Western Legenden 34: Kampf am Schienenstrang - Alfred Wallon - E-Book

Western Legenden 34: Kampf am Schienenstrang E-Book

Alfred Wallon

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Beschreibung

Der Bau der transkontinentalen Eisenbahn ist ein gewaltiges Vorhaben voller Gefahren und Entbehrungen. Die Union Pacific erschließt das Land von Osten in Richtung Westen. Entlang des Schienenstrangs entstehen Städte und Siedlungen. Die Zivilisation breitet sich aus.General Jack Casement und seine irischen Schwellenleger stehen an vorderster Front und müssen jeden Tag aufs Neue gegen rebellierende Arbeiter, Glücksritter und Indianer kämpfen. Zudem steht der Einbruch eines erbarmungslosen Winters bevor.

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Western Legenden

In dieser Reihe bisher erschienen

9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache

9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato

9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen

9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen

9005 Dietmar Kuegler Tombstone

9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang

9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod

9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin

9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana

9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas

9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs

9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk

9013 Andreas Zwengel Die spanische Expedition

9014 Andreas Zwengel Pakt der Rivalen

9015 Andreas Zwengel Schlechte Verlierer

9016 R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen

9017 Dietmar Kuegler Der letzte Rebell

9018 R. S. Stone Walkers Rückkehr

9019 Leslie West Das Königreich im Michigansee

9020 R. S. Stone Die Hand am Colt

9021 Dietmar Kuegler San Pedro River

9022 Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen

9023 Dietmar Kuegler Alamo - Der Kampf um Texas

9024 Alfred Wallon Das Goliad-Massaker

9025 R. S. Stone Blutiger Winter

9026 R. S. Stone Der Damm von Baxter Ridge

9027 Alex Mann Dreitausend Rinder

9028 R. S. Stone Schwarzes Gold

9029 R. S. Stone Schmutziger Job

9030 Peter Dubina Bronco Canyon

9031 Alfred Wallon Butch Cassidy wird gejagt

9032 Alex Mann Die verlorene Patrouille

9033 Anton Serkalow Blaine Williams - Das Gesetz der Rache

9034 Alfred Wallon Kampf am Schienenstrang

9035 Alex Mann Mexico Marshal

9036 Alex Mann Der Rodeochampion

9037 R. S. Stone Vierzig Tage

9038 Alex Mann Die gejagten Zwei

9039 Peter Dubina Teufel der weißen Berge

9040 Peter Dubina Brennende Lager

9041 Peter Dubina Kampf bis zur letzten Patrone

9042 Dietmar Kuegler Der Scout und der General

Alfred Wallon

Kampf am Schienenstrang

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-545-6Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Die Hölle von Julesburg

Es waren harte und mutige Männer, die den Bahnbau der Union Pacific vorantrieben. Sie kamen aus Deutschland, Irland und Schweden – und vielen anderen Ländern. Angeführt wurden sie von General Jack Casement, dem Leiter des Bahnbaus. In Julesburg, der Hölle auf Rädern, tummelte sich zu dieser Zeit jede Menge zwielichtiges Gesindel. Huren, Spieler und Betrüger wollten den Bahnarbeitern ihr hart verdientes Geld aus den Taschen ziehen. Als es die ersten Toten gab, rief General Casement seine Männer zusammen und zog am 4. Juli 1868 nach Julesburg. Es wurde ein Unabhängigkeitstag, den die Stadt niemals mehr vergessen sollte …

Rod Monahan keuchte heftig, als er und seine neun Kameraden die schwere Eisenbahnschwelle vom Plattformwagen zogen. Je fünf Männer standen zu beiden Seiten der Schwelle und trugen sie mit vereinten Kräften zu der vorgesehenen Stelle am Ende des Schienenstrangs.

Es war eine harte und schweißtreibende Arbeit. Jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Im Minuten­takt folgte eine Schwelle der nächsten, während ein anderer Teil des Bautrupps pausenlos Nägel einschlug, um die Schienen miteinander zu verbinden.

„Verdammt, ich kann nicht mehr!“, stöhnte Paddy ­Gallagher, der neben Monahan stand. Sein Gesicht war ziemlich blass, und die Hände zitterten. Er war nicht mehr der Jüngste, und die schwere Arbeit der letzten Wochen hatte ihn gezeichnet. Nun war der Punkt erreicht, an dem sein Körper eine Ruhepause verlangte.

„Bring uns nicht aus dem Takt“, wies ihn Monahan zurecht, obwohl er selbst den Feierabend herbeisehnte. „Los, mach weiter, Paddy. Bald haben wir’s für heute geschafft. Dann hast du alle Zeit der Welt, um dich auszuruhen ...“

Der Ire nickte nur und setzte schließlich seufzend seine Arbeit fort. Immer weiter ging es mit vereinten Kräften. Eine neue Schwelle wurde vom Wagen geholt und sofort verlegt. Keiner klagte über Müdigkeit und Erschöpfung, sondern half den anderen, so gut er konnte. Auf diese Weise fraß sich der endlose Schienenstrang der Union Pacific immer weiter in die Wildnis hinein.

„Ich hasse diesen Staub!“, beklagte sich Gallagher, während er mit den anderen eine neue Schiene absetzte. „Wisst ihr was? Am liebsten würde ich jetzt in Julesburg ...“

Ein dumpfes Geräusch ließ den Iren innehalten. Ungläubig weiteten sich seine Augen, während er zu taumeln begann und schließlich zu Boden stürzte. In seinem Rücken steckte ein gefiederter Pfeil!

„Indianer!“, brüllte jemand.

Ein weiterer Pfeil strich so nahe an Monahans Gesicht vorbei, dass der Ire zunächst gar nicht begriff, wie knapp er gerade dem Tod entronnen war. Jetzt warf er sich zu Boden und suchte hastig Deckung hinter dem Schwellenwaggon, der nur wenige Yard entfernt stand. Fassungslos blickte er auf die herangaloppierenden Cheyenne, deren schrille Kriegsschreie in seinen Ohren dröhnten.

„Ein Gewehr!“, schrie ein Kamerad in seiner Nähe. „Verdammt, ich brauche ein Gewehr!“

Zwei weitere Iren brachen zusammen, weil sie sich nicht schnell genug in Sicherheit hatten bringen können. Pfeile hatten sie getroffen und schwer verletzt. Die Männer brüllten in Todesangst. Aber ihre Gefährten konnten ihnen nicht mehr helfen. Drei weitere Pfeile gaben den Verwundeten Sekunden später den Rest.

Monahan fing das Gewehr auf, das ihm einer seiner Kameraden zuwarf, eine 16-schüssige Henry-Rifle. Er nahm die Waffe hoch, zielte und drückte ab. Seine Kugel traf einen der Cheyenne und stieß ihn vom Rücken des Pferdes. Der Todesschrei des Kriegers wurde vom Echo der zahlreichen Schüsse überlagert.

Auch die übrigen Iren hatten die anfänglichen Schrecksekunden überwunden und bemühten sich, den Angriff der grell bemalten Krieger zu stoppen. Zwei weitere Schienenleger mussten sterben, bis die mutigen Iren den Überraschungsangriff der Cheyenne schließlich bremsen konnten.

Heißes Blei riss große Lücken in die Reihen der Angreifer. Laute Schreie erklangen, und die Iren triumphierten. Aber noch war die Gefahr nicht gebannt. Weitere Krieger schossen Pfeile auf die Iren ab und verletzten mehrere Männer.

„Gebt es ihnen, Kameraden!“, brüllte Monahan, der mit seinen Schüssen schon vier Krieger ausgeschaltet hatte. „Denen werden wir’s zeigen!“

Seine Worte machten den anderen Mut. Schließlich waren sie alle Söhne der grünen Insel Irland. Harte Arbeit und der Kampf ums tägliche Überleben waren für sie nichts Neues. Sie würden sich auch jetzt nicht daran hindern lassen, ihre Arbeit am Schienenstrang fortzusetzen. Erst recht nicht von einer Horde Indianer. Selbst wenn diese aus dem Hinterhalt angriffen und sie zumindest in den ersten Minuten in eine ziemlich brenzlige Lage gebracht hatten.

Rod Monahan und seine Kameraden gehörten zu General Jack Casements schlagkräftiger Bahnarbeiter-Truppe. Deshalb verteidigten sie den Schienenstrang gegen jeden, der den Fortschritt und die Besiedlung des weiten Kontinents aufhalten wollte. Dazu gehörten in ihren Augen auch die Indianerstämme der Plains. Viele von ihnen waren im November des vergangenen Jahres nur zähneknirschend der Einladung nach Fort Laramie zu den Vertragsverhandlungen gefolgt. Sie fürchteten um ihr Land und waren skeptisch, was die Versprechungen der Eisenbahngesellschaft betraf. Es gab aber auch Stämme wie die Cheyenne, die dieser Skepsis Taten folgen ließen, weil sie das Eiserne Pferd für das sprichwörtliche Unheil hielten. Sie glaubten, dass es ihre bisherige Lebensgrundlage zerstörte.

Womit sie Recht hatten, denn der Schienenstrang teilte das Land und somit auch die alten Wege, die die großen Büffelherden über die Plains zurücklegten. Alles würde sich von nun an ändern. Wer das nicht akzeptierte, würde am Ende der Verlierer sein. Das galt erst recht für die Stämme der Plains, die der Union Pacific den Kampf angesagt hatten.

„Die Rinderherde!“, rief einer der Männer. „Die Roten reiten darauf zu. Schaut doch! Sie ... Diese elenden Bastarde!“

Monahans Blicke erfassten nun auch, was bei der Herde vorging, und ihm wurde klar, was die wirkliche Absicht der Cheyenne gewesen war. Ein Teil von ihnen sollte die Schwellenleger am Bahndamm angreifen und sie in ein Gefecht verwickeln. Die anderen Cheyenne konnten in der Zwischenzeit unbehelligt die Rinder aus dem Corral treiben und mit ihnen verschwinden.

Diese Kerle wussten ganz genau, was sie taten. Offensichtlich hatten sich Späher schon seit einigen Tagen hier umgesehen, ohne dass es jemand bemerkt hatte. Die Rinderherde, die in einigen hundert Yards entfernt abseits des Schienenstrangs in einem behelfsmäßigen Corral stand, war das eigentliche Ziel der Indianer gewesen. Jetzt, wo die Büffel andere Wege gewählt hatten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich auf diese Weise an den Weißen dafür zu rächen, dass sie mit dem Eisernen Pferd das Gleichgewicht der Natur zerstörten.

All dies ging dem irischen Schwellenleger in Sekundenschnelle durch den Kopf, während er und seine Kameraden den Ernst der Lage erfassten. Sie durften auf keinen Fall noch länger untätig zusehen, wie ihnen die Cheyenne die Rinder praktisch vor der Nase stahlen.

„Gerben wir ihnen das Fell!“, rief einer der Männer und schwenkte sein Gewehr. „Das lassen wir nicht zu, Leute!“

Sein Mut steckte die anderen an. Einige der Iren hatten bereits ihre Deckung verlassen und rannten mit vorgehaltenen Gewehren auf die Indianer zu, die verwundet am Boden lagen und dennoch versuchten, tödliche Pfeile auf die heranstürmenden Iren zu schießen. Aber die Schwellen­leger kannten jetzt kein Pardon mehr. Weitere Schüsse fielen und streckten die Gegner endgültig nieder.

„Rod! Nimm die Draisine und fahr ins Bahncamp. So schnell du kannst. Verständige General Casement!“, hörte Monahan den grauhaarigen Dave Kirkpatrick rufen. „Allein schaffen wir das nicht. Los, beeil dich! Wir versuchen inzwischen alles, was in unserer Macht liegt.“

Der erfahrene Schwellenleger hatte Recht. Der Kriegertrupp, der es auf die Rinderherde abgesehen hatte, zählte mehr als dreißig Mann. Eine gefährliche Streitmacht, vor der sich auch solch mutige Männer wie die Iren in Acht nehmen mussten. Trotzdem wollten sie sich ihnen in den Weg stellen und verhindern, dass die Roten die Rinder stahlen. Ihnen blieb kaum etwas anderes übrig. Diese Herde stellte einen großen Teil des Nahrungs­kontingentes dar, das die Union Pacific ihren Arbeitern zur Verfügung gestellt hatte.

Monahan rannte los. Hinter den vier Schwellen­waggons, die von einer schweren Baldwin-Lokomotive gezogen wurden, stand noch eine Draisine, die tagsüber mehrmals zwischen dem Bahncamp und dem Ende des Schienenstrangs hin und her pendelte.

Der Ire bekam nur am Rande mit, wie seine Kameraden das Feuer auf diejenigen Cheyenne eröffneten, die bereits einige Rinder aus dem Corral getrieben hatten. Sein Augenmerk galt vielmehr der Draisine, auf die er sprang und nach dem Hebel griff. Hastig pumpte er ihn auf und nieder. Trotzdem erschien es ihm wie eine halbe Ewigkeit, bis sich das Schienengefährt endlich in Bewegung setzte.

Die schrillen Kriegsschreie der Cheyenne hallten noch in seinen Ohren wider, als Monahans Bemühungen endlich fruchteten. Die Draisine wurde mit jeder weiteren Muskelanstrengung schneller. Der Ire pumpte weiter, so schnell er konnte. Was hinter ihm geschah, daran wollte er lieber nicht denken.

Jenseits des Horizontes befand sich das Bahncamp. Knapp zwei Meilen bis dorthin. Aber unter diesen Umständen war das genauso weit entfernt wie New York!

*

„Julesburg ist ein Pulverfass, General Casement“, sagte Legh Freeman mit besorgter Stimme. „Es genügt nur ein einziger Funke, und alles explodiert. Ist Ihnen das eigentlich klar?“

„Sie haben oft genug davon in Ihrer Zeitung geschrieben, Mr. Freeman“, erwiderte der Mann, der das Kommando über den Bahnbau in diesem Teil des Landes hatte. Er war nicht groß, deutlich unter sechs Fuß, wenn auch von kräftiger Statur. Doch ein einziger Blick in sein bärtiges Gesicht reichte aus, um sofort zu erkennen, dass man General Jack Casement besser nicht unterschätzte. Diejenigen, die das dennoch geglaubt hatten, lebten jetzt nicht mehr.

„Und warum tun Sie dann nichts dagegen?“, bohrte der Journalist weiter, der in Julesburg unter recht primitiven Umständen eine Zeitung herausgab und sich mit seinen Artikeln bereits den Zorn einiger Leute zugezogen hatte, die nicht länger untätig zusehen würden, wie er seinen Kreuzzug für Gerechtigkeit in die Tat umsetzte. „Es sind schon mehr als zwanzig Menschen gestorben, seit diese verfluchte Hölle auf Rädern errichtet worden ist und ...“

„Was stellen Sie sich denn vor, was ich am besten tun sollte, Mr. Freeman?“, sagte Casement und erhob sich von seinem Stuhl. Er zeigte auf eine große Karte hinter ihm an der Wand, die den Verlauf des Schienenstrangs von Osten nach Westen mit den einzelnen Bauabschnitten zeigte. „Ich laufe nicht blind durch die Welt, Sir. Natürlich habe ich General Dodge in Omaha bereits verständigt und ihm geschildert, was hier im Moment geschieht. Ich muss aber auch an meine Iren denken!“

„Ihre Iren sind grobe, unflätige Kerle, Sir.“

„Aber sie sind es, die die Eisenbahn bauen, Mr. Freeman“, erwiderte Casement. Seine Augen blitzten gereizt auf. „Während Sie in einem halbwegs gemütlichen Wagen sitzen und Ihre Eindrücke aufschreiben, schuften sich meine Iren da draußen fast zu Tode. Bei jedem Wind und Wetter. Weil sie wissen, dass nur einer diesen Wettlauf gegen die Zeit gewinnen kann.“ Er zeigte mit der rechten Hand auf die Karte. „Da sieht alles ganz einfach aus, Mr. Freeman. Von Omaha aus verläuft die Strecke über Elkhorn, Kearny und North Platte. Aber was es für Mühen wirklich waren, das kann nur der verstehen, der schon mal am Schienenstrang gearbeitet hat.“

„Mir ist das durchaus bewusst, Sir“, antwortete Freeman in leicht genervtem Tonfall. „Ich wollte nur sagen, dass in dieser Hölle auf Rädern mittlerweile pure Anarchie herrscht. Und ich bin mir nicht sicher, ob das alles noch Zufall ist.“

„Was wollen Sie damit sagen, Mr. Freeman?“

„Ich lese Zeitung, Sir, nicht nur meine eigene, und ich weiß von dem Wettrennen, das sich beide Bahngesellschaften liefern. Sie haben gute und ausdauernde Männer, General. Die Iren folgen Ihnen auf Gedeih und Verderb, notfalls bis in die Hölle. Das soll aber nicht heißen, dass die Central Pacific dabei schweigend zusieht.“

„Sie wollen doch nicht etwa behaupten, dass die Konkurrenz feindliche Agenten nach Julesburg geschickt hat, Mr. Freeman?“ Casement runzelte die Stirn bei diesem Gedanken. „Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“

„Sie sind nicht jeden Tag in der Zeltstadt, General“, entgegnete der Reporter. „Ich dagegen bekomme sehr viel mit, was hier geschieht, und habe schon oft genug darüber geschrieben. Es sind gemeine Verbrecher, die dort mittlerweile das Zepter schwingen. Und einer von ihnen ist ein Revolvermann namens Luther Wilkins.“

„Wenn man sich ein Ziel vor Augen gesetzt hat, muss man unter Umständen einen hohen Preis dafür bezahlen, Mr. Freeman. Meine Leute arbeiten hart, und sie haben es verdient, nach Feierabend auch mal etwas zu trinken und sich auf ihre Art zu amüsieren. Die Iren gehen durch ein Fegefeuer der besonderen Art. Das können Sie nicht verstehen. Auch wenn ich Ihnen das hundert Mal erkläre. Nehmen Sie es einfach so hin, wie es ist. Das hat ganz sicher nichts mit Spionage oder anderen dunklen Machenschaften zu tun. Aber damit Sie ruhiger schlafen können, ich habe, wie gesagt, bereits Kontakt mit General Dodge aufgenommen und erwarte seine Entscheidung jeden Tag. Zufrieden, Mr. Freeman?“

Der Reporter kam nicht mehr dazu, darauf zu antworten, denn in diesem Moment erklangen draußen vor dem Waggon laute und aufgeregte Stimmen. Jack Casement erhob sich rasch und schaute aus dem Fenster. Was er draußen sah, beunruhigte ihn so sehr, dass er den Reporter keines Blickes mehr würdigte und stattdessen hinauseilte.

Vor dem Waggon, in dem sich Casements Hauptquartier befand, hatte sich eine Gruppe von zwanzig Männern versammelt. Sie umringten einen jüngeren Schwellen­leger, dem die Strapazen im Gesicht geschrieben standen. Er war völlig außer Atem und zitterte am ganzen Körper.

„General!“, stieß er aufgeregt hervor, als er Casement aus dem Waggon kommen sah. „Draußen ist die Hölle los. Wir sind von Cheyenne überfallen worden, und jetzt sind diese Bastarde im Begriff, die Rinder zu stehlen!“

„Wie ist dein Name, mein Junge?“, fragte Casement mit gezwungener Ruhe, obwohl ihm in diesem Augenblick bereits Dutzende Gedanken durch den Kopf gingen.

„Rod Monahan, Sir“, erwiderte der Ire. „Und ich will verdammt sein, wenn ich es zulasse, dass die Cheyenne ...“

„Das musst du nicht, Rod“, unterbrach ihn Casement und erhob seine Stimme. „Männer, ich brauche einen schlagkräftigen Trupp. Wer kommt mit?“

Unzählige Hände reckten sich empor. Casement grinste, als er das sah.

„Holt Waffen und Pferde“, befahl er. „Wir reiten sofort los. Diesen Kerlen werden wir schon zeigen, wer am Schienenstrang das Sagen hat. Beeilt euch!“

Das brauchte er keinem der Männer zweimal zu sagen. Gut zehn Minuten später hatten sich fünfzig bewaffnete Männer um Casement versammelt und warteten nur noch darauf, dass er sich zu ihnen gesellte. Casement stieg rasch in den Sattel seines Pferdes, das einer der Männer herbeigeholt hatte. In seiner Kleidung aus Büffelleder und mit dem Henry-Gewehr in der Hand wirkte er wie der Anführer der apokalyptischen Reiter, die gekommen waren, um Tod und Verderben zu säen.

„Halten Sie Ihren Notizblock bereit, Mr. Freeman!“, rief er dem Journalisten zu, der noch in der Tür des Waggons stand. „Sobald ich zurückkomme, haben Sie eine Story, die ganz sicher reif für die Titelseite ist. Los, Männer, auf uns wartet Arbeit!“

Er gab dem Trupp ein Zeichen, und seine Leute ritten los, mit General Jack Casement an der Spitze. Minuten später kündete nur noch eine Staubwolke am Horizont davon, dass der Rettungstrupp auf dem Weg zum Ende des Schienenstrangs war, um den bedrohten Kameraden beizustehen.

Legh Freeman war nicht der einzige Journalist, der das mitbekommen hatte. Ein deutscher und ein schwedischer Reporter, die den Bahnbau begleiteten, hatten den Aufbruch des Trupps ebenfalls bemerkt und schauten Freeman fragend an, weil er derjenige war, der zuletzt mit Casement gesprochen hatte.

„Ich glaube, die Roten werden sich verdammt warm anziehen müssen“, meinte der deutsche Reporter und warf den Rest seiner Zigarre weg, die er eben noch genossen hatte. „General Casement wirkte auf mich wie das Strafgericht Gottes.“

„So kommt mir das auch vor“, nickte der Schwede, während er sich eifrig Notizen machte und dabei schon an die nächsten Schlagzeilen dachte. „Hoffentlich haben die Cheyenne nicht zu viele Männer getötet.“

„Selbst wenn so sein sollte, in dem Fall wird General Casement dafür sorgen, dass dies so schnell nicht wieder geschehen wird, Gentlemen“, sagte Freeman mit einem Augenzwinkern, „ Je länger ich ins Grübeln komme, umso klarer wird mir, warum zwei Generäle ausgewählt wurden, um den Bahnbau der Union Pacific zu leiten. Der Stratege Grenville N. Dodge ist der Planer und Kopf des ganzen Projektes, aber derjenige, der die Kastanien aus dem Feuer holt, ist kein anderer als Jack Casement.“

*

Casement zuckte zusammen, als er das rollende Echo der Schüsse jenseits der Hügelkuppen vernahm. Ganz fern drangen gellende Schreie an sein Ohr, wie sie nur von wütenden Cheyenne-Kriegern stammen konnten.

Hoffentlich kommen wir nicht zu spät! dachte Casement voller Sorge und trieb sein Pferd noch mehr an.

Er und seine Leute erreichten wenige Minuten später die Spitze des Hügels und blickten hinunter in die Senke, wo sich das Ende des Schienenstrangs befand. Der General sah die schwere Baldwin-Lokomotive mit mehreren Schwellenwaggons, die heute Morgen noch voll beladen gewesen waren. Aber wenn seine Iren ordentlich anpackten, waren sie nicht mehr zu bremsen.

Die Zelte und Kisten, die links und rechts neben den Schienen standen, registrierte er nur am Rande. Sein Augenmerk galt vielmehr den Männern, die in einen brutalen Kampf verwickelt waren. Mann gegen Mann.

„Monahan!“, rief Casement. „Du und zehn Leute, ihr reitet hinunter und macht diese roten Hundesöhne platt. Ihr anderen kommt mit mir!“

So war Jack Casement. Er traf seine Entscheidungen innerhalb weniger Sekunden, um dem Gegner keine Chance zu lassen. Das wussten auch die Iren, die mit ihm geritten waren. Wütende Blicke richteten sich auf die Cheyenne drüben am Corral.

Auch die Indianer hatten das Eintreffen der neuen Gegner bemerkt und schossen ihnen Pfeile entgegen. Davon ließen sich Casement und seine Leute jedoch nicht in die Flucht schlagen. Im Gegenteil! Der General riss seinen Colt hoch und erwischte gleich mit dem ersten Schuss einen Cheyenne, der zwei Rinder vor sich hertrieb.

Die übrigen Iren eröffneten mit ihren Henry-Gewehren ein Feuerwerk, das den Mut der Cheyenne sichtlich ins Wanken brachte.

Schon bei der ersten Salve hatte es vier Krieger erwischt. Zwei weitere waren von Kugeln verletzt worden und versuchten, die schützenden Büsche zu erreichten. Bei diesem Versuch blieb es jedoch, denn Rod Monahan gab den Cheyenne keine zweite Chance. Er hatte einige seiner Kameraden sterben sehen und dieses Bild noch sehr deutlich vor Augen.

Er schoss mehrmals auf die Flüchtenden, die Kugeln trafen ins Ziel. Innerhalb von sechs Minuten hatten die Iren die Situation unter Kontrolle. Diejenigen der ­Cheyenne, die noch lebten, suchten hastig das Weite. Sie duckten sich tief über die Hälse ihrer Pferde und stürmten in alle Himmelsrichtungen davon. Ohne einen weiteren Gedanken an Kampf und Ruhm, denn sie hatten für diesen Angriff einen verdammt hohen Preis bezahlen müssen.

Einige der Iren wollten ihnen nachreiten, aber Casements Befehl ließ sie innehalten.

„Lasst sie!“, rief Casement so laut, dass es jeder hören konnte. „Die Burschen haben erst mal genug. Kümmert euch lieber um die Verletzten!“

Während einige der Reiter das Gelände sicherten und sich so postierten, dass ein zweiter Angriff nicht überraschend kommen würde, stieg Casement rasch aus dem Sattel und ging mit schnellen Schritten auf die Schwellen­leger zu, die so tapfer gekämpft hatten.

„Dem Himmel sei Dank, General“, sagte ein grauhaariger Ire, den Casement kannte. Er hieß Dave Kirkpatrick und war einer der ersten, die mit Casement zum Bahnbau nach Nebraska gekommen waren. Jetzt hatte er die Stellung eines Vorarbeiters in der Bautruppe. „Eine halbe Stunde später, und wir hätten ...“

„Vergessen Sie es, Dave“, winkte Casement ab. „Der junge Bursche hier hat Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um uns noch rechtzeitig zu alarmieren. Ihm schuldet ihr Dank und nicht mir.“

Als sich jetzt die Blicke auf Rod Monahan ­richteten, schaute dieser verlegen zu Boden, weil er es nicht gewohnt war, dass er vor allen anderen so gelobt wurde.

„Ich habe doch nur meine Pflicht getan, General“, murmelte er. „Jeder andere an meiner Stelle hätte nicht anders gehandelt.“

„Du bist sehr bescheiden, Junge“, sagte Casement grinsend. Er trat zu ihm und schlug ihm anerkennend auf die breiten Schultern. „Und genau das gefällt mir. Ende des Monats wirst du eine Extraprämie erhalten, das verspreche ich dir. Wie sieht es ansonsten aus, Dave?“, wollte er von dem grauhaarigen Iren wissen.

„Fünf Mann sind tot, Sir“, berichtete Kirkpatrick. „Und sechs andere sind schwer verletzt. Einer kommt wahrscheinlich nicht durch.“

„Aber den Roten haben wir eins übergebraten, das sich sehen lassen kann, General!“, meldete sich ein zweiter Schwellenleger zu Wort, der in der rechten Hand ­triumphierend ein Gewehr hielt. „Mindestens zwanzig von denen putzen jetzt dem Teufel in der Hölle die Stiefel.“

Zustimmende Rufe erklangen, als der Mann seine Gedanken aussprach, die sie genauso hegten. Casement nickte nur. Er war stolz auf seine Leute. Sie waren das Rückgrat der Union Pacific. Ohne die Iren hätte General Dodge massive Probleme gehabt, die Strecke schon so weit voranzutreiben.

„Kümmert euch um die Toten und Verletzten“, trug Casement dem Vorarbeiter und seinen Kameraden auf. „Für heute ist Schluss. Ab morgen werden bewaffnete Wächter dabei sein, wenn ihr neue Meilen macht. Darauf gebe ich euch mein Wort.“

Das hörten die Iren gerne. Sie wussten, dass Casement sie niemals im Stich lassen würde. Trotz seines hohen Ranges war er einer von ihnen. Jemand, der ihre Sprache sprach und ihre Ansichten teilte. Für General Jack Casement würde jeder der Iren selbst dem Teufel Paroli bieten, wenn das von ihm verlangt wurde!

*

Die Rückkehr ins Bahncamp kam einem Triumphzug gleich. In Windeseile hatte sich herumgesprochen, was draußen am Schienenstrang geschehen war. Dutzende von Schwellenlegern, Gleisbauarbeitern und anderen Hilfskräften standen bereit, um die Sieger auf ihre Weise willkommen zu heißen. Viele von ihnen würden im nahen Julesburg diesen Sieg später ausgiebig feiern.

General Casement stand jedoch nicht der Sinn danach. Für ihn war es selbstverständlich, seinen Leuten im Notfall zu helfen, auch unter Einsatz seines eigenen Lebens. Er würde es jederzeit wieder tun, wenn es die Situation erforderte.

Kurze Zeit später zog er sich wieder in den Waggon zurück, der ihm schon seit vielen Wochen als Unterkunft, Büro und Besprechungsraum diente. Erst als er die Tür hinter sich zuzog, wich die Anspannung von ihm. Casement zog seine Jacke aus und machte es sich bequem. Sofern man bei dieser spartanischen Einrichtung überhaupt davon sprechen konnte.

Mittlerweile war draußen die Sonne untergegangen. Aber die Männer im Bahncamp kamen noch nicht zur Ruhe. Für viele von ihnen würde es heute eine laute, und vielleicht auch gefährliche, Nacht werden. Die nahe Zelt- und Bretterbudenstadt Julesburg, die wie ein Parasit dem Schienenstrang folgte, bot zahlreiche Verlockungen und Freuden. Whiskey floss dort in Strömen, und zahlreiche Huren warteten auf ihre Freier, um den hart arbeitenden Männern wenigstens für kurze Zeit etwas Entspannung zu bieten.

Casement seufzte, als er daran dachte. Er wusste, dass seine irischen Teufelskerle solche Art von Vergnügungen suchten und auch forderten. Aber er kannte auch die Gefahr, die von Julesburg ausging und die in den letzten Wochen deutlich erkennbar geworden war. Gewalt, Raub und Mord waren mittlerweile an der Tagesordnung. War es womöglich ein Fehler gewesen, die Konzession an Kneipenwirte und Barbesitzer zu geben, von denen die Entscheidungsträger der Union Pacific nur die wenigsten persönlich kannten?

In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Casement hob überrascht den Kopf, als der Bedienstete vom Telegraph Office eintrat.

„Da ist ein wichtiges Telegramm für Sie, Sir“, sagte der Mann. „Tut mir leid, wenn ich Sie jetzt noch störe. Aber die Nachricht kommt von General Dodge persönlich.“

„Her damit“, sagte Casement und streckte die Hand danach aus. Der Bedienstete beeilte sich, Casement den Zettel zu überreichen und blickte sich verlegen um, während Casement rasch die Zeilen überflog. Seine Stirn zog sich in Falten, als er Dodges Botschaft las.

„Jenkins, Sie werden keinem Menschen etwas von diesem Telegramm erzählen“, befahl Casement, während er den Bediensteten anschaute.

„Selbstverständlich nicht, Sir“, stotterte Jenkins. „Ich bin doch zur Verschwiegenheit verpflichtet und ...“

„Das hoffe ich“, fiel ihm Casement ins Wort. „Telegrafieren Sie General Dodge zurück, dass ich seine Anweisungen erhalten habe und mich bemühen werde, sie in seinem Sinne umzusetzen. Geben Sie das heute noch durch.“

„Natürlich, General“, versicherte der Bedienstete und verließ rasch dann Waggon.

Casement kratzte sich nervös am Kopf, während er noch einmal den Inhalt des Telegramms studierte, das ihm General Dodge geschickt hatte.

Die gesetzlosen Zustände in Julesburg können nicht länger toleriert werden. Ergreifen Sie Maßnahmen, um Gewalt und Terror zu stoppen, der Bahnbau darf nicht behindert werden. Sie haben meine vollste Unterstützung in jeglicher Hinsicht, bin auf dem Weg nach Westen und suche mit General Rawlins neue strategische Orte für weitere Forts. Deshalb liegt jetzt alles in Ihrer Hand. Entscheiden Sie richtig. gez. Grenville M. Dodge, General

„Das werde ich tun“, murmelte Casement. „Und zwar sehr bald ...“

Er konnte jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, wie schnell ein Eingreifen erforderlich sein würde. Denn in dieser Nacht schlug das Schicksal gleich mehrmals zu.

*

„In dieser Nacht lasse ich die Puppen tanzen, bis es kracht“, verkündete der rothaarige Brian O’Malley grinsend. „Verlasst euch drauf, Freunde. Die Ladies in Julesburg warten doch nur auf einen wie mich ...“

Der grauhaarige Dave Kirkpatrick musste bei den Ankündigungen des jüngeren O’Malley schmunzeln.

„Nimm dir nicht zu viel vor, Brian. Du weißt doch, dass etliche der Frauen alles andere als sauber sind.“

„Aber nicht Betty“, fiel ihm O’Malley ins Wort. „Sie liebt doch nur mich, das hat sie mir mehr als nur einmal gesagt, Dave. Du bist schon alt und verstehst das nicht mehr.“

Kirkpatrick lag eine heftige Erwiderung auf der Zunge, doch er schluckte den Ärger hinunter. Er wollte dem jungen O’Malley und seinen drei Kameraden nicht den Abend verderben.

Er selbst war schon von Anfang an mit dabei und wusste, dass man von Prostituierten nichts erwarten konnte. Erst recht nicht im King of the Hill, dem Tummelplatz dieser zweifelhaften Ladies. Viele von ihnen hatten Syphilis und hatten diese Seuche schon weiterverbreitet. Das schien den meisten der Iren jedoch völlig gleichgültig zu sein. Stattdessen stürzten sie sich mit einer Lust und Sehnsucht in ihr nächtliches Vergnügen, dass ein besonnener Mann wie Dave Kirkpatrick darüber nur den Kopf schütteln konnte.

Er selbst hatte einmal einen Mann mitten auf der Straße zusammenbrechen sehen, der von der Syphilis stark gezeichnet war. Die Krankheit hatte seine Adern zerfressen und einen Blutsturz verursacht. Dieses schreckliche Bild hatte Kirkpatrick bis heute nicht vergessen.

Während O’Malley seinen drei Freunden in den schönsten Farben ausmalte, was er in dieser Nacht in Julesburg alles auf den Kopf stellen würde, schaute Kirkpatrick kurz zurück zu den Bahngleisen. Sie waren mit dem Transportzug nach Julesburg gekommen und würden gegen Mitternacht zurück ins Bahncamp fahren. Fünf Stunden Zeit hatten sie bis dahin, um sich zu amüsieren, zu trinken und zu feiern. In Julesburg bedeutete dies alle Zeit der Welt, denn zu beiden Seiten der staubigen Mainstreet herrschte bereits kurz nach Sonnenuntergang Hochbetrieb.

Fast vier Wochen waren vergangen, seit Kirkpatrick zum letzten Mal in Julesburg gewesen war. In dieser Zeit hatte sich hier sehr viel verändert. Damals hatten hier nur ein paar Dutzend Zelte und behelfsmäßige Bauten gestanden. Seitdem war die Stadt rasant gewachsen, und zwischen den Bretterbuden waren bereits die stabilen Holzhäuser errichtet worden. Dazwischen gab es zahlreiche Kneipen, Bars und sonstige Stätten, wo man das schwer verdiente Geld eines Monats in wenigen Stunden loswerden konnte.

„Fangen wir da drüben an!“, riss ihn O’Malleys Stimme aus seinen finsteren Gedanken. „Gehen wir in den King of the Hill!“

Die Freunde des Iren stimmten ihm sofort zu. Kirkpatrick blieb nichts anderes übrig, als sich den anderen anzuschließen. Noch bevor sie den berühmt-berüchtigten Amüsierpalast betreten hatten, hörten sie lautes Gelächter und helle Stimmen. Augenblicke später betraten sie den bekanntesten Saloon von Julesburg.

Ein riesiger Kristallleuchter hing von der Decke und sorgte für angenehme Helligkeit in dem großen Raum, in dem sich schätzungsweise mehr als hundert Menschen versammelt hatten. Rauchgeschwängerte Luft machte Kirkpatrick das Atmen schwer. Beinahe hätte er sich umgedreht und den King of the Hill wieder verlassen. Aber O’Malley schien die Absicht des grauhaarigen Iren geahnt zu haben, packte ihn am Arm und zog ihn mit sich.

„Nicht kneifen, Dave“, rief er lachend. „Jetzt gilt es. Lass uns erst mal ein paar Drinks schlucken, damit wir in Stimmung kommen ...“

Die fünf Iren bahnten sich einen Weg durch die Menge. Es war nicht einfach, sich einen Platz an der Theke zu sichern. Aber in diesen Dingen besaß O’Malley ein beachtliches Organisationstalent. Er hob die rechte Hand und signalisierte einem der beiden Keeper hinter dem Tresen mit eindeutiger Geste seinen Wunsch. Augen­blicke später hatten die Iren ihre Drinks vor sich.

„Trinken wir auf diesen Abend“, schlug O’Malley vor und musste fast schreien, damit ihn seine Freunde verstanden. In diesem Augenblick stimmte der Pianospieler wieder ein neues Lied an, zu dem eine Truppe von vier leicht bekleideten Frauen auf der Bühne einen Tanz begann. Die Frauen waren grell geschminkt und nicht mehr ganz jung. Sie lächelten, aber ihre Augen blieben dabei kalt. Kirkpatrick schien jedoch der Einzige zu sein, dem das auffiel. Alle anderen Gäste johlten lautstark Beifall und konnten von dem Anblick der Frauen nicht genug bekommen.

„Wie wäre es mit einem kleinen Spiel, Gentlemen?“, hörte Kirkpatrick auf einmal eine Stimme neben sich. Er drehte sich um und blickte in das blasse Gesicht eines hageren Mannes in einem tadellos sitzenden dunklen Anzug. „Sie könnten sich ein wenig Geld verdienen, um die späteren Freuden des Abends so richtig genießen zu können ...“

Seine Blicke sprachen Bände, als er abwechselnd zu den Girls auf der Bühne und zu den irischen Arbeitern schaute. O’Malley wusste sofort, worauf der Mann hinaus­wollte. Je länger er darüber nachdachte, umso mehr gelangte er zu der Überzeugung, dass dies wirklich ein vernünftiger Gedanke war.