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Heißes Herzklopfen in New York!
Restaurantbesitzer Robert hat ein Händchen für erfolgreiche Geschäfte. In New York will er sein Business weiter vorantreiben, eine Beziehung passt hingegen nicht in seinen vollen Terminkalender. Doch als er seine neue Nachbarin Skye kennenlernt und mit ihr glühende Blicke austauscht, ist er sofort hingerissen von der engagierten Geschäftsfrau. Immer wieder muss er an sie denken und er erkennt: Sie ist die Eine. Aber Skye hat ihre Gründe, warum sie ihn nicht zu nah an sich heranlässt. Kann Robert die Distanz überwinden und doch noch Skyes Herz gewinnen?
Verführerisch, leidenschaftlich, sexy – Nach den »Flowers of Passion« und den »Diamonds for Love« kommt mit den »New York Nights« die neue Romance-Reihe von Bestsellerautorin Layla Hagen!
»Einmal angefangen, kann man Layla Hagens Bücher nicht mehr zur Seite legen.« Geneva Lee, Autorin der »Royals«-Serie
Alle Bände der »New York Nights«:
Band 1: City of Love – Hunter & Josie
Band 2: City of Dreams – Heather & Ryker
Band 3: City of Hearts – Robert & Skye
Band 4: City of Promises – Laney & Cole
Band 5: City of Kisses – Tess & Liam
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Aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch
© Layla Hagen 2020
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»One Perfect Touch«, Independently Published 2020
© Piper Verlag GmbH, München 2022
Redaktion: Anita Hirtreiter
Covergestaltung: zero-media.net, München
Covermotiv: FinePic®, München
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)
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Cover & Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Epilog
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Rob
»Möchtest du, dass ich dich heute zu der Hausbesichtigung begleite? Zeitlich kriege ich das hin«, sagte meine Schwester Anne, als wir in einer Tischnische in unserem Vorzeigerestaurant in Tribeca saßen.
Gerade war ich dabei, zurück nach New York zu ziehen, und brauchte dringend eine Bleibe. Meine Schwester lebte mit ihrer Tochter in einem Vorort, daher hoffte ich, ein Haus in ihrer Nähe zu finden. Ich war jetzt seit drei Wochen zurück in der Stadt und es leid, im Hotel zu wohnen. Ein kurzer Blick aus dem Fenster auf die Mischung aus Wolkenkratzern und umgebauten Fabrikgebäuden machte mir bewusst, wie sehr ich Manhattan vermisst hatte.
»Nein, Anne, ich komme allein klar. Du und Lindsay, ihr beide habt schon genug zu tun.« Ich wuschelte meiner Nichte durchs Haar, die daraufhin sofort vergnügt quietschte. Mir ging das Herz auf, als ich sie nun so fröhlich sah, denn im letzten Jahr hatten sie und ihre Mutter viel durchgemacht.
Ich war der Geschäftsführer der Dumont-Restaurantkette, die bereits lange in unserem Familienbesitz war. In den letzten zehn Jahren hatten wir uns zu einem Imperium entwickelt und hatten zwei Geschäftszentralen: eine in New York und eine in L. A. Annes Ex-Ehemann war der CEO der Ostküsten-Restaurants gewesen, und ich hatte mich um die Filialen an der Westküste gekümmert. Nachdem Annes Ex nicht nur seine Familie, sondern auch die Firma im Stich gelassen hatte, hatte ich für die Westküste einen neuen CEO gesucht und war nach New York zurückgekehrt. Es war schön, wieder zu Hause zu sein.
Das Restaurant, in dem wir saßen, gehörte zu unseren schicksten Locations. Während ich mich umsah, ließ ich den architektonischen Mix aus Glas, Holz und roten Ziegeln auf mich wirken. Alles im typischen Tribeca-Stil, denn die Tischplatten waren aus Glas, die Fenster wurden von Bögen aus roten Ziegeln umrahmt, und die Lampen an der Decke bestanden aus einer Mischung aus Holz und schwarzem Metall, was dem Restaurant insgesamt einen Industrial Chic verlieh.
»Onkel Rob, stimmt es, dass du nicht nach L. A. zurückgehst?«, fragte Lindsay. Sie war acht und viel größer als die meisten anderen Kinder in ihrem Alter. Insgesamt wirkte sie wie eine Mischung aus meiner Schwester und mir. Anne und ich sahen uns nicht besonders ähnlich. Während ich dunkle Haare und grüne Augen hatte, war Anne blond und blauäugig. Lindsay war wie ihre Mutter blond, hatte aber wie ich grüne Augen. Glücklicherweise kamen die Gene ihres Vaters kaum zum Tragen. Dieses Arschloch.
»Tue ich nicht, Spatz. Ich bleibe hier und suche nach einem Haus in der Nähe von dir und deiner Mom.«
Lindsay strahlte über das ganze Gesicht. Ich liebte diese Kleine so sehr. Seit dem Tag ihrer Geburt hatte ich eine Schwäche für sie gehabt … und das war mit den Jahren nur noch schlimmer geworden. Selbst als ich an der Westküste wohnte, hatte ich immer Zeit für Lindsay gefunden und sie jedes Mal besucht, wenn ich geschäftlich in New York gewesen war. Außerdem hatten wir regelmäßig über FaceTime telefoniert, und durch unseren engen Kontakt wusste Lindsay, dass sie stets auf mich zählen konnte.
Sie warf einen schnellen Blick zu Anne. »Kann ich Chicken Nuggets mit Pommes haben?«
Anne schüttelte den Kopf. »Wir sind hier, um das neue Menü zu testen, schon vergessen?«
Lindsay sah mich schmollend an. »Aber ich mag die Menüs nicht. Sie schmecken seltsam.«
Ich lachte leise, denn ich konnte es ihr nicht verdenken. Unsere Fünf-Gänge-Menüs waren definitiv nichts für Kinder – zu viel Gemüse und dazu fremdartige Gewürze, die ihre Gaumen nicht ansprachen. Das war einer der Gründe, warum es immer auch eine Kinderkarte mit den üblichen Speisen darauf gab.
»Also gut, dann bestellen wir für dich Chicken Nuggets und Pommes.«
Lindsay quietschte begeistert. Sie stand auf und lief aufgeregt winkend in Richtung der Kellner. Anscheinend war da jemand hungrig.
Sobald Lindsay uns nicht mehr hören konnte, beugte Anne sich vor und flüsterte: »Rob, bist du dir sicher, dass du in einen Vorort ziehen willst? Du liebst doch Manhattan. Früher hast du in einem Penthouse auf der Park Avenue gewohnt. Du musst das nicht für uns machen.« Anne ging davon aus, dass ich mich um sie kümmern wollte, jetzt, wo sie und Lindsay allein waren, was auch stimmte … nur dass ich das nie zugegeben hätte.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich es nicht deshalb tue.« Ich setzte meine beste Nun mach aber mal halblang-Miene auf, wobei ich inständig hoffte, überzeugend zu wirken.
»Hmmm. So, wie du auch nicht unseretwegen zurück nach New York ziehst?«
»Die Geschäfte in L. A. laufen reibungslos. Es wurde einfach Zeit für mich, nach Hause zurückzukehren. Und ich ziehe nicht bloß euretwegen weiter raus. In den letzten vier Jahren habe ich mich daran gewöhnt, einen Garten zu haben. Den will ich auch hier nicht missen … aber in Manhattan ist das eher schwer zu finden.« Ich zwinkerte ihr zu.
Auch wenn meine Argumente durchaus zutrafen, kam ich ohne Frage in Wahrheit hauptsächlich deswegen heim, weil Annes Scheidung vor zwei Wochen rechtskräftig geworden war, weswegen sie und Lindsay gerade eine schwere Zeit durchmachten. Ich wollte in ihrer Nähe sein, um auszuhelfen, wann immer ich konnte. Natürlich hätte ich einfach in L. A. bleiben und jemand anderen finden können, der den Job ihres Ex übernahm. Das wäre leichter gewesen … aber ich wählte eigentlich nie den einfachsten Weg.
Unsere Eltern hatten sich nach dem Ruhestand in Südfrankreich niedergelassen, und auch sonst hatten wir keine Verwandten in der Gegend. Also ja: Ich zog hauptsächlich wegen meiner Schwester weiter raus. Mir war es wichtig, dass wir uns spontan zum Abendessen treffen konnten – und das war einfacher, wenn wir in derselben Gegend wohnten. Dass ich unbedingt einen Garten haben wollte, war nur vorgeschoben. Es war schön, einen zu haben, allerdings hätte ich auch auf ihn verzichten können.
»Du suchst schon ewig«, fuhr Anne fort. »Ich möchte einfach nicht, dass du etwas tust, was du auf lange Sicht bereuen wirst.«
»Was soll ich sagen? Ich bin anspruchsvoll.« Bisher hatte ich einfach nichts gefunden, was mir gefallen hätte. Und außerdem hatte ich viel um die Ohren gehabt. Bereits vor zwei Monaten hatte ich angefangen, nach einem Haus zu suchen, als ich noch in L. A. wohnte. Die Geschäftsübernahme gestaltete sich schwieriger, als ich gehofft hatte, also kam meiner Wohnsituation derzeit nicht die oberste Priorität zu. Selbstverständlich hätte ich mich gern irgendwo eingerichtet, aber jetzt musste ich erst mal in der Firma alle Probleme beseitigen.
»Das bist du definitiv. Bei Häusern und bei Frauen. Du wirst wahrscheinlich nie die Richtige finden.«
Ich suchte gar nicht nach der Richtigen. Mein Leben war wunderbar, wie es war. Doch ich brauchte ein Haus.
»Wie hältst du dich?«, fragte ich. Ich fand es schrecklich, zu sehen, was Anne alles durchmachen musste – wegen dieses Vollpfostens, den sie geheiratet hatte.
Seufzend wandte Anne den Blick ab. Ich wusste, dass sie es nicht mochte, wenn ich nachfragte, aber sie und Lindsay lagen mir am Herzen. »Okay. Eigentlich ist alles okay.«
Im nächsten Moment kehrte meine Nichte an den Tisch zurück, stolz, ihre eigene Bestellung aufgegeben zu haben, also konnte ich Anne nicht weiter mit Fragen löchern. Es frustrierte mich unendlich, dass ich nie etwas anderes aus ihr herausbekam als »Okay«, obwohl ich merkte, dass es ihr nicht gut ging. Für gewöhnlich achtete ich nicht auf solche Details, doch selbst ich konnte nicht übersehen, dass meine Schwester abgenommen und starke Augenringe hatte. Ihr Lebensmotto war: Wenn du durch die Hölle gehst, geh einfach weiter. In gewisser Weise war das auch das Motto unserer Familie.
Meine Schwester war ein versöhnlicher Mensch … während ich diesen Mistkerl dafür zahlen lassen wollte, dass er sie verletzt hatte. Ich hielt mich nur raus, weil Anne wollte, dass Lindsay weiterhin ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater hatte.
Ich allerdings war nachtragend. Das war einer der Gründe, warum ich als anstrengender Geschäftspartner galt. Soweit es mich anging, half mir diese Eigenschaft eher – weil ich immer bekam, was ich wollte. Dass Annes Ex einfach verschwunden war, ohne sich noch um irgendetwas zu kümmern, hatte keinen guten Eindruck hinterlassen – besonders nicht bei unseren Investoren und unseren Angestellten. Daher war es jetzt wichtig, allen zu zeigen, dass ich die Firma unter Kontrolle hatte.
Ich führte den Restaurant-Teil des Dumont-Geschäftsimperiums – insgesamt hundertzwanzig Niederlassungen im ganzen Land sowie fünfzig weitere in Europa. Anne leitete den Bereich mit unseren neunzig Gourmet-Supermärkten. Obwohl wir unter demselben Markennamen firmierten, waren die zwei Bereiche verschiedene Unternehmen. Anne und ich hatten geschäftlich nicht oft miteinander zu tun, da jede Firma separat geführt wurde und es bloß wenige Überschneidungen gab.
Anne seufzte erleichtert, als der erste Gang gebracht wurde.
»Wir sollten uns auf all diese Köstlichkeiten konzentrieren«, sagte sie, um das Thema zu wechseln. »Sie sind unglaublich.«
Wir waren die dritte Generation von Dumonts, die sich um die gehobene Küche verdient machten. Jedes Mal, wenn etwas auf den Speisekarten verändert wurde, organisierten Anne und ich zuerst eine Verkostung – das war Tradition.
Lindsay ließ sich ihre Chicken Nuggets und ihre Pommes schmecken. Sie verzog nur das Gesicht, als sie unseren Fisch mit Zitronensauce und Spargel betrachtete.
Doch als es an die Verkostung des Desserts ging, war ihre Begeisterung nicht zu übersehen.
Wir hatten ein paar Zutaten in unserem typischen Dumont-Kuchen ausgetauscht: Frischkäse gegen Ricotta, Honig gegen Ahornsirup.
»Ich würde sagen, genau das hat dieser Kuchen gebraucht«, sagte Anne, als sie sich ein Stück in den Mund schob. »Und unser Ahornsirup-Lieferant wird glücklich sein, weil sein Produkt endlich in einer unserer Spezialitäten verwendet wird.«
»Köstlich«, sagte Lindsay, den Blick unverwandt auf meinen Teller gerichtet. Ich hatte meinen Nachtisch nicht aufgegessen, was meine Nichte ziemlich glücklich zu machen schien – besonders, als ich so tat, als würde ich nicht bemerken, dass sie sich die Reste nahm. Anne schüttelte bloß lächelnd den Kopf.
»Auch ich befürworte die Anpassungen.«
Wir unterhielten uns noch kurz, dann sah Anne auf die Uhr.
»Lindsay und ich müssen aufbrechen. Sie hat gleich Ballettstunde, und ich treffe mich im Anschluss mit neuen Lieferanten. Wann ist die Hausbesichtigung noch mal?«, fragte sie, als sie nach ihrer Tasche griff.
Ich öffnete den Kalender meines Handys. »Heute Abend um sieben habe ich einen Termin mit Skye Winchester.«
»Ist das eine Maklerin?«
»Da bin ich mir nicht sicher. Ich habe die Anzeige im Internet gefunden. Das Haus sah interessant aus, und es liegt in deiner Gegend.«
»Okay. Sag mir, falls du deine Meinung änderst und mich doch dabeihaben willst.«
»Das passt schon.« Hand aufs Herz, wahrscheinlich würde mir auch dieses Haus nicht gefallen. Ich wollte Annes Zeit nicht verschwenden. Doch das Haus wirkte vielversprechender als die anderen, die ich mir bisher angeschaut hatte – zumindest ließ das Video im Internet mich das vermuten –, also wollte ich es mir mal ansehen.
Nachdem Anne und Lindsay gegangen waren, packte auch ich zusammen und fuhr in die Geschäftszentrale zu einem Meeting, das ich mit meinem Team angesetzt hatte. Das Gebäude lag im East Village, neben dem Tompkins Square Park. Nach einer kurzen U-Bahn-Fahrt von der Canal Street zum Astor Place ging ich den Rest des Weges – ein paar Blocks – zu Fuß. Wie gewöhnlich standen überall staunende Touristen herum, während die Einheimischen einkauften. Letztes Wochenende war Unabhängigkeitstag gewesen, daher war die Stadt noch voller als sonst. Ich war in New York geboren und aufgewachsen und hatte immer dorthin zurückkehren wollen. Die letzten vier Jahre hatte ich nur deswegen in L. A. verbracht, weil mein Know-how in unserem dortigen Sitz gefragt gewesen war. Da meine Familie aus New York stammte, hatte unser Geschäft an der Ostküste immer mehr floriert als das an der Westküste. Inzwischen war es andersherum. Mein Ex-Schwager war nicht nur ein schrecklicher Ehemann gewesen, sondern auch kein allzu guter CEO – aber wir hatten ihn in die Familie einbinden wollen.
Dumont Foods war eine weltweit bekannte Marke. Abgesehen von den Supermärkten und den Restaurants, führten wir auch eine große Onlineplattform, die irgendwie ein Eigenleben entwickelt hatte. Dort konnten Kunden Rezepte suchen, Gourmet-Lebensmittel bestellen und jede Menge Dinge mehr. Die zentrale Versandstelle lag in L. A., und das Team dort leistete hervorragende Arbeit. Ich liebte unsere Firma. Das Geschäft lag mir im Blut.
Schon in meinen frühesten Erinnerungen an meine Eltern hatte ich sie in Restaurants begleitet und dort in den Küchen gespielt. Sie hatten uns immer mit zur Arbeit genommen, und als Kinder hatte uns das begeistert. Sowohl meine Schwester als auch ich hatten uns ganz dem Familienimperium verschrieben.
Anne und ich hatten beide eine Ausbildung in Kulinarik und Betriebswirtschaft. In diesem Metier musste man in beiden Bereichen firm sein. Anne war ein Jahr älter als ich, und wir hatten stets alles gemeinsam gemacht – abgesehen von dem einen Jahr nach dem College, als ich einen Kochkurs in Frankreich besucht hatte, in der Stadt, aus der mein Großvater ursprünglich stammte. Sie dagegen war auf eine Schule in New York gegangen, wo sie ihren späteren – inzwischen geschiedenen – Ehemann kennenlernte. Und ich musste zugegeben, ich hatte Walter damals auch gemocht. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass er so ein Mistkerl war. Aber hinterher war man immer klüger. Anne und ich würden auch das gemeinsam überstehen, wie üblich. Selbst mit dreiunddreißig stand ich ihr noch so nahe wie in unserer Kindheit und Jugend.
Als ich das Gebäude betrat, stiegen Erinnerungen an unsere Eltern in mir auf. Bei dem Gedanken an diese Zeiten lachte ich leise, bevor ich wieder ernst wurde, um mich mit meinem Team zu treffen. Meinen Angestellten gegenüber trat ich stets professionell auf. Und das wussten sie auch zu schätzen.
Das Team hatte sich bereits im Sitzungszimmer versammelt. Sobald ich aus dem Aufzug trat, richteten sich alle höher auf. Ich arbeitete hart. So hatte ich mir vor Jahren ihren Respekt verschafft, als ich mit sechsundzwanzig an der Seite meines Vaters in die Firma eingestiegen war. Doch da ich einige Jahre nicht mehr hier gewesen war, mussten sich die Angestellten erst wieder an meine ständige Anwesenheit gewöhnen.
»Lasst uns anfangen«, sagte ich mit einem Nicken. Die meisten hatten sich schon gesetzt. »Hallo, zusammen! Danke, dass ihr gekommen seid. Anne und ich hatten gerade die Verkostung, und wir fanden die leichten Veränderungen der Rezepte wunderbar. Gut gemacht!«
Die Speisekarte würde auf jeden Fall angepasst werden, egal, ob Anne und ich die neuen Speisen mochten … weil die Restaurants dem Kundengeschmack folgten, nicht unserem. Aber es war Tradition, dass wir alles probierten. Und ich machte meinem Team gern Komplimente. Ein paar Leute nickten, andere zuckten nur mit den Achseln. Dann drückte ich eine Taste an dem Laptop, den meine Assistentin bereits für mich aufgestellt hatte, sodass hinter mir auf der Leinwand eine Präsentation erschien.
»Wie ihr wisst, trete ich an die Stelle meines Schwagers. Die letzten Jahre habe ich in L. A. verbracht, wo unsere Restaurants inzwischen gewinnbringender arbeiten als an der Ostküste. Unser Ziel ist es, die Profitabilität auch hier anzuheben. Ich werde euch meine Pläne darlegen, und ich freue mich auf eure Ideen. Wir haben Juli. Um Weihnachten herum möchte ich, dass wir an der Ostküste genauso viel Gewinn machen wie an der Westküste.«
Um die Reaktionen abzuschätzen, ließ ich den Blick durch den Raum gleiten. Ich konnte quasi hören, wie die meisten dachten: Ja, er ist genauso anspruchsvoll, wie ich ihn in Erinnerung habe. Auch wenn diejenigen, die noch nicht mit mir gearbeitet hatten, wahrscheinlich dachten: Ja, er ist genauso anspruchsvoll, wie alle sagen.
Ich wollte Erfolg haben; wollte dem Dumont-Imperium meinen Stempel aufdrücken. Zweifellos hatte ich hohe Ansprüche, doch ich gab immer hundert Prozent und erwartete daher auch vollen Einsatz von denjenigen, die für mich arbeiteten. Ja, ich konnte ein harter Hund sein … aber eigentlich war ich nur schwer zufriedenzustellen.
Skye
»Okay. Ich glaube, es ist alles bereit«, murmelte ich und sah auf die Uhr an meinem Handy. In zehn Minuten würden die ersten Interessenten auftauchen. Bestimmt sah ich schrecklich aus, aber daran ließ sich jetzt nichts mehr ändern.
Die zukünftigen Besitzer würden ihre Kaufentscheidung vom Haus abhängig machen, nicht davon, wie ich zurechtgemacht war.
Zum Glück hatte ich es gerade noch geschafft, rechtzeitig aus Lower Manhattan herzukommen, um noch einmal alles zu überprüfen. Ich lebte nebenan. Als meine Nachbarn ausgezogen waren, hatten sie mich gebeten, mich um den Verkauf zu kümmern. Ihre jüngste Tochter war schwer krank geworden, also hatten sie ihre Jobs hier gekündigt und waren nach Houston gezogen, damit ihre Familien ihnen bei der Pflege helfen konnten. Ich vermisste meine Nachbarn und hoffte inständig, dass sie sich schnell von dem Schicksalsschlag erholten und sich in Texas gut einlebten. Mittlerweile hatte die Mutter bereits eine Stelle gefunden, aber trotzdem hatten sie finanzielle Probleme. Natürlich hatte ich Ja gesagt, denn ich wollte ihnen helfen. Zu Collegezeiten hatte ich Teilzeit in einer Maklerfirma gearbeitet, also wusste ich über die Grundlagen Bescheid – und da ein Freund der Familie Anwalt war, würde er sich um alle rechtlichen Fragen kümmern. Meine Aufgabe bestand lediglich darin, den Interessenten das Haus zu zeigen. Das klang einfach … doch mit unserem Dessousladen und der Pendelei war die letzte Woche ziemlich hektisch gewesen.
Also hatte ich beschlossen, alle Interessenten zur selben Zeit herzubestellen, in der Hoffnung, jemand würde Interesse am Haus bekunden. Es sollten zwei Familien mit Kindern kommen, ein alleinstehender Mann und ein älteres Paar.
Insgeheim drückte ich die Daumen, dass eine der Familien das Haus kaufte. Mir gefiel die Vorstellung, neben Kindern zu wohnen.
Noch fünf Minuten.
Ich musterte mich kurz im Badezimmerspiegel und strich mir mit den Fingern durchs Haar. Meine schulterlangen dunkelbraunen Locken waren ganz zerzaust. Ich trug sie gerade geschnitten, mit einem Pony, dessen Länge mir genau auf Höhe der Brauen endete. Ich liebte diese Frisur – für gewöhnlich wirkte sie kultiviert. Doch im Moment sahen meine Haare einfach nur schrecklich aus. Der schwarze Eyeliner, der meine blauen Augen umrahmte, war ein wenig verschmiert. Ich wirkte einfach unprofessionell, was mir gar nicht ähnlich sah. Doch mir fehlte die Zeit, noch mal in mein Haus nebenan zu huschen und mein Make-up aufzufrischen. Allerdings wusch ich mich kurz am Waschbecken – verschwitzte Achselhöhlen waren wirklich inakzeptabel.
Um Punkt sieben Uhr klingelte es an der Tür. Beide Familien kamen gleichzeitig an, ohne ihre Kinder. Ein paar Minuten später erschien auch das ältere Paar.
»Wenn Sie möchten, können Sie sich gern schon ein wenig umsehen«, bot ich ihnen an. »Wenn Sie Fragen haben, stehe ich natürlich jederzeit zur Verfügung. Ich warte noch auf einen Interessenten. Oder Sie warten kurz mit mir, und dann führe ich Sie gemeinsam durchs Haus.«
»Wir werden warten«, sagte eine Frau. Der Rest nickte.
Ich hoffte fast, dass der Kerl nicht auftauchen würde. Eines der Paare fand ich sehr sympathisch … und weniger Interessenten bedeuteten auch immer weniger Fragen.
»Okay, dann lassen Sie uns mit der Führung beginnen«, meinte ich fünf Minuten später. »Sieht aus, als …«
Ein Klingeln an der Tür unterbrach mich.
»Ah, einen Moment bitte. Anscheinend ist der letzte Interessent doch noch gekommen.«
Ich öffnete die Tür, nur um mich dem atemberaubendsten Mann gegenüberzusehen, der mir seit langer Zeit begegnet war.
»Guten Abend. Ich bin Robert Dumont. Ich bin hier, um mir das Haus anzusehen.«
»Ja, wir wollten gerade anfangen.« Seine Augen faszinierten mich. Sie waren so leuchtend, dass ich den Blick nicht abwenden konnte.
Dann trat ich einen Schritt zurück, damit er hereinkommen konnte. Sein Haar war leicht gelockt und lag farblich irgendwo zwischen dunkelbraun und schwarz. Und diese Augen! Dunkelgrün mit dichten Wimpern. Sie waren einfach unglaublich. Dieser Kerl war wahnsinnig attraktiv, und ich wünschte mir, ich hätte mein Make-up doch aufgefrischt. Ich ertappte mich dabei, wie ich mein fliederfarbenes Kleid glatt strich, und verschränkte eilig die Hände hinter dem Rücken. Der Mann machte mich jetzt schon nervös.
Robert musste mindestens einen Meter fünfundachtzig groß sein und war wie ein Profi-Athlet gebaut. Gott, ich konnte einfach nicht aufhören, ihn anzustarren. Er trug Jeans und ein schwarzes Hemd. Der oberste Knopf stand offen und enthüllte ein bisschen Haut. Meine Wangen brannten, und mein Hirn schien in Stand-by-Modus geschaltet zu haben. Wow, so gewinnt man Leute für sich, Skye.
»Sollen wir uns den anderen anschließen?« Als wir uns der Gruppe der anderen Interessenten näherten, wurde mir klar, dass Robert nicht nur mir positiv auffiel. Alle drei anwesenden Frauen wandten sich ihm instinktiv zu, und zwei von ihnen erröteten. Die Männer dagegen musterten ihn wenig begeistert.
»Okay, dann geht es jetzt los«, sagte ich. »Ich werde Sie durch alle Räume führen, und danach haben Sie eine Viertelstunde Zeit, um sich das Haus alleine anzusehen. Sie haben alle die wichtigsten Informationen per E-Mail erhalten, aber natürlich beantworte ich gern alle zusätzlichen Fragen, soweit es mir möglich ist. Wenn ich etwas nicht weiß, werde ich die Frage an die Besitzer weiterleiten und mich morgen bei Ihnen melden.«
Ich sah von einem zum anderen und versuchte, nicht nervös zu werden, als ich Roberts Blick auffing. Großer Gott, er war wahnsinnig attraktiv! New York war voller gut aussehender Männer, aber Robert Dumont stach wirklich hervor.
Ich drehte mich auf dem Absatz um und begann, die Gruppe durchs Haus zu führen. Es war ein wunderschönes Gebäude. Die Familie hatte drei Jahre hier gelebt, bevor ihre finanzielle Situation von gut in katastrophal umgeschlagen war. Natürlich waren die Möbel verschwunden, doch ich erinnerte mich daran, mit welcher Liebe zum Detail die Räume eingerichtet gewesen waren. Die Wände in den Schlafzimmern waren jeweils in unterschiedlichen Farben gestrichen gewesen. Und auch im Wohnzimmer hatte eine Wand in warmem Terrakotta einen warmen Akzent neben der Kücheninsel gesetzt. Jetzt war alles weiß, weil das Fachleuten zufolge den Verkaufserfolg erhöhte.
Im Wohnzimmer gab es einen Kamin mit einem tiefen Sims aus Marmor darüber, auf dem man Bilder aufstellen konnte. Die Küche war der einzige Raum, der noch aussah wie früher – eine Mischung im Scandi-Style aus Weiß und Holz mit einer Arbeitsfläche aus Granit.
Wohnzimmer und Küche gingen ineinander über, und am Ende des Flurs befand sich noch ein geräumiges Gästezimmer.
Im oberen Stockwerk gab es ein Elternschlafzimmer mit angeschlossenem Bad und begehbarem Kleiderschrank. Der ausgebaute Dachboden war riesig, sodass er als Büro oder als weiteres Schlafzimmer genutzt werden konnte. Hin und wieder sah ich zu den Interessenten zurück, um ihre Reaktionen abzuschätzen.
Ähm … okay, ich konnte mir nichts vormachen. Am häufigsten schaute ich Robert an.
»Okay, das war’s. Möchte noch jemand die Garage sehen?«
Die meisten lehnten ab, doch das ältere Paar nickte.
»Okay, dann kommen Sie bitte mit mir mit. Alle anderen können sich gern umsehen. Sobald ich die Garage gezeigt habe, stehe ich Ihnen im Erdgeschoss zur Verfügung, falls Sie Fragen haben.«
Der Ausflug in die Garage dauerte nicht lang. Unglücklicherweise wurde schnell deutlich, dass das ältere Paar nichts mit dem Haus anfangen konnte.
»Das ist nicht ganz das, wonach wir suchen, fürchte ich«, sagte die Frau. »Trotzdem danke für die Führung. Wir werden gleich aufbrechen, aber ich wünsche Ihnen viel Glück mit den anderen.«
»Danke für Ihren Besuch und einen schönen Abend noch.«
Ein wenig enttäuscht ging ich wieder hinein. Das Wohnzimmer war leer, was ich als gutes Zeichen deutete. Anscheinend sahen sich alle noch um – was ein gewisses Interesse signalisierte. Einer der heutigen Interessenten würde das Haus kaufen, da war ich mir sicher.
Ich wollte Tess, meine Schwester, anrufen. Uns gehörte ein Dessousladen in der Stadt, und abends war immer viel los. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich sie allein im Geschäft zurückgelassen hatte, doch am Abend hatten die meisten Leute Zeit.
Gerade als ich nach meinem Handy griff, hörte ich, wie hinter mir jemand ins Wohnzimmer trat. Noch bevor ich mich umdrehte, wusste ich, dass es Robert war. Keine Ahnung, wieso mir das klar war, aber kaum trafen sich unsere Blicke, beschleunigte sich mein Pulsschlag. Ich benetzte die Lippen und schob mir eine Strähne hinters Ohr.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich.
»Ja. Ich hätte nur ein paar Fragen.«
»Natürlich.«
»Könnte ich das Haus sofort beziehen?«
»Ja.« Wow. Er dachte ernsthaft darüber nach? Mein Herz raste.
»Gut. Im Moment gibt es hier keine Möbel, aber ist irgendetwas eingelagert?«
»Die Familie hat ihre Einrichtung mitgenommen. Ich fürchte, dabei können wir Ihnen nicht helfen.«
Er rieb sich stirnrunzelnd das Kinn. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er zu den Menschen gehörte, die immer alles startbereit haben wollten.
»In Ordnung. Ich werde mir etwas einfallen lassen. Eins noch: Ist Ihre Maklergebühr bereits in den Kosten auf der Webseite inbegriffen, oder wird diese zusätzlich berechnet? Das wurde aus den Angaben nicht ganz klar.«
Ha! Er hielt mich für eine echte Maklerin.
»Oh, ich bekomme kein Geld. Ich wollte einfach bloß der Familie helfen. Ich bin keine Maklerin … aber ich werde Ihnen natürlich trotzdem bei allen Formalitäten, die den Kauf betreffen, behilflich sein.«
Er zog die Augenbrauen hoch, was mich darauf aufmerksam machte, wie seltsam das klang.
»Die jüngste Tochter der Familie ist krank geworden, deswegen mussten die Besitzer nach Houston umziehen. Das Geld ist knapp, daher wollten sie keine Maklergebühr zahlen. Ich zeige Leuten das Haus, und für die rechtlichen Fragen gibt es einen Anwalt«, fügte ich hinzu, obwohl er nicht nachgefragt hatte. Doch alles an ihm – von seiner Körpersprache bis zu seinem Tonfall – verriet mir, dass er es gewöhnt war, über alles ganz genau Bescheid zu wissen; das Sagen zu haben. Und verdammt, das gefiel mir ein wenig zu gut. Blieb nur zu hoffen, dass er die Informationen nicht nutzte, um den Preis zu drücken, aber dann konnte die Familie den Verkauf immer noch ablehnen.
»Für den Fall, dass sich nach dem Kauf noch etwas ergibt und ich die ehemaligen Besitzer kontaktieren muss … wie erreiche ich sie?«
»Über ihren Anwalt oder mich.«
»Und wie kann ich Sie kontaktieren?«
»Schreiben Sie mir eine E-Mail oder rufen Sie mich an. Oder Sie werfen Steine an mein Fenster.« Ich lächelte, doch gleichzeitig stieg ein seltsames Lachen aus meiner Kehle, das eher klang wie ein Schluckauf. Was geschah hier? »Wir werden Nachbarn sein … ich lebe nebenan.«
»Wenn das kein Pluspunkt ist. Mit diesem Verkaufsargument hätten Sie die Präsentation eröffnen sollen.«
Großer Gott. Fast hätte ich angetan geseufzt. Meine Kehle wurde eng, als Roberts Blick bewusst langsam über meinen Körper glitt. Mir wurde von einem Moment auf den anderen so heiß, dass ich mich nach einem Glas kaltem Wasser sehnte … oder noch besser gleich nach einem Eimer, den ich mir über den Kopf schütten konnte.
Einen Moment später erschienen die beiden Paare und bombardierten mich mit Fragen. Überwiegend standen die Antworten bereits in den Verkaufsinformationen, die sie erhalten hatten, doch das machte mir nichts aus. Ich fühlte Roberts glühenden Blick. Er sagte kaum etwas, aber trotzdem beherrschte er den Raum. Er war selbstbewusst und sexy, als läge ihm nicht nur die Welt, sondern gleich das ganze Universum zu Füßen.
Ich fragte mich, wieso er überhaupt hier leben wollte. Er sah aus, als gehöre er in ein Penthouse in Manhattan. Die ehemaligen Besitzer hatten darauf bestanden, dass jeder Interessent vor dem Besichtigungstermin eine Selbstauskunft ausfüllte, damit ich meine Zeit nicht verschwendete. Robert hatte seine ehemalige Adresse und seine Position angegeben, also wusste ich, dass er der CEO einer Firma war und von L. A. hierherzog. Ehrlich, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, neben diesem Adonis zu wohnen.
»Okay, ich denke, damit hätten wir alles geklärt«, sagte ich nach einer letzten Frage. »Bitte lassen Sie mich in den nächsten drei Tagen wissen, ob Sie Interesse haben.«
»Können wir uns noch mal umsehen?«, fragte ein Mann. »Danach finden wir selbst raus.«
Ich war so glücklich, dass ich am liebsten einen Freudentanz aufgeführt hätte. Sie würden das Haus kaufen, da war ich mir sicher.
»Natürlich.«
»Ich werde mich auch noch mal umschauen«, meinte Robert, den Blick unverwandt auf mich gerichtet.
Verdammt. Und schon wieder wallte Hitze in mir auf.
Das zweite Paar ging, während sich Robert und das erste Paar erneut in den ersten Stock begaben.
Diesmal schaffte ich es, Tess anzurufen.
»Hey! Alles okay bei dir?«, fragte ich.
»Ja. War ein erfolgreicher Abend. Zwanzig Prozent mehr Verkäufe als gestern.«
»Super.«
»Wie lief es bei der Hausbesichtigung?«
»Ich bin noch hier und warte, weil drei Leute sich noch mal umsehen wollten.«
»Familien?«
»Ein Paar mit Kindern und ein alleinstehender Mann.«
»Dumont?«, fragte sie. Sie hatte mit mir zusammen die Unterlagen der Interessenten durchgesehen.
»Genau der.«
»Wie ist er so?«
»Ähm, lass mich überlegen, wie ich ihn am besten beschreiben kann. Superheiß oder einfach atemberaubend. Er hat grüne Augen und jede Menge Muskeln. Ich bin fast überrascht, dass ich bei seinem Anblick nicht in Flammen aufgegangen bin.«
»Wow. Wie viele Muskeln konntest du tatsächlich sehen?«
»Keine. Aber sein Hintern ist selbst in Jeans unglaublich knackig. Und unter seinem Hemd haben sich Bauchmuskeln abgezeichnet.«
Ein leises Geräusch hinter mir verriet mir, dass ich nicht länger allein war. Mist. Langsam drehte ich mich um. Robert stand auf der untersten Treppenstufe und lächelte mich an.
»Tess, ich muss aufhören«, murmelte ich. O Gott, das durfte er nicht gehört haben.
»Was? Aber es wird gerade erst interessant. Außerdem …«
Ich legte auf und presste mir das Handy an die Brust.
Verdammt! Er hatte mich belauscht, da war ich mir sicher. Meine Wangen brannten.
»Noch Fragen?«, meinte ich.
Sein Lächeln wurde nur noch breiter. Seine männliche Ausstrahlung schien mich zu umfangen, als er näher trat.
»Eine oder zwei … aber ich glaube, es wäre besser, wenn ich sie für mich behalte.«
Rob
Ich bekam Skye Winchester einfach nicht aus dem Kopf. Die Frau war unglaublich heiß … und ich wusste, dass sie das Knistern zwischen uns auch gespürt hatte. Das hatte ich an ihrer Körpersprache genauso erkannt wie an der Beschreibung, die sie am Telefon von mir geliefert hatte. Ihre wilde Mähne und ihren kurvenreicher Körper hatte ich ständig vor Augen.
Nach der Hausbesichtigung fuhr ich zurück nach Manhattan. Vorübergehend wohnte ich in einem Hotel neben dem Central Park. Gerade war ich zu einer Joggingrunde aufgebrochen, doch ich musste zugeben, dass ich vollkommen vergessen hatte, wie schwül es im Sommer in New York war – selbst abends. Die meisten Leute joggten lieber früh am Morgen, aber ich lief lieber abends. So bekam ich den Kopf frei, bevor ich ins Bett ging.
Doch heute Abend schien das Joggen den gegenteiligen Effekt zu haben. Je schneller ich lief, desto deutlicher sah ich Skye vor meinem inneren Auge. Sie hatte sich so viel Mühe mit der Präsentation des Hauses gegeben, obwohl sie nicht einmal etwas daran verdiente. Sie wollte einfach nur ihren ehemaligen Nachbarn helfen. Ich konnte mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal jemanden getroffen hatte, der anderen Leuten half, ohne etwas dafür zu erwarten – egal, von wem.
Dann lachte ich leise, als mir wieder einfiel, wie nervös sie geworden war, sobald sie verstanden hatte, dass ich sie belauscht hatte; wie sie errötet war. Ich hatte kurz davor gestanden, die Frau zu küssen, obwohl ich sie gerade erst kennengelernt hatte.
Schließlich erhöhte ich meine Geschwindigkeit noch einmal und keuchte in der schwülen Luft. Das Rauschen des Blutes in meinen Ohren übertönte alle anderen Geräusche. Doch ich fand keine Klarheit, sondern stellte mir immer wieder vor, wie Skye wohl reagieren würden, wenn ich sie küsste oder berührte. Ich war niemand, der leicht aufgab, aber langsam musste ich mir eingestehen, dass ich Skye heute Abend nicht mehr aus meinen Gedanken vertreiben würde.
Ich reduzierte mein Tempo, als mein Handy brummte. Anne rief mich an.
»Hey! Ich jogge gerade«, keuchte ich ins Mikro.
»Wow. Selbst nach diesem langen Tag? Ich sollte mir von dir eine Scheibe abschneiden. Ach nein, warte. Ich hasse Joggen. Ist egal. Ich habe gehört, dass du heute das ganze Team in Angst und Schrecken versetzt hast?«
Ich grinste. »Ein paar von ihnen sahen wirklich aus, als würden sie sich gleich in die Hose machen. Aber sie werden sich schon daran gewöhnen.«
»Darauf wette ich. Wie hat dir das Haus gefallen? Ist es das, wonach du suchst?«
»Das Haus ist okay. Groß, aber du kennst mich … ich mag meinen Freiraum.«
»Also wirst du es nehmen?«
»Bin mir noch nicht sicher.«
Anne stöhnte. »Warum nicht?«
Ich lachte und konnte selbst kaum fassen, was ich gleich sagen würde. »Ich fühle mich von der Frau angezogen, die uns das Haus gezeigt hat. Sie lebt direkt nebenan.«
»Rob … wenn du so weitermachst, wirst du nie eine eigene Bleibe finden.«
Mist. Ich wollte meine Schwester nicht enttäuschen. Ich war entschlossen, ihr in diesen schweren Zeiten zur Seite zu stehen. Jeder Tag, den ich mit Haussuche verbrachte, war ein weiterer Tag, an dem ich nicht für sie da sein konnte. Und das Haus lag nah bei Anne.
»Ich denke noch nach«, erklärte ich, in der Hoffnung, sie so zu beruhigen.
»Gut. Aber lass diese arme Frau in Ruhe.«
»Ja, Ma’am.«
»Ich meine das ernst.«
»Ich hatte es auch nicht für einen Scherz gehalten«, versicherte ich ihr. Ich war nicht gerade dafür bekannt, lange Beziehungen zu haben. In den letzten paar Jahren hatte ich nicht mal daran gedacht, mich zu binden. Ich war von New York nach Paris gezogen, um auf die Kochschule zu gehen, dann wieder nach New York und schließlich nach L. A. Die letzte feste Freundin hatte ich in der Highschool gehabt. Ich war zu oft umgezogen, hatte der Firma zu viel meiner Zeit geschenkt, um auch nur an eine Partnerin zu denken. Und ich ging nicht davon aus, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern würde … wenn man bedachte, wo ich momentan stand. Ich musste die Firma hier in New York wieder auf Kurs bringen und mich außerdem um Lindsay und Anne kümmern.
»Wirklich. Brich ihr nicht das Herz.«
»Autsch.«
»Oh, tut mir leid … nach allem, was mit Walter passiert ist, bin ich vielleicht einfach überempfindlich.«
Ihr Tonfall traf mich wie ein Stich ins Herz.
Dieser Mistkerl und ich hatten rein nichts gemeinsam, aber ich wusste, dass Anne litt. Die Scheidung hatte sie schwer getroffen.
Ich führte keine Beziehungen, doch ich ging offen mit dieser Information um. Die Frauen, mit denen ich ausging, führte ich weder an der Nase herum, noch behandelte ich sie schlecht. Ich hatte nicht vor, eine Frau zu heiraten und sie dann zehn Jahre lang zu betrügen. Ich ballte die freie Hand zur Faust. Jedes Mal, wenn ich über diesen Drecksack nachdachte, wollte ich auf etwas einschlagen.
»Ich wollte damit nur sagen, dass so was kompliziert werden kann. Und das willst du sicher lieber vermeiden, schließlich geht es um deine Nachbarin.«
Das stimmte, besonders, da ich vorhatte, mir ein Haus zu kaufen, statt nur zu mieten.
Das war mir einfach lieber. Ich besaß sogar ein Haus in L. A., obwohl von Anfang an klar gewesen war, dass ich nicht ewig in der Stadt bleiben würde. Doch ich konnte mich einfach nicht richtig entspannen, wenn mein Zuhause mir nicht gehörte.
»Anne, ich werde bald etwas finden. Ich verspreche es. Kann ich kurz mit Lindsay reden?«
»Na klar.«
Ein paar Sekunden später erklang das Kichern meiner Nichte. »Hi, Onkel Rob.«
»Hey, Spatz. Wie geht es dir?«
Ich hielt an, bevor ich den Park verließ, weil ich nicht wollte, dass der Verkehrslärm das Gespräch störte.
»Wann ziehst du in unsere Nähe?«, fragte sie.
»Bald«, versprach ich.
»Wirst du dann mit mir Eis essen gehen, so wie Daddy es gemacht hat?«
»Aber sicher.«
»Ja! Weißt du, wieso Daddy mich nie anruft? Mommy sagt, er wäre beschäftigt.«
Ich biss die Zähne zusammen, ehe ich mir mit der Hand durchs Haar fuhr. Ich hatte Anne versprochen, dass ich vor Lindsay nie schlecht über Walter sprechen würde … und diesbezüglich wollte ich mein Wort halten. Aber wenn dieser Arsch nicht mal seine Tochter anrief, wurde es wirklich Zeit, dass wir beide uns mal unter vier Augen unterhielten.
»Deine Mom hat recht.«
»Okay. Wenn du umziehst, kannst du mir dann beibringen, wie man Pommes macht?«
»Wir können es versuchen.« Ich grinste breit und nahm mir vor, Anne später damit aufzuziehen. Anne und ich lagen in einem freundschaftlichen Wettstreit darum, in welchen Teil der Firma Lindsay wohl einsteigen würde, wenn sie erwachsen war: die Restaurants oder die Supermärkte. Bisher hatten die Restaurants definitiv die Nase vorn. Und da ich bald in ihrer Nähe wohnen würde, würden sich unzählige Gelegenheiten ergeben, Lindsay ein paar Küchentricks beizubringen.
Anne hatte nie gern gekocht – oder zumindest tat sie das nicht so gern wie ich. Deswegen hatte sie sich auch für den Supermarkt-Teil des Unternehmens entschieden.
Der Wettstreit war einfach nur ein netter Zeitvertreib, weil Lindsay sich auch entscheiden könnte, einen ganz anderen Weg einzuschlagen – was natürlich völlig in Ordnung wäre. Wir wollten sie nicht unter Druck setzen, so wie unsere Eltern uns nicht unter Druck gesetzt hatten. Wir hatten uns aus freiem Willen entschieden, im Familienunternehmen zu arbeiten, weil es uns Spaß machte.
»Ich hab dich lieb, Onkel Rob.«
»Ich dich auch.«
Ich hatte mich noch nicht daran gewöhnt, die Worte zu hören. Lindsay hatte erst vor Kurzem damit angefangen … und ich meinte zu wissen, was der Grund dafür war. Sie vermisste ihren Vater. Natürlich konnte ich ihn nicht ersetzen, aber ich wollte auf jede mögliche Art für sie da sein. Anne und ich hatten eine glückliche Kindheit gehabt, und ich wollte Lindsay dasselbe ermöglichen.
Dann legte ich auf, nahm einen Schluck Wasser und atmete tief durch, während ich darüber nachdachte, ob ich noch ein paar Kilometer laufen sollte. Ich hatte ganz vergessen, dass der Central Park der offizielle Versammlungsort von Manhattan war. Ich entdeckte Paare, die einen Spaziergang machten, und auch ein paar andere Jogger, die unter dem dichten Blätterdach der Bäume ihre Runden zogen. Irgendwo in der Nähe hörte jemand laute Musik.
Langsam ließ ich den Tag hinter mir, auch wenn ich immer noch darüber nachdachte, ob ich mir vielleicht einen weniger strengen Führungsstil aneignen sollte. Aber so war ich nun einmal. Dad war ähnlich gewesen.
Er hatte immer behauptet, ich wäre der geborene Anführer. Schon als Dad noch der CEO gewesen war, hatte es mir in den Fingern gejuckt, gewisse Änderungen in die Wege zu leiten. Ich war jung gewesen und hatte ihn stolz machen wollen. Und das wollte ich nach wie vor. Er und Mom genossen ihr Leben in Südfrankreich in vollen Zügen und erkundigten sich nur selten nach der Firma. Doch jedes Mal, wenn Anne und ich ihnen unsere Geschäftszahlen präsentierten, freuten sie sich wie die Schneekönige. Dass ich so ein harter Hund war (ja, mir selbst gegenüber konnte ich das durchaus eingestehen), hatte sich ausgezahlt, also ergab es keinen Sinn, etwas daran zu ändern.
Erneut sah ich mir die Fotos vom Haus an. In jedem Bild konnte ich mir Skye vorstellen. Lachend schüttelte ich den Kopf.
Das Haus gefiel mir. Es war nicht genau das, was ich mir vorgestellt hatte, aber irgendetwas daran sprach mich einfach an. Ich konnte mich darin leben sehen, ohne dass ich eine echte Erklärung dafür hätte – was bei mir nur selten vorkam. Ich war rational, wog Vor- und Nachteile sorgfältig ab. Nie folgte ich Eingebungen oder meinem Instinkt.
Doch jetzt war ich hin- und hergerissen. In Bezug auf das Haus mochte ich noch zu keiner Entscheidung gekommen sein, aber zwei Dinge wusste ich sicher.
Erstens: Ich würde meine Schwester und meine Nichte nicht im Stich lassen.
Zweitens: Ich begehrte Skye Winchester.
Skye
Seit der Highschool-Zeit hatte ich mich nicht mehr so zum Narren gemacht. Die Verlegenheit ließ mich den gesamten Abend nicht los. Glücklicherweise hatte sich uns das andere Paar angeschlossen, bevor es echt peinlich werden konnte, doch danach hatte ich Robert nicht mehr ins Gesicht sehen können. Sogar am nächsten Morgen auf dem Weg nach Soho war ich noch peinlich berührt. Soho war mein liebstes Stadtviertel – weil es anders war als jede andere Gegend von New York. Auf dem Broadway gab es die großen Ladenketten, Cafés, Kunstgalerien und Restaurants, ganz zu schweigen von den Straßenverkäufern und improvisierten Flohmärkten.
Doch ich hatte eine Schwäche für die Geschäfte in den schmaleren, weniger überlaufenen Seitenstraßen, wie unsere Boutique – Soho Lingerie. In diesen versteckten Gassen konnte man wahre Kostbarkeiten finden; einzigartige Läden, die jeden Geschmack zufriedenstellten. Ich hielt kurz bei Joe an, wo ich jeden Morgen meinen Kaffee kaufte. Jahrelang hatte ich auf Starbucks geschworen, doch als wir unseren Laden eröffnet hatten, hatte ich mich entschieden, die ansässigen Unternehmen zu unterstützen.
»Einen Latte, bitte«, sagte ich zu Joe. »Und einen Cappuccino.«
»Ist der auch für dich? Oder für Tess?«, fragte Joe.
Ich grinste. Meine Koffeinabhängigkeit hatte sich offenbar herumgesprochen, wenn sogar Joe versuchte, mich zu zügeln.
»Natürlich für Tess.«
»Kommt sofort.«
So, wie ich meine Schwester kannte, war sie bereits seit zwei Stunden im Laden und brauchte ihren zweiten Koffeinschub. Der Kaffeeduft in der Luft ließ mich an die Zeit zurückdenken, als ich in einem kleinen Labor gearbeitet hatte, direkt nach dem College. Seitdem war ich süchtig nach Kaffee. Ich hatte einen Abschluss in Biotechnologie gemacht und die Arbeit im Labor wirklich geliebt. Zwei Jahre später hatte eine Modefirma beim Labor angefragt, ob wir einen ganz speziellen Stoff für sie entwickeln konnten. Mit dem besagten Unternehmen hatte ich drei Jahre lang zusammengearbeitet und dann als Direktorin bei R&D angefangen. Nichts davon hatte mich wirklich darauf vorbereitet, einen eigenen Laden zu führen, aber ich hatte den Sprung trotzdem gewagt. Obwohl ich mich damit aus meiner Komfortzone begeben hatte, liebte ich, was wir taten: Wir kreierten Dessous und Unterwäsche für Frauen aller Größen und Formen. Ich wollte, dass jede Frau sich in ihrem Körper wohlfühlte … stolz auf sich selbst war. Das war meine Mission.
Außerdem fand ich es toll, mein eigener Chef zu sein. Ich konnte hart arbeiten, aber ich folgte nicht gern den Befehlen anderer. Es war wunderbar, selbst bestimmen zu können, wann ich was tun wollte. Zugegeben, im letzten Jahr hatte das bedeutet, mehr oder minder rund um die Uhr zu arbeiten, doch ich war mir sicher, dass sich alles legen würde … irgendwann.
Das Coolste war allerdings, mit meiner Schwester zusammenzuarbeiten. Tess und ich waren ein eingespieltes Team. Und wir ergänzten uns auch in dem, was wir konnten … was echt praktisch war.
»Guten Morgen, Schwesterherz«, rief ich, als ich Soho Lingerie betrat. Wir hatten uns schnell für den Namen entschieden – weil er aus zwei guten Keywords für Suchmaschinen bestand. Wenn wir irgendwann expandierten (wir strebten natürlich nach Höherem), würde uns das helfen. Soho war überall auf der Welt ein Begriff.
Tess sah auf. Sie stand über ihren Laptop gebeugt am Tresen. »Ooooh, du bringst Kaffee. Ich schwöre, ich liebe dich mit jedem Tag noch mehr.«
Ich reichte ihr den Cappuccino und bewunderte gleichzeitig den Modegeschmack meiner Schwester. Momentan trug sie ein knielanges weißes Spitzenkleid mit langen Ärmeln, ergänzt durch einen breiten, roten Gürtel um die Taille. Tess sah immer fantastisch aus, egal, was sie trug. Sie hatte ihren ganz eigenen Stil. Ihr Haar war hellbraun, durchsetzt von blond – manchmal ließ sie sich auch grüne oder pinkfarbene Strähnchen färben. Inzwischen war ihr Haar so lang, dass es ihr fast bis auf die Taille fiel.
Ich spähte über ihre Schulter. »Was tust du gerade?«
»Ich antworte auf Beschwerden.«
»Wir sollten wirklich jemand anstellen, der uns mit dem Onlineshop hilft.«
Tess’ Lippen wurden schmal. »Wir kommen schon klar.«
Na ja … nur dass wir das eben nicht taten. Unsere E-Mails hatten sich genauso aufgestaut wie Bestellungen und … alles andere. Wir unterhielten den Onlineshop bereits seit vier Jahren. Zuerst hatten wir ihn geführt, während wir gleichzeitig Vollzeit gearbeitet hatten. Ich konnte mich nur dunkel an diese Zeit erinnern, als hätte jemand anders sie durchlebt. Wir hatten unsere Jobs gekündigt, bevor wir unser Ladengeschäft eröffnet hatten. Ich liebte den Kontakt mit den Kundinnen; fand es wunderbar, die richtige Unterwäsche für sie zu finden.
Und ungelogen: Ich liebte jeden Winkel unseres Geschäfts. Wir hatten alles persönlich ausgesucht. Die gemütlichen Sofas waren mit dunkelgrünem Samt bezogen. Es gab zwei davon, eines im Eingangsbereich und ein weiteres hinten, als Abtrennung vor den Umkleidekabinen. Die Wände strahlten in sanftem Rosa, und die Messinglampen waren einfach schön. Den ursprünglichen Bodenbelag hatten wir herausgerissen. Es war ein tolles Holzparkett gewesen, nur leider an manchen Stellen viel zu dunkel – also hatten wir es gegen ein helles Eichenparkett ausgetauscht, was den Laden gleich größer wirken ließ.
Doch sosehr ich unseren Laden auch liebte, konnte ich nicht leugnen, dass wir uns in einem Hamsterrad befanden. Die Arbeit nahm einfach kein Ende.
Wir hatten zwei Verkäuferinnen, Jane und Olive, erledigten aber immer noch viel zu viel selbst. Doch wir besaßen auch eine Geheimwaffe: unsere Familie.
Wir Winchesters standen uns sehr nahe … und es gab eine Menge von uns. Tess war die Älteste. Danach kam unser Cousin Hunter, der nur ein Jahr jünger war als Tess. Als Teenager hatte er bei uns gewohnt, also vergaßen wir manchmal, dass er nicht wirklich unser Bruder war. Ich war zwei Jahre jünger als Tess, unser Bruder Ryker noch mal zwei Jahre jünger als ich und direkt danach kam Cole. Mom hatte mal nach einem fantastischen Abendessen, bei dem wir alle zu viel gegessen und getrunken hatten, zugegeben, dass er nicht geplant gewesen war. Mit zweiunddreißig Jahren betrachtete ich meine Geschwister immer noch als meine besten Freunde.
Auf jeden Fall kümmerten sich Cole, Ryker, Hunter sowie Mom und ihr Ehemann am Sonntag abwechselnd um den Laden. Aber ehrlich: Das war nicht in Ordnung. Alle hatten auch so genug zu tun, ohne ihre Zeit für uns zu opfern. Cole und Hunter führten eine große Baufirma. Ryker arbeitete an der Wall Street, Mom war Schulrektorin und ihr Ehemann Bühnenbauer für Konzerte. Sie alle konnten ihre Freizeit nutzen, zum Beispiel, um sich ein wenig zu entspannen.
Doch ich wusste, dass sie nicht aufhören würden, im Laden auszuhelfen, bis Tess und ich jemanden angestellt hatten. So lief es in unserer Familie einfach – immer, wenn jemand sich zu viel aufgeladen hatte, eilten die anderen zur Rettung.
Meine Familie hatte sich stets nahegestanden. Und wir waren noch näher zusammengerückt, nachdem wir Kinder mit Mom allein gewesen waren. Vor langer Zeit waren wir einmal die perfekte Familie gewesen. Dann waren wir in finanzielle Schwierigkeiten geraten … und um alles noch schlimmer zu machen, hatte Dad Mom wegen einer anderen Frau verlassen. Es war eine derart schwierige Zeit gewesen, dass ich versuchte, so wenig wie möglich daran zu denken. Damals hatten wir in Boston gelebt, in einem großen Haus. Mom war Hausfrau gewesen, also hatte es nicht gut um uns gestanden. Glücklicherweise hatte sie einen Job an einer Schule hier in New York ergattert. Mom hatte angefangen, in der Schule zu unterrichten, und sich nach und nach zur Rektorin hochgearbeitet.
Sie war äußerst zäh und hatte ihre eigenen vier Kinder plus unseren Cousin ganz alleine großgezogen, daher war sie mein großes Vorbild. Von ihr hatten wir gelernt, dass sich harte Arbeit und Unabhängigkeit auszahlten … und wie wichtig es war, zusammenzuhalten. Wir hatten uns ihre Lektionen zu Herzen genommen und ein paar eigene, unverzichtbare Akzente zur Familiendynamik hinzugefügt … unter anderem, uns wegen wirklich allem gegenseitig aufzuziehen.
Ende der Leseprobe