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Veyron Swift braucht Urlaub! Auf der fantastischen Insel Talassair versucht er Ruhe zu finden, stößt jedoch bald auf einen geheimnisvollen Mord und Legenden um einen mythischen Schatz. Stehen beide miteinander in Verbindung? Und was hat eine Schar fremder Zwerge damit zu tun?
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Seitenzahl: 71
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Tobias Fischer
Veyron Swift und die Krone der Zwerge
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Die Krone der Zwerge
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Impressum neobooks
Dr. Laurent Membenga war sicher, dass Talassair das strahlende Zentrum ganz Elderwelts sein musste. Eine Insel von knapp einhundert Kilometern von Nord nach Süd und rund fünfzig Kilometern von West nach Ost, vom Himmel aus gesehen in der Form eines riesigen Tropfens. Talaszh-A-ir war der alte zwergische Name für diese Insel, die Träne des Meeres. In der zwergischen Mythologie ein Ort der Heilung und der Kraft, wo das Zwergenvolk – nach all den Fehlnissen und Grausamkeiten, das ihm zugefügt – eine neue Zukunft finden würde.
Schließlich wurde nach tausend Jahren des Hoffens aus dem Mythos Wirklichkeit. Es war das Jahr 1918, das wusste Membenga aus den Geschichtsbüchern der Insel, als eine Schar abenteuerlustiger Zwerge und verbündeter Menschen, hierherkamen und diese Insel in Besitz nahmen – den Koordinaten folgend, die in den alten Mythen genannt wurden. Einige Zwerge hatten in der Vergangenheit schon versucht, Talassair zu finden; alle waren gescheitert. Erst die Expedition des Abenteurers Julian Ramer, eines Mannes aus Fernwelt, der Millionenmetropole London (die Membenga nur vom Hörensagen kannte), gelangte heil nach Talassair und Menschen und Zwerge begründeten hier ihre erste Kolonie. Seitdem waren fünfundneunzig Jahre vergangen und aus der Kolonie war eine Großstadt geworden, die hunderttausend Einwohner zählte und schlicht den Namen Capital trug, die Hauptstadt, oder auf Zwergisch Zigir-Baltuzh genannt.
Nirgendwo auf Elderwelt gab es mehr Frieden als hier, nirgendwo größere und prächtigere Bauten und nirgendwo in Elderwelt gab es so wenig Armut und so viel Luxus wie hier. Auf Talassair musste niemand hungern, keiner frieren und ein jeder Bürger hatte einen gesetzlichen Anspruch auf ein Eigenheim. Mietszahlungen waren unbekannt und alle Gehälter wurden pünktlich vom königlichen Schatzamt bezahlt und auch alle Gesundheitskosten vom königlichen Versorgungsamt beglichen. Talassair war anders als alle anderen Länder Elderwelts; fortschrittlicher, mitfühlender, gerechter. Membenga hatte gehört, es sei den vergangenen Epochen der Menschenwelt recht ähnlich, ganz genau gesagt dem ausgehenden 19. Jahrhundert Fernwelts, als Zylinderhüte große Mode waren und die ersten schnaufenden Automobile über Kopfsteinpflaster tuckerten. Zugleich galten aber auf Talassair auch noch Mantelröcke mit Schoßaufschlägen und aus Stoffen in allen Farben des Regenbogens gemacht, als modern – ebenso gepuderte Perücken und weit ausladende Kleider für die Damen, deren Röcke so gewaltig waren, dass sie die ganze Breite eines Gehsteigs einnahmen. Auf den Straßen Talassairs war jede Mode erlaubt und gern gesehen.
Es wunderte Dr. Membenga daher nicht im Geringsten, dass nun ein Patient aus Fernwelt hier Ruhe und Erholung suchte.
Veyron Swift kam am frühen Morgen des zwölften Tages des elften Monats des Jahres 95 in der Villa Cadiscott an. Schon von weitem hörte Membenga das Automobil vom Typ Duryea Phaeton heranrattern. Mit seinen beeindruckenden 15 PS Leistung und einer Spitzengeschwindigkeit von sagenhaften 20 km/h konnte dieses Fahrzeug mit den meisten Automobilen der Insel mithalten. Membenga besaß selbst so ein Modell, welches kaum einer Kutsche ohne Pferdegespann glich. Sicherlich kein Vergleich zu den riesigen, panzerartigen Automobilen, in denen sich der König Talassairs chauffieren ließ, dennoch der Stolz eines jeden freien Bürgers.
Der Wagen hielt am Zugang zur Villa und der Fahrer ließ Veyron Swift aussteigen, einen schlanken, hochgewachsenen Mann mit pechschwarzem Haar, welches ein hageres, blasses Gesicht mit markanter Raubvogelnase, schmalen Lippen und leuchtenden, blauen Augen unter einer hohen Stirn einrahmte. Der totale Gegensatz zu Membengas rundem, dunkelhäutigen Gesicht und graumeliertem Haar. Anders als er, der einen dunkelblauen Gehrock über weißer Hose und weinroter Weste trug, zeigte sich Swift noch immer in den einfallslosen und Zierrat-befreiten Kleidern Fernwelts, ein langweiliges Grau-in-Grau. Membenga kannte ihn ja schon von einigen Abenteuern.
»Herzlich willkommen, Meister Veyron Swift«, rief ihm Membenga zu. Swift schenkte ihm nur ein knappes Nicken, holte seine beiden Koffer von der Sitzbank und schlenderte dann die Hofeinfahrt hinunter. Membenga folgte dem sonderbaren Meisterermittler aus Fernwelt. Swift warf seine Blicke über das weitläufige Grundstück, die vielen kahlen Ahornbäume und Buchen und den dicken Teppich aus gelbem, orangem und rotbraunem Laub am Boden. Es raschelte bei jedem Schritt; ein angenehmes und beruhigendes Geräusch. Das ließ einen den kalten Novemberwind und das Krächzen der vielen Krähen glatt vergessen. Diese schwarzen Vögel saßen überall in den Bäumen; es mussten hunderte sein. In unmittelbarer Nähe zur Villa waren sie recht still, aber in weiterer Ferne hörte man sie pausenlos krächzen; ein schreckliches Konzert, eine Beleidigung für die Ohren, wie Membenga fand.
»Wird hier viel gejagt«, fragte Swift und blieb kurz stehen, wandte sich in die Richtung des Krähenlärms.
»Nicht das ich wüsste. Auf Talassair gibt es nicht besonders viel Wild, geschweige denn größere Raubtiere. Das meiste Getier wurde von den ersten Kolonisten hierhergebracht. Und natürlich von den Piraten, die hier einst lebten«, erklärte Membenga und musste ob des überraschten Gesichtsausdrucks Veyrons glatt lachen.
»Ja, Mister Swift, hier lebten früher Piraten. Die Villa Cadiscott wurde zum Beispiel auf den Ruinen einer alten Piratenburg errichtet.«
Mit neuem Interesse betrachtete Swift nun die große Villa: In der Tat ließen sich in dem massiven Zentralbau und dem hohen Turm an der Ostseite noch in etwa die Ursprünge einer Burg erahnen. Die großen Fenstertüren im Erdgeschoss, die zu den Terrassen und in den Garten führten, sowie die Balkone im ersten und zweiten Stock, zeugten sehr deutlich vom Umbau und dem neuen Zweck der Villa. Membenga erzählte Veyron ein wenig von der Geschichte der Villa, wie sie im Jahre 2 von König Julian errichtet und als erster königlicher Wohnsitz genutzt wurde – bis schließlich sein Palast Nr. 1 in der Hauptstadt fertiggestellt war. Danach ging die Villa in den Besitz der Familie Fröhlich über; Getreuen des Königs, die ein paar Jahre später geadelt und sich seither als Barone von Fröhlich bezeichneten.
»Der Herr des Hauses ist Kartiffelschale von Fröhlich. Ein ungewöhnlicher Name, ich weiß. Aber die von Fröhlichs hatten schon immer einen Hang zum Extravaganten. Der Baron lebt hier als Privatier; zusammen mit seiner jüngeren Schwester, Mediterrane.«
Ein wenig enttäuschte Veyrons kühle Reaktion Membenga. Für gewöhnlich rangen die außergewöhnlichen Namen der von Fröhlichs Besuchern der Villa ein Lächeln ab.
»Der Vater von Baron Kartiffelschale hat die Villa schließlich in ein Sanatorium umgewandelt?«
Membenga seufzte und nickte. »Allerdings. Die Villa hat enorm viel Platz und die von Fröhlichs bewohnen ausschließlich den zweiten Stock. Sie waren schon immer sehr sparsame Leute. Auch mit dem Platz. Der Baron wollte seinen edlen Landsitz der Allgemeinheit zur Verfügung stellen und seither kommen jedes Jahr mehrere Patienten hierher, Zwerge und Menschen gleichermaßen. Die Hauptstadt ist weit weg und auf vielen Meilen wohnt niemand. Wenn man ins nächste Dorf will, braucht man schon ein Automobil oder wenigstens eine Kutsche. Die Villa Cadiscott ist ein Haus in der Einsamkeit, ein Hort von Ruhe und Frieden.«
Für einen Moment blieb Swift stehen, legte den Kopf in den Nacken und sog die Luft tief ein.
»Beste Voraussetzungen also, hier für ein paar Tage Ruhe und Frieden zu finden. In den letzten Wochen waren Tom und ich reichlich mit Arbeit eingedeckt. Ich gebe es nur ungern zu, doch ich fühle mich müde und ausgelaugt. Ruhe, Dr. Membenga; mein Körper verlangt zwingend nach Ruhe. Mein Verstand sträubt sich jedoch noch dagegen, sucht pausenlos Probleme und Rätsel. Vielleicht kann ich hier, unerreichbar für alle Menschen Fernwelts und ihre zahllosen belanglosen Angelegenheiten, beides wieder in Einklang bringen.«
* * *
Das Hausmädchen von Cadiscott, eine junge Zwergin, die auf den Namen Rilke hörte, wies Veyron Swift ein Zimmer im Turm zu, von dem aus man nach Osten auf das Meer blicken konnte. Erst jetzt schien Veyron aufzufallen, dass die Villa am Rand einer steilen Klippe gebaut war, hundert Meter über einem schmalen Streifen weißen Strandes. Membenga erinnerte ihn wieder an die Piraten und erzählte ihm von dem Geheimgang, den es angeblich in der Villa gab. Nach Westen blickte man dagegen über die Wälder hinweg und am Horizont zeichneten sich die drei spitzen Gipfel der Berge Talassairs ab – des Wahrzeichens der Insel: Der Adon-Kerr, der Khazul-Chod und der Weiße Berg, auf Zwergisch Zachor-Har; auf den Meter genau fünftausend Meter hoch und damit der größte der drei Gipfel. Ein drittes Fenster zeigte nach Süden, wo es jedoch nur Wald zu sehen gab. Swift blickte hinaus und beobachtete die kahlen Äste, die im scharfen Küstenwind schwankten. Er öffnete das Fenster und lauschte eine Weile dem Spiel der Lüfte.
»Keine Krähen auf dieser Seite«, bemerkte er sachlich und schloss das Fenster. Er zuckte mit den Schultern und lächelte kurz. »Eine Feststellung, Doktor. Vielleicht ist sie uns später von Nutzen.«
»Für was genau?«