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Torgo ist der Kronprinz des Königreiches der Atlanter, das sich gegen alles Fremde abschottet. Als dort ein Schiff mit einer ägyptischen Prinzessin strandet, beginnt eine unheilvolle Geschichte. Der Hohepriester von Atlantis plant den Umsturz und den Tod von König Amur und dessen Sohn Prinz Torgo.
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Seitenzahl: 151
TORGOPrinz von Atlantis
In dieser Reihe bisher erschienen
3701 Charles de Clermont Die Galeere der Verdammten
3702 Charles de Clermont Insel der blutigen Götter
3703 Charles de Clermont Die Tochter des Pharao
3704 Charles de Clermont Die letzten Tage von Atlantis
Charles de Clermont
TORGOPrinz von Atlantis
Die Galeere der Verdammten
Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: 123RFUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-616-3Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!
Eben versank die Sonne im Meer. Ihr rotglühender Ball übergoss die Fluten mit brennendem Purpur. Weit spannte sich der Bogen eines wolkenlosen Himmels über Atlantis.
Fernab lag die gewaltige Insel von den Gestaden Griechenlands und Ägyptens. Die Bewohner jener Länder kannten ihre Existenz nur in Form einer Sage, an die viele nicht glauben konnten.
Denn Amur, der König der Atlanter, führte ein strenges Regiment. Jeder Fremde, der auf die Insel kam, verließ sie niemals wieder. Kaufleute, Reisende, ja selbst Schiffbrüchige, die nichtsahnend die Küste Atlantis’ betreten hatten, wurden unbarmherzig getötet oder ins Landesinnere verschleppt, wo sie in den Kupferbergwerken ein elendes Ende erwartete.
Und doch achteten die Atlanter ihren König. Über sein Volk war er ein strenger, aber gerechter Herrscher, ein Mann voll Mut und Entschlossenheit, und diese Eigenschaften schien er seinem Sohn, dem Prinzen Torgo, vererbt zu haben.
In ihm sah man den künftigen Regenten. Torgo war im Kampfspiel geübt, geschmeidig und klug. Trotz seiner Jugend fehlte es ihm nicht an Erfahrung, und seine kühne Stirn zeugte von einem aufrechten Charakter. Er hasste nichts mehr als die Hinterlist, mit welcher der Hohepriester des Gottes Bel, Shidra, sich den Plänen des Königs widersetzte, um selbst an die Macht zu gelangen.
Torgo stand auf der Spitze einer Felsklippe und sah hinaus auf das Meer. Er liebte die Stunden der Dämmerung. Dann lauschte er auf den Donner der Brandung, und in ihm erwachte die Sehnsucht nach der Ferne, nach jener Welt, die jenseits der Gewässer liegen musste, welche die Wachboote der Atlanter durchkreuzten.
Er hatte einmal mit Gefangenen gesprochen und sie von jener Welt erzählen gehört. Aber er hatte nur wenige Worte mit ihnen wechseln können und sein Vater hatte ihn danach streng gerügt.
„Wünsche niemals, dorthin zu gelangen“, hatte er gesagt. „Es ist eine grausame, heimtückische Welt voll Gefahren, und es ist nur recht, dass ihren Bewohnern in Atlantis das zuteil wird, was sie verdienen.“
Diese Worte hatten den jungen Prinzen nur noch neugieriger gemacht. Doch er wusste, dass er wohl kaum jemals Gelegenheit haben würde, die Insel zu verlassen.
Vom Hafen drang gedämpft der Lärm der Stadt herüber. Hätte Torgo seinen Blick gewendet, so hätte er den prächtigen Palast seines Vaters sehen können und dahinter, auf dem Berg, den Tempel der goldenen Säulen, welcher dem Gott Bel gewidmet war, und wo Shidra, der Hohepriester, residierte.
Aber Torgo sah sich nicht um. Sein Auge hatte ein feines Wölkchen am Horizont entdeckt, ein unscheinbares, graues Gespinst. Er wusste, was das bedeutete.
Es würde Sturm aufkommen noch in dieser Nacht. Es war nötig, umzukehren.
„Jargo! He, Jargo!“, rief er seinem Diener zu, der am Fuße der Klippen mit einem prächtigen Schimmel auf ihn wartete.
Mit gewandten Sprüngen bewegte er sich abwärts, von Stein zu Stein, während der Diener ihm mit dem Pferd so weit entgegenging, wie er vermochte.
„Jargo, es kommt Sturm“, rief Torgo, als er ihn erreicht hatte und sich in den Sattel schwang. „Geh und verständige die Hafenwache. Diese Schlafmützen haben gewiss wieder die Zeichen des Wetters übersehen. Man soll die Fischerboote warnen und alles, was auf See ist. Ich reite inzwischen heim in den Palast.“
„Ja, Herr“, antwortete Jargo und schwang sich auf sein Pferd.
Sein Körper war braun und sehnig, und man sah die Muskeln seiner Arme, während seine Hände die Zügel fest umspannten. Zum Unterschied von dem prächtig gekleideten Prinzen war Jargo bis auf einen Lendenschurz fast nackt.
Aber sein Pferd stand dem seines Herrn an Schnelligkeit kaum nach. Sie jagten die Küste entlang auf die Stadt Atlantis zu, welche der Insel ihren Namen gegeben hatte.
Auf halbem Wege bog Jargo seit ab nach den Wachtürmen zu, um den Befehl seines Herrn auszuführen. Torgo aber erreichte die Stadtmauer und ritt durch eines der offenen Tore, ohne den schnellen Lauf seines Pferdes zu zügeln.
Die Wachen ließen ihn ohne Anruf passieren. Ihre grimmigen Mienen blieben unbewegt: Sie stützten sich auf ihre Speere und schienen die bunte Menge, welche sie umwogte, gar nicht zu erblicken.
Eben schob ein Zitronenhändler seinen vollbeladenen Karren auf das Tor zu und pries mit lauter Stimme seine Ware an. Im nächsten Augenblick mussten Torgos Ross und der Wagen zusammenprallen.
Der Alte sah den Reiter kommen. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, er schrie auf, warf die Arme in die Luft und rief Gott Bel zu Hilfe.
Torgo lachte.
„Heg!“, rief er, nahm sein Pferd kräftig am Zügel und gab ihm Schenkeldruck.
Und schon flogen Ross und Reiter in elegantem Bogen über den Wagen hinweg, ohne dass die Hufe des Tieres auch nur eine der prächtigen gelben Früchte berührt hätten.
„Torgo – seht, das ist Torgo!“, riefen die Umstehenden, die ihn nun erkannten.
Aber schon jagte der Prinz weiter, voll Lust an der Schnelligkeit.
Erst unter dem Torbogen des Palastes machte er halt, warf die Zügel des Pferdes einem der Diener zu, die sofort herbeieilten, als sie des Prinzen ansichtig wurden.
„Wo ist mein Vater?“, fragte er.
„Im Beratungssaal“, erhielt er zur Antwort. „Er hört gerade Sargas Bericht.“
Sarga war der Kommandant jener Wachtschiffe, welche weit um Atlantis’ Küste kreuzten, und denen nichts entging, was für die Sicherheit der Insel von Bedeutung war.
Der Besuch Sargas musste einen wichtigen Grund haben. Torgo wurde von Neugier gepackt. Er sprang die prächtige, kunstvoll in Stein gehauene Treppe empor, welche zu dem Beratungssaal König Amurs führte.
Auch vor diesem Raum standen Wachen. Aber Prinz Torgo hatte überall Zutritt.
Er warf den schweren Vorhang zur Seite. Im Beratungssaal brannten in flachen, ölgefüllten Schalen Feuer. Ihr Schein erhellte flackernd den weiten, niederen Raum, welcher mit seltsamem Schmuck verziert war. Steinerne Götzenbilder und Statuen von Amurs Vorfahren, dem Herrscherhaus der Atlantiden entstammend, blickten ernst von den Wänden und starrten auf die kleine Gruppe von Männern, welche sich um den König versammelt hatte.
Amur trug auf dem Haupt keinen anderen Schmuck als das schlohweiße Haar, welches seine hohe Stirne krönte. Aber unter dieser Stirn blickten zwei scharfe Augen in die Welt, Augen, die bis auf den Grund der Seele dringen zu können schienen.
Diese Augen blickten milde auf, als der König seinen Sohn erkannte. Er erhob sich und deutete dem Prinzen mit einladender Gebärde, näher zu kommen.
Des Königs Gewand war aus kostbaren Stoffen gewebt. Es glich einem weiten, faltenreichen Umhang, ähnlich jenem, wie man ihn in Griechenland zu tragen pflegte. Aber Sarga und seine Männer trugen blitzende Brustharnische von kunstvoller Schmiedearbeit. Ihre Füße steckten in Sandalen, deren mit gefährlichen Stacheln versehene Verschnürung bis hinauf unters Knie gebunden war.
Es waren harte, kampferprobte, von Wind und Wetter gebräunte Männer, deren bartlose Gesichter kühn und trotzig geschnitten waren.
„Tritt näher, Sohn“, forderte Amur den Prinzen auf. „Sarga bringt uns wichtige Nachricht.“
,Sei gegrüßt, Prinz“, sagte Sarga mit rauer Stimme.
„Was gibt es?“, fragte Torgo. „Habt ihr Feinde gesichtet?“
„Eine Galeere aus dem Land der Pyramiden“, meldete Sarga. „Sie nähert sich der Küste und scheint reich mit Schätzen beladen zu sein.“
„Sie ist wohl vom Kurs abgekommen“, meinte Torgo.
„Einerlei“, rief Sarga, „sobald sie unsere Gewässer erreicht hat, ist sie unser! Des Königs Befehl gilt für alle!“
Die beiden Männer, welche sich in Sargas Begleitung befanden, ließen beipflichtende Rufe hören. Alle aber sahen sie auf den König, als ob sie von ihm eine Entscheidung erwarteten.
„Wie ist die Galeere bewaffnet?“, fragte Amur nach kurzem Nachdenken.
„Sie haben Schleudern für Steine und Feuer“, antwortete Sarga. „Und gewiss auch Männer an Bord, welche mit Speeren und Pfeilen umgehen können.“
König Amur lächelte geringschätzig.
Da kommen sie gegen deine Schiffe nicht an, Sarga“, erklärte er. „Diese Leute sind unwissend. Sie sind Kinder dieser Welt, doch die Atlanter sind Kinder der Götter.“
„Wir werden also diese Galeere aufbringen, Herr“, erklärte Sarga.
Da hob Torgo die Hand.
„Es gibt Sturm diese Nacht, Vater“, sagte er. „Es ist nicht ratsam, auf See zu kreuzen.“
Sargas Miene verfinsterte sich.
„Sturm?“, fragte er.
„Ja, und mein Diener Jargo hat die Küstenwachen bereits alarmiert.“
„Sind wir Fischer?“, fragte Sarga unwillig. „Unsere Schiffe sind stark und fürchten das Unwetter nicht.“
„Aber vielleicht ist es das Verderben der Galeere, und es ist gar nicht, nötig, sie anzugreifen.“
„Torgo hat recht“, meinte Amur. „Es ist ein kluger Rat. Wartet den Sturm ab: Die Strömung treibt das Schiff gewiss gegen unsere Klippen, wo es zerschellen wird. Dann, Sarga, kommst du mit deinen Männern von See – an Land aber erwartet sie Alwa mit seinen Leuten!“
Sarga fletschte die Zähne.
„Ein guter Plan“, sagte er anerkennend. „Da entkommt uns keiner. Wer überlebt, wird niedergemacht oder gerät in Gefangenschaft. Es wird reiche Beute geben, Herr!“
„Ich möchte dabei sein, Vater“, verlangte Torgo.
Amur lächelte und schüttelte den Kopf.
„Ich kann den Prinzen keinem so gefahrvollen Abenteuer aussetzen“, wehrte er ab. „Er wird dereinst die Krone des Reiches tragen. Sein Leben ist kostbar und heilig.“
Sargas Blicke ruhten wohlgefällig auf Torgo.
„Er ist noch jung, aber bereits ein ganzer Mann, Herr“, sagte er. „Und ich verstehe, dass es ihm bei solchen Gelegenheiten in den Fäusten juckt. Lass ihn mit uns gehen, und ich bürge mit meinem Kopf für ihn. Wenn es die Götter bestimmt haben, so kehren wir alle heil wieder, und der junge Prinz erscheint ruhmbedeckt vor dem Volke.“
„Ja, Vater, ich möchte mit ihnen aufs Meer hinaus“, bat Torgo.
Der König sah, wie sehr es seinem Sohn mit diesem Wunsch ernst war. Er gab nach einigem Überlegen nach.
„Gut“, sagte er, „es sei. Sarga, du wachst mir über sein Leben.“
„Ich werde es mit meinem eigenen beschützen, Herr“, erklärte Sarga.
„Aber Jargo darf ich mitnehmen?“, fragte Torgo.
„Auch das ist dir gewährt.“
„Dann haltet euch bereit, Prinz“, rief Sarga, „noch ehe der Mond aufgeht, brechen wir auf!“
In ruhigen, gleichmäßigen Intervallen ertönte der Schlag der Hämmer des Rudermeisters auf der Galeere. Er gab den Rhythmus an, in welchem die Rudersklaven die gewaltigen Ruder bewegen mussten.
Eine Welle von Schweiß und üblem Dunst wehte von den Ruderbänken her, an welche die Männer gekettet waren. Ihre krumm gebeugten Rücken zeugten von der schweren Arbeit, welche sie tagaus, tagein auf dieser Galeere des Pharaos verrichteten.
Längst hatte sich der Himmel mit dichtem, grauem Gewölk überzogen und die Nacht brach schneller als sonst herein.
Mit sorgenvoller Miene blickte der Steuermann, der mit harten Fäusten das Ruder regierte, auf den Befehlshaber des Schiffes, welcher mit zwei Männern, deren gewählte Kleidung davon Zeugnis ablegte, dass sie von Rang und Bedeutung waren, über die Berechnung des Standortes gebeugt stand.
Ein flackerndes Windlicht erhellte ihre finsteren Mienen.
„Wir sind vom Kurs abgetrieben worden“, sagte Damur, der ägyptische Kapitän. „Wir hätten längst die Küste Griechenlands erreichen müssen. Nun fahren wir in unbekannten Gewässern.“
„Wenn wir diesen Kurs halten, müssen wir einmal auf Land stoßen. In einer Woche oder zwei können wir vielleicht am Ziele sein.“
„König Telaus hat alles zum Empfang der jüngsten Tochter unseres Pharao vorbereitet. Man wird um uns in Sorge sein. Können wir die Sklaven nicht schneller rudern lassen?“
Die beiden, die so gesprochen hatten, waren Nimbur und Nef-Naton, zwei hohe Würdenträger, welche der Pharao dazu bestimmt hatte, die Reise seiner Tochter Nif-Iritt nach dem fernen Griechenland zu begleiten.
Der Kapitän schüttelte zu Nef-Natons Vorschlag heftig den Kopf.
„Nein, Herr“, sagte er. „Sie sind durch den Kampf mit der Strömung und den Wasserstrudeln entkräftet. Zudem kommt ein Sturm auf. Wir müssen sie jetzt schonen, wenn wir dann von ihnen umso mehr verlangen wollen. Denkt auch an den Wettkampf mit den griechischen Galeeren, den wir ganz sicher zu bestehen haben werden.“
„Aber die Prinzessin wird ungeduldig.“
„Sie mag den Göttern danken, dass sie am Leben ist, und sich einstweilen mit ihren Gespielinnen die Zeit vertreiben.“
Unmut klang in Ech Namurs Stimme. Nimbur und Nef-Naton fühlten es, aber sie schwiegen. Hier an Bord war der Kapitän der Herr, und von seiner Umsicht hing das Schicksal aller ab – auch das von Nif-Iritt, der Tochter des Pharaos.
Nif-Iritt lag in ihrer mit kostbaren Teppichen behangenen Kajüte auf den prunkvollen Kissen eines weichen Ruhelagers. Sie war noch jung, kaum siebzehn, und von schöner, ebenmäßiger Gestalt. Ihre Augen waren dunkel und rätselvoll. Ihr Antlitz war sorgfältig geschminkt, als befände sie sich auf dem Festland, im Palast des Herrschers von Ägypten.
Zu ihren Füßen saß Aja, eine alte Nubierin, welche sie von Kindheit an betreut hatte, und eine äthiopische Sklavin namens Sil. Eben kam noch ein hellhäutiges Mädchen namens Gül-Gül hinzu, das aus dem Lande der Türken stammte und seiner hübschen Stimme wegen Nachtigall genannt wurde.
Gül-Gül hatte ein Saiteninstrument gebracht, um ihrer Herrin vorzusingen, aber schon nach den ersten Tönen des Liedes winkte die Prinzessin ab.
„Sil“, fragte Nif-Iritt, „sind wir weit vom Kurs abgekommen?“
„Sei ohne Sorge, Herrin“, beruhigte sie Sil. „Es besteht keine Gefahr. Das Schiff ist stark und hat den heimtückischen Strudeln standgehalten. Wir kommen gewiss sicher nach Griechenland.“
„Aber ich sehne mich nicht nach Griechenland“, erklärte Nif-Iritt. „Es ist ein kaltes Land mit strengen Männern und kühlen Frauen, ein Land voll seltsamer Gebräuche und merkwürdiger Ansichten. Ich werde mich dort niemals wohlfühlen, auch wenn ihr bei mir seid.“
„Herrin“, entgegnete Sil, „du kennst deine Pflicht. Ein Bündnis mit König Telaus ist wichtig für Ägypten. Der König begehrt dich zur Frau – und welch besseres Bündnis könnte es geben als dieses? Auch ist Griechenland nicht kalt, und seine Männer sind weise. Erinnerst du dich des Mannes, welcher vor Jahren am Hofe deines Vaters war? Er hieß Solon.“
„Oh ja, ich erinnere mich! Er erzählte oft von einem geheimnisvollen Reich, einer Insel, die weit draußen auf dem Meer liegen soll. Jeder, welcher die Insel betritt, muss sterben, so will es das Gesetz ihres Königs. Wie konnte er aber davon erzählen, wenn keiner sie lebend verließ?“, fragte Nif-Iritt spöttisch. „So sieht es also mit der Weisheit der Griechen aus!“
„Es gibt Leute, denen die Flucht gelang“, antwortete Sil auf die Frage, „und die zu Tode erschöpft nach Griechenland oder Ägypten kamen. Von ihnen hat Solon die Geschichte gehört. Es sollen gefährliche Menschen auf dieser Insel wohnen, ihre Hauptstadt ist prächtig, aber sie haben barbarische Götter. Ihre Priester besitzen geheimnisvolle, magische Kräfte. Ich habe schon oft über diese Insel erzählen gehört.“
„Du machst mich neugierig, meinte Nif-Iritt. „Erzähle mir mehr von diesem Land.“
„Ich kann dir nur sagen, was Solon berichtet hat.“
„Sprich“, befahl Nif-Iritt, und die drei Frauen rückten näher zueinander und Sil begann.
„Die Atlanter sind Nachkommen des Gottes Poseidon. Ihr Reich ist groß und mächtig. Sie besitzen große Reichtümer, graben alle möglichen Arten von Metallen und Gesteinen in Bergwerken, und alles, was der Wald hervorbringt, ist reichlich vorhanden. Auch alle Arten von wilden Tieren gibt es auf der Insel. Das königliche Schloss liegt in der Mitte einer Stadt und ist von mehreren Wassergräben umgeben. In der Mitte des Schlosshofes erhebt sich ein heiliger Tempel, Klito und Gott Poseidon geweiht. Hier strömt man jedes Jahr zusammen und bringt Opfer von der reichen Ernte. Hier fließen auch zwei Quellen, die eine von warmem, die andere von kaltem Wasser. Sie fließen nach Poseidons Hain, wo die Bäume eine ungewöhnliche Höhe erreichen. Die Stadt ist umgeben von vielen Tempeln. Auch eine Rennbahn gibt es da, wo Wettrennen und Kampfspiele stattfinden.“
„Es muss eine prächtige Stadt sein“, meinte Nif-Iritt.
„Und es sind mächtige Leute“, fuhr Sil fort. „Solon erzählte, sie hätten angeblich 10.000 Streitwagen und 1.200 bewaffnete Schiffe.“
„Er wird wohl übertrieben haben.“
„Er erzählte es, Herrin. Er sagte, die Atlanter seien reich, mächtig und wohnen in prächtigen Häusern.“
„So möchte ich diese Insel beinahe kennenlernen“, meinte Nif-Iritt lachend.
„Oh, wünsche dies nicht, Herrin. Keiner verlässt sie lebend.“
„Eine Tochter des Pharaos hält man nicht zurück, wenn sie gehen will“, sagte Nif-Iritt hochmütig. „Aber vielleicht gefiele es mir so gut, dass ich dort bleiben wollte. Es kann schließlich nicht viel schlimmer sein als in dem langweiligen Griechenland.“
In diesem Augenblick ging ein seltsamer Laut durch den Körper des Schiffs. Es klang wie ein knarrendes Ächzen. Die Galeere legte sich ein wenig zur Seite und begann zu schlingern.
„Was gibt es?“, fragte Nif-Iritt erschrocken.
„Sturm, Herrin“, rief Nef-Naton, vom Deck kommend, in die Kajüte hinein. „Betet zu den Göttern, es gibt Sturm!“
Fünf Kampfschiffe der Atlanter fuhren in die wolkenverhangene, pechschwarze Nacht hinaus, vertrauend auf ihre Kraft, auf den Mut ihrer Besatzungen und die Umsicht der Männer, unter deren Befehl sie standen.
Fünf Kampfschiffe … Auf einem davon fieberte Prinz Torgo dem Abenteuer entgegen, das sie erwartete.
Die Wachen standen vorn am Bug. Mit grimmigen, entschlossenen Gesichtern starrten sie hinaus in das Dunkel. Hoch auf wogte der Gischt, sprühte salziges Wasser den Männern in die Gesichter. Auf und nieder ging das Schiff im Gange der Wellen.
„Jargo, siehst du was?“, fragte der Prinz seinen Diener, der gleich ihm in das Dunkel starrte.
„Nein, Herr, nichts“, kam es zurück.
„Geduld, nur Geduld“, klang es da hinter ihnen.
Sarga war es. Er trat zu ihnen und lachte.
„Könnt es wohl kaum erwarten, ihr beiden? Nur Geduld, wir sehen sie schon, sobald es soweit ist. Sie haben auf ihrem Schiff Pechfeuer brennen. Wir aber brennen keins. Wir brechen hervor aus dem Dunkel, wie eine Eule des Nachts über ihre Beute fällt.“
Pfeifend fegte ein Windstoß über das Schiff, dass das Takelwerk knarrte. Es war ein seltsamer, unheimlicher Laut.
„Was ist das?“, fragte Torgo.
„Die Stimme des Windes, Herr. Wir haben ihn eingefangen, er muss uns Dienste tun. Die ägyptischen Schiffe bewegen sich mit Menschenkraft. Das haben wir nicht nötig. Uns ist wohl, wenn der Wind heult, umso rascher sind wir am Ziel!“
„Der Sturm kommt auf, Herr“, sagte Jargo.
Er hatte Mühe, sich verständlich zu machen.
Wie gespenstische Reiter jagten die weißen Wellenkämme gegen das Schiff.