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Für Mariella sollte ihr Hochzeitstag der schönste Tag in ihrem Leben werden. Seit Mädchentagen hatte sie von einer Hochzeit in Weiß geträumt. Doch den passenden Mann fürs Leben zu finden, war für das schüchterne, unscheinbare Mädchen gar nicht so einfach gewesen. Kein junger Mann aus ihrem Umfeld interessierte sich für sie. Bis zu dem Tag, an dem Paolo in Mariellas Leben trat. Der Italiener arbeitete für ihren Vater, den reichen und bekannten Fabrikanten Franz Fuchs, der Firmen in ganz Europa besaß. Fuchs zeigte sich erstaunt, dass ausgerechnet Paolo, dieser smarte und bildhübsche Typ, der sicherlich an jedem Finger fünf Frauen hatte, ein Faible für seine Tochter Mariella entwickelte ... Wer nun Böses ahnt, der liegt ganz richtig ... nicht umsonst trägt dieses Buchprojekt den Untertitel „Mörderische Liebesgeschichten“.
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Verliebt, Verlobt ...
Mörderische Liebesgeschichten
Band 2
Martina Meier (Hrsg.)
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2024 – Herzsprung-Verlag GbR
Mühlstr. 10, 88085 Langenargen
Bearbeitung: Cat creativ - www.cat-creativ.at
Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2024.
Wir weisen darauf hin, dass das Werk einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt ist. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Illustrationen Cover: © alexgulko - Adobe Stock lizenziert
ISBN: 978-3-99051-197-8- Taschenbuch
ISBN: 978-3-99051-198-5- E-Book
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Die geheimnisvolle Villa
Und plötzlich stand ich vor den Trümmern meines Lebens
Willkommen in der Villa Sonnenschein
So ist das Leben manchmal
Ehemann unter Verdacht
Sein Geschenk an sie
Mal wieder der Gärtner
Ein mörderisches Spiel
Schlechte Karten
Liebesinsel Holzhafen
Die ehrgeizige Anwältin
Keine Chance
Mörderisch liebevoll
Liebe des Todes
Einundfünfzig Prozent
Sieben Worte
Verliebt, verlobt, verloren
Drei Schwestern
Forever young
Rache ist kalt am süßesten
Bella Donna
Gerechtigkeit
Decrescendo
Hijacked
Eiskalt
Liebe, Lügen, Leidenschaft – wird oft mit dem Tod bestraft
Das Date
Dreierkiste
Liebe und Wahnsinn
Der Plan
Der Ruf des Käuzchens
Rote Haare – auf der Elbphilharmonie
Alles auf Rot
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Adalan Grebenuk
Anabela Hechavarria
André Hénocque
Andrea Schütz
Andrea Timm
Bettina Schneider
Carola Marion Menzel
Christa Blenk
Christian Günther
Christian Reinöhl
Gabi Rose
Gerald Marten
Hannelore Futschek
Iris T.
Jochern Stüsser-Simpson
Julian Marvin
Juliane Barth
Karsten Lorenz
Kornelia Kirchhoff
Lea Riesel
Lisa Marie „LiMa“ Kormann
Luna Day
Monika Arend
Nora Mundt
Oliver Fahn
Pamela Murtas
Sabine Richter
Sonja Haas
Vanessa Boecking
Volker Liebelt
Volkmar Trepte
Wolfgang Rödig
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Die Nacht war düster und regnerisch, als Victoria vor der verlassenen Villa stand. Dunkle Wolken verhüllten den Himmel und ab und zu zuckten grelle Blitze durch die Schwärze. Der Wind heulte um die Ecken des alten Gemäuers, als wäre er ein warnender Dämon, der ihr ins Ohr flüsterte: „Geh nicht weiter.“ Sie wirkte wie aus einer anderen Welt, eine makellose Schönheit mit smaragdgrünen Augen, die einen Hauch von Melancholie verrieten. Ihre dunklen Haare wehten im Wind, als sie die Schwelle der Villa überschritt.
Doch ihr elegantes Äußeres täuschte über den einfachen Grund für ihren Besuch hinweg. Victorias beste Freundin Emily hatte sie gebeten, die Sanierungen an den maroden Wasserleitungen zu überwachen. Es war nicht nur die Freundschaft zwischen den beiden Frauen, die sie dazu veranlasst hatte, sondern auch das Mitleid mit Emilys Familie, die finanziell am Boden war und alles auf die Villa gesetzt hatte.
Victoria schlief in einem der kargen Gästezimmer. Das Bett war alt und knarrte bei jeder Bewegung und die Vorhänge flatterten im Wind, der durch die verlassenen Flure und Zimmer strich. Plötzlich zerriss ein lautes Klirren die Stille. Ihr Herz hämmerte wild in ihrer Brust, als sie aus dem Schlaf hochschreckte. Noch halb im Traum setzte sich Victoria abrupt auf und blickte ins Dunkle. Das Geräusch hatte sich wie das Zerbersten von Glas angehört, als ob ein Fenster eingeschlagen worden wäre.
Furcht ergriff sie, aber sie zwang sich zur Ruhe. In ihrer Handtasche, die neben dem Bett lag, bewahrte sie einen kleinen Revolver auf. Sie zog ihn vorsichtig heraus und schlich auf nackten Füßen über den Holzboden. Der silberne Mond schien durch ein zerschlagenes Fenster am Ende des Flurs – Victoria konnte die Silhouette eines Eindringlings erkennen, der sich in der Dunkelheit bewegte.
Sie umklammerte den Revolver mit beiden Händen und legte einen Finger um den Abzug. Ihr Herz raste und ihr Atem ging stoßweise. Als sie näher kam, fuhr die Gestalt herum und ihre Blicke trafen sich in einem elektrisierenden Moment. Der Eindringling, ein attraktiver Mann mit dunklem Haar und einer Narbe auf der Wange, die ihm etwas Wildes verlieh, sah sie an. Seine Augen drückten eine gefährliche Mischung aus Neugier, Bewunderung und Verlangen aus. Victoria war verzaubert und verblüfft, aber auch ängstlich, als sie auf seinen nächsten Schritt wartete. Langsam senkte sie die Waffe.
„Es ist eine prächtige Villa“, sagte der Mann. „Aber auch sehr einsam.“ Seine Augen schweiften zu den Spinnweben, die wie zarte Seide an der Decke hingen und die Geheimnisse der Vergangenheit umhüllten.
„Wer sind Sie?“, fragte Victoria misstrauisch. „Und was tun Sie hier?“
„Ich heiße Gabriel“, erwiderte der Mann, „und bin hierhergekommen, um Schutz vor dem Regen zu suchen. Aber nun finde ich weit mehr als nur einen Unterschlupf.“
Victoria warf einen skeptischen Blick zum Fenster. „Es sieht nicht so aus, als ob das Wetter bald besser werden wird.“
Gabriel trat einen Schritt näher. „Der Sturm draußen ist nichts im Vergleich zu dem, was hier drinnen entstehen könnte“, sagte er leise. Er beugte sich zu ihr und küsste sie sanft auf die Wange.
Victoria erschrak und stieß ihn von sich. Sie richtete den Revolver wieder auf ihn. „Was fällt Ihnen ein?“, fauchte sie.
„Ich kann Ihnen nicht widerstehen“, flüsterte er, als er ihre Hand ergriff und sie an sich zog. Sein Atem an ihrem Ohr und seine Lippen auf ihrem Hals ließen sie erschaudern. Sie versuchte, ihn wegzuschieben, aber sein Griff war eisern und auf seltsame Weise verlockend. Viktoria kämpfte einen kurzen Augenblick gegen das überwältigende Verlangen an, das plötzlich in ihr aufstieg, um sich dann der sinnlichen Versuchung hinzugeben, die Gabriel verkörperte.
Die beiden verloren sich in einem Strudel aus Lust und Verbotenem. Sie küssten sich voller Hingabe und vergaßen die Welt um sich herum. Er hob sie mühelos hoch und trug sie ins Schlafzimmer, wo er sie auf das Bett legte. Mit einem Ruck riss er den Stoff ihres Nachthemds auseinander und warf ihn auf den Boden. Sie seufzte leise, als er ihren Schlüpfer mit einer schnellen Bewegung über ihre nackten Beine streifte, bevor er sich selbst entkleidete. Die Nacht verging, während sie sich ineinander verloren. Ihre Leidenschaft loderte immer wieder auf, und sie teilten ihre Sehnsüchte, Träume und Ängste.
„Ich liebe dich, Victoria“, flüsterte Gabriel in ihr Ohr.
„Ich liebe dich auch, Gabriel“, antwortete sie leise.
Die Villa war einst Schauplatz von Verbrechen und Dunkelheit. Nun entflammte hier eine Liebe, die so heiß und gefährlich war wie die düsteren Geheimnisse, die die Wände verbargen. Geschichten von Mord, Verrat und Rache, die mit Victoria und Gabriel mehr zu tun hatten, als sie ahnten.
Doch als der Morgen graute und der Sturm sich legte, erwachte Victoria allein in dem verlassenen Raum. Das Bett war leer, von Gabriel keine Spur. Die Sonne lachte durch die Fensterscheiben, doch ihre Strahlen wärmten sie nicht. Sie fühlte sich kalt und einsam.
„Gabriel, wo bist du? Warum hast du mich verlassen?“, dachte sie verzweifelt. Verwirrt und besorgt durchkämmte sie die Villa, doch er schien wie vom Erdboden verschluckt. Sie rief seinen Namen, aber es kam keine Antwort.
Als Victoria durch die Zimmer ging, bemerkte sie plötzlich etwas. Eine der zuvor verschlossenen Vitrinen stand offen. Das Schloss war aufgebrochen und die Vitrine war leer. Dabei konnte sie sich noch deutlich daran erinnern, dass sie zuvor kostbares Porzellan darin gesehen hatte. Es handelte sich um eine Sammlung antiker Teller und Tassen, kunstvoll gemustert und mit Gold verziert – ein Erbstück von Emilys Familie von unschätzbarem Wert.
Ein eisiger Schauer durchfuhr sie und die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Hatte Gabriel das getan? War er ein Dieb, der sich in die Villa eingeschlichen hatte, um das wertvolle Porzellan zu stehlen? Es war schwer zu glauben, dass der Mann, in den sie sich verliebt hatte, etwas so Verwerfliches getan haben könnte. Er hatte ihr die schönsten Stunden ihres Lebens geschenkt und sie dann am schlimmsten enttäuscht und betrogen.
Victoria verließ die trostlose Villa und verbrachte den Nachmittag in der nahe gelegenen Stadt. Die Erinnerung an Gabriel und die leere Vitrine quälte sie unaufhörlich. Sie fühlte sich wie in einem Albtraum gefangen, aus dem es kein Erwachen zu geben schien. Als sie schließlich zur Villa zurückkehrte, dämmerte es bereits.
Victoria hatte Gabriel von den anstehenden Reparaturen an den maroden Wasserleitungen erzählt. Wenn Gabriel tatsächlich der Dieb war, bestand die Gelegenheit, dass er die heutige Nacht nutzen würde, um erneut einzubrechen. Sie schlich sich durch den verwahrlosten Garten und öffnete eine eiserne Tür, die zu einem Nebeneingang der Villa führte. In der Stille der Dunkelheit hoffte sie, unentdeckt zu bleiben. Doch welche Entscheidungen würde sie treffen, wenn er zurückkehrte? Würde sie ihn zur Rede stellen oder ihm verzeihen? Oder gab es vielleicht eine andere Erklärung für den Diebstahl? Ihr Herz pochte vor Anspannung und Nervosität, während sie auf seine mögliche Rückkehr wartete.
Die Zeit verging und die Dunkelheit hüllte die Villa ein wie ein düsterer Mantel. Victoria hatte sich in einem Raum versteckt, von dem aus sie den Eingang gut im Blick hatte. Würde Gabriel zurückkommen, vielleicht auf der Suche nach weiterem Diebesgut? Sie spürte ein Unbehagen in ihrem Magen, als sie an seine Lügen und seinen Verrat dachte.
Die Spannung wurde unerträglich, während die Nacht sich hinzog. Doch schließlich vernahm sie Geräusche von draußen. Jemand näherte sich der Villa. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie erkannte, dass es Gabriel war. Sein Schatten huschte lautlos durch den regnerischen Abend, er hielt eine große Tasche in der Hand. Er war sich sicher, dass die Villa nun menschenleer war, da er Victoria am Nachmittag gesehen hatte, als sie das Haus verließ.
Er zertrümmerte ein Fenster und stieg in das Haus. Der Regen und der Wind übertönten seine Schritte, während er durch die Räume glitt. Gabriel war ein erfahrener Dieb und hatte die Villa gründlich ausgespäht, bevor er seinen Einbruch plante. Er fühlte sich sicher, als er begann, wertvolle Gegenstände in seine Tasche zu stecken.
Doch dann hörte er einen Laut, der ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. Eine Gestalt tauchte aus dem Dunkel einer Ecke auf. Gabriels Herz setzte vor Schreck einen Moment lang aus.
Es war Victoria! Sie stand regungslos da, die Augen weit aufgerissen, als sie Gabriel mit seiner Beute ertappte. Ihre Anwesenheit hatte ihn überrascht und sein Herz raste vor Panik und Angst. Für einen Moment kreuzten sich ihre Blicke und nur das Prasseln des Regens und das Pochen ihrer Herzen unterbrachen die Stille in der Villa.
Victoria trat aus dem Schatten und warf Gabriel einen Blick zu, der gleichzeitig Enttäuschung, Wut und Verwirrung ausdrückte. Ihre Augen richteten sich auf die gestohlenen Gegenstände in seiner Tasche und sie konnte nicht fassen, dass der Mann, in den sie sich verliebt hatte, ein Dieb war. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie weigerte sich, sie zu zeigen. Als sie ihn zur Rede stellte, klangen ihre Worte wie eine Anklage.
Seine Miene wurde hart und gefühllos, als er plötzlich die Waffe auf dem Tisch liegen sah. Einen Augenblick lang schien die Welt stillzustehen. Dann, mit einem kühlen Lächeln, griff Gabriel nach Victorias Revolver und richtete ihn auf sie. Der Lauf der Waffe zielte auf ihr Herz und die Dunkelheit um sie herum wurde noch bedrückender.
„Du solltest nicht hier sein, Victoria“, sagte er ruhig, während er die Waffe festhielt. „Ich habe dich ausgenutzt, um die Details dieser Villa auszukundschaften. Du bedeutest mir nichts. Mein Plan ist bereits in vollem Gange und ich werde nicht zulassen, dass du ihm im Weg stehst.“
Victoria traute ihren Ohren kaum, als Gabriel seine Absichten gestand. Sie fühlte sich verletzt und verraten, als hätte er ihr das Herz aus der Brust gerissen. „Was hast du vor?“, flüsterte sie mit zitternder Stimme.
Er blickte sie kühl an und sagte: „Ich habe Schulden bei gefährlichen Leuten, die mich umbringen wollen, wenn ich nicht zahle. Deshalb brauche ich dringend das Geld aus diesen Einbrüchen, um mit meiner Geliebten nach Brasilien zu fliehen. Du warst nur ein Werkzeug, Victoria. Aber jetzt, da du die Wahrheit kennst, werde ich dich nicht am Leben lassen. Bis die Polizei deine Leiche findet, werden wir längst im Flugzeug sitzen.“
Ein trockenes Klicken, gefolgt von einem unheilvollen Schweigen, war die Antwort, als Gabriel den Abzug der Waffe betätigte. Seine Augen weiteten sich vor Schrecken, als er merkte, dass die Waffe, die er auf Victoria gerichtet hatte, nicht geladen war. Und sie wurden noch größer, als er sah, dass Victoria ihrerseits einen Revolver aus ihrer Handtasche zog und auf ihn richtete. „Nein!“, schrie er entsetzt. „Das würdest du niemals tun.“
„Ich habe die ungeladene Waffe absichtlich auf den Tisch gelegt, um dich zu überführen“, sagte sie mit eisiger Stimme. „Ich wusste, dass du ein Dieb und ein Lügner bist, Gabriel. Aber ich wollte sehen, wie weit du gehen würdest.“ Victorias Hand zitterte nicht, als sie dreimal abdrückte. Die Schüsse durchbrachen die Stille und Gabriel wurde von den tödlichen Kugeln getroffen. Er fiel zu Boden und regte sich nicht mehr. Sie empfand keine Reue oder Trauer, nur Erleichterung und Genugtuung.
Victoria ging zum Telefon, um die Polizei zu alarmieren. Das Telefon stand auf einem antiken Tisch in einem abgelegenen Teil der Villa. Mit fester und entschlossener Stimme schilderte sie dem Polizeibeamten am anderen Ende der Leitung, dass sich in der Villa ein Vorfall ereignet hatte, der dringend seine Aufmerksamkeit erforderte. Während sie sprach, schaute sie aus dem Fenster und beobachtete, wie der Regen gegen die Glasscheibe prasselte. Die Tropfen vereinten sich und bildeten kleine Bäche auf dem Glas, die im Schein der Laterne draußen funkelten.
Volker Liebelt,geboren 1966, lebt im malerischen Öhringen. „Die geheimnisvolle Villa“ ist eine Geschichte über Liebe und Leidenschaft, wobei die dunklen Geheimnisse und verborgenen Abgründe der menschlichen Seele erforscht werden.
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Niemand wird mir absprechen, dass Paketbote ein an sich harmloser Job ist. Und abgesehen von meinem verspannten Rücken und seltenen Stichen in meinen Knien war ich bis zu jenem Tag auch tatsächlich intakt.
Am Morgen verlud ich Pakete aus dem Container im Tor 17 in meinen gelben Transporter. Täglich die antrainierte Choreografie: mich beugen, um die Pakete bei durchgedrücktem Rücken aufzunehmen. Aus dem Hohlkreuz aufstehen, stabilen Stand finden, mich umdrehen und das Trittbrett meines Transporters hochgehen. Jene Hürde überwunden, stellte ich die Pakete, in Form und Größe arg variierend, für die Auslieferungstour zusammen. In die kalten, metallenen Regale hinein. Obwohl die Handgriffe tagein, tagaus fast deckungsgleich waren, war an diesem Tag irgendwie einiges anders.
Wenn ich an die Halle denke, die sich hinter Tor 17 anschloss, so denke ich immerzu ans Stimmengewirr der Transportfahrer und Briefträger, an das abgestandene Gemenge von schwitzenden Kollegen, den Abgasen angelassener Motoren und allerlei sonstige Ausdünstungen und Sinnespenetrationen.
An dem Tag, einem Donnerstag, hatte Briefträgerin Amalia wieder einmal meinetwegen ihren Zustelltisch verlassen. Wie eine Erscheinung stand sie plötzlich hinter den Streben meines halb leer geräumten Containers und sah mir beim Verladen zu.
„Ein Segen, dass du gekommen bist“, begrüßte ich sie wie üblicherweise ein bisschen zu hochtrabend. Beim morgendlichen Gespräch bewunderte ich ihr seidig-blondes, ewig langes Haar. Ich prüfte jedes Mal aufs Neue die Wölbung ihrer ein wenig spitzen, für ihren Frauentyp aber absolut stimmigen Nase.
Nach einer Weile unserer Zusammenarbeit hatten wir uns das erste Mal verabredet. Aus dem geplanten Espresso in einem Café war schließlich ein Abend in Amalias sturmfreier Bude geworden. Cocktails flossen reichlich, sodass wir irgendwann beide volltrunken auf ihrem Sofa eingedöst waren. Amalia sah in dieser ersten Nacht einfach umwerfend aus, keine Frage. Unter ihrer dezent roten Bluse, mit den meinem Gedächtnis leider entfallenen Stickmustern, duftete sie nach einer Parfüm-Marke, deren anhaltende Geruchsintensität ich zeitlebens nicht vergessen werde. Amalias Duftprofil hatte sich meiner Nasenschleimhaut fortan eingebrannt. Ab dem ersten Treffen waren wir dicke. Sie war liiert und hatte eine Tochter namens Tamara aus ihrer derzeitigen Beziehung. Ich war verheiratet.
„Der Berg an Paketen ist nur noch ein Häufchen, das geht ratzfatz bei dir“, sagte Amalia nun zu mir, während sie mich durch die Streben hindurch anguckte, wie ich Paket für Paket aus der Box nahm und in den Transporter schlichtete. Ihre Worte prasselten wie ein sanfter Regenschauer auf mein Trommelfell. Ich mochte ihr Geschwätz. Prompt fügte sie hinzu: „Heute Abend Disco? Da rockt eine Band. Lass uns bis in die Puppen tanzen. Morgen früh nehmen wir Streichhölzer mit in die Arbeit, damit unsere Augen offenbleiben.“ Auf diese Weise versicherte sie sich, dass ich die Verabredung trotz unserer verzwickten Partnerschaftsverhältnisse auch wirklich wahrnehmen konnte.
Nachdem ich ein paar weitere Pakete eingeräumt hatte, zwinkerte Amalia mir zu und prophezeite: „Eines Tages werden wir beide zusammen ein Häuschen im Grünen haben.“ Meine sie daraufhin untersuchenden Blicke mochte sie als Zweifel interpretiert haben, wahrscheinlich ergänzte sie deswegen: „Ach, Werner, würden unsere Illusionen wahr, was für ein Leben könnte das sein!“
„Illusionen sind Schäume. Das weißt du besser als ich.“
Dass wir uns von unseren Familien trennen würden, um miteinander ein solides Leben aufzubauen, war für mich stets ein Hirngespinst von aussichtslos Verliebten. Amalia war entschlossener, jener Perspektive Mann und Kind zu opfern. Insgeheim wusste gewiss auch sie von der Farce ihres Vorhabens.
„Amalia, komm“, forderte ich und winkte sie zu mir her, nachdem alle Pakete bis in den letzten Winkel meines Transporters verstaut waren. Sie trat hinter dem entleerten Container hervor. Wenige Schritte später streckte sie mir ihre Arme entgegen und ich zog sie mit meinen Händen übers Trittbrett ins Wageninnere.
Nachdem ich die Tür zugezogen hatte, nahm Amalia mich so heftig in ihre Umarmung, dass mir beinahe der Atem stockte und sie sagte: „Erstick du mir nicht.“
Als ich mich wieder einigermaßen erholt hatte, sagte sie mit unterschwelligem Stolz: „Merkst du, wie die Kollegen hinter unseren Rücken über uns tuscheln, Werner?“
„Ach, lass sie reden. Wir dürfen uns auch mal eine Auszeit gönnen.“
„Achten wir nicht auf das, was um uns herum geschieht, achten wir lieber auf uns.“
Bald nach unserem einvernehmlichen Dialog öffnete ich die Tür wieder. Prompt gab mir Kollege Bernd im Vorübergehen einen anzüglichen Spruch. Zum Charakter unseres Versteckspiels gehörten deftige Seitenhiebe. In der Firma schien unsere verborgene Zweisamkeit ein offenes Geheimnis.
„Hör auf, mit deinen Zähnen zu knirschen, bitte!“, rügte mich Amalia. Unbewusst, doch ausreichend laut, gab ich meiner Anspannung Raum. Sie deutete auf meine Trinkflasche im Rahmen von Tor 17 und sagte: „Nimm einen Schluck!“
„Ich muss los“, sagte ich, aber Amalia wollte sich nicht von mir lösen.
„Kistenweise Briefe warten auf dich, die wollen in Fächer verteilt und zugestellt werden.“
Es war die Wahrheit. Viele Kunden bestanden darauf, ihre Briefe tagtäglich zur selben Stunde zu erhalten. „Ich fahre meine Pakete aus, du sortierst deine Briefe. Abgemacht, Amalia?“
„Wenn’s denn sein muss, Werner.“
„Meine Maus“, sagte ich, inspiriert von meiner Vorfreude auf die hochhackigen Sandaletten, auf denen sie abends stöckeln würde. Obgleich Amalia ein so zierliches Geschöpf war, überragte sie mich mühelos in der Größe. Einen letzten verstohlenen Kuss drückte ich Amalia auf die Wange. Der Beigeschmack des Betrugs war dabei allgegenwärtig. Während Amalias Umarmungen dachte ich häufig zeitgleich an meine Frau. Meine Gewissenstätigkeit schien also noch zu funktionieren. Ich war keinesfalls ein von Löwin Amalia in die Höhle getriebenes Lamm, auch wenn die Sichtweise mir den Umgang mit meiner Schuld wesentlich erleichtert hätte.
Bei Amalia war die Situation neuerdings um ein Vielfaches komplizierter. Vor einigen Wochen hatte der Stress mit ihrem Partner eine bisher ungekannte Eskalationsstufe erreicht, deshalb ließ ich in ihrer Gegenwart öfter einfließen, sie brauche kein gutes Wetter machen, wenn ihr nicht danach sei.
Ich war in mein Führerhaus hineingeklettert, rief aus dem heruntergekurbelten Fenster: „Wir sehen uns später. Unterwegs werde an dich denken, Amalia, hörst du?“
Sie schluchzte, ich reichte ihr ein Taschentuch hinaus. Die Zwistigkeiten mit ihrem Paul hatten sie sensibel gemacht. Fertigte er womöglich Notizen über uns an? Mich ängstigte die Detonationskraft dieser Einzelheiten, falls Paul im Schilde führte, sie meiner Frau zu überbringen.
Amalias Handy klingelte unmittelbar vor meiner Abfahrt. Bald nachdem sie abgenommen hatte, versteinerte ihre Miene, jede Regung erstarb. Als sie aufgelegt hatte und ein wenig zu sich gekommen war, mahnte sie: „Sei umsichtig, Werner, sei heute wachsam.“
Ich winkte, fuhr endlich ab, passierte das Hoftor und steuerte meinen Transporter dem nahe gelegenen Industriegebiet zu. In der Rushhour hin und wieder eine Lücke finden, im Verkehr mitschwimmen und schließlich im Hafen von Tor 17 vor Anker gehen, das waren meine heutigen Bestrebungen. Das Radio blieb aus.
Ich hüpfte bei meinen Paketstopps über das Trittbrett hinauf auf die noch höheren Firmenrampen und jubelte innerlich bei jedem Halt, bei dem ich gleich eine Serie von Paketen abliefern durfte. Dank Amalias Warnung, besonders aufmerksam zu sein, richtete ich meine Blicke regelmäßig in den Rückspiegel.
Als ich wieder einmal auf die Hauptverkehrsstraße eingebogen war, bremste vor mir ein Caravan mit getönten Scheiben. Ich reagierte geistesgegenwärtig, bremste ebenfalls unverzüglich. Ein gebräunter Kerl mit Sonnenbrille und Locken bis in den Nacken stieg aus. Im Shirt mit V-Ausschnitt und einer dickgliedrigen, goldenen Kette auf seiner behaarten Brust kam er zu mir hergerannt, riss meine Fahrertür auf. Sofort schlug er mit einem Knüppel auf mich ein, ich schmeckte süßliches Blut an meinem Gaumen, doch zunächst wurde ich nicht ohnmächtig.
„Der Unbekannte hat meine Koordinaten getrackt“, dachte ich in der sonderbaren Klarheit meines Schocks. Amalia wollte in wenigen Stunden mit mir im Discotempel abtanzen. Alles vorbei! Den Ernst meiner Lage hatte ich noch immer nicht begriffen. Dann machte es Rums. Neuerliche Schläge. Sämtliche Lichter in mir wurden ausgeknipst.
Totale Finsternis.
„Ich gratuliere Ihnen zur raschen Besserung. Sie sind ein Sonntagskind. Gerade aufgewacht und schon voll ansprechbar“, sagte der Arzt auf der Intensivstation nach meinem Erwachen.
Der erste Besucher am Tag darauf war ein gebräunter Kerl mit Sonnenbrille, im Trägershirt, nackenlangen Locken. Er lehnte an meinem Bettgitter und redete mit eingestreuten Pausen: „Erinnerst du dich an den Knüppel … mit dem der Bursche verprügelt wurde, der mit Amalia rumgemacht hat … soweit mir bekannt ist, ist er verheiratet …“ Er packte mich am Kragen, würgte mich.
„Hör zu, ich hör auf mit Amalia, hörst du!“, röchelte ich.
„Brauchst du nicht mehr.“
„Ich werde Amalia von nun an meiden. Ehrenwort.“
„Brauchst du nicht mehr.“
Stunden später, nachdem Paul gegangen war, begriff ich, was er gemeint hatte mit: „Brauchst du nicht mehr.“
Oliver Fahn, geboren 1980, Pfaffenhofen an der Ilm, Heilerziehungspfleger, verheiratet, zwei Kinder. Kürzliche Veröffentlichungen: „Kindlichkeit“ bei etcetera von LitGes St. Pölten; „Die Faust der Nacht“ bei ausreißer Die Grazer Wandzeitung; „An der Pforte zur Teilhabe“ bei Friedrich Naumann Foundation; „An der Seite des sonderbaren Mannes“ für die Anthologie „ungebunden“ der Stadt St. Pölten.
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„Willkommen in der Villa Sonnenschein!“ Frau Habermehl, die Direktorin, gab zwei der Angestellten ein kurzes Zeichen, dass sie sich des Gepäcks annehmen sollten. „Ich freue mich sehr, meine Damen, Sie zum Probewohnen hier in unserem wunderschönen Haus begrüßen zu können!“ Sie reichte Frau Wegner die Hand, doch Philippa von Ankerberg war schneller.
Mit einem Satz, den man ihr mit ihrer hageren Figur und den immerhin schon stolzen 79 Jahren nicht zugetraut hätte, sprang sie nach vorne und ergriff die Hand der Direktorin. „Ich hoffe, es ist alles bereit für mich?“ Ihre Stimme war immer noch sehr kräftig und hatte einen schneidenden Unterton. „Gehen Sie bitte vorsichtig mit meinem Gepäck um!“, herrschte sie die Hausdamen an. „Die Koffer sind Designer-Koffer!“
Die Direktorin wirkte leicht irritiert und machte einen zweiten Anlauf, nun auch Frau Wegner zu begrüßen, was diesmal auch gelang.
Die Villa Sonnenschein lag wunderbar am Rande eines kleinen Weinbergs. Die 25 hochwertig eingerichteten Zimmer, alle nach Süden ausgerichtet, verfügten über einen eigenen Balkon oder eine eigene kleine Terrasse und waren sehr geräumig. Bei der stolzen Miete erwarteten die betuchten Gäste auch etwas.
Im Frühjahr gab es immer die Möglichkeit, für drei Wochen einen Urlaub zu verbringen, um für sich selbst festzustellen, ob man dort auf Dauer wohnen wollte.
Beide Damen nutzen nun dieses Angebot, denn jede hatte für sich festgestellt, dass es Zeit wäre, das eigene Anwesen gegen etwas Kleineres einzutauschen. Auf den bewährten Komfort wollte man natürlich nicht verzichten.
Das erste Abendessen diente dem Kennenlernen der Hausgemeinschaft. Viele der Bewohner waren körperlich schon etwas beeinträchtigt, was aber niemanden davon abhielt, sich diesen besonderen Abend entgegen zu lassen.
Frau Habermehl hatte alles auffahren lassen, was Weinkeller und Küche so hergaben. Die Bewohner nutzten die Gelegenheit, die beste Kleidung mal wieder auszuführen und ein paar Ehrengäste waren auch eingeladen.
Beate Wegner sah umwerfend aus. Ihre Frisur, ein grauer Bob, stand ihr sehr gut zu ihrem fast noch faltenfreien Gesicht und umrahmte die schönen blauen Augen. Das weinrote Etuikleid mit passendem Jäckchen war zeitlos und elegant, umschmeichelte ihre etwas fülligere Figur, und eine wunderschöne Perlenkette betonte ihren Ausschnitt.
„Sind Sie auch ein Bewohner?“
Der grauhaarige Herr im Dinnerjacket stand direkt neben ihr und hatte ihr mit seinem Champagnerglas in der Hand zugeprostet.
Beate Wegner nutzte diese Geste, um mit ihm ein Gespräch anzufangen.
„Oh, nein!“ Er lächelte und zeigte eine makellose Zahnreihe. „Darf ich mich vorstellen, mein Name ist Peter Blankenberg, Dr. Peter Blankenberg, ich bin hier der Hausarzt und kümmere mich ganz exklusiv um die kleinen und großen Wehwehchen der Herrschaften hier!“ Er hat viele kleine Lachfältchen um die Augen und plauderte munter weiter. Man merkte deutlich, die warmherzige, offene Beate Wegner schien ihm zu gefallen.
„Aber Sie, gnädige Frau, Sie sind doch noch viel zu jung, um hier zu wohnen!“ Er schickte ein Augenzwinkern hinterher und freute sich, dass Frau Wegner auf seinen kleinen Flirt einging.
„Danke, danke“, antwortete sie und lächelte, ihre blauen Augen strahlten. „Sie schmeicheln mir, ich werde demnächst 75 Jahre alt und muss mich langsam mal damit abfinden, dass es mir zu anstrengend ist, ein großes Haus zu führen.“
„Meine Damen und Herren, ich darf Sie zu Tisch bitten, aber vorher möchte ich Ihnen noch zwei reizende Damen vorstellen, die jetzt hier für drei Wochen Urlaub machen! Lassen Sie mich Frau Beate Wegner und Frau Philippa von Ankersberg in unser aller Namen willkommen heißen!“
„Von Ankerberg, bitte!“
Die Direktorin zuckte zusammen, so scharf klang die Stimme. „Von Ankerberg, oh Verzeihung!“, ergänzte sie.
„Frau von Ankerberg ist eine der bekanntesten Sopranistinnen deutschlandweit und es wäre uns eine ganz große Ehre, wenn Sie uns vielleicht in den nächsten Wochen ein bisschen an Ihrer Kunst teilhaben lassen würden?“
Frau von Ankerberg streckte sich und hob das Kinn. Dadurch wirkte sie noch länger und hagerer. In ihrem Blick war Genugtuung. „Wenn Sie mir einen Pianisten besorgen können, der mein Repertoire halbwegs beherrscht, können wir darüber reden!“
Der Abend verlief ruhig, das Essen war vorzüglich, nur Frau von Ankerberg war nicht ganz so zufrieden. „Der Wein hatte nicht die richtige Temperatur und kratzt zu sehr im Hals, das tut meiner Stimme nicht gut. Und Pute essen ich eigentlich gar nicht, die bestehen ja nur noch aus Antibiotika, so was muss ich meinem Körper nicht antun, aber sonst war es ganz okay!“, antwortete sie auf die Frage der Direktorin.
Man einigte sich darauf, dass am übernächsten Samstag, am Frühlingsfest, Frau von Ankerberg einige Lieder zum Besten geben sollte. Als Pianist hatte sich Dr. Peter Blankenberg zur Verfügung gestellt, der ein leidenschaftlicher Hobby-Musiker und Pianist war.
Zuerst wurde er von Frau von Ankerberg sehr kritisch beäugt, dann änderte sie ihre feindselige Grundstimmung ihm gegenüber. Sie vereinnahmte ihn. Entweder musste er mit ihr üben oder sie hatte gesundheitliche Probleme. Dr. Blankenberg hatte kaum noch freie Zeit, ständig rief sie ihn an.
„Ich brauche Ihre ärztliche Hilfe, mein lieber Herr Doktor“, flötete sie diesmal ins Telefon. Dass es schon weit nach 21 Uhr war und diese Telefonnummer eigentlich nur für Notfälle gedacht war, war ihr egal. „Ich bin heiser und sorge mich um meine Stimme!“
Dr. Blankenberg seufzte, auf was hatte er sich da eingelassen. Er war auch schon im Rentenalter, hatte nur noch eine beratende Teilzeitstelle in seiner ehemaligen Schönheitsklinik und nicht damit gerechnet, dass er als Hausarzt in einer kleinen, privaten Senioren-Residenz so von einigen Herrschaften beansprucht werden würde.
Heute saß er wieder mit Frau Wegner, die er schon seit einigen Tagen Beate nennen durfte, im Garten des Anwesens und trank mit ihr einen guten Rotwein.
„Frau von Ankerberg schon wieder?“ Beate Wegner kicherte, ihr schönes Gesicht zeigte leichte Anzeichen von Belustigung. „Wie viele Einsätze hattest du diese Woche schon bei ihr?“
„Ja, eben schien sie noch ganz munter zu sein, als sie durch den Garten an uns vorbeieilte, aber die Pflicht ruft, liebe Beate, ich muss mich entschuldigen. Wir sehen uns morgen. Und komm bitte morgen noch in meine Sprechstunde, damit wir uns um deine Herztabletten kümmern können, die habe ich inzwischen vorrätig!“ Er erhob sich, legte vertraut seine große Hand auf ihren Oberarm und küsste sie zärtlich auf die Wange.
Frau von Ankerberg warf das Champagnerglas, was sie eben noch in der Hand und noch nicht ganz ausgetrunken hatte, mit Schwung gegen die Wand. Es zersplitterte in Tausende Scherben, der kostbare Jahrgangschampagner tropfte an den dunklen Klinkern herunter und bildete eine trostlose Pfütze auf den Terrakotta-Fliesen. Ihre Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen.
„Die schon wieder!“, zischte sie kaum hörbar durch ihre makellose Zahnprothese. Sie hatte auf der Terrasse gestanden und Beate Wegner und Dr. Blankenberg die ganze Zeit beobachtet.
Wie schon bei den gefühlten 15 Anrufen zuvor konnte Dr. Blankenberg bei Frau von Ankerberg keine ernsthafte Erkrankung feststellen.
„Und wenn Sie schon mal da sind, meine Schilddrüsentabletten sind schon wieder alle, ich brauche unbedingt neue!“
Es war spät und Dr. Blankenberg müde. Er wunderte sich etwas, schließlich hatte sie erst neulich welche bekommen. „Kommen Sie dafür bitte morgen in meine Sprechstunde, das besprechen wir dann in Ruhe.“
Er spielte mit dem Gedanken, sein Notfalltelefon für heute auf stumm zu stellen, wusste aber, dass er das nicht machen durfte, denn schließlich konnte zwischen den 25 Bewohnern auch mal jemand sein, der wirklich seine Hilfe benötigen würde.
Die Sprechstunde war jeden Morgen um 8 Uhr. Die junge Sprechstundenhilfe war eine Aushilfe und kannte Frau von Ankerberg noch nicht. „Der Doktor kommt bestimmt um 8 Uhr pünktlich!“, versuchte sie Frau von Ankerberg zu beruhigen. „Gehen Sie doch noch einen Kaffee trinken, ich kann sie noch nicht reinlassen!“
„Sie können das, Schätzchen! Weil ich das will, ich stehe doch hier nicht rum wie ein Schulmädchen, wissen Sie nicht, wer ich bin?“
Die Sprechstundenhilfe hatte keine Lust auf Ärger und weitere Diskussionen und schloss die Tür zu dem kleinen Sprechzimmer auf. „Dann nehmen Sie schon mal Platz, ich muss noch schnell was erledigen und komme dann gleich zu Ihnen!“
„Na also, geht doch!“ Mit einem triumphalen Gesichtsausdruck trat Frau von Ankerberg ein und machte es sich auf dem breiten Stuhl vor dem Schreibtisch des Arztes gemütlich. Ihr Blick blieb an einem Tütchen hängen. Beate Wegner stand dort drauf. Neugierig reckte sie sich und fische das Tütchen zu sich heran.
Das Herzmedikament, was dort eingepackt war, kannte sie zu gut. Ihr verstorbener Gatte Nr. 4 hatte es auch immer genommen. Es war sehr stark und musste ganz regelmäßig und immer zur gleichen Uhrzeit genommen werden.
Pech für Herrn von Ankerberg war, dass er seiner Gattin nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit gegeben hatte und lachend und gut gelaunt lieber mit seiner Krankenschwester im Garten saß. So blieb Frau von Ankerberg leider nichts anderes übrig, als die weißen Tabletten mitsamt dem Tabletten-Blister gegen ihre Schilddrüsentabletten auszutauschen. Sahen sich aber auch so was von ähnlich – und wer las schon den Aufdruck auf der glänzenden Rückseite.
24 Stunden später war Herr von Ankerberg nicht mehr unter den Lebenden, so etwas war nicht ungewöhnlich mit 89 Jahren und langer Herzkrankheit.
Sie öffnete mit einem ihrer scharfen Fingernägel den kleinen Klebestreifen und fingerte die Tablettenblister vorsichtig heraus. Drei Stück waren dort drin, und wie zufällig hatte sie auch noch drei volle Blister ihrer Schilddrüsentabletten in der Handtasche. Der Austausch ging schnell, der Klebestreifenspender auf dem Tisch des Doktors verhalf ihr, die Packung unversehrt aussehen zu lassen.
Sie hatte gerade die Tablettenschachtel wieder in das Tütchen gesteckt, als die Tür geöffnet wurde. Um nicht aufzufallen, ließ sie die Tüte samt Tabletten unter den Schreibtisch fallen.
„Ich muss Ihnen leider sagen, dass die Sprechstunde heute erst um 10 Uhr ist.“ Die Sprechstundenhilfe versuchte, so sanft wie möglich zu klingen. „Der Herr Doktor hat noch einen Notfall!“
Mit einem verächtlichen Blick erhob sich Frau von Ankerberg von ihrem Stuhl und verließ wütend den Raum.
„Er soll sich bei mir melden!“, zischte sie. „Er hat ja meine Nummer!“
Die Sprechstundenhilfe war froh, diese unangenehme Person erst mal wieder los zu sein. Sie suchte nach dem Papierkorb, hob ein paar auf dem Boden unter dem Schreibtisch liegende Papierschnipsel auf, unter anderem eine kleine Papiertüte, und leerte alles in einen Müllsack.
Wenn sie sich beeilen würde, ging es noch mit der Müllleerung heute mit. Ihre Kollegin hatte ihr gesagt, der Doktor hasse Unordnung!
Gabi Rose, 1960 in Kassel geboren, arbeitet als freiberufliche Moderatorin und freie Traurednerin in der Nähe von Fulda. In ihrer Freizeit entspannt sie sich durch das Schreiben von Kurzgeschichten, besonders ungewöhnliche Liebesgeschichten haben es ihr angetan.
*
Die Blaulichter und die Sirene des zivilen 3er-BMW waren eingeschaltet, als ich mit meiner Partnerin Judith den Bredeneyer Berg nahe des Baldeneysees bei Essen-Werden hinaufbrauste.
Sie neigte den Kopf zum Funk, der an ihrer Schutzweste befestigt war. „Eintreffen am Einsatzort in wenigen Sekunden.“
Die zweispurigen Richtungsfahrbahnen waren baulich durch eine kniehohe Betonmauer getrennt, der Abzweig zu einem Lokal bot eine Lücke. Durch den Unfall, zu dem wir beordert wurden, war die Gegenfahrbahn blockiert.
Ich setzte den Blinker und wechselte abrupt.
Judith stieß mit ihrem Ellenbogen gegen die Ablage. „Elchtest hasse bestanden, Nick.“ Sie rieb sich über den Arm.
„Hattesse wat anderes erwartet?“, erwiderte ich und hielt vor einem Ford S-Max Streifenwagen, um den daneben abgestellten Rettungswagen nicht zu blockieren.
Die Unfallstelle in der Kurve bei dem Blitzer konnten wir überblicken. Ein unangenehmer Anblick, obwohl wir bereits wussten, was passiert war. Ein SUV war versetzt auf einen Lkw mit Baumstämmen aufgefahren, von denen sich einer in den Innenraum gebohrt hatte. Um den Stamm herum schützten Planen den Bereich vor Blicken.
„Schaut nicht rein“, riet die Sanitäterin, die mit blassem Gesicht vor dem Rettungswagen gelehnt stand. „Es hat die Beifahrerin erwischt.“
„Wat is mit dem Fahrer?“, erkundigte ich mich.
„Für den ist es glimpflich ausgegangen, zumindest körperlich. Hat ihn aber sehr mitgenommen, das, was geschehen ist. Kollegen fahren ihn gerade zum Krankenhaus.“
Die uniformierte Kollegin Lena trat hinzu.
„Wer sitzt da im Streifenwagen?“, fragte Judith sie.
„Dit iss der Vater vonne Beifahrerin“, erklärte Lena. „Als die Polizei ihn als Angehörigen informiert hat, iss er sofort aufgebrochen. Boah eyh, wat hat der für ’ne Szene hier vor Ort veranstaltet! Mussten ihn von seinem Schwiegersohn trennen, dem wollte er regelrecht an die Gurgel gehen.“
„Deshalb wurden wir gerufen?“, schätzte ich.
„Dit iss nun euer Fall, diese Situation aufzuklären. Da hab ick nüscht mit zu tun. Michael und ich sind nur mit dem reinen Unfall betraut.“
„Wisst ihr schon wat zum Unfallhergang?“
„’n hinter ihm Fahrender hat ausgesagt, der SUV sei zuerst vor die Mauer geprallt und anschließend auffen langsameren Lkw drauf.“
„Als wenn der dat Lenkrad verrissen hätt?“, präzisierte Judith.
„Yes, dit wär ’ne schlüssige Erklärung.“
„Wie kommt der Vater auf ’ne andere Meinung?“
„Er meint, et ginge Schwiegersöhnchen umme Moneten.“
„Umme Moneten?“, wollte ich wissen. „Inwiefern?“
„Die Frau war ’ne gute Partie, sehr vermögend.“
Eine Woche später saßen Judith und ich bei der Staatsanwaltschaft mit Frau Dr. Ahlbeck zusammen und trugen unsere Ermittlungsergebnisse vor.
„Die beiden waren erst seit Kurzem verheiratet“, begann Judith. „Verliebt, verlobt, verheiratet und getrennt in nur wenigen Monaten.“
„Der Tod hat sie geschieden“, nickte die Staatsanwältin.
„Is ’ne recht kurze Zeit bei ’en Verunfallten“, stimmte ich zu. „Sie kannten sich seit ’nem Jahr, seit sechs Wochen verheiratet. Dat wirkt schon inne Richtung, dat da wat dran sein könnt mit Absicht. Andererseits: Planen lässt sich dat nich, so ’n Unfall.“
„Da stimme ich Ihnen zu. Wenn, dann bloß spontan.“
„Längerfristige Planung, wenn eine Gelegenheit kommt?“
„Können Sie das nachweisen, Herr Fengler?“
„Gelegenheit war da, aber et is bloß theoretisch.“
„Wir ham die ganze Familie befragt“, fuhr Judith fort. „Von ihm und von ihr, da sind Fronten ebenfalls verhärtet. Laut sei’n Eltern und seiner Schwester war er ’n umsichtiger Fahrer. Ihre Eltern und Brüder sind anderer Meinung. Er hätt gern ma Gas gegeben. Hat seit zwölf Jahren sei’n Führerschein und tatsächlich ’nen Punkt in Flensburg wegen überhöhter Geschwindigkeit. Als notorischen Raser seh’n wir ihn deshalb aber nich. Laut Aussagen der Angehörigen kein Fahrsicherheitstraining absolviert. Dat Auto hat er seit etwas über drei Jahren und vierzigtausend Kilometer zurückgelegt.“
„Wie gewohnt gründlich, Frau Reiter. Alleinfahrer?“
„Sie hat kein Führerschein gehabt. Daher geh’n wir inne Richtung, er war im Umgang mit sei’m Wagen vertraut.“
„Kolleginnen und Kollegen ham am Unfallort Befragungen vorgenommen“, übernahm ich das Wort. „’n Zeuge hatte ausgesagt, der SUV sei zuerst links vor die Betonmauer gestoßen und anschließend nach rechts aus der Spur raus. Vor dem Blitzer is er erlaubte sechzig gefahren, der Lkw war mit dreißig unterwegs. Trotz Linkskurve seine Spur nicht verlassend.“
„Kontakte vonne Spurensicherung bestätigt“, fügte Judith hinzu. „Am linken Kotflügel ham se Kratzer finden können, ebenso Lack anne Betonwand und Lacksplitter au’m Asphalt. Der Kontakt hat stattgefunden, definitiv. Technisch war dat Fahrzeug in ’nem einwandfreien Zustand, TÜV vor zwei Monaten.“
Ich nickte. „Fahrer ebenso, null Promille und körperlich fit. Er is Abteilungsleiter in ’ner Softwarefirma.“
„Das würd ich eher als entlastend einschätzen“, fand Frau Dr. Ahlbeck. „Bei Verschätzen träfe ihn das selber. Haben Sie etwas über deren Ehe herausgefunden?“
„Bei ’en Familien gingen die Meinungen wie bei ’em Fahrstil beinahe erwartungsgemäß auseinander, so ham wa die Nachbarn befragt. Dat Ergebnis war bei ’en Außenstehenden pro Verdächtigem, alle hielten die Ehe für harmonisch. Sie seien stets freundlich gewesen, ordentlich bei der Flurreinigung, und Streitereien hätten se keine mitbekommen.“
„Mit einem Motiv ist es schwer“, schätzte die Staatsanwältin. „Es sei denn, Sie haben noch etwas anderes? Es wirkt so, ich kenne Sie. Finanziell?“
„Ihr gemeinsames Konto steht fast bei null, inzwischen“, berichtete ich. „Et wurden öfters größere Beträge abgehoben, aber erst nach der Hochzeit. Dat kam uns komisch vor, denn inne Wohnung sah et völlig normal aus. Keine neuen Möbel, Geräte, keine Sammelleidenschaft.“
„Sie wohnen seit zehn Monaten dort“, ergänzte Judith. „Da ham se sich eingerichtet.“
„Was schließen Sie daraus?“, wollte unsere Gesprächspartnerin wissen.
Judith fuhr fort: „Wir hatten ’ne Vermutung und ham uns inne Nähe umgehört. Mehrere Kasinos und Spielotheken ham ihn als gesperrt vermerkt. Auf eigenen Antrieb, allerdings. Vonne Eltern wusst dat niemand. Eventuell hat die Frau dat dort nich erzählt, und eventuell hat se ihr Immchen dazu veranlasst.“
„Was sagt der Mann dazu?“
„Er schweigt beharrlich zur ganzen Angelegenheit.“
„Ist sein gutes Recht, leider. Hat ihm der Anwalt geraten?“
„Zuletzt hat er vorgestern zehntausend Euro abgehoben“, berichtete ich. „An Bargeld hat er nur etwa hundertfuffzig bei sich gehabt, und mehr hätt er nich im Haus. Für mehr Prüfung wär ’ne Durchsuchungsanordnung nötig gewesen.“
„Zehntausend?“, wiederholte Frau Dr. Ahlbeck erstaunt. „Wofür?“
„Glücksspiel gibbet nich nur auf legalem Weg“, wandte Judith ein. „Als wir bei ihm warn, ging dat Telefon. Da hat er den Anrufer schnell abgewimmelt, und wir na’m Gespräch vor de Tür gewartet. Zivilfahndung pur! Et war ’n alter Bekannter vonne Polente. Vorbestraft wegen illegalem Glücksspiel, angeblich jedoch viele Jahre schon mit weißer Weste.“
Die Staatsanwältin beugte sich interessiert vor. „Und?“
„Der Witwer gab ihm ’nen Umschlag. Kollegen nahmen den Empfänger fest, ham sei’n geheimen Raum gefunden. Dat war et mit weißer Weste und Spielbetrieb. Die zehntausend Euro ham die Kollegen sichergestellt und er hat zugegeben, dat der Verdächtige ihm noch weitere dreißigtausend schuldet. Eingefordert hat er sie am Tag vor dem Unfall.“
„An mehr Geld kommt unser Gatte nich heran“, fuhr ich fort. „Die ham zwar ’nen gemeinsames Konto, jedoch gehen dort bloß ihre Gehälter ein. Auf dat üppige Tagesgeldkonto hat nur sie alleine Zugriff. Wir vermuten, er hat schon früher gespielt, jedoch in Maßen. Nach der Hochzeit hat er die Kontrolle verloren.“
„Langsam ergibt sich mir doch ein Motiv“, urteilte Frau Dr. Ahlbeck. „Sogar ein recht starkes. Schulden können erdrückend sein.“
„Nur: Reicht dat für ’ne Anklage?“, fragte ich. „Ich möchte nich dran denken, wenn dir, Judith, wat passiert. Er wirkt nich so wirklich betroffen.“
„Jeder trauert auf seine Weise“, fand Frau Dr. Ahlbeck. „Der Schock vor Ort könnte mit dem reinen Unfall begründet werden. Anklage? Das ist eine ganz schwierige Entscheidung, diese ganzen Dinge abzuwägen. Motiv: Wie gesagt, stark, wegen dem Finanziellen. Gelegenheit: Zwar vorhanden, aber wackelig, weil keine Planung möglich. Das war zufällig, ein tragischer Unfall nicht auszuschließen, obwohl zeitlich vieles passt. Die Infos über die Harmonie variieren abhängig von der Familienzugehörigkeit, die Unbeteiligten sind keine Hilfe zur Erhärtung. Schweigt der Verdächtige, bleiben nur Indizien, die uns ein Anwalt zerpflückt und dazu sicher auf dem tragischen Verlust herumreitet, den sein Mandant unbestritten erlitten hat. Sie hätten bloß eine Chance, wenn Sie sein Schweigen brechen können und er ein Geständnis ablegt.“
„Dat wird schwierig“, befürchtete Judith.
„Warum sollt er dat zugeben?“, fügte ich hinzu.
Die Staatsanwältin nickte. „Ihr und mein Gefühl differenziert von der Realität. Wir haben einen Verdacht, jedoch nichts Hinreichendes. Die Unschuldsvermutung dürfen wir nicht außer Acht lassen. Hat er das mit Absicht getan, kommt er damit durch. So ist das Leben manchmal.“
Christian Güntherwurde 1979 in Essen geboren. Er ist gelernter Industrie-Technologe und examinierter Altenpfleger. Schon in jungen Jahren veröffentlichte er Zeitungsartikel und Bücher. Seit 2022 geht sein Essener Ermittlerduo Judith Reiter & Nick Fengler mit Ruhrpott-Slang und gleichberechtigt als „Die zivilen Fahnder/innen“ auf Streife, als Krimiserie und in Kurzgeschichten. Bereits erschienen sind Staffel 1 mit den ersten acht Fällen (ISBN 9783757867843) und eine begleitende Anthologie (ISBN 9783757840150). Für das Frühjahr 2024 ist die Fortsetzung mit Staffel 2 geplant.
*
Das Blaulicht des Polizeiwagens scheint durch das große Küchenfenster. Im Haus vor der Spüle liegt ein Mann auf dem Bauch. Der Rücken ist mit mehreren Messerstichen verziert. Das Blut ist mittlerweile in einer großen Lache um ihn herumgeflossen.
„Wie lange er wohl schon dort liegt?“, flüstere ich leise zu meinem Kollegen.
„Bei der Menge? Etwa eine Stunde“, antwortet der Polizist.
„Danke.“
Während die Spurensicherung alles aufnimmt und der Pathologe den ersten Blick auf den Leichnam wirft, stehen wir hier und beobachten das Geschehen, damit keine Beweise verfälscht werden.
Mein Blick geht zu dem großen Kühlschrank. Nur ein Kalender hängt dort, keine Bilder. Aber ich weiß bereits, dass der Mann verheiratet war. Entweder wollten sie keinen Nachwuchs oder es klappte nicht. „Wo ist seine Ehefrau?“, frage ich.
Mein Kollege neben mir wird rot und räuspert sich. Anscheinend ist ihm die Antwort unangenehm. „Der Ehemann ist nicht anwesend. Dieser soll sich auf der Arbeit befinden.“
Soll klingt nicht gut.
„So viel ich weiß, ist er dort nicht.“
„Hm“, gebe ich von mir. Mutmaßungen darf ich nicht anstellen. Für mich jedoch steht der verschwundene Ehemann ganz oben auf der Verdächtigenliste.
„Ihr könnt den wegbringen“, sagt der Pathologe.
An uns drücken sich zwei Frauen mit einem schwarzen Leichensack vorbei.
„Also“, beginnt der Pathologe uns zugewandt.
Mein Kollege holt seinen Block heraus.
„Der Blutverlust ist ersten Anzeichen nach die Todesursache.