Ryan - Drucie Anne Taylor - E-Book

Ryan E-Book

Drucie Anne Taylor

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Beschreibung

Kylie Brennans großer Traum vom Tätowieren wird wahr, als sie im angesagten Tattoostudio ihres Bruders ihre Ausbildung beginnt. Obwohl er ihr immer wieder Steine in den Weg legt, kämpft sie und arbeitet nebenher in einem Diner, um über die Runden zu kommen. An einem besonders schlechten Tag lernt sie den gutaussehenden Ryan kennen, der seinen besten Freund zu einem Termin begleitet. Vom ersten Moment an macht er sie neugierig, doch Kylie, die sich vor ihrem Ex fürchtet, hat Angst, dass er auch vor Ryan keinen Halt machen wird. Immer wieder versucht sie, ihn von sich zu stoßen, doch Ryan wäre kein Morrison, wenn er sich darauf einlassen würde. Als er schließlich herausfindet, dass Kylie kein unbeschriebenes Blatt ist, wendet er sich enttäuscht von ihr ab. Sie versucht alles, um ihn zurückzugewinnen, doch ihre Vergangenheit lässt sie nicht los. Schließlich gerät die junge Frau in Lebensgefahr und als sich die Ereignisse überschlagen, ist Ryan der Einzige, der ihr noch helfen kann.

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Ryan

VERZWEIFELTES HERZ

BACK TO CORAL GABLES

BUCH ZWEI

DRUCIE ANNE TAYLOR

Copyright © 2021 Drucie Anne Taylor

Korrektorat: S. B. Zimmer

Satz und Layout: Julia Dahl / [email protected]

Umschlaggestaltung © Modern Fairy Tale Design

Auflage 01 / 2024

Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte, Ähnlichkeiten mit lebenden, oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Dieses Buch

Kylie Brennans großer Traum vom Tätowieren wird wahr, als sie im angesagten Tattoostudio ihres Bruders ihre Ausbildung beginnt. Obwohl er ihr immer wieder Steine in den Weg legt, kämpft sie und arbeitet nebenher in einem Diner, um über die Runden zu kommen.

An einem besonders schlechten Tag lernt sie den gutaussehenden Ryan kennen, der seinen besten Freund zu einem Termin begleitet. Vom ersten Moment an macht er sie neugierig, doch Kylie, die sich vor ihrem Ex fürchtet, hat Angst, dass er auch vor Ryan keinen Halt machen wird. Immer wieder versucht sie, ihn von sich zu stoßen, doch Ryan wäre kein Morrison, wenn er sich darauf einlassen würde.

Als er schließlich herausfindet, dass Kylie kein unbeschriebenes Blatt ist, wendet er sich enttäuscht von ihr ab. Sie versucht alles, um ihn zurückzugewinnen, doch ihre Vergangenheit lässt sie nicht los. Schließlich gerät die junge Frau in Lebensgefahr und als sich die Ereignisse überschlagen, ist Ryan der Einzige, der ihr noch helfen kann.

Back to Coral Gables

Back to Coral Gables erzählt die Liebesgeschichten der Kinder von Delsin und Co. Jedes Buch ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.

Es handelt sich um ein fiktives Coral Gables, das so wie beschrieben bloß in meiner Fantasie existiert.

Bitte denk daran, dass dieses Buch etwa zwanzig Jahre nach der Coral Gables Serie spielt, sodass es gar nicht so abwegig ist, dass Autos über Autopiloten und etwaige andere Gadgets verfügen. Nicht jeder Charakter aus der Coral Gables Serie wird in diesem Buch erwähnt oder kommt zu Wort, weil es den Rahmen der handelnden Figuren sprengen würde, aber einige haben zumindest einen kurzen Auftritt. Für die leichtere Zuordnung findet ihr am Ende eine Übersicht der Charaktere aus der Coral Gables Serie, die nach Familien geordnet ist.

Ich wünsche Dir viel Spaß mit der Geschichte von Ryan und Kylie.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Übersicht der Charaktere

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Werke der Autorin

Ebenfalls in dieser Serie erschienen

Rechtliches und Uninteressantes

KapitelEins

Manchmal könnte ich meinem Bruder eine reinhauen. Nur weil ich als Auszubildende bei ihm beschäftigt bin, darf ich ständig die Drecksarbeit machen. Ich lerne zu tätowieren, denn damit kann man echt gut Kohle verdienen beziehungsweise würde ich es gern, aber meistens muss ich putzen. Meinem Bruder Carter gehört eines der erfolgreichsten Studios in der Stadt und wir haben das Meer sofort vor dem Laden. Meine Pausen verbringe ich meistens am Strand, aber wegen meiner starken Sonnenallergie muss ich immer zusehen, dass ich eine Sonnencreme mit einem abartig hohen Lichtschutzfaktor benutze. Anderenfalls bin ich voller Pusteln und Quaddeln, die wie die Hölle jucken. Und darauf verzichte ich gern. Oft bleibe ich im Studio oder sitze auf der Bank davor. Carter hat mich schon oft dazu verdonnert, während der Mittagspause Flyer zu verteilen. Wenn der Mann sich an eines nicht hält, dann daran, mich vernünftig zu behandeln. Ich fühle mich wie seine Leibeigene, aber beschwere mich nicht, weil er mir verdammt viel beibringen kann. Er ist 26 und stammt aus der ersten Ehe unseres Dads, aus der unser Vater verwitwet rausging. Carters Mom starb an Krebs, als er drei Jahre alt war, aber meine Mutter versuchte immer, sie ihm einigermaßen zu ersetzen. Er nennt sie sogar Mom, weil er sich gar nicht an seine leibliche Mutter erinnert.

»Kannst du nicht schneller machen, Kiki?«, möchte Carter wissen, als er rauskommt.

Ich halte mit dem Fensterabzieher inne und schaue ihn an. »Ich arbeite schon so schnell, wie ich kann, Carter.«

»Dann sieh zu, dass du schneller wirst. Die Jungs und ich sind genervt, dass du mit dem Schaufenster nicht vorankommst.«

Ich seufze schwer. »Ich gebe mir Mühe.«

»Geht doch«, sagt er knapp. »Ich hoffe, dass du bis zu meinem nächsten Termin fertig bist.«

Ich auch, aber das spreche ich nicht aus, um Streit zu vermeiden. Es fällt mir schwer, bei Diskussionen die Fassung zu bewahren oder vernünftig zu kontern, weshalb ich immer gnadenlos untergehe.

»Komm rein, wenn du fertig bist.«

»Okay«, sage ich leise und widme mich wieder dem Fenster. Ich habe keine Ahnung, warum er mich so mies behandelt, aber das ist wohl das Los einer Auszubildenden. Ich will doch nur lernen, wie man jemanden tätowiert, aber Carter zeigt es mir einfach nicht. Stattdessen bin ich das Mädchen für alles, dabei würde ich gern anfangen, mit der Maschine zu üben. Carter sagte sogar, dass er Übungshaut kaufen würde. Ich weiß nicht, ob er es schon getan hat, aber inzwischen habe ich mich online selbst nach der synthetischen Haut umgesehen. Ich hätte auch die Möglichkeit, an Obst oder Schweinehaut zu üben, aber beides ist zu hart, sodass man nicht wirklich damit arbeiten kann. Die Übungshaut wurde extra für Lehrlinge entwickelt, damit man das Tätowieren so realitätsnah wie möglich lernt. Mein Bruder betreibt ein Tattoo- und Piercingstudio gleich am Ocean Drive. Das Inked Angels ist eines der besten Studios in der Stadt. Im Internet liest man nur Gutes über meinen Bruder sowie sein Team und ich wäre gern ein fester Teil davon. Aber Carter nutzt mich aus.

»Ist das der Laden, in dem du dich tätowieren lassen willst?«, fragt eine männliche Stimme, aber ich schaue mich nicht um.

»Ja, das Inked Angels, hab nur Gutes darüber gelesen und Callum meinte, dass man hier die besten Tätowierer der Stadt findet«, antwortet eine andere ebenso männliche Stimme.

Ich ziehe den Fensterabzieher noch einmal über das Schaufenster. Dann trete ich einen Schritt zurück und pralle mit jemandem zusammen. »O Gott!« Ich werde festgehalten, bevor ich stolpern kann.

»Vorsicht.«

Ich schaue hoch und sehe in das Gesicht eines jungen Mannes, der sicher nicht viel älter als ich ist. Er hat wahnsinnig blaue Augen, die mich für sich einnehmen. »Sorry … Danke fürs Auffangen.«

Er lächelt mich an, als er mich freigibt. »Nichts passiert und kein Ding.«

»Kommst du jetzt, Ryan?«

»Ja, Moment, Hunter.« Ryan, ich schätze mal, so heißt er, schaut mich wieder an. »Arbeitest du hier?«

»Mehr oder weniger«, antworte ich.

»Ist der Laden wirklich so gut, wie mein Kumpel behauptet?«

Meine Augenbrauen flippen in die Höhe. »Ähm, es ist eines der besten Tattoostudios der Stadt. Ich denke, er kann sich hier gefahrlos tätowieren lassen.«

Ryan verzieht seine Lippen zu einem Lächeln. »Wie ist dein Name?«

»Kylie«, erwidere ich. »Und du bist?«

»Ryan, hi.« Er reicht mir die Hand, die ich ergreife. »Freut mich, dich kennenzulernen, Kylie.«

»Dito«, entgegne ich irritiert. Wer redet denn heutzutage noch so?

»Ryan, lass uns reingehen!«

Ich schaue zu seinem Freund, anschließend wieder zu Ryan und grinse. »Ich glaube, du musst ihm das Händchen halten.«

Er schnaubt amüsiert. »Eher soll ich ihn von der Langeweile ablenken, die er empfindet, wenn er unter der Nadel liegt.«

»Ah ja.« Ich nehme den Eimer mit dem Putzwasser an mich, danach den Abzieher und den Fensterwischer. Schließlich gehe ich an Ryan vorbei und zurück ins Studio. Ich trage alles in den Aufenthaltsraum, wo ich das Putzwasser entsorge.

»Kylie!«, ruft mein Bruder, was mich innehalten lässt.

»Was ist?«

»Komm her!«

Ich stelle den Eimer ab und wasche mir die Hände, anschließend mache ich mich auf den Weg zu ihm.

»Er ist hinten«, sagt Wyatt, einer von Carters Angestellten.

»Okay«, seufze ich und laufe weiter, bis ich durch den Perlenvorhang in den Tattoobereich komme. »Was gibt’s, Carter?«, frage ich, als ich meinen Bruder erreicht habe.

Er deutet auf seinen Ink-Butler, in dem er seine Nadeln, Farben und alles andere aufbewahrt, was er fürs Tätowieren braucht. »Wo sind meine Nadeln?«

»Ich habe sie in die oberste Schublade gelegt, wie du es mir gesagt hast.«

»Sie sind aber nicht da«, hält er genervt dagegen.

Ich hole tief Luft, gehe an den Rollschrank und öffne die oberste Schublade. Als ich die Nadeln nicht entdecken kann, bricht mir kalter Schweiß aus. Anschließend ziehe ich die zweite auf, in der sie sich verbergen. »Sorry, ich habe sie in die zweite Schublade geräumt«, entschuldige ich mich kleinlaut.

»Was kannst du eigentlich richtig machen, Kylie?«, herrscht er mich an, was mich wundert, denn der Kerl, der mit Ryan gekommen ist, sitzt schon auf dem Stuhl, Ryan hat daneben Platz genommen.

Ich schlucke. »Es tut mir leid, Carter. Ich … ich … Sorry«, stammle ich.

»Noch so ein Ding und du fliegst raus.«

Niedergeschlagen – und auch frustriert –, weil er mich vor seinem Kunden zur Sau macht, lasse ich die Schultern hängen. »Es tut mir leid, okay?«

»Das ist auch das Mindeste«, brummt er und schaut zu seinem Termin. »Sorry, dass es sich ein wenig verzögert, Hunter.«

»Schon gut«, sagt der andere gelassen.

»Läuft es hier immer so, dass Mitarbeiter grundlos fertiggemacht werden?«, fragt Ryan interessiert.

»Grundlos?«, hakt Carter nach. »Kylie macht ständig Fehler und wenn sie die immerzu wiederholt, kann ich sie hier nicht brauchen«, erklärt er.

»Ich lasse euch allein«, sage ich leise, wende mich ab und verlasse den mehr oder weniger sterilen Bereich. Ich habe Tränen in den Augen, aber versuche mühsam, sie weg zu blinzeln. Ich will weder vor Carter, noch vor Wyatt oder Ethan heulen. Mir ist bewusst, dass ich noch lerne, aber mein Bruder hätte mich vor seinem Kunden nicht niedermachen müssen. Ich habe keine Ahnung, warum ich die Nadeln falsch einsortiert habe, aber er hat überreagiert.

Als ich wieder im Aufenthaltsraum bin, setze ich mich an den Tisch. Ich wische die Tränen von meinen Wangen, die ich nicht am Fließen hindern konnte, und atme tief durch. »Mieses Arschloch«, stoße ich leise aus.

Wyatt kommt in den Raum. »Hey, Kleine.«

Ich schaue zu ihm hoch. »Hey.«

»Was ist passiert?«

Daraufhin winke ich ab.

»Sag’s mir, Kylie.«

Wieder schlucke ich, aber diesmal, um gegen den Kloß in meinem Hals anzukämpfen. »Carter hat mich fertiggemacht, weil ich seine Nadeln in die falsche Schublade sortiert habe.«

»Vor seinem Kunden?«

»Vor diesem und dessen Freund«, erwidere ich seufzend. »Ich glaube, er hat einen schlechten Tag.«

»Kann gut sein, das ist aber trotzdem kein Grund, dich mies zu behandeln.« Er schnaubt. »Schon gar nicht vor Kunden, das darfst du dir nicht gefallen lassen, Kleine.«

»Wenn ich nicht spure, schmeißt er mich raus und das will ich nicht.«

»Hast du schon Übungshaut bekommen?«

Daraufhin schüttle ich den Kopf. »Nein.«

»Carter hat noch keine Übungshaut bestellt?«

»Nein«, antworte ich leise.

Wyatt seufzt schwer. »Ich kümmere mich darum und übe mit dir, sobald sie angekommen ist.«

Meine Miene hellt sich ein wenig auf. »Das würdest du tun?«

»Ja, irgendeiner muss es dir doch beibringen, Kylie, und wenn Carter es nicht übernimmt, dann eben Ethan und ich.«

Ich verziehe meine Lippen zu einem Lächeln. »Das ist total lieb von dir, Wyatt. Danke!«

Er zwinkert mir zu. »Nichts zu danken, Bren.«

Die Türglocke ertönt. »Ich glaube, da kommt dein nächster Kunde.«

»Kommst du mit? Dann kannst du zusehen.«

Nickend erhebe mich. Wyatt geht vor, ich folge ihm mit einem guten Meter Abstand, weil ich es nicht leiden kann, jemandem auf den Fuß nachzulaufen.

»Hey, bist du Candice?«, fragt er die junge Frau, die hereingekommen ist.

»Ja, die bin ich«, erwidert sie.

Ich habe ihren Termin vereinbart, nachdem sie Wyatts Arbeiten gesehen hatte. Er konnte nicht von seinem Kunden weg, als sie hereinkam, weshalb ich es übernommen hatte. Ich mag Wyatt, auch Ethan, denn die beiden behandeln mich nicht schlecht, sondern sind immer korrekt. Deshalb habe ich vorhin auch nicht verstanden, weshalb sie genervt waren. Vermutlich hat mein Bruder übertrieben, dazu neigt er leider manchmal. Ich bin froh, dass sie mich nicht genauso behandeln, wie Carter es ständig macht. Keine Ahnung, was mit meinem Bruder los ist, aber es nervt, dass er seine schlechte Laune an mir auslässt. Ich weiß nicht, was los ist, denn vor Mom und Dad ist er nicht so, auch nicht, wenn wir nach der Arbeit gemeinsam bei ihnen aufkreuzen. Carter ist dann immer superfreundlich und erzählt jedes Mal, wie gut wir beide zusammenarbeiten. Meistens sage ich gar nichts dazu, weil ich nicht will, dass es Stress gibt. Meine Eltern würden ihm sicher mehr glauben als mir, so war es schon immer. Er ist Dads Liebling und ich war ungeplant, denn meine Eltern wollten eigentlich keine gemeinsamen Kinder, aber dann hätten sie eben verhüten müssen. Mit sechzehn bin ich von Zuhause ausgezogen, weil ich mich ständig mit Mom und Dad gestritten habe. Seitdem arbeite ich, zunächst neben der Schule und seit meinem Abschluss bei Carter und in einem Diner, um meine Miete und meinen Lebensunterhalt bezahlen zu können. Meist übernehme ich dort die Spätschichten, um auch bei Carter arbeiten zu können. Die Arbeit im Stranddiner macht mir allerdings mehr Spaß.

»Super. Kylie hat mir gesagt, dass du dir einen Kolibri wünschst. Ich habe drei verschiedene gezeichnet, von denen du dir einen aussuchen kannst, außer du hast eine ganze andere Vorstellung.«

Sie schüttelt den Kopf. »Nein, du hast mir ja die Fotos von den Entwürfen geschickt und ich würde den hier nehmen«, sagt sie und deutet auf einen der Entwürfe, die er ihr zeigt.

Ich habe keine Ahnung, welcher es ist, aber ich werde sowieso nur zusehen und sie nicht tätowieren. Allerdings bin ich froh, dass Wyatt mir nun alles beibringen will, was ich wissen muss, um tätowieren zu dürfen. Na ja, er will mit mir üben – das ist schon mehr, als Carter mir ermöglicht. Dabei hatte mein Bruder mir hoch und heilig versprochen, meine Ausbildung zu übernehmen.

Wyatt sieht mich an. »Kommst du?«

»Ja«, entgegne ich leise und folge ihm und Candice in den abgetrennten Bereich.

»Du kannst dich noch einen Moment auf einen der Hocker setzen, da ich den Stuhl noch vorbereiten muss«, sagt Wyatt freundlich.

Ich schiebe Candice einen heran. »Setz dich.«

»Danke.« Sie schenkt mir ein Lächeln, das selbst ein Covermodel in den Schatten stellt, als sie Platz nimmt.

Anschließend helfe ich Wyatt mit dem Desinfizieren des Stuhls, danach beziehen wir ihn mit Folie und legen eine Bahn aus Papier darauf, wie beim Arzt. Das Ganze dauert gut fünf Minuten.

»So, ich werde jetzt noch die Vorlage übertragen und dann auf deiner Schulter anbringen, danach können wir loslegen«, sagt Wyatt und sieht mich erwartungsvoll an.

Ich gehe an seine Seite, schließlich machen wir uns auf den Weg nach vorn, wo die Schreibtische sind und das Gerät für die Übertragung der Zeichnungen steht. »Wie machst du das eigentlich?«, möchte ich wissen, als er sich setzt.

»Ich zeichne die Outlines noch mal dicker nach, danach ziehe ich das Blatt mit einem Träger durch den Thermodrucker.« Er räuspert sich, anschließend schaltet er seinen Lichttisch ein, damit er die Konturen richtig sieht. Wyatt legt los und ich bin beeindruckt, wie schnell er dabei ist, allerdings hat er im Gegensatz zu mir Übung. Er hat mir mal erzählt, dass er auch in meinem Alter angefangen hat, aber mit 20 schon Kunden tätowiert hat. Ich habe bald Geburtstag und werde wahrscheinlich noch Jahre brauchen, bis Carter mich tätowieren lässt. »Hast du eigentlich den Gargoyle fertig, den du vorgestern angefangen hast?«, fragt er konzentriert.

»Noch nicht ganz.«

»Kommst du nicht weiter?«

»Doch, aber er ist so groß, dass ich viele Details einarbeiten muss«, antworte ich, als ich mich auf den Hocker neben ihm setze. »Deshalb dauert es ein wenig, bis er wirklich fertig ist.«

»Verständlich.« Wyatt macht weiter und ich beobachte jeden Strich, den er zieht. Ich finde den Job unheimlich interessant, außerdem zeichne ich gern, deshalb will ich Tätowiererin werden. Mein Schulabschluss war zu schlecht, weshalb ich an keinem College angenommen wurde. Und als Künstlerin wollte ich nicht arbeiten, da man damit kaum über die Runden kommt, wenn man keinen großen Namen hat. Zudem habe ich auch nichts für Stillleben und Landschaften übrig, sondern zeichne lieber Gargoyles, Totenköpfe und andere morbide Dinge, die ich auf Leinwand niemals verkaufen könnte. Na ja, ich könnte schon, aber wer will sich so etwas ins Haus hängen? Ich glaube kaum, dass jemand sich so etwas an die Wände hängt – außer mir. Ein paar meiner Zeichnungen zieren meine Wohnung, die aber generell sehr dunkel eingerichtet ist. Ich habe so viele und große Fenster, dass es dort viel zu hell ist, sodass ich fast ausschließlich schwarze Möbel gekauft habe, wann immer ich etwas Geld dafür übrig hatte. Und die Sachen, die ich aus meinem Elternhaus mitgenommen habe, habe ich abgeschliffen und neu lackiert, damit sie zur übrigen Einrichtung passen.

»So, fertig«, sagt Wyatt, anschließend nimmt er die Vorlage aus dem Thermodrucker und sieht mich zufrieden an. »Wie geht’s jetzt weiter?«

»Der Bereich, der tätowiert wird, wird rasiert, danach wird die Haut mit Schablonenflüssigkeit eingerieben und die Schablone angebracht«, zähle ich auf.

»Sitzt oder steht der Kunde dabei?«

»Er oder sie steht möglichst gerade, damit die Schablone richtig auf die Haut übertragen werden kann.«

Er nickt und sieht mich zufrieden an. »Alles richtig.« Wyatt klopft mir auf die Schulter. »Dann legen wir mal los, hm?«

»Unbedingt«, entgegne ich lächelnd. Wenigstens habe ich mir dieses Wissen schon angeeignet. Ich hoffe nur, dass ich bald auch tätowieren oder zumindest an Übungshäuten arbeiten darf, um mich mit der Maschine anzufreunden.

»Hast du eigentlich schon eine Maschine bekommen?«

Daraufhin schüttle ich den Kopf. »Nein, Carter meinte, solange ich nicht an Kunden gehe, bekomme ich keine.«

Wyatt schnaubt. »Ich werde später mit ihm sprechen. Kann nicht sein, dass er für nichts sorgt, was deine Ausbildung vorantreibt.«

»Ich werde mich sicher nicht bei ihm beschweren, sonst darf ich am Ende noch das ganze Studio grundreinigen oder fliege raus.«

Wyatt lacht leise. »Kann gut sein und ich traue es ihm sogar zu.« Er deutet zum Tattoobereich. »Komm.« Danach legt er seine Hand auf meinen Rücken und führt mich nach hinten. »So, da sind wir wieder«, wendet er sich an Candice. »Wo genau soll der Kolibri hin?«

»Auf das linke Schulterblatt.« Sie steht auf und deutet auf die Stelle. Glücklicherweise trägt sie ein Tubetop, sonst müssten wir uns hier noch eine Peepshow angucken. Gestern war das der Fall, da zog ein Kerl blank, weil sein Tattoo bis zur Leiste ging. Carter hatte mich in der Zeit in den Aufenthaltsraum geschickt – als ob ich noch nie einen Schwanz gesehen hätte. Ich habe schon welche zu Gesicht bekommen, zwar nicht viele, aber für mein Alter waren es wahrlich genug. Allerdings verschweige ich das meinem Bruder, denn ich habe keine Lust, dass er sich darüber aufregt oder meint, ein aufklärendes Gespräch mit mir zu führen.

Candice steht auf. »Das Top kann ruhig dreckig werden, es ist schon älter.«

»Ich muss es trotzdem ein wenig herunterziehen, weil es deine Haut abdrückt. Darf ich oder machst du es selbst?«, fragt Wyatt.

»Ich kann das auch übernehmen, falls Wyatt es nicht machen soll«, biete ich an.

»Tut euch keinen Zwang an«, antwortet sie.

Wyatt zieht ihr Top ein wenig herunter, bis er ihren trägerlosen BH entblößt hat, und legt die Schablone an ihre Haut. »Genau auf das Schulterblatt?«

»Ja, bitte.«

»Das wird eine schmerzhafte Stelle«, sagt er und greift zur Schablonenflüssigkeit. »Nicht erschrecken, es wird kalt.«

»Kein Problem.«

Hinter mir surrt Carters Maschine los, weshalb ich über meine Schulter zu ihm schaue. Sein Termin lässt sich eine Jasminblüte stechen. Warum lässt ein Mann sich eine Blume tätowieren? Kopfschüttelnd sehe ich wieder zu Wyatt. Ich bin froh, dass er mir wenigstens einige Dinge zeigt, denn mein Bruder übernimmt es ja nicht.

* * *

KapitelZwei

Zwei Stunden später ist Candice fertig. Ich durfte die Maschine für Wyatt zusammensetzen und sie an Ende reinigen. Nachdem Candice bezahlt hatte, haben wir seinen Stuhl gemeinsam gereinigt und desinfiziert. Danach haben wir im Internet nach Übungshaut geguckt und er hat sofort mehrere Varianten bestellt. Ich hoffe nur, dass Carter nicht ausflippt, wenn er das Paket sieht, denn es geht nicht auf meine Kappe. Ich will nicht, dass er mich zur Sau macht, weil Wyatt meine Ausbildung übernommen hat.

Im hinteren Bereich surrt immer noch die Maschine meines Bruders, da die Jasminblüte recht groß und detailreich ist. Als ich zuschauen wollte, hatte er mich weggeschickt. Ich weiß nicht, was mit ihm los ist, denn sein Studio läuft verdammt gut, er hat eine Menge Stammkunden und sonst ist auch alles okay. Ich habe keine Ahnung, warum er sich verändert hat. Vielleicht steht er wegen seiner Freundin unter Stress. Möglicherweise liegt es an etwas völlig Anderem. Wie gesagt: Ich habe keine Ahnung.

»Hey, Kiki«, sagt Wyatt, als er wieder zu mir in den Aufenthaltsraum kommt.

»Ja?«

»Gleich kommt mein nächster Kunde, hast du Lust, die Schablone aufzuzeichnen?«

Ich verziehe meine Lippen zu einem breiten Lächeln. »Auf jeden Fall.«

»Super«, sagt er ebenfalls lächelnd. »Ich schaue dir dabei ein bisschen über die Schulter.«

»Geht klar.« Ich bin froh, dass Wyatt mir hilft und mich die Vorlage auf die Schablone übertragen lässt.

* * *

»Sehr gut«, sagt er stolz. »Ich hätte es nicht besser machen können.«

»Yay«, freue ich mich und umarme ihn. »Danke, dass du mich so viel machen lässt.«

»Du nimmst mir damit die Arbeit ab«, grinst Wyatt, als er sich von mir gelöst hat. »Und du hast es drauf, Kiki, das sollte man fördern, statt es vergammeln zu lassen.«

»Vergammeln?«, hake ich amüsiert nach.

Wyatt verzieht das Gesicht, grinst aber immer noch. »Verkümmern hätte wohl besser gepasst.«

»Wahrscheinlich«, erwidere ich kichernd. »Gehen wir zu deinem Kunden?«

»Klar, immerhin muss dieses Riesending auf seinen Rücken.«

Wyatts Kunde will einen Totenkopf, der von schwarzen und roten Rosen umgeben ist, tätowiert haben. Außerdem windet sich eine Schlange aus dem Auge. Ich mag das Motiv, vor allem aber auch die Details des Totenkopfs, der wie eine mexikanische Totenmaske dekoriert ist. Wyatt hat sich verdammt viel Mühe für die zahlreichen Details gegeben und ich hoffe, dass ich irgendwann auch so gut bin wie er. Er ist ein großartiger Künstler, besser noch als mein Bruder. Es wundert mich, dass er nicht sein eigenes Studio hat, was ich ihn auch frage.

»Die Ladenmieten und die Einrichtung sind verdammt teuer, deshalb arbeite ich lieber für deinen Bruder, beziehungsweise zahle ihm eine wesentlich geringere Miete für meinen Arbeitsbereich, statt in einem eigenen Studio.«

»Alles klar«, nicke ich. »Gehen wir?«

»Ja, legen wir los.« Wyatt legt seine Hand auf meinen Rücken und Carter hält bei seiner Arbeit inne. Er hebt eine Augenbraue, als er Wyatt und mich zusammen sieht. »Warum läuft sie dir ständig nach?«, fragt er interessiert.

»Weil ich ihre Ausbildung übernehme, Carter, dann lernt sie wenigstens etwas und putzt nicht nur den Laden für dich«, antwortet Wyatt.

»Muss das jetzt vor Kunden sein?«, möchte mein Bruder wissen.

»Wenn du sonst nicht mit dir reden lässt, ja.«

Ich schlucke. Hoffentlich lässt mein Bruder seinen Unmut darüber nicht an mir aus, denn ich habe keine Lust darauf, wieder einmal fertiggemacht zu werden.

»Kylie, geh in den Aufenthaltsraum«, wendet Carter sich an mich.

»Nein«, entgegne ich. »Wyatt möchte meine Ausbildung vorantreiben, also bleibe ich.«

Mein Bruder verengt die Augen und sieht mich vernichtend an. »Geh.«

»Nein, Carter, sie bleibt. Jetzt solltest du aufhören, bevor du dich richtig lächerlich machst.« Wyatt geht zu seinem Kunden. »Könntest du einmal aufstehen?«, erkundigt er sich bei ihm.

»Klar.«

»Und so gerade wie möglich hinstellen, damit wir die Schablone vernünftig anbringen können.«

Der Mann begradigt seine Haltung und Wyatt greift einmal mehr zur Schablonenflüssigkeit. Das kann er allerdings nur so schnell machen, weil ich dem Mann vorhin den Rücken rasiert und ihn desinfiziert habe. Es tat mir total leid, als er sich darüber beschwerte, dass seine Haut wie Feuer brennt, aber das ist ein Zeichen dafür, dass die Desinfektion wirkt. Ich helfe Wyatt, die Schablone anzubringen, um die Outlines auf den Rücken zu übertragen.

»So, jetzt musst du nur noch einen Blick in den Spiegel werfen, damit wir den Sitz entweder verändern oder loslegen können«, sagt Wyatt. »Wie war noch dein Name?«

»Jackson«, erwidert sein Kunde.

»Ah, alles klar. Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist, dass ich mir deinen Namen nicht merken kann. Sorry.«

»Alles gut, sag einfach Jax, vielleicht ist das einprägsamer«, erwidert Jackson freundlich.

Ich führe ihn vor den Spiegel, danach schiebe ich den anderen vor ihn, damit er den Sitz des Tattoos sieht, ohne sich zu verrenken.

»Heute kommen übrigens nur die Outlines und die Rosen dran. Für die ganzen Details brauchen wir noch einen zweiten Termin, weil wir sonst bis heute Nacht hier sitzen«, lässt Wyatt ihn wissen.

»Kein Problem, so hatten wir es ja auch ausgemacht«, antwortet Jax, der sich im Spiegel betrachtet. »Also für mich passt das alles so.«

»Sehr gut. Dann leg dich bitte bäuchlings auf die Liege. Die Arme musst du an deinen Körper anlegen, damit deine Haut nicht zu sehr gestreckt wird.«

»Alles klar.«

Indes schiebe ich den anderen Spiegel zurück an seinen Platz und gehe ebenfalls zurück zu Wyatt.

»Willst du die Maschine zusammensetzen?«, fragt er mich.

»Diesmal nicht. Ich habe zittrige Hände und will nichts falsch machen«, entgegne ich aufrichtig. »Aber danke für das Angebot.«

»Kein Thema, dann übernehme ich es.« Wyatt zieht Handschuhe an, anschließend setzt er seine Maschine zusammen. Ich nehme auf dem Hocker neben ihm Platz, um ihm zusehen zu können.

»Warum lässt du dir eigentlich die Jasminblüte stechen?«, höre ich Ryan fragen.

»Wegen Jazz«, erwidert sein Freund. »Sie hat sich umtaufen lassen und ich will sie immer bei mir tragen.«

»Ihr seid erst ein gutes Jahr zusammen.«

»Ich weiß, aber ich denke, es ist für immer. Sie ist meine Seelenverwandte«, antwortet Hunter.

»Wie ist eigentlich der Prozess gelaufen? Beim letzten Mal bist du ausgewichen.«

»Ihre Brüder wurden verurteilt und werden nach der Haftstrafe abgeschoben«, erklärt Hunter.

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen, ohne dass einer der beiden es sehen kann. Das klingt nach einer wahnsinnig komplizierten Geschichte, aber hier hört man sowieso die abstrusesten Sachen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass man als Tätowierer auch Seelsorger beziehungsweise Psychologe sein muss, damit die Kunden glücklich und zufrieden sind.

Wyatt sieht mich fragend an. »Kylie?«

»Ja?«, möchte ich nach einem Kopfschütteln wissen.

»Könntest du mir das Schwarz aus dem Ink-Butler holen?«

»Sicher.« Der Ink-Butler ist sein kleiner Schrank, an dem auch eine Lampe und ein Tablett für alles angebracht ist. Er hat irgendwie die krassesten Sachen, um seinen Job machen zu können. Aber er ist auch ein wahnsinnig guter Tätowierer. Ich wünschte, ich hätte seine Skills, damit ich genauso gut wie er bin. Ich ziehe Handschuhe an, anschließend die Schublade mit den Farben auf. Danach trage ich Vaseline auf das schwarze Haushaltstuch auf und stecke die kleinen Töpfchen für die Farbe darauf, damit sie Halt haben und nicht verrutschen. Anschließend gebe ich die Outlining Farbe in drei Töpfchen. Oder Hütchen, das passt wahrscheinlich besser, da sie nicht größer als ein Fingerhut sind. »Reicht das an Farbe?«

Wyatt wirft einen Blick darauf. »Ja, das passt.« Er testet seine Maschine, dreht am Regler des Netzteils und testet sie noch einmal. Wyatt nickt zufrieden, anschließend taucht er die Nadel in die Farbe. »Kann’s losgehen?«, fragt er Jackson.

»Auf jeden Fall«, antwortet er.

Das sonore Summen der Maschinen lässt meinen Kopf vibrieren, aber ich will nicht aus dem Raum gehen. Man kann das Surren mit einem Zahnarztbohrer vergleichen, denn es ist genauso penetrant und für Panikpatienten bestimmt die Hölle. Ich bin auch nicht gern beim Zahnarzt, aber zum Glück kam ich bisher um den Bohrer herum. Nichtsdestotrotz gibt es Menschen, denen dabei schlecht wird und die sich übergeben müssen oder zusammenbrechen.

Jackson zischt, aber Wyatt lässt sich davon nicht beeindrucken. Er zieht Outline für Outline, tunkt die Nadel immer wieder in die Farbe und wischt die überschüssige von Jacksons Haut, die sich mit jedem weiteren Nadelstrich – es ist ja kein Pinselstrich – rötet und Blut ausstößt. Wenn man ehrlich ist, ist eine Tätowierung eine einvernehmliche Körperverletzung, weshalb mein Bruder und seine Angestellten sich von jedem einzelnen Kunden Verzichtserklärungen unterschreiben lassen, damit sie nicht belangt werden können. Aber so läuft es in so ziemlich jedem Studio ab. Ja, es gibt auch Tätowierer, die sich so eine Erklärung nur einmal unterschreiben lassen, aber die befinden sich dann nicht auf der sicheren Seite, denke ich. Immer wieder reiche ich Wyatt neue Tücher, die ich vorher mit Seifenwasser tränke. Es ist spezielle Tattooseife, mit der man die Farbe von der Haut bekommt. Sobald sich etwas davon auf die Kleidung verirrt, kann man das Teil wegwerfen, denn man bekommt sie nie wieder raus. So ist es mir ganz am Anfang mit einem meiner Lieblingsteile ergangen. Es war schwarz, die Tattoofarbe, die darauf landete, war leider weiß. Ich hatte überlegt, es noch mal schwarz zu färben, aber bisher kam ich nicht dazu, mir das Zeug dafür zu kaufen. Ich arbeite einfach zu viel. Später muss ich auch wieder in den Diner. Die dortige Uniform ist rot, was mich nervt, denn ich bevorzuge schwarze Kleidung.

* * *

»So, wir sind fertig, Hunter«, sagt mein Bruder hinter mir.

Ich drehe mich um. »Darf ich mal gucken?«

Carter deutet auf Hunters Oberarm. »Tu dir keinen Zwang an.«

Daraufhin stehe ich auf, um einen Blick auf die Blüte zu werfen. Ich sehe sie mir genau an.

»Und wie gefällt sie dir?«, fragt mein Bruder.

»Ich finde sie richtig gut«, erwidere ich aufrichtig.

Carter lächelt. »Danke, Kiki.«

Wow, jetzt bin ich wieder Kiki, dabei war ich seit ein paar Tagen nur Kylie. So nennt er mich nur, wenn er mies drauf ist. Vielleicht war es nötig, dass Wyatt ihm mal die Meinung sagt, damit er mich nicht mehr von oben herab behandelt. Ich bin nicht böse, nur genervt, und was mich am meisten ärgert, ist die Tatsache, dass mir die passenden Antworten immer erst einfallen, wenn es bereits zu spät ist. Generell bin ich nicht für Diskussionen gemacht, weil ich total konfliktscheu bin. Ich mag es nicht, mit anderen zu diskutieren oder zu streiten.

Erstens: Es führt zu nichts.

Zweitens: Es bedeutet unnötigen Stress.

»So, du weißt, wie du das Tattoo pflegen musst, oder?«, wendet Carter sich an Hunter.

»Ja, die Kompressen bis morgen drauf lassen, dann mit lauwarmem Wasser und ph-neutraler Seife waschen, danach vorsichtig trocken tupfen und dünn mit Wundheilsalbe eincremen, was ich mehrmals am Tag tun soll.«

»Es ist ein Verband, der nicht fusselt, aber sonst ist alles richtig«, stimmt Carter ihm zu und schaut zu mir. »Kannst du mir den Folienverband bringen?«

»Sicher.« Ich gehe an den Schrank hinter Ethans Arbeitsbereich und hole die Rolle mit dem Folienverband heraus, während mein Bruder Hunters Tattoo dünn mit Vaseline eincremt. Als ich sie habe, laufe ich zurück zu Carter und gebe ihm den Verband.

»Danke, Kiki.«

»Kein Thema«, entgegne ich und gehe zurück zu Wyatt, um ihm weiter zuzusehen.

»Musst du später wieder in den Diner?«, fragt er, als ich neben ihm sitze.

»Ja, ich habe die Spätschicht. Ich bin froh, dass Hercules im Moment bei meinen Eltern ist, sonst könnte ich gar nicht so viel arbeiten«, erwidere ich seufzend.

»Es wird auch andere Zeiten geben.«

»Ja, aber wenn er Carter nicht den ganzen Aufenthaltsraum vollgepinkelt hätte, dürfte ich ihn immer noch mit hierher bringen«, sage ich frustriert.

»Du hast recht, aber du weißt, dass Tiere nicht ins Studio dürfen.«

»Ist mir bewusst.« Ich räuspere mich. »Wie du schon sagtest, es kommen auch wieder andere Zeiten, in denen ich voll und ganz für ihn da sein kann.«

»Wie alt ist Hercules jetzt?«

»Acht«, entgegne ich. »Ich habe ihn zum elften Geburtstag bekommen.«

»Und wie alt wird so ein Yorkshire?«

»Sechzehn, siebzehn, vielleicht achtzehn … Es ist unterschiedlich und kommt darauf an, ob er gesund bleibt.«

»Der meiner Mom wurde einundzwanzig Jahre alt.«

»Stolzes Alter für einen Hund«, erwidere ich. »Ich denke, wenn ich am Wochenende Zeit habe, hole ich ihn zu mir, um Zeit mit ihm zu verbringen, weil er mir fehlt.«

»Verständlich, sonst würde man sich ja kein Haustier anschaffen.«

Ich nicke zustimmend, obwohl er mich nicht ansieht. Wyatt konzentriert sich voll und ganz auf seine Arbeit, was verständlich ist, denn wenn er Scheiße baut, ist sein Kunde megaunzufrieden.

* * *

KapitelDrei

Ich sitze in meinem Auto, ich bin müde, muss aber noch ins Diner, um die dortige Schicht hinter mich zu bringen. Das heißt, noch mal sechs Stunden ranklotzen, um mir meinen Lebensunterhalt und ein wenig Trinkgeld zu verdienen, denn Carter bezahlt mir gerade mal den Mindestlohn.

Ich habe schon vor dem Diner geparkt, aber am liebsten würde ich schlafen. Carter hat mich heute Morgen um neun Uhr antreten lassen, danach durfte ich das Studio und die Fenster putzen. Ich hoffe, dass er bald einsieht, dass mir diese Ausbildung wichtig ist, aber im Moment sieht es nicht danach aus. Vielleicht spricht Wyatt mit ihm, um es ihm auch noch mal klarzumachen, allerdings ziehe ich damit bestimmt Carters Wut auf mich. Er war heute schon total sauer, weil ich Wyatt zugesehen habe, aber wenigstens setzt er sich für mich ein, ganz im Gegensatz zu Ethan, der meistens die Schweiz spielt und sich unparteiisch gibt.

Ich werfe einen Blick auf mein Handy – es ist gleich halb fünf, ich muss rein, um meine Schicht anzutreten. Meine Uniform habe ich schon an, da ich sie immer mit ins Tattoostudio meines Bruders nehme. Ich steige aus dem Auto, ziehe das Kleidchen gerade und stecke mein Namensschild an, anschließend gehe ich in den Diner. Der Laden ist in die Jahre gekommen, läuft aber immer noch erstaunlich gut. Mittlerweile wird er in zweiter Generation geführt. Vor drei Jahren habe ich hier angefangen, da war Mr. Hotchins gerade dabei, das Diner an seinen Sohn abzugeben. Marcus ist nicht viel älter als ich und hätte den Laden fast in den Ruin getrieben, weil er anfing, auf vegane Küche umzusatteln, was in einem Diner im Fünfzigerjahre Stil echt nicht gut ankam. Wir haben uns dann dafür eingesetzt, dass er die alte Kalte nimmt und sie um ein paar vegane und vegetarische Gerichte erweitert wird, seitdem haben wir wieder mehr zu tun.

»Hey, Ash«, rufe ich, als ich den Diner betreten habe.

»Hey, Kiki, kannst du dich beeilen? Karen musste früher weg und du siehst ja, was hier los ist«, antwortet sie.

»Ich bringe nur meine Tasche weg«, erwidere ich und laufe nach hinten in die Umkleide, die ich nur nutze, um meine Handtasche im Spind zu verstauen. Ich ziehe mich nicht mehr gern hier um, weil mein Boss mich einmal überrascht hat. Und das war keine tolle Begegnung. Nachdem ich meine Tasche eingeschlossen habe, laufe ich zurück in den Gastraum, um Ash zur Hand zu gehen. »Da bin ich«, verkünde ich, als ich hinter dem Tresen zu ihr stoße.

»Alles klar, kannst du die Tische drei, sechs, acht und zehn übernehmen?«

»Sicher. Was bekommen sie?«

»Ich kam noch gar nicht dazu, ihre Bestellungen aufzunehmen«, antwortet sie gestresst.

Ich schaue zu den Tischen und sehe Hunter und Ryan an einem sitzen, außerdem haben sie noch ein paar Leute dabei. »Oh Mann«, stoße ich leise aus, danach schnappe ich mir einen Block und einen Bleistift und begebe mich an Tisch drei. »Hallo, was darf ich euch bringen?«

Zwei junge Frauen schauen zu mir hoch. »Wir bekommen zwei Wasser und zwei Chefsalat mit dem Hausdressing«, antwortet eine von ihnen.

Ich notiere mir die Bestellung. »Alles klar, ich bringe euch gleich eure Getränke und die Salate, sobald sie zubereitet sind.«

»Danke«, erwidert die andere lächelnd.

Anschließend nehme ich die Bestellungen an den Tischen sechs und acht auf, nur um dann zu Ryan und seinen Freunden zu gehen. »Hi, was darf ich euch bringen?«, erkundige ich mich freundlich. Ich bin gespannt, wie oft ich die Frage heute herunterrasseln muss, bis ich Feierabend habe.

»Kylie?«, fragt Ryan überrascht.

Ich sehe ihn ruhig an. »Ja?«

Hunter räuspert sich. »Ich nehme eine Cherry Coke und den Viertelpfünder mit Chilipommes.«

Ich notiere mir seine Bestellung. »Und ihr?«, wende ich mich an die anderen, da Ryans Mund bloß auf und zu klappt, ohne dass er etwas sagt.

»Dasselbe«, sagt eine junge Frau lächelnd. Ihre Augen sind wirklich beeindruckend blau und passen zu ihrem sonnengebräunten Teint.

»Alles klar.«

Schließlich sieht mich ein junger Mann an, der Hunter zum Verwechseln ähnlich sieht. »Ich bekomme den Chickenburger mit normalen Pommes und eine normale Cola.«

Mein Blick fällt auf Ryan. »Und du?«

»I-i-ich … b-b-bekomme …« Er atmet tief durch. »Chi-chickenburger mi-mit P-po-Pommes und eine Cola.«

»Geht klar«, sage ich möglichst gelassen, auch wenn mich sein Stottern sehr wundert.

»Danke«, sagt die junge Frau lächelnd.

Ich schenke ihr ebenfalls eines, danach mache ich mich auf den Weg an den Tresen. Dort angekommen hänge ich die Bestellzettel an das kleine Zettelrad und haue auf die Klingel, damit Julian weiß, dass er noch etwas zu tun bekommt. Anschließend kümmere ich mich um die Getränke, die bestellt wurden.

»Mein Gott, wo kommen die denn alle her?«, fragt Ash seufzend. »Ich schwöre, bis Karen da war, war es ruhig. Kaum war sie weg, haben sie den Laden eingerannt.«

Ich lache leise. »Das ist doch immer so.«

»Stimmt, aber es passiert meistens mir«, mault sie.

»Mir ist das auch schon häufiger passiert, als du denkst, Ash«, entgegne ich amüsiert.

»Hast du viele Bestellungen?«

»Na ja, an den vier Tischen sitzen insgesamt zwölf Leute, die alle etwas essen möchten. Was denkst du?«

»Doofe Frage, hm?«

»Nein, es gibt keine doofen oder dummen Fragen.« Ich grinse sie an, danach nehme ich das Tablett mit den Getränken an mich. Es ist schwer, trotzdem gelingt es mir, es zu balancieren, ohne dass Gläser herunterfallen. Die Cherry-Cokes habe ich in rote Gläser gefüllt, sodass ich sie nicht mit den normalen verwechsle. Bevor Marcus es eingeführt hatte, habe ich sie ständig verwechselt, was manche Kunden verärgert hat. Ja, es gibt Menschen, die sich über so kleine Fehler tierisch aufregen, was ich nicht nachvollziehen kann.

»So, hier sind eure Getränke«, sage ich lächelnd, als ich am ersten der vier Tische ankomme.

»Danke, Kylie«, erwidern sie freundlich, nachdem sie mein Namensschild gelesen haben.

Ich gehe weiter, stelle die Getränke bei den Gästen ab und schenke ihnen ein Lächeln, wenn sie sich bedanken. »Eure Burger kommen gleich«, wende ich mich an Ryan und seine Freunde.

»Da-danke«, entgegnet Ryan unruhig, schenkt mir aber ein charmantes Lächeln, das mein Herz einen Hüpfer machen lässt.

Ohne noch etwas zu sagen, wende ich mich ab und gehe zurück hinter den Tresen.

»Miss?«, ruft jemand, weshalb ich mich umdrehe. »Guten Tag, was darf ich Ihnen bringen?«

»Ich hätte gern einen Kaffee und ein Stück von dem Kirschkuchen«, entgegnet der Gast freundlich.

»Bringe ich Ihnen.«

Er lächelt mich an – ich erwidere es milde, danach gehe ich wieder hinter den Tresen.

* * *

Ash und ich sitzen am Tresen und haben jede ein Glas Wasser vor uns stehen. Es war eine anstrengende Schicht und ich bin froh, wenn ich gleich im Bett liege. Morgen habe ich frei und dann werde ich Hercules bei meinen Eltern abholen, bevor ich ihn Sonntagabend wieder zu ihnen bringe.

»Tun dir auch die Füße weh?«, fragt Ash weinerlich.

Ich lache leise. »Ja, aber ich war schon vor meiner Schicht hier arbeiten.«

»Arbeitest du immer noch für deinen Bruder?«, erkundigt sie sich.

Ich nicke. »Ja, immerhin hat er mir versprochen, mich auszubilden.«

Als ich sie ansehe, hat sie eine Augenbraue hochgezogen. »Du wolltest doch kündigen.«

Daraufhin verziehe ich das Gesicht. »Ich weiß, aber ich will mich echt gern zur Tätowiererin ausbilden lassen. Nur Carter lässt mich ständig putzen oder am Empfangstresen sitzen, wo ich Termine vereinbaren soll.«

»Können Ethan oder Wyatt nicht deine Ausbildung übernehmen?«

»Wyatt hat sie heute übernommen, weil Carter immer noch keine Übungshaut besorgt hat. Ich durfte ihm zusehen, sogar eine Schablone anfertigen und alles. Carter hätte mich das sicher nicht machen lassen«, erzähle ich.

»Hat Carter dich denn wieder grundlos zusammengestaucht?«

Ich nicke. »Ja, aber Wyatt ist dazwischengegangen. Ethan hingegen spielt immer die Schweiz und gibt sich unparteiisch. Ich weiß nicht, warum er sich das ruhig mitansieht, aber wahrscheinlich will er keinen Stress mit meinem Bruder, immerhin ist er sein Angestellter.«

»Trotzdem sollte dein Bruder dich besser behandeln. Hoffen wir mal, dass Wyatt deine Ausbildung nun über- und ernstnimmt.«

»Oh ja, das hoffe ich wirklich, aber ich glaube nicht, dass er mich hängenlässt, dafür hat er sich heute zu sehr darüber aufgeregt, dass Carter immer noch keine Übungshaut bestellt hat. Er hat heute alles übernommen.«

»Wenigstens ist auf einen Verlass«, sagt sie lächelnd und streichelt meine Schulter. »Lass dich von Carter nicht ärgern, versprichst du das?«

»Ja, ich versprech’s dir«, erwidere ich und trinke einen Schluck Wasser. »Wir müssen die Abrechnung machen.«

»Ich weiß. Wenn du willst, kümmere ich mich darum.«

Ich schüttle den Kopf. »Lass sie uns gemeinsam machen, dann geht’s schneller.«

»Alles klar.«

Nacheinander rutschen wir von unseren Hockern und gehen an die Kasse. »Übernimmst du die Scheine? Dann zähle ich das Münzgeld.«

»Klar«, erwidere ich und hole meinen Notizblock heraus, den ich neben die Kasse lege. Ich nehme die Ein-Dollar-Noten und fangen an, sie zu zählen, während Ash das Kleingeld übernimmt.

* * *

Eine Viertelstunde später sind wir fertig. Laut Kassenbeleg ist keine große Differenz in der Kasse, sogar ein wenig zu viel. Vermutlich hat eine von uns zwei Quarter zu wenig herausgegeben oder Trinkgeld in die Kasse getan, statt in ihren Becher, aber das ist nicht so schlimm. Lieber mache ich mit einem kleinen Plus Feierabend, statt mit einem Minus.

Nachdem wir die Geldkassette weggeschlossen haben, gehen wir in die Umkleide. »Schließt du ab?«, erkundige ich mich.

»Können wir das gemeinsam machen? Wenn vier Augen sehen, dass die Türen verschlossen und die Gitter unten sind, fühle ich mich sicherer.«

»Klar«, entgegne ich, als ich meine Handtasche an mich nehme.

Ash nickt, während sie sich umzieht. »Dann mal los«, sagt sie, als sie fertig ist.

Wir machen uns gemeinsam auf den Weg nach hinten, wo wir das Gitter herunterlassen und anschließend die Tür verriegeln. Als das erledigt ist, gehen wir nach vorn, lassen die Rollläden herunter, schalten das Licht und die Reklame aus. Danach verlassen wir den Diner. Auch vorne verriegeln wir die Türen und lassen das Gitter herunter, das wir mit einem großen Panzerschloss sichern.

»Hab einen schönen Feierabend«, verabschiedet sie sich.

»Du auch, Ash.«

»Sehen wir uns morgen?«

Daraufhin schüttle ich den Kopf. »Nein, ich habe morgen und Sonntag frei und werde ausschlafen.«

Sie lächelt. »Genieß das freie Wochenende.«

»Danke.« Unsere Wege trennen sich und ich laufe zu meinem Auto. Ich bin froh, wenn ich mich gleich nach einer ausgiebigen Dusche ins Bett legen kann.

* * *

Als ich mein Auto vor dem Apartmenthaus parke, lasse ich meinen Blick schweifen. Ich habe eine Wohnung in Liberty City, weil ich mir in einer besseren Gegend nichts leisten konnte. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch greife ich in meine Handtasche und umklammere das Pfefferspray, um mich notfalls zur Wehr setzen zu können. Ich lebe nicht gern hier, aber es ist allemal besser, als bei Mom und Dad zu wohnen. Wir haben uns damals ständig gestritten und seit ich ausgezogen bin, verstehen wir uns besser denn je. Ich bitte sie nicht um Geld, die einzige Unterstützung, um die ich gebeten habe, ist, dass sie sich um Hercules kümmern, wenn ich arbeiten muss. Und das ist noch nie ein Problem gewesen, weil Mom ihn vergöttert, zudem ist sie Hausfrau und hat Zeit für ihn. Ich bin wirklich froh, dass sie sich um ihn kümmert, wenn ich keine Zeit habe. Ich meine, ich habe ja auch nicht damit gerechnet, dass ich Hercules nicht mit ins Studio nehmen darf, nur weil er Carter den Aufenthaltsraum vollgepinkelt hat. Das ist nur einmal vorgekommen und mein Bruder hat mich danach das ganze Studio grundreinigen lassen. Dabei hat Hercules sonst immer in seinem Körbchen gelegen und geschlafen oder ich war mit ihm draußen, damit er sich erleichtern konnte. Aber vielleicht haben sich ein paar Kunden beschwert.

»Hey, Kylie.«

Ich umklammere das Pfefferspray fester und schaue mich um. Brad ist neben mir aufgetaucht. »Hey, wie geht’s dir?«

»Kann nicht klagen.«

Als wir vor dem Haus stehen, erkenne ich das beinahe schwarze Veilchen, das er hat. »Was ist passiert?«

»Mhm, eine Begegnung mit Harvey.«

»Connor?«

Er nickt.

»Was hast du denn noch mit ihm zu schaffen?« Ich neige den Kopf. »Du hast doch nicht wieder Stoff bei ihm gekauft, oder?«

»Nein, ich wollte meine Schulden bezahlen, es dauerte ihm zu lange, bis ich ihm die letzte Rate gebracht habe, und er hat mit dem Schlagring zugeschlagen. Ich bin froh, dass es nur ein heftiges Veilchen ist«, erklärt Brad.

Ich verziehe das Gesicht. »Lass uns nach oben gehen, ich habe eine kühlende Salbe, die dir sicher etwas Linderung verschafft.« Ich räuspere mich. »Hast du noch offene Schulden bei ihm?«

»Er will noch mal 300 Dollar von mir. Er sagte, es seien Zinsen.«

Ich schnaube. »Du solltest zu den Cops gehen.«

»Dann bringen seine Leute mich um, worauf ich weniger scharf bin, Kylie.«

»Na schön.« Ich greife in meine Tasche, hole den Schlüssel heraus und schließe die Tür auf. »Komm mit.«

»Was würde ich nur ohne dich tun?«

»An einem echt fiesen Veilchen leiden«, antworte ich lächelnd und mache ihm Platz, damit er ins Treppenhaus kommen kann.

»Danke, Kylie.«

»Kein Thema.« Ich gehe voraus und Brad folgt mir in die zweite Etage. Er lebt in der gegenüberliegenden Wohnung, sodass wir quasi Tür an Tür sind. Brad studiert, was er sich nur wegen eines Stipendiums leisten kann, sonst würde er in irgendeiner Fastfoodkette arbeiten, wie er selbst sagte. Ich beneide ihn, denn ich wäre auch gern aufs College gegangen, aber leider war mein Highschoolabschluss die absolute Katastrophe. Und ich wollte nicht zur Abendklasse oder zum Community College, um ihn nachzuholen. »Möchtest du etwas trinken?«, erkundige ich mich, als wir meine Wohnung betreten haben.

»Nein danke, ich war gerade mit meinem Bruder ein Bier trinken und bin erst mal bedient.«

»Okay.« Ich deute zur Küche. »Ich bin kurz in der Küche, hole mir eine Coke und bringe dir die Salbe mit.«

»Hilft die wirklich so gut?«

»Ja, ich schwöre darauf, wenn ich Hämatome habe.« Ich lege meine Handtasche und meine Jeansjacke ab, anschließend lasse ich Brad allein. Ich habe bloß eine Zweiraumwohnung, aber ich fühle mich wohl. Mein Apartment ist zwar nicht groß, allerdings brauche ich nicht besonders viel Platz. Nachdem ich mir eine Flasche Cola aus dem Kühlschrank geholt habe, mache ich mich auf den Weg ins Bad, damit ich Brad die Salbe mitbringen kann.

Als ich zu ihm zurückgehe, sehe ich, dass er sich in meinen Rattansessel gesetzt hat. Es ist ein Hängesessel, den ich günstig auf eBay erstanden habe, und ich liebe dieses Teil. Wenn ich lese, sitze ich oft darin, weil er mir wie meine eigene kleine Blase vorkommt. Außerdem sitze ich darin geschützt, was hier in Liberty City nicht das Schlechteste ist. Ja, ich lebe in einer echt beschissenen Gegend und würde lieber in Miami Beach oder Coral Gables wohnen, aber die Orte sind so teuer. Wer dort eine Wohnung hat, verdient entweder richtig gut oder kommt aus reichem Haus. Ich komme aus einer mittelständischen Familie. Mein Auto habe ich mir selbst erarbeitet, meine Wohnung ebenso und auch sonst komme ich vollkommen alleine für mich auf, weil ich es nicht mag, von meinen Eltern abhängig zu sein. Wahrscheinlich würde es auch unser inzwischen besseres Verhältnis schädigen, sollte ich sie um Geld bitten. Aber glücklicherweise ist es noch nicht vorgekommen, dass ich es tun musste. »Hier ist die Salbe«, verkünde ich und reiche ihm die Tube.

Brad nimmt sie mir aus der Hand. »Ist die mit Arnika?«

»Ja.«

»Riecht man«, sagt er, nachdem er die Tube geöffnet hat. »Kannst du mir helfen?«

»Klar.« Ich nehme ihm die Salbe aus der Hand und atme tief durch. »Das könnte schmerzhaft werden und ich entschuldige mich schon mal dafür.«

»Keine Sorge, schlimmer als Harveys rechter Haken kann es nicht werden.«

Ich setze mich auf den schwarzen Couchtisch und betrachte ihn eingehender. »Du solltest dich von ihm fernhalten.«

»Wie soll ich das machen, wenn er noch 300 Dollar von mir will?«

»Ich werde sie ihm bringen. Er wird mich nicht schlagen, immerhin ist mein Bruder sein Tätowierer und ich seine Ex. Ich glaube kaum, dass Harvey es provozieren will, dass Carter ihm einen Schwanz auf den Arsch tätowiert.«

Brad lacht. »Manchmal bist du unmöglich.«

»Gib doch zu, dass es dir gefällt«, kontere ich kichernd, gebe etwas Salbe auf meine Fingerspitzen und beuge mich zu Brad. »So, jetzt wird’s kühl und wahrscheinlich schmerzhaft, nimm’s mir nicht übel.«

»Mach dir keinen Kopf.« Brad schließt die Augen und ich trage vorsichtig die Salbe auf seine Haut auf. Dabei spare ich sein Augenlid aus, damit er nicht noch eine Bindehautentzündung bekommt. Sofern Arnikasalbe sie überhaupt auslösen kann. So medizinisch bewandert bin ich nicht. Ich weiß, was ich gegen eine Grippe, Kopfschmerzen und Migräne einnehmen kann, aber das war’s dann auch schon.

»Danke«, sagt er mit rauer Stimme, als ich mich zurückgezogen habe.

»Gern geschehen, Brad.« Ich schenke ihm ein Lächeln, schraube die Tube zu und reiche sie ihm. »Nimm sie mit.«

»Ich werde mir morgen eine eigene Tube kaufen.«

»Ich brauche sie im Moment nicht, Brad, also nimm sie.«

»Okay.«

»Und benutz sie«, ermahne ich ihn.

»Ja, Mom«, grinst er und lehnt sich zurück.

Kopfschüttelnd stehe ich auf, bloß um mich einen Moment später auf die Couch zu setzen. Ich trinke einen Schluck Cola und trauere ein wenig der heißen Dusche nach, aber Brad ist gerade wichtiger.

»Hast du morgen schon etwas vor?«, fragt er interessiert.

»Ich werde Hercules bei meinen Eltern abholen und dann mal sehen«, antworte ich. »Warum fragst du?«

»Ich dachte, wir könnten einen Kaffee trinken gehen, womit ich diesen späten Überfall wiedergutmachen würde.«

Lächelnd winke ich ab. »Das ist nicht nötig, Brad, lass uns morgen Abend Pizza essen, davon habe ich mehr.«

Er lacht auf. »Alles klar, dann bringe ich morgen Abend Pizza mit und wir sehen uns einen Film an.«

»Das ist ein Deal«, sage ich gut gelaunt. »Gegen acht?«

»Ja, das passt gut.«

Ich lehne mich zurück und lege meinen Kopf auf die Rückenlehne. »Wie läuft’s in der Uni?«

»Es ist anstrengend und ich muss eine Menge lernen, aber ich tue es gern. Na ja, momentan sind sowieso Ferien.« Brad beugt sich vor, stützt die Ellenbogen auf seine Oberschenkel. »Warum fragst du?«

»Ich würde auch gern studieren, aber finanziell ist es einfach nicht drin, außerdem war mein Schulabschluss zu schlecht«, antworte ich aufrichtig.

»Warum machst du den Abschluss nicht noch mal und bewirbst dich dann für ein Stipendium?«

Ich winke ab. »Weil ich keine Lust habe, noch mal die Schulbank zu drücken. Ich bin froh, dass ich die Ausbildung bei meinem Bruder mache und nebenher noch im Diner arbeiten kann, Brad.«

»Du solltest mehr aus dir machen, statt diese Ausbildung.«

»Ich liebe es, zu zeichnen, und ich will Tätowiererin werden. Dass Carter mir die Ausbildung ermöglicht, ist eine Chance für mich.« Ich trinke noch etwas. »Wenn ich den Job richtig gut mache, kann ich echt viel erreichen.«

»Und was?«

»Ein eigenes Studio, eine bessere Wohngegend, Bekanntheit.«

»Bekanntheit?«, hakt er nach. »Nenne mir einen weltbekannten Tätowierer.«

»Es gibt ein paar, frag doch einfach Google«, kontere ich grinsend.

Er schnaubt amüsiert. »Gib’s zu, du kennst keinen.«

»Ich kenne ein paar, aber ihre Namen wollen mir nicht einfallen.« Ich lache leise. »Aber es gibt sie, das versichere ich dir.«

»Ich glaube es dir doch.«

»Gut, dann weiß ich gar nicht, warum wir darüber diskutieren«, lache ich lauter und richte mich auf. Mein Blick fällt auf die große Bahnhofsuhr über dem Fernseher. Es ist nach Mitternacht und ich bin echt fertig, aber ich will Brad nicht rausschmeißen.

»Ich sollte mal rübergehen, du bist sicher müde, oder?« Warum weiß er so etwas immer? Brad kann in mir lesen wie in einem gottverdammten Buch, aber wir kennen uns auch schon seit drei Jahren. Er hatte mich noch ganz altmodisch als neue Mieterin begrüßt und mir Brot, Wein und Salz geschenkt, aber als er erfahren hatte, dass ich erst 16 bin, hatte er den Wein zurückgenommen. Sein Bruder hatte ihn extra für den Geschenkkorb gekauft, weil Brad einen guten Eindruck machen wollte. Er hatte mir sogar geholfen, meine Wohnung zu renovieren, obwohl er zur Uni musste. Aber nach seinen Vorlesungen kam er mir immer helfen. Manchmal haben wir bis spätabends gestrichen und am nächsten Morgen verschlafen. Ich habe in der Zeit meines Umzugs so oft die Highschool geschwänzt, dass meine Eltern ständig beim Direktor antanzen mussten. Ja, es gab Ärger, aber hey, ich war sechzehn Jahre alt, wer schwänzt da nicht die Schule? Ich weiß, einige werden und würden es nicht tun, aber ich habe es getan.

»Ich bin eher aufgekratzt, statt müde, aber ich muss noch duschen, dann werde ich etwas essen und ins Bett gehen.«

»Dann bist du sicher noch bis ein oder zwei Uhr wach«, sagt er mit großen Augen.

Schmunzelnd stelle ich die Colaflasche auf den Tisch. »Nein, ich kriege das alles in einer guten Stunde hin.«

»Wenigstens hast du jetzt ein freies Wochenende. Ich frage mich immer, wie du es schaffst, zwei Jobs unter einen Hut zu bringen.«

Ich seufze schwer. »Na ja, mit viel Ehrgeiz und noch mehr Energie haut das hin.« Anschließend lächle ich.

Brad steht auf. »Ich gehe mal rüber. Meldest du dich wegen morgen Abend?«

»Klar.« Ich erhebe mich ebenfalls und gehe mit ihm zur Tür. »Wenn du Zeit und Lust hast, können wir morgen gemeinsam mit Hercules spazieren gehen.«

»Mal schauen. Meld dich einfach, wenn du ihn bei dir hast.«

»Mache ich.

---ENDE DER LESEPROBE---