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Mein Name ist Wilbur Whitley. Ich bin einundzwanzig, und ich hasse meinen Pa. Er hat unsere Familie verlassen, als ich sechs war, und nun sattle ich meinen Wallach Rynestone, um ihn zu suchen. Und wenn ich ihn finde, schlage ich ihm die Schnauze zu Brei, denn er hat unsere Ma und uns Kinder im Stich gelassen. Das werde ich ihm nie vergeben. Auch wenn er einen Auftrag für mich hat, der insgesamt achttausend Dollar einbringt, werde ich ihm nicht vergeben. Und ich werde niemals gemeinsam mit ihm losziehen, um einen Banditenboss zu schnappen, der so viel Geld wert ist. Denn, wie gesagt, ich werde ihm die Fresse polieren. Also nimm dich in Acht, Truesdale Whitley, dass nicht eines samstagsnachmittags ein Junge von 21 Jahren bei dir im Hof steht!
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Seitenzahl: 154
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Zieh, Bruder!
Westernroman
von Logan Kenison
Das Buch
Mein Name ist Wilbur Whitley. Ich bin einundzwanzig, und ich hasse meinen Pa. Er hat unsere Familie verlassen, als ich sechs war, und nun sattle ich meinen Wallach Rynestone, um ihn zu suchen. Und wenn ich ihn finde, schlage ich ihm die Schnauze zu Brei, denn er hat unsere Ma und uns Kinder im Stich gelassen. Das werde ich ihm nie vergeben. Auch wenn er einen Auftrag für mich hat, der insgesamt achttausend Dollar einbringt, werde ich ihm nicht vergeben. Und ich werde niemals gemeinsam mit ihm losziehen, um einen Banditenboss zu schnappen, der so viel Geld wert ist. Denn, wie gesagt, ich werde ihm die Fresse polieren. Also nimm dich in Acht, Truesdale Whitley, dass nicht eines samstagsnachmittags ein Junge von 21 Jahren bei dir im Hof steht!
Der Autor
Logan Kenison (vormals Joe Tyler) ist Autor von Western-, Abenteuer- und Spacegeschichten. Neben seinen Western, die er mit Leidenschaft verfasst, schreibt er seit 2018 die Reihe Spacewestern.
Inhalt
Impressum
Zieh, Bruder! (Roman)
Weitere Titel von Logan Kenison
Ungekürzte Erstausgabe 09/2018
Copyright © 2019 by Logan Kenison
Lektorat: Carola Lee-Altrichter
Das Cover wurde gestaltet nach einem Motiv des Films "Der letzte Ritt nach Santa Cruz" (Deutschland, 1964). Im Handel auf DVD erhältlich. Mit freundlicher Genehmigung von www.filmjuwelen.de
Abdruck auch auszugsweise nur mit Genehmigung des Verlags oder Autors.
Zieh, Bruder!
Westernroman
von Logan Kenison
Unser Pa war ein geiler Bock, der mit vier Frauen siebzehn Kinder gezeugt hatte – und das waren nur die, die das erste Lebensjahr überstanden hatten; wie viele bei der Geburt oder im Kindbett gestorben waren, weiß ich nicht, daher kann ich dazu keine Angaben machen.
Dass ich noch zehn Halbgeschwister hatte, gestand er mir im Suff eines Samstagabends, als wir zusammen in seiner schäbigen Waldhütte in der Grizzly Bear Range unter gewaltigen dunklen Oregon-Pinien hockten, Karten spielten und seine letzten Bierreserven vertilgten. Ich war in dieser Woche einundzwanzig geworden, hatte ihn besucht und mich bei ihm aufgehalten, und da hatte er wohl den Eindruck gewonnen, dass ich, da ich ja jetzt volljährig war und als Erwachsener und außerdem als Vernünftigster der Whitley-Söhne galt, die Wahrheit ertragen könne und sie daher wissen solle.
Meine Ma, die einzige Frau, die er je geheiratet hatte, hatte ihm vier Jungs und drei Mädchen geboren. Er hat uns stets »meine Familie« genannt. Wie er die anderen Frauen und Kinder bezeichnete, ist mir nicht bekannt, aber inzwischen zweifle ich daran, dass er uns wirklich für »seine Familie« gehalten hatte, denn dann hätte er Ma und uns Kinder nicht verlassen, oder er hätte uns zumindest hin und wieder ein paar Dollars zukommen lassen, um uns ein Auskommen zu sichern. Aber nein, wir hatten selbst für alles sorgen müssen, und ich erinnere mich an unsere Ma nur als eine ausgezehrte, schwer schuftende Frau, die bis spät in die Nacht hinein für andere Familien nähte, um uns die allernotwendigsten Lebensmittel kaufen zu können. Von Luxus, einem Bonbon oder einer Zuckerstange hin und wieder konnte gar keine Rede sein; schon gar nicht von neuen Kleidern, denn wir trugen immer nur auf, woraus der Vorgänger herausgewachsen war.
Um der Wahrheit ins entzündete Auge zu sehen: Wir waren wohl nichts weiter als eine Zwischenstation für ihn gewesen – selbst wenn diese mehrere Jahre gedauert hatte –, nach Velma Lang, und bevor er zu Lydia Hancock weitergezogen war; und das hatte er getan, als er von unserer Ma die Schnauze vollgehabt hatte.
So habe ich mir das jedenfalls zusammengereimt, und ich glaube nicht, dass ich damit falsch liege.
Und als ich damals, im Alter von einundzwanzig, aufbrach, um nach meinem Pa in der Grizzly Bear Range zu suchen, geschah das, um ihm gehörig die Schnauze zu polieren, um ihn zusammenzuschlagen und ihm dann, wenn er am Boden lag und ich mit dem Stiefel auf seiner Brust stand, mitzuteilen, was ich von ihm hielt.
Dass alles ganz anders kam, hatte ich nicht erwartet.
Ich hatte seine Hütte schließlich an einem dunklen Hang gefunden, der früh am Nachmittag bereits in die tiefen Schatten hoher Nadelbäume des gegenüberliegenden Bergrückens getaucht wurde. Ich ritt vor die Bruchbude hin, verhielt auf dem kleinen kiesigen Platz davor und rief nach ihm. Die Tür schwang auf, und ein hagerer, beinahe spindeldürrer und ziemlich abgerissener Typ erschien. Sein Haar war grau, lang und ungekämmt und stand von dem runden Kopf mit Halbglatze ab. Die Augen glotzten unter buschigen Brauen hervor, die Hosenbeine starrten vor Dreck, und das Unterhemd, in dem er ungeniert vor mich trat, war schmutzig und zerrissen.
Ich frage mich, wie dieser verlotterte alte Sack vier Frauen hatte bezirzen können, sodass sie ihn ranließen, siebzehn Kinder zu machen. Wie, zum Teufel, hatte er dies geschafft? Was war seine Masche?
Ich hatte meinen Pa zuletzt im Alter von sechs Jahren gesehen, und da hatte er sehr viel mehr hergemacht. Er war rasiert, pfiff des Öfteren ein fröhliches Liedchen, trug stets ein Grinsen auf den Lippen und einen verschmitzten Zug um die Augen, die einen anzulachen schienen. Oh yeah, er war ein adretter Kerl gewesen und steckte in sauberer, gebügelter Kleidung, für die nicht zuletzt unsere Ma verantwortlich zeichnete, deshalb war immer alles tiptop in Ordnung gewesen.
Das hatte sich nun drastisch geändert. Und zu dem ganzen verhärmten, verwahrlosten Zustand kamen noch Haarausfall und jede Menge tiefe Falten, die ihn zu einem alten Knacker machten, der sein Leben längst nicht mehr im Griff hatte.
»Bist du Truesdale Whitley?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte, aber irgendwie musste man ein Gespräch ja beginnen.
»Der bin ich. Und jetzt sag mir schnell, wer du bist, und ob du mit friedlichen Absichten kommst oder ich meine Kanone aus dem Haus holen muss.«
»Dazu wirst du keine Gelegenheit mehr bekommen, du alte Saufnase«, erwiderte ich boshaft.
»Ah, jetzt erkenne ich dich. Du bist John. Mein Sohn John.«
»Falsch geraten.«
»Dann bist du William.«
»Du bist jedenfalls in der richtigen Familie, alter Mann.«
»Wer bist du dann?«
»Der Dritte deiner Whitley-Söhne: Wilbur.«
»Oh verdammt! Ja leck’ mich einer am Arsch. Bist du groß geworden! Ja, ich erkenne dich. Wilbur. Ein Prachtbursche ist aus dir geworden. Hochgewachsen, breite Schultern, kantiges Kinn. Und dein Haar … solch ein Haar hatte ich auch mal, voll und schön. Komm rein, Junge, ich mach dir was zu essen, dann setzen wir uns hin und plaudern. Ist schon lange her, dass ich von euch was gehört habe.«
»Woran nicht wir schuld sind«, blaffte ich und hoffte, dass es ihm einen Stich versetzte.
»Wenn du damit meinst, dass ich ein mieser Vater bin, dann hast du ganz recht. Oh verdammt, ich weiß doch ganz genau, dass du damit recht hast, Wilbur! Freut mich, dich zu sehen. Aber komm doch, steige ab, gib deinem Pferd zu trinken, hinterm Haus verläuft ein kleines Bächlein. Und dann komm rein. Ich werfe bis dahin ein paar frische Eier und etwas gewürfelten Speck in die Pfanne. Ich habe auch noch Brot und Cheddar da. Du kannst es dir aussuchen.« Sein Blick fiel auf meine Rechte, die auf dem Kolben meines Peacemakers Kaliber .45 ruhte. »Die Waffe brauchst du nicht. Außer mir ist niemand da. Bin ganz allein. Seit Tagen schon.«
Ich hatte als Begrüßung vom Pferd springen und ihm die Faust ins Gesicht rammen wollen. Aber nachdem er mich jetzt beinahe nett willkommen hieß, konnte ich das nicht mehr. Mein Ärger war zwar nicht völlig verraucht, aber auf ein niedrigeres Level gesunken, und er schien sich wirklich zu freuen, mich zu sehen. Also stieg ich ab, führte das Pferd zum Saufen hinters Haus und trat dann in die Hütte. Ich wollte abwarten, worauf das alles hinauslief, und behielt mir vor, dem Alten später die Fresse zu polieren – wenn es denn notwendig werden würde.
*
»Ich bin jetzt fünfundfünfzig«, sagte er.
»So? Du siehst aus wie zwischen achtzig und scheintot.«
»Hehe. Danke. Ja, ich weiß, ich weiß. Die Zeit hat mich nicht sehr gut behandelt. Deine Ma … Deindra … wie geht’s ihr?«
»Sie ist tot.«
»Oh, verdammt!«
»Sie starb letzten Herbst. Mit neunundvierzig. Ihr schmächtiger Körper fiel einfach um. Herzinfarkt, sagte der Arzt.«
»Oh verdammt. Sie war noch jung. Neunundvierzig ist doch kein Alter.«
»Ihr Herz hatte einfach nicht mehr gewollt.«
»Verdammte Scheiße.«
»Weißt du, ich denke, vieles wäre anders gekommen, wenn du uns damals nicht im Stich gelassen hättest. Ma könnte noch leben, und du hättest jetzt sauber geschnittenes Haar und gebügelte Hosen. Gemeinsam hätten wir so viel mehr schaffen können. Auch du. Und du würdest jetzt bestimmt nicht in so einer windschiefen Bruchbude hausen, du hättest eine Familie, die sich um dich kümmerte.«
»Ich weiß. Ich weiß doch, Wil. Tut mir leid. Ich habe Deindra immer geliebt. Ich…«
»Hör bloß auf mit diesen Sprüchen, alter Mann. Die kannst du dir schenken. Gieß mir lieben reinen Wein ein. Ich bin auch ein Kerl, ich weiß, was es mit den Weibern auf sich hat. Sag mir lieber, was los war, und sag mir die Wahrheit. Dann überlege ich es mir vielleicht nochmal, und schlage dir die Schnauze nicht zu Brei.«
»Ich verstehe, dass du eine große Wut in dir hast, Willard.«
»Wilbur, zum Teufel noch mal! Du kannst dir nicht mal den Namen deines Sohnes merken.«
»Alles klar, Wilbur. Reg dich nicht auf. Ich werd dir alles erzählen, auch wenn es keine Ruhmesgeschichte ist. Aber vielleicht ist es gut, wenn ich endlich einmal reinen Tisch mache, und dass ich es dir gegenüber mache.«
»Dann leg los.«
»Nun ja, ich lernte deine Ma … Deindra Locke … auf dem Tanzvergnügen der Rinderzüchtervereinigung in Bolton kennen. Sie schwang eine kesse Sohle, und ich war hin und weg von ihr. Ich war mit Velma Lang zusammen, aber die lag mir in letzter Zeit mit allem möglichem Scheiß in den Ohren. Ich solle das Dach neu decken, das Feld pflügen, die Tiere beschlagen … all so’n Scheiß. Hat mir gar keine Ruhe mehr gegönnt. Da hab ich mich verabschiedet und bin gegangen. Ich machte Deindra den Hof, und sie hat mich erhört. Sie war ein prächtiges Girl, kann ich dir sagen, das prächtigste Girl im Araho-Valley.«
»Ihr Unglück war, dass sie dich getroffen hat.«
»Na ja, wie man’s nimmt. Wir waren glücklich … ein paar Jahre lang wirklich glücklich, Wil.«
»Und dann?«
»Und dann? Glaubst du, ich bin eines nachts bei Nebel auf und davon? Nein! Ich habe mit ihr gesprochen. Ich habe deiner Mutter alles erzählt, bevor ich gegangen bin.«
»Was erzählt?«
»Die Sache mit dem Blut.«
»Welches Blut?«
»Mit meinem Blut. Frag doch nicht so blöd. Mein Blut. Mein verdammtes Blut!«
»Ich versteh gar nichts mehr.«
»Mein Blut … es ist rastlos. Ich hab’s ihr erzählt. Schon vor der Heirat. Sonst hätte ich sie doch niemals geehelicht. Sie hatte Verständnis für so vieles, auch für mein Blut. In meinen Adern fließt rastloses Blut, Junge. Ich kann nirgendwo lange sein. Bei deiner Mutter habe ich es immerhin acht Jahre ausgehalten.«
»Soll das heißen…«
»Dass sie gewusst hat, dass ich es nirgends aushalte. Ja. Und sie hat mich gehen lassen. Sie hat mir Geld mitgegeben und ein frisches Hemd, das sie für mich für genau diesen Tag genäht hatte.«
»Du lügst doch.«
»Nein. Es ist die Wahrheit. Deindra war eine Frau, wie ein Mann sie nur ein einziges Mal in seinem Leben findet, manche finden überhaupt nie eine. Sie war verständnisvoll und hat meine Zwangslage berücksichtigt. Sie wusste, dass ich verrückt werden würde, bliebe ich noch länger auf der Farm. Also schnürte sie mir das Säckel, gab mir ein Hemd und ein paar Dollar mit und schickte mich fort. Es ist mein rastloses Blut, Junge, das mich forttreibt. Ich kann nichts dafür. Ich bin eben so.«
»Und nach meiner Ma direkt in die Arme einer anderen«, konnte ich mich nicht zurückhalten anzumerken.
»Aber nein! Ich kannte Lydia Hancock nicht, als ich von euch fortging. Ich lernte sie erst ein Jahr später in Charlottesville kennen. Und dann, noch später, Elaine Gladsbury – aber das ist eine andere Geschichte. Ich habe deine Ma nicht wegen einer anderen verlassen, Wil. Das schwöre ich dir!«
»Sie hat nie schlecht über dich gesprochen«, räumte ich ein.
»So kannte ich sie. Ich meinte es ehrlich, als ich sagte, ich habe sie geliebt. Und ich liebe sie heute noch. Sie bedeutete mir das allermeiste.«
»Und die andern? Die hast du nicht geliebt?«
»Nun ja … nicht so, wie ich deine Mutter liebte, Wil.«
»Ich kannte sie in späteren Jahren nur noch als abgearbeitet und ausgezehrt. Sie war fix und fertig von der jahrelangen Plackerei.«
»Habt ihr Jungs und Mädels ihr denn nicht geholfen?« Er klang sehr vorwurfsvoll und beinahe entsetzt.
»Natürlich. Aber die Farm warf kaum etwas ab. Das Land war wohl schlecht gewählt, es wuchs nicht viel. Jede Menge Hitze und Trockenheit, wenig Schatten, wenig Wasser. Sie verdiente mehr, wenn sie nähte. Und sie saß oft nächtelang über einem Kleid oder einem Hemd, das sie für die Nachbarn machte.«
»Teufel!«
»Ja, zum Teufel damit! Sie hatte kein schönes Leben.«
»Aber ich doch auch nicht, Wil. Ich lebte nicht in Saus und Braus, wie du und deine Geschwister euch das vielleicht vorgestellt habt. Mein wildes Blut trieb mich hierhin und dorthin, nirgendwo blieb ich lange genug, um etwas aufbauen zu können. Ich verfluche mich selbst. Etwas anderes kann ich nicht tun. Ich konnte einfach nirgendwo sesshaft werden – verstehst du das nicht? Deine Mutter hat wirklich versucht, mir ein liebevolles Heim zu gestalten. Es lag nicht an ihr. Als sie merkte, dass ich allzu unglücklich wurde, schickte sie mich fort, und für mich war es der einzige Weg. Sonst wäre ich nicht gegangen. Das kannst du mir glauben, Wil. Kein Mann würde eine Familie wie euch zurücklassen. Es war mein rastloses Blut. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.«
Was der alte Mann da sagte, gab mir wirklich reichlich zu denken. War es wahr? Oder war es die ausgefeimteste Lügengeschichte, die sich je ein Mistkerl ausgedacht hatte? Ich wusste es nicht. Aber ich wusste, dass Ma nie schlecht über ihn gesprochen hatte. Als mein Bruder John einmal über meinen Pa hergezogen war, hatte sie geschimpft und verlangt, das Thema zu wechseln. Als William aufbrechen wollte, um den Alten zu suchen, hatte sie es ihm verboten. In ihrer Gegenwart dufte man nicht schlecht über den Mann sprechen, der sie (und uns) verlassen hatte. Und ich bin mir sicher, dass sie mir die Suche nach ihm ebenfalls verboten hätte, wenn sie noch am Leben gewesen wäre.
Es schien, als wusste sie etwas, das uns unbekannt war.
War es sein rastloses Blut?
Hatte sie so viel Verständnis dafür aufbringen können?
Wie auch immer, wir soffen an diesem Abend Pas Biervorräte leer, weil wir am nächsten Tag nicht in die Kirche gehen mussten, denn hier in der Grizzly Bear Range gab es keine Kirche, und bis zur nächsten Stadt waren es mindestens sechsundvierzig Meilen.
Und als wir in dieser Nacht draußen im hohen Gras unter den großen dunklen Oregon-Pinien nebeneinanderstanden, und unser Pissstrahl in die Finsternis hinausprasselte, da sagte er:
»Weißt du was, Wil, jetzt, da wir uns kennen, könnten wir uns eigentlich zusammentun. Ich hätte dir ein Geschäft vorzuschlagen, das uns eine Menge Kohle einbringen kann.«
Ich wusste noch nicht so recht, was ich von ihm halten sollte, und antwortete eher verhalten.
Er fuhr unbeirrt fort: »Ich habe den Peacemaker in deinem Holster gesehen. Du kannst doch damit umgehen, oder?«
»Geht so.«
»Was soll das heißen? Kannst du schießen oder nicht? Triffst du einen Kerl, der zehn Schritte vor dir steht oder nicht?«
»Zehn Schritte sind selbst für einen Meisterschützen schwer, das weißt du genau! Die Kugeln machen einen Bogen, sausen hierhin und dorthin, selbst wenn die Mündung genau aufs Ziel ausgerichtet war.«
(Gezogene Läufe waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfunden, daher benutzte man für Fernschüsse besser Gewehre.)
»Willst du, dass ich jemanden zum Duell fordere, oder was?«, fragte ich.
»Nun, wenn du’s schon so direkt ansprichst…«
»Ein Duell also.«
»Schaffst du das? Ich will bloß wissen, auf welchem Level du mit deiner Kanone bist, das ist alles.«
»Ich hab’s dir ja schon gesagt. Es geht so.«
»Das sagt mir gar nichts. Triffst du auf zehn Schritt?«
»Vielleicht. Acht wären besser. Wie ich schon sagte, es liegt an der Kanone, nicht am Schützen.«
»Warum nimmst du keinen 44er Walker? Die haben längere Läufe.«
»Die sind mir zu schwer. Verdammt, was willst du eigentlich von mir? Sag’s endlich.«
»Nun ja, lass uns reingehen, Wil. Ich erzähle dir drinnen alles. Okay?«
Ich stimmte zu, und wir gingen rein. Er trieb noch ein paar Flaschen Bier auf, die er am Nachmittag zur Kühlung in den Creek gestellt und danach vergessen hatte, und wir begannen, uns auch um diese Flaschen zu kümmern. Dann trat er wie ein Dieb an den Küchenschrank, den er irgendwie selbst gezimmert hatte, öffnete verstohlen die Tür einen Spalt breit, und ließ mich einen Blick auf die Whiskyflasche werfen, die er dort noch bereit hatte.
»Die nehmen wir uns vor, wenn wir mit dem Bier fertig sind«, verkündete er.
Aber mir kreiselte schon alles vor Augen, und ich winkte ab.
»Kannst du mir endlich sagen, was du von mir erwartest, alter Mann?«
Er starrte mich kurz an, dann sagte er unvermittelt:
»Würde es dich umbringen, wenn du mich Pa nenntest?«
Ich war wie vor den Kopf gestoßen und knurrte abweisend.
»Für die große familiäre Verbrüderung kenne ich dich noch nicht gut genug«, sagte ich. »Ich habe dich fünfzehn Jahre nicht gesehen. Aber … ich könnte dich Dale nennen.«
»Dale?«
»Ja. Die Kurzform von Truesdale.«
Truesdale war ein sperriger Name, der einem, wenn man ihn aussprach, quer im Mund lag. Sowas mögen wir hier im Westen nicht, daher kürzen wir alles, was uns zu lang erscheint, ab. True (wahr) wollte ich ihn nicht nennen, und Dale hatte eine Nähe zu Tale (Geschichte), und da ich immer noch nicht wusste, ob es wahr war, was er mir erzählt hatte, oder nur eine wild erfundene Geschichte, gefiel mir Dale damals ganz gut.
»Ich werde dich Dale nennen«, beschloss ich.
»Ich denke, ich muss nehmen, was ich kriegen kann«, sagte er. »Dale ist auf jeden Fall besser als ›alter Mann‹.« Er schien sich damit abzufinden, dass ich ihn vorerst nicht Pa nennen würde.
»Na gut, Daale« … ich dehnte den Namen in die Länge … »in welche Sache willst du mich da hineinziehen?«
»Kommt drauf an, ob du mit dem Schießeisen umgehen kannst, Junge. Wenn nicht, kann ich dich nicht gebrauchen. Dann macht es keinen Sinn, wenn wir auch nur ein Wort darüber verlieren. Also frage ich dich zum letzten Mal: Wie gut bist du?«
Ich seufzte. Um die Frage kam ich wohl nicht herum.