Camren - Drucie Anne Taylor - E-Book

Camren E-Book

Drucie Anne Taylor

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Beschreibung

Lucy, eine Amische, verbringt ihre Jugendzeit in Miami, wo sie als Schneiderin tätig ist und in einer WG wohnt. Durch Zufall lernt sie den Studenten Camren kennen, der sie fortan immer wieder um Treffen bittet. Zwischen den beiden knistert es und Lucy verliebt sich Hals über Kopf in den jungen Mann, doch ihre Familie erwartet ihre baldige Rückkehr in die Gemeinde. Jedoch entscheidet sie sich, bei Camren zu bleiben, womit sie etwas heraufbeschwört, das besser geruht hätte. Wird die junge Liebe überstehen oder werden sie einander verlieren?

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Camren

RAUE SCHÖNHEIT

BACK TO CORAL GABLES

BUCH DREI

DRUCIE ANNE TAYLOR

Inhalt

Back to Coral Gables

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Übersicht der Charaktere

Danksagung

Hunter: Rauere Versuchung (Back to Coral Gables #1)

Ryan: Verzweifeltes Herz (Back to Coral Gables #2)

Über die Autorin

Weitere Werke der Autorin

Rechtliches und Uninteressantes

Copyright © 2021 Drucie Anne Taylor

Korrektorat: S. B. Zimmer

Satz und Layout: Julia Dahl / [email protected]

Umschlaggestaltung © Modern Fairy Tale Design

Auflage 1 / 2024

Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte, Ähnlichkeiten mit lebenden, oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Dieses Buch

Lucy, eine Amische, verbringt ihre Jugendzeit in Miami, wo sie als Schneiderin tätig ist und in einer WG wohnt. Durch Zufall lernt sie den Studenten Camren kennen, der sie fortan immer wieder um Treffen bittet. Zwischen den beiden knistert es und Lucy verliebt sich Hals über Kopf in den jungen Mann, doch ihre Familie erwartet ihre baldige Rückkehr in die Gemeinde. Jedoch entscheidet sie sich, bei Camren zu bleiben, womit sie etwas heraufbeschwört, das besser geruht hätte.

Wird die junge Liebe überstehen oder werden sie einander verlieren?

Back to Coral Gables

Back to Coral Gables erzählt die Liebesgeschichten der Kinder von Delsin und Co. Jedes Buch ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.

Es handelt sich um ein fiktives Coral Gables, das so wie beschrieben bloß in meiner Fantasie existiert.

Bitte denk daran, dass dieses Buch etwa zwanzig Jahre nach der Coral Gables Serie spielt, sodass es gar nicht so abwegig ist, dass Autos über Autopiloten und etwaige andere Gadgets verfügen. Nicht jeder Charakter aus der Coral Gables Serie wird in diesem Buch erwähnt oder kommt zu Wort, weil es den Rahmen der handelnden Figuren sprengen würde, aber einige haben zumindest einen kurzen Auftritt. Für die leichtere Zuordnung findet ihr am Ende eine Übersicht der Charaktere aus der Coral Gables Serie, die nach Familien geordnet ist.

Ich wünsche Dir viel Spaß mit Camrens und Lucys Geschichte.

KapitelEins

Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«, frage ich die Dame, die soeben das Änderungsatelier betreten hat. Ich arbeite hier, damit ich die Miete für mein WG-Zimmer bezahlen kann. Außerdem nähe ich seit meiner Kindheit, sodass es sich angeboten hat, den Job anzunehmen.

»Hi, mein Name ist Rough. Ich hatte ein Kleid hergebracht, um es ändern zu lassen. Laut Mary soll es heute fertig werden«, sagt sie freundlich.

»Rough?«, hake ich irritiert nach, da ich diesen Namen noch nie gehört habe.

»Ja, Camille Rough.«

»Ich muss nachsehen, meine Chefin ist gerade nicht da. Sie hat sich um den Auftrag gekümmert.«

Sie schenkt mir ein Lächeln. »Alles klar, ich warte hier so lange.«

Daraufhin nicke ich und wende mich von ihr ab. Eilig gehe ich an die Kleiderstange und sehe die verschiedenen Stücke durch. Ich lese alle Schilder, doch nirgendwo entdecke ich den Namen Rough.

Nachdem ich die vier Stangen durchsucht habe, gehe ich mit hängenden Schultern an den Tresen, auf dem auch die Kasse steht. »Es tut mir leid, aber Ihr Kleid ist nicht hier.«

»Oh«, stößt sie aus und sieht mich mit gehobenen Augenbrauen an. »Das ist schlecht, weil ich es morgen Abend brauche.«

Unruhig knete ich meine Hände. »Ist die Änderung bereits bezahlt?«

»Ja«, erwidert Mrs. Rough.

Ich atme tief durch. »Ich habe um sechs Uhr Feierabend, wenn Sie mir Ihre Adresse aufschreiben, kann ich es Ihnen bringen. Sie müssen mir später nur quittieren, dass Sie es bekommen haben.«

Ihre vollen Lippen verziehen sich zu einem freundlichen Lächeln. »Das klingt großartig. Danke, Ms. …«

»Miller«, entgegne ich. »Oder Lucille.«

»Okay, ich schreibe Ihnen meine Adresse auf und warte dann heute Abend auf Sie, Ms. Miller.«

Ich nicke ihr zu, anschließend reiche ich ihr einen Block sowie einen Kugelschreiber.

»Danke.« Sie nimmt beides an sich und schreibt mir ihre Adresse auf. »Falls ich nicht da sein sollte, werden mein Mann oder eines meiner Kinder das Kleid entgegennehmen.«

»Alles klar«, entgegne ich und ringe mir ein Lächeln ab. »Danke, Mrs. Rough.« Ihr Nachname kommt mir wie ein Hundebellen vor, aber ich glaube, das ist ihr auch bewusst. Man kann sich seinen Namen nun mal nicht aussuchen. Ich hätte mir gern einen anderen ausgesucht, aber meine Eltern haben diesen gewählt. Lucille Miller. Wenn ich ihn höre, habe ich immer das Gefühl, zwanzig Jahre älter zu sein.

»Na gut, bis heute Abend, Ms. Miller«, sagt sie und schenkt mir ein Lächeln.

»Bis dann, Mrs. Rough«, entgegne ich und bringe sie zur Tür. Als sie weg ist, atme ich auf. Normalerweise habe ich kaum Kundenkontakt, sondern sitze meistens an der Nähmaschine. Meine Chefin übernimmt die Gespräche mit den Kundinnen und Kunden, weil ich mich jedes Mal dabei verhasple. Ich stecke eigentlich immer nur die Stücke ab, bevor ich sie ändere. Ich hätte nicht gedacht, dass diese Arbeit mal für meinen Lebensunterhalt sorgen würde, aber jetzt bin ich froh, dass Mutter mir so viel beigebracht hat und ich es umsetzen kann. Zwar nähe ich zu Hause nicht mit so feinen Stoffen, aber das hat meine Chefin mir beigebracht. Mary ist toll, mittlerweile darf ich sie sogar duzen, womit ich bei meiner Einstellung im letzten Jahr nicht gerechnet hätte. Meist sieze ich sie trotzdem, weil es mir unangenehm ist, sie mit Du anzusprechen. Aber sie duzte mich die ganze Zeit, so bot sie es mir nach einer kleinen Weile auch an.

Ich gehe zurück an meine Nähmaschine und setze mich wieder, um den Blazer zu ändern, den die Kundin übermorgen abholen will.

* * *

Ich bin wieder da!«, ruft Mary, was mich zusammenzucken lässt.

Ich hänge den Blazer an die Kleiderstange neben meinem Arbeitstisch und prüfe nach, ob ich den Auftragszettel an den Kleiderbügel geheftet habe. Danach gehe ich nach vorn. »Mrs. Rough war da«, lasse ich sie wissen.

»Oh Fuck«, stößt sie aus, weshalb ich die Augen aufreiße. Mary flucht gern und ich glaube, ihretwegen werde ich im Fegefeuer enden. »Ich habe es am Bügeltisch, weil ein paar Falten reingekommen sind.«

»Sie wollte es vorhin abholen, weil es heute fertig sein sollte. Ich habe es nicht gefunden, deshalb bot ich an, es ihr nach Feierabend vorbeizubringen.«

Mary hebt eine Augenbraue. »Das sollst du doch nicht machen, Lucy.«

»Ich weiß, aber sie braucht es schon morgen.«

»Na schön. Da Mrs. Rough Stammkundin ist und immer im Voraus bezahlt, ist es okay, aber mach es nicht noch mal, sonst gewöhnen sich die Kunden noch daran, Lucy.«

Ich nicke hektisch. »Alles klar. Tut mir leid, dass ich es schon wieder gemacht habe.«

Sie seufzt. »Es gibt Schlimmeres.« Sie räuspert sich. »Wo wohnt Mrs. Rough denn?«

Ich gehe an meinen Nähtisch und schaue auf den Zettel. »Am Strand.«

»Der Strand ist groß.«

»Nicht weit von hier, Mary, ich muss keinen großen Umweg fahren.«

»In Ordnung.« Sie kommt zu mir. »Dann bügle ich das Kleid mal, damit du es gleich mitnehmen kannst.«

»Das kann ich auch übernehmen. Ich habe alle Änderungsarbeiten, die bis morgen fertig sein müssen, erledigt.«

Mary lächelt. »Du bist so fleißig, ich will dich gar nicht mehr gehen lassen.« Sie klingt wehmütig, aber ich kann es nicht ändern. Ich muss bald zurück nach Pennsylvania. Ein paar Monate habe ich noch, aber als ich zuletzt bei den Greys, den Nachbarn der Gemeinde, angerufen habe, sagte mein Vater, dass er mich in drei Monaten zurückerwartet. Dabei will ich in Miami bleiben, statt nach Hause zurückzukehren. Ich habe das normale Leben gekostet und es gefällt mir besser als jenes in Isolation.

Ich kann einfach nicht zurück.

»Vielleicht bleibe ich, aber das weiß ich noch nicht.«

Sie sieht mich überrascht an. »Aber du sagtest letzte Woche, dass dein Vater dich in drei Monaten zurückerwartet.«

»Ja, aber mir gefällt das normale Leben besser.« Meine Chefin weiß um meine Herkunft, aber sie behält es für sich. Ich kleide mich ja auch nicht so wie zu Hause, sodass man nicht weiß, woher ich ursprünglich komme. Viele Amische nutzen ihre Rumspringa, um das normale Leben kennenzulernen, und manche kehren nicht in den Schoß der Gemeinde zurück.

Ich habe es auch nicht vor.

Eigentlich hatte ich mich meinen Freunden anschließen wollen, aber viele von ihnen gingen nach Washington D.C. oder New York, jedoch wollte ich unbedingt nach Miami. So kam es, dass ich mit dem Reisebus hierher gefahren bin, statt mich meinen Freunden oder meinen Cousins und Cousinen anzuschließen. Meine Eltern waren mit meiner Entscheidung sehr unglücklich, aber das war mir egal. Es ist meine Rumspringa, also meine Jugendzeit, die ich verbringen darf, wie ich das will. Ich hätte auch in der Gemeinde verbleiben können, allerdings wollte ich das nicht. Ich musste mal ausbrechen und ja, ich habe auch Mist gebaut, aber das lag wohl daran, dass ich mich über achtzehn Jahre lang benehmen musste. Normalerweise hätte ich schon mit sechzehn Jahren »ausbrechen« können, jedoch waren meine Eltern dagegen. So kam es, dass ich mit einiger Verspätung in die große, weite Welt zog. Seit einem guten Jahr arbeite ich für Mary, seit vierzehn Monaten bin ich in Miami. Ich hatte genug Geld für zwei Zimmermieten bei mir, auch für Einkäufe, doch dann musste ich mir einen Job suchen und sie suchte eine Aushilfe. Wir haben beide gewonnen, denn sie bezahlt mich gut und ich versuche, perfekte Arbeiten abzuliefern. Vielleicht kann ich ja bei ihr tätig bleiben, da sie sich schon beschwert hat, dass sie eine neue Schneiderin suchen muss, wenn ich nach Hause zurückkehre. Meine Eltern wissen, dass ich mich in Miami aufhalte, und ich habe Angst, dass sie mir einen meiner Brüder oder alle drei schicken, die mich nach Hause holen, sollte ich nicht freiwillig zurückkehren. Möglicherweise habe ich aber Glück und sie finden mich nicht so schnell. Ich meine, ich habe ihnen nur gesagt, dass ich in Miami wohne, und ich rufe sie stets von einem öffentlichen Telefon an, damit sie die Telefonnummer der WG nicht haben. Meine Adresse habe ich ihnen auch verschwiegen. Und das alles nur, weil ich endlich ein normales Leben führen will.

»Na gut, dann bügle du mal das Kleid, ich kümmere mich ein wenig um die Buchhaltung oder sind neue Aufträge reingekommen?«, erkundigt sie sich.

»Es ist nur ein Hochzeitskleid reingekommen, bei dem die Ärmel ein wenig gekürzt werden müssen. Ich habe es abgesteckt und es hängt an meiner Kleiderstange, aber du kannst dich auch um die Buchhaltung kümmern«, erwidere ich.

Sie schüttelt den Kopf. »Ich übernehme das Hochzeitskleid.«

»Alles klar. Soll ich es dir bringen?«

»Ich hole es mir.«

»Okay.« Indes gehe ich zum Bügeltisch, neben dem auch noch so einige Kleidungsstücke hängen. Ich schaue die Kleiderstange nach Mrs. Roughs Kleid durch und finde es schließlich. Ich nehme es herunter, danach werfe ich einen Blick auf das Etikett, da ich nur Baumwolle beim Griff sicher erkenne.

* * *

Nachdem ich das Cocktailkleid gebügelt habe, hänge ich es auf einen Kleiderbügel und ziehe einen der Kleidersäcke aus Plastik darüber. Ich hoffe nur, dass Mrs. Rough zufrieden sein wird, aber ich werde sicherheitshalber Stecknadeln und meine Nähmaschine mitnehmen. Ich habe eine eigene, die ich transportieren kann. Diese nehme ich immer mit zu Hausbesuchen, damit ich kleinere Änderungen sofort erledigen kann, sofern sie nötig sind.

»Du kannst Feierabend machen«, sagt Mary, als ich meinen Kram zusammengepackt habe.

»Wirklich? Es ist doch erst fünf Uhr«, erwidere ich verdutzt.

»Ja, aber es ist Samstag und du hast sicher Besseres zu tun, als bis Feierabend hierzubleiben.«

»Eigentlich nicht«, entgegne ich seufzend. »Ich habe hier noch nicht allzu viel Anschluss gefunden.«

Marys Miene entgleist. »Immer noch nicht?«

»Nein, aber ich mag meine Mitbewohnerinnen und meine Nachbarin.«

»Die alte Schachtel?«, hakt sie mit großen Augen nach.

»Mrs. Norris ist keine so alte Schachtel«, entgegne ich kleinlaut.

»Sie ist Mitte siebzig, Lucy.«

»Aber sie ist wirklich sehr nett«, kontere ich. »Und ich verbringe gern Zeit mit ihr.«

»Das mag ja sein, aber sie ist nicht in deinem Alter, Lucy.«

»Ich weiß«, gebe ich zurück. »Na ja, ich bin jetzt fertig. Soll ich mich auf den Weg zu Mrs. Rough machen?«

Sie nickt mir zu. »Ja, bitte. Sie hatte ja schon bezahlt. Sagst du mir Bescheid, wenn du dort fertig bist?«

»Mache ich«, antworte ich und zwinge mich zu einem Lächeln. »Ich nehme dann mal meinen Kram und mache mich auf den Weg.«

»Bist du heute mit dem Auto da?«

»Ja, bin ich, deshalb kann ich auch die Nähmaschine mitnehmen, sollte ich noch eine Kleinigkeit ändern müssen«, erwidere ich. »Wir sehen uns Montag, okay?«

»Alles klar, denk dran, Montag machen wir erst um zwölf auf, damit du nicht wieder vor der Tür warten musst.« Sie schüttelt den Kopf. »Wobei … Moment, ich war doch unterwegs.« Grinsend geht Mary an ihren Arbeitstisch und greift in ihre Tasche. Sie holt etwas heraus, danach kommt sie zu mir. »Hier, der ist für dich.« Meine Chefin überreicht mir einen Schlüsselbund. »Falls du wirklich bleibst, bekommt meine beste Mitarbeiterin ihre eigenen Schlüssel.«

Ich lache leise, aber im nächsten Moment kommen mir die Tränen und ich schniefe. »Ich bin deine einzige Mitarbeiterin.«

Sie schenkt mir ein Lächeln. »Deswegen bist du ja auch die Beste.«

»Danke, Mary.« Ich trete einen Schritt näher und umarme sie. »Das bedeutet mir wirklich viel.«

Sie löst sich von mir. »Du bist wirklich die beste Schneiderin, die ich je hatte, und ich möchte dich nur ungern gehen lassen, deshalb hoffe ich, dass ich dich nicht verlieren werde.«

»Mal schauen«, weiche ich aus. »Ich weiß nicht, ob meine Eltern versuchen, mich zur Rückkehr zu bewegen, oder nicht.«

»Na gut, mach dich auf den Weg zu Mrs. Rough, damit sie ihr Kleid bekommt.«

»Bin schon weg.« Ich verlasse die Schneiderei.

* * *

KapitelZwei

Ich habe vor Mrs. Roughs Haus geparkt und schaue mich um. Die Gegend ist wirklich schön. Vor ihrer Garage stehen vier Autos, aber die Einfahrt ist auch unheimlich groß. Ich atme tief durch, dann betätige ich die Klingel.

»Cam, mach bitte die Tür auf!«, ruft ein Mann.

»Ja, Dad!«, wird geantwortet.

Hoffentlich ist Mrs. Rough zu Hause, sonst weiß ich nicht, wie ich sichergehen soll, dass ihr das Kleid nun passt. Es war ihr zu weit und wir mussten eine ganze Menge Stoff wegnehmen und es zusätzlich kürzen. Sie hat erzählt, dass sie es nur gekauft hat, weil es das Letzte seiner Art war, sonst hätte sie auf ihre Größe gewartet. Für das Geld hätten wir ihr direkt eines auf den Leib schneidern können, aber das wissen die meisten gut betuchten Frauen nicht.

Die Tür wird geöffnet und mir schaut ein Mann mit sagenhaften dunkelgrünen Augen entgegen. »Kann ich helfen?«, fragt er freundlich, während er mich betrachtet.

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. »Hallo, ist Mrs. Rough zu sprechen?«

Daraufhin schüttelt er den Kopf. »Nein, sie ist nicht zu Hause. Soll ich ihr etwas ausrichten?«

Ich atme tief durch. »Ich komme von Mary Graysons Schneiderei. Mrs. Rough hat ein Kleid zur Änderung zu uns gebracht und ich komme wegen der letzten Anpassung«, erkläre ich. »Wissen Sie, wann sie nach Hause kommt?«

Er zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Sie meldet sich nicht bei mir ab, Miss.«

»Okay, darf ich hier auf sie warten?«

Seine Miene entgleist. »Vor der Tür?«

Ich nicke hektisch.

»Kommen Sie lieber rein«, sagt er freundlich und schenkt mir ein Lächeln. Er zieht die Haustür weiter auf. »Nun kommen Sie schon«, fährt er fort, als ich mich nicht bewege.

»Danke.« Ich betrete das Haus nur widerwillig und bleibe gleich hinter der Tür stehen. Sein Duft umspielt meine Sinne, aber ich verdränge das eigenartige Gefühl, das er in mir auslöst. »Wo kann ich denn auf Mrs. Rough warten?«

Er sieht mich ratlos an. »Ich kann sie anrufen, damit sie sich beeilt, Ms. …« Sein Blick wird fragend.

»Miller«, entgegne ich. »Mein Name ist Lucille Miller, ich bin Schneiderin.«

»Ich rufe meine Mutter an, damit sie weiß, dass Sie auf sie warten.«

»Danke, Mr. Rough«, erwidere ich und schenke ihm ein Lächeln.

Er zeigt mir ebenfalls eines, dann wendet er sich von mir ab. »Dad?«, ruft er einen Moment später.

»Herrgott, was ist?«, antwortet ein anderer genervt.

»Moms Schneiderin ist hier, weißt du, wo sie ist?«

»Einkaufen, Cam, sie müsste gleich wieder da sein!«, schallt es zurück.

Er schaut wieder zu mir. »Am besten nehmen Sie im Wohnzimmer Platz, während ich meine Mutter anrufe.«

»Okay.« Ich schiebe den Riemen meiner Tasche höher, danach sehe ich ihn fragend an. »In welche Richtung muss ich?«

Er deutet an mir vorbei, also nach links. »Dort entlang.«

»Danke, Mr. Rough.« Ich mache mich auf den Weg dorthin und stelle meine Sachen vor der Couch ab, danach nehme ich Platz. Unmerklich lasse ich meinen Blick schweifen, das Wohnzimmer ist wahnsinnig geschmackvoll eingerichtet. Es ist ganz anders als in meinem Elternhaus, in dem alles nur zweckmäßig ist. Hier ist es wirklich bequem und ich glaube, ich habe noch nie auf so einer Couch gesessen. Jene in der WG ist so durchgesessen, dass einem die Federn in den Hintern piken, sobald man sich setzt, aber diese ist der helle Wahnsinn. Und dieses Haus ist unheimlich groß. Ich frage mich, wie viele Menschen hier wohnen.

Mrs. Rough hat bestimmt eine große Familie, schießt mir durch den Kopf.

»Guten Abend«, sagt jemand im Vorbeigehen.

Ich erhebe mich und drehe mich um. »Guten Abend.« Anschließend ringe ich mir ein Lächeln ab.

Der junge Mann sieht fast genauso aus wie der andere, der mir die Tür geöffnet hat, aber er hat ein Tattoo auf dem Oberarm, außerdem ganz andere Kleidung am Leib. Er hebt eine Augenbraue. »Setzen Sie sich.«

»Danke.« Ich nehme wieder Platz und atme tief durch.

»Ms. Miller, meine Mutter ist in der nächsten Viertelstunde zu Hause. Haben Sie noch so lange Zeit?«

Ich schaue zu jenem, der mich ins Haus gelassen hat. »Ja, das ist kein Problem.«

Er lächelt und mein Herz schlägt ein wenig schneller. »Alles klar.«

Ich glaube, ich habe noch nie so einen schönen Mann gesehen. Gutaussehende Männer ja, aber ein wirklich richtig schöner Mann ist mir noch nicht begegnet. Bis heute Abend jedenfalls nicht.

»Cam, hast du deine Mom erreicht?«, fragt ein Dritter und ich bin überfordert.

Sind hier etwa nur Männer?

Ich fühle mich zunehmend unwohl.

»Dad, Lilly war schon wieder an meiner Schminke!«, ruft eine Frau. Diese Familie scheint wirklich etwas größer zu sein. Aber gut, mein unliebsamer Verlobter hat neun Geschwister. So viele Kinder werden die Roughs vielleicht nicht unbedingt haben, und wir sind auch vier Geschwister.

»Mein Gott! Krieg Kinder, haben sie gesagt. Sie geben dir so viel zurück, haben sie gesagt«, flucht ein Mann mittleren Alters, der an der großen Flügeltür des Wohnzimmers vorbeigeht. »Das Einzige, was ich bekommen habe, sind graue Haare«, brummt er weiter.

Ich atme tief durch, um nicht in Panik zu verfallen.

»Kommst du mit raus, Cam?«

»Nein, ich muss Mom noch was fragen, deshalb bleibe ich hier, bevor ich es wieder vergesse«, antwortet der Türöffner. Ich schätze, Cam ist sein Name. Vielleicht heißt er auch Cameron oder so. Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass Mrs. Rough Camille heißt, möglicherweise hat sie ihren Sohn nach sich benannt.

Ich werfe einen Blick in meine Handtasche. Ich wünschte, ich hätte mich mit dem Handy anfreunden können, das ich mir damals gekauft habe, aber für mich war es so schwer, das Gerät zu verstehen, dass ich es weggelegt und nicht mehr angefasst habe. Und zugegeben, ich hatte Angst, es kaputtzumachen. Schließlich habe ich es verkauft, damit mir das Geld nicht fehlt.

* * *

Ich bin wieder da. Camren, Hunter, könnt ihr bitte die Einkäufe ausräumen?«

»Komme, Mom«, ruft jener, der mich vorhin empfangen hat. Okay, er heißt Camren, ein außergewöhnlicher, aber auch sehr schöner Name, wie ich finde.

Als ich mich erhebe, sieht er mich irritiert an. »Bleiben Sie sitzen, Ms. Miller.«

»Ihre Mutter kommt doch jetzt«, erwidere ich verlegen. »Ich stehe dann lieber.«

Schritte nähern sich dem Wohnzimmer, schließlich betritt Mrs. Rough den Raum. »Guten Abend«, sagt sie freundlich und lächelt mich an.

»Guten Abend, Mrs. Rough. Ich habe Ihr Kleid dabei, wie wir es heute Mittag vereinbart haben.« Ich drehe mich weg und nehme den Kleiderbügel in die Hand, danach halte ich es hoch und bringe es ihr.

Ihr Lächeln wird breiter. »Vielen Dank. Ich werde es gleich anprobieren.«

»Falls Sie dann noch Änderungen wünschen, kann ich es gleich abstecken und ändern, da ich meine Nähmaschine mitgebracht habe.«

Sie sieht mich überrascht an. »Vielen Dank.«

Ich lächle sanftmütig. »Sehr gern.«

Sie nimmt den Kleidersack an sich und deutet hinaus. »Ich bin gleich wieder da.«

»Alles klar.«

Als sie verschwindet, bleibe ich stehen.

»Oh, möchten Sie etwas trinken, Ms. Miller?«, fragt Camren.

Ich schüttle den Kopf. »Nein, aber vielen Dank, Mr. Rough.«

Daraufhin grinst er. »Mein Dad ist Mr. Rough, ich bin bloß Camren oder Cam. Was Ihnen lieber ist.«

»Lucille oder Lucy, je nach dem, was Ihnen lieber ist«, greife ich seine Formulierung auf.

Er gibt einen amüsierten Laut von sich. »Alles klar, Lucy.«

Ich bin nicht sicher, was ich von diesem belustigten »Ha« halten soll, das er ausgestoßen hat, aber ich lasse mein Lächeln nicht ersticken.

Camren lässt mich allein und ich atme erleichtert auf. Ich weiß nicht, wie ich mit fremden Männern umgehen soll, da ich in unserer Gemeinde alle kenne, aber selbst ihnen gegenüber bin ich immer unsicher. Vielleicht liegt das an meinen Brüdern, die nie zugelassen haben, dass ich mich mit einem Mann unterhalte, möglicherweise an meinen Eltern, die mich immer behüteten. Deshalb genieße ich meine Rumspringa. Es ist die Jugendzeit bis zur Heirat, die damit gemeint ist. Man geht quasi auf einen Selbstfindungstrip. Viele kehren danach in die Gemeinde zurück, aber einige bleiben fort. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich zurückkehre, denn ich mag Miami und die Unabhängigkeit.

Schon wieder nähern sich Schritte, weshalb mein Blick abermals auf die Tür fällt. Mrs. Rough kommt herein, sie trägt das Kleid. »Ich finde, an der Taille muss es noch ein wenig enger gemacht werden.«

Ich betrachte sie. »Darf ich Sie einmal genauer betrachten? Vielleicht auch bei besserem Licht.«

Nickend geht sie zum Lichtschalter, den sie drückt. Einen Moment später wird der Raum von Licht durchflutet.

Ich nähere mich ihr. »Möchten Sie das Kleid zu einer Veranstaltung tragen?«

»Ja, mein Mann und ich sind zu einer Gala eingeladen«, erwidert sie. »Eine Freundin weiht ihre neue Ausstellung ein.«

»Das heißt, dass Sie den ganzen Abend stehen werden?«

»Ich hoffe nicht, weil mich die Schuhe zu diesem Kleid sicher umbringen werden.«

»Dann sollten wir an der Taille nicht noch mehr wegnehmen, weil es sonst unschöne Falten schlagen würden.«

Mrs. Rough sieht mich mit großen Augen an.

Mein Mund klappt auf und zu. »Ich wollte Ihnen damit nicht zu nahe treten, Mrs. Rough, aber so ein Kleid muss fließen, auch beim Sitzen …« Ich seufze schwer. »Es tut mir leid, ich rede mich gerade um Kopf und Kragen.«

Sie lacht leise. »Nein, ich verstehe, was Sie meinen«, sie schaut an sich hinunter. »Es ist bloß ein bisschen zu lang, finde ich.«

Ich trete einen Schritt zurück, um sie zu betrachten. »Tragen Sie jetzt Schuhe?«

Mrs. Rough nickt. »Die Schuhe, die ich morgen Abend tragen möchte.«

»Und das Kleid schleift über den Boden«, stelle ich fest und hebe den Blick. »Wenn Sie möchten, kürze ich es bis zu Ihren Knöcheln oder soll es Ihre Füße verbergen?«

»Knöchellang wäre super, das war auch mit Mary vereinbart.«

»Darf ich es dann abstecken und hier ändern?«

»Klar«, antwortet sie lächelnd.

Ich gehe an meine Tasche und hole die Dose mit meinem Nadelkissen heraus. Anschließend begebe ich mich zurück zu Mrs. Rough. »Haben Sie einen Hocker oder Stuhl, auf den Sie sich stellen können?«

»Einen Moment. Ich rufe meinen Mann, damit er den Hocker aus meinem Büro holt.«

»Okay.«

Mrs. Rough hebt den Rock an und geht zur Tür, dabei fallen mir die sehr hohen High Heels auf. Ich wünschte, ich könnte auf solchen Schuhen laufen, aber ich bevorzuge dann doch praktischere, auch wenn sie nicht ganz so schön aussehen wie ihre. »Delsin?«

»Herrgott, leck mich doch. Was ist denn?« Der Mann klingt genervt.

»Kannst du mir den Hocker aus meinem Büro bringen? Die Schneiderin muss das Kleid noch ein wenig kürzen, Babe.«

»Es dauert einen Moment!«, erwidert er.

»Danke!«, ruft sie und dreht sich zu mir um. »Soll ich die Schuhe tragen, während Sie das Kleid abstecken?«

Ich nicke. »Das wäre am besten, dann sehen wir direkt, ob es mit der Länge passt.«

»In Ordnung.«

* * *

Es ist fast zehn Uhr. Ich habe eine gute halbe Stunde gebraucht, um das Kleid für Mrs. Rough abzustecken, weil wir ständig unterbrochen wurden. Danach habe ich noch einmal zwei Stunden an der Nähmaschine gesessen, um die Änderungen vorzunehmen, da Mary sie vergessen hat. Nun bin ich fertig und Mrs. Rough noch einmal mit dem Kleid verschwunden. Ich warte in der Küche darauf, dass sie zurückkommt und sich mir zeigt, damit ich das Endergebnis begutachten kann. Normalerweise hätte ich sie auf Montag in der Schneiderei vertrösten müssen, aber da sie das Kleid morgen Abend braucht, wollte ich nicht so sein.

»Sie sind ja immer noch hier.«

Ich zucke zusammen und erhebe mich von dem Stuhl, an dem ich während der Näharbeit gesessen habe. »Ja, Ihre Mutter probiert gerade das Kleid noch mal an.«

Camren nickt. »Arbeiten Sie für Mrs. Grayson?«

»Ja.«

»Ich habe Sie dort noch nie gesehen.«

»Könnten Sie mich duzen?«

»Klar, aber dann duz mich auch«, erwidert er lächelnd.

»In Ordnung.«

»So, ich denke, jetzt ist es super«, sagt Mrs. Rough, als sie wieder in die Küche kommt.

Ich betrachte sie. »Würden Sie sich bitte noch einmal auf den Hocker stellen?«

»Sicher.« Sie schaut zu Camren. »Hilfst du mir kurz?«

»Klar.« Er geht zu ihr und reicht ihr seine Hand, die sie ergreift. Einen Moment später steigt sie auf den Hocker.

Camren tritt einen Schritt zurück, ich einen näher und umrunde sie, während ich mein Werk betrachte. Zufrieden nicke ich. »Also jetzt hat es die richtige Länge.«

»Ich bin auch sehr zufrieden. Danke, Lucy.«

Ich schenke ihr ein Lächeln. »Gern, Mrs. Rough.« Danach gehe ich an den Tisch und stecke die Nähmaschine aus, danach stelle ich die Haube über das Gerät und verschließe die Clips, damit ich sie sicher transportieren kann. »Ich werde mich dann mal auf den Heimweg machen.«

»Vielen Dank, dass Sie gekommen sind, Lucy«, sagt sie. »Ich wüsste nicht, was ich ohne Sie getan hätte.«

»Wahrscheinlich ein anderes Kleid getragen«, mischt Camren sich ein und gibt einen Moment später einen dumpfen Laut von sich. »Au.«

»Ich habe gern geholfen, Mrs. Rough.« Ich wende mich ab und packe meine übrigen Sachen zusammen.

»Vielleicht solltest du künftig ihr deine Sachen geben und nicht Mrs. Grayson, immerhin hat sie nicht den vollen Auftrag erfüllt«, meint Camren.

Als ich alles zusammengepackt habe, schultere ich den Riemen meiner Umhängetasche und nehme die Nähmaschine hoch. »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.«

»Ich bringe dich zur Tür«, sagt Camren.

»Oh, Lucy. Warten Sie einen Moment, für die gute Arbeit möchte ich Sie entlohnen.«

Ich schaue Mrs. Rough überrascht an. »Das ist nicht nötig. Ich habe nur meinen Job gemacht.«

»Sie haben viel länger gearbeitet, als Sie mussten.«

»Aber nur, weil der Auftrag nicht gänzlich erfüllt wurde«, erwidere ich peinlich berührt. »Ich möchte nicht entlohnt werden.«

»Doch, Sie haben es verdient.« Sie lässt uns kurz allein und ich überlege, einfach zu gehen. Es ist besser, als mir Geld von ihr geben zu lassen. Andererseits würde es kein gutes Licht auf mich und die Änderungsschneiderei werfen, wenn ich abhaue.

»Die Nähmaschine sieht schwer aus.«

»Geht schon.«

»Ich trage sie für dich zum Auto.« Im nächsten Moment nimmt er sie mir schon ab.

»Danke sehr, Camren.«

Er zwinkert mir zu – sofort steigt Hitze in meine Wangen auf, bestimmt glühen sie nun feuerrot.

Gemeinsam gehen wir zur Haustür, wo seine Mutter zu uns stößt. Sie kommt näher und legt mir Geld in die Hand. »Für Ihre großartige Arbeit.«

Ich schaue auf die Dollarnote. »Das ist viel zu viel, Mrs. Rough, das kann ich nicht annehmen.« Sie hat mir fünfzig Dollar gegeben und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil es so viel ist.

»Nehmen Sie es. Sie haben wirklich hervorragende Arbeit geleistet, Lucy.«

»Okay«, gebe ich mich geschlagen. Es ist mir unangenehm, so viel Trinkgeld zu kriegen. Normalerweise bekommen wir zwei oder drei Dollar, mit denen ich leben kann, aber fünfzig sind doch sehr viel Geld. Gut, es ist ein Wocheneinkauf für mich und wird Mrs. Rough vielleicht nicht wehtun, dennoch bleibt es unangenehm. »Also dann, haben Sie einen schönen Abend«, verabschiede ich mich mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich reiche Mrs. Rough die Hand.

»Danke, dass Sie da waren, Lucy.«

»Gern geschehen.« Ich möchte Camren meine Nähmaschine abnehmen, aber er zieht sie aus meiner Reichweite.

»Ich trage sie für dich«, sagt er freundlich.

»Na gut, danke.« Gemeinsam verlassen wir das Haus und ich führe ihn zu meinem Auto. Mehr oder weniger ist es ein Oldtimer, denn er kommt ohne diesen neumodischen Autopiloten aus. Ich öffne den Kofferraum und sehe erwartungsvoll zu ihm hoch.

Camren stellt die Nähmaschine hinein. »Hättest du Lust, mal etwas mit mir zu unternehmen?«

Meine Gesichtszüge entgleisen. »Äh, wie bitte?«

»Ob du mal etwas mit mir unternehmen würdest«, wiederholt er.

»Ich treffe keine Kunden«, rede ich mich heraus, woraufhin er lächelt.

»Gut, dass meine Mutter eure Kundin ist und nicht ich, hm?«

Ich seufze schwer. »Ich werde darüber nachdenken, Camren.« Danach schlage ich die Kofferraumklappe zu und gehe an die Fahrertür.

»Wie kann ich dich erreichen?«

»Im Änderungsatelier«, antworte ich.

»Sonst nicht?«

Ich schüttle den Kopf. »Ich habe kein Handy und kein Telefon.«

»Sind E-Mails drin?«

»Nein, tut mir leid.«

Er hebt eine Augenbraue, so betrachtet er mich skeptisch. »Du willst mir allen Ernstes erzählen, dass du keinerlei Technikkram hast?«

Daraufhin nicke ich. »Ja, ich kenne mich mit der ganzen neumodischen Technik nicht aus.« Ich hole tief Luft. »Ich bin von dienstags bis freitags in der Schneiderei. Kommende Woche bin ich Montag dort und habe Samstag frei, also falls du dich wirklich mit mir treffen willst, müsstest du dorthin kommen, damit wir uns verabreden können.«

Warum sage ich ihm das?

Ich hätte sagen können, dass ich ihn nicht treffen will.

»Wollen wir uns am Samstag treffen? Wir könnten irgendwas miteinander unternehmen.«

Ich kneife die Augenbrauen zusammen. »Und was?«

Er zuckt mit den Schultern. »Wir finden schon was.«

Ich seufze schwer. »Okay, wann am Samstag?«

»Weißt du, wo die DeSoto Fountain ist?«

»Ja.«

»Hast du gegen Mittag Zeit?«

»Ich denke schon, wenn nicht, muss ich dir irgendwie absagen können.«

»Kein Problem«, sagt er lächelnd und holt einen Zettel aus seiner Hosentasche, den er mir reicht. »Das ist meine Nummer, du kannst mich ja vom Atelier aus anrufen, um mir abzusagen, aber ich würde dich wirklich gern kennenlernen, Lucy.«

»Ich melde mich, falls ich es nicht schaffe, ansonsten sehen wir uns am Samstag an der DeSoto Fountain«, erwidere ich und öffne die Fahrertür meines Wagens. »Bis dann, Camren.«

»Bis dann, Lucy.«

Ich steige in mein Auto, schnalle mich an und als ich gerade die Tür schließen will, schubst Camren sie zu. Ich atme tief durch, starte den Motor und manövriere den Wagen aus der Parklücke. Mir schlägt das Herz bis zum Hals und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, dass Camren sich mit mir treffen möchte. Ich bin mir sicher, dass es kein Date werden soll. Wenn doch, habe ich keine Ahnung, wie so was überhaupt abläuft. Ich hatte noch nie eines, da ich mich immer von Männern ferngehalten habe.

Herr, bitte hilf mir!

* * *

KapitelDrei

Es ist Freitag, ich habe eine sehr arbeitsreiche Woche hinter mir und bin froh, dass ich gleich ins Wochenende starten kann. Bei Camren habe ich mich nicht gemeldet, weil ich dem Treffen am liebsten aus dem Weg gehen möchte. Ich weiß nicht einmal, worüber ich mit ihm sprechen soll, da ich überhaupt keine Ahnung habe, was jungen Menschen wie ihm gefällt. Dafür bin ich zu abgeschieden aufgewachsen. Vielleicht sollte ich ihm sagen, dass ich eine Amische bin. Möglicherweise schreckt es ihn ab und ich habe meine Ruhe.

Mary ist schon weg und ich soll gleich den Laden abschließen. Als das Türglöckchen erklingt, werde ich aufmerksam, da ich dabei bin, das Atelier zu schließen. Ich gehe nach vorn. »Oh, guten Abend, Camren.«

Er lächelt mich an. »Hi, Lucy. Ich wollte nur mal vorbeikommen, weil du dich die ganze Woche nicht gemeldet hast. Bleibt es bei morgen?«

Mein Herzschlag beschleunigt sich. »Ich …« Ich hole tief Luft.

»Ja?«

»Tut mir leid, ich wollte dich gleich von einem Münzfernsprecher anrufen. Es wird leider nichts.«

»Wieso nicht?«, möchte er wissen.

»Weil ich kein Interesse daran habe, dich zu treffen, Camren.« Die Lüge sorgt sofort dafür, dass mein Gewissen sich meldet.

Seine Gesichtszüge entgleisen. »Wirklich nicht?«

Ich presse meine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.

»Lucy?«

»Ich … Es tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung, was wir miteinander unternehmen sollen. Ich kenne mich mit so was nicht aus.«

Camren hebt eine Augenbraue und als ich ihn ansehe, erscheint mir das Grün seiner Augen intensiver. »Wir finden sicher etwas, das wir unternehmen können, Lucy.« Er räuspert sich. »Aber wieso kennst du dich nicht aus?«

»Camren, ich bin mitten in meiner Rumspringa.«

Seine Miene entgleist. »Deiner was?«

»Hör zu: Ich schließe den Laden und wir gehen einen Kaffee trinken, dann erkläre ich dir alles, okay?«

»In Ordnung«, erwidert er gelassen. »Soll ich draußen warten?«

Ich nicke ihm zu. »Ich bin gleich da.«

»Alles klar.« Camren zwinkert mir zu, danach verlässt er die Schneiderei.

»So ein Mist«, stoße ich aus, weil ich nicht mit ihm gerechnet habe. Guter Gott, warum muss das ausgerechnet jetzt passieren? Bald werde ich nach Pennsylvania zurückkehren, um Josaiah zu heiraten – so wäre es jedenfalls, wenn ich dem Wunsch meines Vaters folge. Ich mag ihn nicht einmal, aber in meiner Welt habe ich nichts zu sagen. Am Sonntag muss ich wieder zu Hause anrufen, wobei ich das nicht will. Mir gefällt die Stadt, das Wetter und auch die Menschen sind viel lockerer als daheim. Insgesamt ist es ein ganz anderes Leben, das ich nicht aufgeben will.

Nachdem ich die Geldkassette aus der Kasse im Büro eingeschlossen habe, schalte ich die Lichter aus und verlasse die Änderungsschneiderei. Danach schließe ich die Tür ab und lasse als Nächstes das Gitter herunter. Als alles gesichert ist, schaue ich mich nach Camren um. Er lehnt sich gegen einen Sportwagen und winkt mir. Seufzend gehe ich zu ihm. »Da bin ich.«

Er nickt. »Möchtest du wirklich einen Kaffee trinken gehen oder habe ich dich überrumpelt?«

»Beides«, gebe ich zu.

»Sollen wir dann lieber getrennte Wege gehen?«

»Nein, lass uns einen Kaffee trinken. Ich würde sonst sowieso nach Hause fahren und mich ins Bett legen.«

Daraufhin wirft er einen Blick auf seine Uhr, schließlich sieht er mich wieder an. »Es ist erst halb sieben.«

»Und?«

»Welcher Mensch geht um halb sieben oder vielleicht um halb acht schlafen?«

»Ich«, entgegne ich irritiert. »Was ist schlimm daran?«

»Nichts, es wundert mich bloß.«

»Gehen wir?«, übergehe ich seine Aussage, da ich daran, dass ich früh ins Bett gehe, nichts verwunderlich finde.

Nickend stößt er sich von dem Sportwagen ab. »Bist du mit dem Auto hier?«

»Nein, ich bin zu Fuß gekommen.«

»Dann steig ein.« Einen Moment später öffnet er die Beifahrertür des Autos, an das er sich gelehnt hatte.

»Danke.« Ich lasse mich in den Sitz sinken und rutsche etwas höher, weil ich glaube, in seinem Wagen zu liegen.

Camren läuft um den Sportwagen herum, dabei behalte ich ihn im Auge. Er ist groß, gut trainiert und wirklich hübsch. Es lohnt sich leider gar nicht für ihn, mich näher kennenzulernen, weil meine Rückkehr nach Pennsylvania im Raum steht. Er steigt ein, schnallt sich an und startet den Motor. »Bist du angeschnallt?«

»Nein.« Sofort hole ich es nach und atme tief durch. »Kann man die Rückenlehne etwas höher stellen? Ich habe das Gefühl, dass ich bei einer Bremsung im Fußraum liegen werde.«

»Klar.« Er beugt sich zu mir. »Sorry.« Sein Arm streift meinen Oberschenkel, was mir einen Schauer über den Rücken jagt. »Sag Bescheid, wenn sie hoch genug ist.«

»Okay«, erwidere ich unruhig. Er ist mir so nah, dass ich Angst habe, dass er mein beschleunigtes Herz pochen hört.

Camren fährt die Rückenlehne höher und so komme ich ihm immer näher.

»Das reicht«, sage ich schließlich.

Er zieht sich von mir zurück und innerlich atme ich auf. »Soll ich dich später nach Hause bringen?«

»Das wäre nett«, entgegne ich, als er losfährt.

Das Verdeck des Autos ist offen, weshalb mir ein paar Strähnen meiner braunen Haare ins Gesicht wehen. Jeden Tag binde ich sie zu einem Knoten zusammen, damit mir nicht zu warm wird, weil sie unglaublich lang sind. Als ich anfangs in der Stadt war, trug ich sogar immer noch eine Kopfbedeckung. Nicht meine weiße Haube, aber meistens ein Basecap oder eine dieser Beanie-Mützen. Ich musste mich erst daran gewöhnen, dass ich nicht mehr unter den wachsamen Augen meiner Eltern und Brüder stehe.

* * *

Camren ist bis nach Coral Gables gefahren. In diesem Teil der Stadt gehe ich besonders gern spazieren und ich wohne auch nicht weit von hier entfernt, sodass er mich gar nicht nach Hause fahren muss.

Er deutet auf ein kleines Café. »Ist es okay, wenn wir hier einen Kaffee trinken?«

»Ja, wobei ich eher ein Wasser trinke, sonst kann ich später nicht schlafen«, erwidere ich, was ihn grinsen lässt.

»Geht klar, Lucy.« Camren führt mich in das Café und sieht sich um. »Setzen wir uns ans Fenster?«

»Gern«, erwidere ich und gehe voraus. Ich nehme an dem kleinen Tisch vor dem Fenster Platz und atme tief durch.

Er setzt sich auf den Stuhl mir gegenüber. »Meine Mom schwärmt immer noch von deiner Arbeit.«

Es bringt mich zum Lächeln. »Das freut mich, auch wenn sie mir viel zu viel Trinkgeld gegeben hat. Ich habe deswegen ein ganz schön schlechtes Gewissen«, gebe ich zu.

---ENDE DER LESEPROBE---