Die Kirschblüten sind aufgegangen - Angelika Friedemann - E-Book

Die Kirschblüten sind aufgegangen E-Book

Angelika Friedemann

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Beschreibung

Shinas Ehe mit dem Halbjapaner Akira ist nach drei Jahren endgültig gescheitert und sie zieht einen Schlussstrich. Mit ihrer Tochter baut sie sich ein neues Leben auf, fern ab von all den schlimmen Erlebnissen der Lebensgemeinschaft. Nur wird ihr die ersehnte Ruhe nicht gegönnt. Akiras und ihre Wege kreuzen sich kontinuierlich. Dann wird ihr sechs Monate alter Sohn entführt. Als sie dem Mann gegenübersteht, der sie und ihren Nachwuchs ermorden soll, erfährt sie, wer ihren Tod wünscht und in dem Moment bricht für sie nicht nur das letzte Stück heile Welt zusammen, sondern sie erhofft das Ende förmlich. Tödliche Intrigen, gepaart mit alten Traditionen des Fernen Ostens, eiskalte Todes¬verachtung, erschütternde menschliche Studien einer hemmungslosen Unbeugsam¬keit und erbarmungslose Diktatur treffen aufeinander. Jahrhunderte alte Gepflogenheiten haben selbst heute noch Einfluss auf einen Teil der Menschen. Fernöstliche Mentalitäten konkurrieren mit europäischem Denken und Lebensweisen.

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Impressum

Angelika Friedemann

Shina

Die Kirschblüten sind aufgegangen

Sommergras ist Alles was geblieben ist vom Traum des Kriegers.

Stille! Zikadenlärm dringt durch, ein in die Felsen.

Die Zikaden singen, unsichtbare Zikaden vom nahen Tod.

In der Krähenfalle träumt der Sommermond einen flüchtigen Traum.

Stille! Der Zikadenlärm dringt durch, ein in die Felsen und erzählt von Shori-Ninja.

希望

Akira Hideyoshi D´Leciere verließ sein Auto und ließ den Blick über das Haus gleiten, das im Dunkel der Nacht kaum zu sehen war. Er konnte es sich nicht erklären, aber er hatte bisweilen das Gefühl, als wenn es unheilschwanger auf ihn wirkte und gerade im Augenblick, war diese Sinnesempfindung sehr stark spürbar. Der Himmel ebenfalls finster, wolkenverhangen, ließ nicht den schönen Garten, den er mit so viel Liebe angelegt hatte, erkennen. Selbst von den blühenden Büschen, die rechts und links den kurzen Weg säumten, war nicht der süßliche Duft vorhanden. Es hinterließ eher einen Eindruck von Leblosigkeit - Beunruhigung - gefahrdrohend. Blödsinn.

Shina schien zu schlafen und leise seufzte er. Er spürte das linde Fächeln des Windes, den leichten salzigen Geruch des nahen Meeres. Tief einatmend verharrte er noch einige Zeit draußen. Die Luft war kühl, aber exakt das genoss er. Sie vertrieb seinen Ärger und sein schlechtes Gewissen.

Heute war sein dritter Hochzeitstag und er war den ganzen Tag unterwegs gewesen, obwohl er seiner Frau einen gemeinsamen Tag versprochen hatte. Sie hatte extra deswegen Mariko, die zweijährige Tochter, zu ihrer Freundin Giselle gebracht und jetzt? Selbst ein Geschenk, einen Blumenstrauß hatte er vergessen zu besorgen, gleichwohl sie ihm am Morgen einen sehr edlen, blauen Kimono geschenkt hatte. Er dagegen hatte sich nicht dafür bei ihr bedankt, da sie bereits mit Mariko weggefahren war. Bei ihren Präsenten hatte er stets das Gefühl, sie wollte ihn kaufen.

Er strich sich durch die schwarzen Haare und atmete nochmals tief ein, ehe er das Haus betrat. Aus ihrem Zimmer erklang leises Weinen. Er schaltete im Flur Licht an und sofort erstarb jedes Geräusch. Sie öffnete die Tür und er bemerkte die geröteten Augen, bevor sie die Lider senkte, sich verneigte.

„Hast du Hunger?“ Ihre Stimme klang leise, schleppend, das Schluchzen unterdrückend.

„Gomen, dass es so spät geworden ist.“

„Ich vermute, dass es deiner ehrenwerten Mutter besser geht?“, erkundigte sie sich höflich.

„Et, es geht ihr besser. Trotz ihrer Krankheit und der Schmerzen hat sie für mich gekocht. Wie immer, vorzüglich. Eine wahre Delikatesse. Sie ist so liebevoll und aufmerksam.“

„Das freut mich.“

Er trat einige Schritte auf sie zu, wollte sie in den Arm nehmen, aber sie entfernte sich hastig. „Ich muss noch aufräumen. Du bist sicher müde. Gute Nacht.“ Sie eilte aus dem Flur und schloss die Tür zur Küche.

Akira folgte ihr. Es tat ihm leid, dass alles so durcheinandergelaufen war. Er hatte sich auf einen schönen Tag mit seiner Frau gefreut, da sie in den letzten Monaten wenig Zeit miteinander verbracht hatten. Seine Mutter kränkelte und er fast täglich, nach seiner Arbeit im Asiatischen Institut, bei ihr und so erst spät nach Hause gekommen, so wie heute. Sogar seine Trainingsstunden hatte er aus Zeitmangel an seine Mitarbeiter Tatsuda und Henry abgetreten. Selbst seine Übungen daheim ließ er schleifen. Dass das nicht der einzige Grund war, verdrängte er.

Er öffnete die Tür, erblickte gerade noch, wie sie den liebevoll gedeckten Tisch abräumte. Er schaute in die Küche, bemerkte die Töpfe, die vorbereiteten Speisen und erst in dem Moment dämmerte ihm, wie viel Zeit und Mühe Shina aufgewendet hatte, um das japanische Mahl zuzubereiten. Er kam nach Hause, hatte bereits gegessen und lobte das Essen seiner Mutter. Daran hätte er denken müssen, dass sie etwas besonders kochen würde.

„Shina, es tut mir leid, dass heute so einiges schief gelaufen ist. Ich wäre lieber mit dir zusammen gewesen, hätte mit dir gegessen. Gomen.“

„Ist trivial.“

„Lie, so dewa ari masen. Ich meine, mir ist es wichtig, gleichermaßen wie du es bist. Aishiteru.“

Er hielt sie fest, legte seinen Finger unter ihr Kinn, schob das nach oben, damit sie ihn ansehen musste. Ihr Blick war leer und schaute durch ihn hindurch, als wenn er unsichtbar wäre. Er beugte sich über ihre Lippen, die sich kalt und spröde anfühlten. Sie ließ es geschehen, erwiderte den Kuss aber nicht.

„Wir werden am Wochenende wegfahren. Nur wir beide. Mariko kann bei Henry und Nathalie bleiben.“

Sie löste sich von ihm. „Versprich mir nichts, da ich es doch nicht glaube. Ich habe zu tun.“

Er guckte ihr eine Weile zu, drehte sich weg, da sie ihn nicht beachtete, duschte, legte sich in das Bett, verschränkte seine Hände unter dem Kopf und wartete auf sie. Nach einer Weile stand er leise seufzend auf und fand sie in ihrem kleinen Zimmer, wie sie in die Nacht starrte. Ein Spalt in der Wolkendecke ließ das glanzlose Mondlicht in den winzigen Raum scheinen und ihre Silhouette erkennen.

„Shina, was ist los? Ich bedauere es wirklich, aber deswegen geht doch die Welt nicht unter. Komm ins Bett.“

Sie erwiderte nichts, erschien wenig später in einem Nachthemd im Schlafzimmer und legte sich neben ihn.

„Warum ziehst du so ein hässliches Nachthemd an? Du lässt dich immer mehr gehen. Was ist bloß aus der einstmals schönen Frau geworden? Du läufst schlimmer herum, wie meine Urgroßmutter“, meckerte er, zog sie an seinen Körper, spürte, wie sie zitterte und gleich bereute er seine barschen Worte.

„Gomen. Ich habe jeden Tag mit dir genossen und wünsche mir noch viele Jahre mit dir. Sugoku ureshii.“

Er streichelte über ihren Körper, bemerkte, wie sie sich versteifte. Etwas erstaunt beugte er den Kopf hoch, erblickte die Tränen, die sich durch die Wimpern ihren Weg bahnten und im schwachen Mondlicht glitzerten.

„Shina, was hast du?“ Mit den Fingerspitzen berührte er ihre Wange.

„Nichts, es ist alles in Ordnung. Es hat sich in den Jahren nichts geändert.“

„Was soll das heißen? Shina, was ist seit Monaten mit dir los? Du weichst mir aus, wirst stiller, bedrückter. Du liegst wie ein Brett neben mir, und wenn ich dich anfasse, rückst du weg. Das ist keine Ehe mehr, und du kommst mir wie eine Fremde vor. Eine Ehefrau habe ich mir anders vorgestellt.“

„Entschuldige bitte Hideyoshi-san, dass ich so eine entehrende, minderwertige Frau bin und es dir so schlecht geht. Wie deine werte Mutter sagt, du hättest eine gute Japanerin heiraten sollen. Du wärst heute glücklich und brauchtest dich nicht über mich ärgern. Lassen wir uns endlich scheiden.“

Sie sprang aus dem Bett, eilte aus dem Zimmer und er hörte, wie sie sich im Bad übergab. Er war überrascht über diese Worte, grübelte, was in seiner Ehe schief lief. Sicher, er war selten zu Hause, ließ sie oftmals allein. Nur auch andere Männer mussten arbeiten und waren nicht ständig daheim. Das konnte es also nicht sein. Aber was sonst? Seine kranke Mutter? Nur seine Pflicht und die Ehre als Sohn geboten ihm, dass er für sie da war, ihr hilfreich zur Seite stand. Eine Japanerin wüsste das alles. Shina war eben keine, sondern nur eine Französin, die dafür anscheinend kein Verständnis aufbrachte. Er musste mit ihr reden und dieses aus der Welt schaffen. Vermutlich waren sie doch zu verschieden? Zuweilen lagen Welten zwischen ihnen. Es war für ihn nicht einfach, sie, die Europäerin zu verstehen. Selbst seine Mutter hatte wiederholt festgestellt, dass Shina sich nicht in ihn, seine japanischen Sitten und Gebräuche einfügen konnte und wollte. Gerade seine liebe Mutter hatte sich so sehr bemüht, Shina in eine Japanerin zu verwandeln. Nur Shina begriff es nicht. Vermutlich hätte ich sie nicht so schnell heiraten sollen? Sie hatten sich kaum gekannt.

Da sie nicht kam, stand er auf, hörte im gleichen Moment, dass sie anscheinend duschte. Er seufzte, legte er sich hin und schlief kurze Zeit darauf ein.

信頼

Eine Woche war seit dem Tag vergangen. Akira packte gerade seine Sachen in die Reisetasche, als das Telefon klingelte. Für einen Moment war er versucht, es zu ignorieren, meldete sich doch.

„Akira, kannst du herkommen? Ich bin vorhin hingefallen und war ohnmächtig. Mir geht es ja so schlecht. Alles dreht in meinem Kopf“, hörte er die Stimme seiner Mutter und stöhnte innerlich. Nicht heute, dachte er. Er blickte auf, sah Shina in der Tür stehen, die ihn anschaute. Bestürzt fiel ihm auf, wie traurig ihr Blick ihn ansah, obwohl sie ihn noch vor Minuten angelächelt hatte, nun wandte sie sich ab und verließ den Raum.

„Non, Shina. Wir werden fahren. Mutter, hör zu, ich komme nur kurz vorbei. Wenn es dir so schlecht geht, musst du über das Wochenende in ein Krankenhaus. Bis gleich.“ Er legte auf, betrat den kleinen Raum seiner Frau. „Ich bin in einer Stunde zurück und wir fahren. Ich freue mich auf unser Wochenende.“

Sie gab keine Antwort, guckte ihn nur an. Ein Blick so voller Schmerz, dass es ihm den Magen zusammenzog. Er drückte ihr einen Kuss auf die Wange, fühlte dabei, wie ihr Körper vibrierte.

„Wir fahren, versprochen“, betonte er noch und eilte hinaus, um schnell den Besuch hinter sich zu bringen. Er musste quer durch Marseille fahren, fluchte, wenn er an einer roten Ampel halten musste. Unterwegs hielt er noch an, kaufte Blumen, Konfekt und Kuchen für seine Mutter, da er wusste, wie sehr sie das erfreute.

Shina hingegen packte die Sachen aus, räumte sie weg. Sie wusste, was der Anruf bedeutete, dass es kein Wochenende geben würde, so wie immer, falls sie etwas geplant hatten. So erlebte sie es seit langer Zeit und sie hatte sich daran gewöhnt. Das einigermaßen glückliche erste Jahr ihrer Ehe war lange vorüber. Tränen traten in ihre Augen. Ich muss dem ein Ende bereiten, sagte sie sich abermals. Die höchste Form der Liebe liegt darin, die brennende Liebe für sich zu behalten und nicht der geliebten Person dein Herz zu öffnen, hatte ihr Akira vor Jahren gesagt und daran hielt sie sich. Er erwartete und wünschte das, so wie er alles, das mit Japan, mit Bushidô, zu tun hatte, von ihr und sogar von Mariko verlangte. Sie war für ihn und seine Mutter ein lästiges Anhängsel, eine störende gaijin.

Er fand seine Mutter auf der Couch liegend vor, einen kühlen Lappen auf dem Kopf. Sie stöhnte leicht, als sie ihren Sohn hörte.

„Was ist passiert?“

„Ich habe den Haushalt erledigt und dann wurde mir schwindelig, schwarz vor Augen.“

„Du solltest zum Arzt gehen. Es ist ja ständig etwas mit dir. Lass dich gründlich untersuchen.“

„Entschuldige, wenn dich deine alte Mutter belästigt. Wahrscheinlich sterbe ich ja bald.“

Nyoko Hideyoshi schaute ihren Sohn liebevoll mit den schwarzen, schmalen Augen an. Sie war eine ungewöhnlich kleine Frau mit zartem Knochenbau. Ihr Gesicht hatte eine Ebenmäßigkeit, die selten war, außer, wenn sie es so wie jetzt, gekonnt, von Schmerzen gepeinigt verzog. Ihre Winzigkeit hob ihr charismatisches Wesen noch stärker hervor. Die schwarzen Haare glänzten wie gelackt, waren am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengefasst und wurden von winzigen goldenen Nadeln gehalten. Sie hatte eine sehr helle Haut, die nie die Sonne erblickte. Fältchen rund um die schmalen schwarzen Augen und den Mund zeugten von ihrem Alter. Die Lippen, gut gezeichnet, wenn nicht sehr voll, schimmerten in einem hellen Rot. Zarte, schmale Hände, mit zahlreichen goldenen, sehr wertvollen Ringen geschmückt und langen Fingernägeln, die rot lackiert waren. An einem Arm baumelten zwei breite goldene Armreifen, das andere Handgelenk zierte eine goldene Uhr, die mit Diamanten besetzt war.

„Hör auf, so einen Unsinn zu reden. Du wirst hundert.“ Akira war bemüht, nicht zu verärgert zu klingen. Sie konnte ja nichts dafür, das ihr ständig schwindelig wurde und sie krank war.

„Es ist schlimm, wenn man alt ist und keiner mehr Zeit hat.“

„Ich habe stets Zeit, das weißt du doch. Eventuell sollte Vater für einige Tage kommen.“

„Ach, der kümmert sich nie um mich, betrügt mich nur und sage nicht Vater zu diesem gaijin“, sprudelte es voller Verachtung aus ihrem Mund und er zog die Augenbrauen empor. „Du bist ungerecht. Ruhe dich aus, dann geht es dir nachher besser. Benötigst du noch etwas? Ich fahre sonst und rufe heute Abend an.“

„Vielleicht hast du noch Zeit mir einen Tee zu kochen?“

Akira betrat die Küche, kochte Tee, da hörte er, wie sie laut klagte. Rasch eilte er in das Wohnzimmer und sah sie aufrecht sitzen. „Du sollst doch liegen bleiben.“

„Ich merke doch, dass du fort willst. Also geh, sonst schimpft diese unbedeutende onna noch mit dir und du hast ein schlechtes Wochenende. Sie erlaubt nie, dass du bei mir bist, deswegen fährt sie ja andauernd mit dir weg und gibt dein Geld aus, das du so schwer erarbeiten musst, mein armer Sohn“, quengelte sie. „Diese mamono ist rücksichtslos und faul. Sie taugt nichts. Trenn dich von dieser nichtsnutzigen bakemono.“

„Das ist Unsinn. Ich wollte mit ihr verreisen. Im Übrigen würde Shina nie etwas dagegen sagen, wenn ich bei dir bin. Sie ist kein Dämon, bezeichne sie bitte nicht so.“

„Ich kenne sie besser. Du bist zu verblendet und bemerkst nicht, wie sie dich manipuliert. Sie jammert ein bisschen und du machst alles, damit sie aufhört. Du bist viel zu gutmütig, mein Sohn. Du solltest diese mamono öfter kräftig verprügeln.“

Nyoko ergriff einen Fächer, wedelte sich damit eifrig, mit anmutigen, gekonntem Schwung, Luft zu.

„Mutter, lass es. Du redest dir da etwas ein, das so bestimmt nicht den Tatsachen entspricht. Die Zeiten, wo man Menschen verprügelt, wie du es nennst, sind lange vorbei. Buddha sei Dank. Ich hole deinen Tee.“

„Geh ruhig. Ich komme allein zurecht. Ach, wäre ich nur nie in dieses Land gekommen. Daheim, da wissen die Kinder, was sich gehört. Keine Schwiegertochter wäre so. Bei uns Samurai ist diese Zeit nie vorbei. Hast du vergessen, was du in Nihon-koku gelernt hast?“

Er zog die Stirn kraus, erwiderte nichts darauf. Seine Gedanken wanderten für einen Moment zu Shina. Er freute sich auf ein schönes Wochenende mit ihr. Ein Lächeln überzog sein Gesicht, das Nyoko, als er das Tablett abstellte, gleich richtig interpretierte. Eifersucht erfasste sie.

„Eventuell solltest du, wenn Vater zurück ist, für eine Weile nach Japan fliegen. Er kümmert sich so lange um alles.“

„Sag nicht Japan zu unserem verehrten Heimatland“, wies sie ihn zurecht. „Er versteht mich sowieso nicht. Er ist nur ein gaijin, wie diese onna, die du geheiratet hast, die dich nur benutzt hat, um ihren kriminellen Vater zu helfen, diese abscheuliche Mörderin, dieser böse yûrei.“

Wütend meckerte er sie grob an. „Lass es. Es reicht, Shina ist keine Mörderin.“

„Entschuldige, mein geliebter Sohn. Es sind nur die Schmerzen.“ Sie fiel auf die Couch zurück, von vorn stöhnend, das Gesicht verzehrt. Er legte die Decke um sie, setzte sich. Er konnte sie so nicht allein lassen, da sie vor Schmerzen wimmerte.

So verging der Vormittag, der Nachmittag. Gegen Abend versuchte er, wieder und wieder seine Frau zu erreichen, aber sie meldete sich nicht.

„Wer weiß, wo diese mamono sich herumtreibt, während du dich um deine arme, kranke Mutter kümmerst?“, zeterte Nyoko.

„Du weißt, dass das nicht stimmt. Wir wollten für drei Tage wegfahren. Wahrscheinlich sitzt sie im Garten.“

„Diese faule onna sitzt nur herum und arbeitet nicht. Das Kind gibt sie ständig fort, um dich kümmert sie sich nicht. Du hättest sie nie heiraten dürfen. Eine Japanerin wäre nicht so. Sie würde dich verwöhnen und ehren, so wie mich.“

„Lassen wir das Thema. Sie ist die Frau, die ich wollte und alles Übrige, das du dir da zusammenreimst, stimmt nicht.“

„Du bist verblendet. Diese onna betrügt dich. Wer weiß, von wem dieses Kind ist? Das andere hat sie schnell verloren, damit ihr keiner auf die ...“

„Es reicht wirklich. Lass Shina mit diesen infamen Gemeinheiten in Ruhe“, blaffte er wütend heraus, sprang auf.

Nyoko Hideyoshi jammerte laut, hielt die Hand an den Kopf, das Gesicht vor Schmerz verzehrt, worauf er sich sofort ärgerte, dass er seine werte Mutter so angemeckert hatte.

„Gomen, Mutter.“ Er verbeugte sich leicht. „Möchtest du noch etwas, sonst fahre ich nach Hause.“

„Selbst mein geliebter Sohn schreit mich an. Ach, wäre mein Karma nur zu Ende.“ Erneut erklang ein Stöhnen aus ihrem Mund. „Mir geht es ja so schlecht. Nur wegen dieser bösen iteki. Vielleicht könntest du uns noch frischen Tee zubereiten? Ich koche dir später dein Leibgericht.“

„Mutter, ich möchte nach Hause und nicht essen.“

„Ich habe eingekauft und sonst wird es schlecht. Es kostet doch so viel. Dein unwürdiger Vater gibt mir so wenig Geld.“

„Du sollst nicht für mich kochen und Vater gibt dir …“, schnell unterbrach er sich, da er Tränen kullern sah. „Also, gut“, gab er nach, auch um seinen Ausrutscher auszumerzen. Sein Benehmen ihr gegenüber war unentschuldbar.

„Weißt du, mein Sohn, wir sollten zurück in das Land unserer Vorfahren reisen. Wer weiß, was diese bakemono noch ausbrüten, um uns weiteres Unheil zu bringen. Die Kami werden aber weiter auf unserer Seite stehen, uns davor bewahren und beschützen.“

„Das ist doch so nicht richtig“, versuchte er, ihre Tirade zu stoppen.

„Hast du vergessen, was man dich gelehrt hat? Du solltest dich auf Bushidô besinnen: Selbstdisziplin, Pflicht, Ehre dem Staat, deinem Heimatland und deiner Familie gegenüber, deiner japanischen Familie. Diese iteki zählen nicht. Sie werden nie richtige zivilisierte Menschen werden. Sie sind ungehorsam, kennen keine Ehre, sie sind eine Schande, sie stören unsere chowa und sie kennen kein kigai. Jeder Rônin hätte früher gewusst, wie man handeln muss, wenn der heiwa im eigenen Haus gestört ist: kigai. Nur diese iteki weiß es nicht. Wazawai ha ketai ni shôzu.“

Sie nahm die kleine, sehr kostbare Porzellanschale in die Hand, trank laut schlürfend einen Schluck und bewunderte das Dekor, ganz traditionsbewusste Japanerin.

„Mutter, was soll das? Shina stört nicht meinen Frieden. Es entsteht kein Unheil durch sie.“

„Du bist verblendet, mein geliebter Sohn. Sie hat dich verhext. Sie ist eine Kami aus den dunklen Regionen, ein böser yûrei, eine oni. Du bist zu lange aus dem Land Nippon weg, als dass du das noch beurteilen könntest. Lass uns nach Hause fliegen und du wirst wissen, spüren, was ich meine. Wie heißt es bei Seneca? Das Böse lebt nicht in der Welt der Dinge, es lebt allein im Menschen. Was du für den Gipfel hältst, ist nur eine Stufe. Glaube mir, sie ist nur eine böse oni.“

Oni werden gewöhnlich als hässliche, riesige Kreaturen mit scharfen Klauen, wildem Haar und zwei Hörnern auf ihrem Kopf, menschenähnlich dargestellt. Im Laufe der Zeit wurde ihre Verbindung mit dem Bösen auf sie selbst übertragen und sie wurden zu Boten und Verursachern von Unheil. Man stellte sie als absurde, sadistische Rohlinge dar, deren einziger Lebensinhalt die Zerstörung sei. Ausländer und Fremde wurden verächtlich als oni bezeichnet.

„Shina ist meine Frau und bestimmt nicht böse. Sie ist herzensgut, lieb und nicht faul.“ Erneut klang sein Tonfall ein wenig schärfer, worauf Nyoko sofort leise stöhnte, ihre Gesichtszüge schmerzlich verzog. Tränen rannen über ihre Wangen und sie schniefte, jammerte dabei.

Er blieb über Nacht bei ihr, da seine Mutter das Kochen sehr anstrengte und es ihr erneut schlechter ging.

Erst am Nachmittag des Samstags fuhr er nach Hause und fand Shina im Garten, auf dem Boden sitzend vor. Sofort fiel ihm auf, dass sie die gleichen Sachen, Hose und Pullover, wie am Vortag trug. Er zog sie empor, da sie nicht auf sein Kommen reagierte. Sie war eiskalt, trotz der Wärme, die die noch laue Dezemberluft mitbrachte. Er hob sie auf den Arm, trug sie in das Haus. Es kam ihm vor, als wenn er eine leblose Puppe tragen würde. „Shina, was ist passiert?“

Sie sah ihn an, als wenn sie ihn nicht kennen würde. Er kochte Tee und mit einer Tasse in der Hand trat er in das Wohnzimmer, fand das aber leer vor, so suchte er alle Räume ab, rief ihren Namen und fand sie erneut draußen im Garten. „Komm mit herein.“

„Es ist so friedlich, man könnte denken, diese grausame Welt existiere nicht. Es gibt keinen Hass, Schmerz, keine Lüge, Trauer, keine Demütigungen, Erniedrigungen, nur Frieden. Warum musste mein Vater damals sterben und nicht ich? Es wäre heute für mich friedlich und still.“ Leise, schleppend klangen ihre Worte. „Konfuzius hat geschrieben: Neun Dinge sind es, auf die der Edle sorgsam achtet: Beim Sehen achtet er auf Klarheit, beim Hören auf Deutlichkeit, in seiner Miene auf Freundlichkeit, im Benehmen achtet er auf Höflichkeit, im Reden auf Ehrlichkeit, im Handeln auf Gewissenhaftigkeit. Wenn ihm Zweifel kommen, fragt er andere. Ist er im Zorn, bedenkt er die Folgen. Angesichts eines persönlichen Vorteils fragt er, ob er ein Anrecht darauf hat. Das hat mir mein Vater vor vielen Jahren mit auf den Weg gegeben.“

Er blickte entsetzt auf sie hinunter, hörte drinnen das Telefon, ignorierte es.

„Deine Mutter ruft nach dir. Ich bleibe noch sitzen.“

„Damare! Du kommst mit hinein, packst einige Sachen und wir fahren weg. Sie wird einige Tage ohne mich auskommen. Es heißt außerdem ehrenwerte Mutter. Du weißt doch, dass sie darauf Wert legt. Eine japanische Schwiegertochter wüsste das, aber du willst es nicht lernen oder du stellst dich absichtlich stur.“

„Non, du gehörst zu ihr, nicht zu mir. Das war nie der Fall. Es waren nur stupide, törichte Illusionen, Selbsttäuschungen, Dunstbilder, die sich schnell verflüchtigten. Sie hat es mir damals gesagt und ich hätte dich nie heiraten dürfen.“

„Was hat sie dir gesagt?“

„Er wird eine bezaubernde Japanerin, die ihm Ruhe gibt, heiraten. Akira wird sich nie in die westliche Kultur integrieren können, so wenig, wie ich es kann. Es ist Teil seines Erbes und er wäre unvollständig ohne Bushidô, ohne Japan, ohne seine Heimat mit all ihrer Schönheit. Dort hat er alles, was er benötigt und dort wird er die richtige Frau finden. Mein Sohn hat viele Frauen inzwischen gehabt, aber das diente nie seinem Inneren, sondern nur dem Körperlichen. Die Frauen sind wie läufige Hündinnen, die sich andauernd mit jedem paaren. Er verachtet Europäerinnen, ebenso wie ich es tue. An sein Herz hat mein geliebter Sohn keine dieser Frauen herangelassen. Das soll und wird nur eine Lotosblume Japans sein und nie eine Barbarin, eine iteki. Nie eine der Frauen, die in jedes Bett springen, sondern nur eine reine Frau, so wie man sie eben in meiner verehrten Heimat findet. Er gehört nicht hierher, nicht zu einer dieser hässlichen Europäerinnen, sondern zu Nihon-koku und zu mir, denn ich liebe ihn sehr. Mein geliebter Sohn würde nie glücklich werden. Sein Herz gehört Nippon und dort liegt sein Karma und meines. Wir beide werden bald zurückkehren, dann gehört mein geliebter Sohn nur mir. Ich werde niemals dulden, dass sich mein Sohn an eine widerliche iteki bindet, so wie ich es seinerzeit getan habe. Mein Sohn wird nie zu Ihnen gehören und dafür werde ich alles tun. Alles. Akira gehört mir und Nihon-koku. Verlassen Sie das Haus meines Sohnes und halten Sie sich in Zukunft von ihm fern. Es gibt genug Männer, mit denen Sie den Beischlaf vollziehen können. Männer, die Sie dafür bezahlen, so wie es mein geliebter Sohn macht. Ich hoffe, dass Sie mich verstanden haben und ich Sie nie wiedersehen muss. Sie würden es sonst bereuen. Mein geliebter Sohn gehört nur mir.“

„Das hat sie nicht so gemeint. Was du dir einredest? Sie ist eben eine liebende, besorgte Mutter, die nur das Beste für mich wünscht. Shina, wir gehören zusammen, mit unserer Tochter. Komm bitte. Ich möchte für einige Tage mit dir allein sein. Du hast dich darauf gefreut.“ Er zog sie hoch und hielt sie fest umschlungen, den bebenden Körper spürend. „Lass uns fahren.“ Er nahm ihre Hand, zog sie mit hinein. „Pack deine Sachen. Ich möchte gleich los.“

„Du musst zu deiner ehrenwerten Mutter, sonst ist sie bedrückt und ich bekomm...“, schnell brach sie ab, wandte sich um, lief hastig in das kleine Zimmer, das ehemalige Gästezimmer, das sie bewohnen durfte.

Er sah ihr nach, überlegte kurz, was sie hatte sagen wollen, schob es jedoch beiseite. Geschwind packte er seine Reisetasche im Schlafzimmer, damit fertig, betrat er ihr Zimmer und sah sie auf der Liege sitzen.

„Wir können fahren. Komm, pack dir einige Sachen ein.“ Sein Tonfall bereits gereizt.

Shina stand auf, entnahm einem der Kartons, die in einer Ecke gestapelt standen, Unterwäsche, aus einem anderen Pullover und aus dem kleinen Schrank Jeans, vom Schreibtisch einige Kosmetikartikel.

Wenig später fuhren sie davon. Akira hatte vorsorglich sein Handy ausgeschaltet, da er nun nicht gestört werden wollte. Shina, seine Ehe, aber besonders die Eintracht in seinem Haus waren wichtiger. Sie saß still neben ihm, während er über ihre Worte nachdachte, die sie vorhin im Garten gesprochen hatte. Er war noch durcheinander, konnte nicht verstehen, was sie dazu veranlasst hatte, verstand ihr Gedankengänge nicht. Mitunter war es schwierig mit ihr, der gaijin.

Es ist das erste Mal seit über zwei Jahren, dass ich mit ihr verreise, fiel ihm auf und so etwas wie ein schlechtes Gewissen breitete sich in ihm aus.

Shina blickte ihn verstohlen von der Seite an. Er sah umwerfend aus, dachte sie auch heute. Ebenmäßige Gesichtszüge, wie aus Bronze gemeißelt. Leicht schräg gestellte Augen, hohe Wangenknochen, dazu schwarzes dichtes Haar, das bis auf die Schulter fiel, breite Schultern, schmalen Hüften, ein durchtrainierter Körper. Kein Wunder, das alle Frauen auf ihn fliegen, präzise wie ich seinerzeit und nun …? Was habe ich dafür erhalten?

In der Nähe von Marcoux in den Provenzalischen Alpen hielten sie, suchten ein Hotelzimmer. Nach dem Abendessen spazierten sie ein wenig durch den Ort. Die kühle Luft roch nach Nadelwald, nach Frische, ganz anders als die salzhaltige Meeresluft in Marseille. Er bemerkte, wie sich Shina langsam entspannte.

Vier Tage blieben sie dort, genossen die Zeit. Akira sah erfreut, wie sie sich, wenigstens zum kleinen Teil in die Frau verwandelte, die er einst kennengelernt hatte. Sie sprühte fast vor alten Elan, Fröhlichkeit, Einfällen. Sie unterhielten sich, lachten mit- und übereinander und sie war die leidenschaftliche, sinnliche Geliebte, die er in den letzten Monaten vermisst hatte.

Nur woher sie die unzähligen Hämatome, kleinen Narben hatte, die er erschrocken und entsetzt bemerkte, sagte sie nicht. Trotz seiner wiederholten Fragen wich sie aus, schaute ihn nur an, als wenn sie sagen wollte: Du weißt es.

信頼

Zwei Tage später kam er vormittags früher nach Hause und sah überrascht, dass seine werte Mutter da war. Er hörte gerade, wie diese mit Mariko sprach und dieser auf Japanisch etwas sagte, das seine Tochter natürlich nicht verstand, dann wechselte sie in das Französische.

„Deine hässliche Mutter ist unfähig, dich richtig zu erziehen, aber sie ist zu allem zu faul. Eben eine dumme, böse iteki.“

„Grand-mère, was is eine iteki?“

„Mariko, eine sehr, sehr schlechte, miserable, widerwärtige, scheußliche, sehr böse, hässliche, verlogene, dumme yûrei. Weißt du ...“

„Mutter, es reicht“, schnitt er ihr im scharfen Tonfall das Wort ab.

Mariko rannte zu ihrem Vater, der sie hochhob. „Papá, wieso is maman so schlecht?“, schluchzte das kleine Mädchen. Tränen rannen über ihre Wangen.

„Das ist sie nicht. Da hat sich die grand-mère falsch ausgedrückt. Sie kann nicht so gut Französisch, weißt du.“

„Akira, erzähl dem Kind ...“

Er schaute seine Mutter an und sie schwieg. „Mariko, wo ist maman?“

Ehe die Kleine antworten konnte, hörte er seine Mutter keifen: „Sie versucht Tee zu kochen, aber wahrscheinlich sind die Teebeutel alle oder sie weiß nicht, wann das Wasser kocht. Diese hässliche, faule ...“

„Es reicht. Mariko, geh ein bisschen spielen. Ich fahre nur schnell die grand-mère nach Hause.“ Er stellte Mariko hinunter, blickte zu seiner Mutter, die hoheitsvoll aufstand.

„Es ist besser, wenn ich gehe. Die Gastfreundschaft in deinem Haus, mein Sohn, lässt sehr zu wünschen übrig. So etwas wäre bei uns zu Hause undenkbar. Eine Japanerin wüsste, wie man sich benimmt, wie man die kaihatsu ehrt. Diese onna ist eine hässlicher, bösartiger akuma, ein mamono, aus den dunklen Regionen. Wir sollten sie beseitigen, damit unser wa zurückkehrt.“

Ohne eine Antwort lief er zu seinem Auto und wartete dort auf sie. Schweigend fuhr er davon. Erst als sie vor dem Haus angekommen waren, wandte sich Nyoko an ihn. „Du solltest mit hineinkommen, damit du etwas zu essen bekommst. Diese mamono kann ja nicht kochen, aber ich habe ihr vorhin gesagt, dass du bei mir essen kannst. Kein Wunder, das du deswegen mit ihr verreisen musst, damit du etwas Vernünftiges bekommst. Es wäre das Beste, wenn das Kind zu mir kommt. Ich habe es dieser unwürdigen, widerlichen Person gesagt, dass sie nur faul und dumm ist, dich und die Kleine vernachlässigt, auf deine Kosten lebt, nicht arbeiten geht. Du musst alles bezahlen, mein armer Sohn. Diese onna will in Urlaub fahren, essen gehen, fordert ein Luxusleben, Geschenke, Schmuck. Weißt du, was diese abscheuliche Person sich erlaubt hat? Sie ist aufgestanden und hat gesagt, dass sie Tee kochen geht. Sie hat mich unverschämterweise allein gelassen. Ich wollte gerade mit deiner Tochter sprechen, als du kamst. Akira, du musst etwas unternehmen. Dieses Kind kann kein Japanisch, sie weiß nichts von Nihon Teikoku, ihrem verehrten Vaterland, von ihrer richtigen Familie“, zeterte Nyoko.

„Mutter, steigst du bitte aus. Ich möchte nach Hause. Es reicht und lass uns in Zukunft in Ruhe. Mariko ist Französin und keine Japanerin.“

„Sie ist ein Nachkomme einer ehrenwerten Samuraifamilie und muss so erzogen werden“, beharrte sie. „Vergisst du deine Wurzeln? Du solltest sie richtig schlagen, diese faule onna.“

Sie öffnete beleidigt die Tür, warf ihrem Sohn einen bösen Blick zu und stieg aus. Sekunden später ein lauter, spitzer Schrei. Sie stand jammernd auf einem Bein. Akira sprang aus dem Wagen, lief zu ihr.

„Mein Fuß. Ich habe mir meinen Fuß verstaucht“, klagte sie.

Er stützte sie, führte sie zum Sofa. „Soll ich einen Arzt rufen?“

„Non, ein kühler Lappen. Nur wegen dieser bösen, widerwärtigen onna. Sie ist an allem schuld und bringt uns nur Unglück. Siehst du ein, dass du diese yûrei schlagen musst? Besser befiele ihr kigai zu begehen, aber erst muss sie dir die Firma und alles andere überschreiben. Wenn sie sich weigert, schlage, trete, würge sie so lange, bis sie halb tot ist.“

Kopfschüttelnd holte er im Bad ein Handtuch und sah so nicht den zufriedenen Ausdruck seiner Mutter, die sich richtig auf die Couch zurechtrückte, als sie ihn hörte, gleich das Lächeln verschwinden ließ und ein betrübtes Gesicht hervorzauberte. Behutsam legte er ihr das Handtuch um das Gelenk. Anschließend kochte er Tee, kühlte erneut den Knöchel. Schließlich blieb er zum Abendessen, das sie für ihn kochte, trotz des schmerzenden Fußes.

Die Nacht hatte Einzug gehalten, als er nach Hause kam. Sein Haus lag im Dunkeln und wieder überfiel ihn dieses unangenehme Gefühl. Es kam ihm vor, als wenn eine böse Aura es umschwebte. Er betrat es leise, schlich in die Küche, um noch ein Glas Wasser zu trinken. Da sah er die Töpfe, das fertige Essen, welches Shina kochen ließ. Schuldgefühle krochen in ihm empor. Hatte er ihr nicht erst vor einigen Tagen versprochen, dass ihr Leben anders würde?

Nachdem er geduscht hatte, betrat er leise das Schlafzimmer, legte sich in sein Bett, tastete neben sich und fand das Bett leer. Er schaltete die Lampe an, zog seinen Morgenmantel über, suchte Shina. Nachdem er das Haus abgesucht hatte, betrat er den Garten und hörte gerade, wie vorn das Tor elektrisch schloss. Er überlegte einige Sekunden, lief, so wie er war, zu seinem Auto und fuhr ihr hinterher. Instinktiv wusste er, wohin sie unterwegs war, zum Strand, ihren Lieblingsplatz. Dort sah er sie auf dem großen Stein sitzen.

„Was willst du noch draußen? Es ist fast Mitternacht.“

Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie seine erboste Stimme hörte.

„Wie immer, nichts“, gab sie leise Antwort.

„Komm mit zurück. Ich bin müde und habe keine Lust die Nacht draußen zu verbringen. Nur weil ich ein etwas später gekommen bin, musst du nicht völlig unangemessen reagieren“, fügte er gereizt an.

„Fahr zurück und geh schlafen. Ich bleibe noch ein wenig sitzen.“

Er zog sie empor, da erblickte er, was sie in der Hand hielt. Er wurde blass. „Was willst du mit der Pistole? Shina, was soll das?“ Wut und Panik schwangen in seiner Stimme mit. Erst in dem Augenblick bemerkte er, wie ihr Gesicht aussah. Er zerrte ihr die Waffe heftig aus der Hand, steckte sie in die Tasche seines Morgenmantels, hob sie auf, trug sie zu seinem Auto, raste zurück, ihren Wagen zurücklassend.

Barsch fragte er: „Bist du total verrückt geworden?“ Kurz blickte er zu ihr, erhielt aber keine Antwort. „So geht das nicht weiter. Du solltest dir vielleicht überlegen, einen Psychiater aufzusuchen. Du wirst merkwürdiger, stiller und heute das nun. Was geht bloß in dir vor? Ich muss nun mal arbeiten und kann nicht den ganzen Tag mit dir Händchen halten. Irgendwoher muss schließlich das Geld kommen. Du forderst ein schönes Leben, essen gehen, Schmuck, Reisen, Klamotten und was weiß ich alles.“ Er hatte es kaum ausgesprochen, da wusste er schon, dass er Mist gesagt hatte. Sie kaufte selten etwas, ging nie Essen. Er besuchte generell ohne sie Restaurants und er hatte ihr jahrelang nichts mehr geschenkt oder mitgebracht. Aber das war ja nicht das Thema, verwarf er den Gedanken sofort.

Kaum angekommen, ergriff er ihre Hand, zerrte sie in das Haus, in das Schlafzimmer, schubste sie grob auf das Bett, drehte ihr Gesicht zum Licht und bemerkte irritiert, die vier langen Kratzer auf ihrer Wange, wie geschwollen die Seite war. Dazu die Augen stark gerötet, dass vom Weinen zeugte. Ihr Blick war leer, sie schien alle Lebensenergie verloren zu haben. Diesen Blick kannte er. So hatte sie ihn an dem Abend angesehen, als sie das erste Mal zusammen waren. Damals hatte sie mit einer Waffe auf ihn gezielt, weil er sie beleidigt und gedemütigt hatte. Diese Leere in den Augen hatte sie seit Monaten. Auch heute meldete sich sein Herz schmerzhaft. Sie war kreideweiß, die Augen blickten weit aufgerissen, glanzlos, sie wirkte so verstört, verletzt, hilflos und so voller Angst, fast panisch. Er sah die Tränen, die über ihre Wangen liefen, auf ihre Bluse tropften. Total bestürzt erkundigte er sich: „Wie ist das passiert?“

„Es ist peripher, präzis, wie ich es bin, notabene, weißt du es. Ich bin eine Last für dich, deine ehrenwerte Mutter. Entschuldige, Hideyoshi-san, dass ich lebe, soviel von deinem Geld ausgebe. Menschlichkeit ist die Pflicht jedes Einzelnen, nur ich habe leider das Pech, das meine Mitmenschen es vergessen. Konfuzius Worte helfen da nicht.“ Sie erhob sich, schlich hinkend an ihm vorbei in das Bad, blieb in der offenen Tür stehen. „Warum schlägst du nicht richtig zu? Du bist als Shinobi ausgebildet und es wäre vorbei. Du hast gesagt, wenn der Feind stark wie ein Fels ist, muss man Wasser werden, um ihn zu besiegen. Deine ehrenwerte Mutter und du, ihr habt mich ausgiebig besiegt. Warum tötet ihr mich nicht endlich? Mein Weg ist seit Jahren zu Ende.“

Ehe er noch etwas erwidern konnte, war die Tür geschlossen und er hörte, wie sie den Schlüssel drehte. Noch geschockt sah er zur Tür. Was war passiert? Er konnte es nicht erklären.

Sie saß in ihrem kleinen Zimmer, hatte den Schreibtischstuhl an das Fenster gerollt und guckte hinaus. „Ich wurde in Ninjutsu ausgebildet und lernte die auf dem Mikkyô aufbauenden geheimen Lehren der Ninja. Ich habe seit meinem fünften Lebensjahr Unterricht in vielen Kampfsportarten gehabt und eines Tages tat ich den Schritt vorwärts. Das hört sich etwas simpel an, weil dazu mehr, als nur Kämpfen gehört. Ich habe dir die Regeln der Ninja gesagt, das gehörte dazu und noch einiges mehr“, hatte er ihr gesagt. Ja, er war eine todbringende Kampfmaschine. Das hatte er bewiesen. Ihr Vater war damals gestorben, sie hatte er gerettet. Für was? Er könnte mit einer Handbewegung allem ein Ende bereiten, aber er tat es nicht. Er quälte sie nur von Tag zu Tag weiter. Weswegen? Shina sei ehrlich, die Antwort kennst du doch, sprach sie still mit sich selbst.

信頼

Die Dämmerung war gerade hereingebrochen und lag noch im verschlafenen Licht der Nacht. Sie schloss die Tür leise, zog die Schuhe an und huschte in den Garten. Die Feuchtigkeit der Dezembernacht lag auf allem. Ein kalter Wind blies ihr in das Gesicht, aber sie spürte das nicht, nur die Ruhe war es, die zu ihr drang und die sie suchte. Langsamer schlenderte sie einen der kleinen, schmalen Wege entlang. Ein kleiner Bach floss träge zu einem Wasserrad, das das Wasser wiederkehrend nach oben kippte, damit es abermals hinunterfließen konnte. Ein ewiger Kreislauf. Schleppend schritt sie auf dem Kiesweg, tief die frische Luft einatmend, den Schmerz verdrängend, der sie mit jeder Bewegung quälte. Als sie um eine kleine Biegung trat, sah sie ihn im grauen, diffusen Gegenlicht stehen. Er wirkte in diesem Moment, wie eine aus Stein gemeißelte Skulptur. Er stand unbeweglich, die Hände vor der Brust verschränkt, mit gespreizten Beinen. Er war bis auf die Hose nackt, selbst die Schuhe fehlten. So hatte sie ihn damals gesehen, fiel ihr sofort ein, aber das war in einem anderen Leben. Ein merkwürdiges Gefühl durchströmte auch heute ihren Körper und zwang sie, zuzusehen. Er bewegte seine Hände, Arme wie im Zeitlupentempo. Plötzlich brach er abrupt ab und drehte sich zu ihr um, öffnete die Augen.

„Komm her,“

Zögernd trat sie näher.

„Stell dich vor mich. Zieh deine Schuhe aus, spreize leicht die Beine, so, dass du gut stehen kannst.“

Sie tat, was er sagte und stand vor ihm.

„Strecke deine Arme aus, ganz bequem.“

Sie führte es aus, spürte seinen Körper an ihrem Rücken, während er eine Hand auf ihre Rippen unterhalb der Brust legte.

„Steh gerade, lehne dich an mich und tief atmen. Dein hara, das Zentrum des Bauches muss sich füllen. Dort sitzt die Seele des Menschen.“

Sie versuchte das, obwohl ihr linkes Bein schmerzte.

„Non, in den Bauch atmen, nicht nur oberflächlich die Lungen füllen. Du musst spüren, wie die Luft in deinen Bauch eindringt, das weißt du doch.“

Sie atmete tief, wieder und wieder, während ihr Körper durch seine Nähe leicht zitterte. Sie roch ein herbes Parfum und irgendwo in ihrem Inneren geriet etwas in Schwingung. Ein leichtes merkwürdiges Prickeln nur, das sich in ihrem Bauch formte, langsam die Wirbelsäule entlang huschte und ihr Inneres in Aufruhr versetzte. So ähnlich war es damals gewesen, erinnerte sie sich.

„Verdränge alle Gedanken aus deinem Kopf, alle Gerüche. Höre nur deinen Körper, dein Herz, wie es klopft“, flüsterte er ihr in das Ohr, sein warmer Atem streifte sie und er roch so schön nach Mann. Erinnerungen stiegen in ihr empor. Es war Jahre her, eine Ewigkeit. Damals hatte sie es in der Hand gehabt, ihm zu entkommen, aber Non, sie hatte sich ihm ausgeliefert, nicht ahnend, was dadurch auf sie einstürzen würde.

„Atme und verdränge alle Gedanken. Alles. Tief die Luft in deinen Bauch eindringen lassen.“

Sie atmete und versuchte, an nichts zu denken, aber dafür war er ihr zu nah.

Er führte ihre Arme nach vorn, seitlich weg, behutsam ergriff er ihre Hände und bewegte diese. Alle Bewegungen vollführte er langsam. Sie zog die Luft ein. Ihre Gedanken dagegen konnte sie nicht verdrängen, dafür war er ihr zu bewusst. Shina fühlte etwas, allerdings nur seine warme Hand, die unterhalb ihrer Brüste lag und leicht auf den Rippenbogen drückte, selbst die Schmerzen waren kaum noch spürbar. Schöne Gefühle der Wärme, der Ruhe, der Zufriedenheit durchströmten sie, während er ihren Mund erkundete. Nach einer Weile löste er sich von ihr, hob sie auf den Arm und trug sie in das Schlafzimmer.

Am späten Nachmittag erzählte ihm seine Tochter beiläufig und ein wenig altklug, wie es zu den Verletzungen der maman gekommen war. Er raste, vor Zorn kochend zu seiner Mutter.

„Was hast du Shina angetan?“, meckerte er, kaum dass er im Haus war.

„Hat sich diese hinterhältige, verlogene, widerliche oni eine neue Gemeinheit deiner armen, kranken Mutter gegenüber ausgedacht?“

„Ich möchte von dir wissen, was du mit Shina gemacht hast? Ihr Gesicht ist zerkratzt, das Dekolleté grün und blau. Sie hat überall Verletzungen, sogar auf den Oberschenkeln, dem Rücken.“

Nyoko schaute ihn an, während sie den Hass und die Eifersucht spürte. „Hat diese abstoßende onna gewagt, dich zu belästigen, sich etwa an dich geworfen? Hat dich diese abscheu…“

„Mutter, es reicht! Was wir im Bett machen, geht dich wohl nichts an. Was hast du meiner Frau angetan?“

Nyoko verzog ihr Gesicht leicht, als wenn sie weinen wollte, stöhnte dabei leise und mit leiser, weinerlicher Stimme brachte sie heraus: „Diese unwürdige oni ist über mich hergefallen, da habe ich mich nur gewehrt.“

Akira blickte sie ungläubig an. „Das würde sie nie tun“, äußerte er spontan, voller Überzeugung. „Niemals.“

Sie drehte ihm den Rücken zu, tupfte ihre Augen. „Frage deine unnütze, bösartige oni, aber die lügt ja nur. Trinken wir Tee, das ist gut für den Frieden und die Harmonie in der Familie. Denke an giri, mein Sohn.“

Akira wusste nur zu gut, was seine Mutter meinte und er versuchte auch heute, die komplexe Vorstellung von moralischer Pflicht ihr gegenüber zu erfüllen.

Wörtlich übersetzt heißt giri, der richtige Grund. Im Prinzip handelt es sich bei giri um eine moralische Verpflichtung oder den Status einer Person, sich einer anderen Person gegenüber in vorgeschriebener Weise benehmen zu müssen, um nicht entehrt zu werden. Die Regeln sorgen für das Vorhandensein von Ehre, Scham und Furcht vor Gesichtsverlust.

„Akira, wir müssen mit dem Karma und kaihatsu leben, indem du diese widerliche, hässliche onna geheiratet hast. Sie wird eine abscheuliche, verlogene iteki bleiben, eine böse, schauderhafte, faule, kriminelle oni.“

„Rede nicht so von ihr. Shina ist eben die Frau, die ich wollte, damit wirst du dich abfinden müssen. Es funktionierte doch die Jahre davor.“

„Et, weil ich diesen Mann geheiratete habe, dieser … gaijin mich gezwungen hat, all ihre Unzulänglichkeiten hinzunehmen, ihre Respektlosigkeit, ihre Frechheiten, ihre Lügen, ihre Angriffe, ihre Missachtung meiner Person. Hättest du eine Japanerin geheiratet, wäre alles anders.“

„Shina war sehr nett zu dir. Was du erzählst, passt nicht zu ihr. So ist sie nicht.“

„Solange jemand dabei ist. Aber ich darf ja nichts sagen, sonst schimpft dieser gaijin mit mir. Deine Frau beschwerte sich ja ständig bei ihm, erzählt ihm nur Lügengeschichten und er glaubte ihr mehr, als mir, weil sie eben eine iteki ist. Ich bin ja nur seine Frau, die er betrügt, belügt. Nicht genug Geld gibt er mir, dafür dieser hässlichen onna und diesem Bastard.“

Mühelos drückte sie einige Tränen heraus. Das Weinen war ihr immer leicht gefallen. Sie konnte Tränen fast auf Kommando zum Fließen bringen und hatte von klein auf bemerkt, welche Wirkung sie damit erzielte. Besonders bei ihrem Vater, der ihr jedes Mal schnell jeden Wunsch erfüllte. Ihren Mann hatte sie gerade am Anfang damit zur Nachgiebigkeit genötigt, damit ihre Wünsche und ihren Willen durchgesetzt, so wie bei Akira.

Er war mehr als betrübt, dass er seiner werten Mutter so etwas unterstellt hatte. Ihre Tränen rührten ihn, so fuhr er daher kurze Zeit später los, kaufte eine teure, goldene Kette und einen großen Blumenstrauß. Gleich war die Missstimmung zwischen ihnen verflogen und er atmete erleichtert auf. Nicht einen Augenblick zweifelte er an ihren Worten, im Gegensatz glaubte er aber auch der Aussage seiner Tochter. Es war so undurchsichtig und so schob er es beiseite. Momentan war er zufrieden, dass die Unstimmigkeit zu seiner verehrten Mutter beseitigt war. Das war wichtig, da das seine Erziehung von ihm verlangte.

„Akira, ich habe mit deiner unnützen oni gesprochen, damit sie dir einen Erben, einen Sohn, schenkt.“

Sie saßen gemütlich im Wohnzimmer, Tee und Gebäck stand parat.

Er wollte etwas erwidern, aber sie hob kurz den Fächer. „Lass mich ausreden, mein geliebter Sohn. Ich habe ihr über den Beischlaf erzählt, über die besten Positionen, damit sie Bescheid weiß. Sie ist dazu verpflichtet, dir einen Sohn zu gebären. Ich musste ihr erklären, wie es funktioniert, damit du das Erlebnis der Wolken und des Regens richtig genießen kannst. Sie weiß nicht, wie japanische Männer sind, kennt nicht deren Kraft, deren Flair und die Entschlossenheit, bei diesem Spiel das Äußerste zu erreichen. Sie ist nur eine dumme, unwissende, widerwärtige iteki, die sich mit allen anderen gaijin gepaart hat, so wie es räudige Straßenköter tun“, tönte es angewidert aus ihrem Mund.

Er sah verlegen beiseite, da ihm das mehr als unangenehm war, dass sie mit Shina über ihr Sexualleben geredet hatte, obwohl da seit Monaten einiges im Argen lag, aber das war am Morgen anders gewesen und er lächelte, als er daran dachte.

In Nyoko krochen die übersteigerte Eifersucht und der zügellose Hass hoch, als sie sein Gesicht erblickte. Montag würde sie dieser onna klarmachen, dass sie die Finger von ihrem Akira lassen sollte. Diese yûrei würde nie wieder das Kopfkissen mit ihrem geliebten Sohn teilen, dafür würde sie sorgen. Diese onna musste weg, endlich weg.

„Hättest du auf mich gehört und eine zauberhafte Blume Japans geheiratet, wäre das nicht nötig gewesen“, klagte sie. „Die Frauen wissen das alles. Sie wissen, was das Yang ihres Ehemannes benötigt, damit er Freude und Befriedigung dabei empfindet.“

„Lassen wir das Thema.“

„Du bist viel zu gut zu dieser mamono. Du musst sie jeden Tag feste verprügeln, damit sie begreift, welches ihre Pflichten sind oder noch besser, fordere sie auf, kigai zu begehen. Ich helfe dieser bösen, hässlichen onna dabei, wie es die Ehre befiehlt. Dann sind wir reich und diesen bösen yûrei los. Aber sag, mein geliebter Sohn, du kannst mir bestimmt sagen, wie man Chrysanthemengift herstellt?“

„Weshalb möchtest du das wissen?“ Völlig perplex guckte er sie an, da er in Gedanken noch bei dem Morgen war.

„Nur so. Es interessiert mich. Ich habe so schöne Chrysanthemen gesehen und da fiel mir das ein“, erwiderte sie harmlos.

„Ich weiß es nicht.“

„Seit wann belügst du deine Mutter? Das entspricht nicht der Ehre.“

Jetzt bekam er doch einen Schreck, hatte Angst, dass sie sich etwas antun könnte, bei den ständigen Krankheiten, die sie plagten, dem ewigen Ärger mit der Schwiegertochter. Shina sollte rücksichtsvoller, liebevoller mit seiner Mutter umgehen.

„Man kann nie wissen, was man wann benötigt. Sage es mir bitte. Deine liebende Mutter bittet dich darum“, und er erzählte ihr mehr über die Zubereitung. Ich werde mich liebevoller um sie kümmern müssen, damit sie merkt, dass sie sich auf mich verlassen kann. Das ist mein Karma, dachte er dabei.

An diesem Abend kam er wiederum spät nach Hause. Er fand seine Frau schlafend in ihrem Zimmer vor. Er war darüber sogar erleichtert, da er nicht ihren wenig erfreulichen Anblick ertragen musste. Er duschte ausgiebig, war dabei gedanklich bei dem netten Erlebnis, welches er zuvor genossen hatte und legte sich in sein Bett, schlief wenig später.

Shina hingegen hatte keineswegs geschlafen, stand nun auf. Sie hatte heute das gesamte Haus nach der Pistole abgesucht, diese jedoch nicht gefunden. Nun eilte sie zu seinem Auto, aber auch dort fand sie diese nicht. Wieso hatte sie gestern Abend nicht sofort geschossen? Sie hatte nicht mit ihm gerechnet, wollte nur noch wenige Minuten das Meer riechen, das Rauschen hören und die Stille genießen, Abschied nehmen.

Die Nachtluft war warm und sanft, der Mond stand hoch in dieser Nacht. Der Garten umfing sie mit seinen Schatten, dem leichten Säuseln in den Baumkronen. Eine leichte Brise strich über sie hinweg, als sie langsam, die Ruhe, die Stille genießend, zu einer kleinen Bank schlurfte und sich darauf niederließ.

Sie beobachtete das Mondlicht, die Zweige davor, kohlrabenschwarz vor dem helleren Himmel, einige, letzte Blätter segelten zu Boden, als der Wind kurz aufwehte. Mit der rechten Hand stützte sie den linken Arm ein wenig, der ihr wehtat. Ihre Schwiegermutter hatte sie heute dort mit dem Metallgriff des Fächers geschlagen, sie dabei wüst beschimpft. Mariko war dazwischengekommen und hatte das Schauspiel beendet. Heiße Tränen krochen in ihr empor, als sie die Worte hörte: „Mariko, du musst dieser bösen iteki zeigen, dass du eine Japanerin bist. Du kannst sie treten, hauen, damit sie besser wird und wenn sie schimpft, sagst du mir Bescheid. Ich werde dich verteidigen, aber sage das nicht deinem werten Vater. Es ist unser Geheimnis. Es soll eine Überraschung für ihn werden.“

Sie musste eine neue Waffe besorgen und dieses Mal würde sie schießen. Gut nur, dass sie wusste, bei welchen Leuten man solche Gegenstände bekam. Ihr ehemaliger Beruf als Kriminalbeamtin half ihr da.

Erst als die Dämmerung heraufzog, schlich sie in das Haus. Ein neuer Tag war angebrochen und mit ihm ihre Furcht vor dem, das kommen würde.

信頼

Drei Tage nach diesem Vorfall fand Akira auf seinem Konto eine Gutschrift vom D´Serrviere-Konzern in Höhe von zweihunderttausend Franc vor. Erstaunt, aber noch an ein Versehen glaubend, rief er Dr. Villion an, der den Konzern für Shina leitete.

„Das ist der Mietanteil von Madame D´Leciere für die drei Jahre, die sie in dem Haus wohnt, Monsieur Hideyoshi D´Leciere. Die Kosten des alltäglichen Lebens, wie Strom, Telefon, Versicherungen, Lebensmittel und so weiter, werden ja sowieso von Madame beglichen, wie Sie wissen. Nach Rücksprache mit Madame und Madame D´Serrviere finden wir das ausreichend. Sollten Sie noch weitere Forderungen stellen, reichen Sie die bitte schriftlich ein, aber ich möchte daran erinnern, Monsieur Hideyoshi D´Leciere, das Sie seinerzeit einen Ehevertrag unterschrieben haben, aus dem nicht hervorgeht, das Madame für Ihre Kosten aufzukommen hat oder Sie ständig Ihre Ausgaben von dem Geld von Madame D´Leciere bestreiten. Sie sollten sparsamer leben. Sie entschuldigen mich, da ich noch zu arbeiten habe.“

„Doktor Villion, warten Sie. Ich möchte dieses Geld nicht.“

„Ach, Non?“

Akira begann zu kochen, als er die zynische, kalte Stimme des Mannes hörte. „Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten Sie es nicht bekommen. Sie haben in den drei Jahren Ehe Madame ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Aber anscheinend wollen Sie mehr. Überspannen Sie den Bogen nicht, sonst erhalten Sie trotz aller Anweisungen von Ihrer Frau keinen Centime mehr. Noch habe ich ein erhebliches Mitspracherecht im Konzern und ich bin nicht bereit, die Geldgier von Ihnen und Ihrer geldgierigen Mutter weiter zu befriedigen. Zudem reicht es Madame D´Serrviere. Bezahlen Sie gefälligst in Zukunft die Weiber von Ihrem Geld, Monsieur und Ihr Auto, Ihre Anzüge und alles andere ebenfalls. Wenn Sie nicht genug verdienen, müssen Sie sparsamer leben, den Damen, Ihrer Mutter weniger Schmuck und all die anderen Gegenstände schenken. Sie spielen den großen Mann auf Kosten einer Frau. Schämen Sie sich nicht? Sie haben keine Ehre, noch nicht einmal Anstand. Sie haben eine Frau geheiratet, die durch den Tod des Vaters, durch all die Erlebnisse am Boden zerstört war, weil Sie habgierig sind. Sie sind nur hinter dem Geld her gewesen. Solche miesen, charakterlosen Kerle, die nichts taugen und sich in das gemachte Nest setzen wollen, haben Guy und ich davor bereits kennengelernt. Es reicht! Sie und Ihre habgierige Mutter werden in futurum keinen Centime mehr bekommen. Möglicherweise sollten wir Sie und Ihre Mutter verklagen, diese Summen zurückfordern. Bei der nächsten Aufsichtsratssitzung werde ich das so vortragen. Sie standen Ihnen nie zu. Sie sind zu raffgierig geworden. Ein Parasit. So hat Sie Guy damals bezeichnet und ihn hat seine Menschenkenntnis nie getrogen.“

„Doktor Villion“, er lauter werdend. „Vergleichen Sie mich nicht mit diesem … Verbrecher.“

„Guy hat im Gegensatz zu Ihnen von dem Geld gelebt, was er verdient hat und keinen Franc von seiner Frau, aus dem Konzern genommen. Das hatte er nicht nötig, weil er Charakter hatte, obwohl er Fehler gemacht hat. Es steht Ihnen gewiss nicht zu, darüber zu urteilen, besonders Ihnen nicht. Sie sind nichts als ein Aufschneider oder sagen Sie der jeweiligen Dame, dass Sie das Geld Ihrer Frau gestohlen haben, um sie zu beschenken?“, klang es höhnisch. „Sie sind nichts weiter als ein fauler Kerl, der stiehlt, lügt und betrügt. Haben Sie in Ihren Leben etwas für Arme und Kinder getan? Non, bestimmt nicht. Aber Guy hat es dreißig Jahren getan und seine Tochter führt es fort. Dafür wären Sie doch zu habgierig. Gut, dass Sie da kein Mitspracherecht haben, sonst wäre es nicht zu dem neuen Waisenhaus gekommen, weil Sie lieber selbst Unsummen verprassen und verhuren. Sie sind nur ein widerwärtiger Schmarotzer, ein verantwortungsloser Kerl, der andere Ehen zerstören kann, der lügt, stiehlt und betrügt. Au revoir.“ Der Mann hatte aufgelegt.

Akira schäumte vor Wut und so raste er nach Hause.

Shina würde ihn, den Japaner, nie verstehen. Sie waren zu verschieden, grübelte er auf der Fahrt. Nur hatte er es nicht bereits zu Beginn gewusst, dass Welten zwischen ihnen lagen? Er hatte damals vermutlich eine falsche Entscheidung getroffen, als er eine Europäerin heiratete. Eine japanische Ehefrau wäre nie so, würde sich ganz anders verhalten, in jeglicher Beziehung. Er seufzte leise.

„Kannst du mir sagen, was das zu bedeuten hat?“, meckerte er Shina grob an, nachdem er seine Tochter aus dem kleinen Zimmer, welches Shinas privater Bereich war, hinausgeschickt hatte.

„Es reicht also nicht, wie mir Pierre soeben mitgeteilt hat. Wie viel noch?“ Sie guckte ihn dabei mit leerem Blick an.

Er zog sie grob vom Stuhl hoch, fasste sie fest um die Oberarme, schüttelte sie wie eine leblose Puppe. Ihr Kopf flog hin und her. „Ich möchte kein Geld, wollte nie welches. Begreifst du dumme gaijin das?“

Er gab ihr einen kräftigen Schubs, ließ sie dabei abrupt los. Shina Knie gaben nach und sie prallte mit voller Wucht gegen die Ecke ihres Schreibtisches. Sie hielt für einen Moment den Atem an, so stark war der Schmerz, Tränen traten in ihre Augen, dann sackte sie zusammen, schlug mit dem Kopf hart auf die Holzkante des Bettes auf, bevor sie zu Boden fiel.

Er sah zu ihr hinunter. „Merde, begreifst du es nicht?“, schrie er, bevor er realisierte, was er da eben unbeabsichtigt getan hatte. Er trat näher, zog sie mit einem Ruck am linken Arm auf. „Gomen, das wollte ich nicht, aber warum bist du so? Erzählst dem Mann Lügengeschichten, dass ich Geld von dir verbrauche. Ich benötige bestimmt kein Geld von dir. Nun beschuldigst du sogar meine liebe verehrte Mutter. Die Frau hat nie einen Franc von dir genommen oder bekommen, weil du keinem etwas gibst, du raffgieriges … Was soll das?“ Nochmals schubste er sie nach hinten, schaute sie voller Zorn an. Er vergaß in dem Moment seine ganze japanische Erziehung, so wütend war er.

Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten und automatisch tastete ihre rechte Hand nach oben, an den Kopf, aber sie schaffte es nicht, so blieb sie gekrümmt stehen.

„Shina, komm, setz dich. Was steht so ein blöder Schreibtisch in meinem Zimmer? Als wenn du so was benötigen würdest? Du arbeitest doch sowieso nie, faulenzt den ganzen Tag nur herum.“

„Wie viel Geld … möchtest du … noch? Ich rufe gleich … an.“

„Merde, ich will kein Geld von dir, wollte ich nie. Wie stellst du mich hin? Bildest du dir ein, weil dir so eine Firma gehört, wärst du etwas Besonderes? Hast du bloß von diesem Verbrecher geerbt. Du warst nie mehr, als eine kleine, dumme Polizistin.“

„Du hast es mir doch erst vor … wenigen Tagen gesagt, dass du für mich … mich arbeiten musst. Entschuldige, dass ich gedacht habe …“ Eine neue Schmerzwelle raste durch ihren Körper, nahm ihr für einen Moment die Luft. „Ich hatte gedacht, dass dir die zwanzigtausend Franc, die du jeden Monat von mir bekommst, reichen, aber ab sofort werden es dreißigtausend sein, da ich ja so kostspielig bin, Reisen, Schmuck und Luxus möchte.“ Sie sagte es leise ohne Emotionen.

„Du bist total verrückt. Es reicht mir langsam. Das hält man ja nicht aus“, verließ dann den Raum.

Sie versuchte, sich zu bewegen, hielt sich dabei am Schreibtisch fest, schleppte sich in das Bad, zog ihr Shirt aus und bemühte sich abermals nach oben zu tasten, aber sie schaffte es nicht. Ihr Kopf schmerzte, sie bekam kaum noch Luft, selbst das oberflächliche Atmen tat weh. Etwas Warmes lief ihren Rücken hinunter. Sie entfernte den mit Blut durchdrängte Verband an ihrem Oberarm, dann wurde es schwarz vor ihren Augen.

Er saß aufgebracht im Kinderzimmer, schaute seiner Tochter beim Spielen zu, war allerdings in Gedanken bei dem neuesten Vorfall. Er wusste, auf was sie angespielt hatte, aber das hatte er nur so in Rage daher gesagt und sie hatte das anscheinend sofort als Kritik aufgefasst. Was war bloß mit dieser Frau? Alles, was er sagte, musste er buchstäblich überlegen, da sie ansonsten beleidigt spielte, es falsch interpretierte. Als wenn er von ihr Geld benötigte? Er konnte seine Familie allein ernähren. Mariko verschüttet Saft und Akira wurde aus seinen Gedanken gerissen.

„Komm, wir gehen waschen und ziehen dir eine neue Hose an.“ Er hob seine Tochter hoch, betrat das Bad, wo er Shina liegen sah. Da war das Blut, der Verband. Schnell stellte er Mariko hinunter, beugte sich über seine Frau. „Was ist nun wieder?“, fragte er sie aufgebracht, holte einen Waschlappen, machte ihn nass und legte ihr den auf die Stirn.

„Maman, hast du?“ Mariko stand da, starrte auf ihre Mutter.

„Mariko, geh bitte in dein Zimmer. Ich komme gleich.“

„Maman …“

„Sie ist nur hingepurzelt. Ist nicht schlimm. Maman ist zu dumm zum Laufen“, versuchte er die Kleine zu beruhigen, während er Shina die Haare aus dem Gesicht streifte und die Stichwunden, die Hämatome in ihren Oberarm betrachtete.

„Is nie schlimm, sagt die grand-mère, wenn Blut is. Wie vorhin, als die grand-mère da war und sie stecht und tretet hat“, gab seine Tochter kund, während sie auf die leblos daliegende Mutter starrte. „Is sie tot, dann freut sich die grand-mère.“ Die Tränen liefen bei dem Kind hinunter.

„Wer war heute hier?“

„Grand-mère. Sie hat mit maman meckert und so stecht, da am Arm. Is aber nich schlimm, mit maman kann man das machen und ich muss das mit dem Messer …“ Mariko schlug die kleine Hand vor den Mund, als wenn sie zu viel gesagt hätte, und sah ihren Vater dabei mit den schwarzen Augen unschuldig an, wischte über ihr Gesicht.

Shina bewegte sich, schlug die Augen auf. Akira wandte sich von seiner Tochter ihr zu.

„Komm, lege dich hin. Was hast du wieder angestellt? Du solltest einen Psychiater aufsuchen und dich für eine Therapie anmelden. Du bist ja völlig verrückt.“ Er wollte sie aufheben.

„Es geht … schon.“ Shina versuchte hochzukommen, spürte den Schmerz und stöhnte leicht. Schließlich half er ihr und sah, dass ihr Busen zwei kleine Stichwunden hatte, das Blut auf dem Boden.

„Shina, was ist passiert? Was soll diese Schweinerei in meinem Bad? Kannst du faule iteki nicht mal putzen?“ Seine Stimme klang drohend und sie wandte sich ab, drehte ihm den Rücken zu. Er erblickte, das Blut in den Haaren, die verklebt waren, an der Wirbelsäule, am Ansatz zu ihrem Po die nächste Wunde, die nur wenig blutete, aber bereits dunkel verfärbt schien. Daneben zahlreiche Hämatome, drei längere, noch nicht verheilte Striemen auf dem Rücken. Narben auf dem Oberkörper, unterhalb ihres Busen, an den Armen. Irgendwie verstand er nicht, was geschah.

„Geht ihr bitte. Ich komme gleich.“ Shina hielt sich am Waschbecken fest, den Kopf gesenkt.

„Du bist völlig bekloppt, du dumme gaijin. Allmählich kotzt du mich an, verblödete iteki und mach das sauber. Mein Haus soll nicht vorkommen.“ Akira verließ mit seiner Tochter das Bad.

Einen Moment stand sie unbewegt da, dann öffnete sie den kleinen Schrank und griff nach den Tabletten. Sie warf drei in den Mund, schluckte. Bald würden die Schmerzen erträglich sein, das wusste sie aus Erfahrung. Heute jedoch dauerte es nicht mehr lange, da in Kürze alles vorbei sein würde.

Sie verband den Arm neu, säuberte sich, anschließend das Bad und zog saubere Kleidung an. In dem kleinen Zimmer ließ sie sich auf das Bett fallen, ergriff ihr Handy und rief Pierre Villion an, den sie inständig anflehte, weitere hunderttausend zu überweisen. Es strengte sie dermaßen an, dass sie schwitzte, obwohl in dem Raum keine Heizung an war, da er ihr das verboten hatte. „Du wirfst mein Geld zum Fenster hinaus, wenn du den ganzen Tag die Heizung anstellst.“

„Das ist die letzte Summe, die ich von meinem Konto möchte, versprochen“, versuchte sie zu scherzen. Ja, dachte sie, es wird die letzte Summe werden. Ich möchte und kann nicht mehr. Aber die Erlösung von all dem stand ja bevor. Nur noch wenige Stunden, dachte sie, sich gleich besser fühlend. Der so ersehnte Tod würde heute kommen und sie aus dieser Hölle befreien.

Akira hatte seine Tochter umgezogen und betrat die Küche. „Mariko, was hat die grand-mère mit der maman gemacht?“

„Darf ich nich sagen. Is Überraschung für dich.“

„Ach so. Hhhmmm, vielleicht erzählst du es mir trotzdem“, versuchte er zu lächeln. „Ich bin nämlich sehr neugierig.“ Er schenkte Tee ein, der in einer Kanne auf einem Stövchen stand.