Western Legenden 61: Gesetz der Gewalt - Alfred Wallon - E-Book

Western Legenden 61: Gesetz der Gewalt E-Book

Alfred Wallon

0,0

Beschreibung

Texas Ranger Jess Calhouns Auftrag lautet, die berüchtigte Kinnock-Bande zu stellen. Unter falschem Namen ist es ihm gelungen, ein Mitglied dieser Bande zu werden. Will Kinnock und seine Leute planen einen letzten großen Überfall.Keiner der Männer ahnt, dass sich ein Verräter eingeschlichen hat.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 290

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Western Legenden

In dieser Reihe bisher erschienen

9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache

9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato

9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen

9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen

9005 Dietmar Kuegler Tombstone

9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang

9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod

9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin

9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana

9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas

9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs

9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk

9013 Andreas Zwengel Die spanische Expedition

9014 Andreas Zwengel Pakt der Rivalen

9015 Andreas Zwengel Schlechte Verlierer

9016 R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen

9017 Dietmar Kuegler Der letzte Rebell

9018 R. S. Stone Walkers Rückkehr

9019 Leslie West Das Königreich im Michigansee

9020 R. S. Stone Die Hand am Colt

9021 Dietmar Kuegler San Pedro River

9022 Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen

9023 Dietmar Kuegler Alamo - Der Kampf um Texas

9024 Alfred Wallon Das Goliad-Massaker

9025 R. S. Stone Blutiger Winter

9026 R. S. Stone Der Damm von Baxter Ridge

9027 Alex Mann Dreitausend Rinder

9028 R. S. Stone Schwarzes Gold

9029 R. S. Stone Schmutziger Job

9030 Peter Dubina Bronco Canyon

9031 Alfred Wallon Butch Cassidy wird gejagt

9032 Alex Mann Die verlorene Patrouille

9033 Anton Serkalow Blaine Williams - Das Gesetz der Rache

9034 Alfred Wallon Kampf am Schienenstrang

9035 Alex Mann Mexico Marshal

9036 Alex Mann Der Rodeochampion

9037 R. S. Stone Vierzig Tage

9038 Alex Mann Die gejagten Zwei

9039 Peter Dubina Teufel der weißen Berge

9040 Peter Dubina Brennende Lager

9041 Peter Dubina Kampf bis zur letzten Patrone

9042 Dietmar Kuegler Der Scout und der General

9043 Alfred Wallon Der El-Paso-Salzkrieg

9044 Dietmar Kuegler Ein freier Mann

9045 Alex Mann Ein aufrechter Mann

9046 Peter Dubina Gefährliche Fracht

9047 Alex Mann Kalte Fährten

9048 Leslie West Ein Eden für Männer

9049 Alfred Wallon Tod in Montana

9050 Alfred Wallon Das Ende der Fährte

9051 Dietmar Kuegler Der sprechende Draht

9052 U. H. Wilken Blutige Rache

9053 Alex Mann Die fünfte Kugel

9054 Peter Dubina Racheschwur

9055 Craig Dawson Dunlay, der Menschenjäger

9056 U. H. Wilken Bete, Amigo!

9057 Alfred Wallon Missouri-Rebellen

9058 Alfred Wallon Terror der Gesetzlosen

9059 Dietmar Kuegler Kiowa Canyon

9060 Alfred Wallon Der lange Weg nach Texas

9061 Alfred Wallon Gesetz der Gewalt

9062 U. H. Wilken Dein Tod ist mein Leben

9063 G. Michael Hopf Der letzte Ritt

Alfred Wallon

Gesetz der Gewalt

RIO CONCHOBand 2

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-682-8

Kapitel 1

Dichte Wolken zogen von Westen auf, als die beiden Reiter am frühen Nachmittag nach El Paso kamen und die ersten Häuser der Stadt passierten. Sie spürten die Blicke einiger Bewohner auf sich gerichtet, die ihnen für endlose Sekunden noch hinterhersahen, während die beiden Männer die staubige Mainstreet entlang ritten.

In diesen Tagen quoll die texanische Stadt förmlich über vor Glücksrittern und Abenteurern, seit es verstärkte Bewegungen auf beiden Seiten der Grenze gab. Je mehr Menschen aus allen Himmelsrichtungen in die Stadt strömten, umso mehr wuchs die nächtliche Welle der Gewalt, die auch am Tage nicht zum Erliegen kam. Wahrscheinlich ging all das in diesem Moment dem jüngeren der beiden Reiter durch den Kopf, während er seine Blicke unruhig die breite Straße entlang­schweifen ließ. Wachsende Nervosität hatte ihn ergriffen!

„Bleib ruhig, Junge!“, riss Jess Parkers Stimme den blonden Dave Kinnock aus seinem nachdenklichen Grübeln. „Du siehst ja aus, als ob der Teufel persönlich hinter dir her wäre.“

„Du hast gut reden, Jess“, erwiderte Dave und hatte dabei Mühe, seine Aufregung nicht zu sehr zu zeigen. „Was glaubst du wohl, an was ich gerade denke, wenn ich da drüben das Marshal Office auf der anderen Seite der Straße sehe? Mensch, Jess! Jetzt schaut der Sternschlepper auch noch herüber zu uns! Vielleicht hat er uns schon längst erkannt.“

„Du sollst ruhig sein, Dave!“, ermahnte ihn die schneidende Stimme des schwarzhaarigen Jess, der schon vor zwei Monaten zur Kinnock-Bande gestoßen war. „Dir sieht man doch schon von Weitem an, was für ein schlechtes Gewissen du hast. Reiß dich endlich am Riemen, oder willst du, dass der Plan deines Vaters schiefgeht?“

„Natürlich nicht“, erwiderte Dave mit einem tiefen Seufzen. „Jess, du musst das verstehen. Ich komme mir vor, als ob wir in die Höhle des Löwen reiten und nicht mehr herauskommen.“

„Dann warte erst mal ab bis morgen“, winkte der große Mann ab, während er aus den Augenwinkeln registrierte, dass der Marshal drüben auf der anderen Straßenseite ihn und Dave immer noch zu beobachten schien. Deshalb wich er den prüfenden Blicken des Gesetzesvertreters nicht aus, sondern nickte ihm stattdessen freundlich zu.

„Siehst du?“, grinste er dann Dave zu. „Der Marshal beachtet uns jetzt nicht mehr. Wir statten El Paso doch nur einen Besuch ab. Erst morgen geht es richtig los. Das hier ist doch alles Routine. Man muss sich nur ganz unauffällig benehmen, dann kann gar nichts passieren.“

„Ich will es hoffen, Jess“, antwortete der junge Dave Kinnock, dessen Aufregung sich jetzt etwas gelegt hatte, nachdem sie das Office des Marshals passiert hatten. „Trotzdem ist mir nicht wohl bei dem Gedanken an morgen. Warum ausgerechnet El Paso, Jess? Pa hätte sich doch auch eine Bank in einer anderen Stadt aussuchen können.“

„Dave, mir kannst du das ja sagen“, fiel ihm Jess ins Wort und warf ihm einen strengen Blick zu. „Aber lass ja deinen Vater nicht hören, was du von seinem Plan hältst. Es ist beschlossene Sache, dass wir uns die Einnahmen der Texas Land & Farming Bank unter den Nagel reißen, und genau das werden wir auch tun. Dave, du bist doch ein Kinnock! Also zeig gefälligst etwas mehr Rückgrat. Vor allen Dingen den anderen gegenüber, wenn du willst, dass man dich ernst nimmt.“

„Schon gut, Jess“, winkte Dave ab, weil er nichts mehr davon hören wollte. Jess Parker war ein Mann, der zwar erst seit Kurzem zu der Kinnock-Bande gehörte. Aber in dieser Zeit hatte er es geschafft, das Vertrauen von Will Kinnock zu erringen und hatte auch schon mehrmals unter Beweis gestellt, dass Daves Vater sich in brenzligen Situationen voll auf Jess Parker verlassen konnte.

Dave selbst war erst sehr spät zu seinem Vater gestoßen. Erst als seine Mutter gestorben war und er sich von einem Tag zum anderen allein durchschlagen musste.

Was blieb ihm also übrig, als seinen Vater zu suchen und sich ihm anzuschließen? Aber allein der Gedanke, dass auch er nun schon seit einem knappen Jahr zu der berüchtigten Kinnock-Bande zählte, ließ ihn manchmal nachts im Schlaf aufschrecken und kaum Ruhe finden. Weil er zum Outlaw wurde und nichts dagegen tun konnte!

„Da vorn ist der Store“, meldete sich Jess Parker wieder zu Wort und wies auf ein lang gezogenes Holzgebäude, das ziemlich baufällig wirkte. „Du weißt doch noch alles, was du einkaufen sollst?“

„Sicher, Jess“, beeilte sich Dave zu erwidern, weil er seinen Gefährten nicht verärgern wollte. „Du kannst dich ganz auf mich verlassen.“

„In Ordnung“, nickte Jess. „Erledige alles, während ich mich in der Zwischenzeit etwas in der Nähe umsehe. Ich muss mir ein Bild verschaffen, wie es im Inneren des Gebäudes der Bank aussieht. Schließlich soll doch alles reibungslos vonstattengehen, oder?“ Er sah, wie Dave kurz nickte, und fuhr dann fort: „In spätestens einer Stunde treffen wir uns vor dem Store wieder. Versuch ebenfalls, dich umzuhören, aber so, dass niemand Verdacht schöpft. Klar?“

„Sicher“, meinte Dave Kinnock rasch und war heilfroh, dass sich Jess mit dieser Antwort zufriedengab. Parker nickte Dave noch einmal kurz zu, bevor er seinem Pferd die Hacken in die Weichen drückte und es weiter die Straße hinunter dirigierte. Daves Blicke folgten Jess und registrierten gut hundert Yards entfernt das große wuchtige Gebäude, das ganz aus Stein erbaut worden war: die Zentrale der Texas Land & Farming Bank. Hier wurde das Land an Siedler verkauft, und hier wurden alle anderen Geschäfte getätigt, die eine weitere Besiedlung der weiteren Umgebung von El Paso zum Ziel hatten.

„Wenn das nur gut geht“, murmelte Dave, während er sein Pferd auf den Store zu lenkte und dann aus dem Sattel stieg. Denn die Aufregung angesichts der kommenden Ereignisse wollte einfach nicht von ihm weichen!

Jess dagegen ritt ein Stück weiter zur anderen Straßenseite, wo er sicher sein konnte, dass Dave ihn jetzt nicht sah.

Vor der Veranda eines Eisenwarenladens zügelte der Schwarzhaarige sein Pferd, stieg mit einer geschmeidigen Bewegung aus dem Sattel und schaute sich dabei noch einmal kurz um zum Store, in dem sich Dave ­Kinnock befand. Dann beschleunigte er seine Schritte, bis er schließlich über eine schmale Seitenstraße das Office des Marshals erreicht hatte.

Ohne zu zögern, öffnete er einfach die Tür und trat ein. Jess blickte in das stoppelbärtige Gesicht eines jungen Burschen, der nicht gerade einen intelligenten Eindruck machte. Der Junge war hager und rothaarig. Dutzende von Sommersprossen zeichneten sich auf seinen grinsenden Gesichtszügen ab, als er den Kopf hob und den Besucher anschaute.

„Marshal Washburn ist gerade nicht da, Mister“, erwiderte er, bevor Jess das Wort ergreifen konnte. „Es ist nicht einmal fünf Minuten her, seit er weggeritten ist. Draußen auf der Broken-T-Ranch ist Vieh gestohlen worden.“ Bei den letzten Worten stieß er ein meckerndes Lachen aus. „Es müssen Verrückte sein, die ein paar armselige Rinder zu stehlen versuchen.“

Er brach ab, als er erkennen musste, dass der schwarzhaarige Mann den missglückten Humor des Rothaarigen völlig ignorierte. Er kam auch nicht mehr dazu, etwas zu sagen, denn in diesem Moment ergriff der Besucher das Wort.

„Ich habe keine Zeit für ausschweifende Reden“, sagte er jetzt in einem Tonfall, der den jungen Deputy sofort aufhorchen ließ. Unter den verständnislosen Blicken des rothaarigen Gesetzesgehilfen holte er einen metallisch glänzenden Gegenstand aus dem Innenfutter seiner Jacke hervor und zeigte ihn dem Deputy. Der junge Bursche musste schlucken, als er das Abzeichen der Texas Ranger erkannte.

„Ich bin Texas Ranger Jess Calhoun“, stellte sich der Schwarzhaarige nun vor. „Merken Sie sich genau, was ich Ihnen jetzt sage, denn ich habe nicht viel Zeit. Die Kinnock-Bande plant einen Überfall auf die Texas Land & Farming Bank. Morgen früh! Verständigen Sie so schnell wie möglich Colonel Amos Calhoun in San Angelo. Schicken Sie sofort einen Reiter los, der die Ranger alarmiert. Sonst gibt es hier womöglich ein Blutbad.“

Der Rothaarige blickte drein, als habe ihn der Schlag getroffen. Dann war es auf einmal aus und vorbei mit der Ruhe, die er bisher an den Tag gelegt hatte. Er sprang so urplötzlich vom Schreibtisch auf, an dem er es sich bequem gemacht hatte, dass der Stuhl polternd nach hinten fiel.

„Gütiger Himmel!“, krächzte er aufgeregt. „Ich muss sofort den Stadtrat verständigen.“

„Machen Sie das, wenn ich die Stadt verlassen habe“, ließ ihn Jess’ Stimme innehalten. „Niemand darf etwas davon bemerken, dass ich versucht habe, die Bevölkerung von El Paso zu warnen. Es ist noch jemand von ­Kinnocks Leuten in der Stadt. Warten Sie noch eine Stunde und veranlassen Sie dann alles Notwendige. Kann ich mich darauf verlassen?“

„Ja, ja, Sir“, stotterte der rothaarige Deputy ganz aufgeregt, während Jess Calhoun sich schon wieder zum Gehen wandte. „Die Kinnock-Bande ... du lieber Himmel!“

Jess murmelte einen unterdrückten Fluch, als er dem Deputy noch einmal zunickte und dann das Office schnell wieder verließ. Sofort glitten seine Blicke wieder in Richtung General Store. Er atmete auf, als er sich vergewisserte, dass die Luft rein war. Der junge Dave hatte nichts davon bemerkt, dass Jess etwas ganz anderes im Schilde geführt hatte.

Es war ein riskantes Spiel, das der älteste Sohn des Rangercolonels Amos Calhoun spielte. Seit acht Wochen ritt er mit der Kinnock-Bande und hatte es geschafft, allmählich das Vertrauen des Bandenführers Will Kinnock zu erringen. Aber niemand wusste, wer Jess wirklich war. Alle hielten ihn für einen Gunman, der schon so manches auf dem Kerbholz hatte, und Jess spielte dies so perfekt, dass bis jetzt niemand Verdacht geschöpft hatte.

Hoffentlich schaffte es dieser begriffsstutzige Deputy, alles Weitere zu veranlassen. Denn Jess hatte nur diese eine Gelegenheit, seinem Vater eine Nachricht zukommen zu lassen.

Schon seit Langem versuchten die Texas Ranger, die berüchtigte Kinnock-Bande zu stellen und ihrer habhaft zu werden. Aber Will Kinnock, dieser schlaue Hundesohn, hatte es bisher immer geschafft, sich einem Zugriff zu entziehen.

Colonel Amos Calhoun hatte ein persönliches Interesse daran, endlich diese Kerle zu schnappen und dafür zu sorgen, dass man ihnen den Prozess machte. Noch nicht einmal ein Vierteljahr war vergangen, seit er sich eine Kugel eingefangen hatte. Eine Kugel aus Will Kinnocks Colt!

Seitdem war der Colonel förmlich erpicht darauf, diese Schlappe auszumerzen, und zwar mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen! Sein Sohn Jess war es dann gewesen, der ihm vorgeschlagen hatte, den Lockvogel zu spielen. Und es hatte bisher besser geklappt, als Amos und Jess Calhoun sich das vorgestellt hatten. Allerdings wusste Jess, wie riskant der Plan im Grunde genommen doch war. Bisher hatte er nicht viele Gelegen­heiten gehabt, seinem Vater eine Nachricht zukommen zu lassen. Das letzte Mal lag schon einige Wochen zurück. Damals hatte ihm der Zufall geholfen.

Seine Gedanken brachen ab, als er sich wieder auf seine eigentliche Aufgabe konzentrierte. Es wurde Zeit, dass er sich auf den Weg zum General Store machte. Denn Dave Kinnock sollte nicht unnötig warten. Sonst stellte der Junge womöglich noch Fragen über Jess’ langes Ausbleiben.

Kapitel 2

Dave Kinnock fühlte immer noch eine quälende Unruhe in sich, als er die Tür öffnete und den Store betrat. Im ersten Augenblick hatte er Mühe, sich im trüben Licht, das im Laden herrschte, zurechtzufinden. Aber dann gewöhnte er sich daran und erkannte den älteren grau­haarigen Mann, der hinter einer solide gezimmerten Theke aus geschälten Buchenstämmen stand und den Kopf hob, als Dave nähertrat.

„Guten Tag“, sagte Dave und tippte kurz an seinen Hut. „Ich möchte einige Vorräte einkaufen, Mister.“

„Was solls denn sein, Junge?“, wollte der Storekeeper wissen und richtete seine neugierigen Augen auf Daves unrasiertes und braun gebranntes Gesicht. „Bei mir gibt es so ziemlich alles: vom passenden Schnürsenkel bis hin zu Dosenpfirsichen.“

„Ich brauche zwei Sack Mehl“, begann Dave und erinnerte sich daran, was ihm sein Vater sonst noch aufgetragen hatte. „Dann noch Zucker, Salz und Arbuckle-­Kaffee, wenn Sie welchen haben.“

„Sicher“, beeilte sich der geschäftstüchtige Storekeeper zu antworten. „Bist wohl auf der Durchreise, wie? Scheint aber eine recht weite Reise zu sein, jedenfalls den Vorräten nach.“

„Wenn ich mir das so richtig überlege, dann nehme ich auch noch vier Dosen Pfirsiche mit“, sagte Dave und ging auf die indirekte Frage des Mannes gar nicht ein. „Ach ja, und von dem Durham-Tabak da drüben auch noch ein Päckchen.“ Er grinste verhalten. „Tabak kann man nie genug haben, Mister.“

Der grauhaarige Storekeeper murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, während er sich beeilte, Daves Wünsche zu erfüllen. Er schien wohl begriffen zu haben, dass Dave sich nicht ausfragen ließ.

Aber selbst, wenn er jetzt noch einen zweiten Versuch gewagt hätte, wäre er nicht mehr dazu gekommen. Denn in diesem Moment öffnete sich die Tür des General Store.

Unwillkürlich drehte sich Dave um und sah eine junge Frau in Begleitung eines stämmigen Mannes mit einem Knebelbart hereinkommen. Dave hätte am liebsten einen leisen Pfiff ausgestoßen, als er in das Gesicht des Mädchens blickte. Wirklich, das Mädchen war sehr hübsch. Dave konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann er zum letzten Mal so ein Mädchen zu Gesicht bekommen hatte. Aber für einen Burschen wie ihn, der auf dem Outlaw Trail ritt, gab es ohnehin kaum Gelegenheit, über diese Dinge lange nachzudenken.

„Guten Tag, Jed! Hallo, Linda!“, rief der Storekeeper seinen beiden neuen Kunden zu. „Ihr habt euch ja eine halbe Ewigkeit nicht mehr in der Stadt blicken lassen.“

„Du weißt doch, wie das ist, Hank“, erwiderte der Mann, den der Keeper Jed genannt hatte. „Draußen auf der Farm gibt es jede Menge zu tun. Linda und ich arbeiten von früh bis spät. Das ist nicht leicht für einen Mann in meinem Alter.“

„Aber Großvater und ich schaffen es schon irgendwie, Mister Jennings“, antwortete nun das Mädchen und spürte dabei Daves Blicke auf sich gerichtet. Deshalb schlug sie die Augen nieder.

„Hank, wir brauchen neues Saatgut“, richtete der Großvater des Mädchens nun das Wort an den Storekeeper. „Die letzte Dürre hat nur eine karge Ernte eingebracht. Kannst du uns noch einmal ... ich meine ...?“

Er brach ab, weil es ihm sichtlich peinlich war, sein Anliegen in Worte zu kleiden. Aber der Storekeeper hatte auch so verstanden, worauf der alte Mann hinauswollte.

„Natürlich bekommst du Saatgut von mir“, beeilte sich Hank Jennings zu sagen. „Auch wenn es vielleicht ein halbes Jahr länger dauern sollte, bis ich mein Geld sehe. Aber in diesen lausigen Zeiten müssen wir alle zusammen­halten, Jed.“

Man konnte dem alten Jed Hoskins förmlich die Erleichterung ansehen, als er Jennings Antwort vernahm, ganz zu schweigen von dem Mädchen, dem auch ein Stein vom Herzen gefallen war.

„Ihr bekommt gleich alles, was ihr wollt“, meinte Jennings. „Ich will nur noch rasch die Vorräte für diesen jungen Burschen hier zusammenpacken. So lange habt ihr doch noch Zeit?“

„Selbstverständlich, Hank“, erwiderte Jed Hoskins. „Natürlich warten wir. Nur zu, Mister“, meinte er dann zu Dave, weil dieser einen ungeduldigen Eindruck machte und wohl deswegen rasch bezahlen wollte. Dave nickte Hoskins nur kurz zu, bevor er einige zerknitterte Geldscheine aus seiner Hemdtasche nahm und sie dem Storekeeper in die Hand drückte.

„Stimmt so“, sagte er knapp und griff nach den Säcken, in denen Jennings die Vorräte verstaut hatte. Er war schon im Begriff, den Store zu verlassen, und stand schon halb in der Tür, als er es sich dann aber wieder anders überlegte.

Irgendwie übte das schwarzhaarige Mädchen eine seltsame Anziehungskraft auf ihn aus, die er sich selbst nicht erklären konnte. Deshalb zögerte er noch, wartete mit dem Hinausgehen und tat stattdessen so, als ob er sich für die Arbeitshemden in den Regalen neben der Tür interessierte. So bekam Dave noch mit, wie Jed Hoskins und seine Enkelin das Saatgut ausgehändigt bekamen.

„Soll ich Ihnen helfen, die Säcke hinauszutragen?“, fragte Dave den alten Mann und verstand im selben Moment nicht, weshalb er das gesagt hatte. „Ich meine, es macht mir nichts aus, das zu tun.“

Er brach ab, suchte nach Worten, während er Linda Hoskins anschaute und sah, dass sich auf ihren Zügen ein Lächeln abzeichnete.

„Das ist verdammt anständig von dir, mein Junge“, sagte Jed Hoskins. „Ein alter Mann wie ich kann manchmal nicht mehr so, wie er will.“ Er schaute zu Linda. „Siehst du, Mädchen, es gibt noch anständige Kerle in El Paso.“

Dave hatte es eilig, die Mehlsäcke beiseitezustellen und sich stattdessen erst um das Saatgut zu kümmern. Er schnappte sich den ersten Sack, wuchtete ihn hoch und schleppte ihn hinaus ins Freie. Er lud ihn dann auf den Pritschenwagen, der direkt vor dem Eingang des General Store stand. Der zweite Sack folgte wenige Augenblicke später. Dave verstaute ihn ebenfalls auf der Ladefläche und nickte dann Hoskins und seiner Enkelin zu. „Nochmals vielen Dank“, sagte Linda nun zu Dave. „Sie haben uns wirklich sehr geholfen. Mister ...?“

„Dave Kin...“, wollte er gerade antworten, erinnerte sich aber noch rechtzeitig daran, dass der Name ­Kinnock alles andere als einen guten Ruf hatte. „Dave Kinsey“, korrigierte er sich dann Sekundenbruchteile später. „Stets zu ihren Diensten, Miss.“ Er brachte es sogar fertig, Linda so charmant anzulächeln, dass sie errötete und seinen Blicken auswich.

„Du bist nicht von hier, nicht wahr?“, fragte der alte Hoskins, während er auf den Bock des Wagens kletterte und Linda andeutete, ihm zu folgen.

„Nein, ich bin auf dem Weg nach Süden“, erwiderte Dave rasch. „Genauer gesagt nach Sonora in Mexiko.“

„Ist noch ein gutes Stück bis dahin“, sagte Hoskins. „Na ja, dann noch eine gute Reise, mein Junge.“

Dave lag eine Erwiderung auf der Zunge, weil er dem Mädchen noch unbedingt etwas sagen wollte. Aber dabei blieb es auch, denn in diesem Moment sah er Jess Parker auf den Store zureiten. So nickte er Hoskins und seiner Enkelin noch kurz zu und sah, wie sich das Pferde­gespann in Bewegung setzte. Während sein Gefährte das Pferd nun zügelte und abstieg, glaubte Dave aus den Augenwinkeln zu erkennen, dass sich Linda noch einmal kurz umgedreht und die Hand erhoben hatte, um ihm zuzuwinken.

Kapitel 3

„Sieht ganz so aus, als wenn du Süßholz geraspelt hast, Dave“, riss ihn Jess’ Stimme aus seinen Träumen. „Um die Vorräte hast du dich aber trotzdem gekümmert, oder?“

„Klar doch“, antwortete Dave. „Ich habe Mister ­Hoskins und seiner Enkelin nur geholfen, die Säcke aufzuladen.“

„Von Bekanntschaften schließen hat aber niemand etwas gesagt, Dave“, tadelte ihn Jess. „Du hast doch wohl nicht etwa deinen Namen genannt?“

„Das habe ich nicht“, erwiderte Dave mit einer Spur Zorn in der Stimme. „Für was für einen Idioten hältst du mich eigentlich, Jess?“

„Schon gut“, winkte Jess ab und machte sich im Stillen seine eigenen Gedanken über Daves Verhalten. Der Junge hatte mit seinem Vater wirklich nur den Namen gemein, sonst waren sie aber so verschieden wie Feuer und Wasser. „Dann lass uns aufbrechen“, fuhr er fort. „Wo sind die Vorräte?“

„Warte, ich hole sie“, erwiderte Dave und eilte zum Eingang des Stores. Er nahm die beiden Säcke und die Satteltaschen, gab einen Mehlsack Jess und verstaute den Rest am Sattelhorn seines eigenen Pferdes. Dann saß auch er auf.

„Was hast du herausfinden können, Jess?“, wollte er dann von seinem Gefährten wissen. „War es schwierig für dich, in die Nähe der Bank zu gelangen?“

„Ach was“, winkte Jess ab. „Ich bin einfach hineingegangen, um mich in aller Ruhe umzusehen und etwas Geld zu wechseln. Wir werden morgen früh bestimmt keine Probleme haben. Dein Vater wird sich da schon etwas einfallen lassen, denke ich.“

Mehr war aus Jess nicht herauszubekommen. Der schwarzhaarige Revolvermann wollte wohl abwarten, bis er und Dave das Camp draußen in den Hügeln von El Paso erreicht hatten und dann erst die Einzelheiten berichten. Dave musste sich damit wohl oder übel zufriedengeben. Obwohl er eine Menge Fragen gehabt hätte!

Natürlich konnte er nicht ahnen, was der Mann, den er unter dem Namen Jess Parker kannte, in der Zwischenzeit unternommen hatte. Aber Jess Calhoun spielte die Rolle des wortkargen Gunmans so überzeugend, dass Dave überhaupt nicht daran dachte, an Jess’ Verhalten zu zweifeln. Was er auch nicht wusste, war die Tatsache, dass Jess natürlich die Texas Land & Farming Bank sehr gut kannte. Vor einem knappen Jahr war er schon einmal hier gewesen. Er brauchte somit Will Kinnock nicht anzulügen, wenn der ihn gezielt nach Einzelheiten fragte.

Die beiden Männer gaben ihren Pferden die Zügel frei und verließen El Paso in Richtung Norden. Irgendwo da draußen hinter den unwegsamen Hügelketten lag das Camp der Kinnock-Bande.

Kapitel 4

Der muskulöse Mann mit der gebräunten Haut warf achtlos die Zigarette beiseite, als er am fernen Horizont die Konturen von zwei Reitern ausmachte. Er griff nach dem Armeefernglas, hielt es an die Augen und spähte hindurch. Die Anspannung, die angesichts der näher kommenden Reiter von ihm Besitz ergriffen hatte, legte sich erst wieder, als er erkannte, dass von den beiden keine Gefahr drohte. Es waren Jess und der Junge!

„Jefe!“, rief er dann hinüber zu dem Camp zwischen den Creosotbüschen. „Jess und Dave kommen zurück!“

Will Kinnock, der sich gerade eine Tasse heißen Kaffee eingeschenkt hatte, um sich aufzuwärmen, hielt nun inne und blickte hinauf zu Chaco Sanchez, der die erste Wache übernommen hatte.

„Sind sie allein, Chaco?“, wollte er wissen.

„Si“, bekam er von dem Halbmexikaner zu hören. Das stellte den Bandenführer sehr zufrieden. Ein Lächeln schlich sich in seine harten Züge, die zusätzlich von einer hässlichen Narbe entstellt waren. Ächzend erhob er sich, nickte den drei übrigen Männern am Campfeuer zu und atmete innerlich darüber auf, dass das lange Warten jetzt ein Ende gefunden hatte. In wenigen Minuten würde er wissen, wie die Lage in El Paso war.

Will Kinnocks Blicke richteten sich auf Dave, der hinter Jess Parker ins Camp geritten kam und sein Pferd zügelte. Er sprang aus dem Sattel, drückte die Säcke mit den Vorräten dem dürren Charlie Wayne in die Hände und registrierte dann erst die fragenden Blicke seines Vaters.

„Es ist alles gut gegangen, Pa“, sagte er. „Nicht wahr, Jess?“ Der nickte nur und wartete ab, bis auch die anderen nähergekommen waren. Erst dann begann er mit seinem Bericht.

„Das Verwaltungsgebäude der Texas Land & Farming Bank hat einen Haupt- und einen kleinen Seiteneingang“, schilderte er wahrheitsgemäß die ihm bereits bekannten Fakten. „Am Haupteingang steht ein bewaffneter Posten. Aber der wird keine Gefahr für uns darstellen, wenn wir schnell reagieren.“

Er drückte sich bewusst so aus, weil er natürlich davon ausging, dass die Kinnock-Bande morgen früh eine unliebsame Überraschung in El Paso erwartete. Wenn der Marshal alles vernünftig plante und die Texas ­Ranger unter Colonel Amos Calhoun rechtzeitig zur Stelle waren, dann gehörten Will Kinnocks finstere Pläne der Vergangenheit an!

„Wie viele Leute arbeiten in dem Gebäude?“, wollte Kinnock wissen.

„Ich habe drei am Schalter gesehen. Direkt dahinter befindet sich das Office des Direktors“, fuhr Jess fort.

„Was sonst noch?“, fragte der ungeduldige Chaco ­Sanchez. „Lass dir doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen, Parker!“

Jess warf ihm einen Blick zu, der Bände sprach. Irgendwann würden er und Sanchez richtig aneinandergeraten, denn der Halbmexikaner war einfach viel zu nervös. Aber trotz allem war er ein guter und treffsicherer Schütze. Deshalb brauchte ihn Kinnock.

„Das eigentliche Problem ist das Office des Marshals“, erzählte Jess weiter. „Es liegt fünfzig Yards weiter oberhalb. Aber Dave und ich haben festgestellt, dass der Sternschlepper ein Auge auf Fremde hat. Wir müssen verdammt vorsichtig sein.“

„Gut, dass du das sagst, Jess“, meinte nun Will ­Kinnock und ließ dabei seine Blicke in die Runde schweifen. „Ich habe mir schon gedacht, dass es nicht einfach werden wird. Deshalb werden wir uns morgen früh aufteilen und von drei Seiten in die Stadt kommen. Chaco und Hal von Süden, Jess und ich von Westen, und Charlie mit Bill und Dave dann von Norden. Treffen werden wir uns alle vor dem besagten Gebäude. Dave passt draußen so lange auf die Pferde auf und wird mit Argusaugen darauf achten, dass uns keine Gefahr droht. Alles klar? Oder hat noch jemand Fragen?“

Jess passte Kinnocks Vorschlag natürlich überhaupt nicht. Das Aufteilen der Bande würde es schwerer machen für den Marshal und die Texas Ranger. Er konnte nur hoffen, dass sein Vater im kritischen Moment die Lage voll im Griff hatte. Aber Colonel Amos Calhoun plante so etwas nicht zum ersten Mal. Es musste einfach klappen!

„Warte mal, Jess“, sagte Will Kinnock, als die anderen den Vorschlag akzeptierten und wieder zurück zum Campfeuer gingen. „Ich möchte mit dir noch kurz reden, und zwar über Dave.“

„Was ist mit dem Jungen?“, fragte Jess. Weil er natürlich nicht wissen konnte, worauf der Bandenführer hinaus­wollte.

„War Dave nervös?“, fragte Kinnock. „Sag mir die Wahrheit, Jess!“

„Was heißt nervös?“, antwortete Jess ausweichend. „Aufgeregt war er schon. Aber das darfst du ihm nicht übel nehmen. Schließlich ist es der erste Überfall, den Dave mitmacht.“

„Verdammt, wenn ich nur wüsste, was mit dem Jungen los ist!“, entfuhr es Will Kinnock. „Die anderen reden hinter seinem Rücken über ihn. Sie halten ihn für einen Feigling. Manchmal kommt es mir so vor, als ob Dave nicht zufrieden mit sich und der Welt ist.“

„Dann musst du mit dem Jungen ein ernstes Wort reden, Will“, schlug Jess vor. „Mach ihm klar, was morgen früh auf dem Spiel steht. Ich bin sicher, dass er das auch verstehen wird.“

„Ich wünschte, ich hätte mehr Männer von deiner Art, Jess“, seufzte Kinnock. Er wandte sich ab und ging hinüber zu den Pferden, wo sich Dave aufhielt. Er bemerkte die nachdenkliche Miene von Jess nicht mehr.

„Du kannst gut mit Pferden umgehen, Junge“, sagte er. „Das ist umso wichtiger morgen früh, wenn wir in El Paso sind. Du weißt ja, dass es nicht leicht sein wird.“ Als Dave nicht gleich antwortete, sprach Kinnock weiter. „Dave, mir ist klar, dass es ein hartes Leben für dich ist. Aber ich verspreche dir, dass bald Schluss damit sein wird. Nur noch diesen einen Coup, dann setzen wir uns ab nach Mexiko. Dort wird uns niemand suchen, und wir werden in Frieden leben können.“

„Kannst du das denn überhaupt noch, in Frieden leben?“, fragte ihn Dave sichtlich verbittert, weil die Worte seines Vaters etwas in ihm auslösten, was er die ganzen Wochen und Monate bisher noch hatte zurückhalten können. „Hast du denn schon vergessen, dass es auch Tote bei deinen Überfällen gegeben hat, Pa? Ich bin zwar noch nicht lange hier, aber ich weiß, wovon ich rede. Wenn du darauf aus bist, dass ich so werde wie ­Sanchez und die anderen, dann täuschst du dich. Ich bin kein ­Mörder und werde es auch nie sein!“

Die letzten Worte waren etwas heftiger gekommen, als er das eigentlich beabsichtigt hatte. Will Kinnock bemerkte das und ging jetzt einen Schritt nach vorn und wollte seinem Jungen aufmunternd auf die Schulter klopfen. Aber Dave schüttelte die Hand des Vaters ab.

„Dave, du tust mir unrecht. Ich hoffe, das weißt du“, sagte Kinnock seufzend. „Ich glaube nicht, dass du mich und meine Männer beurteilen kannst. Junge, wir haben viel durchgemacht in all den Jahren. Uns hat die Gesellschaft schon lange aufs Abstellgleis geschoben. Ist es dann nicht in Ordnung, wenn wir uns von dieser Gesellschaft holen, was sie uns verwehren will?“

Dave schwieg und dachte nach. Aber die Kluft zwischen ihm und den anderen vergrößerte sich von Tag zu Tag. Weil Dave noch an eine bessere Zukunft glaubte, an eine Zukunft ohne Verfolgung und Tod. Vielleicht hatte das schwarzhaarige Mädchen aus El Paso die Hoffnung auf ein besseres Leben in Dave ausgelöst.

„In Mexiko wird alles anders werden, Junge“, sagte Will Kinnock. „Denk an meine Worte. Du wirst sehen, dass ich recht habe.“

„Yeah, Pa“, antwortete Dave mit gesenktem Kopf. „Aber bis dahin ist es noch ein langer und mühseliger Weg.“

Er wandte sich abrupt ab, ohne seinen Vater noch einmal zu Wort kommen zu lassen. Er ging hinüber zu den Felsen, um die Wache zu übernehmen. Drüben beim flackernden Feuer hörte er schwach die Stimmen der anderen Männer, denen der Disput zwischen Vater und Sohn nicht entgangen war. Zweibeinige Wölfe waren das, die nur auf eine Chance hofften, die versprochene Beute an sich reißen zu können. Dabei gingen sie auch über Leichen! Dave ahnte nicht, dass es da noch jemanden gab, der sich ebenfalls seine eigenen Gedanken machte. Ein Mann, den Dave für einen eiskalten Revolverschwinger hielt.

Kapitel 5

Die Sonne überschüttete das karge Land mit ihren wärmenden Strahlen und leckte gierig die restlichen Tautropfen vom Boden auf, während Kinnocks Männer ihre Pferde sattelten und dann in Richtung El Paso auf­brachen. Eine eigenartige Spannung lastete über den Reitern. Dave konnte das förmlich spüren, als er sich kurz im Sattel umdrehte. Jeder der Männer hing jetzt wahrscheinlich seinen eigenen Gedanken nach und hoffte darauf, dass das Unternehmen gelang.

„Ihr wisst, was wir gestern Abend besprochen haben?“, wandte sich Will Kinnock noch einmal an seine Leute und schaute jeden von ihnen lange und gründlich an. Das tat er immer, wenn etwas Wichtiges bevorstand. Sie zogen alle an einem Strang, diese Männer, die das Schicksal auf die andere Seite des Gesetzes getrieben hatte.

Als alle nickten, wusste Kinnock, dass er sich keine Sorgen mehr zu machen brauchte. Dann sah er noch einmal kurz zu dem Jungen und versuchte, in dessen Zügen noch eine Spur von dem Streit des gestrigen Abends zu erkennen. Aber Dave wich den Blicken seines Vaters aus und gesellte sich stattdessen zu Charlie und Bill. Dann ritten die drei auch schon los, während sich der Rest der Bande ebenfalls aufzuteilen begann.

Der Ritt in die Grenzstadt verlief schweigend. Erst als die ersten Häuser von El Paso in Sicht kamen, bemerkte Dave, dass Bill sich wachsam nach allen Seiten umsah und versuchte, jede Auffälligkeit sofort zu registrieren. Aber an diesem Morgen war die Stadt noch nicht völlig zum Leben erwacht.

Es war die Stunde, wo die Geschäfte gerade erst geöffnet hatten und der Betrieb auf den Straßen noch überschaubar war. Trotzdem beschleunigte sich Daves Puls, als er und seine Gefährten auf die Zentrale der Texas Land & Farming Bank zu ritten. Der Weg dorthin erschien ihm wie eine halbe Ewigkeit, und mehr als einmal musste er sich zwingen, das flaue Gefühl in seinem Magen zu ignorieren.

Drüben vor dem Eisenwarenladen stand der Besitzer und fegte den Gehsteig wie ein Besessener. Aber dann wandte Dave seine Blicke ab, denn gerade in diesem Moment sah er Hal und den Mexikaner aus einer Seitenstraße kommen. Natürlich hatten sie ihn, Charlie und Bill schon längst gesehen, taten aber so, als seien sie Fremde. Sie ritten weiter bis zum Seiteneingang der Bank, stiegen dort aus den Sätteln und warteten ab, bis ihre restlichen Gefährten kamen.

Heute war der Tag, der die Wende bringen würde, und auch das Geld, das im Tresor der Bank lag. Zumindest hatte das Will Kinnock in Erfahrung gebracht.

Als Dave ebenfalls vom Pferd stieg, sah er seinen Vater und Jess. Sie passierten das Office des Marshals ohne Probleme. Das Glück schien heute auf ihrer Seite zu sein, denn Dave konnte diesmal keinen Officer erkennen, der wie gestern die Straße beobachtete. Wahrscheinlich war es dazu noch zu früh, und der Marshal schlief womöglich noch.

Kinnock zügelte sein Pferd neben Dave und nickte ihm kurz zu.

„Junge, du wartest hier draußen auf uns. Und werde nicht nervös, wenn du einen Deputy oder einen anderen Neugierigen siehst. Es wird nicht lange dauern, bis wir zurück sind.“

Dave nickte stumm und hielt sich tapfer. Er sah zu, wie Chaco und Hal zuerst in das Gebäude gingen. Vorbei an dem bewaffneten Wachposten, der sie mit einem misstrauischen Blick streifte. Aber Sanchez lächelte freundlich, und das vertrieb die anfänglichen Zweifel. Sein Vater und Jess warteten noch einen kurzen Moment, bis sie ihren Gefährten folgten. Zuletzt gingen Charlie und Bill hinein. Ihre Aufgabe war es, die Angestellten in Schach zu halten.

Dave zuckte zusammen, als sich die Eingangstür hinter den Männern schloss. Jetzt gab es kein Zurück mehr! Auch Jess Calhoun spürte die Unruhe, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Natürlich hoffte er, dass sich das Blatt des Schicksals jeden Augenblick wendete und die Texas Ranger eingriffen. Aber als er an Will Kinnocks Seite das Office des Marshals passierte, blieb immer noch alles ruhig. Nirgendwo konnte er etwas sehen, was ihm die Anwesenheit seines Vaters und der Rangertruppe signalisierte.

Ein Gedanke jagte den anderen, während er und Kinnock sich dem Gebäude der Bank näherten. Ob etwas schiefgegangen war? Oder wollte Colonel Amos Calhoun vielleicht noch so lange warten, bis die Banditen wieder aus der Bank kamen und dann in Gewehrläufe blickten, die entschlossene Männer auf sie gerichtet hatten?

Jess wusste es nicht, aber er hätte Gott weiß was drum gegeben, wenigstens ein Zeichen zu bekommen.