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TEIL 1: Leigh-Anne ist verzweifelt: Von ihrem Freund sitzen gelassen und von ihrem drogensüchtigen Bruder beklaut, muss sie sich von nun an allein durchschlagen, denn ihre schlecht bezahlten Jobs bringen ihr nicht das Geld ein, das sie zum Leben braucht. Aus diesem Grund entschließt sich die junge Architektin zu einem Branchenwechsel und bewirbt sich bei der renommierten Immobilienkanzlei Bernstein & Clark Real Estate. Sie scheitert kläglich, doch schon bald macht Evan Bernstein ihr ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann. Zwischen den beiden knistert es und ein leidenschaftliches Spiel mit dem Feuer beginnt. Aber Leigh-Anne ist sich sicher, dass sie sich bald schon verbrennen wird. *** TEIL 2: Leigh-Annes Welt wankt, denn sie hat sich von Evan getrennt, und ist deswegen zu ihrem Vater nach New York zurückgekehrt. Plötzlich steht Evan wieder vor ihr und will mit allen Mitteln um sie kämpfen. Nur widerwillig folgt sie ihrem Herzen und begleitet ihn zurück nach Beverly Hills. Sie will ihrer Liebe zu Evan eine Chance geben, doch der Umstand, dass er wegen seiner Firma keine Zeit für sie hat, nagt an der arbeitslosen Architektin. Um endlich mehr Zeit zu zweit zu haben, lässt sich Leigh-Anne auf einen Ausflug mit Evans Yacht ein. Doch die Folgen nehmen Ausmaße an, die niemand hätte erahnen können. *** TEIL 3: Leigh-Anne ist verzweifelt. Evan ist wurde zwar gefunden, doch er kann sich an nichts von dem erinnern, was sie gemeinsam erlebt haben. Sie entschließt sich für den Mann, den sie liebt, zu kämpfen, und sämtliche Hürden zu überwinden. Allerdings fällt es ihr zunehmend schwerer, ihren Job und den Kampf um Evans Erinnerungen unter einen Hut zu bringen. Werden Leigh und Evan diese letzte Hürde gemeinsam überwinden oder getrennte Wege gehen?
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Copyright © 2018 Drucie Anne Taylor
Korrektorat: S.B. Zimmer
Satz & Layout © Julia Dahl
Umschlaggestaltung © Modern Fairy Tale Design
Auflage 01 / 2024
Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte, Ähnlichkeiten mit lebenden, oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Alle Markennamen, Firmen sowie Warenzeichen gehören den jeweiligen Copyrightinhabern.
Honest Affection
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Fatal Attraction
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Sweet Obsession
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Über die Autorin
Weitere Werke der Autorin
Rechtliches und Uninteressantes
»O Gott«, stoße ich aus, als Joe ein letztes Mal fest in mich stößt. Es tut weh und ist keinesfalls geil, aber wenn ich meinen Freund, der einigermaßen flüssig ist, behalten will, muss ich ihm vorspielen, dass der Sex großartig ist. Joe und ich sind seit drei Jahren ein Paar. Wir haben uns kurz nach der Uni kennengelernt, in etwa so lange suche ich auch schon einen Job. Momentan halte ich mich und meinen Bruder mit Gelegenheitsjobs über Wasser, wobei ich eher sagen sollte, dass ich mit meinem Verdienst meine Rechnungen bezahle und alles andere irgendwie hinkriege.
Joe lässt sich auf mich sinken und haucht mir ins Ohr. Etwas, was er gern macht; etwas, was ich überhaupt nicht ausstehen kann. Man könnte es mit dem unangenehmen Gefühl vom Wasser im Ohr vergleichen, es ist gleichwertig widerlich. »Das war doch gar nicht so schlecht«, raunt er mir ins Ohr.
Scheiße, er hat gemerkt, dass ich ihm den Orgasmus vorgespielt habe. »Hm.«
Als er sich von mir löst, atme ich tief durch. »Wir sollten es beenden.«
Ich schaue ihn überfordert an. »W-was?«
»Wir sollten uns mit anderen treffen«, antwortet Joe tonlos.
»Ich … O-okay«, stammle ich und richte mich auf. »Das hättest du mir vorhin sagen können, dann hätte ich mich nicht auf die Nummer gerade eben eingelassen.«
»Komm schon, Leigh, sei nicht so zickig.«
Ich habe Tränen in den Augen. »Ich bin nicht zickig, ich bin enttäuscht.« Mühsam unterdrücke ich ein Schluchzen, wickle die Decke um mich und stehe auf, anschließend sammle ich meine Kleidung ein. »Ich ziehe mir etwas an.«
»Wenn du fertig bist, solltest du gehen«, sagt er emotionslos.
Ich drehe mich zu ihm um. »Das hast du dir ja alles wunderbar zurechtgelegt.«
»Wie meinst du das?«
»Schnell noch mal ficken und dann Schluss machen. Das meine ich!«, herrsche ich ihn an. »Du kannst mich mal.« Als ich meiner Wut Luft gemacht habe, verlasse ich sein Schlafzimmer. Ich eile ins Bad, wo ich mich umziehe. Ich werde zu Hause duschen.
* * *
Nachdem Joe mir netterweise einen Karton gegeben hat, habe ich die Sachen, die bei ihm waren, gepackt und mich auf den Heimweg gemacht. Nun stehe ich in der Garage meines kleinen Hauses und hoffe, dass mein Bruder keine seiner Furcht einflößenden Partys feiert. Beim letzten Mal musste ich einen Krankenwagen rufen, weil sich jemand zu viel getraut, auf einen LSD-Trip begeben hat und auf einmal an Atemnot litt. Ich weiß nicht, warum Tiernan sich mit solchen Leuten abgibt, aber vielleicht liegt es an seinem Job. Um ehrlich zu sein, kann man es nicht einmal so nennen, denn er ist bloß der Leadsänger einer semi-erfolgreichen Rockband. Chromebarks, wie auch immer sie auf diesen bescheuerten Namen kamen. Aber ich weiß, dass mit dem neuen Bassisten die Probleme aufgetaucht sind. Ich hoffe nur, dass mein Bruder sich nicht im Milieu dieser Leute, die der Kerl mit sich gebracht hat, verliert. Seit Moms Tod ist er anfällig für jeden Scheiß und nimmt sogar Drogen. Dreimal musste ich ihn im letzten halben Jahr ins Krankenhaus bringen, weil er versucht hatte, sich umzubringen. Beim ersten Mal waren es meine Schlaftabletten, die er mit einer Flasche Wodka runtergespült hat. Beim zweiten Mal hatte er sich die Pulsadern aufgeschnitten und beim dritten mal wollte er sich in der Garage mithilfe der Abgase meines Wagens ersticken. Mein Bruder macht mir Sorgen und ich habe keine Ahnung, ob ich es nervlich verkrafte, ihn weiterhin zu beherbergen. Mein kleines Haus sollte meine Oase sein, inzwischen habe ich das Gefühl, dass er und seine Bandkollegen eine Methküche im Keller eingerichtet haben.
Als ich aus dem Auto aussteige, bekomme ich ein ungutes Gefühl im Bauch. Ich lasse den Karton unbeachtet zurück und laufe zur Haustür, die ich aufschließe. »Oh Fuck«, rufe ich schockiert aus. Mein Wohnzimmer ist verwüstet, der Fernseher ist weg, die Stereoanlage auch, zumindest erkenne ich das auf den ersten Blick. Mit zitternden Fingern hole ich das Handy aus meiner Hosentasche, wähle die 911 und warte darauf, dass mein Notruf entgegengenommen wird.
»Notrufzentrale, was kann ich für Sie tun?«, meldet sich eine freundlich klingende junge Frau.
»Hi, mein Name ist Leigh-Anne Cromwell und ich glaube, bei mir wurde eingebrochen.«
»Sind Sie in Ihrer Wohnung oder Ihrem Haus, Ms. Cromwell?«
»Nein, ich stehe auf der Veranda und starre das Chaos an.«
»Waren Sie schon im Haus?«
»Nein.«
»Dann warten Sie bitte auf den Streifenwagen, den ich Ihnen nun schicke.«
»Alles klar.«
»Warten Sie, bis die Kollegen bei Ihnen sind.«
Ich breche in Tränen aus. »Das werde ich, danke.« Statt weiter mit der Frau zu sprechen, setze ich mich weinend auf die Veranda. Ich ziehe die Beine an, lege meinen Kopf auf meine Knie und lasse meinen Gefühlen freien Lauf. Jetzt fehlt eigentlich nur noch das dritte große Ding. Joe hat schlussgemacht, ich wurde offensichtlich ausgeraubt, also muss definitiv noch irgendwas passieren.
* * *
»Ms. Cromwell?«, werde ich angesprochen.
Ich hebe den Blick. »Ja?« Vor mir stehen zwei Polizisten, der eine ist mittleren Alters, der andere dürfte nicht wesentlich älter sein als ich.
»Sie haben angerufen, weil bei Ihnen eingebrochen wurde.«
Daraufhin erhebe ich mich nickend. »Ja, was ich von der Tür aus erkennen konnte, lässt es vermuten.«
»Haben Sie einen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?«
»Vielleicht Freunde meines Bruders. Diese Leute sind drogenabhängig und ich habe sie die letzten Male, die sie hier waren, rausgeworfen, weil sie in meinem Haus Drogen konsumiert haben«, erkläre ich.
»Warum haben Sie nicht die Polizei gerufen, wenn Drogen konsumiert wurden?«, hakt der Jüngere der beiden nach.
»Muss das jetzt sein?«, frage ich heiser. »Ich wurde ausgeraubt und bin gerade nicht in der Stimmung, Ihnen zu erklären, warum ich die Kids nicht an die Polizei verpfiffen habe.«
Sie nicken. »Warten Sie hier bitte auf uns.«
»Okay.« Ich setze mich wieder auf die Holzstufe und lehne mich mit der rechten Schulter an das Geländer. Kann dieser Tag noch schlimmer werden? Ich wette, er kann es.
* * *
Der Wecker meines Handys lässt mich später, als die Spurensicherung eingetroffen ist, zusammenzucken. Ich hole es hervor, werfe einen Blick darauf und fluche wieder. »Das darf doch nicht wahr sein.« Dieser Tag ist definitiv zum Abgewöhnen. »Officers?«, rufe ich ins Haus.
Der ältere Cop kommt zu mir. »Ja, Ms. Cromwell?«
»Ich habe ein wichtiges Vorstellungsgespräch. Kann ich Sie allein lassen?« Während ich meine Situation erkläre, zeige ich auf mein Handy.
»Bernstein & Clark Real Estate, da haben Sie aber eine Menge vor.«
Ich nicke hektisch. »Ich brauche diesen Job, deshalb muss ich das Jobinterview unbedingt wahrnehmen.«
Er lächelt, doch sein Schnauzbart verbirgt seine Zähne gekonnt. »Fahren Sie nur, Ms. Cromwell, wir werden sicher noch eine Weile beschäftigt sein.«
»Ich schätze, ich bin in zwei Stunden zurück.«
»In Ordnung. Mein Kollege und ich werden auf Sie warten, sollten die Herrschaften von der Spurensicherung früher fertig sein.«
»Sie sind ein Schatz«, stoße ich erleichtert aus und kann nicht anders, als ihn kurz zu umarmen.
»Wow, was für ein Kompliment.« Der Officer tätschelt meinen Rücken.
»Danke.« Ich löse mich von ihm und eile zu meinem Auto.
»Ms. Cromwell?«
Da ich inzwischen die Tür geöffnet habe, drehe ich mich um. »Ja?«
»Wollen Sie sich nicht umziehen?«
»Ich habe ein paar Sachen im Auto«, erwidere ich, ringe mir ein Lächeln ab, dann steige ich ein.
* * *
Ich stehe in der Tiefgarage unter dem Gebäudekomplex, in dem sich Bernstein & Clark Real Estate befindet, und versuche, mich umzuziehen. Mein Hintern, der wegen des Strings leider Gottes nicht bedeckt ist, ragt in die Luft, während ich den Karton nach dem passenden Rock zu Blazer und Bluse durchsuche.
Jemand klopft an die Scheibe, weshalb ich erstarre. »Miss, was auch immer Sie vorhaben, das ist nicht der richtige Ort dafür.«
Ich schaue über meine Schulter hinweg zum Seitenfenster und erkenne einen groß gewachsenen Mann mit schwarzem Haar, der zu mir sieht. Er trägt einen Dreitagebart, sieht übernächtigt aus und ist so muskulös, dass er mich wahrscheinlich mit einem einzigen gezielten Schlag ins Nirwana befördern kann. »Ich suche bloß einen Rock, mehr nicht.«
»Warum tragen Sie keinen?«
»Ich habe Kaffee drüber gekippt«, lüge ich aus der Not heraus.
Er lacht leise. »Sie sollten sich beeilen, bevor der Sicherheitsdienst seine Runde dreht.«
»Danke für den Tipp.«
Er lächelt mich an, dann verschwindet er aus meinem Sichtfeld. Viel peinlicher kann es jetzt sowieso nicht mehr werden.
Nachdem ich noch ein paar Minuten den großen Karton auf dem Rücksitz durchwühlt habe, halte ich einen schwarzen Rock in meinen Händen. Dann muss ich den eben zur schwarzen Bluse und dem weißen Blazer anziehen. Umständlich ziehe ich ihn an, schnappe mir meine Handtasche und steige vom Rücksitz, um mich noch einmal auf den Fahrersitz zu setzen. Im Rückspiegel betrachte ich mein Make-up, das ich richten muss. Mit einem Feuchttuch beseitige ich die Schäden, die meine Tränen angerichtet haben, danach kämme ich mein Haar mit der Bürste, die ich immer in der Handtasche habe, und mache mir einen Pferdeschwanz. Als ich mit meinem Anblick zufrieden bin, nicke ich meiner Reflexion zu, steige aus und mache mich auf den Weg zum Vorstellungsgespräch.
Hoffentlich bekomme ich die Chance, für diese Kanzlei zu arbeiten, denn ich weiß nicht, wie ich mit meinem kleinen Gehalt allein zurechtkommen soll. Ohne Joes Hilfe kam ich gerade so über die Runden, jetzt wohnt auch noch mein jüngerer Bruder, der mich schon ein paar Mal beklaut hat, bei mir.
Als ich vor der Kanzlei stehe, atme ich tief durch, dann betrete ich sie.
Eine Frau mittleren Alters, die hinter einem Tresen sitzt, hebt den Blick. »Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«, erkundigt sie sich freundlich.
»Hi, mein Name ist Leigh-Anne Cromwell, Mr. Clark und Mr. Bernstein haben mich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen«, antworte ich, als ich die zwei Meter zu ihr zurückgelegt habe.
Sie wirft einen Blick in den Tischkalender vor sich, während ich meinen durch den Eingangsbereich schweifen lasse. »Ah ja, hier stehen Sie. Nehmen Sie doch einen Moment Platz, Mr. Clark wird Sie gleich empfangen.« Sie zeigt zur Seite zu einer Sitzreihe, die an der Wand aufgebaut ist.
»Danke, Mrs …«
»Pearson.«
»Danke, Mrs. Pearson«, wiederhole ich lächelnd, anschließend wende ich mich ab, um an der Seite Platz zu nehmen. Ich nehme das Handy aus meiner Handtasche und schalte den Ton aus, damit es nicht, wie in meinem letzten Vorstellungsgespräch, los klingelt. Bis heute bin ich davon überzeugt, dass ich die Stelle nicht bekommen habe, weil ich so nachlässig war.
Minuten vergehen und ich behalte die geschlossenen Türen, die ich, ohne mich zu verrenken, sehen kann, im Auge.
Nichts passiert.
* * *
Eine gute Stunde später kommt Mrs. Pearson zu mir. »Ms. Cromwell, Mr. Clark empfängt Sie nun.«
Überrascht schaue ich sie an. »Aber Mr. Bernstein wollte auch dabei sein.«
»Mr. Bernstein befindet sich noch in einer Telefonkonferenz, er wird später dazustoßen«, erklärt sie und deutet in den Gang, den ich in den letzten sechzig Minuten im Auge behalten habe.
»Okay.« Ich erhebe mich und hoffe, dass ich mit meinem kleinen Einspruch keine Minuspunkte gesammelt habe. Ich habe mich geduldig gezeigt und nicht einmal auf mein Handy geschaut, da so was einen schlechten Eindruck macht und ich den unbedingt vermeiden will. Sicher befragen die beiden auch Mrs. Pearson, wie ich mich während des Wartens verhalten habe. »Tut mir leid, dass ich so irritiert war, Mrs. Pearson.«
»Kein Problem, Ms. Cromwell, ich wäre es auch gewesen, wenn ich erst im Nachhinein erfahren hätte, dass einer der Chefs nicht anwesend sein wird«, entgegnet sie freundlich, als sie mich durch den Flur führt.
An den Wänden hängen Fotos von Herrenhäusern. Vielleicht sind es Immobilien, die die Firma der beiden schon verkauft hat. Ich folge ihr, ohne mich großartig umzusehen, da ich nicht unhöflich wirken will.
Schließlich öffnet Mrs. Pearson eine Tür. »Mr. Clark?«
»Ja?«
»Kann ich mit Ms. Cromwell reinkommen?«
»Schicken Sie sie bitte rein, Mrs. Pearson«, erwidert er und seine Stimme klingt ungemein tief, sexy und rau.
Gänsehaut bildet sich auf meinen Armen, weshalb ich froh über den Blazer bin, den ich trage.
»Ja, Sir.« Sie schaut zu mir, lächelt und deutet ins Büro.
»Vielen Dank«, sage ich leise und betrete es.
»Kann ich Ihnen noch etwas bringen, Mr. Clark?«
Mr. Clark sieht mich direkt an. »Nein danke, Mrs. Pearson.«
»Und Ihnen, Ms. Cromwell?«
Ich drehe mich zu ihr um. »Nein, vielen Dank.«
Sie schließt die Tür, Mr. Clark räuspert sich hinter mir.
Abermals wende ich mich um und erröte, als ich seinen durchdringenden Blick bemerke. »Entschuldigen Sie bitte.«
Er erhebt sich von seinem majestätisch anmutenden Schreibtisch und deutet auf die Sessel davor. »Nehmen Sie bitte Platz, Ms. Cromwell.«
Wow, kein Gruß, kein Händeschütteln – sehr unterkühlt. Genauso sieht er mich auch an. »Danke«, sage ich leise, nähere mich seinem Schreibtisch und strecke meine Hand aus.
Mr. Clark würdigt sie keines Blickes, sondern setzt sich wieder.
Ich nehme ebenfalls Platz und warte darauf, dass er anfängt, mir Fragen zu stellen.
»Sie haben an der Cornell University studiert?«
»Ja, das habe ich.«
»Ihr Hauptfach war Architektur, warum wollen Sie nun einen Job als Immobilienmaklerin?«, erkundigt er sich und sieht mich interessiert an.
»Ich habe alles Relevante über Immobilien gelernt und denke, dass ich mit meinem Wissen eine Bereicherung für Ihre Firma wäre.«
Daraufhin nickt er. Mr. Clark nimmt ein Exposé von seinem Schreibtisch und reicht es mir. »Versuchen Sie, mir diese Immobilie zu verkaufen.«
Ich werfe einen Blick darauf und schlucke. »Mr. Clark, das ist eine Bruchbude«, sage ich vorschnell. »Ich dachte, Sie verkaufen ausschließlich Luxusimmobilien.«
»Sie sollen gerade nicht darüber nachdenken, was wir ausschließlich verkaufen, sondern darüber, wie Sie mir dieses Haus verkaufen.«
O Gott, das Haus hat definitiv schon bessere Tage gesehen. Die Farbe blättert von den Fensterläden ab, der Putz ist teilweise abgeplatzt und ein Anstrich sowie neue Fenster, da sie teilweise eingeschlagen wurden, sind längst überfällig. Ich hole tief Luft. »Also … diese Immobilie ist … charmant und überzeugt mit dem sehr rustikalen Garten.« Rustikal ist mal ein netter Ausdruck für einen mit Unkraut überwucherten Garten.
»Warum ist diese Immobilie denn charmant?«, hakt er nach.
»Nun, sie liegt im Grünen, erbaut wurde sie schätzungsweise in den 1920er oder 1930er Jahren.«
»Woran erkennen Sie das, Ms. Cromwell?«
»Am Baustil, der wurde überwiegend zu dieser Zeit angewandt.«
»Welcher Baustil ist es denn?«
Verdammt! »Äh …«
Er zieht mir das Exposé aus der Hand. »Ich denke, das reicht.« Mr. Clark sieht mich streng an. »Besonders überzeugend war das nicht, Ms. Cromwell.«
»Sie haben mich ins eiskalte Wasser geworfen, ich war ein wenig überrascht.«
»Und Sie glauben, dass Sie hier nie ins kalte Wasser geworfen werden?«, bohrt er tiefer nach.
Mein Herzschlag beschleunigt sich. »Mr. Clark, es tut mir leid, ich konnte mich nicht ausgiebig auf dieses Jobinterview vorbereiten. Mein Freund hat schlussgemacht und es wurde in mein Haus eingebrochen.«
»Das sind sehr nette Ausreden, Ms. Cromwell«, sagt er unbeeindruckt.
Ich seufze. Warum soll ich ihm sagen, dass es keine sind, wenn sich seine Meinung bereits gefestigt hat?
Es klopft an der Tür, sie wird geöffnet. »Tut mir leid, dass ich zu spät bin, Aaron, das Gespräch hat etwas länger gedauert.«
»Schon in Ordnung.«
»Wen haben wir hier sitzen?«, erkundigt sich der Mann, der nun auch in meinem Sichtfeld auftaucht.
Oh Fuck! Er hat mich in der Tiefgarage gesehen und ... meinen halbnackten Arsch begutachtet. Meine Wangen brennen wie Feuer, denn er ist der andere namensgebende Partner in dieser Immobilienkanzlei.
»Evan, das ist Leigh-Anne Cromwell, studierte Architektin und sie hat sich als Maklerin bei uns beworben.«
»Guten Tag, Mr. Bernstein.« Ich erhebe mich und strecke meine Hand aus.
Er lächelt mich an, als er meine Hand ergreift. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Ms. Cromwell, wie ich sehe, haben Sie noch einen Rock gefunden.«
Peinlich berührt schließe ich für den Bruchteil einer Sekunde die Augen. »Hm.«
Mr. Bernstein lässt meine Hand los und geht hinter den Schreibtisch. »Was habt ihr bereits besprochen?«
»Ms. Cromwell sollte mir die Steinman Immobilie verkaufen, allerdings hat sie versagt«, erklärt Mr. Clark.
Äußerst charmant, das für mich hörbar zu erledigen. Beschämt senke ich den Blick. Scheiße, dieser Tag hätte beschissener nicht laufen können.
»Ms. Cromwell?«, spricht Mr. Bernstein mich an.
Ich schaue ihn an.
»Mein Kollege sagte, dass Sie einen sehr turbulenten Tag hatten, entspricht das auch wirklich der Wahrheit?«
»Ich wünschte, dem wäre nicht so, aber ja, bei mir wurde tatsächlich eingebrochen.«
»Warum haben Sie das Gespräch nicht abgesagt?«, möchte er weiter wissen.
»Weil es keinen guten Eindruck gemacht hätte«, antworte ich aufrichtig.
»Stattdessen haben Sie lieber einen wichtigen Teil des Vorstellungsgesprächs in den Sand gesetzt?«
Mühsam unterdrücke ich ein verzweifeltes Seufzen. »Ich habe es zumindest versucht und ich bin der Meinung, dass ich, wenn Sie mir eine Chance geben, eine Bereicherung für Ihre Kanzlei bin.«
»Wie kommen Sie darauf?«, hakt er nach.
»Ich kenne alle angewandten Baustile in der Stadt, weiß, in welchen Jahren sie angewandt wurden, und ich bin in der Lage, mir neues Wissen sehr schnell anzueignen. Außerdem könnte ich bei nicht renovierten Häusern viele Innenarchitekten empfehlen, es sogar selbst übernehmen, da ich den Double Major habe.«
Er nickt. »Das klingt alles sehr vielversprechend, aber wir können Sie kein Haus renovieren lassen, das Sie nicht verkauft haben.«
Ich schnaube, obwohl ich es gar nicht wollte. »Sie haben recht, aber ich gehe davon aus, dass eine so angesehene Kanzlei wie Ihre sehr viel Wert darauf legt, dass das Personal angemessen geschult wird, bevor es auf Kunden losgelassen wird, oder nicht?«
Mr. Bernstein verzieht seine Lippen zu einem breiten Lächeln. »Wohl wahr, dennoch muss ich mich mit meinem Kollegen besprechen.«
Ich nicke.
»Wir melden uns bei Ihnen, Ms. Cromwell.«
Daraufhin erhebe ich mich und strecke ihm meine Hand entgegen. Er ergreift und schüttelt sie. »Vielen Dank, dass Sie mich empfangen haben, Mr. Bernstein.«
»Sehr gern.«
Ich strecke Mr. Clark ebenfalls meine Hand entgegen, doch er ignoriert sie, weshalb ich sie zurückziehe. »Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen, Ms. Cromwell, wir werden uns bei Ihnen melden«, verabschiedet sich Mr. Bernstein freundlich von mir, während Mr. Clark bloß ein »Wiedersehen« für mich übrig hat.
Ich verlasse das Büro und bin kurz vorm Heulen. Es hätte wirklich nicht beschissener laufen können. Warum musste Mr. Clark auch verlangen, dass ich ihm die hinterletzte Bruchbude verkaufe? Und warum musste ausgerechnet dieses Wort aus mir herausbrechen? Nachdem ich mich von Mrs. Pearson, die mir wieder so freundlich entgegen gelächelt hat, verabschiedet habe, verlasse ich die Immobilienkanzlei von Bernstein & Clark.
* * *
»O Gott«, stoße ich aus. Die Spurensicherung hat das Chaos nur noch verschlimmert. Die Polizisten haben mich abgefangen, als ich vor der Garage geparkt habe, und mich vorgewarnt, aber dass es so schlimm ist, haben sie mir nicht verraten. Scheiße, warum passiert so was ausgerechnet mir? »Karma, du bist ein Arschloch«, sage ich leise und kämpfe mich durch das Chaos, dabei lasse ich meinen Blick schweifen. Zum Glück ist mein Papagei noch in seiner Voliere, die verschlossen ist.
»Chaos in der Bude, Chaos in der Bude«, krächzt er.
»Du hast recht, Chuck«, stimme ich ihm zu und mache mich ans Aufräumen. Ich bin mir sicher, dass ich Tage dafür brauchen werde.
* * *
Sieben verdammte Tage habe ich gebraucht, um mein kleines Haus auf Vordermann zu bringen. Hätte ich nicht arbeiten und mir zudem einen vernünftigen Job suchen müssen, wäre ich sicher schneller gewesen, aber von irgendwas muss ich leben. Ich bin froh, dass ich die nächste Miete schon bezahlt habe, aber die Zeit, eine gut bezahlte Stelle zu finden, drängt. Ich bin verdammt verzweifelt und dass ich wegen der letzten Vorstellungsgespräche auf heißen Kohlen sitze, macht die Sache nicht unbedingt besser.
Ich werde Tiernan umbringen, wenn er sich wieder bei mir blicken lässt. Seit einer Woche habe ich ihn weder gesehen noch kann ich ihn erreichen. Ich habe keine Ahnung, wo sich mein verdammter Bruder herumtreibt, aber ich will es auch nicht wissen. Vermutlich würde ich ihn wieder aus irgendeinem Drogenloch ziehen müssen und dafür sorgen, dass er nüchtern wird, aber ich habe die Schnauze voll.
Von Bernstein & Clark habe ich noch nichts gehört, also gehe ich davon aus, dass ich die Stelle an den Nagel hängen kann. Noch immer denke ich darüber nach, wie viele Fehler ich bei diesem Jobinterview gemacht habe. Der Job wäre perfekt gewesen, humane Arbeitszeiten, Krankenversicherung, Urlaubs- und Weihnachtsgeld plus Provision für jeden Verkauf bei einem sehr guten Gehalt. Ein Traum von einem Job. Für mich ist er ausgeträumt.
»Chuck, Keks, Chuck, Keks«, krächzt mein Papagei.
Ich stehe vom Sofa, das eine Grundreinigung hinter sich hat, auf und gehe zu seiner Voliere. »Na, Dicker.« Ich hole einen Cracker aus dem Karton, den ich auf dem Schrank neben seinem Käfig stehen habe, und öffne die Tür. »Hier hast du ihn.«
Chuck, mein hellroter Ara, nimmt ihn mit seinem kräftigen Schnabel aus meinen Fingern. Durch den Druck zerbricht der Cracker, aber er wird ihn trotzdem fressen.
»Was sagt man?«, hake ich nach. Ich habe den Vogel schon gefühlt ewig und unheimlich viel Zeit in ihn investiert, um ihm das Sprechen beizubringen – inzwischen wünsche ich mir, dass er gelegentlich die Klappe hält.
»Danke«, erwidert er krächzend und widmet sich dem Keks.
Eine Weile sehe ich ihm zu, doch dann wende ich mich ab, um mir in der Küche ein Sandwich zu machen. Während ich die Sachen dafür zusammenstelle, denke ich darüber nach, ob ich zurück nach New York gehen soll. Dad ist dort in der Politik tätig und ich habe mitbekommen, dass er vorhat für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, aber nach einem ziemlich heftigen Streit reden wir nicht mehr miteinander. Ich glaube, ich könnte blutend neben ihm liegen und er würde sein Taschentuch eher zum Putzen seiner Nase nutzen, als es mir zu reichen, damit ich es auf die Wunde drücken kann. Er ist kein besonders herzlicher Mensch, was sich auch in meinem Verhalten bemerkbar macht. Ich kann nicht gut mit körperlicher Zuneigung umgehen; mag es nicht, wenn man mich umarmt; ich hasse es regelrecht. Die einzigen Umarmungen, die ich zulasse, sind die meines Bruders und damals noch die meiner Mutter, die vor einigen Jahren das Opfer eines Attentäters wurde. Ich halte inne, um an Mom zu denken. Sie sagte immer, wenn ich die Uni hinter mir habe, soll ich nach Beverly Hills ziehen, da es dort die Menschen mit Geld gibt. Sie würden sich Häuser von einer Architektin entwerfen lassen … Pustekuchen. Ich habe weder in Architekturbüros noch in vergleichbaren Branchen einen Job gefunden, außerdem habe ich es gerade mal bis nach Dogtown, einen wenig gehobenen Stadtteil von L.A. geschafft. Es ist wirklich zum Verzweifeln.
Das Telefon klingelt. Ich eile ins Wohnzimmer, um den Anruf entgegenzunehmen. »Cromwell, hallo?«
»Ms. Cromwell, guten Tag, hier spricht Elaine Pearson von Bernstein & Clark Real Estate«, begrüßt sie mich freundlich.
»Guten Tag, Mrs. Pearson«, entgegne ich und rechne mit dem Schlimmsten.
»Ich komme gleich zur Sache. Leider haben sich Mr. Clark und Mr. Bernstein für einen Ihrer Mitbewerber entschieden. Es tut mir sehr leid für Sie, dass es nicht geklappt hat.« Ihre Worte klingen aufrichtig.
Ich räuspere mich, um den Kloß in meinem Hals zu besiegen. »Vielen Dank, Mrs. Pearson.« Meine Stimme ist leise, was daran liegt, dass ich kurz vorm Heulen bin. Mal wieder wegen Bernstein & Clark. »Machen Sie's gut, Mrs. Pearson.« Ich will auflegen.
»Nein, nein, nein. Moment, Ms. Cromwell«, hält sie mich auf.
»Warum?«, frage ich irritiert.
»Mr. Bernstein hat mich darum gebeten, einen Termin mit Ihnen zu vereinbaren.«
Meine Augenbraue flippt in die Höhe. »Wieso?«
»Ich weiß es nicht. Er bat mich lediglich darum. Wann hätten Sie Zeit für ihn?«
»Wenn ich nicht weiß, worum es geht, stehe ich für keinen Termin zur Verfügung«, antworte ich. Warum in aller Welt will der Kerl mich treffen?
»Ist das Ihr letztes Wort?«, fragt sie überrascht.
»Ja, richten Sie ihm aus, dass er mich selbst anrufen soll, wenn er etwas von mir will.«
»In Ordnung«, sagt sie wieder freundlich. »Auf Wiederhören, Ms. Cromwell.«
»Auf Wiederhören, Mrs. Pearson«, antworte ich. »Na super«, stoße ich aus, nachdem ich das Telefonat beendet habe.
Chuck knabbert unbeeindruckt seinen Keks weiter, während ich an seiner Voliere vorbei schlurfe. Wieder eine Absage. Neu ist es nicht, frustrierend ist es schon. Ich mache das Sandwich, auf das ich inzwischen keinen Hunger mehr habe, das allerdings schon halb belegt ist, fertig, anschließend laufe ich ins Wohnzimmer. Im Schneidersitz setze ich mich auf den Boden, ziehe das MacBook, das glücklicherweise nicht geklaut wurde, vom Tisch und klappe es auf. Am liebsten würde ich jetzt fernsehen – stundenlang. Allerdings haben mein Bruder und seine Freunde bevorzugt, mich meiner großen Elektrogeräte zu beklauen. Nun weiß ich auch, warum Tiernan sich nicht mehr bei mir blicken lässt. Er hat Schiss und den soll er auch haben, denn ich würde ihn erwürgen, würde er nun vor mir stehen. Wie kann man seine eigene Schwester beklauen? Ich verstehe es nicht. Seit Moms Tod ist er abgestürzt, ich habe mich einigermaßen gefangen, aber ich habe zu dem Zeitpunkt gerade das Studium angefangen und wurde abgelenkt. Tiernan saß allein zu Hause herum und hatte niemanden zum Reden. Ich war immer unterkühlt, er emotional und ich glaube, daran wird es liegen, dass er schlussendlich zu den Drogen gegriffen hat. So oft wollte ich ihn zu einem Entzug überreden, doch er hat sich dagegen gesperrt. Ich kann ihn nicht dazu zwingen, denn dann hätte die Therapie keinen Erfolg, dabei wünsche ich mir so sehr, dass Tiernan endlich von diesem Teufelszeug loskommt.
* * *
Ich habe noch mal sechs Initiativbewerbungen abgeschickt und hoffe, dass ich diesmal erfolgreich sein werde. Es kann doch nicht so schwer sein, einen Job zu finden. Ich habe einen guten Abschluss gemacht, den Double Major in der Tasche und normalerweise müssten sich Architekturbüros um mich reißen, aber nein. Sie entscheiden sich stets für Mitbewerber. Ich sitze noch immer im Schneidersitz, das Sandwich ist nur halb gegessen und mein Kopf liegt auf dem Sitzkissen der Couch. Meine Augen sind geschlossen, während ich darüber nachdenke, mit eingezogenem Schwanz zu meinem Vater zu kriechen. Er ist der Letzte, der mir helfen kann.
Das Klingeln des Telefons lässt mich zusammenzucken und Chuck aufschreien. Ich greife nach dem Mobilteil. »Cromwell, hallo?«, melde ich mich müde.
»Guten Abend, Ms. Cromwell, Evan Bernstein am Apparat, habe ich Sie etwa geweckt?«
»Nein, haben Sie nicht. Was kann ich für Sie tun, Mr. Bernstein?« Weder klinge ich freundlich noch feindselig, sondern einfach geschafft.
»Sie sind doch Architektin, nicht wahr?«
»Das sagt zumindest mein Diplom.«
Er lacht leise. »Hätten Sie in den nächsten Tagen Zeit für mich? Ich habe ein Baugrundstück gekauft, aber bisher konnte mich kein Entwurf meines bisherigen Architekten umhauen.«
»Und was habe ich damit zu tun?«, hake ich nach.
»Sie sind Architektin, Sie sind jung, sicher sind Sie noch nicht so verbohrt wie andere Ihrer Branche«, antwortet er gut gelaunt.
»Aha.«
»Oh, das klingt nicht gut.«
»Machen Sie mir dieses Angebot, weil ich nicht den Job in Ihrer Kanzlei bekommen habe?«
Mr. Bernstein schnaubt. »Nein, ich mache Ihnen dieses Angebot, weil ich denke, dass Sie mir das liefern können, was ich mir vorstelle, statt mir Ihre Entwürfe aufschwatzen zu wollen.« Er räuspert sich. »Also hätten Sie in den kommenden Tagen Zeit für einen Termin?«
»Ich muss in meinen Kalender schauen, warten Sie einen Moment.«
»In Ordnung.«
Umständlich stehe ich auf und versuche, wegen meines eingeschlafenen Fußes nicht hinzufallen. Ich humple in die Küche, verfluche still das kribbelnde Gefühl, wann immer ich den Fuß aufstelle, und stehe schließlich vor dem großen Wandkalender. »Wann passt es Ihnen am besten?«, erkundige ich mich.
»Am allerbesten heute Abend, da habe ich noch nichts geplant.«
»Heute Abend kann ich nicht, da ich morgen früh raus muss.«
»Wie sieht es mit morgen Abend aus?«
Ich fahre mit dem Finger die gesamte Woche ab. Da ich inzwischen einen zweiten Aushilfsjob als Putzfrau angenommen habe, ist jeder Tag voll. »Es tut mir leid, es ginge frühestens am Samstagabend.«
»Das ist ein Wort. Da die Kanzlei samstags geschlossen ist, müssten Sie bei mir vorbeikommen oder ich suche Sie bei sich Zuhause auf«, entgegnet er.
»Weder noch.«
»Dann würde ich Sie abholen und wir gehen miteinander essen, so kann ich mich auch für meinen blöden Spruch in der Tiefgarage entschuldigen.«
»Mr. Bernstein, sagen Sie mir, wohin ich kommen soll, und wir treffen uns dort.«
»Ich werde meine Assistentin bitten, einen Tisch zu reservieren und Ihnen Bescheid zu geben«, sagt er versöhnlich.
»Geht klar.«
»Vielen Dank, Ms. Cromwell.« Irgendwie klingt er anders. Ob er wohl lächelt?
»Bis dann, Mr. Bernstein.« Ich lege auf und das Telefon auf den Küchentresen. Ich kann den Kerl irgendwie nicht leiden und ich glaube, dass eine Zusammenarbeit so gut wie unmöglich sein wird, da ich noch keinerlei Berufserfahrung habe. Ich weiß nicht, wie ich ihm dann einen Entwurf für ein Haus zaubern soll. Klar, ich kann es schon mal zeichnen, aber wie viel ich letztlich für meine Arbeit berechnen kann, da ich auch den Bau beaufsichtigen muss, weiß ich nicht. Vielleicht kann ich das bei einem ehemaligen Kommilitonen, der in einem Architektenbüro arbeitet, erfragen. Jonah wird mir sicher helfen.
Noch immer wegen seiner Bitte irritiert, lasse ich meinen Kopf wieder nach hinten kippen. Warum will Bernstein jemanden ohne Berufserfahrung engagieren? Es bringt ihm doch nichts, wenn er doppelt Geld in den Sand setzt. Wie dem auch sei, ich bin gespannt, wie es laufen wird.
* * *
Eine Nachtschicht in meinem Putzjob. Ich könnte heulen, denn morgen Vormittag darf ich im Supermarkt antreten, um meine dortige Schicht anzutreten. Es ist Halbzeit und ich dürfte Pause machen, aber wenn ich jetzt durchziehe, kann ich in der Früh wenigstens noch zwei Stunden schlafen. Ich hätte darauf achten sollen, dass ich nur in der Frühschicht arbeite, so hätte ich mit meinem Chef im Supermarkt besprechen können, dass er mich nur in der Spätschicht einsetzt und nachts hätte ich schlafen können. Aber nein, so gut hatte ich die Sache nicht durchdacht.
Ich bin müde und drei Stunden stehen mir noch bevor. Um vier komme ich hier raus, um fünf muss ich im Laden stehen, um dort nahtlos acht Stunden weiter zu arbeiten. Irgendwie muss ich über die Runden kommen und nur auf diesem Weg funktioniert es.
»Leigh-Anne, kommst du bitte mal her?«, ruft meine Vorarbeiterin.
Seufzend stelle ich den Wischmopp weg, anschließend mache ich mich auf den Weg zu ihr. »Ja, Laetitia?«
»Was soll das hier sein?« Sie deutet in die Damentoilette.
Ich schaue durch die offene Tür. »Ein Schweinestall, aber ich war noch nicht hier angekommen. Ich kümmere mich gleich drum, okay?«
Sie zieht die Augenbrauen zusammen, sodass eine kleine Falte zwischen ihnen entsteht. »Na gut.« Laetitia nickt, aber ich sehe, dass es ihr nicht passt, dass ich diesen Saustall nicht hinterlassen habe. Sie kann mich nicht leiden und das trägt sie offen zur Schau. Sicher sucht sie nach einem Grund, um mich rauszuwerfen, beziehungsweise, sich bei unserer Chefin zu beschweren.
Ich gehe zurück zu meinem Putzwagen und kümmere mich um die Herrentoilette. Es ist ein widerlicher Job, aber es wird gut bezahlt, obwohl ich nicht extrem viel arbeite. Diese Woche bin ich allerdings fast jeden Tag eingeplant, außer am Wochenende, das ich wiederum im Supermarkt totschlagen darf. Mein einziger freier Tag ist der Sonntag. Freitagnacht muss ich auch wieder zum Putzdienst antreten, Samstagmorgen im Anschluss im Supermarkt. Ich habe keine Ahnung, wie ich das straffe Programm durchhalten soll, aber es muss sein. Halte ich es nicht durch, kann ich mich von meinem kleinen Haus verabschieden. Es hat bloß zwei Zimmer, ist auch nicht allzu teuer im Unterhalt, aber ohne genug Einkommen kann ich es nicht halten. Und jetzt kann ich noch zusehen, dass ich mir irgendwie eine neue Kaffeemaschine kaufe, weil Tiernan auch diese mitgehen ließ. Mein Bruder ist so eine verdammte Drecksau, aber letztlich werde ich es ihm sowieso nicht übel nehmen. Auf jeden Fall wird er nicht bei mir wohnen. Ich lasse ihn nicht mehr in mein Haus, weshalb ich auch die Schlösser ausgetauscht habe. Sollte er sich wagen, vor der Tür zu stehen, wird er ignoriert. Sein Zeug habe ich in der Garage zwischengelagert. Viel war es nicht, aber ich will ihn nicht mehr reinlassen, weshalb er es sich dort holen soll. Er kann mich mal.
* * *
Samstag. Ich bin fix und fertig. Ich überlege, ob ich Mr. Bernstein absagen soll, andererseits könnte ein Job dabei herausspringen und wenn ich so einen renommierten Kunden wie Evan Bernstein zufriedenstelle, könnten weitere Aufträge kommen oder man wird mich bei Vorstellungsgesprächen nicht mehr ablehnen, weil ich dann endlich etwas Berufserfahrung habe. Ach Gott, es ist zum Kotzen, wenn man sich mit Aushilfsjobs über Wasser halten muss, bis das Angebot nach einem erfolgreichen Vorstellungsgespräch reinkommt. In einer halben Stunde muss ich in diesem piekfeinen Restaurant sein, in das Mr. Bernstein mich eingeladen hat, und ich habe keine Ahnung, ob ich wirklich etwas Passendes zum Anziehen habe. Am besten ziehe ich eines meiner Kostüme an, immerhin geht es um etwas Geschäftliches. Zu jedem anderen Anlass würde ich ein Kleid anziehen.
Ich stehe nachdenklich vor dem Kleiderschrank. Vielleicht sollte ich doch eines meiner Kleider anziehen. Ein wenig Sex-Appeal, um den Auftrag, über den er sprechen will, zu bekommen, schadet nicht.
* * *
Zehn Minuten später trage ich das schicke schwarze Etuikleid, das ich mir vor Jahren wegen Tiernans Schulabschluss gekauft habe, weil mein Vater ein seriöses Auftreten verlangt hat. Ich werfe einen Blick auf die Uhr, stelle fest, dass ich kaum noch Zeit habe, und seufze. Mein Make-up sitzt nicht, mein Haar ist eine Katastrophe. Da ich weder Mr. Bernsteins Nummer habe noch so zerrupft in diesem Restaurant auftauchen will, entschließe ich mich, mich während der Ampelphasen zu schminken.
* * *
Mit einem dezenten Abend-Make-up und einem Pferdeschwanz betrete ich das Restaurant eine Viertelstunde zu spät. Hoffentlich ist Mr. Bernstein noch da und nicht sauer, weil ich unpünktlich bin. »Guten Abend, mein Name ist Cromwell, Mr. Bernstein erwartet mich«, wende ich mich an die Dame, die am Empfang des Lokals steht.
Sie lächelt mich an, grüßt mich auch und wirft dann einen Blick in die Reservierungen. »Mr. Bernstein sitzt im Separee, ich werde Sie sofort dorthin bringen lassen.«
»Danke.« Ich warte einen Moment, da sie einen Kellner heranwinkt, und schenke ihr dann ein Lächeln.
»Folgen Sie mir bitte«, sagt der junge Mann freundlich.
Nickend folge ich ihm durch das Restaurant und versuche, meinen Blick nicht schweifen zu lassen. In solchen Etablissements sollte man sich nicht zu beeindruckt zeigen, immerhin geht das Personal davon aus, dass man sich in dieser Welt wohlfühlt.
»Mr. Bernstein, Ihre Begleitung ist da«, wendet sich der Kellner an mein ›Date‹. Ich weiß nicht, wie ich dieses Treffen sonst nennen soll.
Er erhebt sich und lächelt mich an. »Schön, dass Sie es geschafft haben, Ms. Cromwell.«
Ich ergreife seine Hand, die er zum Gruß ausgestreckt hat. »Guten Abend, Mr. Bernstein, es tut mir leid, dass ich zu spät bin.«
»Ich bin mir sicher, dass Sie Ihre Gründe hatten«, erwidert er, dabei sieht er mich von oben bis unten an. Sein Lächeln wird breiter.
»Die hatte ich allerdings«, nuschle ich unverständlich.
»Setzen mir uns.« Er deutet in das Separee.
»Danke.«
Nachdem wir Platz genommen haben, lehnt er sich zurück. »Möchten Sie etwas trinken?«
»Gern.«
Er winkt den Kellner heran. »Was darf ich Ihnen bringen?«
Mr. Bernstein sieht mich aufmerksam an, als ich ein Glas Mineralwasser für mich bestelle. »Trinken Sie keinen Wein mit mir?«, fragt er verdutzt.
»Tut mir leid, ich muss noch fahren«, winke ich ab.
»Ich könnte Sie nach Hause bringen lassen.«
Ich hebe eine Augenbraue. »Sie fahren nicht selbst?«
»Ich würde Ihnen wohl eher ein Taxi rufen«, antwortet er grinsend.
Ein leises Lachen stiehlt sich aus meiner Kehle. »Dann müsste ich an meinem einzigen freien Tag in dieser Woche das Haus verlassen, um mein Auto zu holen, darauf verzichte ich.«
»Warum? Sie haben doch frei.«
»Ich habe in dieser Woche selten mehr als drei Stunden pro Nacht geschlafen. Ich habe morgen ein festes Date mit meinem Sofa, deshalb würde ich ungern mein Auto holen müssen.«
»Verständlich.« Er legt den Kopf schief. »Warum schlafen Sie denn so wenig?«
»Ich habe zwei Jobs.«
Seine Augenbraue gleitet in die Höhe, was seine Stirn auf einer Seite in Falten legt. Es lässt ihn unnatürlich alt wirken, obwohl er sonst so jung aussieht. »Warum?«
»Man muss irgendwie seinen Lebensunterhalt verdienen.«
Mr. Bernstein nickt. »Das stimmt wohl.«
Ich räuspere mich. »Mr. Bernstein, ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich bin wirklich neugierig, warum Sie mich um ein Treffen gebeten haben.«
Als hätte er alle Zeit der Welt, greift er zu seinem Weinglas und nippt daran. »Nun, wie ich bereits erwähnte, habe ich ein Grundstück gekauft. Das Haus, das darauf steht, wird abgerissen und ich möchte, das eines ganz nach meinen Vorstellungen errichtet wird. Leider ließ mein bisheriger Architekt kaum mit sich reden und wollte seinen eigenen Kopf durchsetzen, damit konnte ich allerdings nichts anfangen.« Er räuspert sich. »Und ich bin auf der Suche nach jemandem, der meine Wünsche berücksichtigt, aber auch seine eigenen Vorstellungen einbringt.«
Ich greife in meine Handtasche und hole das DIN A5 Notizbuch heraus, das ich immer dabei habe. »Wie sehen denn Ihre Vorstellungen aus?«
Mein Wasser wird gebracht, ich bedanke mich und der Kellner gibt uns zwei Speisekarten.
»Ms. Cromwell, lassen Sie uns beim Essen darüber sprechen.«
»Ich bin nicht hungrig.«
Seine Gesichtszüge entgleisen. »Sie wussten doch, dass wir uns hier treffen.«
»Ja, aber ich bin wirklich nicht hungrig, weil ich zu geschafft bin.«
»Verstehe«, sagt er unzufrieden. »Wie dem auch sei.« Er legt die Karte weg. »Meine Vorstellungen sind einfach. Ich möchte einen Mix aus Klassik und Moderne. Es darf gern viktorianisch angehaucht sein, soll aber möglichst mit Ökostrom betrieben werden. Ich möchte Holzelemente, aber auch Stein in der Fassade verbaut haben. Trauen Sie sich zu, so was zu entwerfen?«
»Bisher sind das sehr schwammige Vorstellungen«, stelle ich fest, als ich meine Notizen durchlese.
»Ich weiß, aber ich bin mir sicher, dass mir beim Essen mehr einfällt.«
»Hm.« Ich ringe mir ein Lächeln ab und trinke einen Schluck.
»Sie könnten zumindest ein Gericht als Alibi auswählen«, schlägt er lächelnd vor.
Ich lache leise. »In Ordnung.« Anschließend greife ich zur Speisekarte und lese sie durch. Die meisten Gerichte kenne ich von früher. Bei meinem Vater gab es so etwas regelmäßig, allerdings erinnere ich mich auch daran, dass ich diese Menüs selten bis gar nicht mochte. So kommt es, dass ich die Karte immer wieder durchblättere. Vor, zurück, vor, zurück. So geht es eine ganze Zeit.
»Können Sie sich nicht entscheiden?«, unterbricht er mich.
Ich hebe den Blick. »Nicht wirklich.«
»Darf ich Ihnen etwas empfehlen?«
»Gern.« Ich lege die Karte vor mich, um ihn aufmerksam anzusehen.
»Die Fettuccine Alfredo sind sehr zu empfehlen.«
»Und wenn ich keine Pasta möchte?«, frage ich lächelnd.
»Möchten Sie denn keine Pasta? Ich ging davon aus, dass das bloß ein Alibi sein würde.« Er erwidert mein Lächeln, was ihn jünger und ein wenig verschmitzt wirken lässt. Mr. Bernstein scheint nicht zu den konservativen Menschen zu gehören, aber das kann ich nur bis hierher sagen. Vielleicht ist er aber doch ein totaler Spießer und sein bisheriges Verhalten Fassade. Allerdings wäre es dann widersprüchlich zu seinem Verhalten in der Tiefgarage und seiner Immobilienkanzlei.
»Ich hätte gern die Alibi-Fettuccine.«
Mr. Bernstein lacht. »Eine ausgezeichnete Wahl, ich denke, ich nehme sie auch.« Abermals winkt er den Kellner heran und bestellt die Nudeln.
Ich betrachte ihn, während er mit dem Kellner spricht, um ein paar Sonderwünsche zu äußern. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass das Gericht mit weniger Butter schmeckt, aber selbst probiert habe ich es noch nicht.
»Entschuldigen Sie«, sagt er versöhnlich, nachdem der Kellner sich zurückgezogen hat.
»Schon gut.«
Mr. Bernstein legt den Kopf schief. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir uns beim Vornamen ansprechen?«
Ich ahme seine Haltung nach. »Mr. Bernstein, das hier ist ein geschäftliches Treffen und ich würde es ungern zu persönlich werden lassen.«
»Das verstehe ich natürlich, aber ich denke, es würde Ihnen guttun, wenn es ungezwungener ist, da Sie im Moment nicht so wirken, als würden Sie sich besonders wohlfühlen.«
»Was wiederum an meiner Müdigkeit liegt«, entschuldige ich mich. »Wenn es Ihnen lieber ist, dann bin ich damit einverstanden, wenn wir uns heute mit unseren Vornamen ansprechen.«
Er streckt seine Hand aus. »Evan.«
Ich ergreife sie. »Leigh-Anne, aber die meisten nennen mich Leigh.«
»Freut mich sehr, Leigh-Anne.«
»Mich ebenfalls, Evan.« Anschließend lasse ich seine Hand los, ziehe meine zurück und betrachte ihn.
»Nun, was würden Sie sich anhand meiner Vorstellungen ausdenken?«, möchte er wissen.
Ich überlege einen Moment. »Ich glaube, Sie sollten sich überraschen lassen.«
»Sind Sie sicher, dass Sie einen gescheiten Entwurf hinbekommen?«
Daraufhin zucke ich mit den Schultern. »Wenn nicht, dann habe ich zumindest ein paar Erfahrungen gesammelt.«
Evan nickt, während er mich mit einer gewissen Kälte mustert. »Sie müssen wissen, dass ich ein sehr anspruchsvoller Kunde bin.«
»Ich denke, damit werde ich zurechtkommen.«
»Sicher?«
»Ja, aber wenn dem nicht so sein sollte, kann ich Ihren Auftrag immer noch ablehnen.«
»Dann hätten Sie kein Geld verdient.«
Ich zucke mit den Schultern. »Es ist ja nicht so, dass ich einen hohen Lebensstandard habe.«
Evans Gesichtszüge entgleisen. »Oh ... In Ordnung.« Er räuspert sich. »Also verdienen Sie nicht allzu viel?«
»Ich verdiene genug, um dieses Gespräch nicht führen zu müssen«, blocke ich ab. Es geht ihn nichts an, wie viel ich verdiene. Außerdem will ich kein Mitleid erregen.
»Na gut.« Evan scheint es nicht zu gefallen, dass ich seine Versuche, über meine finanziellen Mittel zu sprechen, abblocke, doch finde ich das Thema zu privat. Es ist schlichtweg nicht seine Angelegenheit.
* * *
Während des Essens habe ich mir weitere seiner Vorstellungen notiert. Von den Fettuccine habe ich mehr gegessen, als ich wollte, weil sie so köstlich waren, allerdings hoffe ich, dass sie sich nicht auf meinen Hüften breitmachen. Evan erzählt, während ich Schwierigkeiten mit dem Wachbleiben habe. Immer wieder fallen meine Augen zu.
»Ist alles in Ordnung?«, fragt er, als er mich aufmerksam ansieht.
Ich nicke.
»Gut, ich möchte ein Haus mit Fensterläden.« Und es geht weiter mit dem Gerede.
Notizen mache ich mir inzwischen keine mehr, weil ich kaum glaube, dass meine Schrift morgen noch für mich lesbar wäre.
Irgendwann räuspere ich mich. »Evan, würde es Ihnen etwas ausmachen, mir Ihre weiteren Wünsche per Mail zu schicken? Ich bin wirklich geschafft und muss ins Bett.«
Er hebt eine Augenbraue, wirkt erneut nicht allzu begeistert, aber es ist mir egal. Der Kerl ist unglaublich arrogant und ich bin mir noch nicht sicher, ob ich diesen Auftrag annehmen will, auch wenn ich es muss. »In Ordnung, aber ich werde Sie morgen Mittag anrufen, damit wir alles Weitere besprechen.«
»Alles klar.«
Er ordert beim Keller, der gerade vorbeikommt, die Rechnung.
»Ich verabschiede mich schon mal«, sage ich leise, als ich einen Blick auf meine Armbanduhr werde. Es ist nach elf und ich habe gar nicht mitbekommen, wie die Zeit vergangen ist.
»Warten Sie noch einen Moment, Leigh-Anne.«
In der Bewegung innehaltend schaue ich ihn fragend an.
»Lassen Sie mich Sie zu Ihrem Auto begleiten. Es ist spät und ich möchte nicht, dass Ihnen auf dem Weg zum Parkplatz etwas passiert.«
»Das ist wirklich nicht nötig, Evan.«
»Ich bestehe darauf.«
Einen Moment später begleicht er die Rechnung, gibt dem Keller die kleine Kladde, in der sie sich gemeinsam mit dem Geld befindet, zurück, dann erhebt er sich. »Kommen Sie.« Evan deutet Richtung Tür.
Ich stehe ebenfalls auf, anschließend verlassen wir das Restaurant.
»Wo haben Sie geparkt?«
»In der nächsten Straße. Sie müssen mich aber wirklich nicht begleiten.«
»Wie ich bereits sagte: Ich bestehe darauf.«
Ich seufze leise, statt etwas zu sagen, denn ich ahne, dass er sich nicht davon abbringen lässt. Evan scheint ein Mann zu sein, der zu seinem Wort steht, statt sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Ich komme seit Jahren allein zurecht und brauche keinen Beschützer, aber wenn er ihn heute Abend unbedingt mimen will, soll er es tun.
Evan bietet mir seinen Arm an, woraufhin ich mich bei ihm einhake. Nun, da ich ihm so nah bin, umspielt sein Duft, nach Zedernholz und Zitrone, meine Sinne.
Ich kann nicht anders, als es tief einzuatmen, weil es so eine unvergleichliche Note ist. Wir machen uns auf den Weg und ich muss zugeben, dass mir kalt ist. Ich hätte an einen Blazer denken sollen, aber weil ich in Eile war, bin ich nur im Kleid ins Auto gestiegen und sofort losgefahren. Ich brauche unbedingt ein besseres Zeitmanagement!
»Sind Sie wirklich nicht zu müde zum Fahren?«, erkundigt er sich.
»Es geht und ich habe es nicht weit.«
»Soll ich Sie fahren?«
»Nein, dann müsste ich ja morgen mein Auto abholen«, erwidere ich lächelnd, als er zu mir runter schaut.
Sein linker Mundwinkel zuckt. »Ich würde Sie mit Ihrem Auto fahren und mich dann abholen lassen. Mein Fahrer wird kein Problem damit haben, einen kleinen Umweg zu fahren.«
Ich bin irritiert, aber bevor ich einen Unfall baue, wäre es vielleicht die bessere Alternative. Evan wird mir schon nichts antun. Hoffe ich. Aber gut, im Fall der Fälle, dass dem doch so ist, weiß ich immer noch, wer er ist, außer er bringt mich um, dann hat sich die Sache sowieso erledigt. Jedoch bezweifle ich, dass er genau das tun wird, immerhin will er, dass ich ein Haus für ihn entwerfe. Danach kann er zwar immer noch seinen eventuellen Plan in die Tat umsetzen, aber ich bezweifle auch hier, dass er es tun wird. »Okay.«
»Sind Sie wirklich einverstanden?«, hakt er nach.
»Wenn Sie mit meinem Wagen umgehen können.«
»Warum nicht, oder ist es ein Schaltwagen?«
»Auch und es ist eine Schrottlaube, die noch gerade so fährt«, erwidere ich amüsiert.
»Warum kaufen Sie kein Neues?« Er schüttelt den Kopf. »Ich weiß schon, Ihnen fehlen die nötigen Mittel.«
»Richtig«, stimme ich zu, bevor wir mein Auto erreichen. Mein schrottiger VW sieht zwischen den ganzen SUVs und Limousinen, die links und rechts neben ihm parken, noch kümmerlicher aus als sowieso schon. Ich gehe zur Fahrertür und entriegle sie.
Evan schnappt nach Luft. Vermutlich ist er schockiert. »Das ist Ihr Auto?«
Ich nicke. »Ja, ist er.« Dann lege ich den Kopf schief. In seinem Maßanzug würde ich mich wohl auch nicht freiwillig in meinen Wagen setzen, aber ich warte ab, ob er es von selbst sagt oder nicht.
»Wow.«
»So schlimm ist er auch nicht«, entgegne ich lachend.
»Nein, unsicher trifft es wohl eher. Wann haben Sie denn vor, neue Radkappen zu kaufen?«
»Mit meinem unglaublich großzügigen Scheck, den Sie mir ausstellen, wenn ich Ihnen Ihr Traumhaus entworfen habe«, kontere ich amüsiert.
»Oh Mann«, raunt er und kommt zu mir. »Geben Sie mir die Schlüssel.«
Ich überlasse ihm den Autoschlüssel und gehe zur Beifahrertür. »Wenn Sie sich nicht reinsetzen möchten, fahre ich selbst.«
»Das Risiko, Sie übermüdet und in dieser Schrottlaube fahren zu lassen, gehe ich nicht ein.« Evan setzt sich hinters Steuer, ich mich auf den Beifahrersitz.
Nachdem wir uns angeschnallt haben, startet er den Motor, der seine Anlaufschwierigkeiten hat. Ich verrate ihm den Trick, den ich immer nutze, um ihn zum Schnurren zu bringen, anschließend schafft er es auch. »Na gut, wohin?«
Ich nenne ihm meine Adresse.
»Das ist nicht die beste Gegend.«
»Ich weiß, aber sie ist bezahlbar.«
»Eine junge Frau wie Sie sollte nicht in Dogtown leben.«
»Ich weiß, aber ich kann mir nun mal weder Bel Air noch Beverly Hills leisten.«
»Warum nicht? Sie haben einen Double Major und müssen den doch auch irgendwie bezahlt haben«, sinniert er, als er den Wagen auf die Straße lenkt.
»Es gibt Stipendien.«
»Und Sie sind Stipendiatin?«
»Nein, nicht ganz.«
»Haben Sie geerbt und damit das Studium bezahlt?«, hakt er nach.
»Nein, mein Vater hat die Uni bezahlt, aber das ist auch alles, was er in den letzten Jahren für mich getan hat. Ich wollte nach Beverly Hills, um dort groß rauszukommen, aber landete in Dogtown«, erzähle ich.
»Sie sollten wirklich nicht dort leben.«
»Mr. … Evan, ich fühle mich dort wohl und bin zufrieden.«
»Wie kann man sich in einer Gegend, in der die Kriminalitätsrate unglaublich hoch ist, wohlfühlen?«, möchte er wissen. Augenscheinlich verwirrt es ihn.
»Indem man sich dort sein kleines Paradies erschafft.« Ich räuspere mich. »Außerdem habe ich noch Chuck.«
»Ihr Lebensgefährte?«
»Nein, mein Lebensgefährte hat mich verlassen. Chuck ist mein Ara, sobald ihm etwas komisch vorkommt, ruft er mich.«
»Tat er das auch letzte Woche, als bei Ihnen eingebrochen wurde?«
Ich räuspere mich. »Nein, denn ich war nicht zu Hause.«
»Vielleicht war es besser so, denn man weiß nie, was einem diese Menschen antun würden.«
Als Zeichen der Zustimmung nicke ich. »Das ist wohl wahr.«
»Sie sollten wirklich dafür sorgen, dass Sie möglichst schnell aus Dogtown rauskommen.«
»Ich weiß und ich bemühe mich.«
»Das ist gut.«
»Sie sagen mir nichts, das ich nicht schon weiß«, erwidere ich schmunzelnd.
»Ich bin bloß ehrlich. Sie sind eine hübsche junge Frau und ich bezweifle, dass Sie in Dogtown so sicher sind, wie Sie sich womöglich fühlen.«
»Ich weiß nicht, ob ich Sie verfluchen oder mich für dieses Kompliment bedanken soll«, antworte ich perplex.
»Wie ich schon sagte: Ich bin bloß ehrlich.«
»Hm«, gebe ich von mir und schließe die Augen. Ich bin wirklich müde und die letzte Woche war verdammt anstrengend, weil ich keine zwanzig Stunden geschlafen habe.
* * *
Als ich aufwache, finde ich mich definitiv nicht in meinem Bett wieder. Verwirrt richte ich mich auf, um mich umzuschauen. Schränke aus Zedernholz, schwarzer Teppich, weiße Wände. Kunstdrucke hängen an ihnen, um die Tristesse der dunklen Möbel und Teppiche freundlicher zu gestalten. Ich sehe an mir runter und erkenne, dass ich bloß ein T-Shirt trage. Überfordert ziehe ich es hoch und atme auf. Ich trage noch meine Unterwäsche. Zum Glück.
Ich bin auf der Hut, als ich aufstehe, und schaue mich nach meinen Sachen um. Mein Kleid hängt auf einem Bügel am Kleiderschrank, die Pumps stehen davor, aber wo ist meine Handtasche? Ich sehe mich weiter um, erkenne die Tasche auf einem Schreibtisch, der majestätischer nicht sein könnte. Langsam trete ich näher. Mit den Fingerspitzen fahre ich die aufwendigen Schnitzereien nach, die sich rund um die Tischplatte befinden. Es ist ein wunderschönes Stück, das in diesem großen Raum so vollkommen richtig wirkt. In meinem Haus wäre dieser Schreibtisch völlig deplatziert. Er würde nicht zu meiner Einrichtung passen, dennoch würde ich für so ein Teil morden. Ich liebe antike Möbel, insbesondere große Schreibtische. Auf so einem hätte ich keine Probleme damit, Entwürfe anzufertigen, weil ich keine Angst haben müsste, dass die Zeichenrolle zu groß für ihn ist.
Seufzend mache ich einen Schritt nach hinten, um zum Kleiderschrank zu gehen. Ich winde mich aus dem Shirt heraus, anschließend in mein Kleid hinein. Mithilfe des dünnen Hakens am Kleiderbügel, den ich in das kleine Loch des Zippers einhake, ziehe ich den Reißverschluss zu. Meine Schuhe nehme ich in die Hand, danach hole ich meine Handtasche, in die ich einen Kontrollblick werfe, um dann dieses unbekannte Schlafzimmer zu verlassen.
Ich finde mich in einem breiten Flur mit weißen Wänden und ebenso dunklen Böden wieder. Teppiche gibt es hier nicht, bloß schwarze Fliesen, in die kleinere weiße eingelassen sind, um es wie ein falsch proportioniertes Schachbrett erscheinen zu lassen. Mit schweifendem Blick durchquere ich den Flur, der sich ewig weit erstreckt. Noch immer frage ich mich, wo ich bin, als es mir wie Schuppen von den Augen fällt. »O Gott, nein«, stoße ich aus, als mir bewusst wird, dass ich nur bei Evan Bernstein sein kann. Aber er wollte mich doch nach Hause fahren. Scheiße!
»Ms. Cromwell, Sie sind wach.«
Ich drehe mich in die Richtung, aus der ich die Stimme vernommen habe, aber es ist nicht Evan, der mich angesprochen hat. »Wo bin ich?«
»Mr. Bernstein brachte Sie letzte Nacht hierher, weil sich vor Ihrem Haus wohl eine Gruppe befand, die nicht allzu vertrauenswürdig gewirkt hat«, erklärt mir die Frau.
»Und wo ist er, Mrs. … Wie war noch Ihr Name?«
»Mein Name ist Evelyn Wright, ich bin Mr. Bernsteins Haushälterin. Er ist mit Mr. Clark joggen, dürfte aber in den kommenden Minuten zu Hause sein«, erklärt sie geduldig lächelnd.
»Ehm ja, ich denke, ich werde mich jetzt auf den Heimweg machen. Sagen Sie ihm bitte, dass ich mich wegen des Entwurfs melde«, erwidere ich und sehe mich nach der Tür um.
Mrs. Wright räuspert sich. »Ms. Cromwell, Mr. Bernstein wird gleich hier sein und er bestand darauf, mit Ihnen zu frühstücken.«
Mit dem Rücken zu ihr stehend erstarre ich. Das darf doch nicht wahr sein. »Wie bitte?«
»Er möchte mit Ihnen frühstücken. Darf ich Sie bitten, am Esstisch Platz zu nehmen?«
Ich atme tief durch, dabei schließe ich die Augen, um mir Mut zu machen. Erst ein Abendessen, das ich nicht unbedingt essen wollte, nun ein Frühstück. Nun gut, ich füge mich meinem Schicksal, aber hoffentlich habe ich danach erst mal meine Ruhe vor ihm. Meinen Plan, den Tag auf der Couch zu verbringen und rein gar nichts zu tun, hat er vorerst zunichtegemacht. Resigniert folge ich Mrs. Wright zum Esszimmer und nehme an dem großen Tisch Platz.
»Möchten Sie einen Kaffee?«, erkundigt sie sich im mütterlichen Ton.
Ich sehe sie an – verträumt, voller Schmerz – und nicke. Verträumt, weil die Letzte, die so mit mir sprach, meine Mutter war. Voller Schmerz, weil meine Mutter bei einem Attentat, das meinem Vater galt, ums Leben kam. Sie wurde erschossen. Sechs Schüsse trafen sie in die Brust, den Hals und sogar ins Auge. Es war so schlimm, dass ihr Sarg bei ihrer Beerdigung geschlossen bleiben musste. Ich stand daneben, als die Kugeln sie trafen, Tiernan nur unmerklich weiter entfernt. Dad ging voran und wurde sofort von seinen Bodyguards zu Boden geworfen, uns beachtete man nicht weiter. Er trauerte nicht in dem Maß um sie, wie wir es taten, sondern hatte nur wenige Wochen später eine neue Frau an seiner Seite. Kathryn Albright. Wenn ich nur an diesen Namen denke, wird mir schlecht. Diese Frau zeckte sich in unser Leben, ekelte mich vollständig aus dem Leben meines Dads und provozierte den Krach des Jahrhunderts. Ihretwegen haben Tiernan und ich mit ihm gebrochen. Wir beide wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben, seit er uns vor die Wahl stellte, Kathryn zu akzeptieren oder aus seinem Leben zu verschwinden. Wir wählten die zweite Option.
»Was ist los, Ms. Cromwell?«, fragt sie im selben Tonfall.
»Alles gut.«
Mrs. Wright schenkt mir eine Tasse Kaffee ein. »Bekommen Sie Milch und, oder Zucker?«
»Milch bitte«, erwidere ich heiser, weil mir die Erinnerungen einen Kloß in den Hals gezaubert haben.
Sie reicht mir das Kännchen. »Ich werde mich um das restliche Frühstück kümmern.«
Ich lasse meinen Blick über den Esstisch schweifen. »Das ist doch schon ausreichend für Mr. Bernstein und mich«, sage ich verwirrt.
»Mr. Bernstein bekommt jeden Morgen eine Portion Rühreier. Möchten Sie auch etwas?«
Daraufhin schüttle ich den Kopf. »Nein, aber vielen Dank.«
Lächelnd wendet sie sich ab.
Als ich allein bin, lasse ich meinen Blick schweifen. Trister kann ein Raum nicht sein. Wobei trist das falsche Wort ist. Erdrückend trifft den Nagel auf den Kopf. Die Wände sind mit einer gestreiften Tapete, die sich mit anthrazit und schwarz abwechselt, tapeziert, der Boden ist aus schwarzem Marmor, der von weißen Adern durchzogen wird. Die Möbel sind weiß, auf ihnen stehen schwarze Vasen mit roten Rosen. »Ich bin gespannt, wann sich das Ganze zum Drehort des nächsten Fetisch-Pornos mausert«, murmle ich vor mich hin, während ich mich weiter umsehe. Über die Front erstreckt sich ein deckenhohes Fenster, das von changierenden Gardinen eingerahmt wird. Die Vorhänge sind bordeauxrot. Langsam frage ich mich wirklich, ob er einen Zweitjob als Pornofilmregisseur hat oder sein Geschmack einfach furchtbar ist. »Dekadent geht die Welt zugrunde«, nuschle ich, als ich einen Blick auf die Bilder, die an den Wänden hängen, werfe. Ich stehe auf, als ich das eines kleinen Mädchens sehe.
»Wie ich sehe, machen Sie sich mit meiner Familie bekannt«, sagt Evan Bernstein.
Ich zucke zusammen und drehe mich zu ihm um. »Es tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein, Mr. Bernstein.«
»Mr. Bernstein? Ich dachte, wir wären bei unseren Vornamen angekommen, Leigh-Anne.«
Ich blinzle schnell. »Es tut mir leid.« Am liebsten würde ich wegen der hirnlosen Wiederholung das Gesicht verziehen, doch reiße ich mich zusammen.
»Setzen wir uns doch, Leigh-Anne.« Einmal mehr betont er meinen Vornamen überdeutlich.
Nachdem er sich gesetzt hat, tue ich es ihm gleich. Ihm gegenüber an der Seite des Esstischs, während niemand am Kopf der Tafel sitzt. »Sie waren joggen?«, versuche ich mich an Small Talk.
Er nickt, während er sich eine Tasse Kaffee einschenkt. »Mit meinem Partner.«
»Ihrem Partner?«, frage ich verdutzt. »Sind Sie schwul?« Ich beiße mir auf die Zunge. »Verzeihung, das hätte ich nicht fragen dürfen. Es geht mich nichts an.«
Evan lacht. »Nein, ich gehe jeden Morgen mit Aaron, Mr. Clark, joggen, bevor es in die Kanzlei geht.«
»Dann fahren Sie heute noch dorthin?«
»Nein, aber wir gehen auch an den Wochenenden laufen, um fit zu bleiben.«
Ich nicke.
»Und ich bin nicht schwul, wie Sie unschwer an dem kleinen Mädchen auf dem Foto, das Sie betrachtet haben, erkennen können«, fährt er fort.
Ich möchte nicht nachfragen, ob es seine Tochter ist, denn das hat er mehr oder weniger selbst beantwortet. »Wie alt ist sie?«
»Sechs.«
»Und wie alt sind Sie?«
»32.«
»Wo ist sie?«
»Josie, eigentlich Josephine, lebt bei ihrer Mutter in Georgia. Ich sehe sie nicht besonders oft.«
»Das tut mir leid«, entgegne ich leise und trinke einen Schluck Kaffee.
»Es muss Ihnen nicht leidtun. Meine Ex-Frau und ich haben uns so geeinigt, dass es am besten für Josie ist.«
»Okay«, murmle ich und drehe gedankenverloren den Löffel in meiner Tasse.
»Nun zu Ihnen. Leigh-Anne Cromwell, ich habe viel über Ihre Familie gelesen.«
Ich hole tief Luft. »Und?«
»Wieso kann sich die Tochter eines hoch angesehenen Politikers, der für das Amt des Präsidenten kandidieren will, keine bessere Wohngegend als Dogtown leisten?«, möchte er wissen.
»Weil die Tochter des hoch angesehenen Politikers, der für jenes Amt kandidieren will, keinen Kontakt zu ihrem Vater hat und sich somit nicht an Daddys Vermögen bedienen kann«, erkläre ich geduldig, obwohl ich das Thema nicht vertiefen will.
»Dann setzen Sie nicht auf fremde Hilfe?«
»Nein, genauso wenig auf bekannte Hilfe.«
Evan nickt, seine vollen Lippen mit dem sinnlichen Schwung verzieht er zu einem Lächeln. »Sie wollen es allein schaffen?«
»Ja und wenn ich scheitere, habe ich es wenigstens versucht.«
»Eine gute Einstellung«, pflichtet er mir bei und lehnt sich zurück.
»Warum haben Sie mich hergebracht?«, wechsle ich das Thema.
Er betrachtet mich nachdenklich. »Sie waren eingeschlafen und ich wollte mich, ehrlich gesagt, nicht nach Dogtown begeben. Meiner Haushälterin habe ich erzählt, dass sich eine Gang vor Ihrem Haus aufgehalten hat, damit sie nicht denkt, dass ich Sie betrunken gemacht und abgeschleppt habe.«
Ich hebe eine Augenbraue.
»Ich war lediglich zu faul, Sie nach Dogtown zu fahren, meinen Chauffeur dorthin zu beordern und die Gefahr einzugehen, überfallen zu werden.«
»Sie hätten mich wecken können.«
»Sie haben tief und fest geschlafen. Ich habe versucht, Sie zu wecken, aber ich hatte keine Chance.«