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Veyron Swift ist zurück! In seinem dritten großen Abenteuer, wird er vom britischen Geheimdienst beauftragt, das magische Horn des Meeresgottes Triton zu finden. Veyron lehnt ab – bis er erfährt, dass sein allerschlimmster Gegenspieler, der dämonische Schattenkönig, ebenfalls nach dem Besitz des Horns trachtet. Zusammen mit Tom Packard, reist Veyron ein weiteres Mal in die magische Elderwelt. Hilfe finden sie auf dem Inselreich Talassair, wo ihnen der verrückte König Floyd sein bestes Schiff und eine Schar furchtloser Zwerge zur Seite stellt. Die Reise geht quer über den Ozean Elderwelts, doch wohin sie auch kommen, erwarten sie Mord und Verrat. Die Agenten des Schattenkönigs sind überall, auf dem Meer lauern blutrünstige Piraten. Es beginnt ein schier hoffnungsloser Kampf gegen die Mächte der Finsternis. Noch nie stand so viel auf dem Spiel. Für Veyron ist es zudem ein persönliches Duell, denn in seiner Vergangenheit hat der Schattenkönig tiefe Wunden hinterlassen…
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Seitenzahl: 159
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Tobias Fischer
Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 4
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Im Bauch der Bestie
Eignungsprüfung
Nicht ganz nach Plan
Der Leviathan
Impressum neobooks
Zu Toms großer Erleichterung (und doch auch ein ganz klein wenig Enttäuschung), überlegte es sich Gural in dieser Nacht nicht anders. Er blieb auf dem Fußboden, wo er nur wenig wirklichen Schlaf fand. Schnell schmerzte zunächst die eine Seite und drehte er ich herum, kurz darauf die andere. Immer wieder wachte er auf und schaute zu ihr hinüber. Gural schien tief und fest zu schlafen, aber er glaubte fest daran, dass sie jeden Moment bereit war, aus dem Bett zu springen, wenn er eine falsche Bewegung machte. Darum drehte er sich weg und versuchte erneut einzuschlafen. Irgendwann gelang es ihm sogar.
Am nächsten Morgen wurde er von Gural mit einem schmerzhaften Fußtritt geweckt. Müde rappelte er sich auf, nur um festzustellen, dass sie komplett angezogen vor ihm stand – auch die Rüstungsplatten hatte sie angelegt – ganz allein. Also hatte sie ihn gestern Abend eindeutig getestet, genau wie vermutet.
»Aufstehen, du fauler Sack! Es gibt Arbeit!«, herrschte sie ihn an. Tom warf die Decke zurück und kam auf die Füße. Widerstandslos folgte er ihr hinaus in die finsteren Gänge des Monsterschiffs. Zuerst suchten sie die Kojen und Gemeinschaftsräume der Piraten auf. Gural machte sich einen Spaß daraus, die fielen Hängematten umzukippen. Sie wies Tom an, es auf der anderen Seite ebenso zu machen. Gemeinsam sorgten sie dafür, dass Piraten und Schrate fluchend und schreiend hart zu Boden stürzten. Tom musste zugeben, dass ihm das eine diebische Freude bereitete.
»Aus den Federn, ihr stinkendes Gesockse! Kontrolliert die Vorräte, füttert die Fenrisse und pflegt eure Waffen!«, brüllte Gural den müden Piraten in die Ohren. Einer nach den anderen machte sich gehorsam auf den Weg zu seinen Aufgaben.
Anschließend gab es Frühstück – für Tom allerdings nur eine Schüssel klebrigen, nach Nichts schmeckenden Brei. Tapfer würgte er das Zeug hinunter, während Gural ein großes Stück Fleisch verputzte und danach noch zwei Äpfel. Seinem überraschten Blick entgegnete sie mit der Erklärung, dass das gut für Knochen und Zähne wäre. Tom verstand. Skorbut machte auch vor Schraten nicht halt – was bei dem einen oder anderen von Gurals Artgenossen durchaus zu sehen war. Mit dem Unterschied, das Schratzähne ein ganzes Leben lang nachwuchsen, jedoch oft windschief oder an den falschen Stellen.
Tom war kaum mit dem Essen fertig, als ihn Gural auch schon wieder aufforderte, ihr zu folgen. Über sich öffnende Korridore und aus den Wänden und Decken wachsende Treppenstufen eilten sie auf das Oberdeck des Schiffs. Er musste mehrmals tief durchatmen, als er endlich wieder an die frische Luft kam. Der Wind blies ihm ins Gesicht und er genoss die Wärme und die Helligkeit, der hoch am Himmel stehenden Sonne. Gural schirmte dagegen ihre Augen für einen Moment ab.
»Scheiße! Keine Wolken am Himmel«, hörte er sie schimpfen und musste schadenfroh lächeln. Schrate mochten kein Sonnenlicht, es schmerzte in ihren Augen. Aber Gural hielt tapfer stand und nach ein paar Augenblicken schien sie sich daran gewöhnt zu haben – oder sie unterdrückte den Schmerz einfach nur.
»Ich sehe, du hast Gesellschaft gefunden«, hörte er plötzlich Veyrons Stimme hinter sich. Überrascht drehte Tom sich um und sah seinen Paten, mit den Händen in den Hosentaschen, über das schwarze Deck spazieren. Hinter ihm standen zwei mit Messern und Säbeln bewaffnete Piraten.
»Sind Sie auch versklavt«, fragte ihn Tom. Veyron schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich bat darum, mir ein wenig die Beine zu vertreten. Du erinnerst dich vielleicht daran, dass uns sowohl der Holländer als auch der Schattenkönig Freigang zugestanden haben?«, erklärte er.
»Wer ist der Kerl«, fragte Gural feindselig in Toms Ohr.
»Mein Patenonkel, Veyron Swift. Ich lebe bei ihm, seit der Schattenkönig meine Eltern ermordet hat. Naja, so ähnlich jedenfalls«, sagte er ihr mit einem Schmunzeln. Gural musterte Veyron misstrauisch.
»Ich mag ihn nicht«, entschied sie.
Tom lachte. »Ja, das höre ich öfter.«
Veyron beachtete die beiden schon gar nicht mehr. Sein Blick war auf die See gerichtet, wo er etwas entdeckt hatte. Neugierig, was die Aufmerksamkeit seines Paten gefangengenommen hatte, schaute auch Tom hinaus auf die blauen Wellen. In der Ferne entdeckte er ein Schiff. Zwei rote Segel blähten sich im Wind, doch am Auffälligsten waren die drei Decks, aus denen lange Ruder herausragten.
»Eine maresische Trireme«, erkannte Veyron. »Siebenunddreißig Meter lang, drei Ruderdecks, einhunderfünfzig Ruderer, zwölf Offiziere und eine ganze Zenturie als Seesoldaten. Zweifellos ein Patrouillenschiff des Imperiums, auf der Suche nach Piraten.«
Gural schaute Veyron einen Moment verblüfft an, ehe sie sich an Tom wandte.
»Woher weiß er das?«
»Er weiß alles – fast alles. Veyron ist wie ein wandelndes Lexikon«, versuchte Tom zu erklären. Plötzlich spürte er, wie sich der Wind in seinem Haar drehte. Er blickte auf zu den feurigen Segeln, die kurz flatterten und dann wieder stramm im Wind standen.
»Wir drehen bei«, rief er erstaunt aus. Ein Blick nach vorne auf den gewaltigen Bugspriet verriet es ganz deutlich: Das Monsterschiff beschrieb eine Kurve und steuerte nun direkt auf das kleine Schiff des Imperiums zu. Oben im Mastenwald rollten sich weitere Flammensegel aus, fauchend und zischend, schwarzen Rauch in den Himmel blasend.
»Die Imperiums-Kerle sind fällig«, verkündete Gural. »Das Schiff hat Hunger.«
Entsetzt blickte Tom zu Veyron, der kaum merklich nickte.
»Marten hat es uns erklärt. Es frisst andere Schiffe und assimiliert die Trümmer. Dadurch wird es immer größer, seit über dreihundert Jahren«, sagte er kalt. Tom drehte sich um und marschierte in Richtung Achterdeck.
»Das müssen wir verhindern«, rief er aus und begann zu laufen. Doch Gural war sofort zur Stelle, packte ihn an der Schulter und hielt ihn fest.
»Spinnst du? Was glaubst du, was du da tust?«, fauchte sie ihn an.
»Leben retten! Wir müssen verhindern, dass dieses Schiff die Maresier auffrisst«, gab er zurück und befreite sich aus ihrem Griff. So leicht war Gural jedoch nicht abzuschütteln. Sie schnappte ihn sofort wieder am Handgelenk, ihre Krallen schnitten in sein Fleisch.
»Gural, da sterben Menschen!«, schrie er sie an.
»Und wenn schon? Besser die als wir!«
Tom wollte darauf etwas erwidern, als hinter ihm ein lautes Kreischen erklang. Gural und er blickten überrascht auf. Veyron hatte den einen Piraten mit einem Schlag zu Boden befördert und brach dem anderen gerade Arm und Nase. Schnell wie der Wind, sprang er über seine Gegner hinweg und stürmte in Richtung Achterdeck.
»Scheiße! Ihr Kerle macht doch bloß Ärger«, zischte Gural. Tom erwiderte ihren Blick kurz, dann rannten sie los; beide gleichzeitig. Jeder von ihnen war versucht, Veyron als erstes einzuholen.
Kein einziger anderer Pirat oder Schrat hielt sich auf dem Oberdeck auf. Da es in der Takelage nichts zu tun gab und auch sonst alles von Geisterhand gesteuert wurde, blieb das lichtscheue Gesindel lieber unter Deck.
Tom rempelte Gural zur Seite, um sie zu Fall zu bringen, die das sofort mit einem Faustschlag erwiderte Veyron hatte darum nun freie Bahn, niemand war da, um ihn aufzuhalten. Blitzartig huschte er die Stufen zum Achterdeck hinauf und dann zum riesigen Steuerrad.
Der uralte Marten stand dort, seine dünnen Händchen an den Sprossen des Steuers.
»Sofort beidrehen«, rief ihm Veyron zu. Der Alte schüttelte mit einem traurigen Lächeln den Kopf. »Nein, so lauten nicht die Befehle des Kapitäns«, erwiderte er.
Veyron sparte sich eine Erwiderung. Ohne Zögern, stieß er Marten von dem Steuerrad fort und legte selbst Hand an. Doch er konnte es nicht bewegen, keinen Millimeter. Tom stürzte herbei, um ihn zu helfen, während Gural respektvoll Abstand hielt. Doch selbst zu zweit ließ sich das Steuer nicht bewegen. Tom wandte sich an Gural.
»Hilf uns, bitte«, rief er flehend. Die junge Schratin holte tief Luft, unschlüssig, was sie tun sollte. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie jemand um Hilfe gebeten. Tom bemerkte, dass sie Angst zu haben schien, das Falsche zu tun. Sie machte einen Schritt nach vorn, doch Marten hielt sie mit gestrecktem Arm zurück und wiederholte, dass dies nicht die Befehle des Kapitäns waren.
»Zum Teufel, mit dem Kapitän!«, schrie Tom.
Marten gluckste amüsiert. »Bei dem ist er leider schon längst gelandet, junger Master Tom. Seine Seele hat er ihm verkauft, vor dreihundertdreiunddreißig Jahren«, sagte der Alte.
Veyron ließ das Steuerrad los und trat zurück. Er fasste Tom an der Schulter und zog auch ihn fort.
»Steuermann Marten«, rief er den Alten an. »Ich sagte Euch, dass ich die Briefe Eures Kapitäns nach Amsterdam bringen werde. So dreht nun bei, denn dies ist der Preis für mein Versprechen.«
Marten senkte den Blick, ein Lächeln huschte über seine dünnen Lippen.
»So sei es«, murmelte er, trat ans Steuer und ohne viel Kraftaufwand, drehte er es nach rechts. Augenblicklich begann sich das Monsterschiff zu drehen, fort von der Trireme des Imperium Maresia. Tom atmete erleichtert durch, während Veyron das maresische Schiff konzentriert im Auge behielt.
»Verflucht nochmal! Wer hat dir erlaubt, einfach beizudrehen?«, brüllte die Stimme des Fliegenden Holländers hinter ihnen. Tom wirbelte erschrocken herum. Da stand plötzlich Barend Fokke am hinteren Ende des Decks. Mit wütenden Schritten war er bei Marten, der respektvoll zur Seite trat und nicht wagte, irgendwas zu sagen. Sein nächster ungehaltener Blick galt Gural. Verlegen, weil sie offenkundig versagt hatte, packte sie Tom am Ärmel. Fokke berührte das Steuerrad, streichelte es beinahe liebevoll.
»Wir versuchen, ein paar hundert unschuldige Seelen vor dem Tod zu retten. Die maresische Patrouille ist keine Gefahr für Euer Schiff, Kapitän«, erklärte Veyron im ungerührten Ton. Fokke fuhr zu ihm herum, sein Bart bebte, die alten Augen leuchteten vor Zorn.
»Das ist nicht Eure Entscheidung, verdammt!«, gab er lautstark zurück.
»Ganz recht«, mischte sie nun die dunkle Stimme des Schattenkönigs ein. Tom fuhr der Schrecken in die Glieder. Er stand genau hinter ihm! Gural wich sofort zur Seite, als der Schattenkönig sich einen Weg zum Steuerrad bahnte.
»Sofort gegensteuern und die Trireme rammen. Das Schiff braucht Energie, für die vor ihm liegenden Aufgaben«, befahl er dem Fliegenden Holländer. Fokkes Zorn verschwand augenblicklich. Er neigte gehorsam den Kopf, trat ans Steuerrad und drehte es. So schnell das Monsterschiff ausgewichen war, so schnell scherte es jetzt wieder zurück.
Tom glaubte bereits die verzweifelten lateinischen Ausrufe der Triremen-Besatzung zu hören. Kurz darauf krachte es laut, Holz zersplitterte, Masten brachen, Wasser gurgelte und vermischte sich mit dem lautstarken Geschrei von Seemännern und Soldaten.
Der Bug des Monsterschiffs klaffte wie ein Maul auf und genau wie ein solches, biss es zu, zerteilte die Trireme in mehrere große Stücke, von denen es eines nach dem anderen in sich aufnahm, zusammen mit Mann und Maus.
»Ihr seid ein verfluchter Mörder«, explodierte es aus Tom heraus. Er spuckte die Worte dem Schattenkönig entgegen, erfüllt von wildem Hass. Wäre Gural nicht gewesen, die ihn festhielt, er hätte diesen schwarzen Teufel sofort angefallen. Der Schattenkönig tat so, als habe er gar nichts gehört. Vermutlich störte er sich nicht einmal an diesem Vorwurf.
»Was geschieht mit den überlebenden Maresiern«, fragte Veyron halblaut. Weder der Schattenkönig noch Fokke antworteten. Es war der alte Marten, der das Wort ergriff.
»Sie werden gefressen. Im Bauch unseres Schiffs lebt ein altes Ungeheuer«, sagte er und nickte dann zum Schattenkönig. »Sein Ungeheuer. Der Leviathan. Er wird regelmäßig gefüttert.«
Abermals überging der Schattenkönig die Vorwürfe ohne Kommentar. Er wartete eine Weile, ehe er sich wieder an Fokke wandte.
»Die Erlaubnis zum Freigang wird für diese beiden widerrufen. Sperrt sie in die Folterkammer, bis wir die Tritonsinsel erreichen. Der Folterknecht soll zusehen, welche Geheimnisse er aus diesen Menschen herauspressen kann«, befahl er.
Nun trat Gural vor den Schattenkönig, die Hände protestierend in die Hüften gestemmt.
»Der Junge ist mein Eigentum! Ich habe ihn als meinen Sklaven ausgesucht«, rief sie dem Schattenkönig zornig zu.
»Du wirst finanziell entschädigt. Schafft sie weg, alle zwei!«, erwiderte er kalt. Gemeint waren die Gruppe Piraten und Schrate, die nun auf das Achterdeck geeilt kamen. Sie packten Tom und Veyron und führten sie ab. Der Schattenkönig hatte noch weitere Befehle für sie.
»Verdoppelt die Wache! Zwei Männern mag Veyron Swift vielleicht entwischen, aber gegen eine ganze Truppe wird er sich nicht behaupten.«
Die Piraten und Schrate nickten. Sie zerrten und schubsten die beiden Gefangenen wieder hinunter auf das Oberdeck und von dort rein in das schwarze Innere des Monsterschiffs.
Die Piraten brachten Tom und Veyron in ein Treppenhaus, das offenbar alle Decks miteinander verband. Nur hier und da sorgten glimmende Krebsgeschwüre für etwas Beleuchtung. Tom achtete gar nicht darauf, wohin sie jetzt gebracht wurden, denn in ihm brodelte es noch immer. Schon wieder hatte der Schattenkönig jemanden ermorden lassen – diesmal die Besatzung eines Patrouillenschiffes. Zweihundertvierzig unschuldige Seelen, verfüttert an ein Ungeheuer, das im schwarzen Bauch dieses Monsterschiffs lebte. Aber vielleicht waren sie noch nicht tot, vielleicht bestand die Hoffnung, sie zu retten.
Ohne länger nachzudenken, warf er sich zurück, seinen Bewachern in die Arme, stampfte so fest er konnte, auf ihre Füße. Sie jaulten und schrien, ließen ihn los – nur für einen Moment. Mehr brauchte Tom auch nicht. Blitzschnell schwang er sich über das Treppengeländer, landete auf den Stufen, die nach unten führte. Die Piraten über ihm fluchten, doch Tom rannte bereits weiter nach unten, Deck für Deck. Er hörte Flüche auf Schratisch, gefolgt von wildem Getrampel gepanzerter Stiefel. Sie verfolgten ihn. Sein Vorsprung war jedoch bereits zu groß.
Je tiefer er kam, desto düsterer wurde das Treppenhaus, umso schiefer und gefährlicher die Stufen. Hier begann der Teil des Schiffs, der nicht regelmäßig besucht wurde und den alle an Bord zu meiden versuchten. Während die oberen Decks noch eine gewohnte Struktur besaßen, wirkten die tieferen Ebenen gänzlich anders. Aus den rechteckigen Gängen, wurden beinahe kreisrunde Tunnels, geformt aus zersplittertem, geschwärztem Holz. Die Anzahl an Krebsgeschwüren erhöhte sich drastisch und nicht alle davon leuchteten. Die Luft roch verpestet und Tom versuchte so lange wie möglich, den Atem anzuhalten. Wasser tropfte von der Decke, Boden und Wände waren glitschig. Sehen konnte er fast nichts mehr. Ohne Ahnung, wohin es ging, tastete er sich vorwärts.
Plötzlich wurde es heißer, Dampf nebelte die Gänge zu und Tom musste sich Schweiß vom Gesicht wischen. Eine unerträgliche Hitze herrschte hier unten, was er sehr sonderbar fand. Langsam begann er sich zu fragen, ob es nicht doch ein bisschen leichtsinnig gewesen war, sich einfach so in die Tiefen des Monsterschiffs zu wagen.
Auf einmal brach der Gang ab und mündete in einer riesigen Halle. Wegen des vielen Dampfes konnte er nicht sehen, wie groß diese Halle und wie genau sie beschaffen war, doch sie schien an die einhundert Meter lang zu sein und fast die ganze Breite des Schiffs einzunehmen. Ein furchtbares Grollen kam ihm entgegen. Etwas bewegte sich hinter den Dampfschwaden.
Der Leviathan! Verzweifelt wünschte sich Tom das Daring-Schwert herbei, doch diese Möglichkeit bestand nun nicht mehr. Jetzt bedauerte er, dass er sich vom Schattenkönig hatte provozieren lassen. Er stand dem Leviathan schutzlos gegenüber.
Und das Monster wusste das auch.
Etwas kroch aus dem Dampf auf ihn zu. Zunächst hielt es Tom für eine Art Schlange, doch es schien vielmehr ein Tentakel zu sein, graugrün, ölig und glänzend. Am Kopf des Tentakels saß eine Knolle, die ihn etwas an eine Spargelknospe erinnerte, nur ungleich größer. Tom wich zurück, doch der Tentakel folgte ihm, reckte sich in die Höhe, bis er vor Toms Gesicht war. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug und – trotz der Hitze – eine Gänsehaut bekam. Dann faltete sich die Knospe auf und schleuderte ihm ein ganzes Bündel weißer, glibbriger Tentakel entgegen. Sie wickelten sich ihm um Arme und Beine, rissen ihn von den Füßen und begannen, ihn in den Dampf zu ziehen. Verzweifelt versuchte er sich an den glitschigen Planken festzuhalten, doch seine Finger rutschten sofort ab.
Das hatte er jetzt von seiner Dummheit! Dem Leviathan in die Falle getappt und das gleiche Ende vor sich, wie jene, zu deren Rettung er eigentlich aufgebrochen war.
Plötzlich war Gural zur Stelle. Mit gezogenem Schwert sprintete sie auf ihn zu, sprang über ihn hinweg und hieb auf den Haupttentakel ein. Das Monster quietschte vor Schmerz, schwarzes Blut spritzte davon. Sofort gaben die Tentakel Tom wieder frei, schossen zurück in die Knospe und der Haupttentakel kroch zurück in den weißen Dampf. Im gleichen Augenblick erhob sich ein mächtiges Brüllen, so laut wie ein Dutzend schwerer Motoren. Das ganze Schiff erzitterte. Eine riesige Masse, dunkel und gepanzert, warf sich gegen den Tunnel, zerbrach das umgebende Holz. Gural wurde von der Wucht in die Luft geschleudert. Sie landete neben Tom hart auf den Boden. Allein ihre Rüstung schützte sie vor schlimmeren Verletzungen. Noch ehe er reagieren konnte, packte sie ihn am Kragen, riss ihn vom Boden, rollte mit ihm herum. Etwas Dunkles kam von der Decke herunter, schlug genau dort ein, wo Tom eben noch gelegen hatte. Er erhaschte einen Blick auf das Ding, graugrün, wie der Tentakel, doch sehr viel größer. Es schien ihm fast wie die Flosse eines Wals, jedoch gepanzert und von Pockennarben übersät. Die dunkle Masse des Leviathans versperrte alle Sicht. Gural fluchte auf Schratisch, zog Tom auf die Füße und stieß ihn in den Gang zurück, während sie mit der anderen Hand ihr Schwert auf das Ungeheuer richtete.
Ein paar Schritte weiter und sie erreichten eine Tunnelbiegung und damit die Sicherheit. Der Leviathan brüllte noch einmal voller Wut, dann schien er sich wieder zu beruhigen. Schwer schnaufend sah Tom zu, wie Gural zitternd gegen die Wand plumpste und an ihr zu Boden rutschte.
»Danke«, japste er. Das schien sie jedoch nur noch wütender zu machen. Sie fletschte die Zähne, sprang ihn an, packte ihn am Kragen und drückte ihn gegen die Wand. Tom spürte den Klingenrücken eines ihrer Dolche an seiner Kehle.
»Ich hab mir fast in die Hosen gemacht, wegen dir! So einen Scheiß machst du nicht nochmal, klar?«, zischte sie ihn an. Er nickte schnell, wagte nicht einmal zu schlucken. Einen Moment später spürte er plötzlich ihre Lippen auf den seinen. Die Schratin küsste ihn – und zwar richtig heftig. Davon vollkommen überrumpelt, blieb ihm nichts anderes übrig, als es über sich ergehen zu lassen. Erstaunlicherweise schmeckte sie nicht einmal so übel und ihre Lippen waren angenehm warm und weich, nur ihre Zähne etwas arg spitz. Im nächsten Moment empfing er aber auch schon eine schallende Ohrfeige.
»Das als Warnung«, sagte sie mit erhobenem Zeigefinger, dann riss sie ihn grob herum, verdrehte ihm den Arm auf den Rücken und stieß ihn vorwärts.
»Du reitest mich da in einen schönen Dreck rein, du Mistkerl! Nicht nur, dass ich meinen Hals für dich riskiere, sondern du bringst mich auch noch um den Verstand!«, schimpfte sie, während sie ihn zur Treppe zurückführte. »Sieh’s ein: Die verdammte Barmherzigkeit bringt einem nur Ärger. Du wärst dabei fast draufgegangen, nur um ein paar Menschen zu retten! Machst du immer solche Sachen? Tja, jetzt ist zu spät, um es herauszufinden. Der Schattenkönig hat befohlen, dich zu foltern.«
Tom schloss kurz die Augen und ballte die Faust seiner freien Hand.
»Es ist mir scheißegal, was der Schattenkönig befohlen hat. Und egal wie lang es dauert – und selbst wenn ich von Toten zurückkehren muss – ich werde mich an ihm rächen und all seine Pläne zunichtemachen«, gab er zornig zurück.