entdeckte Rick Dawson einen pelzigen Körper kurz vor der Scheune, der reglos am Boden lag.
„Buster“, murmelte er und nahm den Lauf seiner Rifle hoch, weil ihm jetzt klar wurde, was das bedeutete. Dann sah er eine gedrungene Gestalt zwischen Stall und Schuppen vorbeihuschen, und er wollte auf sie zielen. Aber das war viel zu spät. Er konnte niemanden mehr sehen, wusste aber dennoch, dass jetzt der Moment eingetreten war, den er bereits befürchtet hatte. Die Indianer waren ganz in der Nähe, und gleich würden sie angreifen.
Dawson wirbelte herum, weil er wusste, dass er zwar einen Schuss abfeuern konnte, aber nicht mehr in der Lage sein würde, die Rifle nachzuladen. Denn dort draußen in der Dunkelheit lauerte sicher nicht nur ein Indianer, sondern wahrscheinlich mehrere.
Er versuchte, keine Panik in sich aufkommen zu lassen, als er langsam rückwärts in Richtung Haus ging. Die schützende Tür war nicht weiter als zehn Meter entfernt, aber unter diesen Umständen war das mindestens so weit weg wie die Stadt Bastrop von seiner Farm. Ein Gedanke jagte den anderen, als er sich vorstellte, dass er es unter Umständen nicht mehr schaffen würde, rechtzeitig ins Haus zu kommen.
Plötzlich hörte der Farmer ein zischendes Geräusch, und nur einen Atemzug später bohrte sich etwas in seinen Magen und stieß ihn nach hinten. Ein entsetzlicher Schmerz erfasste Dawson, der ihn laut aufschreien ließ. Verzweifelt versuchte er aufzustehen, merkte aber dann, dass er keine Kraft mehr besaß. Er war so schwach wie ein neugeborenes Kind und stöhnte erschrocken auf, als er auf einmal mehrere Gestalten sah, die jetzt ihre Deckung verlassen hatten und sich ihm rasch näherten. Es waren Indianer. Wahrscheinlich Tonkawa, denn mit diesem Stamm hatten die Siedler in dieser Region bisher am meisten Ärger gehabt.
Dawsons Blick war gehetzt, als er die Hand nach seiner Rifle ausstreckte, die er eben fallen gelassen hatte. Auch wenn ihm der höllische Schmerz Tränen in die Augen trieb und seine Sicht für einen kurzen Moment einengte, so hörte er dennoch, dass die Indianer näher kamen. Einer von ihnen stand jetzt direkt neben ihm, kniete sich nieder und riss Dawsons Kopf hoch. Das Letzte, was der Farmer noch bewusst wahrnehmen konnte, war der hasserfüllte Blick des Tonkawa-Kriegers und die -blitzende -Messerklinge in dessen Hand. Dann fühlte er einen weiteren heißen Schmerz an seiner Kehle, und die Luft wurde von einer Sekunde zur anderen knapp. Er konnte nicht mehr atmen, rang verzweifelt nach Luft, aber da war nichts mehr. Der triumphierende Schrei des Kriegers klang von ganz weit in sein schwindendes Bewusstsein. Danach war nur noch ewige Schwärze.
* * *
Das silberne Licht des Mondes beleuchtete die makabre Szene, die sich vor Edna Dawsons Augen abzeichnete. Sie schaute durch das Fenster, sah ihren Mann zusammenbrechen und registrierte die Gestalten, die aus dem Dunkel traten und nun auf ihren Mann zueilten.
Jetzt reagierte die Farmersfrau instinktiv und dachte nur noch an ihre beiden Kinder Sally und Mike. Sofort eilte sie auf die beiden zu und schaute sie eindringlich an. Sie musste sich zwingen, ruhig zu bleiben, obwohl es in ihren Augen bereits feucht glitzerte. Denn sie wusste, dass ihr Mann nicht mehr am Leben war.
„Sally, Mike“, redete sie mit leiser Stimme auf den Jungen und das Mädchen ein. „Ihr müsst mir jetzt gut zuhören und tun, was ich sage. Ihr geht nach unten und versteckt euch im Keller. Egal, was hier oben passiert. Ihr bleibt dort unten und rührt euch nicht von der Stelle. Erst wenn alles still ist und es wieder hell wird, dann könnt ihr nach oben kommen.“
„Was ist mit Daddy?“, fragte Sally. Mit ihren zehn Jahren hatte sie noch nicht begriffen, was gerade geschehen war. Mike dagegen wusste, was jetzt von ihm erwartet wurde. Er nahm die Hand seiner Schwester und zog sie einfach mit sich, während Edna Dawson den verblichenen Teppich beiseiteschob. Darunter kam eine Luke zum Vorschein, die sie jetzt öffnete und den beiden Kindern andeutete, rasch nach unten zu gehen. Dabei berührte sie mit ihrem gestreckten rechten Zeigefinger die Lippen. Das war eine eindeutige Warnung, sich absolut ruhig zu verhalten.
„Ich habe Angst“, sagte Sally, die kurz vor dem Weinen stand. Das zerriss ihrer Mutter fast das Herz, aber es blieb keine Zeit mehr, ihre Tochter in den Arm zu nehmen und zu trösten. Auch wenn die Mutter in ihr das am liebsten sofort getan hätte. Ihr Sohn Mike gab ihr jedoch mit einem hoffnungsvollen Blick zu verstehen, dass er dafür sorgen würde, dass Sally ruhig blieb, und dafür war ihm Edna Dawson dankbar. Mehr als sie das jemals hätte in Worte fassen können.
„Bleibt ruhig“, sagte sie nochmals, bevor sie die Luke ganz leise wieder schloss, anschließend den Teppich darüber ausbreitete und den kleinen Ecktisch halb darüberstellte. Niemand sollte ihre Kinder finden, das war ihr einziger Gedanke.
Plötzlich erklang ein lauter Schlag gegen die Haustür, gefolgt von einem wütenden Schrei. Edna Dawson presste sich beide Hände vor den Mund, um nicht doch noch ihrer Panik freien Lauf zu lassen. Aber sie wusste, dass ihre Kinder das hören und diese gewiss in Angst versetzen würde. Das durfte sie auf keinen Fall tun.
Stattdessen ging sie schnell hinüber und griff nach einem Messer. Dieses hielt sie weit von sich gestreckt und war entschlossen, das Leben ihrer Kinder bis zum letzten Atemzug zu verteidigen. Die wuchtige Eingangstür würde eine Zeit lang halten. Aber wenn die Krieger weiterhin so ungestüm dagegendrängten, dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis es ihnen gelang, sich Zugang ins Haus zu verschaffen.
Plötzlich splitterte es irgendwo hinter ihr. Das kam aus dem Schlafzimmer! Edna Dawson fuhr erschrocken herum und erkannte zu ihrem Entsetzen einen gedrungenen Krieger, der es geschafft hatte, die Halterung des Fensters so weit zu zerstören, dass er sich hatte hindurchzwängen können. Und nun stand er mit einem Beil und einem Messer in der Hand vor ihr und starrte sie hasserfüllt an.
„Geh weg!“, rief Edna Dawson und vollzog mit dem Messer eine halbkreisförmige Bewegung. Damit wollte sie dem Indianer zeigen, dass sie sich niemals kampflos ergeben würde. Der Krieger ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern. Für Edna Dawson hatte er nur einen verächtlichen Blick übrig und spuckte sogar vor ihr aus. Dann sprang er sie einfach an, ungeachtet der Gefahr, die ihm eventuell durch das scharfe Messer drohte.
Die Farmersfrau ahnte die Bewegung, stieß mit dem Messer vor und schaffte es sogar, den Krieger leicht zu verletzen. Der schlug einfach mit der flachen Seite -seines Beils so heftig nach ihr, dass Edna Dawsons Messerarm taub wurde und sie nach einem ersten stechenden Schmerz gar nichts mehr spürte. Die Finger ihrer rechten Hand wollten ihr nicht mehr gehorchen, und das Messer fiel einfach zu Boden.
Der Tonkawa lachte, versetzte der Farmersfrau einen Tritt, der sie zurückstieß und für Sekunden benommen am Boden liegen bleiben ließ. Diese kurze Zeitspanne reichte völlig aus, dass sich der Krieger zur Tür begab, die Verriegelung öffnete und schließlich die übrigen Stammesgefährten einließ.
Edna Dawson blickte aus schreckgeweiteten Augen auf die Krieger und spürte den grenzenlosen Hass, der ihr entgegenschlug. Sie zitterte am ganzen Körper, als sich der erste Krieger über sie beugte. Sie wollte um sich schlagen und sich gegen das Unvermeidliche zur Wehr setzen, aber dann bückten sich die anderen Krieger über sie und hielten sie ganz fest an Armen und Beinen, sodass sie sich nicht mehr rühren konnte.
Sie dachte jetzt nur noch an ihre beiden Kinder und hoffte inständig, dass diese wilden Teufel sie nicht entdeckten. Sie versuchte, den Schmerz irgendwie zu unterdrücken, konnte aber dennoch nicht verhindern, dass sie zu schreien begann.
* * *
Dumpfes Gepolter erklang oberhalb der Luke. Sally presste sich ganz eng an ihren älteren Bruder und versuchte, jegliches Gefühl der Furcht zu unterdrücken. Ein einziger Blick in ihr Gesicht kündete jedoch vom genauen Gegenteil.
Mike deutete ihr an, dass sich Sally ruhig verhalten sollte, während er sich vorzustellen versuchte, was dort oben gerade geschah. Er hörte kehlige und sehr wütende Stimmen. Auch wenn er nicht verstand, was gesagt wurde, so wusste er doch, dass seine Mutter in Gefahr war. Nur wenige Sekunden später bewahrheiteten sich seine düsteren Vermutungen. Er hörte seine Mutter schreien. So laut und durchdringend, wie er es sich niemals hätte vorstellen können. Und doch zwang er sich, ruhig zu bleiben, und bemühte sich, die düsteren Bilder aus seinem Kopf zu vertreiben, die mit den Schreien seiner Mutter einhergingen.
Wieder lachte jemand gehässig, dann ertönte ein dumpfer Schlag, und die Schreie seiner Mutter verstummten. Von einem Atemzug zum anderen. Mike wusste, was das bedeutete, und er kämpfte förmlich mit den Tränen. Weil er wusste, dass er und seine Schwester nun allein auf dieser Welt waren, denn ihm wurde klar, dass auch sein Vater nicht mehr lebte. Sonst wäre er längst aufgetaucht und hätte die Indianer an dem gehindert, was sie gerade getan hatten.
Stille herrschte unterhalb der Luke. Eine Stille, die der zwölfjährige Mike als besonders bedrohlich und erst recht als bedrückend empfand. Sally dagegen konnte ihre Emotionen nicht mehr unter Kontrolle halten. Sie wimmerte leise und rief schließlich verzweifelt nach ihrer Mutter, bevor Mike sie daran hindern konnte.
Auf einmal entstand Bewegung weiter oben. Mehrere Stimmen riefen etwas, dann wurde etwas verschoben. Mike wurde bleich, als er sah, dass jenseits der Luke etwas geschah, was ihm gewaltige Angst einjagte. Wenige Sekunden später wurde die Luke geöffnet, und Mike und seine Schwester blickten in das grässlich bemalte Gesicht eines Kriegers, der die beiden Kinder sofort entdeckt hatte. Er grinste triumphierend, aber für Mike war es die Fratze eines Teufels, die ihn anstarrte.
Wieselflink stieg der Indianer die Treppe nach unten und griff zuerst nach Sally, die vor Schock erstarrt war. Aber als sie dann spürte, wie grob er mit ihr umging, begann sie laut um Hilfe zu schreien, und das war mehr, als Mike ertragen konnte. Er handelte impulsiv und sprang den Indianer von hinten an. Seine Fäuste schlugen nach ihm, denn er wollte unter allen Umständen verhindern, dass seiner Schwester etwas zustieß.
Gegen die rohen Kräfte des Indianers kam Mike jedoch nicht an. Er wurde einfach abgeschüttelt und nach hinten gestoßen. Mike prallte hart gegen einen Stützpfosten des Kellerraums und sank dann benommen zu Boden. Währenddessen hatte der Krieger Sally längst noch oben gebracht und seinen Gefährten übergeben. Dann kam er noch einmal zurück und beugte sich über Mike. Mit kehliger Stimme redete er auf ihn ein und blickte ihn wütend an. Aber der Junge begriff die Bedeutung dieser Worte nicht.
Der Krieger wiederholte seine Drohung und zückte dabei ein Messer. Er spielte mit der scharfen Spitze direkt vor Mikes Gesicht herum, und das sagte dem Jungen genug. Seufzend fügte er sich und nickte nur stumm. Der Indianer riss ihn grob hoch und zwang ihn, die Leiter nach oben zu steigen.
Noch bevor er die Luke erreicht hatte, vernahm er Sallys herzzerreißende Schreie, und er ahnte, was dort geschehen war. Wenige Sekunden später blickte er dann selbst auf die reglose Gestalt seiner Mutter, die am Boden lag. Sie war tot und ihr zerrissenes Kleid war von Blut-flecken übersät. Mike wollte auf sie zulaufen und die ganze Trauer laut hinausschreien. Aber selbst daran hinderte ihn der Indianer. Er riss den Jungen einfach mit sich ins Freie. Ein zweiter Indianer hatte seine Schwester Sally ebenfalls hinausgebracht.
Der Griff des Kriegers war hart und mitleidlos. Mike brauchte ihn nur kurz anzuschauen, um zu erkennen, dass er auch sterben würde, wenn er sich jetzt noch weiter wehrte. Er versuchte, nicht zu der Stelle zu schauen, wo der Körper seines Vaters lag. Aber trotzdem wurde ihm bewusst, dass in dieser Nacht das Unbeschwerte seiner Kindheit geendet und etwas völlig anderes begonnen hatte. Etwas, das er mit seinen Sinnen noch nicht erfassen konnte.
Auch das Weinen Sallys war mittlerweile verstummt. Mike wollte zu Sally sehen, aber der Indianer hinderte ihn daran. Stattdessen zwang man ihn, auf ein Pferd zu steigen, während zwei andere Krieger im Haus nach -Dingen suchten, die irgendwie von Wert für sie waren. Das Wenige, was sie fanden, nahmen sie mit, aber alles andere ließen sie liegen. Hätte Mike das genauer beobachtet, so wäre ihm sicher aufgefallen, dass die Indianer gar nicht vorhatten, zu rauben und zu plündern. Sie waren einzig und allein in der Absicht gekommen, zu töten. Genau das war ihnen auch gelungen.
* * *
Pahayoko blickte voller Triumph auf den toten Weißen, der wenige Schritte von ihm entfernt lag. Die beiden Kinder saßen bereits auf den Pferden. Somit war es höchste Zeit, von hier zu verschwinden. Aber er war noch nicht zufrieden mit dem, was er und seine Krieger bereits erreicht hatten. Er wollte das Werk der Zerstörung noch vollenden. Deshalb ging er mit schnellen Schritten noch einmal ins Haus, warf Tische und Stühle um und zerschlug mit seinem Beil alles, was ihm gerade in den Sinn kam.
„Wir müssen weg von hier, Pahayoko!“, rief ihm Mukwooru zu, der mit ins Haus gekommen war und gesehen hatte, dass sein Stammesgefährte immer noch voller Zorn war und diesen ausleben wollte.
„Gleich“, erwiderte Pahayoko. „Ich will alles niederbrennen. Die Weißen sollen endlich begreifen, dass wir sie hier nicht haben wollen.“
Während er das sagte, hatte er sich bereits an der Stelle niedergebeugt, wo sich die Feuerstelle im Haus befand. Mit wenigen geschickten Handgriffen und zwei Feuersteinen schaffte er es tatsächlich, innerhalb weniger Augenblicke Funken entstehen zu lassen, aus denen tatsächlich kleine züngelnde Flammen wurden. Schließlich brannte das Feuer, und Pahayoko nahm ein brennendes Holzscheit heraus. Damit entzündete er Decken und Kleidung, die im Haus herumlagen. Rasch fingen diese Feuer und der Tonkawa-Krieger betrachtete, wie die Flammen rasch um sich griffen.
„Jetzt reiten wir“, sagte er mit einem zufriedenen Blick auf den Feuerbrand, den er gelegt hatte und der nun rasch um sich griff. Zusammen mit Mukwooru verließ er das Haus wieder und ging zurück zu seinen Gefährten, die schon voller Ungeduld auf sie warteten.
Das kleine Mädchen wimmerte wieder, als sie sah, wie die Flammen immer größer wurden und den nächtlichen Himmel erhellten. Hitze breitete sich aus, und die Flammen züngelten bereits außen an den Fenstern empor und griffen nach dem Dach.
Als Pahayoko und die Krieger mit den beiden Kindern vom Hof der Farm ritten, stand diese bereits lichterloh in Flammen. Dichter Rauch stieg in den Himmel empor, an dessen Horizont sich bereits die ersten hellen Schimmer der bald einsetzenden Morgendämmerung abzeichneten. Dieses Fanal des Schreckens würde weithin zu sehen sein und den anderen Weißen, die in dieser Gegend lebten, sagen, dass sie besser von hier verschwinden sollten. Sonst würde sie das gleiche Schicksal ereilen wie die Menschen, die einst hier gelebt hatten. Der weiße Mann und seine Frau waren tot, und ihre Kinder würden bald vergessen, dass sie jemals hier gelebt hatten. Sie waren nicht die ersten, die von den Tonkawa und anderen Stämmen geraubt worden waren, und sie würden auch nicht die letzten bleiben.
* * *
6. Mai 1835
Gegen 8:00 Uhr morgens
Vier Meilen westlich von Bastrop
Jason Tucker runzelte die Stirn, als er plötzlich die dunklen Rauchwolken in der Ferne bemerkte. Seine Gesichtszüge wirkten angespannt, als er in die betreffende Richtung blickte und sich seine Gedanken darüber machte. Er wusste, dass sich dort die Farm der Dawson-Familie befand, und seine Gedanken überschlugen sich förmlich, als er sich vorzustellen begann, was dort unter Umständen geschehen war.
„Ruth!“, rief der vierzigjährige Mann aufgeregt zum Haus herüber. „Wie weit bist du? Komm endlich!“
Er selbst hatte gerade das Pferd vor den Wagen gespannt. Gemeinsam mit seiner Frau hatte er an diesem Tag einige notwendige Besorgungen in Bastrop erledigen wollen. Es war ihm mittlerweile zur Gewohnheit geworden, dass ihn Ruth immer begleitete. Denn er wollte seine im fünften Monat schwangere Frau nicht allein auf der Farm zurücklassen. Zu groß war die Sorge vor -umherziehenden Indianern, und diese Gefahr schien jetzt konkrete Formen angenommen zu haben. Das bereitete ihm mehr Kopfzerbrechen, als er zugeben wollte.
Ruth Tucker kam in diesem Moment aus dem Haus. Sie war gerade erst dreißig Jahre alt geworden und somit etwas jünger als ihr Mann. Aber dieser Altersunterschied hatte niemals zwischen ihnen gestanden. Eher das Gegenteil war der Fall. Ihr Lebensmut und ihre Fröhlichkeit hatten auch Jason Tucker spüren lassen, dass er vor zwei Jahren die richtige Entscheidung getroffen hatte, und er hatte es seitdem nie bereut. Aus dem einst griesgrämigen Mann war ein warmherziger freundlicher Mensch geworden, und all dies hatte er Ruth zu verdanken. Als sie ihm schließlich vor fünf Monaten gesagt hatte, dass sie ein Kind erwartete, war das Glück für Jason Tucker perfekt geworden, und er hatte jede Menge Zukunftspläne gehabt und sich darüber gefreut, dass es endlich einen Platz gab, der geradezu perfekt war.
All diese Wünsche und Hoffnungen schienen sich an diesem Morgen jedoch in Luft aufgelöst zu haben. Tucker bemerkte es an dem bestürzten Blick seiner Frau, die jetzt ins Freie kam und ebenfalls die aufsteigende Rauchwolke am Horizont bemerkt hatte. Sie trug ein dunkelgrünes Kleid und sah an diesem Morgen nicht wie eine hart arbeitende Farmersfrau aus. Sie betrachtete das Einkaufen in Bastrop immer als wichtig und kleidete sich auch entsprechend. Sie wusste natürlich, dass dies ihrem Mann gefiel, und wollte ihn gerade anlächeln, als sie auf ihn zuging. Doch sie hielt plötzlich inne, und ihr -warmherziger Blick verwandelte sich von einer Sekunde zur anderen und spiegelte stattdessen Angst und Sorge wider.
„Jason!“, rief sie ganz erschrocken. „Das ist doch ...“
„Lass uns fahren, Ruth“, sagte Jason Tucker mit gezwungener Ruhe. „Beeil dich.“
„Das ist doch die Farm der Dawsons, Jason“, sagte Ruth zu ihm, während sie zum Wagen ging, rasch aufstieg und neben ihrem Mann auf dem Bock Platz nahm. „Jason, was kann da nur passiert sein?“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte er mit gepresster Stimme, während er nach den Zügeln griff. „Ich weiß nur, dass wir uns besser beeilen sollten, von hier wegzukommen.“
In seiner Stimme schwang ein Ton von großer Besorgnis mit, und das konnte auch Ruth nicht überhören. Sie schwieg, als ihr Mann das Pferd mit einem leisen Pfiff antrieb und der Pritschenwagen sich langsam in Bewegung setzte. Aber sie drehte sich immer wieder um und blickte hinaus zu den Hügeln. Die Rauchwolke war jetzt noch größer geworden, und sie wusste, was das zu bedeuten hatte.
Sie ertappte sich dabei, dass sie öfters zu der Rifle und dem Beutel schaute, in dem sich Kugeln und Pulver befanden. Ruth Tucker hatte Angst davor, dass ihr Mann seine Rifle heute unter Umständen würde brauchen müssen. Es waren zwar nur vier Meilen bis Bastrop, aber heute dachte sie das erste Mal darüber nach, dass diese Entfernung lang genug war, um jederzeit in einen Hinterhalt der Indianer geraten zu können.
Ihr Mann war ungewohnt schweigsam. Als sie das letzte Mal unterwegs nach Bastrop gewesen waren, hatte sie ihm erzählt, dass sie ein Kind erwartete. Wie glücklich war Jason gewesen, als er diese freudige Nachricht vernommen hatte! An diesem Tag hätte er die Welt umarmen können. Aber heute war er still und in sich gekehrt. Denn er wusste genau, dass auf der Farm der Dawson-Familie etwas Schreckliches geschehen war.
„Was sollen wir tun, Jason?“, wagte sie dennoch, ihre Befürchtung laut auszusprechen. „Was ist, wenn wir erst einmal in Bastrop bleiben müssen?“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte Jason Tucker. „Im Moment denke ich nur daran, dass wir unbehelligt am Ziel ankommen und ...“
Er brach mitten im Satz ab, als er plötzlich einen Reitertrupp in der Ferne auftauchen sah. Als er nach seiner Rifle griff, stieß seine Frau einen erschrockenen Schrei aus. Aber sie beruhigte sich wieder, als sie erkannte, dass es sich bei den näher kommenden Reitern um keine Indianer, sondern vielmehr um Weiße handelte. Zwölf an der Zahl.