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Dr. Daniel ist eine echte Erfolgsserie. Sie vereint medizinisch hochaktuelle Fälle und menschliche Schicksale, die uns zutiefst bewegen – und einen Arzt, den man sich in seiner Güte und Herzlichkeit zum Freund wünscht. Mit recht langsamen, schleppenden Schritten verließ Saskia Felber das kleine Kinderheim, in dem sie bis heute gearbeitet hatte. Nun war sie also arbeitslos – wieder einmal. Allerdings hatte sie die Tätigkeit hier in den letzten Wochen zunehmend belastet. Ständig mit Kindern zu tun zu haben und gleichzeitig zu wissen, daß man selbst keine bekommen konnte, war nicht gerade einfach. Noch dazu, wo vor einem Jahr noch alles ganz anders für sie ausgesehen hatte. Gewaltsam schüttelte Saskia die trüben Gedanken ab. Es hatte keinen Sinn, weiter darüber nachzugrübeln. Das Baby ließ sich nicht mehr zurückholen, und auch Pascal hatte seine Entscheidung getroffen. Mit quietschenden Rädern schaukelte die Straßenbahn heran und blieb schließlich stehen. Saskia drückte auf den Knopf, der die Tür mit einem leisen Zischen aufgehen ließ, dann stieg sie ein – froh, dem gerade einsetzenden Regen entfliehen zu können. Trübsinnig starrte sie aus dem Fenster. Sie haßte die Stadt. Sie haßte jede Stadt, denn bis jetzt hatte ihr noch keine Glück gebracht. Und sie haßte das Wetter in der Stadt. Wenn die Sonne schien, dann wurde es schwül und stickig, und der Asphalt verwandelte sich in eine schmierige Masse. Wenn es regnete, dann war die ganze Stadt grau und trostlos, und im Winter – da wurde aus dem herrlichen Schnee in Sekundenschnelle schwarzbrauner, feuchter Matsch. Jetzt schien der Himmel seine Schleusen endgültig geöffnet zu haben. Es regnete in Strömen. Die Scheiben der Straßenbahn waren beschlagen, die Tropfen trommelten auf das Blechdach, und wahre Sturzbäche rannen über die Fenster. Drinnen roch es nach nassen Regenschirmen und feuchten Haaren.
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Mit recht langsamen, schleppenden Schritten verließ Saskia Felber das kleine Kinderheim, in dem sie bis heute gearbeitet hatte. Nun war sie also arbeitslos – wieder einmal. Allerdings hatte sie die Tätigkeit hier in den letzten Wochen zunehmend belastet. Ständig mit Kindern zu tun zu haben und gleichzeitig zu wissen, daß man selbst keine bekommen konnte, war nicht gerade einfach. Noch dazu, wo vor einem Jahr noch alles ganz anders für sie ausgesehen hatte.
Gewaltsam schüttelte Saskia die trüben Gedanken ab. Es hatte keinen Sinn, weiter darüber nachzugrübeln. Das Baby ließ sich nicht mehr zurückholen, und auch Pascal hatte seine Entscheidung getroffen.
Mit quietschenden Rädern schaukelte die Straßenbahn heran und blieb schließlich stehen. Saskia drückte auf den Knopf, der die Tür mit einem leisen Zischen aufgehen ließ, dann stieg sie ein – froh, dem gerade einsetzenden Regen entfliehen zu können.
Trübsinnig starrte sie aus dem Fenster. Sie haßte die Stadt. Sie haßte jede Stadt, denn bis jetzt hatte ihr noch keine Glück gebracht. Und sie haßte das Wetter in der Stadt. Wenn die Sonne schien, dann wurde es schwül und stickig, und der Asphalt verwandelte sich in eine schmierige Masse. Wenn es regnete, dann war die ganze Stadt grau und trostlos, und im Winter – da wurde aus dem herrlichen Schnee in Sekundenschnelle schwarzbrauner, feuchter Matsch.
Jetzt schien der Himmel seine Schleusen endgültig geöffnet zu haben. Es regnete in Strömen. Die Scheiben der Straßenbahn waren beschlagen, die Tropfen trommelten auf das Blechdach, und wahre Sturzbäche rannen über die Fenster. Drinnen roch es nach nassen Regenschirmen und feuchten Haaren. Von der gelben Ölhaut des neben ihr stehenden Mannes tropfte es beständig auf ihren Rock.
»Hey, Saskia! Mensch, bist du’s wirklich?«
Saskia blickte auf und direkt in die strahlend blauen Augen einer hübschen, blonden Frau.
»Kennst du mich noch?« wollte die wissen, und ein freundliches Lächeln erhellte ihr sympathisches Gesicht.
Saskia nickte. »Natürlich, Brigitte. Sollte ich meine Banknachbarin aus der Berufsschule etwa vergessen haben? Was machst du denn hier in Köln?«
Brigitte lachte und warf ihr wallendes blondes Haar zurück. »Du bist gut. Ich lebe hier. Seit drei Jahren bin ich verheiratet und schon Mutter. Meine Kleine habe ich gerade bei der Oma abgeliefert, weil ich zum Arzt muß.«
Saskia senkte den Kopf. Verheiratet und ein Kind. Ja, sie könnte auch schon verheiratet sein. Und ein Kind haben, wenn…
»Und du?«
Brigittes Stimme riß sie in die Wirklichkeit zurück.
»Ich habe bis heute in einem kleinen Kinderheim hier in der Stadt gearbeitet. Leider wird das Heim jetzt aufgelöst.«
»Noch nicht verheiratet?«
»Nein, noch nicht«, antwortete Saskia leise, dann stand sie abrupt auf. »Ich muß aussteigen. War nett, dich zu sehen, Brigitte. Mach’s gut!«
Sie sprang vom Trittbrett und lief durch den Regen. Innerhalb von Minuten war sie völlig durchnäßt. Das sonst so weiche, schwarze Haar hing in dicken, nassen Strähnen bis weit über ihren Rücken. Regentropfen liefen über ihr zartes Gesicht – Regentropfen undTränen.
Wieder einmal haderte Saskia mit ihrem Schicksal. Brigittes Fragen hatten alles wieder so gegenwärtig werden lassen. Mit dem Handrücken wischte Saskia über ihre Augen, doch das war ein sinnloses Unterfangen, denn immer wieder strömten neue Tränen nach – sie wußte, daß es Tränen waren, denn der Regen hatte so plötzlich aufgehört, wie er begonnen hatte.
»Warum?« fragte sie verzweifelt. »Meine Güte, warum nur?«
Noch immer konnte sie Pascals Reaktion von damals nicht verstehen. Wenn sie das Baby abgetrieben hätte… aber so, es war doch ein Unfall gewesen – ein Unfall, an dem sie völlig schuldlos gewesen war.
»Ist Ihnen nicht gut, Fräulein?« wurde sie in diesem Augenblick von einer Dame mittleren Alters angesprochen.
Saskia schüttelte den Kopf. »Alles in Ordnung, danke.«
»So sehen Sie aber nicht aus«, beharrte die Dame.
»Bitte… lassen Siemich…«, stammelte Saskia, riß sich los und rannte blindlings über die Straße. Ein Auto hupte, Bremsen kreischten, und die Dame, die Saskia noch hatte festhalten wollen, schrie entsetzt auf, dannlief sie auf die Fahrbahn und beugte sich über das am Boden liegende junge Mädchen.
Noch ein wenig benommen versuchte Saskia sich aufzurichten. Ihr rechtes Bein schmerzte, und aus einer Schürfwunde an ihrem linken Arm sickerte Blut.
»Ich konnte nichts dafür«, beteuerte der Autofahrer den herbeigeeilten Passanten gegenüber. »Sie ist mir direkt ins Auto gelaufen.«
»Lassen Sie mich durch!« ertönte jetzt eine energische Stimme. »Ich bin Arzt.«
Bereitwillig wurde dem Mann Platz gemacht, dann beugte er sich über Saskia und tastete ihren Körper ab.
»Da hatten Sie aber Glück, junges Fräulein«, meinte er. »Es scheint nichts gebrochen zu sein.« Er blickte auf und direkt in das Gesicht des Autofahrers. »Ich nehme an, Sie wollen die Polizei holen, oder?«
Der Autofahrer zuckte die Schultern. »Besser wär’s wohl. Wegen der Versicherung und so.«
Der Arzt nickte. »Gut. Ich bin Dr. Schuhmacher, und meine Praxis befindet sich gleich in diesem Haus, 1. Stock. Ich werde das junge Fräulein mitnehmen, um die Wunden zu versorgen.«
Der Autofahrer nickte. »Ist in Ordnung. Ich schicke die Beamten dann zu Ihnen hinauf.«
Schwer auf den Arzt gestützt, erhob sich Saskia und ließ sich in die Praxis bringen.
»Ich weiß überhaupt nicht, was in mich gefahren ist«, erklärte sie, während Dr. Schuhmacher die Schürfwunde mit einem Antiseptikum bestrich.
Jetzt bedachte er Saskia mit einem prüfenden Blick. »Ich bin zwar kein Psychiater, aber auch ich sehe, daß Sie eine Menge Probleme mit sich herumzuschleppen scheinen.«
Saskia nickte.
»So ist es tatsächlich«, flüsterte sie.
Der Arzt griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. »Möchten Sie darüber sprechen?«
Saskia zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, Herr Doktor, ich glaube nicht.« Sie sah ihn an. »Sie denken doch wohl nicht etwa, daß ich Selbstmord begehen wollte?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe nicht gesehen, wie der Unfall passiert ist.« Er betrachtete sie forschend. »War es denn ein Selbstmordversuch?«
Saskia schüttelte den Kopf. »Nein. Ich wollte nur in Ruhe gelassen werden.« Sie senkte den Blick. »Wissen Sie, eine Frau hat mich angesprochen. Sie war besorgt, aber…« Ein wenig hilflos zuckte sie die Schultern.
Der Arzt zögerte einen Moment, dann fragte er: »Sind Sie allein hier in Köln?«
Saskia nickte. »Seit einem Jahr. Vorher…« Sie beendete den Satz nicht, und der Arzt drängte sie auch nicht zum Weitersprechen.
»Und wo sind Sie zu Hause?« wollte er wissen.
»Nirgends.«
Mit einem gütigen Lächeln sah Dr. Schuhmacher sie an. »Das gibt es doch gar nicht. Jeder Mensch hat eine Heimat.«
»Eine Heimat«, wiederholte Saskia leise. »Ja, eine Heimat habe ich schon. Aber was soll ich da noch? Wahrscheinlich gibt es niemanden mehr, der sich an mich erinnert. Ich bin vor fast sieben Jahren weggegangen. Damals war ich achtzehn. Jetzt bin ich bald fünfundzwanzig.« Sie schüttelte den Kopf. »Was soll ich also dort?«
»Leben Ihre Eltern noch?«
Saskia schüttelte den Kopf. »Sie starben, als ich noch ein Kind war. Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen, aber die lebt inzwischen auch nicht mehr.«
Grenzenloses Mitleid erfaßte Dr. Schuhmacher. Dieses Mädchen war so alt sie seine eigene Tochter. Wenn er sich Kirsten in einer solchen Situation vorstellte…
»Vielleicht sollten Sie trotzdem in Ihre Heimat zurückkehren«, meinte er. »Ich bin sicher, daß es dort jemanden gibt, der sich an Sie erinnern wird. Schulfreunde vielleicht.«
Saskia senkte den Kopf.
»Stefan«, murmelte sie, dann sah sie Dr. Schuhmacher an und brachte plötzlich sogar ein Lächeln zustande. »Vielleicht haben Sie recht, Herr Doktor. Ich werde es versuchen.« Sie zuckte die Schultern. »Hier in Köln hält mich ohnehin nichts mehr. Ich bin seit heute arbeitslos, und das winzige Zimmer, in dem ich bisher gewohnt habe, wird mir bestimmt nicht fehlen.«
*
»Ricky?«
Noch im Halbschlaf tastete Marina Schermann mit einer Hand zu dem Bett ihres Mannes hinüber, dann wälzte sie sich mit einem mühsamen Ächzen auf die andere Seite. Der dicke Bauch war wirklich überall im Weg, undMarina sehnte den Geburtstermin herbei – auch wenn sie gleichzeitig ein bißchen Angst davor hatte.
»Ricky?« wiederholte sie ein wenig lauter.
»Bin im Bad!« kam die Antwort ein wenig undeutlich. Richard Schermann, der allgemein nur Ricky genannt wurde, schien sich gerade die Zähne zu putzen.
Marina richtete sich auf, schlug die Decke zurück und kam mit einiger Mühe und ein wenig schwerfällig aus dem Bett.
Jetzt trat Ricky herein und lächelte seine Frau liebevoll an. Dabei konnte er sein Glück noch immer kaum fassen.
Nach der schweren Enttäuschung, die er mit seiner ehemaligen Verlobten Livia Mangano erlebt hatte, hatte er eigentlich nicht mehr an ein solches Glück geglaubt, doch dann war er im Wartezimmer von Dr. Daniel der hübschen Marina begegnet und hatte sich auf den ersten Blick in sie verliebt.
Auch Marina hatte zu diesem Zeitpunkt viele Enttäuschungen hinter sich gehabt, und so hatte es eine ganze Weile gedauert, bis sie sich ihrer Liebe zu Ricky bewußt geworden war. Jetzt konnte sie sich ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen, und wenn sie in Kürze ihr erstes Baby zur Welt bringen würde, dann würde ihrer beider Glück vollkommen sein.
»Na, junge Mami, wie geht’s?« fragte Ricky jetzt, während er sich zu ihr hinunterbeugte und sie zärtlich küßte.
»Wenn es noch besser ginge, könnte ich es nicht mehr aushalten«, behauptete Marina, dann seufzte sie. »Also allmählich nervt mich dieser Bauch. Wenn Dr. Daniel nicht immer wieder Ultraschallaufnahmen gemacht hätte, dann würde ich denken, ich bekomme Zwillinge. Wie kann ein so winziges Baby nur so viel Platz einnehmen?«
Ricky lachte. »Ach, Liebling, ich finde, du siehst süß aus mit deinem Bäuchlein.«
»Bäuchlein!« wiederholte Marina entsetzt. »Mein lieber Ricky, im Untertreiben bist du einsame Spitze. Das ist kein Bäuchlein mehr, sondern ein waschechter Bauch.« Dann mußte sie ebenfalls lachen. »Aber schließlich wollte ich es ja nicht anders.«
»Eben.« Wieder nahm Ricky seine junge Frau in die Arme und küßte sie nochmals. »Was wünschen Gnädigste zum Frühstück?«
Marina überlegte, dann grinste sie. »Einen Riesenpfannkuchen mit Erdbeermarmelade.«
»Na, wenigstens nicht mit Senf«, entgegnete Ricky trocken. »In den letzten sieben Monaten habe ich mit dir ja schon die tollsten Sachen erlebt. Mitten im Sommer hattest du Appetit auf Lebkuchen. Eines Nachts um eins wolltest du plötzlich eine Pizza. Und Nudeln mit Käse und Ketchup entwickelte sich eine Weile zu deinem Lieblingsgericht.« Er schüttelte sich wie ein nasser Hund. »Hoffentlich behältst du diese Gewohnheiten nicht bei, wenn das Baby erst da ist.«
Marina lachte. »Bestimmt nicht.« Dann schmiegte sie sich zärtlich an ihren Mann. »Was ist jetzt, Ricky? Machst du mir meinen Pfannkuchen, bis ich geduscht habe?«
Er küßte sie auf die Nasenspitze. »Natürlich, Liebes.« Dann sah er sie prüfend an. »Also, Pfannkuchen mit Erdbeermarmelade. Und du überlegst es dir innerhalb der nächsten fünf Minuten ganz bestimmt nicht anders?«
Marina schüttelte den Kopf. »Ehrenwort!«
Eine knappe halbe Stunde später kam sie in die Küche, nahm an der gemütlichen Eckbank Platz und verzehrte ihren Pfannkuchen.
»Das war fein«, urteilte sie. »Und wenn du jetzt noch eine Essiggurke für mich hast, bin ich wunschlos glücklich.«
Ricky stöhnte auf und fuhr sich mit einer Hand durch das dichte,
dunkle Haar, das an den Schläfen schongraumeliert war, obwohl er erst siebenundzwanzig Jahre alt war.
»Hoffentlich kommt das Baby wirklich bald!« seufzte er, betrat die kleine Speisekammer und holte ein Glas Essiggurken.
Während Marina eine Gurke nach der anderen verzehrte, räumte Ricky den Tisch ab. Es machte ihm Spaß, seine Frau am Wochenende ein bißchen zu verwöhnen.
»Es hat wohl nicht viel Sinn, wenn ich dich frage, was du heute mittag essen möchtest?« meinte er.
Marina grinste. »Ich glaube nicht.«
»Dann sollten wir vielleicht in den Goldenen Löwenhinübergehen«, überlegte Ricky.
Marina nickte. »Das ist eine ausgezeichnete Idee. Lange werden wir sowieso nicht mehr Gelegenheit haben, auswärts zu essen. Wenn der Geburtstermin erst näherrückt…«
»Na, bis dahin haben wir noch ein paar Wochen Zeit«, meinte Ricky. »Wann mußt du wieder zu Dr. Daniel?«
»Morgen«, antwortete Marina.
Ricky runzelte die Stirn. »Warum hast du mir das denn nicht früher gesagt, dann wäre ich nicht ins Werk gefahren. Mein Vater hätte sicher einen Tag auf mich verzichten können.«
Liebevoll streichelte Marina sein markantes Gesicht. »Das ist doch Unsinn, Liebling. Wenn ich zu Dr. Daniel gehe, dann ist das ein Spaziergang von höchstens einer Viertelstunde. Das schaffe ich in meinem derzeitigen Zustand auch allein.«
»Erlaube bitte, daß ich mir Sorgen mache«, meinte Ricky. »Immerhin bekomme ich mein erstes Kind.«
Marina lachte. »Ich wußte noch gar nicht, daß du auch schwanger bist.«
Ricky stimmte mit ein, dann erklärte er: »Du hast eindeutig zu wenig über Schwangerschaften gelesen. Werdende Väter sind in gewisser Weise auch in anderen Umständen.«
»Aber den Wehenschmerz müssen wir Frauen allein aushalten«, konterte Marina.
»Ich werde mit dir leiden«, versprach Ricky, dann wurde er wieder ernst. »Hoffentlich geht alles gut.«
*
Langsam und zögernd, so, als hätte sie Angst, verließ Saskia Felber den Zug, dann blieb sie minutenlang auf dem Münchner Hauptbahnhof stehen. Was hatte sie hier eigentlich zu suchen? Beinahe sieben Jahre waren vergangen, seit sie ihren Heimatort Steinhausen verlassen hatte, und nun sollte sie zurückkehren, als hätte es diese vielen Jahre nicht gegeben?
Ein wenig ratlos sah sich Saskia um, dann nahm sie mit einem tiefen Seufzer ihre Koffer auf und ging zu einem anderen Bahnsteig. Von hier würde in einer halben Stunde der Zug nach Steinhausen abfahren.
Noch immer war Saskia unschlüssig, ob sie das Richtige tat, doch als der Zug in den Bahnhof einfuhr, bestieg sie ihn nach kurzem Zögern doch. Nachdenklich sah sie aus dem Fenster, während die Landschaft vorüberhuschte. Sie kannte das alles sehr gut, obwohl sich in den Jahren ihrer Abwesenheit einiges verändert hatte. Ob es in Steinhausen auch so war?
Doch als Saskia nach einer halben Stunde aus dem Zug stieg, hatte sie das Gefühl, als wäre hier die Zeit stehengeblieben. Der kleine Ort war idyllisch wie eh und je, nur die Chemiefabrik der Bergmanns paßte nicht so recht zu den adretten Vorgebirgshäuschen. Saskia drehte sich um und erkannte ein wenig außerhalb Steinhausens am Hang die Villa von Dr. Daniel. Dorthin zog es sie nun auch mit aller Macht, aber konnte sie so, wie sie jetzt war, einfach zu Dr. Daniel gehen? Zumindest ihre Koffer müßte sie erst irgendwo abstellen.
Suchend sah sich Saskia um. In den Gasthof von Steinhausen wollte sie nicht unbedingt gehen, da sie sich vor der geschwätzigen Wirtin fürchtete. Aber wohin dann?
Vom Kirchturm schlug es zweimal. Und ohne genau zu wissen weshalb, lenkte Saskia ihre Schritte jetzt dorthin. Dann stand sie vor dem Pfarrhaus und überlegte, ob sie klingeln sollte oder nicht. Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, als ein wild kläffendes Fellknäuel durch den Garten rannte und dann am geschlossenen Tor hochsprang.
»Wastl! Wirst du wohl ruhig sein!«
Mit wehendem Talar kam Hochwürden Klaus Wenninger um das Haus gelaufen, was Saskia zum ersten Mal seit einem Jahr ein Lächeln entlockte. Der gute Pfarrer hatte sich in all den Jahren genauso wenig verändert wie der Ort, an dem er seine Schäfchen betreute. Jetzt blieb er abrupt stehen, weil er des jungen Mädchens ansichtig geworden war, und versuchte, seine Würde wiederzuerlangen, was denkbar schwierig war, denn er glich nun mal eher dem berühmten Don Camillo, als einem ersten, würdigen Pfarrer.
»Guten Tag, mein Kind«, begrüßte er Saskia. »Was führt dich zu mir?«
Die Promenadenmischung namens Wastl kläffte währenddessen munter weiter, bis Pfarrer Wenninger der sprichwörtliche Geduldsfaden riß und er seinen Hund am Halsband nahm und ins Haus sperrte.
»Guten Tag, Hochwürden«, grüßte Saskia nun ihrerseits, dann lächelte sie wieder. »Sie erkennen mich nicht mehr, nicht wahr?«
Prüfend sah der Pfarrer sie an. »Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß Sie recht haben.«
»Saskia Felber.«
Hochwürden Wenninger versuchte sein Erschrecken zu verbergen. Das sollte die fröhliche Saskia sein?
»Ich… ich weiß nicht, wohin«, stammelte sie und war dabei plötzlich den Tränen nahe.