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Dieser Band enthält folgende Romane: Der unheimliche Hund (Carol East) Sandra Düpree und das Spukhaus auf Sylt (Alfred Bekker) Brich den Fluch und stirb (Ann Murdoch) "An deinem Geburtstag wirst du sterben!" – Als Suzan Fielding von ihrer wahren Herkunft erfährt, fällt ein furchtbarer Schatten auf ihr Leben. Die junge Ärztin glaubt nicht an die übersinnlichen Mächte, in deren Netzen sie sich dennoch unentrinnbar gefangen sieht … in einer verhexten Höhle spitzen sich die Ereignisse schließlich gefährlich zu.
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Seitenzahl: 355
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Wenn ein Fluch auf dem Haus liegt: Sammelband 3 geheimnisvolle Romane
Copyright
Der unheimliche Hund: Mitternachtsthriller
Sandra Düpree und das Spukhaus auf Sylt
Brich den Fluch oder stirb!
Dieser Band enthält folgende Romane:
Der unheimliche Hund (Carol East)
Sandra Düpree und das Spukhaus auf Sylt (Alfred Bekker)
Brich den Fluch und stirb (Ann Murdoch)
„An deinem Geburtstag wirst du sterben!“ – Als Suzan Fielding von ihrer wahren Herkunft erfährt, fällt ein furchtbarer Schatten auf ihr Leben. Die junge Ärztin glaubt nicht an die übersinnlichen Mächte, in deren Netzen sie sich dennoch unentrinnbar gefangen sieht … in einer verhexten Höhle spitzen sich die Ereignisse schließlich gefährlich zu.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author / COVER FIRUZ ASKIN
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Barbara Hayes sah die Nacht, und sie dachte irritiert: Es ist nicht meine Nacht, es ist die Nacht... einer anderen! Denn es war ihr, als würde sie durch die Augen dieser anderen Person schauen.
Sie hatte auch keinerlei Einfluß auf das, was diese andere Person tat. Sie schaute nur durch deren Augen und hörte auch mit deren Ohren. So hörte sie das Rauschen in den Baumwipfeln hoch über ihrem Kopf. Gern hätte sie den Kopf in den Nacken gelegt und dort hinaufgeschaut, aber das war ihr einfach nicht möglich. Sie war wie gelähmt, wobei der Körper halt eben nur einem anderen Willen gehorchte.
Nein, entschied sie, tatsächlich: Nicht dieser fremde Geist befindet sich in meinem Körper, sondern ich befinde mich... in ihrem Körper.
Es mußte sich um eine Frau handeln. Das wurde deutlich, als kurz die Hände dieser Frau im Blickfeld auftauchten: schlank, fast zierlich. Als sie nämlich die dürren Zweige eines Busches teilten, der im Weg stand. Hoch in den Baumwipfeln rauschte der Wind jetzt stärker. Irgendwo schrie ein Käuzchen, und der Blick von Barbara - oder der Blick jener fremden Frau? - fiel durch die Lücke im Blättergewirr des Busches hindurch... auf ein Schloß. Es stand scheinbar weit weg, schier unerreichbar fern, aber Barbara vermutete, daß dies eine Täuschung war. Das Schloß war gewiß nahe genug, daß man es leicht zu Fuß erreichen konnte. Sie hörte ein helles Lachen und vermutete, daß es das Lachen dieser Frau war, in deren Körper sie sich befand.
Barbara versuchte, sich zu erinnern, wer sie wirklich war. Nein, da war nur ihr eigener Name: Barbara Hayes. Mehr wollte überhaupt nicht in ihre Erinnerung sickern. Sie wußte überhaupt nichts mehr sonst - außer eben ihrem richtigen Namen und der Tatsache, daß sie sich hier in einem für sie völlig fremden Körper befand. Ohne auch nur die geringste Aussicht, an den Gedanken der Person teilzunehmen, in deren Körper sie geraten war.
Eine Situation wie in einem schlimmen Alptraum.
Alptraum? Das war wie ein Schlüsselwort. Barbara betrachtete mit den fremden Augen das Schloß, sah die jagenden, schwarzen Wolken über dem uralt erscheinenden Gemäuer und wiederholte in Gedanken dieses Schlüsselwort: Alptraum! Was, wenn sie dies alles halt eben nur träumte? Wenn sie irgendwo in einem Bett lag, scheinbar friedlich schlummerte und... diesen Alptraum hatte?
Wie sollte sie denn herausfinden können, ob sie dies alles nur träumte oder ob es grausame Wirklichkeit war? Sie wußte nur ihren Namen, hatte jegliche Erinnerung an ihre wahre Identität verloren - in einem fremden Körper, über den sie nicht die geringste Macht hatte. Ja, die fremde Person, deren Körper sie besetzte, nahm sie offensichtlich noch nicht einmal wahr. Sonst hätte sie doch wohl auf Barbara reagiert?
Ja, wie sollte Barbara herausfinden, ob es sich nur um einen Alptraum handelte? Hieß es nicht, man sollte sich probehalber in den Arm kneifen? Wie aber sollte man dies tun, wenn man überhaupt keine Kontrolle über den Körper hatte. Und Barbara war in diesem Augenblick auch überzeugt davon, daß ihr das sowieso nichts genutzt hätte: Wenn sie sich in diesem Moment gezwickt hätte - mit der fremden Hand eben einen fremden Arm! - hätte sie mit Sicherheit den Schmerz verspürt. Sie spürte inzwischen ja auch die nackten Füße der fremden Frau auf dem Waldboden. Sie spürte den kühlen Windhauch, der ihr Gesicht streifte. Sie spürte ein für sie unsichtbares Kleid auf der fremden Haut. Ja, sie spürte sogar jene Euphorie, die diese fremde Frau im Moment beseelte. Auch wenn Barbara nicht einmal ahnte, womit sie zusammenhängen könnte. Vielleicht mit dem Schloß, obwohl dieses so düster erschien?
Die Frau ließ die Zweige los. Sie schnellten zusammen und verbargen wieder die Sicht auf das Schloß.
Die fremde Frau trällerte ein fröhliches Liedchen, umrundete den Busch, folgte einem kaum sichtbaren Weg und gelangte schließlich an den Rand des Waldes.
Freies Feld war vor ihr, mit einem sehr kärglichen Bewuchs, und jetzt sah Barbara das Schloß ganz, mitsamt seiner Umgebung. Alles war seltsam kahl. Kaum ein vertrockneter Grashalm krallte sich in den kargen Boden. Die jagenden, schwarzen Wolken hatten sich vermehrt. Der Wind wurde kühler und riß scheinbar zornig an dem leichten Kleid der fremden Frau. Aber die Frau fror nicht. Da war eine Wärme in ihr, verbunden mit der Euphorie, die sie beseelte. Es gab etwas in ihrem Leben, was diese Wärme erzeugte, was sie so euphorisch machte. Barbara ahnte noch nicht einmal, was es sein könnte. Sie war in dem fremden Körper, der leichtfüßig über das karge Land lief. Die nackten Fußsohlen scheuten sich vor keiner Unebenheit. Die Frau bewegte sich mit der Grazie einer Primaballerina. Sie schien ihren Körper hundertprozentig zu beherrschen.
Eine ungewöhnlich schöne Frau ist das! dachte Barbara unwillkürlich. Sie hat einen perfekten Körper. Sie ist schön und sportlich. Sie ist groß und schlank. Eine irgendwie... durchtrainierte Person, aber dennoch sehr weiblich.
Barbara spürte die fremden, festen Brüste, wie sie sich bei jedem Schritt leicht bewegten, ungestützt. Sie spürte die kühle Luft am sehr offenherzig geschnittenen Ausschnitt. Ja, gewiß, ein sehr leichtes Kleidchen war das. Viel zu leicht für den kalten Wind, der zunehmend heftiger wurde. Und die Frau, in deren Körper sich Barbara befand, hatte offensichtlich nichts unter diesem Kleidchen an. Und dennoch war ihr keinen Moment kühl. Da war diese Wärme in ihr, diese unerklärliche Wärme. Und diese Leichtfüßigkeit... Das, was die Euphorie in ihr erzeugte, wärmte sie nicht nur, sondern es beflügelte sie gleichsam, und sie lief über das karge Feld, als hätte sie kaum noch Gewicht. Sie lief dahin, nimmermüde, mit kaum merklich beschleunigtem Atem, und sie trällerte ihr Liedchen.
Barbara lauschte endlich dem Lied, aber sie verstand die Sprache nicht. Sie konnte sich nicht einmal erinnern, ob sie diese Sprache jemals zuvor gehört hatte. Es war kein ausgesprochen fröhliches Lied - dem Klang nach zu urteilen. Es war ein eher festliches Lied. Vielleicht ein Lied, das man zu einer Hochzeit sang?
Hochzeit? Auch dies war ein Schlüsselwort für Barbara. Konnte es denn sein, daß die Euphorie, die Fröhlichkeit, die Leichtfüßigkeit, die innere Wärme durch dieses Ereignis hervorgerufen wurden: Bevorstehende Hochzeit mit einem Mann, den diese Frau über alles liebte?
Eine Möglichkeit, die sie nicht mehr losließ. Hochzeit! Es würde vieles erklären, wenn auch längst nicht alles. Nicht einmal das Wichtigste: Wieso befand sich Barbara Hayes hier, in einem für sie wildfremden Körper?
Sie wollte diese Frage hinausschreien, obwohl sie doch überhaupt nicht in der Lage war, über die Lippen der Fremden zu befehlen. Aber die Ungewißheit, der Alpdruck, das innere Auflehnen gegen die Situation, dies alles wurde so übermächtig in ihr, daß sie nur noch schreien wollte. Sonst nichts. Und alles um sie herum verschwamm dadurch, und alles wurde unwichtig, außer diesem einzigen, von allem befreienden Schrei.
Und Barbara Hayes schrie aus Leibeskräften. - Jetzt plötzlich ging es. Sie schrie wie am Spieß - und erwachte darüber...
*
Ein dünner Lichtstreifen, durch einen Ritzen im Blendladen von draußen kommend, berührte ihre Stirn, auf der dicker Schweiß perlte. Ihre Augen waren unnatürlich geweitet. Ihr Schrei hallte von den Wänden wider, kehrte zurück und riß sie endgültig in die Wirklichkeit. Mit bebenden Händen suchte sie den Lichtschalter. Es dauerte viel zu lange, bis sie ihn fand, und als endlich das Licht aufflammte, erschreckte sie die völlig fremde Umgebung.
Völlig fremde Umgebung? Aber nein, nicht doch, dies hier war die Umgebung der Barbara Hayes. Und sie selbst... war Barbara Hayes.
Nein, es war nicht nur eine Umgebung, die ihr seit Jahren vertraut geworden war, sondern sie selbst hatte diese Umgebung ganz nach ihren Wünschen gestaltet. Das konnte sie, weil sie es sich leisten konnte - und weil sie sich mit niemandem darüber absprechen mußte. Denn Barbara Hayes lebte allein. Schon immer. Nun, wenigstens kam es ihr so vor. Die Zeit, als sie ein Kind und später eine Jugendliche gewesen war, das erschien ihr so unendlich weit weg, wie die Erinnerungen aus einem anderen Leben oder - noch schlimmer! - als hätte ihr eine andere nur davon erzählt.
Ich bin allein! sagten ihre Gedanken, und sie schaute sich mit fiebrigem Blick um. Mein Gott, was ist nur los mit mir? Ich fühle mich wie krank. Ich spüre die Hitze in meinem Körper und gleichzeitig kalten Schweiß auf meiner Stirn. Ich sehe alles, was ich sehen muß, wenn ich die Augen aufschlage und mich in meinem eigenen Schlafzimmer umschaue. Aber es kommt mir seltsam unwirklich vor, ja, irgendwie fremd. Aber wieso? Was ist denn hier falsch?
Sie schüttelte den Kopf, und dadurch entstanden Schwindel, die sie umwarfen. Sie hatte sich im Bett aufgestützt und kippte jetzt zur Seite. Ehe sie es verhindern konnte, rollte sie aus dem Bett. Sie nahm unfreiwillig ihre leichte Zudecke dabei mit. Unsanft kam sie auf dem Boden auf.
Barbara Hayes stöhnte laut. Es dauerte eine Weile, bis ihr das überhaupt bewußt wurde. "Mein Gott!" murmelte sie vor sich hin. "Ich habe doch keine Drogen genommen? - Nein, unmöglich, denn ich nehme grundsätzlich niemals Drogen. Ich halte all jene für schwachsinnig, die meinen, ihr Bewußtsein mit Drogen erweitern zu können. Ich hasse es, nicht klar denken zu können, von irgend etwas dabei beeinträchtigt zu werden und sei es auch nur durch Alkohol oder vielleicht durch eine Zigarette."
Sie rollte sich auf den Rücken, ließ die Augen weit offen und wagte nicht einmal zu blinzeln, vor lauter Angst, doch wieder einzuschlafen und vielleicht wieder diesen Alptraum zu erleben: Sie in einem fremden Körper... Sie schaute sich mit ihren weit aufgerissenen Augen um. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war. Irgendwann mitten in der Nacht halt eben. Das Licht sollte eigentlich beruhigend wirken. Es strahlte hell genug, daß sie auch jede Einzelheit erkennen konnte. Aber war nicht dies hier der eigentliche Alptraum? War das andere denn nicht die eigentliche Wirklichkeit? Sie in jenem Körper... War dieser hier denn ihr richtiger Körper? War nicht der andere...?
"Ich - ich bin verrückt geworden!" schluchzte sie und begann hemmungslos zu weinen. Die Tränen verschleierten ihren Blick. Sie ließ sich für ein paar Sekunden lang völlig gehen. Sie ließ sich einfach fallen, und schon wieder griff der Alptraum wie mit Klauenhänden nach ihrem Geist und wollte sie hinüberzerren, wieder in diesen anderen Körper, in diese andere Umgebung.
"Nein!" schrie Barbara. "Nicht mein Zimmer hier ist fremd, sondern die Umgebung des Schlosses! Ich - ich habe sie noch nie zuvor gesehen. Da bin ich ganz sicher. Ich..." Barbara Hayes brach ab, weil die Fänge des Alptraums schon wieder nach ihr zu schnappen begannen. Sie fuchtelte mit den Armen in der Luft herum, wie um einen unsichtbaren Gegner abzuwehren. Sie brauchte alle Kraft, um sich aufzurichten. Sie wollte aufstehen, aber sie verhedderte sich dabei in der leichten Zudecke und brachte sich damit selber wieder zu Fall.
Mit dem Gesicht am Boden blieb sie liegen.
"Nein!" Jetzt schrie sie es nicht, sondern sie bettelte regelrecht, und dann konnte sie sich nicht mehr länger wehren. Er war wieder da, jener Alptraum. Sie schlüpfte in den fremden Körper. Aber diesmal wußte sie nicht nur, wie sie hieß, sondern daß dies hier eine andere Zeit war. Vielleicht sogar ein anderes Jahrhundert?
Ihre Gedanken waren gefestigt, trotz der Situation. Nein, gegen den Alptraum konnte sie sich nicht länger wehren, aber sie nahm ihre Erinnerung mit hinüber. Sie erinnerte sich deutlich, daß sie als Barbara Hayes eine erfolgreiche Modell-Agentur leitete. Daß sie vor Jahren selber als Modell gearbeitet hatte. Ebenfalls erfolgreich. Daß sie das Geld in ihr Geschäft gesteckt hatte. Daß sie eine selbständige, selbstbewußte Frau war, die sich niemals von jemandem oder von irgend etwas unterkriegen ließ. Niemals!
Normalerweise jedenfalls nicht. Aber dies hier... Sie schaute durch die fremden Augen und spürte den fremden Körper. Es war nicht viel anders als wäre es ihr eigener Körper. War es denn überhaupt... anders? War es nicht so wie sonst, wenn sie Sport trieb, wenn sie über Felder und Auen lief, wenn sie joggte und dabei auskostete, einfach fit zu sein.
Nein, es war anders, denn dann spürte sie nicht diese überwältigende Euphorie. Wie denn auch? Die einzige Freude, die sie kannte, hieß Erfolg im Beruf. Und so lange sie Erfolg im Beruf hatte, war das für sie gleichbedeutend mit Erfolg im Leben. Nur der Erfolg machte ihr Leben lebenswert. Davon war sie bisher fest überzeugt gewesen. Alles hatte sie diesem Prinzip geopfert. Und deshalb war sie ja auch so fit: Um den Erfolg zu sichern und damit das zu genießen, was sie für das wahre Leben hielt.
Und John Stainwell?
Der Name allein schon versetzte ihr auf einmal einen scharfen Stich - dort, wo sie das Herz der Fremden vermutete. Aber diese ließ sich davon in keiner Weise beeinflussen. Sie merkte immer noch nichts von dem fremden Geist in ihrem Innern - nach wie vor. Sie lief fröhlich auf das alte Schloß zu, und das Schloß hatte offensichtlich überhaupt nichts Düsteres für sie. Sie lief darauf zu, als wäre es nichts anderes als ihr... Zuhause?
John Stainwell! Der Name fraß sich in Barbaras Gedanken regelrecht fest. Das war ihr Verlobter. Schon seit Jahren. Sie wußte, daß er sie gern geheiratet hätte. Sie wußte, wie sehr er sie liebte, und daß er alles getan hätte, mit ihr sein Leben zu teilen. Aber sie wollte das nicht. Jedenfalls nicht so sehr wie er. Sie war mehr für eine lockere Beziehung. Sie mochte John, gewiß. Vielleicht liebte sie ihn sogar? Wenn ja, dann jedenfalls auf ihre eigene, kühle, eher distanzierte Art.
Ich mag ihn und ich schlafe mit ihm. Mehr nicht. Das dachte sie - bemüht sachlich. Aber es tat ihr regelrecht weh, wenn sie solche eher nüchterne Gedanken dachte. Jetzt auf einmal. Das war so völlig anders als die Euphorie der Fremden. Diese freute sich auf ein besonderes Ereignis, und dieses schien tatsächlich eine bevorstehende Hochzeit zu sein. IHRE Hochzeit. Mit dem Mann ihrer Liebe.
Und ich denke über John so bemüht sachlich. Das erschreckt mich. Bin ich wirklich so? Sind es meine wirklichen Gedanken? Was fühle ich in Wahrheit, wenn ich an John denke? Ich meine diesmal wirklich das, was ich mir nicht immer wieder vormache?
Ein Gefühl der Wärme breitete sich in ihr aus. Es war dem sehr ähnlich, was jene fremde Frau empfand, aber so schwach wie vergleichsweise eine im Wind ersterbend züngelnde Kerzenflamme gegenüber einem großen Kaminfeuer. Aber es ist ein dennoch ähnliches Gefühl - eine ähnliche Wärme. Sie ist nur deshalb nicht größer, weil ich sie seit Jahren mit aller Gewalt unterdrücke. In dem schieren Wahn, alles sei wichtiger, was mit meinem Beruf zusammenhängt...
Barbara Hayes hätte jetzt am liebsten geweint. Das war ein solch krasser Widerspruch zu den Gefühlen der fremden Frau, an denen sie unmittelbar teilhaben mußte. Und dennoch beeinträchtigte es immer noch nicht jene fremde Frau. Nicht im geringsten. Sie lief leichtfüßig über das karge Feld und näherte sich dem Schloß. Und es war Barbara, als würde das Schloß regelrecht auf sie warten. Ein seltsamer Eindruck.
Oh, John! seufzten ihre Gedanken.
Und in diesem Augenblick schob sich vor ihr geistiges Auge ein Gesicht. Es war das Gesicht eines Mannes. Nein, das war nicht John. Das hier war ein anderer. Er blickte ernst drein. In seinen Augen lag eine unbestimmbare Trauer.
Ein Bild, das nicht für Barbara entstanden war, wie es schien, sondern für die fremde Frau. Sie jauchzte erfreut, als sie dieses Bild vor ihrem geistigen Auge sah.
Es war das einzige von ihren Gedanken, an dem Barbara teilhaben konnte. Ansonsten spürte sie nur das, was diese Frau fühlte. - Bis jetzt jedenfalls hatte Barbara nichts von dem mitbekommen, was sie dachte. Außer diesem Gesicht.
Es ist nichtssagend! dachte Barbara auflehnend. Sie sorgte dafür, daß ein anderes Bild dieses Gesicht überlagerte: Das Gesicht von John Stainwell.
Barbara hätte gelacht, wäre es ihr möglich gewesen. Und die Gefühle, die sie ganz tief in ihr Unbewußtes verdrängt hatte, strebten jetzt mächtig zum Licht, von nichts und niemandem mehr aufgehalten.
Ich liebe dich, John! schrien ihre Gedanken. Ja, ich liebe dich, du verdammter Kerl - genauso wie du mich liebst. Mein Gott, wieso habe ich das denn niemals erkennen wollen? Wieso habe ich mich so sehr dagegen gewehrt? Wir könnten seit Jahren schon ein glückliches Paar sein. Stattdessen haben wir eine Beziehung miteinander, die ich jetzt, in diesem Augenblick, nur mit einem Begriff betiteln kann: unwürdig! Ich liebe dich, und wir gehören zusammen!
Der Alptraum schwand, und Barbara Hayes hatte das deutliche Gefühl, das habe sie nur deshalb geschafft, weil sie so liebevoll an John Stainwell dachte.
Schlagartig war sie wach und fand sich am Boden neben ihrem Bett wieder. Diesmal ohne zu schreien. Sie war ganz still und starrte zur Decke, wo sie immer noch das Gesicht von John sah. Es hatte sie gerettet - im wahrsten Sinne des Wortes gerettet. So verrückt dies auch sein mochte. Aber war nicht der ganze Alptraum mehr als verrückt? Wie sollte man ihn jemals erklären können?
"Nein", murmelte Barbara vor sich hin, "ich werde dir nichts davon erzählen, John! Nicht, weil du mich dabei für verrückt halten würdest, sondern einfach deshalb, weil ich dir dabei erzählen müßte, wie sehr ich dich in Wahrheit liebe." Sie richtete sich auf und hielt sich an ihrem Bett fest. "Ich will das nicht, oh, nein! Ich bin schließlich DIE Barbara Hayes, die Leiterin einer der erfolgreichsten Modell-Agenturen des Landes und vielleicht sogar der ganzen Welt. Ich weiß, was ich will, und deshalb weiß ich, daß ich mich nicht so fest binden darf, auch an dich nicht, mein lieber John. Es tut mir leid, aber es gibt Dinge, die sind wichtiger als unsere Liebe."
Sie lauschte ihren eigenen Worten nach, die sie nicht zum ersten Mal ausgesprochen hatte. Aber diesmal war es das erste Mal, daß sie in ihren eigenen Ohren irgendwie... verlogen klangen. Und sie ahnte, daß sie sich eigentlich nur etwas vormachte. Denn auch sie, Barbara Hayes, war eine Frau, eine richtige Frau. Nicht mehr und auch nicht weniger. Und John Stainwell, das war ein Mann, und zwar war das der Mann, der längst ihre Liebe erobert hatte. Da half nichts mehr dagegen.
Barbara lachte gekünstelt und schaute sich in ihrem Zimmer um. Das Licht brannte noch. Alles erschien jetzt vertraut wie immer. Sie war daheim, richtig daheim, und die Schatten des Alptraums verloren allmählich ihre Wirkung.
Barbara fühlte sich ruhiger. Sie rappelte sich vollends vom Boden auf und ging ins Bad, um sich frischzumachen, denn noch immer klebte der Schweiß kalt und unangenehm auf ihrer Stirn - und nicht nur da...
*
Das Gesicht von John blieb vor ihrem geistigen Auge, egal, was sie auch tat. Sie sah es mal lächelnd, mal ärgerlich, mal schelmisch, mal abweisend... Sie sah alle Facetten dieses Gesichtes. Sie sah es so deutlich, als wäre es tatsächlich vor ihr und als bräuchte sie nur den Arm auszustrecken, um es zu streicheln. Ja, das hätte sie jetzt gern getan: das Gesicht streicheln, das ihr so sehr vertraut war. Zugegeben, sie hatte ein besonders ausgeprägtes Gedächtnis, was Gesichter und Körperformen betraf. Das war eine wichtige Begabung für ihren Beruf. Aber kein Gesicht der Welt hatte sie so überaus wach in ihrem Kopf wie das Gesicht von John Stainwell.
Abermals lachte sie gekünstelt und schüttelte den Kopf, um etwas anderes zu sehen. Sie wollte den Anblick los werden. Aber als es ihr halbwegs gelungen war, sah sie sich selbst mit dem Telefon in der Hand. Sie hatte bereits begonnen, die Nummer einzutippen. Wie in Trance hatte sie das getan. Die ersten Zahlen prangten auf dem grün leuchtenden Display. Es war der Anfang von Johns Privatnummer.
Barbara biß so fest die Zähne zusammen, daß es knirschte. Dabei dachte sie ausnahmsweise nicht daran, wie wertvoll ihr prächtiges Gebiß war, seit ein berühmter Zahnarzt der Natur ein wenig auf die Sprünge geholfen hatte. Schließlich hatte sie es sich als Modell nicht leisten können, etwas anderes als ein absolut perfekt erscheinendes Gebiß zu haben. Alles mußte perfekt erscheinen. Daran hatte sie sich sozusagen gewöhnt. Und das war noch geblieben, als sie längst nicht mehr als Modell gearbeitet hatte. Weil sie keine Zeit mehr dafür hatte, deshalb hatte sie das "Modell sein" aufgegeben, aber sie hielt sich nach wie vor genauso, als müßte sie gleich morgen wieder in Topform sein, um auf den großen Laufstegen der Welt und im grellen Scheinwerferlicht der Fotografen bestehen zu können. Eine eiserne Disziplin hatte sie zu diesem Erfolg geführt, und es war dieselbe eiserne Disziplin, die ihr den gegenwärtigen Erfolg als Inhaberin und Leiterin der Modell-Agentur sicherte - und John auf den nötigen Abstand hielt.
Und jetzt rief sie ihn einfach an, mitten in der Nacht?
Sie schaute ihrem Finger zu, wie er die nächsten Zahlen suchte und fand - und eintippte! Als wäre er selbständig, völlig ohne ihren Willen. Als wäre sie nun auch in diesem Körper eine Fremde und als gehorche dieser Finger einem fremden Willen.
Es ist kein fremder Wille! dachte sie bestürzt, denn es ist eigentlich das, was ich wirklich will! Deshalb kann ich mich nicht dagegen wehren. Ich rufe dich an, John, weil ich dich so sehr brauche, in diesem Augenblick, mehr denn jemals zuvor.
Eine Träne stahl sich in ihre Augenwinkel, als sie die Nummer fertig eingetippt hatte. Sie hätte auch einfach die entsprechende Programmtaste drücken können. Die Nummer wäre automatisch angewählt worden. Nein, sie hatte eher unbewußt die ganze Nummer eingetippt. Dieser Zwang... Und jetzt lauschte sie dem Freizeichen. Es klingelte mehrmals am anderen Ende der Verbindung. Und dann meldete sich eine verschlafene Stimme: "Ja?"
Es war die Stimme von John Stainwell. Barbara hätte jubeln mögen, aber sie sagte nur bemüht unterkühlt: "Tut mir leid, John, wenn ich dich wecke. Wie spät ist es eigentlich? Na, egal, ich wollte nur deine Stimme hören."
"Du wolltest... was?" John Stainwell hatte auch ihre Stimme erkannt, aber er mochte überhaupt nicht glauben, was er da gehört hatte.
"Ja, ich bin es, Barbara."
"Das ist mir klar, aber was hast du eben gesagt?"
"Was meinst du denn?"
Die Stimme von John klang längst nicht mehr verschlafen. "Du rufst mich zur nachtschlafenden Zeit an, nur um meine Stimme zu hören? Liebes, ich muß morgen früh raus, habe einen wichtigen Termin in der Bank. Da wird es heiß hergehen. Es geht um ein riesiges Geschäft, das meine Bank abwickeln will und bei dem ich..."
"Tut mir ehrlich leid, John." Es klang enttäuscht. "Ich wollte dich wirklich nicht stören. Es war halt nur... Ach, vergiß es."
Sie schickte sich an, das Gespräch zu unterbrechen. Schon war ihr Finger an der entsprechenden Taste.
"Halt, warte!" brüllte er.
Zögernd hielt sie den Apparat wieder an ihr Ohr.
"Tut mir selber leid, Barbara, daß ich ein wenig schroff bin, aber es ist einfach so etwas von ungewöhnlich... Du rufst an, um meine Stimme zu hören? Mich? Mitten in der Nacht? Ja, Barbara, Liebling, um alles in der Welt, was ist denn eigentlich passiert?"
"Nichts ist passiert, außer... Ich habe ein wenig schlecht geträumt, fürchte ich." Jetzt war es heraus. Sie konnte diese Worte nicht mehr zurücknehmen.
"Ein wenig schlecht geträumt? Na, ich glaube, das war ja wohl ein ausgewachsener Alptraum, wenn du mich anschließend aus dem Bett klingelst. Das ist jedenfalls in all den Jahren, die wir uns kennen, nicht nur niemals passiert, nein, es war für mich auch bis zu diesen Sekunden völlig undenkbar. DIE Barbara Hayes, die sich alle Mühe gibt, vor sich und aller Welt als die kühle und unnahbare Schönheit zu wirken, ruft ihren langjährigen Verlobten an, weil sie sich wegen einem Alptraum ängstigt?"
"Mach du nur deine Witze über mich!" schnappte sie ärgerlich. "Ich hätte es mir ja denken können, daß du so reagierst. Vergiß es einfach. Es wird niemals mehr vorkommen, daß ich dich mit etwas behellige. Schlaf weiter und träume gut - jedenfalls besser als ich." Sie unterbrach wutschnaubend.
Noch eine Minute lang starrte sie auf den Apparat in ihrer Hand, aber sie sah ihn nicht, sondern sah nur Johns Gesicht. Es wirkte beunruhigt, sehr stark beunruhigt. Er hatte so reagiert, weil er verwirrt war, weil sie sich in einer Weise gab, wie er sie noch niemals zuvor auch nur annähernd erlebt hatte. Das war kein Hohn gewesen, daß er so gesprochen hatte. Ganz gewiß nicht. Aber sie hatte es dennoch nicht ertragen können.
So bin ich nun einmal! dachte sie und schluchzte laut auf. Sie starrte auf das Telefon und hörte dabei gar nicht, daß es ununterbrochen klingelte.
Es war John, der jetzt versuchte, seinen Fehler wiedergutzumachen. Aber Barbara gab ihm keine Chance dazu. Als ihr endlich bewußt wurde, daß der Apparat überhaupt klingelte, ließ sie ihn einfach fallen, als wäre er plötzlich zu heiß geworden. Sie wankte zu ihrem Bett und ließ sich quer darüber fallen. Sie barg ihr Gesicht in die Kissen und schluchzte lautlos.
Dieser verdammte Alptraum. Was mag er nur zu bedeuten haben? Träumte ich ihn, weil mein Unterbewußtsein mich zwingen wollte, endlich anders über meine Beziehung mit John zu denken?
Der Gedanke elektrisierte sie. Sie warf sich auf den Rücken und war auf einmal ganz ruhig. Zumindest nach außenhin. Sie starrte an die hellerleuchtete Decke.
Nein, das genügte als Erklärung nicht. Es mußte eine andere Erklärung dafür geben. Aber welche?
Es klingelte an der Tür. Barbara schaute kurz in diese Richtung. Ihre großzügig ausgestattete Wohnung befand sich in einem der Geschäftsgebäuden mitten in Manhattan. Ihre Agentur begann ein Stockwerk tiefer.
Barbara richtete sich auf dem Bett auf. Nicht um öffnen zu gehen. Sie wußte schon, wer das nur sein konnte: John! Sicher war er schon oben, weil der Portier ihn kannte. Wäre es jemand anderes gewesen, hätte sie der Portier zuerst angerufen und sie gefragt, ob sie überhaupt jemanden empfangen wollte.
Sie verließ das Bett, ging aber nicht in Richtung Tür, sondern zum Fenster. Sie öffnete und löste die Verriegelung des Blendladens. Es war mehr als ungewöhnlich: Ein Klappladen irgendwo an einem Hochhaus in Manhatten. Aber Barbara hatte es so haben wollen. Von außen war er einfach nur schwarz, aber von innen war er bemalt, damit er wirkte wie ein altmodischer Fensterladen irgendwo an einem altmodischen Haus auf dem Lande. - Ein Gag, mehr nicht.
Über die Skyline von New York schickte die Sonne ihre ersten, vorsichtig tastenden Strahlen, um den neuen Tag anzukündigen.
Barbara hatte den Blendladen in erster Linie für den Tag, wenn sie sich einmal für kurze Zeit zurückziehen wollte, um vielleicht ein wenig Schlaf zu finden. Dann sollte sie das Tageslicht nicht stören. Aber sie schloß ihn auch in der Regel nachts. Nicht, weil sie befürchtete, ansonsten beobachtet zu werden, sondern aus schierer Gewohnheit.
Tief sog sie die Luft in ihre Lunge. Sie kam ihr frisch vor, fast wie die Luft in der Umgebung des Schlosses, an deren Geruch sie sich deutlich erinnerte. Obwohl dies hier doch die verpestete Luft von New York war... Da war ja sogar die Luft aus der Klimaanlage gesünder...
Verwirrt wandte sie sich vom offenen Fenster ab und starrte ins Innere ihres Zimmers. Sie widerstand dem Wunsch, das Zimmer zu verlassen. Nein, dann kam sie vielleicht in Versuchung, doch noch die Tür zu öffnen und John hereinzulassen. Sie fühlte sich im Moment so schwach und hilflos und... so verwirrt. In diesem Zustand durfte er sie nicht sehen, Kein Mensch durfte sie so sehen. Sie und eine Schwäche? Das durfte es einfach nicht geben.
Sie stand da, mit dem Rücken zum offenen Fenster, und begann bald zu frösteln. Aber sie rührte sich nicht von der Stelle. Nicht eher, bis das Klingeln an der Tür aufhörte: John hatte endlich eingesehen, daß es keinen Zweck hatte, daß Barbara ihn nicht hereinließ, so sehr er sich auch bemühte.
Wenig später klingelte das Telefon. Jetzt wurde Barbara wieder ärgerlich. Sie lief hinüber und meldete sich: "Ja, was ist denn?"
Es war die Stimme des Portiers: "Sorry, Miß Hayes, aber ist bei Ihnen alles in Ordnung?"
"Wieso denn nicht?" fauchte sie den besorgten Mann an. Im gleichen Moment tat ihr dieser Tonfall zwar leid, aber sie machte nicht einmal Anstalten dazu, sich dafür zu entschuldigen.
"Äh, noch einmal, Miß Hayes, ich bitte um Verzeihung, aber es ist nur, weil Mr. Stainwell hier..."
"Sagen Sie dem, er solle mich nicht länger belästigen. Werfen Sie ihn hinaus!"
Sie unterbrach die Verbindung und starrte wieder auf das Telefon. Mein Gott, dachte sie, was habe ich getan? "John!" murmelte sie fassungslos, "bitte, gehe nicht! Bleibe bei mir!"
Aber sie wußte, daß sie nicht die Kraft hatte, ihn wirklich darum zu bitten. Er würde gehen. Und er würde warten, daß sie sich wieder bei ihm meldete. Irgendwann. So war es immer, wenn eine solche Situation eintrat. Und es dauerte unterschiedlich lange, bis sie sich wieder bei ihm meldete.
Barbara schüttelte den Kopf, und sie fühlte sich so einsam und allein wie noch niemals zuvor in ihrem Leben.
Sie ließ das Telefon achtlos fallen und legte sich ins Bett. Die leichte Decke zog sie hoch bis zur Unterlippe. Sie starrte an die Decke und spürte die kühle Luft, die durch das offene Fenster hereinkam. Aber sie fand nicht mehr die Kraft, wieder aufzustehen und das Fenster zu schließen. Ja, noch nicht einmal das brachte sie noch fertig.
Und sie lauschte in sich hinein und versuchte herauszufinden, ob der Alptraum vielleicht doch wieder kommen könnte. Aber es gab keinerlei Anzeichen mehr dafür.
*
Irgendwann war Barbara eingeschlafen. Als sie endlich erwachte, war sie von einer Sekunde zur anderen hellwach. Schlagartig. Sie riß die Augen auf und dachte: Gott, ich habe mich verschlafen! Ihr Blick ging zur Seite, zum Uhrenradio. Wieso hatte sie heute nacht kein einziges Mal darauf geschaut? Wieso hatte sie lieber nicht wahrhaben wollen, wieviel Uhr es gewesen war?
Es war zehn Uhr am Morgen, und sie hatte sich natürlich nicht verschlafen, weil sie heute einen halben freien Tag hatte machen wollen. Den ersten Termin hatte sie erst um zwei. Ausnahmsweise. Es hatte sich so ergeben. Sie hatte relaxen, vielleicht auch ein wenig auf dem Laufband nebenan joggen wollen - vielleicht sogar ein wenig Training machen im Kraftraum oder ein paar Dehnungsübungen im Ballettsaal? Na, jedenfalls, das Mittagessen hatte sie mit John einnehmen wollen. So war es jedenfalls verabredet.
John? Sie warf die Decke beiseite und ließ die Beine aus dem Bett baumeln. John? Sie grübelte. Was war die Nacht geschehen? Was war zwischen ihr und John vorgefallen? Sie hatte im Moment Mühe, sich an Einzelheiten zu erinnern. Der Alptraum! Es durchzuckte sie heiß. Dann das Gespräch mit John. Er war gekommen. Sie hatte ihn hinauswerfen lassen...
Barbara schüttelte den Kopf und suchte mit ihren Blicken das Telefon. Dort lag es am Boden. Sie bückte sich danach und kontrollierte erst einmal, ob es unbeschädigt war. Dies schien der Fall zu sein, soweit sie es beurteilen konnte. Dann drückte sie die Programmtaste. Die Nummer von John wurde automatisch gewählt. Diesmal nicht seine Privatnummer, sondern die von seinem Büro.
Schon nach dem ersten Freizeichen meldete sich seine Sekretärin. "Oh, Miß Hayes?" Sie schien über den Anruf überrascht zu sein.
"Ist John für mich zu sprechen?"
"Aber natürlich, Miß Hayes. Er befindet sich gerade in einer wichtigen Besprechung, aber..."
"Dann rufe ich später noch einmal an." Schon wollte Barbara wieder unterbrechen.
"Halt, warten Sie doch, Miß Hayes. Äh, ich bitte um Verzeihung, aber Herr Stainwell sagte mir ziemlich eindringlich, daß er auf jeden Fall gestört werden will, falls Sie anrufen sollten. Egal, wo er sich gerade befinden und was er gerade machen sollte. Ich, äh, ich verbinde Sie sofort mit dem Sitzungszimmer. Dauert nur eine Sekunde. Bitte, bleiben Sie dran!" Das klang etwa so wie: Wenn Sie nicht dranbleiben, reißt mir mein Chef eigenhändig den Kopf herunter, und wollen Sie wirklich schuld an einem Mord werden?
Barbara schüttelte den Kopf. Ein verzerrt wirkendes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel.
Und dann hörte sie seine Stimme. Sie klang ganz bang: "Barbara?"
"Ja, ich bin es. Wollte eigentlich nur wissen, ob es mit dem Mittagessen klappt - so wie verabredet?"
"Ja, aber natürlich!"
"Na, ist ja alles bestens, mein Lieber. Bis nachher also."
Sie unterbrach. Und dann waren wieder Tränen in ihren Augen, die sie einfach nicht unterdrücken konnte. "Du Mistkerl!" schimpfte sie. "Was hast du mir angetan? Du hast mich in dich verliebt gemacht, ist dir das klar?" Sie wischte mit dem Handrücken die Tränen ärgerlich weg. "Dabei wollte ich genau das niemals. Aber dann kommt so ein Alptraum und weckt in mir, was ich bis jetzt erfolgreich verdrängt habe. Ja, John, ich liebe dich, und das schon ziemlich lange. Auch wenn ich es nicht wußte. Genauso wenig wie du. Aber du sollst es auch gar nicht erfahren. Es wäre nicht gut."
Sie warf das Telefon auf das Bett und murmelte: "Was soll ich nur tun?" Dann ging sie ins Bad und machte sich fertig. An Joggen auf dem Laufband, an ein wenig Krafttraining oder auch nur an Dehnübungen im Ballettsaal... Daran war überhaupt nicht mehr zu denken. Heute jedenfalls nicht. Sie machte sich fertig für ein Mittagessen mit John. Dabei fühlte sie sich wie ein Teenager vor ihrem ersten Date. Das konnte sie einfach nicht verstehen. Zumindest redete sie sich das selber ein, es nicht verstehen zu können, ohne daß es ihr dabei gelang, jene besondere Art von Lampenfieber oder Vorfreude auch nur im geringsten zu unterdrücken. Diesmal jedenfalls gelang ihr das nicht. Und darüber vergaß sie sogar den Alptraum von letzter Nacht - vorerst.
*
Als sie beim Portier vorbeiging, um das Haus zu verlassen, nahm sie den Mann eigentlich nur aus den Augenwinkeln war. Wie immer. In ihrer beruflichen Stellung gab man sich nicht mit gewöhnlichen Menschen ab. So hatte sie es jedenfalls bisher immer gesehen. Dennoch fiel ihr auf, daß es sich immer noch um denselben Mann handelte, der sie auch in der Nacht angerufen hatte - mit besorgter Stimme, von John dazu überredet. Sie hatte ihn eigentlich böse abfahren lassen, genauer betrachtet. Und jetzt ignorierte sie ihn einfach, obwohl er sie freundlich anlächelte und sogar grüßte - wie immer.
Ist das denn ein Benehmen? dachte sie unwillkürlich. Der Mann hat keine Nacht gehabt und macht jetzt immer noch Dienst? Vielleicht ist die Frühschicht ausgefallen und er muß länger machen oder was?
Sie blieb abrupt stehen und zog die Stirn kraus. Seit wann eigentlich interessierte sie das überhaupt? Wieso nahm sie den Portier überhaupt in solchem Maße wahr? Seit wann machte sie sich denn Gedanken über das Schicksal irgendwelcher Mitmenschen, die für sie geschäftlich überhaupt völlig belanglos waren? Ja, da waren Gedanken in ihrem Kopf, die dort normalerweise nicht hingehörten. Deshalb nicht, weil sie sich solche Gedanken schon vor vielen Jahren abgewöhnt hatte. Sie war eine knallharte Geschäftsfrau geworden und nur deshalb so erfolgreich. Sie war vor allem stets distanziert und beherrscht. Sie war bekannt für eiserne Disziplin vor allem sich selbst gegenüber - und natürlich auch gegenüber allen Mitarbeitern.
Sie trat vor den Haupteingang zu dem mächtigen Bürohochhaus, verwirrt wegen Gedanken, die sie nicht mehr gewohnt war. Und inzwischen wurde ihr Wagen vorgefahren. Auch daran hatte sie sich längst gewöhnt. Sie verschwendete normalerweise nicht die geringsten Gedanken daran, wie die das eigentlich schafften, daß immer dann automatisch ihr Wagen vorgefahren wurde, wenn sie das Haus verließ...?
Eine Überwachungsanlage, klar! dachte sie unwillkürlich. Sobald ich meine Wohnung verlasse, wird das vom Sicherheitsdienst an den Portier gemeldet, und der sorgt dafür, daß von einem anderen Bediensteten der Anlage mein Wagen aus der Tiefgarage hier auf die Straße gefahren wird. Ich war noch niemals in meinem Leben selber in dieser Tiefgarage gewesen. Ich weiß nicht mal so genau, wie ich dorthin kommen könnte. Weil mir alles dies von anderen abgenommen wird. Zugegeben, ich bezahle eine Menge Geld jeden Monat für diesen außerordentlichen Service, aber...
Sie drehte sich herum und schaute an dem herrschaftlichen und in seiner Ausdehnung eigentlich bedrohlichen Gebäude empor. Der perfekte Service, für den man bezahlt, weil man es sich leisten kann. Und weil man dafür bezahlt, wird es selbstverständlich. Was interessieren denn da noch die Menschen, die diesen Service mit ihrer Arbeit überhaupt erst ermöglichen? Sie sind immer freundlich, auch wenn sie von unsereinem in der Regel wie Luft behandelt werden. Man nimmt sie doch nur dann wahr, wenn man Grund zu einer Beschwerde sieht, egal, ob diese Beschwerde nun wirklich begründet ist oder nicht. So müssen sie für ihr dürftiges Einkommen nicht nur diensteifrig sein, sondern manchmal - oder viel zu oft? - Blitzableiter spielen.
Ihr Blick senkte sich auf den Haupteingang. Das Glas spiegelte zu sehr, so daß sie den Portier nicht sehen konnte. Sie brauchte nur auf die Tür zuzugehen, und schon öffnete sie sich - gewissermaßen automatisch. Aber es gab keine Türautomatik, weil das Gebäude hermetisch abgeriegelt war. Dort drin war jeder Bewohner oder auch jeder Bürobetreiber so sicher wie in Ford Knox mit seinen Goldreserven. Das gehörte eben zum besonderen Service, für den man auch ganz besonders bezahlen mußte.
Bezahlen ja, aber was haben eigentlich die Bediensteten davon, die das mit ihrer Arbeitskraft und mit ihrem unermüdlichen Einsatz erst ermöglichen? Wie dieser Portier zum Beispiel, der letzte Nacht von mir angeschnauzt wurde, nur weil er sich um mein Wohl bemühte - und den ich jetzt behandele wie... Sie führte den Gedanken nicht zuende, weil sie sich auf einmal schämte - ob ihres Verhaltens. Nicht nur ob des Verhaltens in der letzten Nacht, sondern eigentlich für ihr Verhalten die ganzen vergangenen Jahre hindurch. Sie setzte sich in Bewegung, nicht in Richtung ihres Wagen, der längst am Straßenrand stand, von einem eifrigen jungen Burschen hergebracht, mit immer noch steckenden Schlüsseln, mit einladend geöffneter Wagentür. Der junge Bursche wartete, daß sie einsteigen würde, damit er sich artig verbeugen und hinter ihr den Wagenschlag zudrücken konnte. Trinkgeld erwartete er keines. Nicht von Barbara Hayes. Jeder im Haus wußte, daß sie grundsätzlich kein Trinkgeld gab.
Erstaunt schaute er zu, wie sie ins Haus zurückging. Natürlich, er dachte sich wohl, es sei eine ihrer Launen, und er blieb stehen, bis er weitere Anweisungen erhielt. Die würden kommen, wenn das Sicherheitspersonal über die Überwachungsanlage Barbara Hayes zurück zu ihrem Luxus-Apartment gehen sah. Über Funk. Aber Barbara hatte überhaupt nicht vor, zu ihrer Wohnung zurückzukehren. Sie hatte ein völlig anderes Ziel. Ein Verhalten, auf das niemand gefaßt war, am allerwenigsten der Portier, auf den sie zusteuerte.
Er wurde sichtlich nervös, weil er natürlich mit einer Beschwerde rechnete. Warum sonst sollte Barbara Hayes ihn überhaupt wahrnehmen? Obwohl sie lächelte. Aber bei den Reichen und Schönen, da wußte man ja nie...
"Hallo!" sagte Barbara freundlich zu dem Mann. "Wie ich sehe, haben Sie jetzt immer noch Dienst. Wieso eigentlich?"
"Äh, mit Verlaub, Miß Hayes, aber meine Ablösung... Äh, die hat sich leider krankgemeldet, und da mußte ich halt hierbleiben. "
"Und das nach dieser Nacht!" Sie nickte mitfühlend, obwohl sie ihm deutlich genug ansah, daß er jetzt dachte: Das ist es! Jetzt will sie mir den Kopf waschen, weil ich sie heute nacht gewagt habe anzurufen...
Aber Barbara lächelte stärker: "Ich möchte mich bei Ihnen in aller Form entschuldigen!"
"Wie?" entfuhr es ihm. Sobald ihm das bewußt wurde, schlug er unwillkürlich die Hand vor den Mund.
"Ja, Sie haben richtig gehört: Ich möchte mich bei Ihnen für mein Benehmen entschuldigen. Es war keine Art, wie ich mit Ihnen heute nacht umgesprungen bin, wo Sie sich doch einfach nur Sorgen um mein Wohlergehen gemacht haben, nicht wahr?"
"Aber, aber... Äh, das war doch nichts, äh..." Der Mann war völlig verdattert. Ja, alles hätte er erwartet, aber so etwas...? Eine echte Entschuldigung von Barbara Hayes?
"Wie heißen Sie eigentlich?"
"Äh, Miller, Miß Hayes, ich heiße Miller."
"Und mit Vornamen?"
"Äh, Clark, Miß Hayes, mit Verlaub, ich heiße Clark Miller."
"Ich glaube, Sie machen schon so lange Dienst hier wie ich hier mein Büro und meine Wohnung habe, stimmt's?"
"Äh, ja, Miß Hayes, ich bin sogar schon länger... äh, schon seit über zwanzig Jahren hier tätig."
"Ach, ist das Gebäude denn schon so alt?" wunderte sie sich.
"Äh, ja, ich war schon gleich eingestellt worden, direkt bei der Eröffnung. Das heißt, eigentlich schon vorher, weil ich..."
"Dann haben Sie dieses perfekte Servicesystem ja gewissermaßen mit aufgebaut, wie ich das so sehe?"
Er lächelte verkrampft. "Ja, so könnte man es tatsächlich sagen."
"Ich meine es wirklich so: Perfekt ist dieses System. - Habe ich Ihnen schon jemals gesagt, wie zufrieden ich mit Ihnen und allen Ihren Kolleginnen und Kollegen bin?"
"Äh, nein, Miß Hayes."
"Dann ist es wirklich an der Zeit!" Sie reichte ihm spontan die Rechte. "Ich heiße übrigens Barbara. Und darf ich Clark zu Ihnen sagen? Wo wir uns nun schon so lange kennen und Sie schon soviel für mich getan haben..."
"Äh, Miß... Äh, ich meine... Barbara?" Er griff sehr zögernd nach ihrer Rechten. Dabei zitterte er deutlich.
"Sind Sie eigentlich verheiratet, Clark?" fragte Barbara.
"Äh, ja, ich bin verheiratet."
"Kinder?"
"Zwei, Miß... äh, ich meine... Barbara!"
"Ihrer Familie meine Empfehlung, Clark! Ich glaube, ich werde mich einmal mehr um Sie kümmern müssen. Das bin ich Ihnen einfach schuldig."
"Aber, ich bitte Sie... Barbara... Es - es ist doch meine Pflicht und..."
"Keine Widerrede, Clark! Sie beweisen mir seit Jahren, wie zuverlässig Sie sind. Ich weiß das zu schätzen, auch wenn ich bisher damit eher... nun, sagen wir einmal: hinter den Berg gehalten habe. Jetzt war es endlich an der Zeit, dies einmal deutlich zu sagen. Ich habe mich Ihnen gegenüber einfach immer wieder zu schlecht benommen. Das haben Sie nicht verdient. Und ich werde es wiedergutmachen. Das verspreche ich Ihnen hiermit. Es wird sich sicher ein Weg finden."
Sie winkte ihm noch einmal fröhlich zu und wollte sich zum Gehen wenden, diesmal endgültig, um das Gebäude zu verlassen und zu ihrem Wagen zu gehen, aber da sah sie den Hund.
Es war ein schwarzer Hund, groß und muskulös und irgendwie bedrohlich. Er stand nur wenige Schritte von ihr entfernt und versperrte ihr den Weg. Dabei schaute er sie irgendwie auffordernd an, mit gezogenen Lefzen. Der Blick war starr, die Körperhaltung feindselig. So empfand es Barbara jedenfalls.
"Was...?" Ihre Stimme versagte ihr den Dienst. Sie hatte eigentlich sagen wollen: Wie kommt denn dieser Hund hier in die Halle?
Sie warf einen Blick auf den Portier, der immer noch völlig verdattert war und vergeblich darüber grübelte, was den plötzlichen Sinneswandel der von allen Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes und des Hausservices gefürchteten Barbara Hayes bewirkt hatte. Und dann schaute sie wieder nach vorn, wo der Hund war. - Gewesen war! Denn er war verschwunden. Einfach so. Als wäre er vom Erdboden verschluckt worden. Irritiert schaute sich Barbara in der Halle um, aber sie konnte ihn nirgendwo mehr entdecken. Er konnte doch unmöglich so schnell untergetaucht sein?
Jetzt war sie mindestens so verwirrt wie der arme Portier. "Ich - ich muß es mir eingebildet haben!" Sie wußte nicht, ob sie diese Worte ausgesprochen oder nur intensiv gedacht hatte.
Als sie diesmal das Haus verließ, tat sie das mit hölzernen Schritten. Sie spürte kaum ihre Beine dabei. Ihr Inneres war das reine Chaos. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Gerade noch hatte sie eine tiefe Befriedigung verspürt, weil sie das Kunststück fertiggebracht hatte, sich bei dem Portier für ihr Benehmen zu entschuldigen. Das war wie ein besonderes Erfolgserlebnis für sie gewesen. Aber die Sache mit dem Hund...
Ich glaube, ich bin verrückt geworden. Oder auch nur irgendwie überarbeitet. Aber das eine ist eigentlich so schlimm wie das andere.
Sie stieg wie betäubt in ihren Wagen und griff nach dem Lenkrad wie nach einem Rettungsanker.
Alles hat begonnen mit diesem Alptraum. Er hat mich total verändert!
Nein! berichtigte sie sich selbst im nächsten Augenblick: Nicht der Alptraum hat mir verändert, sondern die Gefühle von der fremden Frau, an denen ich unfreiwillig teilhaben konnte. Es waren dermaßen positive Gefühle... Das bin ich schon längst nicht mehr gewöhnt. Oder hatte ich überhaupt jemals auch nur annähernd so positive Gefühle? War ich denn nicht immer schon so kühl und distanziert gewesen wie ich heute bin? War ich denn nicht schon als Kind scheinbar jeder Situation gewachsen gewesen, ohne überhaupt jemals so etwas wie Gefühlsausbrüche zu zeigen? Und habe ich dies als Erwachsene nicht nur einfach bis zur Perfektion reifen lassen?
Sie drehte den Schüssel, um den Motor zu starten, aber der lief schon längst, und der Anlasser protestierte kreischend. Sie erschrak so sehr darüber, daß ihre Gedanken wieder mehr Klarheit bekamen. Barbara blinzelte, als würde sie aus einem Traum erwachen, suchte mit ihren Blicken den jungen Burschen, der ihren Wagen aus der Tiefgarage zur Straße gebracht hatte, und nickte ihm lächelnd zum Gruße zu.
Jetzt war auch dieser junge Bursche völlig verdattert, weil er sich nicht erinnern konnte, jemals von Barbara Hayes überhaupt beachtet worden zu sein.
Sie trat zögernd aufs Gaspedal und ruckelte davon.
So unkonzentriert war sie noch niemals gefahren wie heute. Sie mußte sich alle Mühe geben, um sich in den brausenden Verkehrsstrom einzufädeln, ohne einen Unfall zu provozieren.
John! dachte sie mit gelinder Verzweiflung. Aber auch John würde ihr nicht helfen können. Allein schon deshalb nicht, weil sie es niemals wagen würde, sich ihm zu offenbaren.
So war sie nun einmal, und so sehr hatte sie sich in der kurzen Zeit nicht ändern können, um auch noch in dieser Frage über ihren eigenen Schatten springen zu können...
*
Aus den Augenwinkeln sah sie die Bewegung, und sie schaute endlich zur Seite, um es sich genauer anzusehen: Da war ein Hund, der ihr die ganze Zeit über schon folgte. Sie hatte es verdrängt, nicht wahrhaben wollen, und jetzt sah sie ihn ganz deutlich, und er erwiderte ihren Blick: der schwarze, große Hund, der überhaupt keine Mühe hatte, synchron mit ihrem Wagen zu laufen, und scheinbar nicht nur, weil der Verkehr wie zumeist recht zähflüssig war. Schließlich war er unbemerkt bis in die abgesicherte Halle des Wohn- und Geschäftsgebäudes gekommen, in dem Barbara Hayes residierte, und genauso unbemerkt auch wieder hinaus. Und jetzt verfolgte er sie. Das war ganz offensichtlich.