Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 1 - Tobias Fischer - E-Book

Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 1 E-Book

Tobias Fischer

0,0

Beschreibung

Veyron Swift ist zurück! In seinem dritten großen Abenteuer, wird er vom britischen Geheimdienst beauftragt, das magische Horn des Meeresgottes Triton zu finden. Veyron lehnt ab – bis er erfährt, dass der dämonische Schattenkönig ebenfalls nach dem Besitz des Horns trachtet. Zusammen mit Tom Packard, reist Veyron ein weiteres Mal in die magische Elderwelt. Hilfe finden sie auf dem Inselreich Talassair, wo ihnen der verrückte König Floyd sein bestes Schiff und eine Schar furchtloser Zwerge zur Seite stellt. Die Reise geht quer über den Ozean Elderwelts, doch wohin sie auch kommen, die Agenten des Schattenkönigs sind überall; auf dem Meer lauern Piraten. Es beginnt ein schier hoffnungsloser Kampf gegen die Mächte der Finsternis. Noch nie stand so viel auf dem Spiel. Für Veyron ist es zudem ein persönliches Duell, denn in seiner Vergangenheit hat der Schattenkönig tiefe Wunden hinterlassen…

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 181

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Tobias Fischer

Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 1

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Nicht im Dienste Ihrer Majestät

Einbruch mit Folgen

Ganz neue Wege

Palast Nr. 4

Impressum neobooks

Prolog

Kap der Guten Hoffnung, im Jahre des Herrn 1680 …

Hendrik Marten war sich sicher: Das würde ihrer aller Untergang sein, diesmal gab es kein Entrinnen. Der Teufel wollte ihre Seelen!

Mit ohrenbetäubendem Gebrüll peitschte der Sturm die blutroten Segel, Wellen tobten, spülten über das Deck und warfen die De Stern von einer Seite zur anderen. Marten stemmte sein ganzes Gewicht gegen das Steuerrad und brachte all seine Kraft auf, um es festzuhalten. Es drohte ständig auszubrechen, denn die Wellen drückten von allen Seiten gegen das Ruder. Ließe er los, wäre die De Stern den Gewalten der Natur hilflos ausgeliefert und würde kentern. Es grenzte an ein Wunder, dass der Ostindienfahrer überhaupt noch seetüchtig war, doch die drei Masten hielten stand, und die Querbalken trotzten den Kräften des Sturms. Bei anderen Schiffen wären sie längst wie Streichhölzer geborsten.

»Was für ein Wahnsinn, bei dem Sturm unter vollem Tuch zu fahren!«, brüllte der Erste Maat, Wim Vanderdecken, neben ihm. »Warum lässt der Irre nicht endlich die Segel bergen? Wo steckt er überhaupt? Wir werden alle draufgehen! Ich schau mir das nicht länger an. Van Halen, schickt die Männer in die Wanten! Refft die Segel!«

Der angesprochene Offizier nickte und eilte in Richtung Bug, Befehle brüllend, die vom Tosen des Sturms und dem Krachen überschwappender Wellen sofort verschluckt wurden.

Kisten, Fässer, Männer, alles wurde von einer Seite auf die andere geworfen; die Masten knarrten, Winschen und Brassen quietschten, sämtliche Taue vibrierten. Alles war zum Zerreißen gespannt, als hätte eine göttliche Kraft die De Stern gepackt und drohte damit, sie jeden Moment zu zerfetzen.

Marten umklammerte das Steuerrad noch fester, obwohl er gar nicht gedacht hätte, dazu imstande zu sein. Es war die nackte Todesangst, die ihm eine unbändige Kraft verlieh. Noch nie in seinem Leben war er in einem derart gewaltigen Sturm gesegelt.

Er sah furchtlose Männer die Wanten hinaufklettern, gleich winzigen Spinnen in einem Netz, vom Wind und hin und her geworfen. Sie könnten jeden Moment wie Herbstlaub fortgeblasen werden, doch sie hielten sich fest und kämpften sich weiter nach oben. Die Ersten erreichten bereits die Vormars, krochen auf die Rahen, um die Segel zu reffen.

»Kommando zurück! Was seid Ihr nur für ein Feigling!«, zerschnitt eine Stentorstimme den Sturm wie ein Peitschenknall.

Marten zuckte zusammen, Vanderdecken erging es nicht anders.

Fast zwei Meter groß, mit gewaltigem Brustkasten, stand Kapitän Barend Fokke auf dem Achterdeck. Die mächtigen Oberarme gingen in breite Schultern über, aus denen ein bulliger Nacken aufragte. Sein dunkler Lederumhang, den er über der schwarz-weißen Uniform der Niederländischen Ostindien-Kompanie trug, blähte sich wie das Segel des Leibhaftigen. Die stahlblauen Augen sprühten Blitze, der grau melierte Bart bebte vor Zorn. »Die Rahen sind aus bestem holländischem Stahl, die brechen nicht wie Zedernholz! Die Segel bleiben gesetzt, verdammt noch mal«, brüllte Fokke. Sein gewaltiger Körper wirbelte herum. Geschmeidig wie ein Tiger sprang er hinunter aufs Hauptdeck, schubste die Männer wie Kegel zur Seite, bellte wütende Befehle.

»Runter mit euch, ihr Affen! Runter mit euch, und macht mir die Luken dicht! Unter Deck und ran an die Pumpen! Van Evert? Van Evert! Seht mir zu, dass der Wasserpegel nicht unter acht Zoll fällt! Wir brauchen Ballast, sonst werden wir topplastig!«

Im Nu kletterten und sprangen die Männer die Wanten hinab, den Ordern dieses Hünen von Kapitän blind gehorchend. Marten war jedes Mal beeindruckt, welche Autorität dieser Mann besaß. Barend Fokke wagte niemand zu widersprechen, und wäre er auch der Teufel in Person.

Doch Vanderdecken schien diesmal nicht geneigt, sich kommentarlos zu fügen. Zu groß war die Furcht um sein Leben, zu heftig dieser Sturm und die Lage zu gefährlich. »Der bringt uns um, dieser kranke Friese! Van Diemen, wo ist der Unterkaufmann? Er muss den Käpten zur Räson bringen, sonst sind wir alle tot!«

Van Diemen, einer der Offiziere an Bord, stampfte mit dem Fuß auf das Deck. »Sitzt unten in der Kajüte und kotzt sich die Seele aus dem Leib!«

Der Unterkaufmann, bevollmächtigter Vertreter der Niederländischen Ostindien-Gesellschaft, war noch ein junger Mann, und dies war seine erste Reise auf einem Ostindienfahrer. Marten bezweifelte, dass der junge Krämer den Mut, geschweige denn die Autorität besaß, es mit Fokke aufzunehmen – obwohl der Kapitän laut Gesetz dazu verpflichtet war, dem Unterkaufmann Gehorsam zu leisten. Wäre die De Stern eine Galeone, größer und stärker bewaffnet, so wäre ein erfahrener Bevollmächtigter mit auf diese Reise gegangen, ein altgedienter Oberkaufmann, der sogar Todesurteile zu verhängen vermochte. Dem Jüngling unter Deck, den bisher nur wenige an Bord zu Gesicht bekommen hatten, war dies dagegen kaum zuzutrauen.

Dann sah Marten, wie Fokke in die Wanten des Großmasts sprang, einige Meter hinaufkletterte und drohend die Faust gegen den Himmel reckte. »Uns holst du heute nicht, du da oben! Kein Sturm, keine Welle, nichts wird mich daran hindern, nach Amsterdam zurückzukehren! Und wenn ich mich mit dem Teufel persönlich einlassen und bis zum Ende der Tage diese Gewässer kreuzen muss: Schiff, Ladung und Mannschaft werde ich heil nach Hause bringen!« Seine Stimme, obwohl gut zwei Dutzend Ellen entfernt, schallte dermaßen laut, dass der Lärm des Sturms für einen Moment regelrecht zu verstummen schien.

Alle hielten die Luft an, und jene, die noch nicht mit Fokke gefahren waren, machten sich klein. Ein paar Männer hielten sich ob dieser Gotteslästerung die Ohren zu. Sogar der Erste Maat, Vanderdecken, und die anderen Offiziere, zuckten zusammen. Doch Marten kannte seinen Kapitän, wusste um dessen besondere Begabung, die weit über das hinausging, was Jahrmarktsgaukler beherrschten. Fokke konnte Stürme niederbrüllen, ihnen sogar regelrecht befehlen – und sie gehorchten ihm. Marten hatte schon einige Male miterlebt, wie nach einer derartigen Ansprache Fokkes die Winde nachließen und sich die Wolken verzogen. Wüsste er es nicht besser, er hätte den Mann für einen Hexenmeister gehalten, einen Magier.

Just in diesem Moment schwappte eine gewaltige Welle an Deck, spülte die Männer von Backbord nach Steuerbord, und auch Fokke verschwand im tobenden Wasser. Marten hielt die Luft an. Hatte ihn der Teufel erhört und zu sich geholt?

Doch nein! Da war Fokke, tropfnass zwar, aber aufrecht und unversehrt, und lachte höhnisch. Er fischte seinen breitkrempigen Hut unter dem Umhang hervor, setzte ihn sich trotzig auf den Kopf und marschierte beinahe gemächlich zurück auf das Achterdeck.

»Nicht einmal ein Kaventsmann wird dieses Schiff versenken! Das Ende des Sturms ist nah, ihr Bangbüxen!«, verkündete er und brach in schallendes Gelächter aus.

Marten musste schmunzeln. Andere würden den Kapitän jetzt für verrückt erklären, aber er wusste es besser. So viele Fahrten hatten sie mit der De Stern unternommen, dem besten Schiff der ganzen Ostindienflotte, nicht einmal die Engländer besaßen ein schnelleres. Vor drei Jahren hatten sie die Fahrt von Java nach Amsterdam in drei Monaten und vier Tagen gemeistert, das war ein absoluter Rekord. Seitdem munkelte man, Fokke stünde mit dem Teufel im Bunde und sein Schiff könne fliegen. Derart aufgedreht hatte Marten seinen Kapitän jedoch noch nie zuvor erlebt. Dieser Sturm war der bislang schlimmste, an den Marten sich erinnern konnte, und selbst die leibhaftige Hölle könnte nicht schrecklicher sein. Dennoch zeigte Fokke nichts anderes als Todesverachtung.

»Ihr habt den Verstand verloren, Kapitän«, schrie Vanderdecken dem Riesen ins Gesicht.

Der Irrsinn leuchtete aus Fokkes Augen, seine Pranken packten den Ersten Maat am Revers und hoben ihn ohne viel Mühe hoch. »Ihr seid ein erbärmliches Würstchen, Vanderdecken! Unter Deck mit Euch und helft beim Abdichten!«, tobte Fokke und schleuderte Vanderdecken hinunter aufs Hauptdeck.

Die anderen Offiziere wichen zurück, als sich der Kapitän ihnen zuwandte und den Mund öffnete. Doch noch ehe er für eine neuerliche Tirade tief genug Luft geholt hatte, erscholl vom Bug ein schriller Schrei. »Felsen! Felsen direkt voraus!«

Einige Matrosen sprangen sofort an die Taue und warteten auf Befehle.

Fokke fluchte derb, stieß Marten vom Steuerrad fort. »Hart Backbord, verdammt noch mal!«

»Der Sturm hat uns an die Küste gedrängt, und keiner hat’s bemerkt«, rief van Diemen. »Das ist das Werk des Teufels! Sind wir in die Falsche Bucht getrieben worden?«

Die Falsche Bucht! Eine tückische Falle, die schon unzähligen Seglern auf dem Weg um das Kap zum Verhängnis geworden war. Marten biss die Zähne zusammen.

Als gäbe es keine Gegenkräfte, drehte Fokke das Ruder und zwang die De Stern in eine derartige Schräglage, dass sie fast zu kentern drohte. Alle hielten sich fest, Stoßgebete um Vergebung und Gnade wurden vom Wind verweht, kaum dass sie ausgestoßen waren.

Dann konnte Marten es sehen. Ein schwarzer Felsen schälte sich aus dem undurchsichtigen Graublau des Sturms, ein gewaltiger steinerner Ring, wie er ihn noch nie zuvor gesehen hatte, einem Torbogen nicht unähnlich. Von einer solchen Formation hatte noch keiner berichtet, der das Kap der Guten Hoffnung umschifft hatte – dabei war diese Route doch inzwischen bestens bekannt. »Ein Felsen aus der Hölle!«, schrie er in Panik und schlug die Hände vor die Augen.

Ein Krachen erfüllte die Luft, ein Knirschen, gefolgt von einem Knallen und Fauchen wie von einer Lunte, die gleich ein Pulverfass zur Explosion bringen würde. Gesteinsbrocken polterten auf das Deck, Taue fielen herab, und der Fockmast schwankte bedrohlich. Marten schwankte; die Stimmen der umstehenden Männer hörte er wie aus weiter Ferne.

»Kollision, Kollision«, hörte er van Diemen kreischen wie ein kleines Kind.

»Der Bugspriet ist zerbrochen!«, jammerte Vanderdecken.

»Ich zerbreche dich gleich, du Sack voll stinkendem Fischgedärm! Schickt Männer unter Deck, ich will einen Schadensbericht! SOFORT!«, riss Fokkes donnernde Stimme Marten zurück ins Hier und Jetzt. Eine Hand packte ihn am Kragen und schob ihn wieder hinter das Steuer. »Marten, du übernimmst!«, befahl der Kapitän. »Ich geh in die Back und seh mir an, wo wir gestrandet sind.« Schnell wie ein Wiesel sprang er vom Achterdeck und kämpfte sich die durch die tatenlos herumstehende Besatzung.

Ängstlich wagte Marten, den Blick zu heben, und sah sich um. Der schwarze Felsenring war verschwunden, nur seine Einzelteile lagen noch auf dem Deck herum, rauchten und qualmten wie Vulkangestein. Das Zeugnis des Teufels! Wir sind in die Unterwelt gefahren. Fokke hat es heraufbeschworen, dachte er und spürte, wie ihm warm im Schritt wurde. Mein Gott, er machte sich tatsächlich in die Hose. Das war ihm seit dem allerersten Sturm vor fünfzehn Jahren nicht mehr passiert.

»Wir sind nicht aufgelaufen, wir machen noch tüchtig Fahrt«, meldete derweil van Halen.

Auf diese erlösende Nachricht hin kam Bewegung in die Männer. Die Offiziere wiesen die Mannschaft an. Auch die Matrosen kämpften mit neuer Energie gegen den Sturm, der ihnen plötzlich keine Angst mehr zu machen schien.

»Ich kann die Küste nicht mehr sehen. Was sagt der Kompass?«, rief van Diemen von Backbord herüber.

Marten blickte auf das Instrument, doch es schien defekt. Die Nadel drehte sich wild im Kreis. »Ist wohl hinüber, er zeigt nichts an«, rief er dem Zweiten Maat zu.

Vanderdecken kam gelaufen und klopfte zweimal gegen das Kompassglas, dann raufte er sich verzweifelt die Haare. »Die Hölle, wir sind in der Hölle gelandet! Anders kann’s nicht sein«, jammerte er.

Allmählich trafen nun die Schadensmeldungen ein. Bug und Kiel hatten nur ein paar Schrammen abbekommen. Der Bugspriet war allerdings hinüber und damit die halbe Vertäuung des Fockmasts. Van Diemen ließ sofort alle Segel einholen, ohne auf die Befehle des Kapitäns zu warten. Fokke war unter Deck auf Inspektion. Marten nickte ihm zu. Sollte der Alte doch toben, jetzt zählte allein das Überleben. Das die De Stern nicht mehr abbekommen hatte, grenzte sowieso an ein Wunder. Die Männer dankten bereits dem Herrn. Man hatte sie offenbar erhört.

Doch sie hatten sich zu früh in Sicherheit gewiegt!

»Felsen! Felsen direkt voraus!«, schallte der Ruf aus dem Krähennest des Großmastes.

Die Männer schrien auf, stammelten ein letztes Stoßgebet an den Gnädigen. Martens Augen weiteten sich vor Entsetzen. Aus der Dunkelheit tauchte ein riesiger Felsen auf. Senkrecht ragte er mehr als dreihundert Fuß in den Himmel und war so breit, dass kein Ausweichmanöver der Welt die De Stern mehr retten konnte. Sie waren allesamt verloren.

Dann krachte es auch schon. Holz zersplitterte, Männer wurden durch die Luft geschleudert, Fontänen aus Wasser und Dreck spritzten auf, ein gewaltiges Brüllen ging durch das Schiff: das Todesstöhnen der De Stern. Marten spürte, wie ihn eine unsichtbare Kraft am Körper packte und vom Steuerrad fortriss. Dann wurde die Welt schwarz und das Einzige, was er hoffte, war, nicht im Kochkessel des Teufels aufzuwachen.

Als Marten die Augen wieder aufschlug, fand er sich zu seiner Erleichterung unter freiem Himmel wieder und nicht im höllenschwarzen Kessel des Teufels. Er lag am Ufer, durchnässt, aber lebendig. Der Sturm hatte sich gelegt, die Sonne schickte sich an, hinter dem Horizont zu versinken, während sich von der anderen Seite des Himmels ein voller Mond anmeldete. Mühsam rappelte er sich auf, nur um sich gleich darauf übergeben zu müssen. Er zitterte am ganzen Körper und fühlte sich einem neuen Zusammenbruch nahe. Bevor seine Sinne schwanden, sah er sich um und entdeckte den gewaltigen Felsen, der hoch über ihm aufragte. Links von ihm ragten Großmast und Besanmast der De Stern schräg aus den noch immer etwas aufgewühlten Fluten, als wollte sich das sterbende Schiff mit spitzen Fingern an die Wasseroberfläche klammern. Vom Fockmast war gar nichts mehr zu sehen, und die Decks lagen tief unter Wasser. Trümmer tanzten auf den Wellenkämmen. Menschen konnte Marten jedoch keine entdecken. War er etwa der einzig Überlebende?

»Hallo«, rief er mit kraftloser Stimme, hustete und musste sich erneut übergeben. Heraus kam nur ein Schwall salziges Wasser. Erst nach ein paar Minuten wagte er einen neuen Versuch, pumpte Luft in seine Lungen und rief aus ganzer Leibeskraft: »Hallo! Hallo? Hört mich jemand? Ist da noch irgendwer? Ich bin Hendrik Marten, Steuermann der De Stern! Ist da wer?«

Eine unwirsche Stimme antwortete ihm: »Hör schon auf zu flennen, Marten. Außer mir hört dich keine Seele.«

Es war Fokke.

Unverletzt, abgesehen von einer blutigen Schramme im Gesicht, stand der Kapitän auf einem Felsvorsprung, keine dreißig Fuß von Marten. Er hielt die Fäuste in die Hüften gestemmt, und sein Umhang bauschte sich im Wind. Marten kämpfte sich auf die Beine und eilte zu ihm hinüber.

»Kapitän! Gibt’s noch andere Überlebende? Vanderdecken, van Diemen – was ist mit ihnen geschehen?«, rief er Fokke an. Beide hatten neben ihm gestanden, als es zum Aufprall kam.

Der grimmige Hüne reagierte nicht gleich. Nach einer Weile begann er laut zu lachen. »Vanderdecken, van Diemen, van Evert und van Halen hat der Teufel geholt. Die tauchen jetzt mit den Heringen um die Wette. Genau wie die anderen zweihundert Mann und die einhundert Soldaten an Bord. Keiner ist mehr übrig außer uns beiden und – welche Gnade des Herrn – unserem lieben Unterkaufmann.« Das Lachen des Kapitäns ging in ein Glucksen über, und er wandte sich von Marten ab, hustete kurz und sprang dann von seinem Felsen herunter.

Dann ballte er die Fäuste und rief: »Verflucht seien die Seekarten! Warum waren diese Felsen nicht eingezeichnet? Was ist das überhaupt für ein Ort? Das ist nicht der Tafelberg, ganz sicher nicht. Kapstadt kenn ich auswendig, und ich will ein Pickel am Arsch Satans sein, wenn dies hier eine der Küsten Südafrikas ist!« Mit wütender Entschlossenheit stapfte er über den schwarzen Sand des Ufers und marschierte am Rand des steil aufragenden Felsens entlang.

Marten, der keine Ahnung hatte, was er sonst tun konnte, folgte seinem Kapitän voller Furcht.

Nach einem kurzen Marsch machte Marten in der benachbarten Bucht eine Gestalt am Ufer aus, die stumpf vor sich hinbrütete. Erst auf den zweiten Blick erkannte er Unterkaufmann Tyn van Straten. Der sonst stets makellos gekleidete und glatt rasierte junge Mann von gerade mal zweiundzwanzig Jahren bebte vor Furcht und Kälte. Sein kostbares Gewand hing in Fetzen um seinen schmächtigen Leib.

Aufblickend entdeckte er sie und hob einen anklagenden Finger. »Hier werden nur Leichen an den Strand gespült, Kapitän. Das ist allein Eure Schuld! Ihr werdet Euch vor Gericht verantworten müssen! Diese Katastrophe geht auf Euer Gewissen«, heulte er los.

Marten bewunderte seinen Mut. Dass dieses Würmchen es wagte, dem gefühlt doppelt so großen Fokke derartige Unverschämtheiten an den Kopf zu werfen!

»Haltet Euer dummes Maul, van Straten! Sonst stopfe ich es Euch«, herrschte Fokke den Unterkaufmann an. »Am besten jetzt auf der Stelle!« Er machte einen Satz nach vorn, die Pranken ausgestreckt.

Van Straten wich zurück, stolperte und landete mit dem Gesäß im Sand. Flehend hob er die Hände. »Bitte, tut mir nichts, Fokke! Ich berufe mich lediglich auf die Dienstvorschriften«, winselte das schmächtige Kerlchen.

Fokke brachte seinen Zornesausbruch wieder unter Kontrolle. »Habt Ihr wenigstens was Nützliches entdeckt, Unterkaufmann? Oder wisst Ihr nichts anderes zum Besten zu geben, als dass ein Unglück geschehen ist?«

Der Unterkaufmann wedelte mit der Rechten in Richtung der Felsen. »Da gibt es eine Treppe, recht grob in den Fels gehauen, alt und abgeschliffen, aber begehbar. Ich bin ein paar Schritte hinaufgegangen, ehe ich hierher zurückkam«, erklärte er rasch.

Fokke musterte ihn grimmig. »Und? Wo führt sie hin, Eure Treppe?«

»Nach … oben? Ich bin ja nur ein paar Stufen hinaufgestiegen, weil …«

»Weil Ihr Euch sonst in die Hosen gemacht hättet, ja, ja. Schon verstanden. Tyn van Straten, Ihr seid ein erbärmliches Würstchen. Also los, sehen wir nach, wo Eure Treppe hinführt. Vielleicht zu einem Leuchtturm. Treppen werden von Menschen gemacht, und wo Menschen sind, ist Hilfe nicht weit. Vorwärts!«

In den schwarzen Fels gehauen führte van Stratens Treppe spiralförmig um den Berghang herum nach oben. Furchtlos schritt Fokke voran, gefolgt von Marten. Van Straten bildete das Schlusslicht – wahrscheinlich, um schnell verschwinden zu können, falls sie nichts Gutes erwartete.

Es war jedoch kein Leuchtturm, den sie dort oben fanden. Den Gipfel des Felsens bildete ein flaches und beinahe kreisrundes Plateau, welches vielleicht neunzig Fuß im Durchmesser maß. Nichts anderes als Moos wuchs dort. Soweit sie es überblicken konnten, ragte der ganze Felsen wie eine Säule aus dem Meer, von weiteren Küsten war weit und breit nichts zu sehen. Ein Loch in der Mitte des Plateaus führte in eine kleine Höhle, die sie jedoch wegen der darin herrschenden Dunkelheit nicht weiter erkunden wollten. Sämtliche Lampen und Kerzen waren mit der De Stern untergegangen.

»Eine Treppe ins Nichts«, murrte Fokke nach einer weiteren Tour über den flachen Gipfel. »Was für ein seltsamer Ort soll das nur sein?«

Marten hatte darauf keine Antwort, und van Straten sowieso nicht. Zudem brach die Nacht nun recht rasch über sie herein. Der Rest von Abenddämmerung am Firmament verblasste, wich einer bedrohlichen Finsternis. Das letzte verbliebene Licht spendeten nun Mond und Sterne.

Auf einmal fuhr der Unterkaufmann herum und rief: »D … d … da ist jemand! Hat also doch noch jemand überlebt?«

Martens Herz machte einen freudigen Hüpfer. Vielleicht Vanderdecken? Doch die schwarz gekleidete Gestalt am Rand des Plateaus war ein Fremder. Er stand gefährlich nahe am Abgrund. Sein Umhang, ähnlich dem von Fokke, aber leichter und luftiger, bauschte sich in der Brise, die vom Meer heraufkam. Der Wind spielte auch mit dem langen, weißen Haar, das wie dünne Fäden von seinem Haupt hing.

»Seltsam, ich hab den Kerl vorhin gar nicht gesehen«, meinte Marten halblaut.

Auch Fokke schien einigermaßen verwundert, doch ohne Furcht schritt er auf den Fremden zu. Marten wäre es lieber gewesen, der Kapitän trüge seinen Säbel. Ihm gefiel diese schwarze Gestalt gar nicht. Mit verschränkten Armen stand der Fremde auf der Klippe, sein Blick auf das Meer gerichtet, so als wären sie gar nicht da.

»Wer seid Ihr, Fremder? Ich bin Barend Fokke, Kapitän der Niederländischen Ostindiengesellschaft! Dreht Euch gefälligst um und redet!«, herrschte Fokke den Fremden an. Der reagierte gar nicht, was den Zorn des Kapitäns heraufbeschwor. Mit forschen Schritten ging er auf den Fremden zu, packte ihn an der Schulter und riss ihn herum.

Marten keuchte auf, selbst Fokke schrak zurück. Da war nichts und niemand, kein Mensch, keine Gestalt, nicht einmal ein Schatten. Die drei Überlebenden blickten verdattert drein. Marten spürte schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit, wie ihm im Schritt warm wurde. »Der Teufel«, wimmerte er. »Wir sind auf dem Felsen des Teufels gestrandet.«

Fokke erwiderte diesmal nichts. Selbst ihm, dem furchtlosesten aller Seefahrer, hatte es die Sprache verschlagen. Van Straten wirbelte herum Richtung Treppe – und ging mit einem Schrei zu Boden. Die schwarz gewandete Gestalt erschien direkt vor ihm. Der Fremde trug in der Tat einen weiten Umhang, schwarz wie die Nacht, und sein Gesicht war nicht zu erkennen. Lediglich zwei weiße Punkte glommen in der schwarzen Fläche, wohl die Augen dieser … Kreatur. Die Hände steckten in schwarzen Panzerhandschuhen. Alles an ihm war irgendwie schwarz. Vielleicht nur Einbildung, dachte Marten. In der Nacht spielten einem die Sinne gerne einen Streich.

»Ihr habt Euer Schiff verloren«, sagte der Fremde mit dunkler Stimme. »Und Ihr habt einen Durchgang zerstört.« Es war keine Frage, sondern eine bittere Feststellung.

»Durchgang? Wohin?«, verlangte Fokke zu wissen, als habe er ein gewöhnliches Mannschaftsmitglied vor sich.

»Von Eurer Welt nach Elderwelt«, erklärte der Fremde knapp.

Fokke verengte die Augen zu Schlitzen. Mit dieser Antwort wusste er nichts anzufangen, und so etwas machte ihn wütend. Marten wusste, dass man seinen Kapitän besser nicht herausforderte.

»Jetzt redet endlich oder seid verflucht, wenn Ihr so viel Höflichkeit nicht zeigen wollt. Wer zum Teufel seid Ihr?«, grollte Fokke ungehalten. Seine Pranken hatte er zu Fäusten geballt.

Den Fremden beeindruckte das wenig. »Ich bin der Diener meines Meisters«, antwortete er nach einem Moment angespannten Schweigens. »Ich kann Euch helfen, von hier fortzukommen und nach Hause zurückzukehren.«

Fokke lachte urplötzlich auf. Herausfordernd stemmte er die Fäuste in die Hüften. »Und wie wollt Ihr das bewerkstelligen, wenn Ihr kein Zauberer seid?«

»Ich verfüge über besondere Kräfte, genau wie Ihr, Barend Fokke«, antwortete der Schwarze.

Fokkes Lachen wurde noch lauter. »Und welche wären das? Sollen mir Flügel wachsen?«