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Nach ihrer Reise zum Planeten Aria, wo Megan Blacknell sich als Alchemistin niedergelassen hat, um die Einheimischen zu studieren, setzt eine Serie grausamer Morde ein. Handelt es sich um die Taten eines Wahnsinnigen? Oder ist eine jahrtausendealte Kreatur aus der Vergangenheit des Planeten wieder zum Leben erwacht?
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Seitenzahl: 147
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Logan Kenison
VARGHUUL
DER SEELENFRESSER
Ein Spacehorror-Roman.
Inhalt
Impressum
Hintergrund
Varghuul – Der Seelenfresser (Roman)
Weitere Title von Logan Kenison
Copyright © 05/2013 by Logan Kenison
Lektorat: Carola Lee-Altrichter
Coverart: »Daemonicus« by skyvendik
https://www.deviantart.com/skyvendik
Abdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Autors.
Kontakt: [email protected]
Dieser Roman ist ein Produkt der Fantasie. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ist unbeabsichtigt und reiner Zufall.
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Das Buch
Nach ihrer Reise zum Planeten Aria, wo Megan Blacknell sich als Alchemistin niedergelassen hat, um die Einheimischen zu studieren, setzt eine Serie grausamer Morde ein. Handelt es sich um die Taten eines Wahnsinnigen? Oder ist eine jahrtausendealte Kreatur aus der Vergangenheit des Planeten wieder zum Leben erwacht?
Der Autor
Logan Kenison ist Autor von Western-, Abenteuer- und Spaceromanen. Neben seinen Western, die er mit Leidenschaft verfasst, schreibt er seit 2018 die Reihe Spacewestern.
Anmerkung
Dieser Roman erschien unter dem Autorennamen Frederick S. List in geteilter Form als die Bände 110 und 112 der Serie Star Gate – Das Original von Hary Production. Hier liegt er in überarbeiteter Form als abgeschlossener Einzelroman vor.
Logan Kenison
VARGHUUL –
DER SEELENFRESSER
Prolog
Du sahst mich an. Tränen glitzerten in deinen Augen. Du weintest.
Ich wusste, dass es schwer war, dir das Leben zu nehmen – doch ich musste es tun. Wenn ich selbst leben wollte, musste ich dir das Leben nehmen.
Ich schärfte den Dolch, damit du nur einen kurzen Schmerz spürtest. Wenn ich es schon tun musste, dann wenigstens so, dass du nicht würdest leiden müssen.
Als die Angst zu groß wurde und der Wahnsinn dich ergriff, zerrtest du an deinen Fesseln. Natürlich hatte ich dich so gebunden, dass du nicht entkommen konntest.
Im Licht der vier Kima-Kerzen trat ich vor dich. Du schriest und zerrtest. Ich strich dir das Haar aus dem schweißnassen, geröteten Gesicht.
Dann stach ich zu – mitten hinein in dein pulsierendes Leben.
1.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Von Osten zog bleierne Helligkeit über den Horizont, die den Himmel stahlgrau färbte. Draußen vor den Stadtmauern wallten die Morgennebel über Mandelbäume, Silberweiden und Blaugraswiesen und drangen bis zu den Waldrändern vor. Sogar aus den Baumwipfeln stieg die Nässe wie Rauch, als hingen dort Wolken fest, die den Weg zurück zu ihren Artgenossen am Himmel nicht mehr fanden.
Niemand sah, wie der Mann aus dem Wald trat und mit seinem Maultier am Zügel der Stadt zustrebte. Er hatte seinen Körper in einen schwarzen Umhang gehüllt und die Kapuze weit über den Kopf gezogen. Sein Gesicht konnte nicht ausgemacht werden; es lag versteckt in völliger Schwärze.
Der Mann atmete schwer. Seine Stiefel schmatzten bei jedem Schritt. Der feuchte Boden saugte sie an und hielt sie fest, wollte sie nicht wieder freigeben.
Das Maultier war mit ein paar Gegenständen beladen, über die der Mann eine lederne und mit Öl behandelte Plane gespannt hatte. Niemand konnte erkennen, welche Dinge er geladen hatte. Es waren wenige Dinge – zu wenig, um Handel zu betreiben, doch zu viele, als dass der Mann als bloßer Wanderer hätte durchgehen können.
Der Mann setzte Schritt vor Schritt. Unaufhaltsam kam er dem Stadttor näher.
Noch war es geschlossen. Die Soldaten hatten nach einer ereignislosen Nachtwache gerade erst gewechselt. Noch unterhielten sie sich, warme Kaffeebecher in den Händen haltend.
Sie entdeckten ihn erst, als er schon über die Hälfte des Weges herangekommen war. Nun kam Leben in die Wachen. Sie schrien sich gegenseitig zu, wiesen den bewaffneten Kampftrupp am Tor an, das kleine Fußgängertor zu öffnen, um den Wanderer und sein Tier hereinzulassen.
Das schmale Tor schwang auf, und der Ankömmling hielt darauf zu. Vier Wachen traten heraus und empfingen ihn. Sie sprachen kurz mit ihm, fragten ihn, was er in der Stadt wolle. Er schien alle Fragen zu ihrer Zufriedenheit zu beantworten, denn schließlich traten sie beiseite und ließen ihn durch.
Ohne einen Blick nach links oder rechts zu machen, ging der Mann zwischen den Wachen hindurch. Er verschwand in dem Fußgängertor. Gleich darauf verschwand auch sein Maultier.
Wenige Lidschläge später sah man ihn über den Vorhof der Stadt gehen. Die Hufe des Maultiers klapperten hinter ihm her. Hier würde eine Stunde nach Sonnenaufgang der Töpfermarkt aufgebaut werden, doch im Moment fanden sich hier nur Abfälle vom gestrigen Markt und Pferdeäpfel.
Auf der Brunnenmauer saßen acht Vögel und blickten dem Ankömmling neugierig entgegen, taubenartige Geschöpfe, deren Gefieder im Zwielicht grün und bläulich schillerte. Sie unterhielten sich in der Geheimsprache der Tiere und tauschten wild lispelnd Informationen aus. Als der Mann näherkam, flogen sie auf. Es war, als fiele ein Schatten auf die Vögel. Kreischend flohen sie auf die höhergelegenen Hausdächer am Rand des Marktplatzes.
Erst als der Mann den Kopfsteinplatz überquert hatte, kehrten sie langsam zum Brunnen zurück. Sie ließen ihn nicht aus den Augen, bis er und sein Tier völlig in der Gasse verschwunden waren.
Der alte Hulai, der gerade mit einem Ballen Heu aus dem Stall getreten war, hatte alles beobachtet. Hulai schwor später Stein und Bein, dass die Vögel den ganzen Tag über diese Gasse im Auge behalten hatten. Er war felsenfest davon überzeugt, dass sie nur darauf warteten, dass der Fremde zurückkam – um dann wieder wie in Panik aufzusteigen und fortzufliegen.
Wenn man ihn gefragt hätte, hätte er gesagt, das Böse wäre an jenem Tag in die Stadt gekommen. Doch niemand fragte ihn, und so hörte niemand seine Theorie.
Am nächsten Tag hatte er den Fremden vergessen. Denn Hulai hatte die Nacht wieder im Stall bei den Pferden verbracht und eine ganze Flasche Ginsterwein vertilgt, und das tat seinen Gehirnzellen nicht gut. Er ahnte nichts davon, dass er viele Dinge vergaß. Manchmal, wenn man ihn etwas fragte, starrte er einen an, ohne zu antworten. Nur die ganz Alten wussten, dass Hulai früher ein cleverer Bursche gewesen war.
Doch das war lange her, inzwischen galt er als Opfer des Ginsterweins. Und die ganz jungen Leute hielten ihn sogar für einen Blödgeborenen.
2.
Megan Blacknell öffnete das Fenster und ließ den Rauch abziehen. Das ging ja völlig daneben! Ihr Experiment war ein Schlag ins Wasser. Außer einer Verpuffung, Knall und Rauch war nichts herausgekommen, als sie die zwei Flüssigkeiten zusammengemischt hatte.
Sie steckte den Kopf aus dem Fenster und holte tief Atem. Frische Luft! Nach dem Rauch, der ihre Augen tränen ließ, war das wie ein neues Leben.
Sie dachte an den Tag zurück, den dem sie dem Stadtkönig erzählt hatte, sie wäre Wissenschaftlerin – oder im Sprachschatz der Arianer: eine Alchimistin. Er hatte ihr dieses »Labor« einrichten lassen, in dem es ihrer Auffassung nach nur mittelalterliche Behältnisse und Dinge gab. Und hier sollte sie arbeiten? Unmöglich!
Zumindest aber würde sie den Anschein von Arbeit aufrechterhalten können, wenn es immer wieder mal knallte und puffte und durch ihr Fenster farbige Dämpfe abzogen.
Währenddessen konnte sie die Bewohner der Stadt studieren, ihre Verhaltensweisen, ihre Vorstellungen, ihr Glaube, ihre Ängste.
Vielleicht würde sie dem König mitteilen, dass sie andere Werkzeuge, Utensilien, Geräte und Materialien gewohnt war. So jedenfalls war es ihr nicht möglich, Gold aus Blei zu machen. Das war ihre Umschreibung für das, was sie hier tat. Aus Blei Gold machen – das hatten auf der Erde die Alchimisten machen wollen und nie geschafft.
Vielleicht würde sie hier überhaupt nichts Brauchbares zuwege bringen, ging es ihr durch den Kopf. In der Herstellung billigen Hustensafts hatte sie jedenfalls schon versagt.
Hm. Aber vielleicht konnte sie die Handwerker der Stadt ein Mikroskop bauen lassen?
Ja, diese Idee war gut! Sie würde gleich morgen damit beginnen, die entsprechenden Pläne auf Papier zu bringen. Maximal zwei Tage würden dafür genügen. Dann würde sie beim Stadtkönig vorsprechen, der ihr die Handwerkerstunden und Materialien genehmigen musste.
Sie hatte keinen Zweifel daran, dass er ihr alles Notwendige zur Verfügung stellte. Damit würde sie die Wissenschaft auf Aria einen großen Schritt voranbringen.
Mit dieser Idee im Hinterkopf war sie eigentlich ganz zufrieden. Jetzt störte sie der Rauch nicht einmal mehr, der neben ihr durchs Fenster zog.
Als er sich lichtete, sah sie eine Frau durch die Gasse schreiten. Beinahe hätte sie losgebrüllt vor Lachen. Sie stakste heran wie ein Storch, und mehr als einmal drohte sie hinzufallen. Sie ruderte mit Armen und Beinen, um die Balance zu halten.
Megan konnte sich nicht mehr zurückhalten und prustete los.
Sie blickte ihr noch eine ganze Weile nach, bis sie die Treppen hochgestiegen und hinter einer Hausecke verschwunden war. Dann besann Megan sich auf die Arbeit in ihrem Labor. Bald ging die Sonne unter, und sie wollte noch Papier und Schreibzeug für die Planungsphase des nächstens Tages herrichten.
Gerade wollte sie sich vom Fenster abwenden, als unten in der Gasse eine schmale Tür aufging. Eine schwarze Gestalt huschte heraus, blickte in alle Richtungen, als vergewisserte sie sich, dass niemand sie beobachtete, und trat dann in den Schlagschatten.
Die Bewegungen des Vermummten hatten etwas Katzenhaftes. Megan erinnerten sie sogleich an ein Raubtier, das zur Jagd auszog. Etwas faszinierte sie an dem Mann. Sie wusste nicht, was es war. Obwohl sie sein Gesicht und seine Gestalt unter dem Umhang und der Kapuze nicht erkennen konnte, spürte sie, dass er kräftig und stark sein musste.
Sie behielt ihn im Blick, bis er zwischen den schwarzen Schatten der Häuser verschwunden war. War er durch eine der offenstehenden Türen geschritten? Oder in eine der schmalen Gassen abgebogen, die zwischen den Häusern hindurchführten? Megan hatte es nicht richtig erkennen können.
Sie seufzte. Der geheimnisvolle Fremde hatte ihr Interesse geweckt.
Seit sie vor wenigen Wochen in Kentfort angekommen war und ihre Dienste als Alchimistin angeboten hatte, litt sie ein wenig unter Langeweile. Zu gleichförmig und geregelt verlief das Leben in der Stadt, zu sehr war der Alltag einem ungeschriebenen Reglement unterworfen, das kaum einer der Einwohner zu durchbrechen wagte.
Aber sie, als Neue, würde nicht damit beginnen.
3.
Hulai schlurfte durch den Mittelgang des Stalls und redete »seinen« Tieren beruhigend zu. Es war seine Angewohnheit, mit den Pferden zu sprechen, sie nach einem langen und harten Arbeitstag zu loben, ihnen ein Nachtlied vorzusingen, sie zu trösten.
Am Ende des Stalls war sein Schlafplatz: Ein Haufen Heu, auf dem er sich niederließ. Er liebte es, die Nacht hier zu verbringen. Bei den Tieren, ihren Geruch zu riechen, ihre Geräusche zu hören. Das Schnauben. Da Klappern der Hufe, das Pochen, wenn eines der Tiere träumend gegen die Stallwand hämmerte.
Dies war seine Welt.
Übertroffen wurde das alles nur noch durch die Flasche Ginsterwein, die er im Heu versteckt hatte. Roggin, der Besitzer des Stalls, hatte es nicht gerne, wenn er berauschendes Getränk hereinbrachte. Doch Hulai kümmerte sich nicht um die Schimpftiraden, sondern tat weiterhin das, was er am meisten liebte. Schließlich kam niemand zu Schaden – weder Tiere noch Menschen.
»Und wenn ein Feuer ausbricht, und du sternhagelvoll im Heu liegst?«, hatte Roggin ihn einmal gefragt.
Hulai hatte nur mit den Schultern gezuckt.
Ich fühle mich wohl, hatte das bedeutet. Und wenn sein geliebter Stall eines Tages nicht mehr wäre, dann wollte Hulai auch nicht mehr sein, hatte das bedeutet. Wenn der Stall niederbrannte, dann war es ihm egal, wenn man seine verkohlte Leiche aus den Trümmern zog, das hatte das bedeutet.
Ihm war es also egal.
Deshalb gab er sich auch heute nach Sonnenuntergang dem Ginsterwein hin. Draußen war alles zur Ruhe gekommen, nur ganz vereinzelt waren noch Stimmen zu hören.
Die schöne Cala im Nachbarhaus sang ihren beiden Kindern ein Schlaflied vor und begleitete sich auf einem Saiteninstrument. Er kannte sie und ihren Mann gut; sie hatten zwei Pferde hier im Stall stehen.
Hulai fühlte sich selbst von Cala in den Schlaf gesungen. Heute hatte sie schon früh mit ihrem Lied begonnen – oder kam es ihm nur so vor? Rasch entkorkte er die Flasche und setzte sie an die wulstigen Lippen. Es gluckste laut, als er ein Viertel ihres Inhalts in sich hineinlaufen ließ.
Als Cala mit ihrem Lied fertig war, spürte Hulai bereits die selige Wirkung des Ginsterschnapses in sich aufsteigen. Langsam kroch sie in ihm hoch, in seinen Kopf. Er fühlte sich wie auf einem fernen Eiland, das Heu war sonnengewärmter Sand, die Wellen plätscherten gleichmäßig und trugen warmes, kristallklares Wasser heran.
Er driftete weg in ein anderes Land – ein Land, das er schon oft besucht hatte. Das ihm sogar noch mehr Zufriedenheit verschaffte als die tägliche Arbeit mit den Tieren. Hier zwitscherten Vögel, und auf einem nahen Hügel saß ein Hirte und spielte eine sanfte Melodie auf seiner Flöte.
Ein Ort des Friedens und der Ruhe – das war dieses Land, das Hulai jeden Tag kurz vor dem Einschlafen aufsuchte.
Er ging immer barfuß ein paar Schritte am Strand entlang – allein. Der einzige Besucher weit und breit.
Wellen spülten um seine Beine, Sand floss weg und hinterließ nur Einbuchtungen, keine richtigen Spuren.
Er hatte sich allein gewähnt, doch heute stimmte etwas nicht.
War es der Wind? War er kälter als sonst?
Oder zwitscherten die Vögel leiser?
Er horchte genau hin. Sie hatten aufgehört.
Er wandte sich um und blickte den Strand entlang. Immer noch rollten die Wellen gegen den Sand an, unaufhörlich, unermüdlich, ewig.
Er brauchte geraume Zeit, bis sein benebelter Verstand die Zeichen verarbeitet hatte und zu deuten vermochte.
Spuren!
Ja, hier im Sand waren Spuren.
Schlagartig war er hellwach. Er starrte auf die Spuren hinab. Sie stammten zweifellos von Stiefeln.
Jemand ist hier entlanggegangen.
Jemand war in sein Refugium eingedrungen.
Eine klirrende Kälte breitete sich auf Hulais Rücken aus, als ihm bewusstwurde, dass er nicht länger allein war. Aber wer wusste von dem Refugium, das er täglich aufsuchte? Das ihm den Abend und die Zeit vor dem Einschlafen versüßte?
Und vor allem: Was wollte der Eindringling hier?
Neben den Stiefelspuren befand sich eine Linie im Sand, gerade so, als hätte der Mann einen Säbel neben sich hergezogen, die Säbelspitze im Sand schleifen lassen.
Hulai erschrak über diese gedankliche Verbindung. Die gezogene Linie hatte er sofort mit einer Waffe assoziiert. Gewalttat? In seinem Refugium?
Bei den Sternen, das durfte nicht sein!
Er folgte den Stiefelspuren, ging immer schneller, bis er schließlich rannte und völlig außer Atem war. Sie Spur führte eine kleine Anhöhe hinauf, zwischen Schilfgras und Gestrüpp hindurch.
Häuser? Hier war Hulai noch nie gewesen. Aber hier gab es ja Häuser! Er blickte sich verwirrt um. Dies war eine neue, fremde Welt für ihn. Seltsam, dass er sie noch nie erkundet hatte, obwohl er das Refugium schon so viele Male aufgesucht hatte.
Die Holzhäuser standen weit auseinander. Gestrüpp, Sträucher und Palmen befanden sich zwischen ihnen.
Im letzten Licht der im Meer versinkenden Sonne lief Hulai der Spur nach, die zu einem Haus führte.
Aus den Fenstern fiel Lichtschein.
Wie lange mochte es her sein, dass der Fremde hier entlanggegangen war? Stunden? Minuten?
Hulai beugte sich über einen Stiefelabdruck und sah, wie seine Ränder zerbröselten. Die Spur war so frisch, dass sie noch nicht einmal zerbröselt gewesen war! Der Mann musste gerade eben hier vorbeigekommen sein. Vielleicht noch nicht einmal zwei Minuten vor Hulai.
Der Alte keuchte auf. Als er zu dem Haus mit den beleuchteten Fenstern hinüberblickte, begann er zu zittern. Er wusste nicht, was er tun sollte. Alles in ihm schrie, er solle das Refugium verlassen. Dies war nichts, was ihn interessierte. Dies wollte er nicht wissen!
Hulai stimmte diesen Gedanken zu – und doch schaffte er es nicht, den Blick von dem Holzhaus zu lösen. Er machte einen Schritt, dann noch einen … und schließlich befand er sich im schnellen Gang. In weniger als einer Minute hatte er das Haus erreicht.
Er schlich zum Fenster, spähte hinein – und erschrak zu Tode.
Eine schwarze Gestalt beugte sich über ein Bett, in dem ein schlafendes Mädchen lag.
Das Mädchen war hellhäutig, fast weiß. Rein. Unschuldig. Ihr weißes Nachthemd besaß einen Rüschenkragen. Die Szenerie war so deutlich, dass Hulai sogar ihr Atmen hörte.
Und er hörte noch etwas: das Schnaufen der schwarzen Gestalt, die sich über das Mädchen beugte. Es war ein wildes, gieriges Schnaufen. Ein hasserfülltes, böses Schnaufen. Das gierige Einsaugen und Ausstoßen von Luft und Ausdünstung, Schweiß und Mordgier.
Er sah, wie der Fremde – völlig verborgen unter einer schwarzen Robe und Kapuze – einen langen Dolch zog. Er stimmte einen monotonen Singsang an, so leise, dass er das Mädchen nicht aufweckte. Er vollführte eine rituelle Bewegung, zeichnete mit der Dolchspitze seltsame Muster in die Luft.
Dann stieß er einen Schrei aus und ließ die Klinge nach unten fahren.
Hulai brüllte los.
Das Mädchen erwachte und stieß einen spitzen Schrei aus.
Der eindringende Dolch ließ sie abrupt verstummen.
4.
Blut spritzte aus der Dolchwunde, und aus der Kapuze schälte sich ein düsteres Gesicht, lang, hager, spitz, mit schwarzem Sichelbart. Das Kinn ruckte vor, schob sich in den Blutstrahl, der Mund öffnete sich und die schwarze Gestalt trank das Blut.
Obwohl Hulai wie verrückt brüllte, ließ der Mörder sich nicht beirren. Er führte seine Handlung zu Ende mit einer Präzision, die den unvermittelten Zuschauer schaudern machte.
»Du … du bist ja kein Mensch!«, japste Hulai.
Die Angst drohte ihm die Luft abzuschnüren, die Besinnung zu rauben. In Panik riss er sich los, ruckte herum und stürzte davon, durch den von der Tageshitze noch heißen Sand. Er floh zum Strand, doch der Ort, der ihm in der Vergangenheit immer ein Zufluchtsort gewesen war, hatte sich in eine Hölle verwandelt. Nun war er ein Ort des Todes und der Gefahr, von dem es kein Entkommen gab.