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Die Fortsetzung von Veyron Swift und das Juwel des Feuers! Über ein Jahr ist seit Toms letztem Abenteuer mit seinem kauzigen Patenonkel Veyron Swift vergangen, als eine Prinzessin aus Elderwelt in London auftaucht und den Detektiv um Hilfe bittet. Die Medusa ist in ihrer Stadt unterwegs und bedroht die kaiserliche Familie. Immer mehr angesehene Herrschaften werden zu Stein verwandelt. Auch der Regent des Reichs, Consilian, scheint ein hinterhältiges Spiel zu treiben. Veyron ist entschlossen die Wahrheit aufzudecken und den Dienern der Finsternis ein Schnippchen zu schlagen. Wieder mit dabei ist auch sein treuer Assistent Tom Packard. Die Rückkehr gestaltet sich jedoch anders als erwartet. Die mächtigen Zauberer der Simanui verweigern ihre Hilfe und so stehen Tom und Veyron allein gegen Consilian und den Orden der Medusa, die ihnen immer einen Schritt voraus zu sein scheinen. Mord wartet an jeder Ecke, Dämonen sind überall, und schon bald entbrennt ein Kampf um die Zukunft eines ganzen Imperiums...
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Seitenzahl: 178
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Tobias Fischer
Veyron Swift und der Orden der Medusa: Serial Teil 1
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Inhaltsverzeichnis
Titel
1. Kapitel: Eine neue Klientin
2. Kapitel: Iulias Geschichte
3. Kapitel: Flucht aus London
4. Kapitel: Ankunft in Fabrillian
5. Kapitel: Durch Fels und Nacht
Impressum neobooks
Tom Packard bezeichnete sich dieser Tage als der glücklichste Junge ganz Londons. Er hatte eine Freundin, in die er total verliebt war. Was gab es wohl Wichtigeres und Schöneres im Leben eines Fünfzehnjährigen? Ihm fiel die Antwort leicht: nichts. Er hatte nur noch Blicke und Gedanken für Vanessa Sutton.
Große blaue Augen, langes blondes Haar, gertenschlank und genau die richtige Größe, um sie perfekt zu küssen. Sie schmeckte wunderbar, der absolute Wahnsinn!
»Ich bin schon ganz gespannt, deinen Onkel kennenzulernen«, säuselte Vanessa gerade. Sie schlurfte ein paar Schritte vor ihm auf dem Gehsteig her, die Hände in die Hosentaschen gestopft. Tom sah ihr voller Begeisterung zu. War sie nicht wunder-wunderschön, so richtig cool? Oh ja, auf dem ganzen Planeten gab es kein schöneres Mädchen.
Tom war im Lauf des letzten Jahres um einiges gewachsen, und konnte jetzt die meisten seiner Mitschüler von oben betrachten. Er war stolz, dass sich Vanessa ausgerechnet ihn als neuen Freund ausgesucht hatte. Das begehrteste Mädchen der Schule wollte nur mit ihm gehen, einem rotblonden, sommersprossenübersäten Teenager.
»Er ist nicht mein Onkel, eigentlich ist er gar nicht mit mir verwandt. Er ist mein Pate, das ist was ganz anderes«, erklärte er ihr lachend, zum wohl einhundertsten Mal. Vanessa vergaß eben schnell, aber das machte ihm nichts aus – sie sollte es ruhig wieder vergessen – so konnte er es ihr erneut erklären.
»Ist doch egal. Wie bist du überhaupt zu ihm gekommen? Ich hab gehört, er soll ein rechter Spinner sein, dein Onkel«, meinte sie, schwang sich um einen Laternenpfahl und wartete dann, bis er zu ihr aufgeschlossen hatte.
»Naja, es war nach dem Tod meiner Eltern und nachdem mich Priscilla – meine Tante – hat sitzen lassen. Sie ist einfach abgehauen, stell dir das vor! Meine Mutter hatte Veyron im Testament zu meinem Vormund bestimmt. Seitdem kümmert er sich um mich. Das war …«
Er sah sich um. Die meisten Bäume hatten schon gar kein Laub mehr, Straßen und Bürgersteig waren voll mit roten, gelben und braunen Blättern, die bei jedem Schritt raschelten. Die Sonne sandte ihr warmes, goldenes Licht auf die Erde. Oktober, es war Mitte Oktober. Das wurde ihm jetzt wieder bewusst.
»Seit letzten Sommer. Wow, das ist jetzt über ein Jahr. Kam mir gar nicht so lang vor«, stellte er fest.
Vanessa lachte. Es war das entzückendste Lachen der ganzen Welt. Tom strahlte von einem Ohr zum anderen.
»Mann, du bist ja ganz schön durch den Wind, Tommy«, sagte sie, schwang wieder um den Laternenpfahl und hakte sich unter seinen Arm. Gemeinsam schlenderten sie die Wisteria Road hinauf. Die Nachbarn, die in ihren Gärten Hecken schnitten, oder den Rasen mähten, beachteten sie nicht weiter.
»Mit Veyron ist es nicht immer einfach«, gestand Tom. Mehr konnte er nicht sagen, denn die Wahrheit war zu unglaublich, um Vanessa darin einzuweihen.
Veyron Swift arbeitete als Berater und Detektiv. Allerdings jagte er keine Ehebrecher, Trickbetrüger oder Heiratsschwindler, sondern er half seinen Klienten bei übernatürlichen Angelegenheiten. Veyron Swift kämpfte gegen freche Kobolde, blutdurstige Vampire und hin und wieder auch gegen rüpelhafte Trolle. Sogar dunkle Magier waren vor Toms Paten nicht gefeit. Das war nicht irgendeine Spinnerei, Tom hatte es selbst schon miterlebt.
Vanessa konnte er davon jedoch nichts erzählen – niemals. Nicht bevor sie es mit eigenen Augen gesehen hatte. Sie würde ihn ansonsten für einen Verrückten halten und nie wieder ein Wort mit ihm reden. Nein, Tom durfte ihre junge, wundervolle Beziehung nicht leichtfertig zerstören. Er musste sehr vorsichtig sein, wie er Vanessa seinem Patenonkel vorstellen sollte.
Veyron wusste nichts von Toms Freundin, er nahm überhaupt nur sehr wenig Anteil an Toms Privatleben. Das war zwar irgendwie locker und cool, aber andererseits auch störend. Manchmal kam sich Tom sehr einsam vor.
Natürlich waren da noch Veyrons ganze Animositäten, über die sich Tom inzwischen schon gar nicht mehr weiter beschwerte. Weder über die Tatsache, dass mitten in der Nacht plötzlich die Musik anging und dröhnend laut Paganini oder Mozart durch die ganze Nachbarschaft hallten, noch darüber, dass Veyron so gefühlskalt und unmenschlich war wie eine Maschine. Tatsächlich betrachtete sein Pate Gefühle, gleich welcher Art, als gefährliche Ablenkung für die Leistungsfähigkeit seines Gehirns – und die war beachtlich. Veyron nahm Dinge wahr, die andere niemals sahen, oder erst nach Stunden oder Tagen. Selbst die allerkleinsten Kleinigkeiten entgingen seinen Adleraugen nicht. Kein Mensch der Welt konnte schneller und präziser analysieren.
Anstatt seine besonderen Talente allerdings irgendwie nützlich zu verwenden, sei es um Kriminelle dingfest zu machen, oder wenigstens Reichtümer zu scheffeln (Geld konnte man dieser Tage immer gut gebrauchen), verschwendete Veyron seine Fähigkeit allein für seine eigenen, kauzigen Zwecke.
Der Gedanke an das, was unweigerlich auf ihn zukommen musste, dämpfte Toms Glücksgefühle schlagartig.
»Hör zu, Vanessa. Ich sollte dich vor Veyron warnen. Du hast schon recht, er ist ein wenig seltsam. Ich mach mir wirklich Sorgen um ihn«, gestand er.
Vanessa lächelte ihn mitfühlend an.
»Ja, ich kenn das. Meine Mutter tickt auch ständig wegen irgendeiner Kleinigkeit aus, und mein Dad ist ein echter Spinner, der seltsame Sachen in seiner Garage zusammenbaut«, flötete sie und brachte Tom damit wieder zum Lachen.
»Nein, nein. Mit Veyron ist das anders. Er hat einen einzigartigen Job, weißt du. Aber seit seinem letzten Fall…«
»Ist er Detektiv? Cool.«
»Eher so eine Art Berater. Sein letzter Fall war nicht der Hit, das hat ihm schwer zugesetzt. Das ganze Jahr über war er auf der Suche nach einem Neuen. Er nimmt nur ganz ausgewählte Fälle an, musst du wissen. Doch Fehlanzeige, alles Flops. Er ist praktisch schon seit Monaten arbeitslos.«
Er kam sich unendlich schlau vor, wie elegant er das umschrieben hatte. Wie sollte er ihr auch sagen, dass sich seit ihrem letzten großen Abenteuer nicht ein einziger Vampir, kein einziger Troll, ja nicht einmal ein Kobold hatte blicken lassen. Zwar wurde Veyron immer wieder von Leuten angerufen, die glaubten, Geister im Haus zu haben oder andere übernatürliche Heimsuchungen. Doch jedes Mal hatte sich die Angelegenheit bloß als die krankhafte Einbildung seiner Klienten herausgestellt. Veyron war deswegen richtig frustriert. In dieser Laune war er nahezu unerträglich für seine Mitmenschen.
»Besonders schlimm ist es in den letzten zwei Wochen geworden. Er hat die Rollläden in seinem Zimmer nicht mehr hochgezogen, lässt sich Frühstück, Mittagessen und Abendessen hinauf bringen. Ich hab ihn nur einmal gesehen – ungewaschen. Er stinkt, um es kurz zu sagen, er stinkt entsetzlich. Ich glaub, es ist keine gute Idee, dass wir heute da hingehen. Vielleicht sollten wir…«, fuhr er fort, nur um von Vanessas Zeigefinger unterbrochen zu werden, der seine Lippen berührte. Sie schenkte ihm ein herausforderndes Lächeln und wickelte verführerisch eine lange, blonde Locke um ihren Zeigefinger.
»Ach, komm schon, Tommy. Ich will unbedingt sehen, wie du so lebst. So schlimm kann dein Onkel schon nicht sein, bestimmt nicht schlimmer als meine Alten. Weißt du was? Wir sagen ihm kurz Hallo und verziehen uns dann auf dein Zimmer. Wenn er wirklich so stinkt, wie du sagst, machen wir ein Foto und stellen es bei Facebook rein. Das wird echt cool.«
Tom seufzte. Dieser zuckersüßen Stimme konnte er nichts abschlagen, selbst wenn sich alles in seinem Inneren dagegen sträubte. Geh nicht dahin! Geh mit ihr ins Kino, in den nächsten Park, von mir aus zu Fuß bis nach Kenia, aber nicht zu Veyron Swift, warnte ihn sein Verstand im Stillen, doch der Rausch, den Vanessa in seinem Inneren auslöste, ließ ihn alle Warnungen in den Wind schlagen.
Was könnte Veyron schon dagegen haben, wenn ich meine Freundin anschleppe? Außerdem geht es ihn sowieso nichts an, entschied er.
»Okay, lass uns gehen. Aber eines muss ich dir noch sagen: Er ist nicht mein Onkel, er ist überhaupt nicht mit mir verwandt. Er ist nur mein Pate«, sagte er zum ungezählten Male.
Es dauerte nicht lange, dann standen sie in der 111 Wisteria Road, Toms Zuhause, der Festung von Veyron Swift.
Das große Backsteingebäude stand auf erhöhtem Grund, zum Gehsteig durch eine kleine Mauer abgegrenzt. Einige Stufen führten zur Haustür hinauf, von wo man einen guten Einblick in den weitflächigen Garten hatte, der mit Hunderten Sträuchern und einigen großen Bäumen überwuchert war, die sich dicht ans Haus drängten.
Tom sperrte auf und sie traten ein. Es war absolut ruhig im Flur, aus keinem der angrenzenden Räume kam ein Geräusch. Tom warf einen Blick in die Küche. Die Reste eines Frühstücks standen auf dem kleinen Tisch, eine zerfledderte Zeitung lag am Boden.
Wie es aussah, hatte Veyron tatsächlich sein Zimmer verlassen. Vielleicht war er sogar ausgegangen, denn so still war es selten im Haus. Meistens hörte man ihn in seinem Zimmer auf- und abschreiten, manchmal auch eine Rugbynuss gegen die Wände werfen – stundenlang.
Jetzt war es still, totenstill. Tom trat zurück in den Flur, warf einen Blick die Treppe hinauf. Dort oben waren Veyrons Schlafzimmer, das Bad und auch sein kleiner Arbeitsraum. Die Tür stand sperrangelweit offen, von seinem Paten war nicht das Geringste zu sehen. Dafür aber die vielen unordentlich über den Boden verstreuten Büchertürme, Zeitungsausschnitte, Landkarten und allerhand nutzloser Krimskrams.
»Was macht dein Onkel gleich wieder von Beruf«, fragte Vanessa verunsichert.
Tom spürte, wie ihm die Farbe ins Gesicht schoss. In der Schule hatte er erzählt, Veyron arbeite als Privatdetektiv, denn die Wahrheit konnte er ja unmöglich preisgeben. Außerdem war es ja nicht vollkommen gelogen. Er hatte eben nur ein kleines Detail weggelassen. Doch dass Vanessa jetzt die ganze Unordnung zu Gesicht bekam (da waren doch tatsächlich mehrere angebissene und vertrocknete Apfelstücke zwischen dem ganzen Papierwust zu sehen), das war echt peinlich.
»Er deckt die Wahrheit auf, Miss Sutton«, antwortete eine dunkle, strenge Stimme hinter ihnen. Tom blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, erging es Vanessa ähnlich.
Veyron Swift, fast zwei Meter groß, von schlaksiger Gestalt, mit einem strengen, kantigen Gesicht, dünnen Lippen und einer schmalen Raubvogelnase, stand in einem weiten, weinroten Morgenmantel hinter ihnen. Seine baren Füße steckten in grässlichen senfgelben Filzschlappen. Von einem hing bereits die Sohle herunter. Die schwarzen Haare ein einziges Chaos, aber zumindest war er rasiert. Er roch jedoch derart penetrant nach altem Schweiß, dass Vanessa unmittelbar zurückwich und Tom einen verzweifelten Blick zuwarf. Wie peinlich das war! Veyron blamierte ihn gerade bis auf die Knochen.
Unsicher lächelnd hob Vanessa die Hand und winkte. »Hi, ich bin Vanessa, Tommys Freundin. Wow, Sie sind also sein Onkel? Wo sind Sie so plötzlich hergekommen? Ich hab gar nichts mitbekommen.«
Veyron zwang sich sichtlich zu einem Lächeln. Es hielt etwa drei Sekunden, danach wurde seine Miene wieder ernst.
»Ich fürchte, Sie sind nicht Toms Freundin«, sagte er bestimmt. »Halt, ich muss mich korrigieren. Besser sollte ich sagen: Sie sind nicht nur Toms Freundin. In dieser Eigenschaft kommen Sie ganz nach Ihrem Vater. Nein, nicht Joshua Sutton, sondern Ihrem leiblichen Vater, dem Automechaniker aus der 78a Tallham Road, Carl Groves. Immer eine Freundin an der Hand, manchmal auch mehrere – je nachdem, wie viel er im Monat durch das Fälschen von Tachometern verdient. Ein Lächeln hier, eine Geste dort, ein Kompliment da, ein naiver Augenaufschlag und ein verheißungsvolles Schürzen der Lippen. Gratulation, die Verführung liegt Ihnen im Blut, Miss Sutton.
Leider weiß Tom gar nicht, wie erfolgreich Sie damit sind. Gleich drei Jungs zur selben Zeit, und alle sind Ihnen hörig. Da ist einmal Tom Packard, frisch verliebt und gegenüber dem Offensichtlichen so blind wie ein Maulwurf. Natürlich will ich Stevie Rodgers nicht vergessen, der Rugby-Meister aus der Parallelklasse und Bob Saunders. Der ist ein Jahr älter als Sie und macht derzeit eine Mechanikerausbildung bei Groves. Ein leichtes Opfer. Stevie Rodgers dagegen ist so eingebildet und eitel, dass er nicht einmal auf die Idee käme, Sie würden ein doppeltes – Verzeihung – dreifaches Spiel mit ihm treiben.«
Tom blieb die Luft weg, Vanessa ebenfalls. Er konnte sehen, wie ihr Kopf abwechselnd leichenblass und anschließend wieder knallrot wurde.
»Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr! Woher wissen Sie das?«, keuchte sie und wich zurück. Veyron behielt sie mit seinen stechenden, eisblauen Augen jedoch im Visier.
»Ich weiß alles, Miss Sutton, ich weiß einfach alles«, gab er zurück und wirbelte auf den Absätzen herum. Mit schnellen Schritten verschwand er im Wohnzimmer. Tom wollte es nicht glauben, er konnte das alles nicht fassen. Ungläubig starrte er Vanessa an, hoffte auf ein Wort von ihr, das Veyrons gemeine Anschuldigungen widerlegte. Stattdessen brachte sie nur einen gellenden Schrei hervor, stürzte zur Haustür und war verschwunden.
Tom blieb noch eine Weile an Ort und Stelle stehen, unfähig sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Hitze stieg in ihm hoch, kochend heiß wie Lava. Er stürmte zur Haustür, riss sie auf und sprang die Stufen hinunter zur Straße. Er sah Vanessa, die heulend an der nächsten Straßenlaterne stand, die Hände vors Gesicht geschlagen. Verzweiflung würgte ihn, aber er näherte sich.
»Stimmt das? Vanessa, bitte sag mir, dass das nicht stimmt«, jammerte er. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Seine große Liebe, eine elende Lügnerin? Veyron musste sich einfach irren.
Vanessa blickte auf, Tränen rannen ihr über die Wangen.
»Hau ab!«, giftete sie ihn an. »Scher dich zurück zu deinem psychopathischen Onkel! Er ist der Teufel! Ja genau, der Teufel ist er! Lass mich bloß in Ruhe! Ihr seid beide absolute Spinner!«
Bevor er noch etwas sagen konnte, rannte sie davon. Die Nachbarn in den Gärten sahen ihr hinterher und schüttelten missbilligend den Kopf, bevor sie sich wieder um ihre Hecken und Rosensträucher kümmerten.
Toms Verzweiflung wurde zu kalter Wut.
»Ja, lauf nur! Lauf zu Stevie oder zu Bob Saunders oder zu sonst wem! Du hast ja offenbar genug Lover bei denen du dich ausheulen kannst, du dämliche Zicke! Ich will dich hier nie wieder sehen«, brüllte er ihr hinterher. Er gab dem Laternenmast einen so heftigen Tritt, dass ihm der ganze Fuß schmerzte. Grollend stampfte er zurück ins Haus und schmiss die Tür zu. Zugleich war ihm zum Heulen zumute. Was hatte er getan? Und wer war schuld an der ganzen Misere? Veyron Swift! Er hatte gerade seine Freundin verscheucht und seine große Liebe zerstört!
Wutentbrannt stürmte Tom ins Wohnzimmer und fand seinen Paten entspannt im großen Ohrensessel lümmeln, die Beine ausgestreckt und die Arme zufrieden hinter dem Kopf verschränkt. Veyron grinste von einem Ohr zum anderen und schien seine abscheuliche Boshaftigkeit auch noch genüsslich auszukosten.
»Was haben Sie da getan? Sie haben Vanessa verjagt! Nie wieder wird sie ein Wort mit mir reden! Sie Unmensch, Sie sind doch echt irre! Warum zum Teufel haben Sie das getan?«
Tom hielt sich nicht mehr zurück. Eine ganze Menge übelster Schimpfwörter lagen ihm auf der Zunge, nur im allerletzten Moment beherrschte er sich, sie loszulassen. Er mochte es selbst nicht, wenn er ausfallend wurde.
Veyron grinste noch immer, sagte nichts, saß nur mit geschlossenen Augen da. Es verging ein Moment ehe er antwortete und seine Züge wieder ernsthaft wurden.
»Eigentlich solltest du mir dankbar sein, ich habe dich aus einer misslichen Lage befreit. Du warst diesem Mädchen hoffnungslos verfallen, das konnte ich nicht länger zulassen. Nachdem ich herausgefunden hatte, wie es um ihre moralische Gesinnung steht, musste ich diese Beziehung beenden. Das war nicht weiter schwer, wenn man sich einmal mit Carl Groves beschäftigt und herausfindet wie vielen Leuten er unnötige Ersatzteile andreht. Oder all die Tachometer, die er manipuliert hat. Ganz zu schweigen von all den Frauen, die er zu Müttern machte. Der Mann ist ein gewissenloser Verführer. Seine Tochter hat dieses Talent von ihm geerbt, ebenso wie seine braune, leicht ins Gelbe gehende Augenfarbe, recht einzigartig in dieser Gegend. Dazu hat sie seine Wangenknochen und die Nase mitbekommen. Ich brauche keinen DNS-Test, um dir zu sagen, dass sie Carl Groves Tochter ist. Sie weiß es auch, ebenso wie ihre Mutter. Rücksichtslos lassen die beiden den armen Joshua Sutton im Unklaren. Ein armer, aber glücklicher Mann, der Frau und Tochter abgöttisch liebt. Darum bleibt er auch besser unwissend.
Woher weiß ich nun von Vanessa Suttons ausschweifendem Liebesleben? Ruf dir ihren Hals in Erinnerung. Da waren einige deutliche hypobare Sugillationen zu erkennen. Ich weiß, du nimmst an, du wärst der Verursacher, aber dem ist nicht so.«
Tom sackte die Kinnlade runter. »Hypo…wie? Von was zum Henker reden Sie da?«
»Von Knutschflecken, Tom, von Knutschflecken«, seufzte Veyron. »Sie hat sie mit Schminke unsichtbar zu machen versucht, doch meinen Augen entgeht nichts. Da waren zwei Flecken unterhalb des rechten Ohrs. Ihr Winkel deutet darauf hin, dass der Küssende fünfeinhalb Zentimeter größer gewesen sein muss, als du. Ein anderer Fleck am linken Halsansatz, kaum von ihrem Pullover verdeckt, verrät uns einen Liebhaber, der etwa vier Zentimeter kleiner ist als sie und außerdem breitere Lippen besitzt als du. Die Tatsache, dass Vanessa viel Zeit in der Werkstatt ihres leiblichen Vaters verbringt, aber nur wenig Zeit mit Daddy Groves, dass sie sich heimlich mit der Clique von Rodgers trifft, wenn sie nicht gerade mit dir durch die Straßen turtelt, lässt keine anderen Schlüsse zu: Der kleine Bob Saunders küsst sie in der Garage ihres Vaters, der hoch aufgeschossene Stevie dagegen in den Sträuchern des Parks. Nur sie konnten die jeweiligen Sugillationen verursachen, ihre Körpergrößen ergeben perfekte Übereinstimmungen.«
Tom dachte kurz über alles nach und kam zu einer erschreckenden Schlussfolgerung.
»Sie haben sie ausspioniert? Nicht zu fassen! Sie haben Vanessa ausspioniert! Geht’s Ihnen noch gut? Warum tun Sie so was, Mann?«, rief er voller Abscheu. Veyron war ja noch schlimmer als sonst, ein richtiges Ekel.
»Deine Mutter hat mich zu deinem Schutzbefohlenem ernannt. Ich habe vor, diese Aufgabe mit bestem Wissen und Gewissen und all meinem Können auszufüllen. Darum spioniere ich deine Freunde aus, wenn ich es für nötig halte. Ich kenne jeden deiner Mitschüler, alle deine Lehrer, ich weiß alles über deren Familien, Freunde und über ihre Haustiere und Lieblingshobbys. Das ist Teil meiner Verantwortung.«
»Pah! Sie sind ein echter Psycho! Wissen Sie was? Ich hau ab, mir reicht‘s! Noch heute Abend verschwinde ich, für immer!«
»Schon wieder leere Drohungen? Hatten wir das nicht schon zur Genüge?«
»Diesmal mach ich ernst!«
Veyron blickte Tom nachdenklich an, legte die Fingerspitzen aneinander und dachte über irgendetwas nach. Tom ballte die Fäuste, sein ganzer Körper bebte vor Zorn. Es gab so viel, das er Veyron an den Kopf werfen wollte. Jede Menge Beleidigungen und am liebsten auch ein paar der losen Gegenstände im Fernsehregal.
Gerade wollte er etwas sagen, als das Klingeln der Haustür ihn aus der Zornesstarre riss. Vielleicht war es Vanessa, die kam um sich zu entschuldigen?
Ohne auf Veyrons Reaktion zu warten, stürmte er zur Haustür und riss sie auf. Seine Aufregung schlug sofort in Enttäuschung und schließlich Überraschung um. Mehrere Leute standen vor der Tür: ein hagerer Priester mit schlohweißem Scheitel, ein rundlicher, gemütlich dreinschauender Inspektor von der Polizei und zwei uniformierte Constables. Unten auf der Straße standen zwei Dienstfahrzeuge. Tom seufzte enttäuscht. Vanessa hatte ihre Chance vertan. Was jetzt kommen würde, war Arbeit für Veyron – vielleicht auch ein wenig Ärger. Insgeheim hoffte er vor allem auf Letzteres.
Der Inspektor hob seine Dienstmarke und stellte sich als John Moore vor.
»Dürfen wir hereinkommen?«
Tom bedeutete den Herren einzutreten, doch nur der Inspektor und der Priester kamen ins Haus. Die Constables blieben draußen. Tom warf ihnen einen neugierigen Blick zu. Er erkannte, dass noch jemand in einem der Autos saß. Wegen der abgedunkelten Scheiben konnte er jedoch nicht mehr erkennen. Er schloss die Tür und brachte die beiden ins Wohnzimmer, wo Veyron Swift schon auf sie wartete. Er lümmelte immer noch im Sessel, hatte die Fingerspitzen aneinander gepresst und die Augen geschlossen.
»Kommen Sie herein, Gentlemen. Ich habe Sie bereits erwartet. Unser Telefonat heute Morgen verhieß ja eine spannende Geschichte. Also bitte, setzen Sie sich und schildern Sie mir Ihr Problem ohne Zögern, oder Zurückhaltung. Zeit ist kostbar und ich will so wenig wie möglich davon verlieren. Lassen Sie kein Detail aus, alles ist wichtig, selbst die allerkleinste Kleinigkeit«, begrüßte er seine Gäste, indem er auf die gegenüberliegende Couch deutete.
Die Federn quietschten, als die beiden Männer in die plüschigen Polster einsanken. Sie legten offenbar Wert darauf, möglichst großen Abstand zu Veyron zu wahren. Zumindest schlussfolgerte Tom das aus dem Zucken ihrer Nasenflügel.
»Ich bin Inspektor Moore, das ist Pater Thomas Felton, wir kommen in einer sehr… nun, in einer vielleicht etwas seltsamen… eigentlich ist es mir schon fast peinlich, aber mein Kollege, Bill Gregson… er meinte, ich solle mich an Sie wenden. Er kennt Sie recht gut… hat ja schon ein paar Mal mit Ihnen zusammengearbeitet und deshalb …«, stammelte der Inspektor herum. Er machte einen verlegenen, fast schon beschämten Eindruck. In Pater Feltons Gesicht konnte man ähnliche Empfindungen lesen. Tom spürte förmlich, wie unangenehm ihnen das alles war. Schließlich traf ihn der Blick aus den kleinen runden Augen des Inspektors.
»Vielleicht sollte der Junge lieber rausgehen«, meinte Moore.
Veyron riss die Augen auf und lehnte das mit kraftvoller und entschiedener Stimme ab.
»Tom Packard ist mein persönlicher Assistent. Sie können vor ihm so frei reden wie vor mir, sofern Sie überhaupt dazu in der Lage sind, Mr. Moore. Falls ja, würde ich es sehr begrüßen, wenn Sie mir endlich erzählen, was Sie hierher geführt hat.«
Moore atmete kurz tief durch, und warf einen forschenden Blick durch die altmodische Wohnzimmereinrichtung, dann begann er, von Neuem zu erzählen.