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Eine leidenschaftliche Second Chance-Romance! Im sechsten Band erzählt die Königin der prickelnden Romance von dem attraktiven Arzt Sam Maxwell. Avery kehrt pleite nach Chicago zurück und trifft dort ausgerechnet auf Sam Maxwell, ihre große Jugendliebe. Auch Sam ist gerade erst wieder hergezogen, nachdem er für Ärtze ohne Grenzen weltweit im Einsatz war. Um der alten Zeiten willen beschließt er, Avery zu helfen, und bietet an, mit ihr eine WG zu gründen – obwohl er nie über sie hinweggekommen ist. Doch obwohl die Probleme von damals weiter zwischen ihnen stehen, flammt die Leidenschaft wieder auf, kaum dass Avery eingezogen ist. Schnell merken die beiden, dass sie als Mitbewohner eigentlich nur ein Bett brauchen … Die Maxwell-Brüder sind die heißesten Männer, die Chicacgo zu bieten hat! Jedes neue Buch ist wie eine süße Verführung. Layla Hagen beglückt die Leser:innen mit jeder neuen Geschichte ihrer romantisch-heißen Liebesromanreihen! »Layla Hagen ist die Queen der Familiengeschichten. Ich kann euch einfach alle Bücher der Autorin nur ans Herz legen!« lache.liebe.lese »Layla Hagens Bücher machen süchtig! Voller Verheißung, Spannung und der Suche nach der wahren Liebe!« bluetenzeilen »Jede Menge Romantik, klopfende Herzen, Charme und prickelnde Augenblicke. Ich genieße alle davon.« buchblog_lesehungrig »Ich kann sie jedem Romance-Liebhaber absolut ans Herz legen!« love_booksandpixiedust Spritzige Dialoge, große Gefühle und ganz viel Liebe – Die »The Maxwells«-Reihe bietet alles, was das Herz begehrt: This Love is Forever (The Maxwells 1) This Kiss is Forever (The Maxwells 2) This Dream is Forever (TheMaxwells 3) This Feeling is Forever (The Maxwells 4) This Passion is Forever (The Maxwells 5) This Match is Forever (The Maxwells 6)
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Aus dem amerikanischen Englisch von Vanessa Lamatsch
© Layla Hagen 2023
Titel der englischen Originalausgabe: »Give Me Forever«, Independently Published 2023
© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2024
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Covergestaltung: Sandra Taufer, München
Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt
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Cover & Impressum
1
Sam
2
Avery
3
Sam
4
Avery
5
Sam
6
Sam
7
Avery
8
Sam
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Avery
10
Avery
11
Sam
12
Avery
13
Sam
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Avery
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Sam
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Sam
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Avery
18
Sam
19
Avery
20
Sam
21
Avery
22
Sam
23
Avery
24
Avery
Zwei Wochen später
Epilog
Avery
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
»Ich finde, sie ist Travis wie aus dem Gesicht geschnitten«, rief Gran, während sie sich über den Säugling beugte und Babylaute ausstieß.
Mein Bruder Travis war gestern Nacht Vater geworden. Da ich in der Klinik als Arzt arbeitete, hatte ich meine Nichte direkt nach der Geburt untersucht. Glücklicherweise hatte ich gerade Dienst gehabt, als die Fruchtblase meiner Schwägerin geplatzt war und mein Bruder sie eilig ins Krankenhaus gefahren hatte. Der Mann war vollkommen durch den Wind gewesen. Wenn er mir nicht so leidgetan hätte, hätte ich mich darüber amüsiert. Ich hatte schon viele Väter bei der Geburt ihres ersten Kindes die Fassung verlieren sehen. Sie wollten alles richtig machen – so wie mein Bruder auch –, fühlten sich aber gleichzeitig unendlich hilflos. Die eigentliche Geburt hatte Dr. Johnson betreut, sodass ich Travis moralische Unterstützung leisten konnte.
Momentan behielt ich Bonnie, Travis’ Frau, im Blick. Wie zu erwarten, war sie glücklich, aber müde. Die Anwesenheit unserer Gran und unserer Eltern überforderte sie ein wenig. Dabei überraschte es mich fast, dass meine Brüder und ihre besseren Hälften noch nicht aufgetaucht waren. Ich hatte allen gesagt, dass frischgebackene Eltern Ruhe brauchten, war aber davon ausgegangen, dass sie meinen Ratschlag einfach ignorieren würden. Glücklicherweise war ich zu ihnen durchgedrungen.
»Hey, alle, geht jetzt bitte. Ihr hattet genug Besuchszeit. Sie müssen sich ausruhen«, sagte ich.
»Unsinn«, meinte Gran. »Alle anderen können gehen. Ich werde hierbleiben und unser kleines Mädchen in den Schlaf wiegen.«
Sie konnte den Blick einfach nicht von ihrer Urenkelin losreißen.
Ich räusperte mich und sagte dann mit strenger Arztstimme: »Nein, Gran. Es ist am besten, wenn wir sie in Frieden lassen. Das Baby wird sowieso einschlafen, und Bonnie braucht ebenfalls Ruhe.«
Gran warf mir einen bösen Blick zu. »Junger Mann, bilde dir nicht ein, du könntest mir Anweisungen geben, nur weil du einen Arztkittel trägst.«
Ich grinste. »Doch, kann ich.«
»Beatrice, komm schon«, sagte Mom. »Er hat recht. Bonnie braucht Ruhe.«
Bonnie lächelte verlegen. »Beatrice, ich verspreche dir, sobald wir zu Hause sind, kannst du mich besuchen, wann immer du willst. Aber wir sind wirklich total erschöpft.«
Sofort kam meine Großmutter zu Sinnen. Sie blinzelte einmal, dann gab sie Bonnie das Baby mit einem Nicken zurück.
Ich war dankbar, dass sie wenigstens auf Bonnie hörte.
Heute war ein großer Tag sowohl für meine Großmutter als auch für meine Eltern, das war mir klar. Die Kleine war erst der zweite Nachwuchs in der Maxwell-Familie. Obwohl wir sechs Brüder waren – und es noch zwei Cousinen gab, die uns sehr nahestanden –, hatte bisher nur mein Bruder Tate eine Tochter.
»Es ist eine Weile her, seit es in der Familie ein Baby gab«, meinte Mom, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Paisley, Tates Tochter, war schon fast im Teenageralter. Und Tate würde bald ein zweites Kind bekommen.
Mann, wie die Zeit verging!
»Kein Problem, Mom. Es war toll, dass ihr vorbeigeschaut habt. Kommt, ich bringe euch noch nach draußen«, sagte Travis.
Er nahm Bonnie das inzwischen schlafende Baby aus den Armen und legte es in die Krippe neben dem Bett. Bonnie schlief ebenfalls gleich ein, also verließen wir so leise wie möglich den Raum.
Sobald Travis die Tür hinter sich geschlossen hatte, sprudelte Mom vor Freude nur so über: »Sie ist ja so niedlich! Ich wollte sie die ganze Zeit knuddeln, aber Beatrice hat sie nicht losgelassen.«
Grans Miene war unbezahlbar. »Das ist mein Privileg als Urgroßmutter.«
Mom sah zu Travis. »Tut mir leid, dass wir dir Zeit mit Bonnie und dem Baby gestohlen haben.« Sie klang ehrlich betreten. »Wir hatten erwogen zu warten, bis ihr wieder zu Hause seid, aber …«
»Sie hat ungefähr fünf Minuten darüber nachgedacht, bevor sie es für unmöglich erklärt hat«, warf Dad grinsend ein.
Travis gluckste amüsiert. »Ist schon okay. Bonnie ist überglücklich, dass die Familie sie so begeistert aufnimmt. Aber sie ist eben auch müde.«
Mein Bruder hatte recht. Bonnies Mutter war eine kalte, berechnende Frau, daher verstand ich, dass unsere Familie eine willkommene Abwechslung darstellte.
Bonnie schien immer zufrieden, Zeit mit dem Maxwell-Clan zu verbringen, aber ich würde ihr trotzdem raten, die Besuche nicht überhandnehmen zu lassen. Die Geburt war gut verlaufen, doch sie musste sich ausruhen und brauchte Leute, die ihr halfen. Denn jetzt, da sie ein Baby hatte, konnte sie sich von der Idee, etwas Zeit für sich zu haben, verabschieden.
»Hör mal, Sam, gibt es Vorschriften, die verbieten, dass man eigenes Essen ins Krankenhaus mitbringt? Das Frühstück war schrecklich, und ich will meine Frau verwöhnen.«
Ich wedelte nur mit der Hand. »Mach dir keinen Kopf. Ich kümmere mich darum. Kauf etwas Köstliches für euch beide. Das Krankenhausessen ist wirklich nicht toll, aber es könnte schlimmer sein. Und wo wir gerade von Essen sprechen … Wollen wir in die Cafeteria gehen?«
»Halten wir dich von irgendetwas ab, Sohn?«, fragte Dad.
»Nein, ich hatte gestern Spätschicht, also habe ich heute frei. Ich wollte einfach hierbleiben und schauen, ob Bonnie noch etwas braucht.« Doch ich hatte einen Bärenhunger und brauchte unbedingt einen starken Kaffee.
»Dann lasst uns gehen«, meinte Mom, und wir wanderten ein Stockwerk tiefer.
Ich war noch nicht ganz vertraut mit dem Krankenhaus, weil ich erst den zweiten Monat hier arbeitete, nachdem ich aus Honduras zurückgekehrt war. Die Cafeteria war immer gut gefüllt mit Patienten und Angestellten. Wir suchten uns einen Tisch, dann holte ich Kaffee für alle, während Dad Muffins kaufte.
Sobald wir saßen, sah Mom sich im Raum um. »Das ist ein nettes Krankenhaus. Und es freut mich so sehr, dass du beschlossen hast, wieder nach Hause zu kommen.«
»Noch habe ich keinen festen Arbeitsvertrag unterschrieben«, erinnerte ich sie sanft. Ich wollte einfach nicht, dass sie sich zu viele Hoffnungen machte, weil ich mir noch nicht sicher war, ob ich wirklich in Chicago bleiben würde. Ein Teil von mir wollte wieder bei »Ärzte ohne Grenzen« einsteigen. Ich hatte jahrelang für diese Organisation gearbeitet und war für meinen Job um die halbe Welt gereist, und das waren echt tolle Erfahrungen gewesen. Bevor ich in Honduras gearbeitet hatte, war ich in Zentralafrika eingesetzt gewesen.
Letztendlich hatte ich wegen Olivia beschlossen, nach Chicago zurückzukehren. Wir hatten eine Weile eine Fernbeziehung geführt, und ich hatte gedacht, wir könnten den nächsten Schritt wagen, wenn ich wieder hierherzog. Dann hatte sich allerdings herausgestellt, dass sie hinter meinem Rücken noch mit einem anderen was laufen hatte. Ja, ich war verbittert. Irgendwann würde ich sicher darüber hinwegkommen, aber so weit war ich noch nicht. Die Wunde war einfach noch zu frisch.
Der zweite Grund, warum ich noch hier war, lag darin, dass ich mit dem CEO des Krankenhauses in Verhandlungen stand, eine Pro-Bono-Klinik ans Krankenhaus anzuschließen, die kostenlose Behandlungen für Bedürftige anbot. Nach meinen Erfahrungen bei Ärzte ohne Grenzen lag mir dieses Thema sehr am Herzen.
»Ach, mein Junge, sag so was nicht. Wir haben dich schließlich gerade erst zurückbekommen«, meinte Mom. Sie wusste, was mit Olivia geschehen war – alle wussten Bescheid. Aber wenn sie enttäuscht über ihr Verhalten waren, waren sie doch gleichzeitig nicht unglücklich darüber, dass unsere Beziehung nicht gehalten hatte. Meine Brüder waren der festen Überzeugung, sie hätte gar kein allzu großes Interesse an mir. Sie hatten Olivia nie kennengelernt, weil sie immer eine Ausrede gefunden hatte, um nicht an Familientreffen teilzunehmen. Doch offensichtlich hatten sie recht gehabt, wenn man bedachte, dass sie mich betrogen hatte.
»Vorsicht, Bruderherz. Bevor du dichs versiehst, werden Mom und Gran uns so lange emotional unter Druck setzen, bis wir dich überzeugen, in der Stadt zu bleiben«, sagte Travis.
Mom richtete sich höher auf. »Das müsst ihr Jungs gar nicht für uns erledigen. Beatrice und ich sind schon clever genug, um das zu bekommen, was wir wollen.«
Ich schmunzelte. Verdammt, ich war wirklich zu lange weg gewesen! Und ich hatte meine Familie unglaublich vermisst. Bei uns hatte es immer Einer für alle und alle für einen geheißen, und wir passten einfach aufeinander auf.
»Hast du uns denn gar nicht vermisst?«, fragte Mom.
»Aaah. Ich verstehe, es geht gleich ans Eingemachte«, zog ich sie auf. »Natürlich habe ich euch vermisst. Und ich sage ja nicht, dass ich auf jeden Fall wieder verschwinde. Es ist aber noch nichts entschieden, daher will ich nicht, dass ihr euch zu viele Hoffnungen macht.«
»Hmmm.« Offensichtlich stimmte sie mir nicht zu. »Sam, hast du schon darüber nachgedacht, aus Travis’ Hotel auszuziehen? Du kannst ja nicht ewig dortbleiben.«
»Ich schaue mich gerade nach etwas anderem um.«
Ich hörte, wie Travis leise kicherte, und warf ihm einen warnenden Blick zu. Er kannte meinen Plan, aber ich wollte nicht, dass er sich verquatschte. Jeder in meiner Familie würde seinen Senf dazugeben wollen, und dafür fühlte ich mich einfach noch nicht bereit.
»Das ist toll«, meinte Mom mit leuchtenden Augen – ein Zeichen, dass sie sich eben doch Hoffnungen machte. Sofort fühlte ich mich schlecht.
Während wir unseren Kaffee austranken, redeten wir noch ein bisschen darüber, wann Bonnie und das Baby nach Hause dürften, dann erhoben sich meine Eltern und meine Großmutter.
»Wir sollten aufbrechen. Sag uns, wann wir sie wieder besuchen dürfen«, meinte Mom zu Travis, der mir einen schnellen Seitenblick zuwarf. Anscheinend brauchte er meine »Arztstimme«, wie er sie nannte.
»Ich glaube nicht, dass ihr noch mal herkommen müsst, Mom, weil Bonnie morgen ja bereits entlassen wird«, erklärte ich. »Dann könnt ihr sie gern zu Hause besuchen. Aber vorerst braucht sie Ruhe.«
Gran seufzte theatralisch. »Kommt, lasst uns gehen. Wir sind hier offensichtlich nicht erwünscht.«
Sobald die drei außer Hörreichweite waren, lachte Travis. »Mann, sie tragen wirklich dick auf, oder?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Irgendwie auch verständlich. Immerhin sind sie aber gegangen, als Bonnie sie darum gebeten hat.«
»Wieso hast du ihnen nicht erzählt, dass du vorhast, mit Avery zusammenzuziehen?« Er schenkt mir ein fieses Grinsen.
»Weil sie mir deswegen in den Ohren gelegen hätten – so wie du es tust. Und außerdem ist das auch noch gar nicht sicher.«
Avery Sinclair war in der Highschool meine Freundin gewesen. Unsere Beziehung hatte nach dem Abschlussball ein abruptes Ende gefunden, und seitdem hatte ich sie nicht mehr gesehen. Inzwischen hatte unsere Highschool eine Ehemaligen-Facebook-Gruppe eingerichtet, und irgendwer hatte ein Loft eingestellt, das zu vermieten war. Wir interessierten uns beide dafür, aber sie brauchte einen Mitbewohner. Die Miete war hoch und das Loft riesig. Ich hätte es mir auch allein leisten können und brauchte eigentlich keinen Mitbewohner, doch ich dachte, ich könnte ihr so aushelfen.
Letzte Nacht hatte ich Travis davon erzählt, nachdem ich den Facebook-Post gesehen hatte. Er hatte mich schon gestern deswegen angegangen, und offenbar hatte er noch mehr zu sagen.
»Ich meine ja nur, dass ich das für eine schlechte Idee halte. Und wüsste unsere Familie davon, würden sie dir alle dasselbe sagen.«
Ich lächelte träge. »Siehst du? Deswegen frage ich sie nicht nach ihrer Meinung. Dann muss ich mir nicht anhören, dass ich falschliege.«
»Typisch Arzt«, meinte er mit einem Augenrollen. »Du spielst mit dem Feuer.«
Das tat ich nicht. Allein der Gedanke war lächerlich. Avery und ich hatten uns vor mehr als zehn Jahren getrennt. Außerdem würden wir kaum wirklich »zusammenwohnen«. Ich arbeitete fast Tag und Nacht, sodass ich mich viel häufiger im Krankenhaus als im Loft aufhalten würde.
»Mann, du kannst mir nichts vorlügen!«, sagte Travis. »Ich sehe es dir doch an: Du willst Avery wiedersehen.«
»Warum nicht? Wird sicher interessant zu hören, was sie so getrieben hat.«
»Ha! Ich würde ja wetten, aber ich habe niemanden, mit dem ich das tun kann.«
»Ihr wettet immer noch?«, fragte ich. Meine Geschwister und Cousinen hatten vor langer Zeit damit angefangen. Früher hatte ich das amüsant gefunden, aber da es jetzt um mich ging, war ich nicht begeistert von diesem Gedanken.
»Nur zu besonderen Gelegenheiten.«
»Wieso durfte ich nie mitmachen?«
»Weil du uns mitgeteilt hast, dass du nicht in der WhatsApp-Gruppe sein willst. Schon vergessen, du Schwachkopf?«
Das stimmte, aber ich hatte diese Entscheidung aus praktischen Gründen getroffen. Zuerst einmal hatte ich in einer anderen Zeitzone gelebt. Und zum Zweiten: Alle schrieben ständig etwas in diese Gruppe. Ich kam einfach nicht hinterher. Ich schaute höchstens einmal täglich hinein, und wenn ich dann über hundert Nachrichten vorfand, war mir das einfach zu viel.
»Ich war immer der Außenseiter«, sagte ich.
»Stimmt«, bestätigte Travis, dann lachten wir beide.
Beinahe alle in meiner Familie hatten irgendeine Firma gegründet. Meine Großeltern und meine Eltern hatten Maxwell Bookstores besessen, eine sehr erfolgreiche Buchhandelskette, die sie vor vielen Jahren verkauft hatten. Danach hatten meine Brüder sich alle auf die eine oder andere Art selbstständig gemacht. Tate besaß Weingüter und einen Weinvertrieb. Declan, der Älteste, war Rechtsanwalt mit einer eigenen Kanzlei. Wenn man bedachte, wie oft wir in irgendwelche Schwierigkeiten gerieten, war es wirklich gut, einen Anwalt in der Familie zu haben. Luke hatte ein Architekturbüro. Beide Cousinen, Reese und Kimberly, arbeiteten mit Travis für das Hotel. Außer mir hatte nur Tyler als professioneller Eishockeyspieler ebenfalls einen anderen Weg eingeschlagen.
Ich hatte schon von klein auf gewusst, dass ich mal Arzt werden wollte. Das war meine Berufung. Und ich hatte meine Wahl nie bereut.
Doch ich war auch in anderen Dingen ein Außenseiter. Ich war der einzige noch ledige Bruder, was ich irgendwie bizarr fand. Als ich angefangen hatte, für Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten, waren meine Brüder ungebunden gewesen. Aber jetzt waren sie alle entweder verlobt oder bereits verheiratet.
»Weißt du, was? Ich könnte über die WhatsApp-Gruppe alle nach ihrer Meinung fragen«, schlug Travis vor.
»Du willst meine Privatangelegenheiten wirklich herausposaunen, oder?« Mann, er war ein solcher Besserwisser!
»Nicht doch. Du würdest dich damit unwohl fühlen, also werde ich das schön lassen. Aber so, wie ich unsere Familie kenne, wird die Sache früher oder später auffliegen.«
»Wir beide sind die Einzigen, die davon wissen. Wenn es rauskommt, dann nur, weil du den Mund nicht halten konntest.«
Er grinste. »Wahrscheinlich.«
Ich zog das Handy heraus und schrieb Avery über Facebook eine Nachricht. Seit Jahren hatte ich sie wiedersehen wollen, aber nachdem sie aus Chicago weggezogen war, hatten wir uns aus den Augen verloren. Und ich war lange Zeit überzeugt gewesen, dass sie gar keinen Kontakt mit mir haben wollte.
Sam: Hey! Ist eine Weile her. Wollen wir uns das Loft gemeinsam ansehen? Kann kaum erwarten zu hören, wie es dir ergangen ist.
»Fühlt sich immer noch surreal an, wieder in Chicago zu sein«, meinte ich, als meine älteste Freundin Alana ihr Glas hob und wir anstießen.
»Ich bin froh, meine beste Freundin zurückzubekommen«, antwortete sie, bevor sie am Wein nippte.
Ich sah mich in ihrer kleinen Wohnung um. Alana war so großzügig gewesen, mich bei sich aufzunehmen. Als ich sie vor ein paar Wochen angerufen hatte, um ihr zu erzählen, dass ich darüber nachdachte, wieder nach Chicago zu ziehen, hatte sie mir sofort angeboten, erst einmal bei ihr zu schlafen. Jetzt kampierte ich also auf der Ausziehcouch in ihrem Wohnzimmer. Das Sofa war nicht unbequem, und ich wohnte gern mit ihr zusammen, aber ich hatte auch ein schlechtes Gewissen, weil ich sie einengte.
»Nicht! Ich weiß genau, was du gerade denkst«, sagte Alana.
Ich sah sie wieder an, stellte mein Glas auf dem Couchtisch ab. Dann gönnte ich mir einen Bissen Hähnchenbrust, ehe ich sagte: »Ich denke gar nichts.«
»Ich kenne dich. Du magst jahrelang weg gewesen sein, aber ich kenne diesen Gesichtsausdruck. Du hast Schuldgefühle.«
»Schön. Das stimmt.« Ich kaute langsam und genießerisch. Wir gönnten uns heute ein schönes Abendessen zu Hause.
»Du kannst mich in Schmuck bezahlen.«
Ich grinste. Da ich Schmuckdesignerin war, kam mir dieser Vorschlag sehr entgegen. »Geht klar. Aber bald hast du deine Wohnung wieder für dich, versprochen.«
»Hast du dir die zwei Apartments heute angesehen, von denen du gestern erzählt hast?«
»Ja. Aber ehrlich gesagt, gefällt mir keines davon wirklich.«
Sie rümpfte die Nase, was mich quasi in meine Highschool-Zeit zurückkatapultierte. Diese Miene hatte sie damals schon immer aufgesetzt. Mein Gott, es war wirklich bizarr, wieder hier zu sein! Alles war anders und irgendwie doch gleich.
»Da ist noch das Loft, an dem auch Sam Interesse angemeldet hat«, meinte ich. Allein seinen Namen auszusprechen sorgte dafür, dass mein Magen sich verkrampfte und meine Fingerspitzen kribbelten. Sam war mein allererster Freund – und meine erste Liebe – gewesen, damals, in der Highschool.
Vor ein paar Tagen hatte ich in der Ehemaligen-Facebook-Gruppe einen Post gesehen, dass jemand ein Loft zu vermieten hatte. Es war atemberaubend schön, aber gleichzeitig viel zu teuer für mich. Außerdem war es sowieso zu groß für eine Person, also hatte ich dem Vermieter mitgeteilt, dass ich interessiert war, allerdings nur mit einem Mitbewohner oder einer Mitbewohnerin. Zu meiner Überraschung hatte sich daraufhin Sam gemeldet.
Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wieso er eine Mitbewohnerin brauchen sollte. Er hätte sich das Loft mühelos allein leisten können. Schließlich war er ein Maxwell.
»Sam Maxwell! Sieht er immer noch so gut aus wie damals in der Highschool?«
»Keine Ahnung. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen«, sagte ich. Zu dem Klassentreffen vor ein paar Jahren war ich nicht gegangen.
»Ich habe gehört, dass er sein Medizinstudium durchgezogen und jahrelang für Ärzte ohne Grenzen gearbeitet hat.«
»Das überrascht mich nicht«, gab ich zu. Sam hatte schon in der Highschool davon geträumt, für diese Organisation zu arbeiten. Das hatte ich an ihm geliebt: sein großes Herz. Seine Familie war reich, aber trotzdem war er ehrgeizig und wollte die jahrelange Ausbildung auf sich nehmen und danach als Arzt praktizieren.
»Hast du Sam geantwortet?«
»Noch nicht. Ich werde mir das Loft ein weiteres Mal ansehen. Noch will ich mir alle Optionen offenhalten.« Egal, was meine Freundin auch sagte, ich wollte ihre Gastfreundschaft nicht überbeanspruchen. Außerdem wäre eine eigene Wohnung – selbst wenn ich sie mit jemandem teilte – ein Schritt in die richtige Richtung, um mein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen.
Hier auf ihrer Couch zu schlafen war nur eine Übergangslösung. Ich fühlte mich losgelöst, als wäre ich wieder eine Jugendliche.
Doch inzwischen hatte ich mir einen Plan zurechtgelegt. Zuerst würde ich in eine eigene Wohnung ziehen. Und dann würde ich mir noch mal eine eigene Firma aufbauen.
Bei dem Gedanken an alles, was ich verloren hatte, verkrampfte sich mein Herz, aber so was passierte eben, wenn man Vertrauen in die falschen Leute setzte.
»Willst du, dass ich dich bei den Besichtigungen begleite?«, fragte Alana zwischen zwei Bissen. Sie hatte ein Parmesanhähnchen gemacht, und es war köstlich.
In der Highschool hatten wir kaum überbackene Käsesandwiches hinbekommen. Aber im Laufe der Jahre hatte meine Freundin ihre Fähigkeiten verbessert, sodass sie jetzt eine herausragende Köchin war. Ich dagegen machte immer noch regelmäßig überbackene Käsesandwiches.
»Nein, ist schon okay. Die Termine liegen ungünstig, und ich will nicht, dass du dir in der Arbeit dafür freinehmen musst.« Sie war Kuratorin in einer Galerie.
»Sag mir Bescheid, falls du deine Meinung änderst. Ich kann die Anstandsdame für dich und Sam spielen.« Ihr anzügliches Augenzwinkern brachte mich zum Lachen.
»Ach, komm schon, Alana. Sam und ich waren vor Ewigkeiten zusammen«, gluckste ich. So fühlte es sich jedenfalls an. Mit Sicherheit hatten wir uns beide sehr verändert. Wahrscheinlich wäre das Zusammenleben wie eine WG mit einem Fremden, auch wenn ich mich fragte, ob er immer noch so attraktiv war wie zu Schulzeiten. Falls ja, könnte das die Sache ein kleines bisschen verkomplizieren.
»Wenn du meinst. Lass uns mal schauen.« Sie zog ihr Handy heraus, während sie sich eine Strähne ihrer blonden Haare um den Zeigefinger der freien Hand wickelte. Alana hatte schon zu Schulzeiten toll ausgesehen, hatte aber nie zu der Beliebte-Mädchen-Clique gehört. Damals waren wir beide eher Leseratten gewesen. Wir wurden nicht gemobbt oder irgendwas, sondern gehörten einfach nicht zu den Coolen. Was uns vollkommen egal gewesen war. Alana und ich hatten uns selbst Die Blondinen genannt, weil wir beide schulterlange dunkelblonde Haare hatten – allerdings waren ihre Augen blau und meine grün.
Die Leute hatten uns oft gefragt, ob wir Schwestern waren. Tatsächlich sah Alana mir ähnlicher als meine richtige Schwester. Meine jüngere Schwester Jamie kam nach unserer Mutter: brünett mit dunkelbraunen Augen. Ich vermisste sie und meine Mom unglaublich und wünschte mir wirklich, sie wären nicht aus Chicago weggegangen. Aber Jamie hatte in Maine studiert und war nach dem Abschluss dortgeblieben. Unsere Mutter war nach Miami zurückgekehrt, wo sie ursprünglich herkam. Sie hatte uns allein großgezogen, hatte um alles kämpfen müssen. Mom hatte einen schönen Lebensabend mit ihren alten Freunden verdient. Vielleicht würde sie ja sogar mal mit jemandem ausgehen. Sie war glücklich in Miami, und das freute mich sehr. In Chicago hatte sie es immer schwer gehabt.
Ich erinnerte mich, dass sie oft voller Wehmut von ihrer Heimat gesprochen hatte. Einmal hatte ich sie gefragt, warum wir nicht zurückgezogen waren. Sie hatte erklärt, dass Jamie und ich eine herausragende Schule besucht hatten, die uns eine tolle Zukunft ermöglichen würde – und das stimmte. Wir hatten beide Stipendien für die teure Privatschule ergattert, auf der ich Sam und Alana kennengelernt hatte. Und Mom hatte recht, denn das hatte mir eine Menge ermöglicht. Und Jamie war inzwischen eine erfolgreiche Steuerberaterin.
Ich dagegen hatte alles in den Sand gesetzt. Ich hatte etwas riskiert und Sophia, meiner Geschäftspartnerin, vertraut – einer Person, die ich jahrelang als gute Freundin gesehen hatte. Und dann war das Ganze explodiert. Aber das spielte alles keine Rolle. Ich konnte von vorne anfangen. Ich würde mich wieder aufrappeln. Und ich war absolut davon überzeugt, dass es richtig gewesen war, nach Chicago zurückzukehren. Es war mein Zuhause.
»Hier. Ich habe ihn gefunden!«, rief Alana. »Wahnsinn!«
Ich richtete mich höher auf. »Was?«, fragte ich mit angehaltenem Atem.
»Okay, ich hätte nicht gedacht, dass das überhaupt möglich ist, aber Sam sieht noch besser aus als in der Schule.«
»Das kann nicht sein«, antwortete ich sofort. Obwohl ich ihn seit vierzehn Jahren nicht gesehen hatte, konnte ich mühelos sein Bild heraufbeschwören. Dunkle Haare, grüne Augen, durchtrainierte Muskeln vom Lacrosse-Spielen … und ein Lächeln, bei dem man einfach dahinschmolz. Perfektion ließ sich nicht verbessern.
Sie drehte das Display zu mir, und ich schluckte schwer.
Okay. Ich nehme alles zurück.
Ich schnappte mir das Handy und zoomte das Bild heran. Zuerst musterte ich sein Gesicht, das tatsächlich noch attraktiver wirkte als zu Highschool-Zeiten. Damals war er jung gewesen, aber jetzt war er definitiv ein erwachsener Mann. Seine Wangenknochen wirkten kantiger, und seine dunklen Haare waren kurz geschnitten. Und diese grünen Augen … wow! Ich verkleinerte das Bild, auf dem er ein kurzärmliges Hemd trug, und musterte seinen Körper.
Welche Art von Arzt braucht solche Muskeln? Der reine Wahnsinn.
»Willst du vielleicht doch noch mal über mein Angebot nachdenken, die Anstandsdame zu spielen?«, fragte Alana lachend.
Eilig gab ich ihr das Handy zurück. »Nein, auf keinen Fall.« Aber mein Magen schien in meinem Bauch auf und ab zu springen.
»Du kleine Lügnerin. Du hast dich quasi an deiner eigenen Zunge verschluckt, als ich dir das Bild gezeigt habe.«
»Der Mann ist unerträglich, sündhaft attraktiv«, gab ich zu. »Aber ich glaube, vor allem war ich überrascht, weil ich ihn so lange nicht gesehen habe.«
Mein Hähnchen war längst aufgegessen, also konzentrierte ich mich lieber auf meinen Wein. In seinem Facebook-Profil gab es kein Foto von ihm. Irgendwann hatte ich auch andere soziale Medien durchsucht, aber nirgendwo ein Bild gefunden. Doch natürlich hatte Alana sofort eines entdeckt.
»Aber es war gut, dass du mir das Foto gezeigt hast«, meinte ich. »Jetzt kann ich mich wappnen.«
»Oh, ich weiß nicht«, meinte Alana. »Wenn er seinen Charme spielen lässt, hast du wahrscheinlich trotzdem keine Chance.«
Ich starrte sie böse an. »Alana! Ich bin gerade wirklich nicht in der Position, um über irgendetwas anderes nachzudenken, als mein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen.«
Ihr Lächeln schwand. »Tut mir leid. Ich wollte dich nur aufziehen, weil ich dachte, das lenkt dich vielleicht von dem ganzen anderen Mist ab.«
Ich zog mein Handy aus der hinteren Jeanstasche und rief meine Nachrichten auf.
»Ich werde ihm eine Nachricht schicken, dass wir uns das Loft gern zusammen ansehen können.« Eilig drückte ich auf Senden, bevor ich es mir anders überlegen konnte. Dieses Foto hatte irgendetwas in mir ausgelöst.
Aber ich wollte nicht zu intensiv über dieses Irgendetwas nachdenken. Es war lange her, und ich war mir sicher, dass wir inzwischen ganz andere Menschen mit anderen Prioritäten waren.
Er antwortete sofort.
Sam: Kann es kaum erwarten, dich zu sehen, Avery.
Ich spürte, wie ich rot wurde, als Erinnerungen in mir aufstiegen.
»Wirst du gerade rot?«, fragte Alana.
Ich hob den Blick. Ich konnte ihr das nicht verheimlichen. Unsere Freundschaft fühlte sich an, als wäre seit damals kaum Zeit vergangen. Und das sorgte dafür, dass ich mich fragte, ob ich mich wohl mit Sam genauso fühlen würde – als wäre ich immer noch diese Achtzehnjährige, die davon überzeugt war, die Liebe ihres Lebens gefunden zu haben.
»Ja, ich werde rot. Ich kann es nicht glauben.«
»Tut mir leid. Jetzt muss ich dich noch ein bisschen aufziehen. Ich kann einfach nicht anders.«
Das brachte mich zum Lachen. »Ist okay. Ich glaube, ich habe das Leben in letzter Zeit zu ernst genommen.«
Wir schnappten uns unsere Gläser und gingen auf den Balkon. Er war klein, sah allerdings über einen kleinen, aber erstaunlich ruhigen Innenhof hinweg. Wir setzten uns auf Rattanstühle und stießen noch mal miteinander an.
»Lass uns ein kleines Spiel spielen. Was, glaubst du, wie es laufen wird, wenn du Sam wiederbegegnest?«
Ich kaute nachdenklich auf der Unterlippe. »Nun, er ist offensichtlich nicht mehr der Junge, den ich kannte. Jetzt ist er noch heißer.«
»Glaubst du, er wird mit dir flirten?«
Das würde er nicht tun, oder? Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob das alles überhaupt eine gute Idee war. Ich wollte nicht zu lange auf Alanas Couch kampieren, aber war es wirklich klug, mit Sam zusammenzuziehen?
»Keine Ahnung. Ich glaube, das könnte passieren.«
Alana grinste. »Das wird nicht einfach, hm?«
»Sieht so aus.«
»Dr. Maxwell, brauchen Sie noch etwas?«, fragte Schwester Christine.
»Nein danke. Ich werde jetzt gehen.«
Sie nickte, und ich verließ das Untersuchungszimmer. Zuerst wollte ich in der Ärzte-Lounge vorbeischauen und mir ein Sandwich holen, bevor ich aufbrach, um mir die Wohnung anzusehen.
Es fühlte sich immer noch seltsam an, in einem Krankenhaus zu arbeiten. Mein erstes Jahr bei Ärzte ohne Grenzen hatte ich in gefährlichen Landstrichen verbracht. Die Arbeit war wahnsinnig stressig gewesen, aber eben auch unendlich befriedigend. Ich bewirkte echt etwas und hatte dabei unglaublich viel gelernt. Ein Arzt musste unter Druck ruhig reagieren, um wirklich die beste Behandlung für den Patienten finden zu können. Aber diese Entscheidung zu treffen, während Kugeln durch die Luft sausten oder Sirenen heulten, war noch mal etwas vollkommen anderes. Selbst in Honduras war nicht alles so reibungslos gelaufen wie hier. Fast irritierte es mich, wie mühelos hier alles war.
Als ich die Ärzte-Lounge betrat, stellte ich fest, dass Dr. Robinson Matthew sich im Raum aufhielt. Er war der CEO des Krankenhauses und jemand, zu dem ich aufschaute. Erst letztes Jahr war er nach einem Reitunfall, der ihn für immer vom OP-Tisch verbannt hatte, in die Führungsposition aufgestiegen.
»Maxwell, schön, Sie zu sehen. Wie gefällt es Ihnen hier?«, fragte er.
Ich zog mir ein Sandwich aus einem der Automaten. Es sah nicht allzu toll aus, aber ich war am Verhungern, also würde es schon gehen. »Das Team behandelt mich toll.«
Er lachte bellend. Matthew war über sechzig und sein Können legendär. »Sie sind eine Art Prominenter bei uns. Wir haben nicht oft Mediziner, die vorher für Ärzte ohne Grenzen gearbeitet haben. Für gewöhnlich läuft es eher andersherum.«
Wir setzten uns an einen der Tische. Insgesamt gab es fünf davon, ergänzt durch ein paar Couches. In der Cafeteria im Erdgeschoss gab es besseres Essen, aber trotzdem hielt ich mich dort nicht gern auf. Sie war einfach zu voll mit den ganzen Angestellten, Patienten und Besuchern. Zwischen meinen Patientenbesuchen wollte ich mich entspannen, und dafür brauchte ich Ruhe.
»Sie haben viel gelernt, ihr Können verbessert und gleichzeitig noch die Fähigkeit entwickelt, unter extremem Druck zu arbeiten. Sie werden hier wunderbar klarkommen.«
»Danke. Das denke ich auch.«
»Aber Sie sind immer noch nicht bereit, einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu unterschreiben?«
Ich schluckte den Bissen vom Sandwich, den ich gerade im Mund hatte – er war staubtrocken.
»Ich will keine voreiligen Entscheidungen treffen.« Meine Stelle bei Ärzte ohne Grenzen hatte ich für Olivia aufgegeben. Nachdem die Beziehung nicht funktioniert hatte, gab es grundsätzlich nichts, was mich hier hielt – außer der potenziellen Möglichkeit, eine Pro-Bono-Klinik zu eröffnen. »Ich will das Krankenhausleben mal ausprobieren, bevor ich mich wirklich verpflichte. Schließlich unterscheidet es sich sehr von dem, was ich bisher getan habe.«
»Wann immer Sie bereit sind, einen Vertrag zu unterschreiben, sagen Sie mir Bescheid. Ich werde ihn aufsetzen lassen, ehe Sie Ihre Meinung wieder ändern.«
»Interessant. Ich habe schon darüber nachgedacht – und Sie wissen, was dafür sorgen würde, dass ich sofort unterschreibe.«
Er musterte mich intensiv. »Sie verhandeln hart, Maxwell.«
»Immer.«
Als CEO besaß Dr. Robinson Matthew die Autorität, der Pro-Bono-Klinik grünes Licht zu geben. Doch er stellte mir keine weiteren Fragen dazu. Stattdessen meinte er: »Sie wohnen immer noch im Hotel Ihres Bruders?«
»Ja, aber in einer halben Stunde sehe ich mir ein Loft an. Es liegt nur drei Straßen vom Krankenhaus entfernt. Das wäre viel praktischer.«
Die Nähe zur Klinik war einer der Gründe, warum ich mich für das Loft interessierte. Meine Schichten gingen meistens mit Überstunden einher, und nach einem anstrengenden Tag wollte ich keine lange Rückfahrt, bevor ich endlich ins Bett fallen konnte.
»Viel Glück damit!«
»Danke.«
Ich hatte ein gutes Gefühl bei der Wohnung, und dasselbe galt für die Chance, Avery wiederzusehen. Travis mochte mir ständig Vorträge halten, aber das war mir egal. Sie und ich waren jetzt erwachsen, und ich freute mich darauf zu hören, wie ihr Leben gelaufen war.
Ich aß mein Sandwich auf, dann ging ich in die Umkleide im Erdgeschoss und zog mich eilig um. Schon fünf Minuten später verließ ich das Krankenhaus.
Die Klinik und das Loft lagen beide im Pilsen-Teil der Stadt, fast an der Grenze zum South-Loop-Viertel.
Bevor ich diesen Job angenommen hatte, war ich selten in dieser Gegend gewesen. Ich musste zugeben, die Wandgemälde waren aus gutem Grund berühmt. Die Bilder hätten auch in einer Galerie hängen können.
Meine Augen brauchten einen Moment, um die Explosion von Farben auf den Mauern zu verarbeiten, nachdem ich den ganzen Tag auf sterile weiße Wände gestarrt hatte, doch mir gefiel es. Das Viertel hatte eine ganz andere Ausstrahlung als der Teil der Stadt, in dem ich aufgewachsen war, und unterschied sich auch von der Gegend, in der ich während meiner Studienzeit gelebt hatte. Ich sah auf mein Handy, um sicherzustellen, dass ich in die richtige Richtung ging. Ein paar Minuten später kam ich schon bei der Adresse an. Das Gebäude sah gut aus. Es war ein umgebautes Lagerhaus mit schönen Mauern aus rotem Ziegel im Erdgeschoss. Die oberen Stockwerke bestanden hauptsächlich aus Fenstern.
»Sam?«
Ich hätte ihre Stimme überall wiedererkannt. Ich sah nach rechts und entdeckte Avery, die auf mich zukam. Verdammt. Sie sah genauso aus wie in meiner Erinnerung – aber gleichzeitig auch anders.
Ihre grünen Augen, die ich immer so geliebt hatte, leuchteten auf. Ihr blondes Haar war lang genug, um bis auf ihre Brüste zu fallen, auch wenn es etwas heller wirkte als in der Highschool.
»Hey, Avery. Es ist toll, dich wiederzusehen.«
Sofort stieg Röte in ihre Wangen. Ich ging zu ihr, beugte mich vor und küsste sie auf die Wange. Sie roch nach Blumen. In der Highschool hatte sie ein Parfüm mit einem Hauch Minze darin verwendet – keine Ahnung, wieso ich mich daran noch erinnerte.
Ich richtete mich wieder auf und trat einen Schritt zurück, erfüllt von dem unwirklichen Gefühl, eine Zeitreise angetreten zu haben.
»Wollen wir nach oben gehen?«, fragte sie. »Der Termin ist in zwei Minuten.«
»Du bist offensichtlich immer noch superpünktlich«, meinte ich, als ich ihr mit einer Handbewegung bedeutete vorauszugehen.
»Kommst du immer noch ständig zu spät?«
»Nein. Das kann ich mir als Arzt nicht erlauben. Zuspätkommen ist nicht akzeptabel. Niemals.«
»Ich kann nicht glauben, dass du es durchgezogen hast und wirklich Arzt geworden bist«, meinte sie, als wir das Gebäude betraten. Die Tür stand offen, was mich störte. Hatten sie sie für uns aufgeschlossen, oder war das immer so? Das wäre ein Problem. Ich machte mir zwar keine Sorgen um mich selbst, aber wenn Avery tatsächlich einzog, wollte ich, dass sie hier sicher war.
»Warum nicht?«, fragte ich. »Ich wollte nie etwas anderes.«
»Ich weiß, aber in der Highschool haben wir alle große Träume.« Sie sah über die Schulter zu mir zurück. Sie lächelte, doch es wirkte ein wenig melancholisch. »Und dann hält die Realität Einzug.«
Ich verspürte den plötzlichen Drang, dieses unverschlossene Gebäude hinter mir zu lassen und sie stattdessen auf einen Drink auszuführen, damit sie mir alles erzählte, was seit unserer letzten Begegnung bei ihr passiert war.
Im Innenhof hing ein Schild mit einem Pfeil, auf dem OPEN HOUSE stand. Gut. Das bedeutete, dass die Tür heute aus gutem Grund unverschlossen gewesen war. Wir stiegen eine Treppe nach oben, die alt wirkte, aber gut in Schuss gehalten wurde. Es roch auch nicht nach Schimmel. Bald schon sahen wir die Eingangstür zur Wohnung. Sie war ebenfalls offen, und ich konnte den Makler im Inneren sehen.
»Die Wohnung ist toll«, meinte Avery. »So hell.«
»Finde ich auch.« Es war vier Uhr nachmittags im Oktober, was in Chicago wirklich kein sonnenverwöhnter Monat war, auch wenn man das hier drin nie vermutet hätte.
Der Makler kam zu uns. »Sam Maxwell und Avery Sinclair?«
»Ja«, antworteten wir gleichzeitig.
»Willkommen. Ich heiße Mal Dinklage und werde Ihnen heute die Wohnung zeigen.«
»Kommen noch andere Interessenten?«, fragte ich.
»Sie haben zwanzig Minuten bis zum nächsten Termin.«
Meine Augen wurden schmal. »Sie haben gesagt, ich hätte mich als Erster bei Ihnen gemeldet.«
»So war es auch.«
»Dann möchte ich das Recht, als Erster eine Entscheidung zu treffen.«
Er starrte mich entgeistert an. »Okay, das … wäre für mich in Ordnung«, stammelte der Mann. »Soll ich Sie herumführen?«
Ich sah Avery an. »Ich glaube, wir werden uns erst allein umsehen. Wir melden uns bei Ihnen, falls wir Fragen haben.«
»Okay.« Er eilte zu einem Fenster und sah nach draußen.
Avery dagegen musterte mich ungläubig.
»Was?«
»Keine Ahnung. Du hast gerade geklungen, als hätte er überhaupt keine andere Wahl, als dir zuzustimmen.«
»Hatte er auch nicht.«
»Nun, ich muss den Tonfall trotzdem noch verarbeiten.«
»Komm, wir sollten uns umschauen.«
Sie ging vor mir her. Instinktiv wollte ich die Hand an ihr Kreuz legen, nur um mich im letzten Moment davon abzuhalten.
Spinnst du? Sie ist nicht deine Freundin, Sam. Das hier seid du und Avery vierzehn Jahre später. Sei ein Gentleman, und benimm dich.
»Das Loft ist riesig.«
Das Wohnzimmer hatte einen offenen Grundriss und ging direkt in eine Küche mit einer großen Kücheninsel in der Mitte über. Neben der Küche gab es ein voll ausgestattetes Bad, neben der Treppe, die zu den Schlafzimmern im zweiten Stock führte. Das war der einzige Nachteil an dieser Wohnung: Es verfügte über nur ein Bad. Aber zumindest war hinter der Küche noch ein Waschraum eingebaut.
Die Schlafzimmer waren ebenfalls unglaublich geräumig. Die Möbel gehörten zur Vermietung und bestanden aus einer Kommode, einem riesigen Bett und einem kleinen Schreibtisch in jedem Schlafzimmer.