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Cyprian – genannt "Juvivallera" –, der junge Sohn des Grafen Lankwitz, hat schon als kleines Kind im wörtlichen wie im übertragenen Sinn gelernt, "die Rute zu schwingen". Gleichzeit ist er jedoch auch "die verkörperte Liebeswürdigkeit neben all seinen Unarten und tollen Streichen" und er strahlt "wie eitel Sonnenschein". Da lernt er die junge Prinzessin Rafaela kennen, die, wie er noch ein Kind, seine Zuneigung nicht unerwidert lässt. Doch Rafaela ist die Thronerbin, falls die Ehe des Herzogs kinderlos bleibt, und so darf sie nur einen Prinzen von Geblüt heiraten. Unheil bahnt sich an: Denn schließlich wird Rafaela in eine Hochzeit gedrängt, bei der "alles ungleich und ungrad" ist, während Cyprian zunehmend sein kindlich-sonniges Strahlen zu verlieren beginnt … Aber muss, was ungleich ist, auf ewig ungleich bleiben?
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Seitenzahl: 336
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Nataly von Eschstruth
Roman
Mit Illustrationen von Hd. Wald
Saga
Ungleich - Band I
German
© 1894 Nataly von Eschstruth
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711469958
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
Meinem hochverehrten Vetter
Herrn General
Wilhelm von Knobelsdorff
und seiner Gemahlin
Frau Sophie von Knobelsdorff
geb. Gräfin Pahlen, Freiin von Astrau
in herxlicher Zuneigung gewidmet.
Juvivallera“ hiess er. Wie er zu diesem ganz aussergewöhnlichen Spitznamen kam, wusste eigentlich nur die alte Kinderfrau, welche den einzigen Sohn des Grafen Lankwitz grossgezogen hatte. Dermalen, als sie den kleinen Cyprian noch auf den Armen wiegte, war sie eine rüstige, kreuzfidele junge Bäuerin, welche kein besseres Schlummerlied für den jungen Herrn wusste, als das vergnügliche "Juvivallera“, welches einst ihr „Student auf Sommerfrische“ im heimatlichen Dorfkrug alltäglich geträllert!
„Juvivallera! Juvivallera!“ klang es dem Gräflein Cyprian von früh bis spät in die Ohren, — was Wunder, wenn das erste Wort, welches er lallte, nicht „Papa“ oder „Mama“, sondern in sehr spasshaften Gurgellauten: „Juvivallera“ lautete! Und als er kaum sprechen konnte, begann er auch schon zu singen, genau in der Weise seiner lustigen Frau Rosel; ein Juvivallera um das andere, — so drollig und niedlich, dass die Eltern ihn schliesslich selber den „kleinen Juvivallera“ nannten und damit das Signal zur allgemeinen Nachahmung gaben!
Und es gab wohl kaum einen Namen, welcher passender für das junge Herrlein gewesen. Verzogen und unartig, wie einzelne kleine Nesttyrannen es meistens sind, dominierte und kommandierte er das väterliche Schloss vom Keller bis zum Boden, aber in einer so gewinnend heitern und übermütigen Weise, dass kein Mensch ihm böse sein oder strafend entgegentreten konnte.
Cyprian war die verkörperte Liebenswürdigkeit neben all seinen Unarten und tollen Streichen. Wie eitel Sonnenschein strahlte es von seinem goldlockigen Köpfchen und dem lachenden, kecken Kindergesicht aus. Er war lediglich ein wilder Schlingel, um sich zu amüsieren, nicht um andere zu ärgern oder zu schädigen, und da er ohne jegliche Furcht vor irgend welcher Strafe, sehr selbstbewusst und sorglos emporwuchs, so trat er lachend für jede seiner kleinen Schandtaten ein, stets lustig und guter Dinge, frank, frei, keck und unberechenbar und dabei so herzgewinneud, dass er wie ein junger Siegesgott unter der Fanfare „Juvivallera“ seinen Triumphzug durch das Leben antrat.
Prügel hatte er nie bekommen. Als sich die Gräfin und die weiblichen Geister seiner Bedienung einst allzu bitterlich bei Graf Lankwitz beklagten, das Söhnlein wachse ihnen in geradezu beängstigender Weise über den Kopf, fasste der entrüstete Vater den martialischen Entschluss — eine Rute anzuschaffen! Das grosse Ereignis ging auch tatsächlich vor sich. Wunderschön mit Bandrosetten in den Farben des Lankwitzschen Wappens geschmückt, prangte eine nagelneue Rute hinter dem Spiegel der Kinderstube, und gefolgt von dem Personal, schritt das Elternpaar feierlich herzu, dem Sprossen die entsetzliche Bedeutung dieses Instrumentes klar zu machen.
Cyprian stand bereits, beide Fäustchen in den Taschen der blauen Sammethöschen versenkt, vor der neuen Akquisition und kam der väterlichen Rede durch die ganz entzückte Frage zuvor: „Aber Papa, was ist denn das da oben für ein famoses Ding?!“
Der Graf machte ein bitterernstes Gesicht: „Das ist eine Rute!“ sprach er mit furchtbarer Betonung.
„Eine Rute? Zu was braucht man die?“ forschte das Söhnchen mit bezauberndem Lächeln.
Mit etwas unsicherer Hand griff der Schlossherr empor und langte die farbenprächtige Peinigerin herab.
„Diese Rute ist dazu da, Cyprian, um damit zu prügeln“, begann er feierlich, aber die wohlausgedachte Ansprache gedieh nicht weiter, sie ward durch den hellen Jubel des Kleinen in der Knospe erstickt.
„Juvivallera! Juvivallera!“ jauchzte er auf, stürzte sich auf die Rute los und entwand sie den Händen des verblüfften Vaters. „Zum prügeln? Das ist ja prachtvoll!“ Und ehe die entsetzte Zuhörermenge das Überraschende fassen konnte, schwang seine kleine Hand die Birkenreiser und sauste damit züchtigend auf Frau Rosel los. Kreischend und zeternd stob die Schar auseinander, Freund Juvivallera mit lustblitzenden Äuglein hinterdrein, wie wenn der Wolf die Herde scheucht!
Fern hin verklang der Lärm, — und Graf und Gräfin sahen sich sprachlos an, bis die Mutter in ein schallendes Gelächter ausbrach und der Vater resigniert seufzte: „Diese Sache war in der Anlage verfehlt, Dorettchen! Die Rute ist jetzt wohl da, aber Herr Cyprianus geruht, sie selber zu schwingen!“ — — —
Schloss Neudeck war ein schöner und altvornehmer Besitz, aber Graf Lankwitz sah ein, dass in heutiger Zeit ein recht respektables Privatvermögen dazu gehört, einen Landbesitz über Wasser zu halten. Das Barvermögen jedoch, welches er seinem Sohn Cyprian einst hinterlassen konnte, war nicht sehr bedeutend, und darum konzentrierten sich alle Hoffnungen des gräflichen Paares auf einen alten Onkel, den Paten des kleinen Juvivallera, welcher diesen zu seinem Erben machen wollte. Onkel Adolf war pensionierter Reitergeneral, besass ganz ausserordentliche Kapitalien und war ein so eingefleischter Junggeselle, dass man kaum noch fürchten konnte, er werde jetzt als hoher Siebziger, noch auf Freiers Füssen gehen.
Zu Cyprians fünftem Geburtstag hatte Onkel Adolf seinen beglückenden Besuch in Aussicht gestellt, und das Ehepaar Lankwitz lebte seit Wochen nur den Bemühungen, ihr unberechenbares Söhnlein genügend für diesen bedeutungsschweren Tag einzudrillen. Onkel Adolf war von der Natur sehr stiefmütterlich bedacht, was äussere Reize anbetraf, und gerade, was diese seine Hässlichkeit anbelangte, war er äusserst empfindlich und sehr leicht aufs bitterste gekränkt.
Die Sorge der Lankwitzschen Eltern ging nun hauptsächlich darauf hin, Klein-Juvivallera zu bearbeiten, dem Onkel nur die allerliebenswürdigsten Sachen zu sagen, und wider Erwarten zeigte der Sprosse auch viel verständnisvolles Entgegenkommen und versprach, den gestrengen Onkel in jeder Weise zärtlich und liebevoll zu behandeln. Er hielt auch Wort.
Mit geheimem Entzücken beobachteten es die Eltern, wie herzgewinnend der kleine Bursch den wichtigen Gast umschmeichelte, wie sehr Onkel Adolf von ihm begeistert war, wie das Verhältnis zwischen beiden stets inniger und zärtlicher ward.
Die Dinergäste der umliegenden Schlösser trafen ein, darunter auch die sehr hübsche und amüsante Nichte der Baronin Bohden, welche dem General bereits aus der Residenz her bekannt war.
Mit ihr promenierte er hauptsächlich in dem schattigen Park, und dabei hielt er das weiche Händchen Cyprians in der seinen, stolz und beglückt, dass das Kind so zärtlich und anhänglich ihn auf Schritt und Tritt begleitete. Und das war keine Berechnung bei Cyprian, sondern ehrliche Überzeugung, denn der alte Herr mit seinen derben Liebkosungen gefiel ihm, und seine von den Eltern so glorifizierte Persönlichkeit übte den Reiz des Neuen und Interessanten auf ihn aus.
So bestand er auch zu des alten Junggesellen besonderer Genugtuung darauf, beim Diner an der Seite des Onkels verweilen zu dürfen, und weil er sein Champagnerbecherchen sehr flott zu heben verstand, so ward das weinselige Verhältnis zwischen beiden stets inniger. Onkel Adolf war ja niemals schön, aber wenn er etwas eifrig pokulierte, gaben die erhöhten Farben seinem wulstigen Gesicht etwas geradezu lächerlich Hässliches.
Anders dachte Cyprian. Noch nie hatte er ein derartiges Antlitz gesehen, und weil es ihm so neu und an Onkel Adolf doch alles ein für allemal schön war, so benutzte er einen Augenblick feierlicher Stille, schlang sehr herzlich den Arm in den des Generals und schaute wahrhaft verliebt zu ihm empor.
„Ach, Onkel!“ rief er begeistert, „was hast du doch für bildschöne, winzig kleine Augen, für prachtvolle grosse Ohren, für eine dunkelblaue Nase und einen so herrlich grossen Mund, dass Du gewiss die Melone dort hinein stecken kannst!“
Die Wirkung dieser Liebeserklärung war unbeschreiblich, wie gelähmt vor Verblüffung sass Onkel Adolf, mit dunkelroten Köpfen prusteten die entfernter sitzenden Tafelgäste in die Servietten, dieweil die nächste Umgebung des Generals wahrhafte Anfälle von Stickhusten bekam. Nur Graf und Gräfin Lankwitz sassen bleich und verzweifelnd auf ihren Sesseln und wussten, dass in diesem Augenblick das Testament des Onkels einen völlig anderen Inhalt erhielt. —
Derselbe war und blieb auffallend verstimmt, erhob sich vor der Zeit und reiste mit einem früheren Zuge ab.
Juvivallera blieb zwar sein zärtlicher Trabant, aber der General war zerstreut und finster und schien kaum noch die Zutunlichkeit des Neffen zu bemerken.
„Nun ist alles aus! er ist wütend beleidigt und unversöhnlich! —“ schluchzte die Gräfin, und ihr Gemahl stimmte ihr seufzend bei. — Aber sie irrten sich. Nichts im Leben schien den lustigen, kleinen Juvivallera misslingen zu sollen; im Gegenteil, das Glück schien einen besonderen Narren an ihm gefressen zu haben, und je waghalsiger Cyprian mit seiner rollenden Kugel Fangball spielte, desto unzertrennlicher heftete es sich an seine Sohlen.
Onkel Adolf starb sehr unerwartet an einem Herzschlag, und sein Testament bestimmte Cyprian zum Universalerben. Aus dem hinterlassenen Tagebuch erfuhren dessen Eltern auch noch, wie sehr die verhängnisvollen Worte des Knaben, während des Diners ihm zum Segen, anstatt, wie befürchtet, zum Unheil geworden.
Just an jenem Tage war Onkel Adolf mehr denn je auf Freiers Füssen gegangen. Die Zärtlichkeit des Kindes, das weiche Anschmiegen und Kosen Cyprians hatten in dem Herzen des einsamen alten Junggesellen ganz wunderliche Gefühle erweckt. Eine unbeschreibliche Sehnsucht nach Niebesessenem erfüllte ihn, ein jugendfrohes Verlangen nach Liebe, Behagen und häuslichem Glück. — Und just in dieser Stimmung schickte ihm das Schicksal die Nichte der Baronin Bohden in den Weg, welche durch ihre graziöse Anmut schon in der Residenz seine Aufmerksamkeit erregt, und ihn durch ihre allerliebsten Koketterien auch jetzt im Park von Neudeck bezauberte.
Ein jäher, leidenschaftlicher Entschluss reifte in ihm. In seliger Weinlaune nach dem Diner, wenn Moët et Chandon ihm die Zunge gelöst, und die fünfmalhunderttausend Teuflein, welche in den Mousseuxperlchen wohnen, seine Befangenheit siegreich bekämpft hatten, — wollte er den kühnen Schritt wagen, Fräulein von Bohden Herz Hand und — Reichtum zu Füssen zu legen!
Da Alice von Bohden, selbst ohne jegliches Vermögen, auf die Hilfe ihrer Verwandten angewiesen war, hatte der General wohl kaum ein Körbchen zu befürchten, aber gerade der Gedanke, nur als Versorger und Ernährer gewählt zu werden, quälte sein empfindliches und liebebedürftiges Herz! Dennoch strahlten die dunklen Mädchenaugen so innig und berückend zu ihm auf, dennoch lächelten die roten Lippen so betörend — und was sie sprachen, klang lieb und zärtlich, als plaudere Alice nicht mit einem alten, grauköpfigen Invaliden, sondern mit dem jüngsten, schönsten und unwiderstehlichsten Kavalier! —
Empfand sie wirklich mehr für ihn, wie berechnendes Wohlwollen? — Fast schien es so, — und Gott Amor legte immer dichtere und rosigere Schleier über die Augen des greisen Freiers, dass er schliesslich nur das sah, was er gern sehen wollte! —
Und dann? — Dann kam die Katastrophe bei Tisch. — Cyprians Kindermund sprach treu und zärtlich seine fatale Schönheitskritik, die kränkte den General nicht, aber das Lachen und Kichern, das Blickewechseln und Husten der Anwesenden, das kränkte und schmerzte ihn bis in das tiefste Herz! —
Und am grausamsten wehe tat ihm das herzlose Lachen Alices, welche sich hinter ihrer Serviette gar nicht beruhigen konnte. Sie glaubte sich durch den hohen Blütenaufsatz den Blicken des Generals entzogen, und ahnte wohl nicht, dass gerade sie es war, welche er mit blutendem Herzen durch die Rosen- und Fliederzweige beobachtete. — Ihr Spotten und Lachen zerriss die rosigen Schleier, und sein klarer Blick sah es nun deutlich, wie Fräulein Alice mit ihrem jungen Tischnachbar in Dragoneruniform noch viel mehr kokettierte, als wie mit ihm, — dem alten Narren, der mit dem Schnee des Winters auf dem Haupt noch Myrtenblüten pflücken wollte!
Da war der kurze, späte Frühlingstraum von Glück und Liebe ausgeträumt, und der kleine Juvivallera war unbewusst seines eigenen Glückes Schmied gewesen!
Und wie er es diesmal war, so blieb er es stets. — Es gibt Glücks- und Sonntagskinder, welche unternehmen können, was sie wollen, ohne jemals übel dabei zu fahren! — So auch mit Cyprian. Sorglos, leicht, ohne leichtsinnig oder schlecht zu sein, lachend, amüsant, stets angenehm und von gewinnendem Wesen, lebte er lustig in den Tag hinein, es meisterlich verstehend, seine Erzieher und Hauslehrer für alles andere mehr zu interessieren, als für seine Unterrichtsstunden.
Er lernte nichts, und wusste dennoch genug, um überall mitreden zu können und durch kühne, stets humorvoll und amüsant durchgeführte Ansichten die Menschen trefflich zu unterhalten. Ein „Causeur“ ohne fader Schwätzer zu sein, ein Schmetterling, welcher im Sonnenglanz jedes Auge erfreut und jedem Blümlein willkommen ist, und dennoch ein loses, leichtes Ding ohne ernsten Lebenszweck ist. —
Die schwachen Eltern grämten sich wohl in dem Gedanken, dass ihr Sohn niemals ein Examen machen — oder einen Beruf ausüben werde, — aber der Juvivallera hatte ja immer Glück, — er war ein heller Kopf, und es schmeichelte seiner Eitelkeit, eine hübsche, elegante Husarenuniform zu tragen! Was Wunder, wenn er seinen langen Aufenthalt auf der Presse schliesslich doch ernst nahm, und — „um die verdammte Schulbank loszuwerden“ — endlich die notwendigen Prüfungen bestand, die ihm den Weg zum Attila eröffneten!
Die Eltern waren überselig, als sie ihren „erst“ zwanzigjährigen Leutnant umarmen konnten, und Juvivallera reiste, ohne sich im mindesten den sorgenvollen Ernst eines Leutnantsdaseins klar gemacht zu haben, in die neue, leider recht kleine Landgarnison ab.
Subordination, Respekt, Dienst — waren ihm durchaus unbekannte Begriffe — dass ein Rittmeister für seinen jüngsten Schwadronsleutnant ein unfehlbares, anbetungswürdiges Wesen ist, noch dazu in einer Garnison, woselbst nur eine Schwadron steht — das war für Cyprian Graf Lankwitz, ein äusserst fernliegender Gedanke, welcher höchstens etwas unbändig Humoristisches für den jungen Tyrannen von Neudeck hatte. — Bislang war er überall der tonangebende Herr und Gebieter gewesen, wo er geruht hatte, Stadt oder Land mit seiner Gegenwart auszuzeichnen, und nun wollte da ein Herr Rittmeister kommen, — sang- und klangloser Herr von Angerschütz, der sich einen Ton gegen ihn erlaubte — einen Ton — dass Graf Cyprian in seiner ersten Empörung geglaubt hatte, die Schmach eines offiziellen Anschnauzers nur mit Blut abwaschen zu können!
Der besonnene, sehr liebenswürdige Premierleutnant, den er zum Sekundanten erkor, konnte dem jungen Hitzkopf nur mit Mühe und Not die Unmöglichkeit seines Vorhabens klar machen, und nachdem Juvivallera von allen Seiten überzeugt war, dass der königliche Dienst stets eine kernige Sprache spricht, und ein Untergebener einen Vorgesetzten überhaupt nicht wegen dienstlicher. Differenzen fordern darf, so fügte er sich wohlgemut in das Unvermeidliche, denn seine Stimmungen wechselten wie Aprilwetter, und wenn es nicht Ehre und Reputation erforderten, nahm er gern alles auf die leichte Achsel und von der humoristischen Seite!
Der Rittmeister war kein sehr liebenswürdiger und feinfühliger Charakter. Das Duell-Attentat, welches sein jüngster Leutnant gegen ihn geplant, war ihm bei den mehr wie kleinen Garnisonverhältnissen selbstverständlich zu Ohren gekommen, und konnte er dem Herrn Juvivallera eine solche unerhörte Arroganz nie verzeihen.
Das ganze Auftreten des jungen Grafen, dem auch hier, wie überall, die Herzen im Sturme zuflogen, verdross und ärgerte ihn, und seine missgünstige und verbissene Natur suchte nun dem Grimm Luft zu machen, dadurch, dass er den Grafen Lankwitz nach aller Möglichkeit schikanierte.
Aber Juvivallera ärgerte sich nicht mehr darüber. Da er wusste, dass er seinem Vorgesetzten im Dienst sozusagen hilflos gegenüberstand, schüttelte er sich wie ein Pudel, auf den es Prügel regnet. So lange er mit Herrn von Angerschütz auf dem Exerzierplatz oder in der Kaserne verkehrte, war er Pagode, dessen marmorkühle Gelassenheit den hitzigen Gegner mehr erboste, als er ahnte; wenn aber das Terrain in Gesellschaftsräumen oder in der Kneipe neutral wurde, drehte sich das Blättchen, dann war es Graf Cyprian, der reiche, lachende, übermütige Majoratsherr, welcher durch stets neue kleine Malicen, die das Publikum ebenso amüsierten, wie ihn selber, den Rittmeister manchmal fast zur Verzweiflung brachte!
Auf diesem neutralen Boden entspann sich ein bitterer Kampf, welcher von seiten Cyprians mit stets bestem Humor, von der des Rittmeisters mit stets wachsendem Ingrimm und mancher Unklugheit geführt wurde.
Das Gerücht von der Fehde dieser ungleichen Gegner drang selbstverständlich in die Lande hinaus, und ward namentlich im Regiment mit besonderem Interesse beobachtet.
Juvivallera, der stets liebenswürdige, gefällige, zu jeder Hilfe und jedem Opfer herzlich gern bereite Kamerad, hatte die volle Sympathie der Herren für sich, die sich sogar bis zu dem schmunzelnden Wohlwollen des Obersten erstreckte, den die immer taktvolle Schlagfertigkeit seines jüngsten Leutnants aufrichtig amüsierte. Angerschütz war niemals ein sonderlich beliebter Regimentskamerad gewesen, er hatte bei manchen der jüngeren Herren eine ganze Menge auf dem Kerbholz, weshalb die Betreffenden jetzt desto eifriger Partei für Lankwitz ergriffen. In ihm erstand ein Rächer für gar manchen Schwadronskamerad, und da Lankwitz ein „uranständiger Kerl“ war, und sich glücklicherweise in einer Lage befand, welche ihn unabhängig von jedem Beruf machte, so konnte man so recht behaglich und wohlgemut zuschauen, wie sich der „Sturm im Wasserglase austoben werde!“
Juvivallera bewohnte eine, für die kleine Garnison sehr splendide Junggesellenwohnung, besass Hof, Garten und Stallungen, was Wunder, wenn der geborene Landwirt auf die anfänglich so absonderlich erscheinende Idee kam, sich einen — Ziegenbock anzuschaffen. Man lachte darüber und fand es ganz à la Juvivallera, dass der junge Offizier sich stundenlang mit besagtem Ziegenbock beschäftigte, hörte man doch munkeln, Graf Lankwitz sei bemüht, das Tier persönlich zu dressieren. Zu welchem Zweck? Man zerbrach sich vergeblich die Köpfe darüber. Wollte er irgend eine kleine Regimentstochter in seiner bekannt scharmanten Weise mit einer Ziegenbockequipage überraschen? Wohl möglich.
„Hans“ — wie der Bock hiess — (fatalerweise war auch der Rittmeister auf diesen Namen getauft) war ein strammes, riesig grosses Tier, mit imposanten Hörnern, langem, weisslockigem Fell und von einer permanenten Kampfeslust beseelt, die alle Besucher des Lankwitzschen Hofes zu einer gewissen Vorsicht mahnte. Dennoch hatte „Hans“ nie eine Attacke gegen irgend ein menschliches Wesen gewagt.
Die Wohnung des Rittmeisters lag zwei Häuser weiter zurück in der Strasse und nötigte Herrn von Angerschütz, das Hoftor Cyprians zu passieren, wenn er nach der Kaserne wollte. Eines Morgens war an die paar bestbefreundeten Leutnants eine Frühstückseinladung von seiten Juvivalleras ergangen, und mit etwas roten Köpfen und in weinseliger Stimmung lagen die Herren just im Fenster, als der Rittmeister zu Fuss auf der Strasse erschien, um die Kaserne zu revidieren.
Der Ziegenbock Hans trieb sich unter allerhand vergnüglichen Kapriolen im Hofe herum, als er plötzlich stutzte und jählings den Kopf hob. Ein scharfer, langer Pfiff Juvivalleras, aus welchem sich die Melodie: „Heil dir im Siegerkranz“ entwickelte, klang schrill über den Hof, und just, als habe der Bock nur auf dieses Signal gewartet, stürzte er sich wie rasend aus dem Hoftor, dem nahenden Rittmeister entgegen.
Mit gesenkten Hörnern ging Hans zum Angriff vor. Angerschütz sprang jäh erschrocken zur Seite, der Bock folgte; heiss bedrängt, retirierte der Rittmeister auf die Treppe des Hauses, Hans stiess wie besessen hinter ihm her, ein wilder, erbitterter Kampf entspann sich. Mit blankem Säbel hieb Angerschütz auf den Angreifer los, aber der Ziegenbock schien gegen Stich und Hieb gefeit, immer zornmutiger sprang er gegen den Feind seines Herrn an.
Publikum sammelte sich, man stand und schrie vor Lachen, dieweil des Rittmeisters Angesicht sich kirschrot färbte vor Wut.
„Lankwitz! Rufen Sie das verfluchte Biest zurück, sonst steche ich es, hol’s der Henker, über den Haufen!“
Juvivallera lockte in zärtlichsten Tönen, dieweil die anderen Herren an ihrem inneren Gelächter zu ersticken drohten — vergeblich, es war, als ob die Stimme des jungen Gebieters den Ziegenbock nur in immer grössere Wut versetzte.
Die Herren eilten schliesslich auf die Strasse, die Burschen stürmten herzu, es gelang den vereinten Kräften, den Rittmeister von seinem Angreifer zu befreien.
Angerschütz bebte vor Zorn. Er las wohl in den Mienen der Herren, dass er auf keine besondere Teilnahme derselben zu rechnen habe, darum erging er sich nur in etlichen boshaften Bemerkungen über „einen Kavalleristen, der sich wohl auf dem Pferde zu unsicher fühle“, griff kurz an die Mütze und schritt weiter.
Lankwitz hatte sich in höflichster Weise entschuldigt, die Kameraden waren darum über die ausfahrende Art des Rittmeisters doppelt entrüstet.
Am nächsten Tage ritt Angerschütz an dem Hoftor vorüber. Wie von wilder Wut gepackt, stürzte der Ziegenbock heraus und attackierte das Pferd, welches jäh entsetzt, so wild ausbrach, dass der ahnungslose Reiter es nur, nach vorn überschiessend, um den Hals nehmen konnte, sich auf dem dahinrasenden Durchgänger zu halten. Dass Cyprian just im Hofe: „Heil dir im Siegerkranz“ pfiff hatte er nicht gehört.
Die ganze Strasse belebte sich von lachenden Menschen, die spasshafte Geschichte, dass der Ziegenbock von Graf Lankwitz eine ausgesprochene Abneigung gegen den Rittmeister zeige, erregte und interessierte alle Gemüter, denn mit rechten Dingen ging das nicht zu, man ahnte jetzt zu allgemeinem Gaudium, wie und warum der Ziegenbock dressiert worden sei.
Angerschütz schnaubte vor Wut. Er liess dem Grafen sagen, er habe sofort den Ziegenbock abzuschaffen, widrigenfalls er denselben zusammenschiessen werde.
Lankwitz antwortete in einem ausgesucht höflichen Schreiben, dass er leider dem Wunsche des Herrn Rittmeisters nicht entsprechen könne. Der Ziegenbock sei Eigentum des Zirkusbesitzers R., welcher ihn dressiert und ihn nur während einer Kunstreise hierher in Pension gegeben habe. „Hans“ sei ein äusserst geschicktes und wertvolles Tier, und würde der Herr Rittmeister ein sehr hohes Reugeld für den durchlöcherten Schädel zu zahlen haben! —
Angerschütz war als sehr geizig bekannt. Wie erwartet, traf auch sein sehr formlos gehaltenes Antwortschreiben ein. Er beabsichtige nicht, sich um des Herrn Grafen willen Kosten zu machen, liesse denselben daher strengstens ersuchen, das Hoftor verschlossen zu halten, damit der Ziegenbock die Passanten nicht mehr belästigen könne. Widrigenfalles werde er andere Massregeln ergreifen.
Am nächsten Tage war das Hoftor wahrhaft verrammelt — ein mächtiger Querbalken war noch zum Schutz davor gelegt — Hans aber weidete seelenvergnügt auf der nahegelegenen Gartenwiese, und als der Herr Rittmeister ironisch lächelnd das Hoftor passiert hatte, brach sein Feind jählings aus der lückenhaften Gartenhecke hervor und bedrängte den unvorbereiteten Herrn noch härter denn je zuvor.
Was tun?
Angerschütz durchschaute es, dass die ganze Ziegenbockaffäre nur von dem Grafen in Szene gesetzt worden war, um ihm einen neuen Schabernack zu spielen, und da er erforschte, dass der listige Juvivallera sich nach allen Seiten gedeckt hatte und ein eventuelles Töten des verhassten Ziegenbockes höchstens dem Täter selbst Kosten und Unannehmlichkeiten bereiten konnte, so änderte er seinen Plan. Anfänglich versuchte er es noch mit ein paar Hunden, gegen „Hans“ anzukämpfen, doch zogen die Teckel heulend den Schwanz ein nach den ersten paar Rippenstössen des ungewohnten Gegners, und Angerschütz rettete sich nur durch schleunige Flucht und knirschend vor Ingrimm vor dem Ziegenbock, dem seine scharfe Klinge mittlerweile doch manch ernste Wunde geschlagen.
Da machte er denn während der nächsten Tage einen sehr beträchtlichen Umweg, um Kaserne und Städtchen zu erreichen, und die Bürger, Bürgerinnen und sonstigen Zuschauer der amüsanten Renkontres hielten die Angelegenheit zu allgemeinem Bedauern hiermit für abgetan.
Für etliche Tage herrschte Ruhe in der gesamten kleinen Garnison, aber es war nur eine Ruhe vor dem Sturm.
In den Augen des Rittmeisters wetterleuchtete es immer unheilvoller, und das höhnisch siegesgewisse Lächeln, mit dem er seinen „kleinen“ Sekondeleutnant anzusehen beliebte, hätte jeden andern misstrauisch machen müssen, nur nicht Cyprian Lankwitz, dessen sorglose Natur jedwede Hinterlist für eine Unmöglichkeit hielt. — Einer der benachbarten Gutsbesitzer hatte Einladungen zu einer besonders viel versprechenden Treibjagd ergehen lassen, und weil Juvivallera jeglichem Sport huldigte, so war er selbstverständlich auch diesmal in den Reihen der Jäger erschienen, unter denen auffallenderweise Herr von Angerschütz heute fehlte. Niemand vermisste ihn jedoch, im Gegenteil, die jungen Offiziere atmeten sehr vergnügt und erleichtert auf, das stets jagdneidische und missgünstige Gesicht ihres Vorgesetzten nicht permanent in all der Fröhlichkeit als „Dämpfer“ vor sich zu haben.
Frau Diana schien gleich der Glücksgöttin ein besonderes Wohlgefallen an dem lachenden Gesicht Cyprians zu finden, das mit dem blond gewellten Schnurrbärtchen so keck und siegesfroh unter dem flotten Jagdhut hervorstrahlte, dass die ernste, sonst so kaltherzig und gleichgültig beanlagte Baronesse Soldau, welche zum Besuch der Tochter des Jagdgebers überraschend vorgefahren war, ganz besonders lange und nachdenklich dem hübschen Leutnant nachschaute.
Baronesse Soldau galt für die reichste Erbin der ganzen Umgegend. Als einziges Kind ihrer Eltern erbte sie einen grossen, schuldenfreien Güterkomplex mit sehr einträglichen Kohlenbergwerken, eine schlossartige Villa in der Residenz und ausserdem noch einen recht beträchtlichen Säckel voll „Kleingeld“, das ihre grosse, knochige Hand wohl für die meisten Herren recht goldig und begehrenswert erscheinen liess.
Dennoch fehlte es ihr an Freiern! Unbegreiflicherweise; denn wenn sie auch kein Bild der Schönheit war, so konnte sie dennoch mit dem eiteln Wirtstöchterlein aus Fra Diavolo singen: „Und es ward in manchem Städtchen hässlicher Bräutchen schon getraut!“
Gross, tief brünett, etwas eckig in Figur und Wesen, schaute Bianka von Soldau meist sehr kalt, sehr übellaunig und schwermütig in die Welt. Sie sah trotz ihrer zwanzig Jahre nicht jung aus und war es auch weder an Körper noch Geist. Pessimistisch beanlagt, geradezu rätselhaft streng und abweisend über die lustige Welt denkend, lebte sie nonnenhaft still und zurückgezogen, und wie man sich erzählte, war Herr von Angerschütz der erste glühende Verehrer, welcher Gnade vor ihren Augen zu finden schien, denn er war wohl ebenso erbittert und menschenfeindlich gesonnen, wie die unnatürliche junge Dame im Nonnengewande!
Man wunderte sich darum allgemein doppelt, dass Baronesse Bianka wirklich und wahrhaftig ein paar mal laut gelacht hatte, als Graf Lankwitz sie beim letzten Diner zu Tische führte, und auch heute fiel es allgemein auf, mit welch ungeteiltem Interesse ihr Blick dem jungen Jäger folgte, so oft sich dieser in ihrer Nähe zeigte. Ahnungslos dieser enormen Auszeichnung tat Juvivallera einen Meisterschuss nach dem andern und kehrte als gefeierter Jagdkönig zum Diner zurück, um in wahrhaft brillanter Laune die ganze Tischrunde zu elektrisieren, namentlich die jungen Damen, zu denen sich noch immer Baronesse Soldau als recht langweiliges Mitglied gesellte.
Anfänglich hatte sie nur eine kurze Visite abstatten wollen, doch blieb sie heute, ganz gegen ihre Gewohnheit, so auffallend lange anwesend, dass die Hauswirte nicht allzu falsch kalkulierten, wenn sie glaubten, durch eine Einladung zum Jagddiner die junge Dame zu erfreuen.
Sie akzeptierte sehr gern, und auch jetzt, während des Mahles, zeichnete sie den Grafen Lankwitz durch ihre besondere Aufmerksamkeit aus, die sich allerdings nur durch ein heiteres Lächeln und den Blick ihrer sehr schönen, grossen Augen kundtat. Dennoch ward Juvivallera weidlich geneckt mit dieser neuesten Eroberung, welche ihn selber insofern lebhaft amüsierte, als er dadurch zum Rivalen des Rittmeisters wurde.
Was konnte spasshafter und ergötzlicher sein, als Angerschütz, der sich bereits bei Fräulein von Soldau am heissersehnten Ziel glaubte, diesen Erfolg streitig zu machen? Welch eine fiebernde, verzweifelnde Angst würde ihn ergreifen, falls er sähe, dass sein Goldfischchen dicht vor dem aufgestellten Netze kehrt macht und der Angel des Feindes entgegen eilt! —
Das wäre für den geizigen, berechnenden Mann wohl der schwerste Schlag, welcher ihn und seine Börse treffen könnte, und wenn er auch im Leben alles verschmerzen würde, die Millionen der Zukünftigen niemals! —
Cyprians Augen blitzten bei diesem Gedanken, der ihm wie eine neue, köstliche Eingebung erschien! „Ja, er kann reizend sein, wenn er nur will!“ sagte man von ihm, und jetzt wollte er, wollte bestricken und berücken — und die stets heisser glühenden Wangen der Baronesse Soldau bewiesen es, dass auch die Göttin der Liebe dem lustigen Juvivallera allüberall zum Sieg verhalf. — — Man beobachtete die Courmacherei voll harmloser Heiterkeit, als eine kleine Malice des Leutnants gegen seinen Rittmeister, denn jeder ernsthafte Gedanke schien dabei wohl ausgeschlossen. Ein ungleicheres und unpassenderes Paar hätte es wohl nie geben können, wie Cyprian und Bianka, und ausserdem dachte wohl der kaum zwanzigjährige, jüngste Leutnant an alles andere eher, als an ernstliches Verloben und Heiraten!
Und mit dieser Vermutung traf man auch durchaus das Richtige. Graf Lankwitz lag zur Zeit wohl kein Gedanke so fern, als der einer Verlobung, wenngleich sein überraschender Erfolg bei der spröden Soldau seiner Eitelkeit schmeichelte, und ihre strahlend geistvollen Augen ihm von Stunde zu Stunde besser gefielen.
Endlich blies es auch bei dem Kesseltreiben „Hallali“; die Gäste verabschiedeten sich in animiertester Stimmung, und auch Juvivallera bestieg frohgemut seinen Rappen, zur heimatlichen Garnison um zurück zu reiten! —
Als er zu seinem Hoftor einritt, stand der Bursche mit auffallend verstörten und bleichen Wangen — bereits wartend an der Schwelle, — sein Herr war jedoch zu weinseliger Stimmung, um das Angesicht seines Augusts eingehender zu studieren. Er warf ihm die Zügel zu, sprang zur Erde und betrat seine Wohnung.
Mitten auf dem Tisch des Wohnzimmers, hell beschienen vom Lampenschein, blinkten ihm ein paar Goldstücke entgegen.
Cyprian trat näher und übersah das Geld. Hundert Mark? — was soll das sein? —
Er trat zurück, ging nach dem Stall und rief August. „Heda! was liegt denn drin für Geld auf dem Tisch? woher stammt das?“
August richtete sich stramm auf. Sein Gesicht zuckte wie unter Qualen der Angst, seine Stimme klang tonlos und gurgelnd.
„Das ist ja für unsern Ziegenbock, Herr Graf!“
„Für den Ziegenbock?!“ Wie ein Donner rollte die Stimme Juvivalleras durch den niedern Raum. „Himmelschockbombenelement! Was soll das heissen?!“
„So wissen der Herr Graf von gar nichts?“ stammelte der geängstigte Husar.
„Keine Ahnung habe ich! Wo ist Hans? Wo steckt er? Was ist mit meinem Ziegenbock geschehen?“
Lankwitz riss ausser sich vor Erregung die Tür zum Nebenstalle auf und leuchtete mit der Laterne hinein.
Leer, öde und still. Keine Spur von Hans. Alles Blut wich aus den Wangen des jungen Offiziers. „Was ist mit dem Bock geschehen, August? Hat man ihn etwa getötet?“ fragte er durch die Zähne.
Der Bursche richtete sich stramm auf, zu rapportieren. „Als der Herr Graf heute mittag kaum zum Hofe hinausgeritten waren, kam der Herr Rittmeister mit einem andern Herrn und gingen, ohne mich zu rufen oder zu befragen an den Stall von unserem Hans heran. Mir ahnte gleich etwas Schlimmes, darum ging ich näher und stellte mich mit allem Respekt auf. Aber der Herr Rittmeister sah mich gar nicht an, sondern fragte den anderen Herrn: ‚So, hier ist der Ziegenbock. Dressiert für die Manege, kann alle möglichen Kunststücke, was geben Sie dafür, Levi?‘“
„Der Händler, den der Herr Graf ja auch kennen, handelte hin und her, dass solch ein Vieh gar keinen Wert habe — und dann sprachen sie leise miteinander, und schliesslich schienen sie handelseinig. Der Levi zog die Börse und zahlte dem Herrn Rittmeister etwas, und der sagte: ‚Na in Teufels Namen — dann will ich noch drauf legen, damit der Herr Graf ein gutes Geschäft macht.‘ Dann band der Levi unsern Hans an eine Leine und zerrte ihn mit sich fort, und als ich mir erlauben wollte, etwas zu bemerken, schnauzte mich der Herr Rittmeister so mächtig an, dass ich in den Stall retirierte, denn sagen durfte ich ja doch nichts mehr.“ August schluckte ein paarmal krampfhaft. „Unser Hans aber ist fort — und jetzt — jetzt haben sie ihn vielleicht schon geschlachtet, denn der Levi sagte, er sei recht gut im Futter!“
Schweigend hatte Juvivallera zugehört. Seine Stirn glühte dunkelrot, seine Brauen zogen sich wie drohend Wetter zusammen. — „Gut“, sagte er kurz, „hol mir eine Liebfrauenmilch aus dem Keller, August“, — wandte dem Burschen den Rücken und schrittin die Wohnung zurück.
Die halbe Nacht sass er und blies blaue Ringel, trank ein Glas um das andere und grübelte. Endlich blitzte es hell auf in seinen Augen, ein leises Lachen klang von seinen Lippen, triumphierend hob er den Kopf. Nun wusste er, wie er dem Rittmeister antworten wollte. Seelenvergnügt begab er sich zur Ruhe und schlief bis in den hellen Tag hinein, denn am andern Morgen klangen die Sonntagsglocken, und der Herr Rittmeister verlebte jeden Sonntag in der nahegelegenen Provinzialstadt.
An diesem Sonntag kehrte Herr von Angerschütz schon sehr frühzeitig in seine kleine Garnison zurück. Seiner Gewohnheit gemäss machte er zuvor noch einen Nundgang durch Wohnung und Stall, um zu revidieren, ob alles in Ordnung sei.
Die Physiognomie seines Burschen war dem Herrn Rittmeister stets sehr gleichgültig gewesen, auch heute hatte er keinen Blick für das auffallend veränderte Gesicht seines Husaren, welcher stumm und stramm vor dem Gebieter zu verharren hatte, bis er gefragt wurde. Und heute fragte Herr von Angerschütz nichts, absolut nichts — denn er hatte sehr üble Laune. Zum erstenmal war sein Besuch bei den Eltern der Baronesse Soldau ohne triftigen Grund abgelehnt worden. Und gerade bediesem Besuch hatte er Ernst machen und sich der „goli digen“ Dame des Herzens erklären wollen! — Konnte es tatsächlich wahr sein, was er vorhin von etlichen Jägern in der Stadt erfahren, dass Lankwitz es wagte, dem Vorgesetzten in das Gehege zu kommen? Dass Fräulein Bianka ein auffallendes Interesse für den jungen Laffen, seinen stadtbekannten Gegner gezeigt?
Eine fieberische Unruhe hatte Angerschütz erfasst. Er beschloss, noch an diesem Abend nach Schloss Soldau hinaus zu reiten, um auf jeden Fall eine Aussprache und das Jawort Biankas zu erzwingen. Er hatte schon so völlig sicher mit dieser glänzenden Partie gerechnet, dass ein Ausfall der vielen Millionen von unberechenbarer Tragweite für ihn sein konnte.
Gefolgt von dem Burschen trat er in den Stall, hielt die Laterne hoch und leuchtete. — „Na nu? zum Teufel Donnerwetter — wo sind denn die Pferde?“ — rang es sich, atemlos vor Uberraschung, von seinen Lippen. Da nicht sogleich eine Antwort erfolgte, fuhr er herum und starrte den Burschen an. Wie ein Bild des Jammers, mit schlotternden Knieu und angstverzerrter Miene stand Gottlieb vor ihm.
„Kerl!“ donnerte Angerschütz, „was ist mit den Gäulen passiert?“
„Die ... die ... die hat der Herr Graf zu Lankwitz heute nachmittag an den Levi verkauft, Herr Rittmeister“, stammelte der Husar mit halbgeschlossenen Augen, „auf dem Tisch drinnen liegen zweihundert Mark — —“
Ein unartikulierter Wutschrei. Die Laterne schmetterte auf das Pflaster, die Stalltüre krachte wie ein Kanonenschlag ins Schloss, und Gottlieb sass allein im Dunkeln, stöhnend vor Herzensangst, auf der Haferkiste im leeren Stall und erwartete resigniert, dass die Welt mit ihm und dem Grafen Lankwitz untergehe. — — Nie hat eine Geschichte in militärischen Kreisen so viel Sensation erregt, wie die des kühnen Juvivallera, welcher seinem Rittmeister, der ihm den Ziegenbock verkaufte, sehr gelassen die Pferde aus dem Stall en revanche ebenso verkaufte!
Selbstredend wirbelte die Sache ungeheuren Staub auf, nahm einen ernsten Charakter an und rollte wie eine Lawine, verderbendrohend von einer Instanz zur andern. Juvivallera aber pfiff sich eins und wusste es ganz genau, wie weidlich sein Streich in allen Kreisen belacht und applaudiert wurde, auch sah das Gesicht seines Obersten gar nicht so entsetzlich menschenfresserisch aus, als der sehr beliebte Chef ihm ernsten Auges sagte: im hiesigen Regiment sei Graf Lankwitz unmöglich geworden, er möge sich auf eine Strafversetzung gefasst machen.
Das tat der junge Missetäter mit seinem einnehmendsten und liebenswürdigsten Gesicht und hatte durchaus nichts dagegen, dass er bis zur Entscheidung zu einer andern Schwadron kommandiert wurde, wo er, unter scharmantesten Vorgesetzten, ein wahres Götterleben führte.
Juvivallera hatte ja stets Glück im Leben, wie hätte ihm jetzt Frau Fortuna den Laufpass geben sollen, nachdem er das ganze Land durch seine schlagfertige Rache amüsiert hatte?
Die gefürchtete Versetzung kam, aber — ein laut donnernder Jubel tönte durch die Kneipe, in welcher Cyprian mit seinen jungen Kameraden schon seit vierzehn Tagen allabendlich den Abschied mit Tränen der Madame Cliquot-Ponsardin begoss, als er, stockend vor Überraschung, den ominösen Zettel des Regimentsadjutanten vorlas. — In das St.’r Leib-Ulanenregiment? in eines der elegantesten, besten Regimenter, in die brillanteste Garnison, woselbst ein herzoglicher Hof residierte und sein Schwiegervater bereits eine fürstliche Villa besass? — — Donnerwetter — über solchen Dusel! — Herrlichster, entzückendster Oberst, der seinem übermütigen „Jüngsten“ für eine solche „Strafversetzung“ gesorgt! — Die Ohren haben ihm geklungen von all den begeisterten Hochs, welche Juvivallera auf ihn ausgebracht!
Und Cyprians Schwiegervater? — Ja, das war noch eine Geschichte extra für sich.
An jenem Abend, da Herr von Angerschütz vergeblich nach seinen Pferden suchte, um Schloss Soldau mit einem Heiratsantrag zu beglücken, sass Juvivallera kreuzfidel zu Füssen der Baronesse Bianka und fragte sie lachend: ob sie es nicht für gar zu bodenlos frech hielte, wenn er, der jüngste Leutnant, sich bereits mit Heiratsgedanken trage?
Heiss erglühend versicherte sie, das nur als sehr vernünftig und richtig loben zu können.
„Brillant! Dann sind wir ja vollkommen einig!“ jubelte der Ermutigte, fasste die beiden kühlen, unschönen Hände der Erwählten und zog sie stürmisch an die Lippen — „und wenn Sie es von mir vernünftig finden, dass ich mich in Sie verliebte, Bianka, dann seien Sie auch vernünftig und nehmen Sie mich!“
Das hatte sie strahlenden Auges getan, und so war Juvivallera ein zwanzigjähriger Bräutigam und baldiger Ehemann geworden.
Über diesen ersichtlich nur dem Rittmeister zum Schabernack ausgeführten Streich hat man zuerst doch sehr missbilligend in der Gesellschaft die Köpfe geschüttelt, denn sich zu verloben, lediglich um einen andern zu ärgern, fand man doch etwas allzu frivol und bedauerte das verblendete Mädchen, welches sicherlich einer unbeschreiblich unglücklichen Ehe entgegengehe. Nie ward wohl ein derart schroff kontrastierendes Paar getraut wie der leichtlebige Cyprian und die so sehr ernst beanlagte Bianka. Wie schnell wird der junge Sausewind die hässliche, langweilige Gattin überdrüssig bekommen und sie vernachlässigen! Mit rechter Spannung sah man dieser wohl unausbleiblichen Katastrophe entgegen.
Aber man hatte sich gewaltig in dem braven, rechtlichen Herzen Juvivalleras getäuscht. Wenn ihm anfänglich bei seiner Verlobung auch die Tatsache, dass Angerschütz sich die Gelbsucht an den Hals ärgerte, den grössten Scherz bereitete und er seinem Quälgeist gar nicht ostensibel genug seine Rache markieren konnte, so übten dennoch die glückstrahlenden, wahrhaft überseligen Augen seiner Braut einen tiefen und rührenden Eindruck auf ihn aus, und ihr ganzes Wesen, welches nur die zärtlichste, anbetendste Liebe ausdrückte, reizte ihn in herzlicher Freude an, ihr mit gleicher Innigkeit zu begegnen.
Was anfangs etwas Erzwungenes war, ward ihm bald zur wahren Überzeugung, denn Bianka war ein sehr tief und reich beanlagtes Gemüt, welches seine Fülle an Geist und Anmut dem Gatten ebenso völlig enthüllte, wie es sich vor der Welt mimosenhaft verschloss.
Die anfänglich so sehr angezweifelte, ungleiche Ehe des Grafen Lankwitz ward eine sehr glückliche und sein Benehmen gegen Bianka ein geradezu musterhaftes.
Nach Jahresfrist ward dem jungen Paar ein Sohn geboren, und Juvivallera, der einundzwanzigjährige Vater war ausser sich vor Stolz und Glück. So beliebt, wie er überall im Leben war, war er auch in der neuen Garnison, und darum nahm man allseitig den herzlichsten Anteil an dem grossen und aufrichtigen Schmerz des Grafen, als ihm seine Gattin nach kaum zweijähriger Ehe durch den Tod entrissen wurde. Eine heftige Lungenentzündung warf sie auf das Krankenlager, und Cyprian pflegte sie voll aufopfernder Treue bis zu ihrem letzten Atemzuge, welcher noch ein Segenswunsch für ihn gewesen.
Mit Bianka verliess ihn der gute Geist, der solide und schier würdevoll unter seinem Dach gehaust. Das Pflichtgefühl und der gute Einfluss der ernsten Frau hatten ihn in Bahnen gelenkt, die aus dem übermütigen Juvivallera einen ausgezeichneten Ehemann gemacht. Jetzt stand er wieder allein, verfiel in sein altes Junggesellentemperament und ward bald wieder ganz der frühere, leichtlebige junge Mensch, dessen gutem und bravem Herzen nur ein paar allzu flotte Flügel gewachsen waren.
Er ward ein Lebemann im guten Sinne des Wortes, stets mobil, unternehmend, hübsch, sehr elegant und allgemein beliebt.
Als Rittmeister nahm er seinen Abschied und lebte viel auf Reisen, während sein Söhnchen Cyrill im Hause seiner Schwiegereltern erzogen wurde.
Wie man sagte, hatte das Kind auffallende Ähnlichkeit mit der Mutter.
Sein Wesen und Charakter wenigstens zeigte schon seit frühester Jugend eine so aussergewöhnlich ernste und nachdenkliche Richtung, dass er wie die verkörperte Unnatur gegen seine kleinen Altersgenossen abstach.
So unbändig und ungezogen einst der Vater als Knabe gewesen, so musterhaft artig war Cyrill. Es bedurfte kaum der Erziehung bei ihm. Er folgte auf das Wort, er beschäftigte sich stundenlang still und artig in seiner Spielecke, er nahm alles, was ihm befohlen ward, unendlich wichtig und schwer, und wenn er ein Versprechen gegeben, so hielt er es mit einer Pflichttreue und Konsequenz, welche die Umgebung in Staunen setzte. Allerdings hatte er auch die hohe Empfindsamkeit der Mutter geerbt.
Sehr leicht und sehr tief beleidigt, zog er sich grollend in sich selbst zurück, nicht nur verbittert über die ihm geschehene Kränkung, sondern auch — und dies streifte den Charakter des Vaters — tagelang sinnend und grübelnd, wie er sich dafür rächen könne. Und er rächte sich auch jedesmal, nicht in boshafter oder hinterlistiger Weise, sondern stets in einer Form, welche dem Beleidiger zeigte, wie bitter unrecht er dem Knaben getan, wie verwerflich und unrichtig er daran gehandelt.
Etwas schulmeisterhaft Pedantisches lag in der ganzen Art und Weise des Kindes, wenngleich es entschieden auch von der Begabung des Vaters, seinen genialen Talenten und Befähigungen geerbt hatte, denn Cyrill lernte spielend leicht, erfasste jede Aufgabe schnell, zeigte grosse Vorliebe und Verständnis für Musik und fand namentlich viel Gefallen daran, mit erstaunlicher Phantasie kleine Geschichten und Märchen zu ersinnen. Dass dieselben meist eine recht tief religiöse, streng sittliche und rechtliche Moral verherrlichten, überraschte die Welt am meisten, und man konnte nicht genugsam das eigenartige Spiel der Natur anstaunen, welche in Vater und Sohn solche direkte Extreme geschaffen.