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Vier Tage Mytilini oder Das Bewusstsein der Ohnmacht Wir hatten Pater Nikodemus aufgesucht, da wir von Freunden hörten, dass auf der Insel Lesbos ein heiliger Mann leben würde, der, wenn es um den irdischen Reichtum geht, einer der reichsten Männer der Insel sei, da seiner Familie sehr viele Ländereien gehören. Nikodemus jedoch benötigt lediglich € 200. —Euro im Monat für sich, alles andere geht an gemeinnützige Institutionen und an die Kirche. Pater Nikodemus, inzwischen 82 oder 84 Jahre alt, sein genaues Alter hatten wir bis dahin nicht erfahren, da er gerne damit kokettierte, war der Klosterpfarrer vom Kloster Misiortisas und dem Taxiarchis-Kloster. Wir saßen im Kafenion und nachdem er .............
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Seitenzahl: 90
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Der Vorteil der Klugheit besteht darin,
dass man sich dumm stellen kann.
Das Gegenteil ist schon schwieriger.
Kurt Tucholsky (1890-1935)
Lebt wohl! Dich halt' ich nicht; bist mir zu teuer;
Und, fürcht' ich, deines Wertes wohl gedenk.
Der Freibrief deines Selbst wird dein Befreier,
Mein Recht an dich ist allzu eng beschränkt.
Denn wie besäß ich dich als durch dein Geben?
Welch ein Verdienst erwürb mir solche Güter?
Der Grund so holder Gunst fehlt meinem Leben:
Und so kehrt mein Geschenk zum Eigner wieder.
Fremd war dein Wert dir selbst, als du dich brachtest;
Ich, der Beschenkte, wohl zu hoch gemessen;
So fällt die Gabe, die im Wahn du machtest,
Dir wieder heim nach reiferem Ermessen.
So hab' ich dich gehabt nur wie im Fieber,
Im Traum ein König! wachend ist's vorüber.
William Shakespeare
Teil 1
Pater Nikodemus
Pater Nikodemus bewirtet uns
Die Zweifel des Pater Apostolis
Anastasias Brief
Kunst
Die falsche Lehre des Glaubens
Pater Apostolis und die Musik
Vangelio
Feen auf Paros
Das Rätsel
Das Opfer
Der Mann aus Zucker
Die gute Schwester
Der Abschied
Teil 2
Die unsichtbare Grenze der Seele
Bisher erschienen
Bilder Seite
→
&
→
: Altstadt von Molivos
„Zu einer Zeit, als noch Himmel und Erde sehr nah beieinander waren, behaupteten unsere Vorfahren, dass die Tiere von Zeit zu Zeit an genau diesem Himmel lecken konnten, da die Tautropfen schmackhaft waren. Es war ein ruhiges, friedliches und harmonisches Miteinander. An einem trügerischen Tag jedoch, der Übermut hatte einen Hirten names Dionysos übermannt, nahm dieser Unglückselige einen Mistklumpen, formte ihn zu einer Kugel und warf diese gegen den Mond. Der Dreck soll so am Mond festgeklebt sein, dass die dunklen Flecken zu erklären sind, die der Mond noch heute hat.
Der Himmel hielt daraufhin Rat und man einigte sich in einer schnell einberufenen Konferenz mit den Meeren darauf, dass der Himmel an Höhe und das Meer an Tiefe gewinnen sollte. Das Meer, so sagt man, war zu jener Zeit sehr flach und man konnte sogar darauf gehen.
Da gab das Meer dem Himmel Höhe und der Himmel dem Meere Tiefe, und das Beieinander war nur noch eine Legende."
Pater Nikodemus nahm einen Schluck aus seinem Wasserglas, wischte sich den Mund mit einer gekonnten Bewegung ab und fuhr fort:
„So ist es auch mit uns Menschen, gebt ihr mir Recht?“ Der alte Pope hatte wieder sein verschmitztes Lächeln parat, als er uns aus seinen kleinen Augen durch die John-Lennon-Brille ansah. Sein Handy klingelte und er entschuldigte sich bei uns mit einer stummen Geste und meldete sich mit einem „Oriste“.
Er hörte aufmerksam einige Sekunden zu, um dem Anrufer zu antworten: “Das ist das, mein Bruder, was uns Gott auferlegt hat. Wir sind Schäfer.“ Nach einer Pause, während er der Stimme zuhörte, erwiderte er:
„Komm doch heute Abend auf ein Glas Retsina….ja, so gegen 9:30 Uhr, nach der Abendmesse.“ Er betätigte die Austaste des Handys, schaute nochmal aufs Display, steckte es unter seiner Kutte in die Hosentasche und lächelte uns an.
Wir hatten Pater Nikodemus aufgesucht, da wir von Freunden hörten, dass auf der Insel Lesbos ein heiliger Mann leben würde, der, wenn es um den irdischen Reichtum geht, einer der reichsten Männer der Insel sei, da seiner Familie sehr viele Ländereien gehören. Nikodemus jedoch benötigt lediglich 200 Euro im Monat für sich, alles andere geht an gemeinnützige Institutionen und an die Kirche. Pater Nikodemus, inzwischen 82 oder 84 Jahre alt, sein genaues Alter hatten wir bis dahin nicht erfahren, da er gerne damit kokettierte, war der Klosterpfarrer vom Kloster Misiortisas und dem Taxiarchis-Kloster.
Wir saßen im Kafenion, und nachdem er einen weiteren Schluck Wasser genommen hatte, fuhr er fort: „Gerade rief mich Pater Apostolos an. Er kämpft alle Jahre wieder mit der Frage, ob er auch der richtige Mann sei, seiner Gemeinde vorzustehen. Er ist in Kaloni Priester, seit über zwanzig Jahren, und immer wieder quält ihn die Erkenntnis, dass er nicht alles von heute auf morgen verändern kann. Ich sage ihm: Apostole, habe Geduld und Gelassenheit, denk doch daran, wie viel Beharrlichkeit Gott bei uns Menschen hat. Vor wenigen Wochen erzählte ich ihm die Geschichte, als Gott sehr großen Ärger mit den Riesen hatte, die in früheren Jahren die Mächtigen auf der Erde waren. Sie fühlten sich eines Tages so stark, dass sie die Herrschaft über alle Planeten haben wollten, und Gott war ihnen daher eine Bürde. Sie stiegen auf den höchsten Berg, nahmen Felsblöcke und warfen sie gegen den Himmel, in der Hoffnung, so Gott zu treffen. Er nahm es zunächst sehr gelassen, griff lediglich einige Blitze und schleuderte sie zur Abschreckung herab. Fast alle flohen und so hatte Gott einige Zeit Ruhe mit diesen Krawallmachern. Nach kurzer Zeit kehrten sie jedoch wieder zurück, nahmen noch größere Steine und warfen diese mit noch größerer Wucht gegen den Himmel.
Die Blitze, die von Gott nun folgten, waren gefährlicher und für manche Riesen, die sich sehr weit oben auf dem Berg aufhielten, auch tödlich. Der Rest floh erneut. Die Enttäuschung, nicht die Herrschaft über alles zu erhalten, machte die Riesen erfinderisch.
Ein besonders kluger Kopf äußerte die Idee, dass man ein Katapult aufstellen sollte mit einer großen Schleuder, um selbst zum Himmel geschleudert zu werden, Gott zu besiegen und ihn vom Thron der Welt zu verjagen. Noch während der Vorbereitung sandte Gott einen Blitzstrahl und der so mutige Riese wurde in ein Aschenhäufchen verwandelt.
Die Gier nach Macht ließ jedoch die anderen immer noch nicht zur Besinnung kommen und sie türmten Stein auf Stein, Brocken auf Brocken, um einen hohen Berg zu errichten, damit sie endlich Gott angreifen konnten. Da Gott erkannte, dass die Riesen niemals zur Vernunft gelangen würden, schickte er seine Engel, die alle Riesen bis in alle Ewigkeit im Inneren eines Berges einschlossen."
Pater Nikodemus nickte, um dieser Geschichte noch ein größeres Gewicht beizumessen. „So ist auch Apostolis“, fuhr er fort,„ er hat die Wege des Herrn trotz der vielen Jahre noch nicht endgültig verstanden. Gott, meine Freunde, ist Licht und Schatten, ist Freude und Trauer. Gott ist der Allmächtige.“
Als Pater Nikodemus‘ Handy noch einmal klingelte, nahm er es wieder aus der Tasche, sah schmunzelnd auf das Display und sprach: „Hallo Apostolis, ja eine viertel Stunde später ist auch in Ordnung.
Gotte segne Dich“.
Der Blick, den er daraufhin auf seine Armbanduhr richtete, zwang uns, Pater Nikodemus zu sagen, dass wir gerne, wenn seine Zeit begrenzt sei, unser Gespräch in den nächsten Tagen fortsetzen könnten. Er meinte daraufhin, dass er zu einer Totengedenkfeier nach Skalochori gehen müsste und er sich freuen würde, uns am Abend noch einmal zu sehen.
Wir sollten doch um 20:00 Uhr zur Mandamados-Kirche kommen, dort würde Pater Iraklis die Messe halten. Wir sollten dieses Wunder beobachten. Pater Iraklis hat massive Störungen beim Redefluss, wenn er jedoch eine Messe abhält, stottert er überhaupt nicht. Danach sollten wir zu Pater Nikodemus nach Hause kommen, Pater Apostolis würde auch da sein.
Wir dankten Pater Nikodemus und ich rief den Wirt, um die drei griechischen Mokkas zu bezahlen, die wir bei unserem Kommen in diesem Cafe bestellt hatten. Der Pater hob die Hand: „Lieber Freund, bezahlen kannst Du in Deinem Dorf, hier bin ich zuhause.“ Sprach´s, erhob sich, reichte dem Wirt einige Münzen und ging gebeugt und mit dem Stolz seiner Erhabenheit weg.
Lasst mich einige Worte über die zwei Menschen berichten, die zusammen mit Pater Nikodemus im Kafenion in Kaloni saßen.
Sie: Mitfünfzigerin, gebürtige Badenerin mit griechischem Herzen und Griechenland als Mittelpunkt ihres geistigen Lebens.
Er: Ende der Fünfzig, gebürtiger Grieche mit massivem schwäbischen Einschlag, der durch Sie wieder zurück zu seinen griechischen Wurzeln gefunden hatte.
An einem Wintertag des Jahres 2012 kam Sie mit einem Lesbos Reiseführer und meinte, dass diese Insel sicherlich eine Reise wert wäre.
Ein kluger Ehemann schmettert nicht alles ab, schaut sich die Sache an, liest die eine oder andere Seite des Reiseführers, runzelt die Stirn und sagt, nachdem er eine bedeutungsvolle Pause eingelegt hat: “Nicht schlecht“. Die Ehefrau ist glücklich und man hat für vierundzwanzig Stunden eine gewisse Ruhepause. Dieses Mal waren es weniger als zehn Stunden, bis Sie nachfragte und wie immer ihren Willen bekam.
Tatsächlich ist Lesbos, dessen Ursprung bis zum dritten Jahrtausend vor Christus nachgewiesen wurde, eine Insel, die man niemals vergessen wird. Irgendwann viel später haben wir nachgelesen, dass der Sonnengott Helios persönlich die ersten Siedler begleitet hat. Sie gründeten zahlreiche Städte, und jede Stadt erhielt den Namen eines der Helios-Kinder. Der erste Siedler unter Helios‘ Führung hieß Makeleas und „Lesbos“ hieß dessen Lieblingsschwiegersohn. Helios hatte fünf Töchter, diese konnten sich bei der Namensgebung so durchsetzen, dass drei dieser nach ihnen benannten Städte heute noch existieren.
Meine Frau meinte, dass man doch hier deutlich sehen könnte, dass die weibliche Spezies viel robuster wäre als die männliche, damals wie heute.
Die Städte entwickelten sich prächtig und der Herrschaftsbereich dehnte sich bis nach Kleinasien aus.
Aber dort wo Wachstum herrscht, dort herrscht auch Neid und Eifersucht. Die Adligen wollten immer mehr, und die Alleinherrscher der damaligen Zeit ließen sich nicht viel gefallen. Einer dieser Alleinherrscher, im Volksmund auch „Tyrann“ genannt, war ein gewisser Pittakos.
Pittakos erließ die ersten schriftlichen Gesetze, die die Macht der Adeligen massiv einschränkten. Viele Adelige verließen daraufhin die Insel. Nachdem die Auseinandersetzungen ein Ende fanden, trat er zurück mit dem Hinweis, dass es zu schwer wäre, auf Dauer tugendhaft zu bleiben.
Er galt als einer der sieben Weisen.
Wie gerne würden wir heute solche Tyrannen wählen wollen.
Es ist üblich, dass man, wenn man irgendwo eingeladen ist, zu Party, Brunch, Dinner und so weiter, etwas mitbringt. Wir versuchten, etwas Persönliches zu finden. Am liebsten etwas Selbstgemachtes, aber jetzt auf Lesbos? Wahlweise doch Alkohol, Schokolade oder Blumen? Langweiliger geht es nicht. Aber was bringst Du einem über achtzigjährigen Popen mit, den Du erst eine halbe Stunde gesehen hast und sonst gar nicht kennst. Der Zufall kam uns zu Hilfe. Da wir in Griechenland grundsätzlich griechisch miteinander reden, sprach uns die Verkäuferin des Touristenladens an, in dem wir Ausschau nach etwas hielten, das uns als ein richtiges Gastgeschenk erschien. Sie entschuldigte sich, uns belauscht zu haben und meinte, wenn wir Pater Nikodemus eine Freude bereiten wollten, dann mit getrockneten Früchten, die man gegenüber beim Getränkemarkt kaufen kann. „Beim Getränkemarkt?“ fragte meine Frau, wobei die Verkäuferin schmunzelnd beifügte: „Ja diese Früchte sind mit hochkarätigem Weihwasser angesetzt.“
Also war dieses Problem vom Tisch und als wir kurz vor 21:00 Uhr an der Tür des alten Hauses klopften, das Pater Nikodemus bewohnte, erwartete uns nicht nur der wunderbare Duft eines Bratens, sondern auch ein Pater mit einer Kochschürze, auf der in griechischer Sprache zu lesen war: Hier kocht der Chef.