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Veyron Swift ist zurück! In seinem dritten großen Abenteuer, wird er vom britischen Geheimdienst beauftragt, das magische Horn des Meeresgottes Triton zu finden. Veyron lehnt ab – bis er erfährt, dass sein allerschlimmster Gegenspieler, der dämonische Schattenkönig, ebenfalls nach dem Besitz des Horns trachtet. Zusammen mit Tom Packard, reist Veyron ein weiteres Mal in die magische Elderwelt. Hilfe finden sie auf dem Inselreich Talassair, wo ihnen der verrückte König Floyd sein bestes Schiff und eine Schar furchtloser Zwerge zur Seite stellt. Die Reise geht quer über den Ozean Elderwelts, doch wohin sie auch kommen, erwarten sie Mord und Verrat. Die Agenten des Schattenkönigs sind überall, auf dem Meer lauern blutrünstige Piraten. Es beginnt ein schier hoffnungsloser Kampf gegen die Mächte der Finsternis. Noch nie stand so viel auf dem Spiel. Für Veyron ist es zudem ein persönliches Duell, denn in seiner Vergangenheit hat der Schattenkönig tiefe Wunden hinterlassen…
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Seitenzahl: 175
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Tobias Fischer
Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 3
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Schattenzauber
Kurswechsel
Die Piratenküste
Willkommen an Bord
Impressum neobooks
Ohne dass es die Erwachsenen bemerkten, stahlen sich Amunet, Ra-messu, Tom und Toink davon. Vom Tempelausgang bogen sie gleich in die nächste Straße ein, die hinunter in die Hafenstadt führte. Als täten sie was Verbotenes, huschten sie von Häuserschatten zu Häuserschatten, bis sie vor einer kleinen Taverne anhielten. Das einfache, rechteckige Haus mit seiner schmucklosen Lehmfassade, machte auf Tom nicht gerade einen besonders einladenden Eindruck. Es schien ihm eine ziemliche billige Absteige zu sein, doch zumindest klang lebhaftes Gelächter und auch Gesang aus dem Inneren. Ohne weiter zu zögern, öffnete Ra-messu die Holztür. Ein breitschultriger Türsteher kam zum Vorschein, musterte den jugendlichen Prinzen missmutig. Als er schließlich erkannte, wen er da vor sich hatte, weitete er die Augen und wich so rasch zurück, dass er beinahe stolperte. Ra-messu sagte kein Wort, würdigte den verdutzten Türsteher keines Blickes, sondern drang bis in die Gaststube vor. Amunet nahm Tom an der Hand und folgte ihrem Bruder mit einem vergnügten Lachen. Toink schüttelte den Kopf.
»Diesen Prinzen sollte man mal übers Knie legen. Ich weiß noch, dass unser König in diesem Alter auch ein ziemlich hochnäsiger Bengel war, aber das haben wir Zwerge ihm rasch ausgetrieben«, brummte er, dann ging auch er hinein.
Die Gaststube war eng und mit Menschen geradezu überfüllt. Männer aller Altersklassen drängten sich um die wenigen, einfachen Holztische. Ihr schwarzes Haar trugen die meisten in Form kurzer Locken, einige gönnten sich den Luxus eines Schnur- oder Vollbartes, die meisten bevorzugten jedoch eine Glattrasur. Alle trugen sie einfache Tuniken aus Hanf, die im krassen Gegensatz zu den schneeweißen Roben der Priester und Adeligen standen. Tom fühlte sich mit Jeans und T-Shirt vollkommen deplatziert, viele neugierige und erstaunte Blicke gingen in seine Richtung.
Ra-messu, mit seinem ganzen Schmuck um den Hals, den Ringen an den Fingern und dem kostbaren Goldgürtel, samt den darin steckenden Bronzemessern, fiel auf wie ein Pfau. Gesang und Gelächter verebbten schlagartig. Unsicherheit breitete sich unter den Gästen aus. In Ta-Meri wurde der Pharao zwar wie ein Gott verehrt, ebenso huldigte man seinen Kindern. Doch für gewöhnlich blieben die hohen Herren hinter ihren Palastmauern. Hier, in der Taverne einfacher Hafenarbeiter, wollte man lieber keinen von ihnen sehen.
So schnell wie möglich, räumten der Wirt und zwei seiner Bediensteten einen Tisch frei und komplimentierten die betroffenen Gäste an einen Nachbartisch. Ra-messu setzte sich demonstrativ langsam, Amunet neben ihn, Toink und Tom gegenüber.
»Bier für alle«, rief Ra-messu laut. Unter den Gästen brandete plötzlicher Jubel auf, sie klatschten und begannen von neuem zu singen. Ra-messu und Amunet lachten und fielen klatschend in den Rhythmus ein. Tom wurde klar, dass die beiden öfter hier waren. Der Wirt stellte vor jedem einen Tonbecher mit Bier auf den Tisch. Beherzt griff Ra-messu zu und nahm einen tiefen Schluck.
»Ich hätte gedacht, ihr würdet mehr auf Wein stehen«, sagte Tom überrascht, als auch Amunet an ihrem Becher nippte.
»Schon«, gab sie zu. »aber das einfache Volk trinkt Bier, Wein ist nur für die Edelleute. Zu oft vergessen wir Mächtigen das einfache Volk. Ra-messu und ich wollen das ändern, wenn uns die Götter zu Pharao und Großer Königlicher Gemahlin berufen.«
Tom hob erstaunt die Augenbrauen. Dieses Selbstverständnis, Herrscher zu werden, kam etwas überraschend. Toink schien es nicht aufzufallen. Mit einem Zug hatte er seinen Becher geleert.
»Noch einen«, rief er in Richtung des Wirts, um den Lärm der singenden Gäste zu übertönen. Ihm wurde zugenickt und Tom bemerkte, wie der Wirt mit den Fingern schnippte. Eine recht ansehnliche junge Frau trat aus der angrenzenden Küche und der Wirt flüsterte ihr etwas zu. Die hübsche Bedienstete blickte in Toinks Richtung und nickte dann gehorsam. Gleich darauf brachte sie dem Zwerg einen zweiten Becher. Toink trank ihn ohne abzustellen in einem Zug leer.
Tom schüttelte den Kopf und wandte sich wieder an die beiden königlichen Geschwister.
»Also, hab ich das richtig verstanden? Ihr zwei wollt König und Königin werden? Geht das überhaupt, ist das nicht verboten?«
Ra-messu lachte höhnisch auf. Demonstrativ griff er zur Seite und nahm seine Schwester in den linken Arm. Zärtlich begann er ihre glatte Wange zu streicheln.
»Du machst Witze, Tom von Talassair. In uns fließt das Blut eines Gottes. Für mich kommt nur eine Gemahlin von ebenso göttlicher Abkunft in Frage. So war es schon seit jeher«, tönte er.
Amunet lachte hell auf und erwiderte die Umarmung ihres Bruders. Ihrer beiden Gesichter näherten sich langsam. Tom fühlte sich auf einmal ein wenig seltsam. Er war nicht sicher, ob er das wirklich sehen wollte. Irgendwie machte es ihn auch rasend eifersüchtig. Doch bevor sich die beiden Geschwister in aller Öffentlichkeit küssten, legte Amunet ihrem Bruder den Zeigefinger auf die Lippen.
»Lass uns unsere Gäste nicht noch mehr schockieren, geliebter Bruder. Sie wissen nichts von den Gepflogenheiten unserer Kultur«, sagte sie. Ra-messu knurrte widerstrebend, fügte sich aber. Er gab Amunet frei und griff wieder zu seinem Becher.
»Mundschenk, noch eine Runde für alle!«, rief er. Erneut brandete Applaus und Gesang auf. Toink leerte inzwischen sein drittes Bier auf Ex.
Endlich wandte sich auch Tom seinem Gebräu zu. Doch schon nach einem einzigen Blick in den Tonbecher, erschauderte er. Das konnte unmöglich Bier sein. In dem schaumigen Zeug schwammen überall schleimige Klumpen herum.
Mit einem Anflug purer Verzweiflung wandte sich Tom an Toink. »Kann man das wirklich trinken?«
»Ja, kann man, Kleiner.«
»Wie schmeckt es?«
»Grauenvoll. Wirt, noch eins für mich!«
Während sich Toink auch den vierten Becher ohne mit der Wimper zu zucken in den Rachen kippte, nippte Tom ganz vorsichtig. Das Gebräu schmeckte wie Apfelessig.
Ra-messu lachte ihn aus. »Du solltest dein Gesicht mal sehen, Tom aus Talassair. Ihr von der magischen Insel seid so weich, wie der Schlamm des Großen Stroms! Mundschenk, bringt uns noch eine Runde!«
Während der Wirt und seine hübsche Bedienung den Vieren neue Becher brachten, zeigte Amunet Tom ein Amulett, das um ihren Hals hing. Es war ein farbenprächtiges Udjat-Auge, das Symbol für Vollkommenheit, Gesundheit und Macht, gemacht aus Gold, Elfenbein und Lapislazuli.
»Ra-messu trägt das gleiche Amulett, wir bekamen es als Zeichen der Götter geschenkt. Wir sind dazu bestimmt, das nächste Königspaar zu werden«, erklärte sie, während sie mit ihren schlanken, vollkommenen Fingern das Auge streichelte. Tom spürte, wie sich sein Puls beschleunigte, als er ihr dabei zusah. Ihm war, als spürte er das Pochen eines Herzens – jedoch nicht das seine. Er glaubte ein leises Flüstern zu hören, in einer Sprache, die er nicht kannte. Es schien jedoch nicht das Alt-Ägyptisch zu sein, das man in Ta-Meri sprach. Mehr und mehr nahm ihn das Amulett gefangen. Oder waren es Amunets wunderschöne Finger? Er blickte in ihre dunklen Augen, die im Halbdunkel der Taverne regelrecht zu leuchten schienen. Ihre verheißungsvollen, roten Lippen formten Worte, die er nicht hören konnte. Von was sprach sie da gerade? Egal; es war ihm egal. Ihm war nur wichtig, dass er in ihrer Nähe war.
Jemand rempelte ihn an, riss ihn aus dieser seltsamen Trance. Es war Toink, der sein sechstes Bier bestellte. Tom blinzelte und fasste sich an die Schläfen. Kopfschmerzen, dachte er überrascht. Von was? Etwa von dem scheußlichen Gebräu? Oder war es diese magische Wirkung, die dieses Udjat-Amulett auf ihn ausstrahlte? Hatte Amunet mit ihren Bewegungen etwa versucht, ihn zu hypnotisieren? Sie lachte, als sie sein ratloses Gesicht eine Weile beobachtete.
»Zu viele Zauber für dich, Tom? Lass uns einfach noch ein wenig feiern, einverstanden?«, rief sie ihm mit einem spitzbübischem Lächeln zu. Er nickte zögernd. Wie hätte er ihr auch etwas abschlagen können? Welche Magie Amunet eben auch angewandt hatte, Tom war ihr ganz und gar verfallen.
Nun folgte Runde auf Runde, Becher auf Becher. Nach drei Runden hatten Ra-messu und Amunet genug, Tom hatte nicht einmal seinen ersten Becher geschafft. Dieses „Bier“ schmeckte einfach zu grauenvoll. Ein Wunder, dass Toink es in nahezu unvorstellbaren Mengen zu sich nahm. Er soff wie ein durstiger Stier. Allmählich wurde er zur Attraktion des Abends. Auf dem Nachbartisch stapelten die Männer bereits die leergetrunkenen Becher zu Türmen auf. Bald waren es zehn, kurz darauf elf, dann zwölf und schließlich dreizehn.
»Noch einen, wenn ich bitten darf«, brüllte Toink lallend in die Gaststube. »Ich muss noch auf meinen Vater anstoßen. Der war ein elender Verräter und Mörder, wisst ihr das? Ein Mö….Mö…Mörder war er!«
Die junge Bedienung reichte ihm Becher Nummer vierzehn und setzte sich keck auf den Schoß des um mindestens drei Köpfe kleineren Zwergs. Toink gluckste frech.
»Hübsch biss‘ du ja, meine Kl…Kleine«, lallte er. »Aber viel ssu wenig haa….ah..aarig.« Er trank einen kräftigen Schluck. »Auf Meda…Medi…Medusssa. Sssie hat mei…meinen Vadder verschteinert! Was für eine Heldentat! Ha! Er war ’n Mörder, wisst ihr? Und ein Verräter! Hat unseren König er…ver…zerschossen, oder so. Und mich getroffen. Peng! Ha!«, Toink brach in Gelächter aus, der Becher fiel ihm aus den Fingern und entleerte seinen schleimigen Inhalt über den Tisch. Die Besucher lachten und klatschten.
»Medj-chemet!«, riefen sie begeistert. »Dreizehn!«, Einer nach dem anderen klopfte Toink auf die Schulter, andere schlugen sich die flache Hand auf die Stirn. Kleine Lederbeutel mit klingenden Münzen wechselten die Besitzer. Man hatte schon gewettet, wieviel der rotbärtige Zwerg am Ende schaffte.
»Das ist Landesrekord«, meinte Ra-messu. Er sprang auf und rief den Leuten etwas auf der Landessprache zu. Alle begannen laut zu lachen. Amunet wandte sich an Tom.
»Er hat Toink für eine Auszeichnung vorgeschlagen. Ich finde, wir haben jetzt genug gefeiert. Kommt, wir machen uns draußen noch einen kleinen Spaß«, sagte sie.
Tom war einverstanden. Ihm wurde die Luft allmählich zu stickig. Er stand auf und half Toink auf die Füße, der nicht mehr aus eigener Kraft aufstehen konnte. Ra-messu und Amunet verabschiedeten sich und wurden noch einmal von den Gästen und den Wirtsleuten bejubelt. Die Spendierlaune und Volksnähe des künftigen Königspaares würde sich garantiert im Reich herumsprechen, da war Tom überzeugt. Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee, wenn die beiden die künftigen Herrscher würden – ganz gleich, was für ungewöhnliche Heiratspraktiken sie pflegten.
Amunets „Spaß“ gestaltete sich nun wie folgt: Die Jugendlichen huschten zum nächstbesten Haus und hämmerten wie verrückt gegen die Tür, solange, bis von drinnen lautes Schimpfen erklang und der Schein einer Öllampe sichtbar wurde.
Kichernd verschwanden sie dann um die Hausecke und ließen Toink, der sich weder vorwärts, noch rückwärts bewegen konnte, allein stehen. Es wurde geöffnet und mit wütendem Geschimpfe kam der Herr des Hauses heraus. Zunächst stutzte man über Toinks ungewöhnliche Zwergenerscheinung, anschließend bedachte ihn der Geweckte mit wüsten Beschimpfungen, die Toink – volltrunken – nur mit einem lauten Auflachen quittierte.
»Mein Vater war ein Mörder«, lallte er dann jedes Mal lautstark. Talasenglisch war in Ta-Meri jedoch nicht weit verbreitet und so verstand ihn niemand. Das regte die Hausbesitzer nur noch mehr auf und sie gingen bald darin über, Toink noch wilder zu beschimpfen. Erst als sie bemerkten, wie betrunken er war, winkten sie ab und verschwanden wieder im Haus.
Tom musste zugeben, dass ihm dieses Spiel gefiel. Die Aufregung, etwas Unanständiges zu tun, kombiniert mit der Angst, nicht erwischt zu werden und den Spaß, wie lächerlich sich die Leute doch machten. Aber niemand trug einen Schaden davon, abgesehen von Toink, doch der verstand ja erstens kein Wort und zweitens, würde er sich hoffentlich am nächsten Morgen an nichts mehr erinnern.
Und so schleppten sie den Zwerg von Haus zu Haus, stellten ihn vor die Tür, klopften mit Händen und Fäusten und verschwanden, als drinnen Mann und Frau aus den Betten sprangen und den Ruhestörer in den Rachen von Ammit, der Verschlingerin, wünschten.
Viermal machten sie das, ohne Schwierigkeiten zu bekamen. Beim fünften Mal jedoch, blieb Ra-messu an Toinks Schulter hängen, stolperte und stürzte. Der Zwerg fiel einfach auf ihn drauf und nagelte den Prinzen auf dem Boden fest. Hinter ihnen wurde die Tür aufgerissen und ein Mann mittleren Alters sprang heraus.
»Euch elenden Strolchen zeig ich’s!«, brüllte er, sprang vor, packte Toink und Ra-messu am Kragen und zog sie auf die Beine.
»Nimm sofort deine Hände von mir, du Idiot«, giftete Ra-messu und schlug nach dem Mann. Jetzt erst erkannte der Geweckte, wen er so grob anfasste. Sofort wich er zurück, senkte den Kopf und entschuldigte sich vielmals.
»Verzeiht Herr, ich dachte, Ihr wärt ein Vagabund, oder Schlimmeres.«
Ra-messu zeigte sich davon jedoch nicht zufrieden gestellt. Wutentbrannt streifte er seine Gewänder glatt und wandte sich dem Mann wieder zu.
»Glaubst du etwa, damit ist es getan? Das wirst du mir büßen! Niemand fasst den Sohn des göttlichen Pharao ungestraft ohne seine Erlaubnis an!«, tobte Ra-messu. Amunet und Tom kamen aus ihrem Versteck. Es war Zeit, hier einzugreifen, ehe noch ein Unglück passierte. Als der arme Hausbesitzer nun auch noch Anches-en-Amun erkannte, fiel er auf die Knie und schlug die Hände vors Gesicht.
»Was für ein Unglück!«, heulte er. Hinter ihm kam seine Frau heran, fasste ihn an den Schultern. Ihr flehentlicher Blick ging in Richtung der Prinzessin.
»Mein Ahmose hat es nicht böse gemeint, Herrin. Bitte… wir hatten uns nur so erschreckt, denn man hört böse Geschichten aus der Nachbarschaft. Seit Wochen werden die Leute von irgendwelchen Strolchen aus dem Schlaf geweckt«, jammerte sie.
Amunet wusste nicht, was sie sagen sollte. Unsicher blickte sie zu ihrem Bruder. Alles Königliche oder Selbstbewusste schien aus ihr gewichen. Im Moment war sie nur ein junges Mädchen, das mit der Verzweiflung ihrer Untertanten überfordert war. Tom wurde bewusst, dass sie es mit ihren Späßen vielleicht ein wenig übertrieben hatten. Ra-messu und Amunet standen in einer ganz anderen Verantwortung gegenüber dem Volk, als gewöhnliche Jugendliche. Während sich andere vielleicht ein paar Backpfeifen für solch einen Streich abholten, konnte dies hier in einem furchtbaren Drama enden – zumindest für die Opfer, denn Ra-messus kannte im Moment nichts anderes als seine Wut.
»Dann seid ihr selber schuld, wenn ihr euch aufwecken lasst«, herrschte er das Ehepaar gerade an. Im nächsten Moment stahl sich ein diabolisches Lächeln auf seine Lippen.
»Ich will euch beiden jedoch vergeben«, entschied er, ganz zu Toms und Amunets Überraschung.
»Werft euch auf die Knie und küsst meine Füße!«, befahl Ra-messu seinen Opfern. Ungläubig wurde er von allen Seiten angestarrt, dann leistete das Ehepaar seinen Worten Gehorsam – zumindest fast. Sie warfen sich flach auf den Boden, die Gesichter im Staub. Ra-messu schien jedoch damit noch nicht zufrieden.
»Ich sagte, ihr sollt meine Füße küssen! Seid ihr schwer von Begriff?«, brüllte er.
Tom trat vor, griff Ra-messu an die Schulter.
»Ich finde, das reicht«, meinte er im beruhigenden Ton. Sofort schüttelte der Prinz seine Hand ab.
»Ich entscheide, wann es reicht«, gab Ra-messu zurück, die Worte zwischen den Zähnen herauszischend. Tom fühlte sich für einen Moment an Stevie Rodgers erinnert, mit dem er sich vor Tagen noch geprügelt hatte. Ra-messu war genauso unbeherrscht und selbstverliebt wie dieser Rodgers – nur ungleich gefährlicher.
»Normalerweise vielleicht, heute aber nicht. Und ich sage, dass es reicht. Und Amunet ebenfalls. Wir hatten unseren Spaß und niemand soll einen Schaden davontragen«, hielt Tom dagegen, darum bemüht, die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen. Im Hinterkopf machte er sich jedoch darauf gefasst, Prinz Ra-messu die Nase zu brechen. Diese Konsequenz erschien ihm unvermeidbar, er spürte es geradezu.
In diesem Moment schlängelte sich Amunet geschickt zwischen die beiden und fasste sowohl Tom, als auch ihren Bruder, an der Schulter.
»Es stimmt, Ra-messu. Wir haben zu viel getrunken. Lassen wir die Leute schlafen. Es ist sowieso Zeit, dass wir nach Achet-Iset gehen, so wie wir’s vereinbart hatten«, sagte sie halblaut. Welch sonderbaren Zauber sie auch beherrschte, er verfehlte seine Wirkung nicht. Tom fühlte sich sogleich ruhiger und Ra-messus unheiliger Zorn verrauchte in Sekundenschnelle. Er nickte stumm, wirbelte herum und stapfte davon. Amunet erlaubte dem Ehepaar, sich wieder schlafen zu legen und riet ihnen, nichts davon weiterzuerzählen. Dann eilte sie auch schon ihrem Bruder hinterher.
Tom nahm Toink am Arm und zog den Zwerg hinter sich her.
»Wass machen wir jetz’?«, lallte Toink.
Tom zuckte mit den Schultern. »Wir gehen nach Achet-Iset, wo immer das sein mag.«
Der Weg führte erst einmal zurück zum Palast, wo Ra-messu von der Wache am Tor gebieterisch verlangte, dass man ihm einen Streitwagen aushändigen möge.
Eine halbe Stunde später kam ein anderer Soldat mit besagtem Fahrzeug herangefahren. Zwei schwarze Hengste zogen einen kleinen Wagen aus Holz und Stroh, der auf einer breiten Achse und zwei schmalen Speichenrädern ruhte. Ra-messu vertrieb den Soldaten und übernahm selbst die Zügel.
Tom war skeptisch. »Seid ihr wirklich sicher, dass ihr in dem Ding nach Achet-Iset wollt?«
Amunet musste lachen. Sie stieg zu ihrem Bruder auf den Wagen und umschlang seine Hüften.
»Ra-messu macht das, seit er laufen kann. Er ist der geborene Kriegsherr und Wagenlenker«, meinte sie voller Stolz, was ihren Bruder selbstverliebt lächeln ließ.
Toink wandte sich an Tom. »Auf das Ding sschteige ich nich‘. Das ist nich‘ ge…ge…gefedert!«
Der Zwerg verschränkte protestierend die Arme. Tom nahm ihn an der Schulter, führte ihn zum Wagen und setzte ihn einfach hinauf. Der D-förmige Boden des Streitwagens bestand aus mehreren Schichten Korbgeflecht und war überraschend weich.
»Schluss mit der Diskussion. Wir gehen alle gemeinsam, oder gar nicht«, entschied Tom. Toink schaute beleidigt in eine andere Richtung.
»Dann red ich mit dir heut nich’ mehr. Bäh!«, grummelte er, nur um gleich darauf leise zu kichern. Tom stieg auf den Wagen und hielt sich an dem dünnen Rahmengestell fest. Ra-messu gab den Pferden einen Befehl und riss an den Zügeln. Die beiden Hengste bäumten sich wiehernd auf, dann legten sie sich ins Zeug. Ratternd und rumpelnd schoss das Gespann vorwärts, die Straße um den Palast entlang und raus aus der Stadt.
Es war vielleicht die ungemütlichste Fahrt seines Lebens, wie Tom fand. Jede Unebenheit des Bodens, jeder größere Stein, jedes Schlagloch, alles wurde über die großen Räder an den Fahrerkorb weitergegeben. Ra-messu ließ die Pferde im Trab vorwärts eilen, weit von der Höchstgeschwindigkeit entfernt, doch Amunet erklärte, dass ihr Ziel rund vierzig Kilometer außerhalb der Stadtmauern lag. Zwar war der Streitwagen nicht einmal so schwer wie ein ausgewachsener Mensch, aber Ra-messu liebte seine Pferde und wollte sie, so gut es ging, schonen.
Nach zwei Stunden erreichten sie schließlich ihr Ziel. Achet-Iset lag auf einem Felsplateau, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Großen Strom, der hier eine weitere Biegung nach Osten machte und aus der Ferne den Eindruck entstehen ließ, das Areal von Achet-Iset läge auf einer Insel.
Tom staunte nicht schlecht, als hinter den Anhöhen nichts anderes zum Vorschein kam, als eine gewaltige Pyramide. Von der Spitze bis zum Boden war sie mit hunderttausenden Kalksteinplatten verschalt, die ihr im Halbdunkel der allmählich ausklingenden Nacht ein schneeweißes Aussehen verliehen. Tom schätzte ihre Höhe auf rund 150 Meter und ihr Basismaß musste an die 250 Meter betragen. Auf allen Seiten war die Pyramide von einer zehn Meter hohen Mauer eingefasst, die einen zwanzig Meter breiten, gefliesten Hof bis zu den Pyramidenflanken freiließ. Die Mauerwände zeigten Abbildungen, die ihren Erbauer in allen Lebenslagen preisten. Die Farben der vielen Darstellungen waren jedoch inzwischen fast vollkommen verblasst, oder abgeblättert. Auf der dem Fluss zugewandten Seite, ließen sich ein alter, halb verfallener Tempel, eine Hafenanlage samt dazugehörigen Dorfruinen, und eine Rampe ausmachen, welche die zwölf Meter hohen Klippen des Plateaus überwand, auf dem die gewaltige Pyramide ruhte.
»Achet-Iset«, tönte Ra-messu, als er das Pferdegespann vor der Umfassungsmauer anhielt. »Das größte und beeindruckendste Bauwerk, welches in Elderwelt erschaffen wurde, ein Gedenken an das verlorene Reich. Erbaut von Königin Iset, der größten und göttlichsten Pharaonin, die jemals lebte.«
Tom verschwieg dem Prinzen besser, dass es in ihrer Welt gleich drei solcher riesigen Pyramiden gab, jedoch waren sie im Vergleich zu dieser, nur mehr Ruinen und besaßen – abgesehen von den Ausmaßen – kaum eine Gemeinsamkeit mit der von Achet-Iset.
Ra-messu stieg vom Streitwagen herunter und forderte die anderen auf, ihm zu folgen.
»Lasst uns zur Spitze hinaufklettern. Von dort können wir das ganze Land sehen, wenn die Sonne aufgeht«, schlug er vor. Amunet war sofort einverstanden, und weil Tom und Toink nichts Besseres anzufangen wussten, schlossen sie sich den beiden an.
Sie umrundeten die Umfassungsmauer, bis sie zum Haupttor im Osten kamen, dass durch zwei zwanzig Meter hohe Pylonen führte. Mit immer langsamer werdenden Schritten näherten sie sich der gewaltigen Pyramide. Der Eindruck von Größe und Gewalt schien auf sie alle niederzudrücken. Schließlich hielt es Toink nicht mehr aus.
»Ach so ist das! Da wollen wir hinauf? Dann mal los!«, brüllte er, als hätten ihn alle guten Geister verlassen. Er stürmte auf das überdimensionale Grabmal zu, sprang auf die Schräge, mit Händen und Füßen wild zappelnd. An der glatten Kalksteinverkleidung fand er keinen Halt und er rutschte immer wieder ab. Plötzlich gab er es auf, sank in den Staub, den Kopf auf die Brust gelegt. Ein lautes Schnarchen verriet ihnen, was geschehen war.
Ra-messu lachte höhnisch. »Dreizehn Becher Bier hauen sogar den stärksten Zwerg mit der Zeit um, wie es scheint. Nein, vergesst es! An den glatten Flächen kann man die Pyramide nicht erklimmen, das gelingt uns nur an den Kanten.«