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Taxifahrer halten sich für Formel 1 Piloten, Fahrradfahrer beradeln die Autobahn. Zum Dinner gibt es Hühnerkrallen und Vogelspinnen am Spieß. Das alles kann Alice nicht mehr schocken, denn China ist in jeder Beziehung anders. Angie Pfeiffer berichtet über eine Chinareise, die nicht touristisch durchgestylt wurde. From Nashville to Leitchfield Nashville, Tennessee, Music City USA. Wem fallen bei diesem Namen nicht sofort Johnny Cash, Gitarren von Fender, Countrymusic, Cowboys und Flaschenbier ein. In dieser Kurzgeschichte erzählt Angie Pfeiffer von einem Besuch im Herzen der Country Music.
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Seitenzahl: 57
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*1*
Das Flugzeug rollte in Richtung der Startbahn. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück, denn zum ersten Mal konnte ich mich heute einigermaßen entspannen.
Dabei hatte alles gut geklappt. Der Wecker klingelte zum richtigen Zeitpunkt, ich war freudestrahlend und trällernd aus dem Bett gehüpft, was mir einen strafenden Blick von Alan, meinem Mann, einbrachte. Er hatte am Vortag mit ein paar Freunden den Vatertag gefeiert und schien heute Morgen unter leichten Kopfschmerzen zu leiden. „Wie kannst du am frühen Morgen schon so gut gelaunt sein“, murmelte er mit leidendem Gesichtsausdruck.
Ich strahlte ihn an. „Ich freue mich einfach, dass es endlich einmal geklappt hat, dich auf eine Chinareise zu begleiten. Ich bin schon ganz gespannt auf Land und Leute. Übrigens bist du an deinem Brummschädel selbst schuld. Also stell dich bloß nicht so an.“
Alans schlurfte brummelnd in Richtung Badzimmer und schloss vernehmlich die Tür hinter sich.
Beim späteren Frühstück zeigte sich mein kopfschmerzgeplagter Mann bereits wesentlich besser gelaunt. „Wie du ja weißt, fliegen wir von Münster aus nach Paris und weiter nach Shanghai. Von dort aus werden wir einen Abstecher nach Hebi machen. Das liegt in der Provinz Henan. Anschließend geht es zurück nach Shanghai und dann nach Peking. Ich hoffe es klappt alles so, wie ich es geplant habe, denn einige meiner Termine stehen noch nicht hundertprozentig fest.“
„Und du sagst, dass jetzt das Wetter dort angenehm ist?“, fragte ich noch einmal nach.
„Ja, klar, Shanghai liegt auf demselben Breitengrad wie Kairo oder wie New Orleans, bloß dass das Klima dort eher subtropisch ist. Jetzt im Mai ist es bei 25 Grad recht erträglich. Die Sommer sind einfach nur schwül und heiß, während es im Winter feucht ist und ekelig kalt, zumal es nicht überall Heizungen gibt. Peking liegt auf der Höhe von Rom, aber dort bin ich noch nicht zu allen Jahreszeiten gewesen.“
Ich kam nicht mehr zu einer Antwort, denn unser Sohn kündigte sich, wie gewohnt, durch lang anhaltendes Türklingeln an. Er hatte sich bereiterklärt, uns nach Münster zu chauffieren.
*2*
Nun saßen wir im Flieger in Richtung Shanghai und ich schaute interessiert durch das Bullauge beim Einladen des Gepäcks zu. Doch was war das? Mein Koffer wurde abgeladen, gescannt und wieder auf den kleinen Laster gehievt, der das Gepäck gebracht hatte.
Fassungslos stupste ich meine bessere Hälfte an: „Schatz, schau doch mal, die laden meinen Koffer wieder auf den Anhänger!“
Inzwischen hatte sich der Kleinlaster in Bewegung gesetzt, mit meinem Koffer auf der Ladefläche. Fassungslos und mit offenem Mund wies ich auf das sich entfernende Fahrzeug. Alarmiert schaute Alan aus dem Fenster, sprang auf und stürmte in den vorderen Teil der Maschine. Wenig später erschien er mit einem gelangweilten Steward im Schlepptau, der nach einer längeren Debatte zu verstehen schien, dass sich mein Gepäck auf dem Weg nach irgendwo befand. Er griff sich die Gepäckabschnitte und spurtete in Richtung Ausgang, um einige Zeit später atemlos wieder zu erscheinen. Er hatte den Koffer gerettet!
Alan lehnte sich zufrieden zurück. „Das wäre geregelt!“
Ich schaute ihn zweifelnd an. „Ja, mein Koffer ist im Flieger, aber deinen Koffer habe ich gar nicht gesehen, ich fürchte der ist auf dem Weg nach Timbuktu.“
Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee weckte mich auf, ich blinzelte vorsichtig. Alan lächelte mich an. „Augen auf, du Schlafmütze, gleich gibt es Frühstück und dann landen wir. Du hast tatsächlich den ganzen Flug verschlafen.“
Sofort war ich hellwach und schaute gespannt aus dem Flugzeugfenster, sah aber nur Wolken.
Ein freundlicher Steward servierte uns Kaffee und fragte nach unseren Wünschen. So verging die Zeit bis zur Landung wie im Flug.
Die Passagiere machten sich bereit, um das Flugzeug zu verlassen, doch bevor das allgemeine Ausstiegschaos entstehen konnte, knisterten die Lautsprecher:
„Meine Damen und Herren, wir bitten sie auf ihren Plätzen sitzen zu bleiben, sie werden in Kürze gesundheitlich untersucht. Wir bitten dringend um ihre Kooperation“, lautete die Durchsage.
Sofort band sich ein arabisch aussehender Mitreisender seine Schlafmaske wie einen Mundschutz um Mund und Nase. Er hatte wohl etwas gründlich falsch verstanden. Alarmiert schaute ich Alan an, doch der zuckte mit den Schultern. „Du bist jetzt in China, am besten wird es sein, wenn du dich über gar nichts mehr wunderst.“
Einige weiß bekleidete Männlein betraten das Flugzeug, die mit einer pistolenähnlichen Apparatur bewaffnet waren. Beim genauen Hinsehen stelle sich heraus, dass sie einen Schutzanzug inklusive der dazugehörigen Schutzbrille und eines Schutzes über Mund und Nase trugen. Drohend hielt einer von ihnen dem ihnen am nächsten sitzenden Passagier die Pistole vor die Stirn und befahlen im strengen Ton: „Close your eyes!“
Der völlig verschreckte ältere Herr wurde leichenblass, fügte sich aber ergeben in sein Schicksal. Seine Gedanken waren ihm am Gesicht abzulesen: Er hatte mit seinem Leben abgeschlossen. Das Flugzeug war von einer Todesschwadron gekapert worden und er würde das erste Opfer sein. Er schloss die Augen, nur um sie gleich wieder verblüfft aufzureißen. Aus der vermeintlichen Pistole war ein Lichtstrahl auf seine Stirn geschossen worden, um seine Körpertemperatur zu scannen. Das nun gar nicht mehr so gefährlich aussehende Männchen in Weiß grinste, so weit man das unter der Vermummung erkennen konnte. „Ready, you are clean!“ Mit diesen Worten wandte er sich dem nächsten Opfer zu und knurrte drohend: „Close your eyes!“
Alan grinste: „Die Chinesen haben eine unglaubliche Angst vor Krankheiten, und seit es die Vogel/Schweine/Viechergrippe gibt, geht hier die Post ab.“
„Ja aber was passiert, wenn wirklich jemand Temperatur hat und das auch festgestellt wird?“ „Dann, meine Liebe, werden wir die nächste Woche in dem Hangar verbringen, in den der komplette Flieger geschoben wird!“
Die chinesischen Seuchenbeauftragten arbeiteten sich derweilen durch die Sitzreihen und maßen bei jedem Passagier die Temperatur, was einige Zeit in Anspruch nahm. Zu unserem Glück hatte niemand eine erhöhte Körpertemperatur, sodass die Prozedur ergebnislos beendet wurde. Mit einiger Verzögerung ging es anschließend in den Flughafen und zu den Gepäckbändern, wo wir erleichtert feststellten, dass unsere beiden Koffer sicher angekommen waren.
„So, dann wollen wir mal“, meinte Alan und winkte routiniert nach einem Taxi. „Wie ich schon sagte; wundere dich über nichts und schau am besten gar nicht auf die Fahrbahn.“
Sobald das Taxi losgefahren war, wurde mir schlagartig klar, was er mit seinem rätselhaften Ratschlag gemeint hatte. Bislang hatte ich die Fahrkünste aller südländischen Bus- und Taxifahrer mit einem Lächeln überstanden, nun klammerte ich mich am Vordersitz fest, denn dieser Taxifahrer schlug seine ausländischen Kollegen um Längen. Er hielt sich an keinerlei Geschwindigkeitsbegrenzung, wechselte willkürlich und blitzartig die Fahrbahn, wobei er die Funktion des Blinkers scheinbar nicht kannte. Naja, vielleicht hatte das Fahrzeug auch gar keinen Blinker, eine Hupe hatte es auf alle Fälle, denn nach einigen Kilometern musste man vermuten, dass der Fahrer sein Auto nicht nach Motorstärke, sondern nach Lautstärke der Hupe ausgesucht hatte.
Plötzlich fluchte der ansonsten eher schweigsame Taxifahrer lautstark, und während er ein riskantes Ausweichmanöver ausführte, gelang es ihm tatsächlich noch, die geballte Faust drohend aus dem Fenster zu recken.
Der Stein des Anstoßes war ein Radfahrer, der mit einer kompletten Kühltruhe, die er irgendwie an seinem Drahtesel befestigt hatte, auf unser Taxi zu radelte. Offensichtlich war er auf die falsche Fahrbahn geraten, hatte das aber noch nicht bemerkt. Ich hatte einen Augenblick vergessen zu atmen und schnappte jetzt nach Luft.
„Keine Panik, wir sind fast am Hotel“, grinste Alan mich an.
*3*
Am nächsten Morgen ging es mit dem Flieger weiter nach Hebi.