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2-Kenia-Romane Kenias rote Sonne Evas bisher schöne Kindheit ändert sich schlagartig, als das sechsjährige Mädchen bei einem Unfall die Eltern verliert. Sie wächst einige Jahre bei der Großmutter und einer Tante auf, erlebt dort die ersten Schikanen. Dann heiratet ihre Tante und holt das elfjährige Kind nach Hamburg. Für sie beginnt nun ein unvorstellbar grausames Leben, bis sie sich vier Jahre darauf folgend allein daraus befreit, da sie von keiner Seite Hilfe erhält. Sie flieht nach Kenia, nimmt ihren zweiten Vornamen, Julia an, bekommt eine Stellung als Au-pair-Mädchen, aber die Vergangenheit holt sie zehn Jahre später ein. Arm, chaotisch, krisengeschüttelt - die Assoziationen zu Afrika beziehen sich meist auf eine Negativwahrnehmung des Kontinents als Ganzes. Daneben werden noch die Urlaubsregionen als Positivwahrnehmungen registriert. Tierherden, die über das Land wandern, weiße Strände und kristallklares Wasser. Afrika ist dagegen so viel mehr und oft ein verkannter Teil der Erde. Besonders Kenia ist für die junge Frau so viel mehr, so vielfältig, vielgesichtig und wunderschön. Sterne über Kenia Die Geschichte einer Frau, die einen lang ersehnten Traum von einem Leben in Afrika verwirklichen möchte. Die geheimnisvolle, exotische, farbenprächtige Kulisse von Kenia dient als Hintergrund zu diesem Roman. Nach ihrer Scheidung beschließt die Chirurgin Katrin Labert einen Neuanfang in einem Hospital in Nairobi. Ihr 16-jähriger Sohn ist begeistert von der Lebensform in der neuen Wahlheimat. Aller Anfang ist schwer. Sie fühlt sich einsam und zu wenig beachtet. Sie missgönnt anderen Menschen ihr Glück, ihre Zufriedenheit und ihre Erfolge. Sie will genau das. Aber sie legt sich kräftig ins Zeug, will allen zeigen, wie gut gerade deutsche Ärzte ausgebildet sind. Sie spinnt ein Netz aus Intrigen und Lügen nicht nur, um ihr eigenes Image aufzubessern, auch um mehr Macht und Ansehen zu erlangen. Eines Tages wird Katrin von Männern der radikalen al-Shabaab-Terrororganisation entführt. Nun lernt sie die grausame und brutale Welt des Terrors kennen. Sie wagt nach Wochen des Bangens, der Angst die Flucht aus einem fast menschenleeren Gebiet in Somalia.
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Angelika Friedemann
2-Kenia-Romane
Kenias rote Sonne
Sterne über Kenia
Impressum
Copyright: © 2023. ISBN: 9783751980005. Alle Rechte am Werk liegen beim Autor: Angelika Friedemann, Herrengasse 20, Meinisberg,ch, [email protected]
Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mithilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten.
Picture piqs.de, Titel: Safari
Kenias rOte Sonne
*
Julia sang vor sich hin, während sie in der Küche die Perlhühner zerteilte, diese mit Pfeffer und Salz würzte, mit Mehl bestäubte. Die Stücke legte sie in den Bräter. Es zischte und heißes Fett spritzte auf.
„Mamaye, wie lange dauert das? Du bist ja immer noch nich fertig.“
Sie grinste zu ihrer Tochter Mia hinunter, die sie zornig anblickte. Die Stupsnase hatte sie leicht in die Höhe gezogen, die grünen Augen blitzten.
„Es ist eine Stunde Zeit. Die kanga brutzeln und ich komme gleich, da ich die Blumen einbuddeln möchte.“
„Kann ich ja anfangen.“
„Mach das, so vergeht die Zeit schneller.“
„Safi!“ Das Mädchen rannte mit wehenden Haaren hinaus und sie widmete sich dem Fleisch. Alles war angebraten, sie goss die Brühe dazu, stellte die Temperatur niedriger, legte den Deckel darauf, damit es schmoren konnte. Genüsslich trank sie einen Schluck Rotwein, stellte ihr Glas auf den Tisch im Esszimmer, wo bereits für den Besuch gedeckt war.
Heute gab es eine kleine Feier. Einmal war sie genau vor zehn Jahren nach Kenia gekommen, aber das Wichtigere war, das sie dieses kleine Haus ihr Eigen nennen konnte. Vor wenigen Tagen war die Bestätigung eingetroffen. All die Jahre hatte sie jeden Shilingi, für die Abbezahlung des Hauses verwendet. Nun gehörte es ihr: Julia Börensen, Kenianerin, mit eigenem Laden in einer der Lodges, dazu eine kleine Werkstatt, alles in der Traumstadt Malindi, fast direkt am Indischen Ozean.
Sie sah sich um, auch mit einem gewissen Stolz. Ja, sie hatte es geschafft.
Das fünfzehnjährige deutsche Mädchen hatte sich einen Traum erfüllt, sich ein neues Leben aufgebaut, allein, nur mit ihrer Hände Arbeit und durch das Vertrauen ihrer Freunde.
Es gab zwei Schlafzimmer, ein stattliches Bad, ein extra WC, das Kinderzimmer, die Küche mit dem Esszimmer und ein großes Wohnzimmer. Hinter der Küche war ein Anbau, in dem ihre kleine Töpferwerkstatt untergebracht war. Das Ganze lag in einem wunderschön angelegten Garten, welcher zwar nicht immens war, aber Mia als Spielplatz reichte und sie noch Platz für Blumenbeete, Büsche, Sträucher hatte. Das Haus war an zwei Seiten von einer Holzveranda umsäumt, auf der auch bequeme Rattanmöbel standen, genau wie im Wohnzimmer. Vorn am Eingang hatte sie sogar eine Garage. Der gesamte Bau hellgelb gestrichen, mit einem Makuti-Dach, so wie alle Häuser in ihrer Nachbarschaft. Es war ein Traum, wie sie fand. Seit acht Jahren wohnte sie in dem Haus, das damals der Besitzer der Lodge vorfinanziert hatte. Sie hatte hart gearbeitet, damit sie ihm das Geld schnell abbezahlen konnte und es geschafft, trotz allem. Heute wollte sie das mit ihren engsten Freunden feiern. Sie drehte sich voller Freude im Kreis, da sie überglücklich war.
Carol und Brian Sheppard erschienen als Erste, wurden direkt von Mia mit der Frage empfangen. „Wann kommen denn nu Randy und Jane?“
Brian hob den vierjährigen Wirbelwind auf den Arm, lachte. „Noch lange zehn Tage, aber du kannst mich ja besuchen kommen. Vielleicht habe ich ein großes Eis für dich, außerdem sind im Haus ja einige Kinder zum Spielen.“
„Die Pia ist doof und kann nich schwimmen“, erwiderte Mia, „und verstehen tu ich die auch nich.“
„Da sind doch die drei Kinder aus England.“
„Die spielen aber nur zusammen oder die sind unterwegs.“
„Musst du eben zu mir kommen.“ Er stellte sie hinunter, begrüßte Julia.
„Sie ist momentan schlecht gelaunt. Ist blöd, das gerade alle weg sind. Setzt euch.“
„Das riecht ja lecker. Ich habe heute Mittag extra nichts gegessen“, scherzte Carol. „Mia hat mir nämlich verraten, was es gibt.“
„Heute ist mir selbst das egal, dafür bin ich viel zu glücklich und ohne euch hätte ich das nie geschafft.“ Sie umarmte Brian und Carol. „Nochmals danke für alles, auch das ihr permanent an mich geglaubt habt. Das hat seit dem Tod meiner Eltern keiner mehr getan.“
„Wir wussten eben, was in dir steckt“, schmunzelte Brian und tätschelte ihr den Rücken. John Miles kam, brachte ihr eine große Schachtel Pralinen mit, die sie liebte, begrüßte sie mit Küsschen rechts und links. Schon wurde er von Mia in Beschlag genommen, die ihn mit hinaus zerrte. Wenig später trafen Rick und Peggy Smith ein. Auch sie wurden sofort bestürmt und gefragt, wann deren Kinder, die fünfjährige Lynn und der siebenjährige Patrick, zurückkommen würden. Ohne ihre Spielgefährten fand es das Mädchen einfach langweilig.
„Ich hole dich am Donnerstagmorgen ab, da ich Hilfe benötige“, lenkte John sie ab. „Also früh aufstehen, da wir den ganzen Tag draußen sind. Wir haben Touris an Bord, die das erste Mal tauchen gehen.“ Er grinste Julia verschwörerisch an.
Das Essen dehnte sich aus, da man sich unterhielt und lachte. Es geschah selten, nur alle paar Wochen, dass man abends so gemütlich beieinandersaß.
Brian hatte stets eine Menge mit seinem Hotelbetrieb um die Ohren, stand auch am Abend noch manchen, der sehr gut situierten Gäste zur Verfügung. Carol kümmerte sich neben Haushalt und Familie zusätzlich um ihre Boutique. Dasselbe war es bei Peggy und Rick. Er, Tauchlehrer, genauso wie John, kam oftmals erst spät zurück, da nach Ausflügen mit seinem Boot dieses gereinigt werden musste, dass er permanent mit Argusaugen überwachte.
Sie hatten gemeinsam für ihre Kinder tagsüber eine Frau engagiert, die auf diese aufpasste und versorgte. Jetzt allerdings waren die Kinder zu ihren jeweiligen Großeltern gefahren, da Sarah mit ihrem Mann und dem vierjährigen Sohn Frederik, den Urlaub in Nairobi, bei der Schwester, verlebten.
Nachdem ihre Freunde gegangen waren, setzte sie sich auf die Veranda. Sie konnte nicht schlafen. Heute war ein zu glücklicher Tag.
Der Mond stand hoch am Horizont und die Sterne, Millionen schienen es zu sein, glitzerten hell am samtigen Dunkelblau des Himmels. Die Nacht war so still, dass Julia das ferne, leise Murmeln des Ozeans hören konnte, gleichermaßen wie den Schlag ihres Herzens. Sie bewegte ein Gefühl der Freude, des Glücks, aber auch so etwas wie Erwartung. Auf was soll ich warten, grübelte sie, verwarf den Gedanken leicht amüsiert sofort. Der Geruch der weißen Bougainvillea, des dunkelrosa Oleanders und der ausgetrockneten Erde nahm sie auf und irgendwie erschien es ihr, als wenn die warme Nacht mit Magie erfüllt wäre. Es war irgendwie, als wenn ihr jemand etwas zu wispern wollte, aber wahrscheinlich rührte das alles nur von ihrem Glücksgefühl her. Vermutlich würde ich heute sogar Sturm und Regengüsse schön finden, dachte sie belustigt. Trotzdem genoss sie diese verheißungsvollen nächtlichen Töne und das berauschende Odeur.
Ein Hund bellte irgendwo und der unerwartete Klang zerbrach den Bann der schweigenden Nacht und brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie stand auf, schloss die Tür hinter sich ab und wenig später lag sie im Bett, schlief sofort ein.
*
Die Sonne lugte noch zaghaft in das Fenster ihrer Werkstatt und Julia erhob sich, stellte den Krug in das Regal. Sie streckte sich ein wenig, trat hinaus. Der Horizont leuchtete in einem warmen Dottergelb, dazu ein leicht rotstichiges Gelb, Orange und Rot. Wie ein hellroter Ball tauchte sie aus der Nacht auf. Nicht mehr lange und das große Sonnengelb würde heiß und gleißend vom Himmel auf die Erde strahlen. Aus den Bäumen klang ein munteres Gezwitscher, Gezeter, Gepfeife und Trällern zu ihr. Ein angenehmer Duft lag in der Luft. Es roch leicht balsamig nach Oleander, süßlich nach Bougainvilleas, ätherisch nach Zeder. Sie sog mehrmals die frische Luft ein, bevor sie sich dem neuen Tag widmete.
Mit Mia fuhr sie am frühen Morgen zum Laden. Sie trug die Körbe mit dem Tongeschirr in den Laden, räumte schnell die Gegenstände in die Regale.
„Mamaye, ich gehe zum Schwimmbecken.“
„Keine Dummheiten und schön vorsichtig. Nur im Kinderbecken bleiben.“
„Ja, ja, bin kein mtoto mchanga mehr“, schon sauste sie los. Julia schaute ihr lächelnd nach. Sie war ein richtiger Wirbelwind, manchmal ein sehr eigensinniger. Aber darauf war sie stolz. Mia war genauso, wie sie sich ein Kind vorgestellt hatte: aufgeweckt, sehr lebhaft, wissbegierig und mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein.
Sie setzte sich und begann Krüge zu bemalen. Sie zeichnete das so, nie nach festen Vorgaben oder Schablonen. Die Muster ergaben sich, während sie malte. Dadurch sah jedes Stück anders aus. Jedes Teil Handarbeit und ein Unikat. Sie liebte ihre Arbeit. Sie liebte das Töpfern an sich, das Formen von Bechern, Vasen, Schalen, Krügen. Sie liebe das Bemalen und sie liebte es, diese Waren zu verkaufen. Dieses breite Spektrum gefiel ihr. Sie saß nicht nur in ihrer kleinen Töpferei daheim, sondern hatte das Flair einer großen Lodge mit Publikumsverkehr um sich.
Mit Erstaunen betrachtete sie manche der Gäste, die im kurzen Kleid, darunter den obligatorischen Bikini, je nach Vorgaben der Designer mal groß, mal winzig, mal geblümt, mal uni, behangen mit Schmuck, zu ihr kamen. Oftmals ein wenig hochmütig, mit hochgereckter Nase, aber wenn sie die Stücke sahen, begeistert waren und sie darüber ausfragten. Es war vorgekommen, dass Damen eine Vase oder Schale in klein gesehen hatte, folgend so ein Stück in groß in Auftrag gaben. Diese wurden verschickt. Die Kosten waren unerheblich. Für ein Schweizer Ehepaar hatte sie so eine Kollektion Übertöpfe und Vasen gefertigt, die Transportkosten waren fast höher gewesen, als die Herstellungskosten.
Auf der anderen Seite gab es Damen, die das als Plunder und wertlosen Schund abtaten. Julia hatte je Glück, das das seltener vorkam. Es hing teilweise von der Nationalität der Gäste ab. Engländer und Amerikaner kauften weniger, als zum Beispiel Südeuropäer, Araber, Afrikaner.
Jetzt dachte sie aber nicht darüber nach, während sie malte, sondern sie überlegte, wie sie es schaffte, Nora und deren Mann Hans nach Malindi zu bekommen. Bestimmt hundert Mal hatte sie die Freundin ihrer Mutter eingeladen, aber diese hatte nur abgewimmelt. Vielleicht sollte ich mit Brian sprechen, der hatte meistens sehr gute Ideen. Zu gern wollte sie sich bedanken, sie aber auch wiedersehen, sich für alles revanchieren. Aber gerade erst gestern hatte die ältere Dame einmal mehr abgelehnt. „Ach Deern, so eine alte Frau kann nicht einfach nach Afrika reisen. Das ist mir viel zu weit.“
Auch ihr hatte sie es zu verdanken, dass sie töpfern konnte. Als Kind war sie zu der Familie Harms gegangen und Nora hatte ihr gezeigt, wie man es zog, formte, ihr den Umgang mit dem Ton nahe gebracht. Es hat ihr Spaß bereitet, großen Spaß sogar und sie hatte sich im Haus von der Familie Harms wohlgefühlt. Es war wie eine Zufluchtsstätte gewesen.
Eine Kundin lenkte sie ab und sie zeigte ihr einige Keramiken, bis diese den Laden verließ, ohne etwas erworben zu haben. Das passierte öfter, da viele sich umsahen, aber oftmals erst kurz vor der Abreise kauften. Manche stöberten zigmal in dem kleinen Laden herum, bevor sie sich für einen Gegenstand entschieden. Für einige war es ein wenig Unterbrechung zwischen den einzelnen Mahlzeiten und dem Dasein am Pool. Das waren die Leute, die sofort entdeckten, wenn etwas Neues vorhanden war. Julia beobachtete diese Menschen leicht amüsiert, aber sie brachten Leben und Abwechslung in ihren Alltag. Gelegentlich plauderte sie mit ihnen. Manche erzählten ihr einen Teil ihrer Lebensgeschichte, andere wiederum fragten sie über den Ort aus. Wieder andere wollten etwas über sie persönlich wissen. Es gab Leute, die ihr von der bereits erlebten Safari berichteten, daneben gab es welche, die noch davon träumten. Es war eine bunte Menschenvielfalt, aber sie delektierte das.
Als ein jüngerer Mann den Laden betrat, lächelte sie freundlich. Schien ein neuer Gast zu sein. Er schaute die Regale an, aber aus den Augenwinkeln heraus bemerkte sie, wie er sie musterte und seufzte. Sie ahnte, was kommen würde. Das war es, dass sie nicht mochte und, da trat er bereits näher.
„Sie haben ja wunderschöne Sachen. Fertigen Sie so etwas selbst?“
„Ja, Handarbeit“, schmunzelte sie.
„Sehr schön. Wie nennt man so was?“
„Töpfern“, gab sie belustigt von sich.
„Aha!“ Schien etwas unsicher zu sein, registrierte sie erheiternd.
„Sagen Sie, hätten Sie vielleicht Zeit, mit mir heute Mittag zu dinieren? Ich bin allein und würde mich sehr über etwas Gesellschaft freuen.“
„Nein! Ich gehe nie mit Gästen aus, weder Essen noch sonst etwas. Aber danke für die Einladung.“
„Oh, das wusste ich nicht. Möglicherweise können Sie ja einmal eine Ausnahme machen?“ Er blickte sie dabei mit den braunen Augen wie eine Antilope an und sie musste sich ein Kichern verkneifen. „Wir können gern in meiner Suite speisen, wenn Sie es lieber wünschen.“
„Weder noch. Wie gesagt, nie!“
„Schade, Sie gefallen mir gut. Ich dachte, dass wir ein wenig Spaß miteinander haben könnten. Ich bin bestimmt nicht kleinlich.“
„Bestimmt nicht, aber fragen Sie an der Rezeption nach. Die Mitarbeiter haben dort eventuell Telefonnummern von solchen Damen, mit denen können Sie bestimmt viel Spaß haben.“
Etwas verlegen blickte er sie an, grinste. „Diese Art meinte ich nicht, selbst wenn das eben fast so geklungen haben mag. Bei Spaß dachte ich mehr an Reden, einen Barbesuch, ein Ausflug mit einem Segelboot oder so etwas Ähnliches.“
„Auch das nicht und niemals.“
Erleichtert blickte sie zu den fünf Personen hin, die hereinkamen. Zwei der Mädchen stürmten auf sie zu. „Hast du sie fertig?“
„Sie entschuldigen mich“, wandte sie sich an den Mann, drehte sich nach den Kindern um. „Wer von euch wollte welches Tier?“
„Ich den Simba.“
„Ich den Pumba.“
Julia griff nach unten, hielt jeder einen Becher und einen Teller hin, dass eines der Tiere zierte. Das waren fünf Sonderanfertigungen gewesen, da jedes Kind ein bestimmtes Tier darauf haben wollte, damit man es besser auseinanderhalten konnte. „Für dich ist Rafiki.“
Die drei Kinder sahen sich das an und strahlten. Seit der Film der König der Löwen so große Erfolge feierte, tauchten diese Wünsche sehr häufig auf. Da wurden sich Becher, Teller oder Schalen ausgesucht und dann lautete die Bitte, am meisten natürlich, ob man nicht das Löwenkind darauf malen könnte. Die ersten paar Male hatte sie nicht gewusst, wer die Tiere waren, bis ihr ein kleines Kind aus Amerika das Bilderbuch zeigte. Sie hatte der Kleinen und den Eltern ein Tauschgeschäft vorgeschlagen. Sie bekam von ihr eine Schale für die Cornflakes, Julia dafür das Buch. Einige Wochen später hatten ihr Stammkunden ein weiteres Buch, den Film als Videokassette geschickt, sehr zu Freude von Mia. Egal wie alt die Kinder waren, ob eine Ähnlichkeit mit den tierischen Freunden bestand, bemerkten sie sofort. Es waren eben nicht nur ein Löwenkind, ein Warzenschwein oder ein Affe. Davor war es eine Zeit toll gewesen, wenn sie den Vornamen auf die Becher malte, neben einem Tier, das die Kinder besonders schön fanden. Danach würde etwas anderes folgen.
Die drei Mädchen waren begeistert, die Eltern zufrieden, sie zahlten und für einen kurzen Moment war sie allein, bis die nächsten Urlauber in den Laden traten. Besonders die Zeiten um die Mahlzeiten waren sehr beliebt, um einen Bummel durch einen der Läden zu unternehmen, oder am späten Nachmittag, wenn man von einer Tour oder einem ausgiebigen Sonnenbad zurückkam. So verliefen ihre Tage im Gleichklang, je nie eintönig.
*
Gut gelaunt und lächelnd grüßend betrat sie den Entreebereich. Es war eine Anlage, welche im maurischen Stil errichtet und mit Maasai und Bantu Ambiente verfeinert war. Eine weitläufige, helle, freundlich wirkende Halle war das Erste, das man als Feriengast erblickte. Zwischen einzelnen Sitzecken, die auf dicken Teppichen mit typisch afrikanischen Mustern standen, prangten große Palmen, kleinere Grünpflanzen in Töpfen. In den hellbeigefarbenen, glänzenden Fliesen des Bodens spiegelten sich die Sonnenstrahlen, die sich durch die großen Glasflächen ihren Weg bahnten. Die Wände mit Speeren, Schildern, Bilder verschönert. Wenn man sich nach rechts wandte, fand man dort vier verschiedenen Restaurants und einer Bar vor. Links folgte das Boutiquenressort, das fast jeden Gast faszinierte. Vieles typisch afrikanisch, hochwertig und teuer, von dem üblichen Touristen-Kitsch fand man nichts. Geradeaus waren ein Fahrstuhl, Privaträume und Büros sowie die Rezeption. Die Zimmer in dem zweistöckigen Haupthaus waren im afrikanischen Stil eingerichtet, sehr exquisit, auch da nur edle, wertvolle Materialien, jeglicher Komfort, modernste Technik.
Rundherum ein tropischer Garten, mit einem alten Baumbestand, dazwischen Blumenrabatten, gepflegter Rasen mit Sitzmöbeln. Einem kleinen Pfad folgend ging es zu einzelnen, ebenfalls sehr exklusiv und luxuriös eingerichteten Ferienhäusern. Diese Bauten sahen wie die typischen Rundhütten der Einheimischen aus, hatten drei oder mehr Räume und verfügten über eine Terrasse mit bequemen Möbeln. Der Nachbar war weit entfernt und durch das zahlreiche Grün nicht sichtbar.
Es gab zwei große Swimmingpools, daneben ein Kinderplantschbecken. An allen standen Liegen bereit. Auch das durch eine üppige Vegetation voneinander getrennt. Eine Bar war in unmittelbarer Nähe, prägnant so wie das Café. Von vorbeigehenden Touristenblicken blieb man je verschont, da eine Hecke aus Blumen und Sträuchern alles abschirmte, selbst der hohe gesicherte Zaun. Über dem Ganzen lag ständig ein leichter Duft der blühenden Büsche: Blauer Jacaranda, neben roten Bougainvilleas, weißen arabischen Jasmin, Frangipani und etlichen mehr. Es gab einen Durchgang zum Meer. Auf dem weißen Sand standen ebenfalls Stühle, Liegen, Tische und die obligatorischen Sonnenschirme.
Einige Meter weiter, auf einer künstlich errichteten Anhöhe hatte man einen herrlichen Blick auf den Ozean, einen schönen breiten Sandstrand. Hier saßen die Gäste besonders gern, um Kaffee zu trinken oder ihre Mahlzeiten einzunehmen. Bis in das Ortszentrum von Malindi waren es schätzungsweise knapp vier Kilometer. Für diese Fahrten standen Jeeps mit Fahrer oder Personenwagen zum Mieten zur Verfügung.
Das Rahmenprogramm war vielfältig: Aerobic, Wassergymnastik in einem separaten Pool im unteren Bereich der Lodge, wo man die Türen zu einer großen Terrasse öffnen konnte, dass gerade nach einem absolvierten Sportprogramm gern genutzt wurde. Dort gab es eine kleine Bar, an welcher man unter anderem frisch gepresste Säfte erhielt. Zwei Saunen, vier Massageräume und ein Kosmetikareal wurden gerade nach einem Fitnesstraining oder abends als alternative sehr gern in Anspruch genommen.
Julia blieb einen Augenblick bei Peggy stehen, die nebenan ebenfalls einen Laden betrieb, in welchen sie hauptsächlich Kanga anbot. Die Stoffe dazu entwarf Peggy selbst, ließ den nach ihren Vorstellungen fertigen.
Das Kanga war ein traditionelles Kleidungsstück und auch sie hatte ein Faible dafür. Häufig kaufte sie sich eines der teuren Stücke. Sie konnte nicht widerstehen. Ein altes Sprichwort der Swahili besagte: mke ni nguo, mgomba lupalilia. Eine Ehefrau bedeutet Kleider, wie eine Bananenstaude jäten bedeutet.
Beim Kanga handelte es sich um ein bunt bedrucktes Baumwolltuch mit Leinenbindung. Die Muster setzen sich aus großen, verknüpft mit kleinen Motiven zusammen oder große und kleine Motive wurden untereinander kombiniert. Die Randbordüren des Kanga erinnern an Elemente der Swahiliarchitektur, an Kerbschnitzereien, die auf den Rahmen der Eingangstüren alter Swahilihäuser zu finden waren. Der Druck besteht aus zwei bis drei leuchtenden Farben auf weißem oder goldgelbem Grund. Die Bordüre vielmals aus einem Rankenmuster, das Mittelmotiv stellte Blumen, Pflanzen, Tiere, Gegenstände oder geometrische Figuren dar. Nicht nur Frauen trugen Kanga. Am Abend, um ins Bett zu gehen, teilen sich Mann und Frau ein gora, ein Kangapaar, vielleicht mit: Macho yameonana moyo zasemezana, das so viel wie: Die Augen haben sich gesehen und die Herzen fangen an zu sprechen, bedeutete.
Jetzt dekorierte sie gerade die breite Glasfront neben der Ladentür neu, stellte dazwischen glänzende, aus Holz geschnitzte Figuren: Männer, Frauen oder Tiere.
„Sabalkheri! Du hast ja einige besonders schöne Stücke. Ich glaube, ich komme nachher stöbern.“
„Tu das. Einer wird dir besonders gefallen. Ich habe ihn bereits beiseitegelegt“, lächelte die Frau durch die Scheibe. Weiße Zähne blitzten in einem braunen Gesicht und die schwarzen, runden Augen leuchteten. Peggy war eine Kikuyu, mit Embu-Blut, wie sie einmal erzählte, groß, sehr schlank, die schwarzen Haare zu langen Rasterzöpfen geflochten, an deren unteren Enden bunte Perlen leuchteten. Sie trug generell, wenn sie arbeitete, einen der Kanga, die sie verkaufte. Der Laden florierte sehr gut. Neben den Stoffen bot sie Holzfiguren, die Einheimische in den Dörfern fertigten, feil. Einzelstücke und keines glichen dem anderen.
Peggy war seit acht Jahren mit dem weißen Tauchlehrer Rick verheiratet, der ebenfalls für das Brian arbeitete, allerdings ohne dort angestellt zu sein, so wie sie selbst und Peggy es nicht waren. Das Paar hatte einen Sohn und eine Tochter, die allerdings zurzeit bei den Großeltern in Mombasa weilten, sehr zum Leidwesen von Mia.
„Bis später. Ich muss, sonst kommen die Kunden und nichts ist da. Ich habe heute die neue Kollektion mit.“
„Deine Maasai Serie?“
„Wenn du sie so nennst, ja. Sie ist traumhaft, aber warten wir ab, ob sie ankommt.“
„Wird der Renner. Gib mir nachher einige Stücke, stelle ich sie mit hinein. Das passt gerade sehr gut. Übrigens, der Kanga, einfach perfekt zu deiner Maasai Serie“, lächelte Peggy. „Der, den du trägst aber ebenfalls. Muss mindestens zwei Jahre alt sein.“
„Ist er bestimmt. Du weißt, ich lebe sehr sparsam. Aber Spaß beiseite. Ich dachte, mein Aussehen sollte heute zu dem neuen Design passen.“
„Wie lange hast du für die Haare benötigt? Das muss eine Heidenarbeit gewesen sein.“
„Fast zwei Stunden. Ich habe sie gezählt, es sind zweiundfünfzig. Mir taten hinterher die Arme weh. Das nächste Mal komme ich zu dir. Ich benötige drei Löwen, Vater, Mutter, Kind aus Sandelholz. Habe ich gern verkauft.“
„Such ich heraus, falls ich noch welche habe. Simba ist zurzeit in. Rick und ich fahren aber am Samstag nach Hause und bringen was mit.“
Sie schloss die Tür auf, betrat den Laden, öffnete das Fenster und die Terrassentür. Süßer Geruch strömte sofort herein, der von den zahlreichen Bougainvilleas und Jacaranda verströmt wurde. Die Sonne schien nicht hinein, da großen Mangroven, Palmen diese verdeckten und Schatten spendeten. Sie stellte ihre große Korbtasche hinten ab. Das war ihr privater Bereich. Es war gleichzeitig Lager, Werkstatt und eine Ruhemöglichkeit, mit der kleinen Sitzecke. An manchen Tagen hatte sie wenig zu tun, bemalte sie Gefäße, bevor sie diese später nochmals brannte.
An dieser neuen Serie hatte sie monatelang gefeilt, zig Entwürfe vernichtet. Die unbearbeiteten Gefäße hatten einen dunkelroten Ton. Die Gefäßwände waren durch Abschmirgeln und Polieren geglättet, sodass raue Partikel nach innen gedrückt, die Tonpartikel so angeordnet waren, dass die Gefäßoberfläche glatt glänzte. Nun begann das Bemalen der Krüge, Schalen, Becher, Vasen. Sie verwendete dabei ein Kobaltblau, Manganpurpur und Antimongelb: wenige geometrische Formen, welche ineinander übergingen, nur durch die Farben zu unterscheiden waren. Die Farben kräftig, je sehr warme Töne, nicht schreiend. Die Ränder der jeweiligen Form wurden entweder mit einer Gold- oder Silberlegierung verziert. Anschließend bekam das Ganze die Glasur, welchen sie wiederum aufbrennen ließ, da erst dabei die Glasurbestandteile schmolzen und eine glasähnliche Schicht entstand.
Es war sehr arbeitsintensiv, verbunden mit teuren Materialien und dementsprechend waren die Gegenstände kostspielig. Nun würde sie abwarten, ob die Keramiken bei den Urlaubern Anklang fanden. Aber in der Fünfsterne-Anlage von Brian Sheppard verkehrten sowieso nur Menschen, die über das nötige Kleingeld verfügten.
Sie eilte zu ihrem Wagen und trug die drei Körbe hinein.
„Hujambo? Was schleppst du denn? Hättest du etwas gesagt, hätte sie einer der mtoto tragen können.“
„Sijambo! Schaffe ich.“
Er hob eine der Schalen heraus und sah sie sich genauer an. „Die sind ja wunderschön. Wenn die Jenny sieht, kauft sie die gesamte Kollektion“, lachte er. Seine Frau hatte eine wahre Sammelleidenschaft, was Keramiken betraf.
„Mal sehen, was die Kunden dazu sagen. Ich warte ab, bevor ich mehr davon fertige.“
„Falsch. Fertige gleich mehr. Sie gehen weg wie warme Semmeln.“
„Das Zeug herzustellen ist sehr umständlich und entsprechend teuer.“
„Trotzdem glaube mir, übrigens du siehst heute richtig niedlich aus. Komm, ich trage es dir hinein.“
„Asante, Harold.“
„Stell mir den Krug beiseite. Ich hole ihn später. Jenny wird sich freuen.“
„Asante, Harold. Hamna Shida.“
„Je, habari mke wako?“
Julia lachte. „Freshi kabisa. Yeye ni nje.“
Er trug ihr den Korb in den Laden und setzte seinen morgendlichen Rundgang fort.
Sie brachte eine Vase, drei Krüge in verschiedenen Größen zu Peggy, die die Stücke ansah, ebenfalls begeistert war. „Die bleiben nicht lange stehen, auch wenn sie teuer sind. Umgerechnet über 10.000 Shilingi, aufwärts.“
„Eben deswegen ja. Warten wir ab. Baadaye na asante. Wegen der Kanga komme ich mittags.“
Sie räumte ein, war ein wenig stolz, platzierte sie zwei Krüge in unterschiedlicher Größe im Eingangsbereich, eine sehr auffällige Schale drapierte sie auf den Tisch, wo sie kassierte und verpackte. Die anderen stellte sie in die Regale. Irgendwie wartete sie auf die Reaktionen der Kunden, aber das tat sie jedes Mal, wenn sie eine neue Serie entworfen hatte. Nur dieses Mal war es etwas Außergewöhnliches. Sie war nervös, gleichzeitig in freudiger Erwartung.
Nachdem die Körbe leer waren, holte sie aus dem Lager andere Gegenstände und dekorierte ein wenig neu, wischte Staub. Zufrieden sah sich um, schlenderte nach hinten, wo sie Kaffee kochte und begann, einige Tonstücke zu bemalen. Es waren preiswertere Gegenstände, dafür waren es teilweise außergewöhnliche Formen. Morgens vor dem Frühstück war es am ruhigsten, da die Urlaubsgäste erst danach die Läden besuchten.
Neben der ducca von Peggy gab es ein Kosmetikgeschäft. Dort fand man alles von Dior bis Biagotti, von Chloe bis Armani, von Chanel bis Yves Saint Laurent, von Gucci bis Prada. Der Laden gehörte Brian und Peggys Schwägerin Liv verkaufte und führte Beratungen durch. Es folgten eine Boutique für Damen- und eine für Herrenbekleidung, jeweils dabei Kindersachen. Nur Designerwaren wurden dort verkauft, neben Stücken von kenianischen Modeschöpfern. Diese beiden Läden gehörten Carol, Brians Frau, obwohl diese selten im Laden stand. Das letzte Geschäft neben einem gemütlichen Café war ein Juwelier. Hier fand man Ohrringe der Maasai für 1.000 Shilingi, genauso wie Diamantohrringe für 300.000 Kenyan Shiling. Der Laden gehörte einem Juwelier aus Nairobi, aber betrieben wurde er von einer Italienerin. Serena war eine patente Frau von Mitte vierzig und lebte seit fünfundzwanzig Jahren in Kenia. Erst in Nairobi, folgend Malindi. Sie war mit einem Farbigen verheiratet, was gerade in den ersten Jahren zu vielen Problemen geführt hatte. Heute war man da etwas toleranter, nebenbei hatte sie sich daran gewöhnt, wie sie einmal erzählte. Ihr Mann war Arzt. Sie hatten sich in Rom kennengelernt, Hals über Kopf war sie mit ihm in seine Heimat gegangen, wo sie kurze Zeit darauf heirateten. Die Kinder waren inzwischen erwachsen, die Tochter nun ebenfalls verheiratet, entwarf Schmuck für die drei Läden des Juweliers.
Julia stöberte gern in dem Laden, fand oft Ohrringe, die ihr gefielen. Mehr Schmuck trug sie nicht. Ohrringe gehören zu mir, wie zweimal am Tag Zähne putzen, hatte sie zu Serena gesagt. Sie beide waren die einzigen Weißen, außer dem Besitzerehepaar, welche in dem Komplex arbeiteten.
Neben dem Café gab es eine Boutique für allerlei. Dort konnte man Schnorchel- und Tauchausrüstungen mieten, daneben Kunstgegenstände der Maasai oder Bantu kaufen. Es gab Spielzeug für Kinder, aber selbst das hatte nichts mit herkömmlichen Dingen zu tun. Es wurden nur Dinge aus natürlichen Materialien angeboten, vieles handgefertigt. Es war wie alles, auf die gehobene Klientel ausgerichtet.
Mit Mia, die ihr ausführlich den Vormittag schilderte, betraten sie mittags eines der vier Restaurants. Sie saßen draußen auf der Terrasse. Die fast senkrecht stehende Sonne wurde von einem großen Sonnenschirm verdeckt. Sie bestellten frischen Fisch, der gegrillt war und Salat dazu. Eine Delikatesse, wie sie beide fanden.
Wenig später traten zwei Herren auf sie zu. Sie waren in den weißen Kaftan gekleidet. Araber registrierte sie automatisch. Sie verbeugten sich tief vor ihr, überreichten ihr ein Päckchen, welche kunstvoll verpackt war. Sie erkannte sofort, dass es aus Serenas Laden stammte.
„Werte, sehr verehrte Miss Börensen, das kleine Geschenk übersendet Ihnen der …“, und jetzt folgten Namen über Namen und Julia wartete, ein wenig ungeduldig und verärgert. „Er bittet Sie, diese kleine Gabe als Wertschätzung Ihrer Person entgegenzunehmen und er wünscht, heute Abend mit Ihnen zu dinieren.“
Wie lehnte sie das Geschenk und die Einladung ab, worauf sich die beiden Männer ansahen, ein wenig ratlos, wie sie bemerkte. Der andere Mann versuchte nochmals sein Glück, abermals sehr ausschweifend, allerdings ohne Erfolg und endlich drehten sie sich um, verließen eilig die Terrasse und Julia atmete erleichtert auf.
„Mamaye, sein Geschenk hättest´e ruhig nehmen können. Wer weiß, was da drinnen war?“
„So etwas macht man aber nicht. Ich möchte mit diesem Scheikh el …, ach keine Ahnung wie der heißt, nichts zu tun haben, ergo nehme ich keine Geschenke von ihm.“
Mia sah ihre Mutter an, überlegte einen Moment, dabei zog sie die kleine Stupsnase ein wenig empor. „Vielleicht war’s ja was Schönes. Wir hätten ja hineingucken können, und wenn’s blöd ist, geben wir es ihm zurück. Wenn der dir was schenken will?“
„Nein! Mia, lassen wir das Thema. Du weißt, dass wir nichts von Fremden annehmen. Heute Nachmittag fährst du also mit Rick raus, aber keine Dummheiten.“
„Er hat gesagt, das sind Anfänger und ich darf schwimmen. Keenan passt auf mich auf.“
„Trotzdem, nicht zu weit vom Boot wegschwimmen.“
„Ja, ja, weiß ich.“ Die grünen Augen funkelten ihre Mutter an. Sie mochte es überhaupt nicht, wenn man ihr solche Ermahnungen sagte, weil sie bereits sooo erwachsen war.
Sie waren kaum mit dem Essen fertig, als sie Rick erblickte. Sofort sprangen sie auf. „Kwa heri, Mamaye!“
„Jambo. Na, du kleiner Wirbelwind, darf ich deine Mamaye begrüßen?“
„Ja, aber nich so lange quatschen, wir wollen los.“
Julia sah lächelnd zu dem großen Mann auf.
„Du hörst, ich darf mich nicht setzen.“ Er gab ihr ein Küsschen auf die Wange. „Wir kommen in schätzungsweise vier Stunden zurück.“
„Na dann, viel Spaß.“
„Wohl weniger. Da sind drei dabei, nervig“, flüsterte er ihr zu. „Manche Frauen merken nicht, wie billig sie sein können, wenn sie anscheinend Notstand haben. Aber heute ist ja meine Tochter dabei. Besonders diese Vera, diese aufgetakelte Blondine scheint es nötig zu haben.“
„Hoffentlich verrät dich Mia nicht“, lachte Julia. „Gib ihr die Zimmernummer vom Scheikh, der hat auch Notstand.“
„Gute Idee. Mia verrät mich nie. Ich habe ihr einen Eisbecher versprochen, wenn sie mich brav Baba nennt. Du weißt, nur mit Bestechung erreicht man etwas. So ich muss. Kwa heri!“
„Kwa heri!“
Julia blieb noch einen Moment sitzen, schüttelte unbewusst leicht den Kopf, an seine Worte denkend. Rick sah mit den zweiunddreißig Jahren, seinen knapp einen Meter neunzig und einer sehr guten, athletischen Figur sehr attraktiv aus, aber war das ein Grund einen Mann anzubaggern, noch dazu, wenn man sah, dass er einen Ehering trug? Peggy, das wusste sie, störte das relativ wenig. „Wenn er mich betrügt, ohne Anmache von irgendwelchen Frauen. Wenn die ihn bedrängen, besteht da keine Gefahr. Solche Frauen mag er nicht. Das sind außerdem Weiße und er steht auf dunkle Haut“, hatte sie gelacht.
Sie erhob sich, die Arbeit wartete und Rick wusste, wie er sich diese Damen vom Hals hielt. Selbst sie war schon als seine Frau vertretungsweise aufgetreten. Damals war Peggy krank gewesen und zwei Frauen hatten ihn permanent angebändelt, ihn fast verfolgt, aber als sie Julia gesehen hatten, war Ende. Peggy hatte sich köstlich darüber amüsiert, ihren Mann bedauert, dass er sich gern gefallen ließ. Die beide waren ein sehr glückliches Paar, eine sehr glückliche Familie, trotz all der zuweilen widrigen Umstände, bedingt durch die unterschiedliche Hautfarbe. Ehen zwischen Schwarz und Weiß galten immer noch als eher ungewöhnlich und wurden mit Skepsis betrachtet. Ihre Familien sahen das anders, hatten den anderen sofort akzeptiert. Da hatte es nie Probleme gegeben.
*
Sie war an diesem Morgen erst spät im Hotel erschienen. Kaum hatte sie den Laden geöffnet, tauchten die ersten Leute auf, stöberten herum. An dem Vormittag hatte sie viele Kundenbesuche, da heute der Himmel leicht bedeckt war. Es war schwül, heiß, über dreißig Grad, die Luft schien zu ruhen, obwohl man im Komplex nichts davon spürte, da die Klimaanlage für angenehme Luft, Temperatur sorgte. Sie erklärte, sprach mit den Urlaubern über den Ort.
Mittags schlenderte sie mit Peggy durch den Komplex, da sie einen Salat essen wollten. Mia war an dem Tag mit John zum Schwimmen und Schnorcheln hinausgefahren, da noch zwei weitere Kinder dabei waren. So hatte sie wenigstens etwas Ruhe und Mia war ebenfalls zufrieden, quengelte nicht.
Sie bemalte einen Krug, als zwei Männer in Weiß gekleidet eintraten. Es waren andere Herren, als beim letzten Mal, erkannte sie und ahnte, was gleich passieren würde. Dieses Mal hielt einer der Herren einen übertrieben großen Blumenstrauß im Arm. Die armen Blumen, dachte sie, seufzte leise.
„Hoch verehrte, werte, geschätzte Miss Börensen, wir überbringen einen höflichen Gruß unseres Herrn und Gebieters, Miss Börensen.“ Es folgten erneut die hundert Namen. „Er würde sich glücklich schätzen, wenn Sie heute Abend mit ihm dinieren würden.“
„Richten Sie ihm aus, dass ich danke, aber nie mit einem Gast diniere. Sagen Sie ihm bitte, dass ich nie Geschenke annehme. Er kann sich ergo alle weiteren Bemühungen sparen“, fertigte sie kühl die Männer ab. Sie drehte sich um, ließ sie stehen.
Erleichtert atmete sie auf, als diese den Laden verließen. Diese Araber waren zuweilen sehr hartnäckig. Wenig später hatte sie den Vorfall vergessen.
Brian erschien kurz, sie redeten ein wenig, da er auf neue Gäste wartete. Die Transferwagen hatten Verspätung. Die Gäste des Hotels wurden von einem bequemen, großen Jeep abgeholt. Das war bei der Preisklasse ein Service, den die Gäste erwarten konnten. Es trafen nur vier neue Herrschaften ein, die zwei der Häuser gemietet hatten, wie er ihr berichtete.
Er schaute aus dem Fenster, und als er die beiden Autos erblickte, verabschiedete er sich. Sie wandte sich den drei Personen in ihrem Laden zu. Zwei Frauen verließen den Laden, ohne etwas zu kaufen, die dritte Dame erstand einen Krug, eine Schale von ihrem neuen Maasai Design, wie sie das Steinzeug getauft hatte, da es Peggy generell so nannte.
Sie verpackte es sorgfältig, begleitete die Kundin bis zur Tür, verabschiedete sich und dann sah sie ihn. Für einen Moment glaubte sie, zu träumen. Sie kniff die Augen zusammen, riss sie wieder auf, aber der große Mann mit den dunkelbraunen Haaren, leger gekleidet, stand noch an der gleichen Stelle, sprach mit Brian und lächelte zu einem Jungen hinunter. Einen Moment starrte sie fassungslos zu der kleinen Gruppe, drehte sich beiseite und ließ sich auf den Stuhl fallen. Das konnte nicht sein, sagte sie sich. Nein! Sie musste sich getäuscht haben. Nein! Sie wusste, dass dem nicht so war. Warum? Warum verlebte er ausgerechnet hier einen Urlaub? Warum nach all den Jahren? Das war etwas so Abwegiges gewesen und sie hatte nie einen Gedanken daran verschwendet. Das war ein Leben, das sie verdrängte, nur vergessen wollte. Nun? Wie sollte sie reagieren, falls er sie erkennen würde? Was sollte …? Quatsch, sie hatte sich verändert und über zehn Jahre lagen dazwischen. Was aber …?
Neue Interessenten betraten den Laden und sie konzentrierte sich auf die Fragen, bemerkte daher nicht, wie der Mann, der sie so durcheinanderbrachte, sie musterte, obwohl er sie nur von der Seite betrachten konnte. Aber das, was er erblickte, gefiel ihm, sehr sogar. Diese Frau, oder war es nur ein Mädchen, war schön, sehr schön und irgendwie apart. Schlank, perfekte Figur mit schönen, langen, sehr langen, schlanken Beinen, die in hochhackigen Sandalen steckten. Das kurze schulterfreie Sommerkleid, in einem gelb und blau, stand ihr ausgesprochen gut. Kupferfarbene Haare waren zu zig Zöpfen geflochten, unten mit gelben oder blauen Perlen verziert, fielen lang über den Rücken. Sie trug große Ohrringe, die wie eine Scheibe aussahen. Er wurde angesprochen, drehte sich, wenn auch mit leichtem Bedauern weg. Zu gern hätte er ihr Gesicht gesehen.
Julia fuhr am Nachmittag früher nach Hause. Mia war mit Carol unterwegs und würde erst am späten Abend kommen. Diese Begegnung hatte sie völlig aus ihrer gewohnten Ruhe gebracht. Sie setzte sich auf die Veranda und ihre Erinnerungen schweiften über zwanzig Jahre zurück, zu dem Tag, als sich alles änderte:
Düstere, schwarze Wolken verdeckten das Blau des Himmels, Regen peitsche gegen das Fenster und die Terrassentür. Obwohl es noch früher Nachmittag an diesem Frühlingstag war, musste im Wohnzimmer eine Stehlampe für Licht sorgen. Das fünfjährige kleine Mädchen kuschelte sich auf die Couch neben Lars, der seine kleine Schwester Silke lächelnd ansah, im Gegensatz zu ihr, der er nur ungnädige Blicke zuwarf.
„Oma, erzählst du uns von Ekke Nekkepenn? Du hast es versprochen.“
Klara Börensen stellte ihre Teetasse ab, nahm ihr Strickzeug auf, sah die drei Kinder liebevoll an. „Also, gut, erzähle ich vom Meermann Ekke Nekkepenn, das passt zu dem Wetter heute.“ Ihre Stricknadeln klapperten lustig und sie erzählte. „Die Geschichte beginnt damit, dass Ekke Nekkepenn die Frau des Kapitäns, eines im Sturm nach England laufenden Sylter Schiffes, um Hilfe bei der Geburt seines Kindes bittet. Die schöne und hilfsbereite Kapitänsfrau wird vom Meermann zu seiner, auf dem Grunde der Nordsee lebenden Frau Rahn geführt, und kommt, nach gelungener Geburt reich beschenkt, mit Gold und Silber, an die Meeresoberfläche zurück. Der Schiffer und seine Frau können ihre Reise bei bestem Wetter fortsetzen, und gelangen später sicher und wohl behalten in ihre Heimat, nach Rantum, zurück.“
„Oma, da will ich auch hin, da unter Wasser.“
„Na später, min Deern. Viele Jahre später erinnert sich Ekke Nekkepenn an diesen Vorfall und beschließt, da seine Frau Rahn inzwischen alt und faltig geworden war, die Kapitänsfrau zum Weib zu nehmen. Eines Tages sichtet er das Schiff des Rantumer Kapitäns, überredet er die auf dem Meeresgrund sitzende Rahn, Salz zu mahlen und der Sylter Schiffer kommt mitsamt der Besatzung, in dem dabei entstehenden starken Strudel, um.“
„Mann, is der man gemein, nöch Oma?“
„Ja min Deern! So, nu weiter. Auf dem Weg zur Frau des Kapitäns begegnet Ekke Nekkepenn, der sich in einen stattlichen Seefahrer verwandelt hat, am Strand bei Rantum, deren Tochter Inge. Gegen ihren Willen steckt er ihr an jeden Finger einen goldenen Ring, hängt ihre eine goldene Kette um den Hals und erklärt sie zu seiner Braut. Als ihn das Mädchen unter Tränen bittet, es freizugeben, antwortet der, dies könne er nur tun, wenn es ihm am nächsten Abend seinen Namen sagen könnte. Leider kennt niemand auf der Insel den unbekannten Fremden. Inge spaziert in ihrer Verzweiflung, am nächsten Abend am Strand entlang, hört sie an der Südspitze bei Hörnum, eine Stimme aus dem Berg, die singt. Aufmerksam hört sie zu. Daraufhin läuft sie zu dem verabredeten Treffpunkt und ruft dem dort eintreffenden Fremden zu: Du bist Ekke Nekkepenn und ich bleibe Inge von Rantum. Der auf diese Weise genarrte Meermann hegt seit jener Zeit eine große Wut gegen die Sylter Inselbewohner und treibt, wenn ihm danach ist, sein Unwesen. Er vernichtet ihre Schiffe im Sturm, lässt sie in Rahns Mahlstrom untergehen und beschädigt die Sylter Küste durch die von ihm entfesselten Fluten. Sprungweise holt er sich auch eine unvorsichtige Deern, die allein am Strand herumläuft, um die Sonne aufgehen zu sehen. Das geht man fix, min Deern.“
Die ältere Frau mit den weißen Haaren blickte lächelnd auf das Mädchen, die sich empört aufsetzte. „Oma, mich holt der nich! Ich passe da man auf, wenn der kommt, aber angucken möchte ich ihn. Wie der olle Meermann wohl aussieht?“
„Du spillerige Deern, wenn der dich sieht, schnappt er dich und du bist man bei ihm unten. Pass da man lieber auf“, grinste Silke.
Lars blickte auch jetzt nicht gerade liebevoll das zweieinhalb Jahre jüngere Mädchen mit den roten Haaren, an.
„So ´ne dumme Deern schickt er gleich wieder nach oben. Die will er bestimmt nicht.“
Diese setzte sich gerade hin, streckte ihm die Zunge raus. „So ´nen Blödmann, wie du einer bist, will der auch nich.“
„Genug gestritten! Trinkt den Kakao und geht noch ein bisschen spielen, aber ohne zu streiten. Lars, wie geht es deiner Schwester?“
„Die muss im Bett liegen, nur weil sie Husten hat. Mann, ist das ein Aufstand deswegen. Den ganzen Tag will sie was haben und alle springen. Mädchen!“ Er blickte zur Decke, schüttelte mit dem Kopf.
Klara grinste vor sich hin, als sie den Jungen so beobachtete. Das wird man ein hübscher Bengel werden, mit den fast schwarzen Haaren und den dunklen Augen, schwirrte es ihr so durch den Sinn.
Die drei Kinder standen auf und wenig später hörte man sie oben toben.
„Na Mutter, bist du sie losgeworden?“
Klara blickte auf, als ihre Schwiegertochter in das Zimmer trat. „Ich denke, man nicht lange. Gleich wird es Krach geben. Wenn die Deern mit dem Jungen allein ist, hält der Frieden nicht lange vor.“
Gisela Börensen nickte ihrer Schwiegermutter lächelnd zu. „Ich weiß. Unsere kleine, verwöhnte Prinzessin lässt sich bestimmt nichts sagen. Ich koche Kaffee, magst du auch einen? Peer wollte auch kommen. Für heute ist Schluss mit arbeiten. Wir wollen nachher noch schnell zu deinem Haus hinübergehen. Rainer kommt wegen des Daches.“
„Nee, lass man, min Deern. Ich habe min Tee getrunken, sonst kann ich heute Abend nicht schlafen.“
„Du bist nur doof. Tut das weh?“, hörten sie oben die Stimme des Mädchens. Sie sahen sich beide an, lachten laut los. Wenige Sekunden später rannte sie mit wehenden Haaren die Treppe herunter. Die Wangen gerötet, die Augen blitzten voller Empörung. „Oma, Lars ist ja sooo blöd.“
„Was ist denn passiert?“
„Selber blöd. Wir gehen und tschüss man.“ Die zwei Darmogen Kinder rannten zur Tür hinaus.
„Ach, der sagt, ich bin ´ne dumme Deern, weil ich das olle Auto nich richtig fahren kann. Dafür kann ich aber nichts. Der ist aus der Kurve geflogen. Jungen sind zuweilen richtig doof.“
„So, so, Prinzessin und wieso willst du mit ihnen spielen?“
Sie sprang auf, eilte zu ihrem Vater, der sie auf den Arm hob.
„Papa, du bist ja da oder musst du noch arbeiten?“
„Nein, muss ich nicht.“ Peer Börensen stellte seine Tochter hinunter, blickte ihr lächelnd nach, wie sie auf die Couch hopste.
„Setz dich Peer, Gisela bringt den Kaffee.“
Sie hatte kaum ausgesprochen, als die Tür aufging und er seine Frau mit Kaffee und Kuchen sah. Liebevoll blickte er sie an. Auch Klara ließ den Blick über das etwas ungleiche Paar schweifen, zufrieden vor sich hin schmunzelnd.
Ihr Sohn, sehr groß mit den dunkelbraunen Augen und Haaren, daneben seine Frau, einen Kopf kleiner, sehr zierlich und schlank. Die grünen Augen leuchtend, die langen hellbraunen Haaren locker hochgesteckt. Es ist schön, dachte sie, die beiden so zu sehen, so harmonisch und vertraut. Sie rechnete schnell, acht Jahre waren sie verheiratet und meistens sahen sie sich noch so verliebt an, wie am Anfang. Ja, ihr Sohn hatte eine sehr gute Wahl getroffen, damals in Hamburg. Sie war nicht nur eine intelligente, ausgesprochen hübsch aussehende Frau, sondern eine hervorragende Mutter, Hausfrau. Sie liebte ihre Schwiegertochter genauso wie den Sohn, die Enkeltochter und nun kam bald noch ein Lüttes. Wir sind eine sehr glückliche Familie, besonders da sie sich auf ein weiteres Enkelkind freute. Nur knapp vier Monate mussten sie warten.
„Oma, will auch so was lernen. Hast du Wolle und Nadeln? Kann ich für meine Puppe ´nen Schal stricken.“
„Du möchtest stricken lernen? Na warte, da hole ich etwas und zeige dir, wie es geht.“
„Bleib sitzen Mutter, ich bring euch die Sachen.“
Wenig später reichte Gisela ihrer Tochter einen kleinen blauen Wollknäuel, zwei Nadeln, setzte sich neben sie und zeigte ihr, wie Maschen aufgenommen wurden. Als Nächstes versuchte es die Kleine, die Zunge schaute dabei zwischen den Lippen hervor, während sie es probierte.
„Prinzessin, nun kannst du mir ja bald einen Pullover stricken.“
„Papa, das macht Oma oder Mama. Ich muss für meine Puppen sorgen und für mich.“
Peer grinste vor sich hin, während er noch ein Stück Kuchen ergriff. „Wir gehen zum Haus deiner Großmutter, willst du mit?“
„Nee, ich bleib bei Oma, muss stricken. Nu habe ich ja Zeit, wenn sie weg sind. Der Lars musste sowieso früher nach Hause und was helfen, oder so.“
„Ach so. Ich denke, Jungen sind blöd?“
„Nur Lars. Is aber nich so schlimm. Bis der groß is, geht das bestimmt auch bei dem. Wenn ich den man später heirate, wird er schon anders sein, sonst kriegt er Ärger“, brachte sie ernsthaft hervor.
Verblüfft sahen sich die drei Erwachsenen an, ein Lachen verkneifend.
„Ich wusste nicht, dass du ihn heiraten willst?“
„Ach Papa, ist ja wohl klar. Der wohnt nebenan, doof in der Schule is er auch nich und außerdem hat er so dunkle Augen. Das gefällt mir und Silke mag ich auch.“
„Ich verstehe! Weiß es Lars?“
„Papa“, sie blickte ihren Vater erstaunt, mit weit aufgerissenen Augen an, „das versteht der nich. Is ja bloß ein Junge. Wird er noch merken.“
Abermals vertiefte sie sich in ihre ersten Strickversuche, als die Masche von der Nadel rutschte, fluchte sie „Schiet!“, aber emsig probierte sie weiter, etwas unbeholfen noch, aber stark konzentriert.
„Zwei Kinder will ich, einen Jungen und ein Mädchen, aber zuerst den Jungen. Wir wohnen bei Oma. Is ja genug Platz.“
„Sehr interessant. Was, meine kleine Prinzessin, hast du denn sonst so geplant?“
„Papa, Wirst´e sehen. Arbeiten tu ich bei dir und Oma kann auf die Lütten aufpassen. Carla glaubt mir das.“
„Ach, die kennt deine Pläne ebenfalls?“
„Na klar!“ Sie warf einen kurzen Blick auf den Vater, zog die Nase etwas empor und die Stirn kraus. „Du glaubst wohl nich, dass ich lüge?“
Er hörte die erboste Stimme der Lütten und musste sich sein lautes Lachen verkneifen. „Ich denke nie, dass du lügst, das wäre ja auch schlimm.“ Er warf einen Blick auf die Uhr und stand auf. „Wir müssen los. Kommst du?“
Nachdem ihre Eltern gegangen waren, sah das Mädchen ihre Großmutter an. „Oma, glaubst du mir?“
„Aber sicher, Prinzessin. Du heiratest Lars und bekommst zwei Kinder.“
„Na, denn is ja man gut.“ Zufrieden sah sie die ältere Frau an und widmete sich den Maschen.
Ja, dachte Julia heute, das war der letzte schöne Tag gewesen. An dem Abend waren die Eltern nicht mehr zurückgekommen. Sie waren nie wiedergekommen. Ein betrunkener Autofahrer hatte die Kontrolle über seinen Wagen verloren. Das Ehepaar Börensen war sofort tot gewesen, mit ihnen der ungeborene Bruder, auf den sie sich so gefreut hatte.
Dann war ihre Tante, die Schwester ihres Vaters, nach Sylt gekommen. Sie hatte sich um das arme Waisenkind, wie sie Eva genannt hatte, gekümmert. Ihre Oma hatte das nicht mehr allein geschafft. Klara Börensen war seinerzeit innerhalb von Stunden um Jahre gealtert.
Selbst jetzt spürte sie Tränen in den Augen, wenn sie an ihre Eltern dachten. Die liebsten und besten Eltern waren sie gewesen.
Sie erinnerte sich an eine Episode, etwa drei Monate später.
Es war einer der verregneten Tage gewesen. Silke, Dagmar, Jochen, Lars, Andreas, Carla und sie saßen im Wohnzimmer auf dem Boden, spielten Memory.
„Ich habe keine Lust mehr. Wollen wir nicht was anderes Spielen?“ Dagmar sah in die Runde.
„Du hast keine Lust, weil du verlierst, du dumme Deern“, grinste Eva.
„Hör auf damit. So ´ne Intelligente bist du nu auch nich“, blaffte sie Lars an. „Du gewinnst nur, weil du Glück hast.“
Wütend streckte sie ihm die Zunge raus. „Döskopp“, bemerkte dabei, wie Dagmar Lars anschaute, und funkelte diese zornig an. „Dumme Kuh!“
„Spielen wir verstecken“, lenkte deren Bruder Jochen ein und alle stimmten begeistert zu. Als Erstes sollte Lars suchen.
Sie überlegte eine Weile, entschloss sich, auf dem Dachboden nach einem Versteck zu suchen. Das war besonders raffiniert. Lars würde sie da bestimmt nicht finden. Der Döskopp sollte richtig suchen, grinste sie vor sich hin. Der Dachfirst, an manchen Stellen kaum höher als sie, diente seit Jahren nur noch zur Unterbringung von alten Möbeln und Gegenständen. Sie hörte Lars zählen, flitzte leise schnell hinauf. Ihr Herz klopfte laut bis zum Hals hoch, während sie in den Raum schlich. Der Speicher war dunkel, voller Schatten, wie es ihr vorkam. Nur ein graues Licht schien durch das schmutzige Dachfenster, auf das der Regen klopfte. Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie sich langsam in dem Raum umsah. In der Ecke erblickte sie ihr altes Schaukelpferd, Kartons standen dahinter aufgestapelt, daneben ein alter Schreibtisch, darauf eine Stehlampe. Die warme Luft roch stickig. Irgendwie erschien es ihr bedrohlich und sie überlegte, ein anderes Versteck zu suchen, als sie unten bereits seine Stimme hörte.
Der Regen trommelte heftiger auf das schräge Fenster, verstärkte das unheimliche Gefühl in ihr. Sie schaute sich suchend um. Am Ende des Raumes erblickte sie eine alte Holztruhe. Vorsichtig trat sie näher, kaum etwas erkennend. Sie drehte den Schlüssel, versuchte, den Deckel anzuheben. Sie benötigte ihre ganze Kraft dazu, den schweren Holzdeckel nach oben zu stemmen. In der Truhe erblickte sie Stoffe. Entschlossen zerrte sie die heraus und bemerkte, dass es alte Kleider waren, dann folgten Stoffpakete, Schuhe und Taschen. Hastig warf sie alles in die Ecke dahinter, da sie unten die Stimme von Dagmar hörte, da Lars diese bereits gefunden hatte. Flugs spürte sie wiederum Wut auf diese dumme Ziege. Hastig stieg sie in die Truhe, in der ein leicht süßlicher Geruch hing. Schwer atmend versuchte sie den Deckel herunterzuziehen, der schließlich mit einem lauten Knall die Truhe schloss. Sie kauerte sich in das dunkle Versteck, lauschend, ob sie etwas hörte. Kein Geräusch drang zu ihr hinein. Diesmal würde sie Lars nicht finden, grinste sie zufrieden vor sich hin, während sie versuchte, sich behaglich hinzusetzen.
Die Zeit verrann, niemand erschien, nichts war zu hören. Sie versuchte, den Deckel hochzudrücken und nach einigen Anstrengungen schaffte sie es gerade Mal, das ein schmaler Schlitz sichtbar wurde. Sie blickte hinaus, aber niemand war zu sehen. Schnell ließ sie den Deckel hinunter plumpsen und rieb die Handgelenke. Abermals verstrich eine Weile, aber niemand erschien. Vielleicht hatte er aufgegeben, dachte sie. Sie wollte hinaus. Die Luft stickig, es war dunkel, außerdem unbequem so zu sitzen. Nochmals versuchte sie, den Deckel hochzustemmen, aber er bewegte sich nur wenige Zentimeter. Sie sammelte abermals ihre gesamte Kraft, aber auch das half nicht. Er war einfach zu schwer.
Nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte, krochen Angst und Panik in ihr auf. Hier oben würde sie keiner finden, da sie dort niemand vermutete.
Während sie also in ihrer unbequemen Haltung in der Truhe kauerte, den Kopf und die Knie gegen die harten Innenwände gepresst, sah sie alle möglichen scheußlichen Bilder vor sich. Ich werde hier drinnen langsam ersticken. Wahrscheinlich findet man mich erst in vielen Jahren. Ein heftiges Zittern erfasste sie. Die ersten Tränen liefen über ihr Gesicht. Ich will nicht sterben. Sie sah die Särge der Eltern vor sich und weinte heftiger. Mit den kleinen Fäusten hämmerte sie gegen die Truhe, rief laut um Hilfe.
Nach einer Weile ließ sie ab, rang hastig nach Luft und sie merkte, wie ihr Herzschlag raste. Denk nach, sagte sie sich. Das Schloss der Truhe! Schnell zog sie eine Haarspange heraus und fummelte in dem Schloss herum, bis der Schlüssel zu Boden fiel. Sie kauerte sich vor das Schloss, sah das helle Grau des Raumes. Mehr war nicht zu erkennen.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber es erschien ihr wie eine Ewigkeit vor. Sie war inzwischen schweißgebadet, ihr Pulli klebte am Körper. Wieder atmete sie heftig, aus Angst, nicht genug Luft zu bekommen. Die Schwärze in der Truhe und die Angst jagte ihr Kälteschauer über den Rücken. Wie ein wildes gefangenes Tier hämmerte sie mit den Fäusten gegen die Truhe und schrie um Hilfe, bis sie heiser und erschöpft feststellen musste, dass es zwecklos war. Es hörte sie niemand. Keuchend rang sie nach Luft.
Plötzlich flog der Deckel auf. „Da bist du ja.“
„Lars, Lars“, schluchzte sie, sprang heraus und warf sich in seine Arme. „Ich hatte solche Angst, dass ich da drinnen sterbe, so wie Mama und Papa.“
„Ist ja gut, Prinzessin“, tröstete er sie. „Jetzt ist alles gut. Beruhige dich.“ Er drückte sie fest an sich, streichelte ihr etwas unbeholfen den Rücken. In der Tür erblickte sie Andreas, befreite sich rasch und eilte zu ihm.
„Du machst aber auch Sachen. Da“, er reichte ihr ein Taschentuch, „putz dir die Nase. Wir passen auf dich auf, Prinzessin.“
Langsam beruhigte sie sich und gemeinsam rannten die drei Kinder hinunter. Zum Versteckspiel hatte sie allerdings keine Lust mehr.
In dieser Nacht hatte sie von der Truhe, den toten Eltern geträumt und geweint. Aber das hatte sie jede Nacht getan. Tagsüber sah man ihr es nicht an, aber wenn sie allein in ihrem Zimmer war, da konnte sie weinen, mit den Eltern reden, sich Fotos ansehen, aus einer Zeit, als ihre kleine Welt noch in Ordnung war. Nur Andreas wusste davon, da er einmal gesehen hatte, wie sie heulte und nach Mama, Papa rief. Aber er würde sie nie verraten oder sich darüber lustig machen. Jetzt sprach sie bisweilen mit ihm darüber, wie allein sie ich fühlte und wie sehr sie diese vermisste, und er hörte zu, tröstete sie. Jeden Vormittag, wenn die anderen in der Schule waren, hastete sie zum Friedhof und saß manchmal stundenlang an dem Grab, berichtete, was sie getan hatte.
Sie hatte sich heimlich in das Schlafzimmer der Eltern geschlichen, sich auf das Bett geworfen, dachte, dass sie den leichten Veilchenduft ihrer Mutter oder den herben Geruch von Duschgel ihres Vaters riechen würde. Aber inzwischen hatte ihre Tante alles aus dem Raum geräumt, das sie noch an die beiden liebsten Menschen, die sie hatte, erinnern konnte. Selbst die Schränke waren leer gewesen. Alles weg! Nur ein Seidentuch der Mutter, eine Mütze des Vaters und ein Strampelanzug, des noch ungeborenen Bruders hatte sie gestohlen und versteckt.
Julia erhob sich und öffnete im Schlafzimmer eine Schublade. Sie zerrte das Tuch heraus, jetzt mit Tränen in den Augen. Sie hielt das Tuch an ihr Gesicht und meinte den Veilchenduft der Mutter zu riechen. Diese drei Sachen und einige Fotos waren das Einzige gewesen, das sie mit nach Kenia gebracht hatte. Sie legte das Tuch zurück, wischte die Tränen aus dem Gesicht und schaute auf die Bilder, dann schweiften ihre Gedanken abermals in die Vergangenheit.
Erst Tage später traute sie sich auf den Speicher. Ihr waren die alten Kleider eingefallen, die noch in der Ecke lagen. Sie wusste, wenn das ihre Oma entdeckte, würde sie Ärger bekommen. Der Deckel war noch offen. Schnell warf sie die Sachen hinein. Erst nun bemerkte sie, was für wunderschöne Dinge das waren. Edle, feine, mitunter hauchdünne Stoffe in vielen schillernden Farben. Ein türkisfarbener Stoff hatte es ihr besonders angetan. Sie ließ ihn liegen, räumte die restlichen Sachen ein und trug ihren Fund zu ihrer Oma.
„Oma, schau mal, was ich oben gefunden habe. Ist der nich schön? Kann ich da nich ein Kleid von bekommen?“
Ihre Großmutter sah erstaunt das Bündel Stoff an. „Wo hast du das her?“
„Aus der großen Truhe, die oben auf dem Dachboden steht. Da ist noch vielmehr von da.“
„Was hast du denn auf dem Dachboden gesucht?“
Ihre Großmutter nahm ihr den Stoff aus der Hand, sah ihn genauer an.
„Das sind Stoffe, die mein Schwiegervater von den häufigen Reisen mitgebracht hat.“ Sie betrachtete den schimmernden Stoff, ließ ihre Finger über die seidige Fläche gleiten. „So etwas Schönes wirst du in vielen Familien finden. Die Männer von der Insel waren sehr tapfere und große Seeleute. Wenn sie von ihren langen Reisen nach Hause kamen, brachten sie viele schöne und kostbare Dinge mit. Nicht nur so feine Stoffe wie der, sondern auch oft Schmuck, Kleider oder andere Sachen. Du hast bei den Darmogens die wunderschönen Teppiche gesehen? Die hat Peter damals mitgebracht. Warte, ich zeig dir noch etwas.“
Sie stand auf und kam wenig später mit einer Schatulle zurück. Klara setzte sich neben ihre Enkeltochter, öffnete die Kassette. Neugierig schaute Eva hinein, und augenblicklich erklang ein lautes, erstauntes „Ooohh!“
„Das ist Schmuck, den mein Vater aus allen möglichen Ländern mitgebracht hat. Schau mal“, sie ergriff ein goldenes Armband. „Das stammt aus Afrika. Siehst du, wie schön filigran es gearbeitet ist?“
Sie ergriff vorsichtig den schweren Armreif und sah ihn mit großen, blitzenden Augen an. „Ist der schön“, hauchte sie fast andächtig.
„Ja, schöne Sachen und eines Tages, wenn ich nicht mehr da bin, gehört das dir, min Lütte.“
„Wo willst du hin?“ Überrascht blickte sie ihre Großmutter an.
„Ich meine, wenn ich sterbe.“
„Ach Oma, du stirbst nie. Du musst bei mir bleiben. Ich habe sonst keinen mehr.“ Nun kullerten bei dem kleinen Mädchen die Tränen über die Wangen. „Ich will das nicht, nur dich, Oma.“
Klara Börensen zog ihre Enkelin in den Arm, wiegte sie leise hin und her. Erst nach einer Weile hatte sie sich beruhigt.
Nach und nach wurden alle Stücke aus der Schatulle geräumt, vergessen war der Stoff. Eva sah sich das mit großen, erstaunten Augen an, so etwas hatte sie noch nie erblickt.
Die Schmuckstücke hatte danach ihre Tante an sich genommen und sie hatte sie nie wiedergesehen. Als sie einmal fragte, erhielt sie nur die übliche Antwort. „Das geht dich nichts an, du armes Waisenkind.“
Das Kleid aus dem schönen Stoff hatte sie nie bekommen. Der Dachboden war einen Monat später leer geräumt gewesen.
Trotz des schönen, warmen Wetters hatte sie auf der Terrasse gesessen und eifrig Buchstaben geschrieben, da sie in zwei Wochen eingeschult wurde. Die kleine Zunge lugte zwischen den Lippen hervor. Sie übte seit Wochen, da sie bereits alle Buchstaben, Zahlen und ihren Namen schreiben wollte, wenn der große Tag kam.
„Na du, was machst du denn da?“
„Schreiben. Siehst´e das nich?“
„Sieht ja bisschen krakelig aus. Musst mehr üben.“
„Tu ich ja gerade. Lars, wie schreibt man Lars?“ Sie reichte ihm das Heft, den Stift und er schrieb ihren Namen, während sie ihm mit aufgestützten Armen aufmerksam zusah. „Das sieht aber schwer aus.“
Aber geschwind probierte sie, nicht so sehr erfolgreich.
„Komm her.“ Er trat hinter sie, ergriff ihre Hand mit dem Stift und gemeinsam schrieben sie den Namen.
„So, jetzt machst du das allein.“
Wieder und wieder übte sie, bis sie einigermaßen zufrieden auf den Namen blickte, dabei blitzte die Zungenspitze zwischen den Lippen hervor.
„Na ja, geht ja man. Wo ist Andreas? Der wollte zu dir.“
„Der musste mit den Eltern nach Westerland, Sachen kaufen oder so.“
„Wieso bist du nicht mit?“
„Keine Zeit, muss schreiben lernen“, log sie. Sie wollte ihm nicht sagen, dass es die Tante verboten hatte. „Schreib Andreas und Carla.“
Erneut schrieb er vor und sie übte. Lars beobachtete aufmerksam ihre Versuche, half ihr.
„Duuu, sind zwei plus zwei vier?“
„Ja! Übst du auch rechnen?“
„Hhmmm, drei plus drei sind sechs, stimmt´s?“
„Gut und zwei plus drei?“
„Fünf!“ Sie strahlte. „Geht schon gut.“
„Na ja, geht so! Wenn du fleißig übst und gut aufpasst, wirst du das alles noch lernen“, tönte es leicht überheblich aus dem Mund des achtjährigen Jungen.
„Hhmmm, du sollst ja man keine dumme Frau kriegen.“
Die Kinder blickten sich an und ein schelmisches Lächeln zog über das Gesicht von Lars. „Vielleicht will ich dich ja nicht und nehme mir Dagmar“, neckte er sie.
„Dann bist du doof. Ich kann schwimmen und reiten. Guck mal, was für schöne Haare ich habe, ganz lang. Außerdem geht das sowieso nich, weil Jochen dein Freund ist, und wir wohnen nebeneinander.“
„Wenn du meinst, aber nu schreib weiter, damit du nich dumm bleibst.“
Klara Börensen hörte dem Geplänkel der beiden amüsiert von der Seite zu und schüttelte leicht den Kopf. Die Deern weiß, was sie will und wenn der kleine Darmogen nicht aufpasst, schnappt sie sich den, schneller als er denken kann.
„Lars, wie schreibt man Sylt und Keitum?“
Abermals schrieb er vor und sie nach.
„Wie heißen unsere Kinder?“
Jetzt wurde der Junge leicht verlegen. „Muss ich überlegen. Keine Ahnung!“
„Mia finde ich schön.“
„Na gut, dann so. Komm, ich schreibe es dir vor.“
Er schrieb, sie schaute aufmerksam zu.
„Was heißt das andere? Mühsam entzifferte sie die Buchstaben. „Ma … Marr… Markuus?“
„Ja, Markus.“
„Mia und Markus Börensen gefällt mir.“
„Du bist dumm, die heißen Darmogen und nicht Börensen.“
„Du bist blöd. Ich muss dich nich heiraten. Man kann Kinder auch so, ohne so was kriegen.“
„Du spinnst, man heiratet erst und dann kommen Kinder.“
„Oma“, Eva drehte sich zu ihrer Großmutter um, „muss ich erst heiraten, um Kinder zu kriegen?“
„Besser wäre es, min Deern, aber das hat ja noch ein büschen Zeit.“
„Ich muss gehen und du, übe fleißig.“
Ihre Tante prüfte am Nachmittag das Geschriebene. „Was sind das für Namen? Woher hast du die?“
„Lars hat mir geholfen, der wollte zu Andreas.“
„Das machst du ja schön, wenn auch etwas verwackelt.“
„Tante Doris, weshalb muss ich später anders heißen als mein Papa?“
„Wie kommst du denn darauf?“
„Lars hat gesagt, ich muss Darmogen heißen. Ich will das aber nich. Ich heiße Börensen.“
Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. „Wenn du ihn heiratest, heißt du eben Darmogen.“
„Will ich aber nich.“
„Du musst nicht heiraten, obwohl es besser wäre. Du bist nur ein armes Waisenkind und die Darmogens sind nicht gerade arm.“
„Aber wir wollen zwei Kinder.“