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Jenny Behnisch, die Leiterin der gleichnamigen Klinik, kann einfach nicht mehr. Sie weiß, dass nur einer berufen ist, die Klinik in Zukunft mit seinem umfassenden, exzellenten Wissen zu lenken: Dr. Daniel Norden! So kommt eine neue große Herausforderung auf den sympathischen, begnadeten Mediziner zu. Das Gute an dieser neuen Entwicklung: Dr. Nordens eigene, bestens etablierte Praxis kann ab sofort Sohn Dr. Danny Norden in Eigenregie weiterführen. Die Familie Norden startet in eine neue Epoche! Fee und Daniel besuchen die Premiere eines Musicals. Kurz vor Beginn der Vorstellung wird nach einem Arzt gefragt. Die beiden werden zum Hauptdarsteller Thomas Bormann in dessen Garderobe geführt. Er liegt ohnmächtig am Boden. Daniel und Fee erkennen den Ernst der Situation und vermuten einen Schlaganfall. Sie veranlassen den Transport in die Klinik. Auf der Bühne muss die Zweitbesetzung einspringen. Im Krankenhaus gestaltet sich der Fall dramatisch. Und Valentina Roberts, die weibliche Hauptdarstellerin des Musicals, fühlt sich hin und her gerissen. Sie ist mit Udo Krugmann, der für Thomas auf der Bühne einspringt, liiert und heimlich in Thomas verliebt. Für alle Beteiligten beginnt eine nervenaufreibende Zerreißprobe ...
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Seitenzahl: 112
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»Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass unser Theaterabend wirklich klappt. Es hätte auch, wie so oft, etwas dazwischen kommen können. Ein Notfall in der Klinik zum Beispiel. Es hätte mich nicht gewundert.« Dr. Daniel Norden strahlte seine Frau Felicitas bewundernd an. »Du siehst übrigens bezaubernd aus in diesem Kleid.«
»Du kannst dich aber auch sehen lassen in deinem neuen Anzug«, gab sie zurück. »Hast du die Tickets? Nicht dass wir im Theater draußen vor der Tür bleiben müssen«, neckte sie ihn.
»Liebling, das ist jetzt schon so viele Jahre her, dass mir das passiert ist. Langsam ist es auch mal gut, du musst mich nicht immer damit aufziehen. Gib mir lieber noch einen Kuss, bevor du den Lippenstift aufträgst.«
»Ach Gott, der Lippenstift«, rief sie aufgeregt. »Moment!«, und schon war sie weg. Den Kuss hatte sie vergessen, stellte Daniel enttäuscht fest. Sie eilte ins Schlafzimmer an ihren Schminktisch und ließ den schmunzelnden Daniel zurück. Es war schon lange her, dass sie zusammen etwas unternommen hatten. Einen Theaterabend hatten sie sich zuletzt vor etlichen Jahren gegönnt. Er hatte als Leiter der Behnisch-Klinik kaum einen freien Abend,å und Felicitas, von allen Fee genannt, ging es ganz ähnlich. Sie war die Leiterin der Pädiatrie an derselben Klinik, und als ob das noch nicht genug wäre, kümmerte sie sich auch noch mit vollem Einsatz und mit viel Liebe um ihre Familie. Fünf Kinder hatten sie zusammen großgezogen, und obwohl schon längst nicht mehr alle zuhause wohnten, so stand Fee ständig mit jedem einzelnen von ihnen in Verbindung. Im Zweifelsfall hätte Daniel nicht entscheiden können, welches Gefühl für seine Frau stärker war: sein Stolz, seit Jahrzehnten eine so wunderbare und tatkräftige Frau an seiner Seite zu haben oder die grenzenlose Liebe, die er auch nach den langen Ehejahren immer noch unvermindert für sie empfand. Als er dann erfuhr, dass in einem bedeutenden Theater in München das Lieblingsmusical seiner Frau gastierte, überlegte er nicht lange und besorgte zwei Tickets für die Premiere. Erste Reihe natürlich. Dass er auch Karten für die anschließende Premierenfeier ergattert hatte, wollte er seiner Frau erst später sagen. Das wäre noch einmal eine Extra-Überraschung für sie gewesen, denn er wusste, wie gerne sie sich mit den Darstellern und Darstellerinnen unterhalten würde. Während er geduldig darauf wartete, dass Fee wieder aus dem Schlafzimmer zurückkam, erinnerte er sich an ihr überraschtes Gesicht, als er ihr zum Hochzeitstag die Theaterkarten überreicht hatte. »Auch noch für die Premiere!«, hatte sie glücklich gerufen. Ihre blauen Augen strahlten. Sie war ihm vor Freude um den Hals gefallen und hatte ihn lange nicht mehr losgelassen. Ihre blonden Kringellocken kitzelten ihn in der Nase, und er bekam kaum Luft, so fest hatte sie ihn gedrückt. Wochenlang sprach sie dann von nichts anderem mehr, so sehr freute sie sich auf die Vorstellung. Aufgeregt erklärte sie ihm so oft die Handlung, bis er sie fast schon auswendig kannte. Obwohl er das klassische Musical noch nie selbst gesehen hatte, hätte er mittlerweile sogar einzelne Songtexte zitieren können. Noch am Abend des Hochzeitstages holte Fee nämlich die Original CD mit der Besetzung der Uraufführung im Jahr 1997 in Wien aus dem CD-Regal und spielte sie seither nahezu jeden Tag. Jedes Mal wies sie ihn dabei auf ihre Lieblingsstellen hin. Jäh wurde er aus seinen Gedanken gerissen, denn Felicitas war endlich von ihrem Schminktisch zurück.
»Trödel nicht so rum«, forderte sie ihn mit einem munteren Lächeln auf, und er gab ihr als Antwort einen kleinen Klaps auf ihren Po.
»Los jetzt, das Taxi wartet schon.«
Eine halbe Stunde später betraten sie das beeindruckende Foyer des Theaters. Daniel reihte sich in die Schlange vor der Sektbar ein und balancierte kurz darauf die zwei gefüllten Gläser zu Fee, die sich die Wartezeit mit einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen vertrieben hatte: Leute zu beobachten.
»Na, schon jemanden gefunden, den du gegen mich eintauschen würdest?«, zog Daniel sie auf.
»Fast«, gab sie im lockeren Plauderton zurück. »Aber derjenige, der einzige, der dafür infrage käme, spielt heute Abend die Hauptrolle. Er ist also beschäftigt und hat keine Zeit für mich. Das heißt, doch, irgendwie schon! Er wird immerhin nur für mich alleine spielen und singen! Jedenfalls werde ich mir das einbilden.« Sie lächelte versonnen und Daniel war sich in diesem Moment nicht so ganz sicher, ob sie es wirklich ernst meinte.
»Du meinst, dieser Fischer könnte mir tatsächlich zum Verhängnis werden?« Innerlich war er stolz auf sich. Immerhin hatte er sich den Namen des Darstellers gemerkt, von dem ihm Fee bereits ausführlich erzählt hatte.
»Genau. Anton Fischer … hach!« Gespielt theatralisch verdrehte sie die Augen und wedelte sich mit dem Programmheft Luft zu.
»Na, dann mal los«, schlug Daniel vor. »Bevor du mir hier noch in Ohnmacht fällst wie ein Teenager, begeben wir uns doch schon mal zu unseren Plätzen. Die Türen zum Saal wurden gerade aufgemacht. Es kann nicht mehr lange dauern, bis zum ersten Gong. Er nahm sie zärtlich am Ellbogen und bahnte sich und seiner Frau mit sanfter Bestimmtheit einen Weg durch die Menge. Es war ihm durchaus bewusst, dass sie als attraktives Paar im besten Alter die Blicke der anderen auf sich zogen.
Die Vorstellung war offensichtlich ausverkauft. Es dauerte nicht lange, bis der gesamte Zuschauerraum bis auf den letzten Platz besetzt war. Nun konnte es losgehen. Er wollte Fee noch viel Vergnügen wünschen, aber als er zu ihr hinübersah und ihr seliges Lächeln auf den Lippen wahrnahm, überließ er sie rücksichtsvoll ihren Träumen. Ihre Augen waren auf die Bühne gerichtet, obwohl die Vorstellung noch gar nicht begonnen hatte. Als er ihrem Blick folgte, verstand er ihre Faszination. Der geschlossene Vorhang diente als eine Art Leinwand. Daniel verschwendete keine Zeit damit, herauszufinden, welche Technik hier wohl angewandt wurde. Stattdessen bewunderte er das Abbild eines verwunschenen Schlosses, das hoch oben auf einem imaginären Fels thronte und seine schlanken, spitzen Türme in die blauschwarze Nacht bohrte. Schwarze Vögel umkreisten die majestätischen Mauern. Beim genaueren Hinsehen erkannte er, dass das keine Vögel waren, sondern Fledermäuse! Entspannt lehnte er sich in seinem Sitz zurück. Er griff nach Fees Hand und wartete, bis es endlich losging. Ein Blick auf seine Armbanduhr zeigte ihm, dass es schon längst soweit sein sollte. Genau genommen hätte die Vorstellung schon vor fünf Minuten beginnen müssen. Aber es war noch nicht einmal dunkel geworden im Zuschauerraum. Daniel nahm sich fest vor, beim ersten Ton der fulminanten Ouvertüre nicht zu erschrecken. Dank der intensiven Vorbereitung durch Fee wusste er, was ihn erwartete. Aber es tat sich nichts. Er war nicht der Einzige, der langsam ungeduldig wurde. Die gespannte Erwartung des Publikums war förmlich greifbar.
Endlich bewegte sich der Vorhang, und ein Lichtkegel wurde auf die Bühne projiziert. Mit unsicherem Schritt trat ein kleiner, rundlicher Mann durch den Spalt im Vorhang. Er trug Jeans und ein lässiges Karohemd. Offensichtlich war er nicht darauf vorbereitet gewesen, vor das Publikum treten zu müssen. Das Licht blendete ihn, deshalb hielt er sich schützend eine Hand über die zusammengekniffenen Augen. Auf seiner Stirn glitzerten Schweißtropfen. Ratlos schauten sich Fee und Daniel an. Das Gemurmel im Publikum erstarb. Jeder wartete gespannt, was der Mann zu sagen hatte.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren«, begann er.
»Lauter!«, schallte es von den hinteren Reihen. Eilig wurde ihm ein Mikrofon gebracht. Der Mann klopfte zweimal dagegen. Das unangenehme Knacken, das er dadurch erzeugte, sagte ihm, dass er nun besser gehört werden konnte.
Er begann noch einmal. »Meine sehr verehrten Damen und Herren, leider haben wir einen Notfall hinter der Bühne. Der Beginn der Vorstellung verzögert sich um ungefähr eine halbe Stunde. Es tut mir sehr leid.« Er versuchte vergeblich, die Menge zu beschwichtigen. Die Menschen im Zuschauerraum hatten wenig Verständnis für die Verzögerung. Lautstarkes Murmeln und Raunen machte sich unangenehm breit.
»Ich kann Ihnen versichern, dass wir alles tun werden, um die Vorstellung so bald wie möglich beginnen zu können. Aber es ist so … der Hauptdarsteller Anton Fischer kann nicht auftreten.« Eine heftige Welle der Enttäuschung schwappte durch den Raum. Auch das noch! Anton Fischer, für den einige aus dem Publikum extra von weit her angereist waren, konnte diese Vorstellung nicht spielen! Dem Sprecher war deutlich anzusehen, wie schwer es ihm fiel, mit der Situation zurechtzukommen. »Ich kann Ihnen versichern«, wiederholte er, »dass wir einen adäquaten Ersatz für Herrn Fischer am Start haben. Sie haben es sicherlich längst im Programmheft gesehen, dass die Zweitbesetzung der Rolle mindestens so hochkarätig ist wie die Erstbesetzung. Der allseits bekannte, sehr geschätzte und überaus beliebte Sänger Veit Voss ist dafür vorgesehen.« Er machte eine kurze Pause, um der erfreuten Reaktion des Publikums Raum zu geben. Wenn schon nicht Fischer, dann eben Veit Voss, dachten sich wohl einige. Vereinzeltes Klatschen war zu hören. Offensichtlich war ein Teil der Zuschauer mit dem Wechsel einverstanden. »Bitte begeben Sie sich doch noch für eine halbe Stunde in das Foyer. Wir spendieren als Entschädigung für die Unannehmlichkeiten jedem Gast ein Getränk. In der Zwischenzeit arbeiten die Kolleginnen der Maske auf Hochtouren. Aber Sie wissen ja, die Rolle des Grafen erfordert einen hohen Aufwand.«
Die Menschen im Publikum schienen das Unvermeidbare hinzunehmen. Schon standen die ersten auf und machten sich auf den Weg ins Foyer.
»Bitte, meine Damen und Herren, hören Sie mir noch einen Moment zu!«, rief der Mann auf der Bühne. »Ist vielleicht ein Arzt unter Ihnen? Wir haben zwar den Notarzt schon gerufen, und unsere diensthabende Sanitäterin ist auch schon beim Patienten, aber es wäre gut, wenn bis zum Eintreffen des Krankenwagens ein Arzt bei Herrn Fischer sein könnte.« Aus seiner Stimme klang Besorgnis.
Daniel und Felicitas Norden brauchten nur einen einzigen Blickwechsel. Sie nickten sich zu, erhoben sich und gaben dem Sprecher sogleich ein unübersehbares Handzeichen.
»Bitte warten Sie, ich lasse Sie abholen«, rief der Mann erleichtert und wies wild gestikulierend eine junge Ordnungskraft an, den beiden hilfsbereiten Medizinern den schnellstmöglichen Weg hinter die Bühne, hinüber zu den Garderoben zu zeigen.
Unter anderen Umständen wäre Fee begeistert gewesen, sich hinter der Bühne eines Theaters ein bisschen umschauen zu können. Aber jetzt ging es darum, auf dem kürzesten Weg in Fischers Garderobe zu gelangen. Die Situation, die sie und Daniel dort vorfanden, machte ihnen sofort klar, dass sie unverzüglich handeln mussten. Der Schauspieler lag regungslos auf dem Fußboden. Auf dem Rücken! Es hatte noch niemand daran gedacht, den Musicalstar wenigstens in die stabile Seitenlage zu drehen. Daniel und Fee waren entsetzt! Die Sanitäterin stand untätig in einiger Entfernung herum, anstatt sich um den Mann zu kümmern.
»Gehen Sie zur Seite«, sagte Daniel in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. Die knappe Anweisung war an eine junge Frau gerichtet, die sich über den Bewusstlosen gebeugt hatte und panisch auf ihn einredete. Es handelte sich unübersehbar ebenfalls um eine Darstellerin, die bereits für ihren unmittelbar bevorstehenden Auftritt geschminkt und angezogen war.
»Anton!!! Sag doch was«, rief sie flehend, ohne auf Daniels Anordnung zu reagieren. Fee nahm die zitternde Frau an den Schultern und versuchte, sie zur Seite zu schieben oder zum Aufstehen zu bewegen – vergeblich. Fee wusste, dass sie handeln musste. Körperliche Gewalt anzuwenden, war normalerweise nicht ihre Sache. Aber in diesem Fall ging das Wohl des Patienten vor. Sie griff beherzter zu und zog die zitternde Frau sehr energisch zur Seite. Ein deutlich vernehmbares Geräusch ließ einen Riss im Kostüm der Schauspielerin vermuten, aber Fee achtete nicht darauf. Sie nahm auch nur am Rande den Mann im Karohemd wahr, der sich mittlerweile als Regisseur vorgestellt hatte. Ein Blick in das Gesicht des Patienten ließ sie erschauern. Auch Daniel stutzte.
»Was ist mit seinen Augen? Sind das Kontaktlinsen?«, fragte er den Regisseur, während er den Regungslosen in die sichere Seitenlage drehte.
»Ja natürlich, was denken Sie denn!«, gab dieser unwirsch zurück. »Anton war für die Show bereits fix und fertig geschminkt. Sehen Sie das nicht?«
»Natürlich sehe ich das«, erwiderte Daniel und bemühte sich dabei, möglichst ruhig zu bleiben, was ihm schwerfiel. Aus dem Klinikalltag kannte er solche Situationen. Bei einem Notfall reagierten die Angehörigen oft verärgert, manchmal sogar aggressiv. Der erfahrene Arzt wusste, dass nicht jeder Mensch mit solchen schweren Belastungen umgehen konnte.
Es ging ihm nicht nur um die Kontaktlinsen.
In erster Linie war es das künstliche Gebiss, das ihm Sorgen bereitete. Die obere Reihe bestand aus strahlend weißen, überdimensioniert wirkenden Zähnen. An den beiden oberen Ecken, links und rechts, standen deutlich sichtbare Reißzähne hervor. »Aber es ist jetzt wichtig, ihm die Kontaktlinsen herauszunehmen und noch dringender wäre es, die künstlichen Vampirzähne zu entfernen. Wäre das möglich?« Daniel wusste, dass der Mundraum frei sein musste. Falls der Patient intubiert werden musste oder falls er sich übergeben müsste, wären die künstlichen Zähne ein lebensgefährliches Hindernis.
»Jenny!! Wo ist Jenny?« Der Regisseur war es offenbar gewöhnt, dass alle um ihn herum auf sein Kommando hörten. »Bei Veit natürlich«, kam von irgendwoher die Antwort. »Er wird fertig gemacht für den Auftritt. Wie du es angeordnet hast.«
»Sie soll herkommen. Sofort. Jetzt. Na los, holt sie!«, wies der Regisseur an. Es dauerte nur einen kurzen Moment, bis die Maskenbildnerin heftig keuchend angerannt kam.