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Dr. Daniel ist eine echte Erfolgsserie. Sie vereint medizinisch hochaktuelle Fälle und menschliche Schicksale, die uns zutiefst bewegen – und einen Arzt, den man sich in seiner Güte und Herzlichkeit zum Freund wünscht. Mit ein wenig gemischten Gefühlen betrat Kerstin Wenger Dr. Daniels Sprechzimmer. Sie rechnete damit, daß sie sich einige Vorwürfe würde anhören müssen, schließlich war sie vor einem Jahr zum letzten Mal hiergewesen. Dabei hatte Dr. Daniel ihr damals eingeschärft, daß sie regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen kommen sollte. Jetzt kam ihr der Arzt mit einem freundlichen Lächeln entgegen und reichte ihr die Hand. »Guten Tag, Frau Wenger«, begrüßte er sie. »Wir haben uns ja schon lange nicht mehr gesehen.« Und dabei schwang in seiner Stimme ein leiser Tadel mit. Kerstin errötete. »Nun ja… ich dachte, weil ich doch keine Probleme mit der Spirale hatte…« Sie stockte. Der forschende Blick des Arztes brachte sie völlig durcheinander. »Und jetzt sind Sie nur gekommen, um sich eine neue Spirale einsetzen zu lassen, oder irre ich mich da?« fragte Dr. Daniel. Wieder errötete Kerstin. Sie mochte den immer freundlichen und rücksichtsvollen Dr. Daniel sehr, aber heute hatte sie zu recht ein schlechtes Gewissen.
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Seitenzahl: 131
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Mit ein wenig gemischten Gefühlen betrat Kerstin Wenger Dr. Daniels Sprechzimmer. Sie rechnete damit, daß sie sich einige Vorwürfe würde anhören müssen, schließlich war sie vor einem Jahr zum letzten Mal hiergewesen. Dabei hatte Dr. Daniel ihr damals eingeschärft, daß sie regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen kommen sollte.
Jetzt kam ihr der Arzt mit einem freundlichen Lächeln entgegen und reichte ihr die Hand.
»Guten Tag, Frau Wenger«, begrüßte er sie. »Wir haben uns ja schon lange nicht mehr gesehen.« Und dabei schwang in seiner Stimme ein leiser Tadel mit.
Kerstin errötete. »Nun ja… ich dachte, weil ich doch keine Probleme mit der Spirale hatte…« Sie stockte. Der forschende Blick des Arztes brachte sie völlig durcheinander.
»Und jetzt sind Sie nur gekommen, um sich eine neue Spirale einsetzen zu lassen, oder irre ich mich da?« fragte Dr. Daniel.
Wieder errötete Kerstin. Sie mochte den immer freundlichen und rücksichtsvollen Dr. Daniel sehr, aber heute hatte sie zu recht ein schlechtes Gewissen. Schließlich wäre sie noch immer nicht in die Praxis gekommen, wenn dieses seltsame Ziehen nicht gewesen wäre.
»Es ist… ich… ich weiß nicht so recht, wie ich es beschreiben soll…«
Besorgt runzelte Dr. Daniel die Stirn. »Haben Sie Schmerzen?«
Kerstin schüttelte den Kopf. »Nein, Schmerzen sind es eigentlich nicht. Es zieht ein wenig im Unterleib und… na ja, jetzt habe ich ein bißchen Angst.« Sie sah Dr. Daniel an. »Glauben Sie, das kommt davon, weil ich die Kontrolluntersuchungen nicht habe machen lassen?« Ein wenig hilflos zuckte sie die Schultern. »Wissen Sie, Herr Doktor, meine Schwester hat mir gesagt, daß diese Untersuchungen schrecklich unangenehm sind, und weil ich die Spirale so gut vertragen habe, dachte ich…« Wieder zuckte sie die Achseln.
Dr. Daniel seufzte und fuhr sich mit einer Hand durch das dichte blonde Haar. »Es ist leider eine weit verbreitete Unart, die Kontrolluntersuchungen nicht durchführen zu lassen, weil sie ein bißchen unangenehm sind. Und ob Ihre Beschwerden mit dieser Nachlässigkeit zusammenhängen, kann ich so natürlich nicht sagen.« Er stand auf. »Gehen wir mal nach nebenan ins Untersuchungszimmer.«
Kerstin folgte dem Arzt, dann trat sie in eine durch einen Vorhang abgetrennte Umkleidekabine und machte sich frei. Obwohl sie normalerweise nicht besonders prüde war, hatte sie die Untersuchungen beim Frauenarzt nicht allzu gern. Dazu kam, daß Dr. Daniel trotz seiner fünfzig Jahre noch ein ausgesprochen attraktiver Mann war. Sie atmete tief durch, dann ging sie hinaus und kletterte ein wenig mühsam auf den Untersuchungsstuhl. Und plötzlich hatte sie schreckliche Angst vor dem, was sie bald erfahren würde. Wenn ihr nun etwas Ernstliches fehlte – und das vielleicht nur, weil sie zu feige gewesen war, um die Kontrolluntersuchungen durchführen zu lassen.«
»Ich werde zuerst einen Abstrich nehmen«, erklärte Dr. Daniel, während er zu ihr trat. »Diese Krebsvorsorgeuntersuchung hätte ebenfalls schon vor einem halben Jahr durchgeführt werden müssen.«
Kerstin schluckte. »Ich weiß, Herr Doktor.« Sie schwieg kurz, dann sprach sie ihre Ängste doch aus. »Glauben Sie, daß das… sehr schlimm ist… ich meine… könnte es sein, daß ich… Krebs habe?«
Dr. Daniel lächelte sie an. »Das wollen wir ja nicht hoffen. Und was Ihre Beschwerden betrifft – die können eine Menge Ursachen haben.«
Dr. Daniel legte das Glasplättchen mit dem Abstrich unter das Mikroskop, dann runzelte er besorgt die Stirn. Die deutlich sichtbaren Veränderungen gefielen ihm überhaupt nicht. Kerstin spürte sein Zögern.
»Ist etwas nicht in Ordnung, Herr Doktor?« fragte sie leise.
»Möglicherweise«, antwortete Dr. Daniel ehrlich, dann trat er wieder zu ihr. »Ich werde jetzt die Spirale entfernen, und vielleicht setzen wir im Moment besser keine neue ein. Wir sollten erst sichergehen, was genau die Ursache für Ihre Beschwerden ist.«
Kerstin konnte nur nicken. Die Angst schnürte ihr förmlich die Kehle zu. Und obwohl Dr. Daniel sehr vorsichtig war, zuckte Kerstin zusammen, als er die Spirale entfernte.
»Hat das weh getan?« wollte Dr. Daniel wissen.
»Ein bißchen«, gab Kerstin zu, und auch das war etwas, was dem Arzt ganz und gar nicht gefiel.
»Es kann sein, daß ich Ihnen noch mal weh tun muß«, erklärte er, »aber ich muß Sie gründlich untersuchen.«
Wieder zuckte Kerstin zusammen.
»Schon vorbei«, beruhigte Dr. Daniel sie. »Sie können sich jetzt anziehen, Frau Wenger.«
Während Kerstin die Umkleidekabine betrat, verließ Dr. Daniel das Untersuchungszimmer und klopfte an die nächste Tür, dann trat er ein.
»Darf ich dich einen Augenblick stören, Kurt?« fragte er seinen Kollegen, mit dem er einst studiert hatte und in dessen Praxis er seit mittlerweile fünf Jahren mitarbeitete.
Dr. Kurt Gebhardt stand auf. »Natürlich, Robert. Was gibt’s denn?«
»Ich habe einen Abstrich unter dem Mikroskop und möchte, daß du ihn dir mal anschaust«, erklärte Dr. Daniel.
Sein Studienfreund folgte ihm und blickte wenig später durch das Mikroskop.
»Das sieht nicht gut aus«, urteilte auch er, dann sah er auf. »Es kann eine Entzündung sein, aber…« Er stockte, und Dr. Daniel wußte, sofort, was er dachte. Es konnte nämlich auch Krebs sein.
In diesem Augenblick kam Kerstin aus der Umkleidekabine. Sie hatte zwar gehört, daß Dr. Daniel sich mit jemandem beraten hatte, doch die Worte hatte sie nicht verstehen können. Allerdings machte sie gerade das unsicher. Jetzt blickte sie von einem zum anderen und wagte es nicht, auch nur eine Frage zu stellen.
»Bitte, Frau Wenger, nehmen Sie Platz«, bot Dr. Daniel ihr an, dann setzte auch er sich, während Dr. Gebhardt abwartend stehenblieb.
Dr. Daniel richtete den Blick seiner gütigen blauen Augen auf Kerstin, dann erklärte er so vorsichtig wie möglich: »Der Abstrich, den ich im Rahmen einer Krebsvorsorgeuntersuchung genommen habe, weist einige Veränderungen auf.« Er hob beschwichtigend eine Hand, als Kerstin entsetzt die Augen aufriß. »Bitte, Frau Wenger, erschrecken Sie nicht. Diese Veränderungen müssen nicht zwangsläufig Krebs bedeuten. Es kann sich auch um eine Entzündung handeln. Das kommt gerade bei Frauen, die eine Spirale tragen, nicht gerade selten vor. Aber ich muß sichergehen und den Abstrich einschicken.«
In Kerstins Kopf herrschte nach diesen Worten ein einziger Aufruhr. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Impulsiv griff Dr. Daniel nach ihrer Hand und drückte sie sanft.
»Machen Sie sich keine allzu großen Sorgen, Frau Wenger«, bat er. »Ich weiß schon, das ist leichter gesagt als getan, aber…« Er stockte kurz, dann setzte er hinzu: »Kommen Sie in einer Woche wieder zu mir…, das heißt…« Er wechselte einen raschen Blick mit Dr. Gebhardt, dann sah er Kerstin an. »Ich kehre am Wochenende nach Steinhausen zurück.«
Diese Eröffnung ließ Kerstin für einen Moment ihre Angst und Sorge vergessen. Sie brachte sogar ein Lächeln zustande.
»Sie eröffnen Ihre Praxis wieder?« fragte sie und nachdem Dr. Daniel das bejaht hatte, fügte sie hinzu: »Das ist aber schön.«
»Ich gehe also davon aus, daß Sie meinem Kollegen treu bleiben werden«, mischte sich Dr. Gebhardt jetzt ein.
Kerstin nickte. »Natürlich, Herr Doktor. Ich bin ja auch aus Steinhausen.«
Dr. Gebhardt lächelte seinen Studienkollegen an. »Zu deinen treuen Patienten kann man dir nur gratulieren, Robert.«
Er zögerte einen Moment. »Ich glaube, hier werde ich nicht mehr gebraucht.« Mit einem herzlichen Lächeln verabschiedete er sich von Kerstin, dann verließ er das Zimmer.
Dr. Daniel und seine Patientin waren wieder allein, und in diesem Augenblick kehrten bei Kerstin Angst und Sorge zurück. Dr. Daniel spürte, was in ihr vorging und ergriff wieder wie tröstend ihre Hand.
»Also, Frau Wenger, ich werde den Abstrich einschicken und mir das Ergebnis gleich nach Steinhausen kommen lassen«, erklärte er. »Sobald ich es vorliegen habe, rufe ich Sie an, einverstanden?«
Kerstin nickte. »Wird es… sehr lange dauern?«
»Nein, Frau Wenger. Ich glaube nicht. Ich bin sicher, daß ich Ihnen bereits Anfang nächster Woche Bescheid geben kann.«
Kerstin kämpfte mit sich, dann stellte sie die Frage, die ihr im. Herzen brannte, doch: »Und wenn es nun… Krebs ist?«
»Daran sollten Sie gar nicht denken«, meinte Dr. Daniel. »Außerdem hat die Krebsforschung in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. Krebs muß heute kein Todesurteil mehr sein.«
Kerstin nickte zwar, doch die Angst saß ihr dabei wie ein großer Mühlstein im Herzen.
Leise schloß Darinka Stöber die Haustür auf, dann sah sie sich nahezu ängstlich um, doch es schien niemand hier zu sein. Wie eine Verbrecherin schlich sie in ihr kleines Zimmerchen unter dem Dach und ließ sich dann aufatmend auf ihr Bett fallen. Sie war froh, daß sie ihren Großeltern nicht hatte begegnen müssen.
Mit beiden Händen massierte sie ihren Bauch, doch die krampfartigen Schmerzen wollten einfach nicht nachlassen. Wie denn auch? Die Krankheit würde sie langsam auffressen. Darinka wußte nicht, welche Krankheit es war, aber sie kannte die Heimtücke, mit der sie arbeitete. Etliche Wochen lang fühlte sich Darinka völlig gesund – so wie alle anderen Mädchen ihres Alters. Aber dann schlug diese schreckliche Krankheit wieder erbarmungslos zu – mit Schmerzen und Blut… mit entsetzlich viel Blut. Und Darinka wagte es nicht, zu einem Arzt zu gehen. Sie wartete darauf, daß sie irgendwann sterben würde… wie ihre Eltern einst ebenso gestorben waren.
Vati und Mutti hatten auch so schrecklich geblutet. Das war das einzige, woran Darinka sich noch erinnern konnte. Sie war sehr klein gewesen, als der Unfall geschehen war. Aber sie erinnerte sich noch an das viele Blut. Und nun ging es ihr genauso. Nur, daß sie keinen Unfall gehabt hatte. Oder kam die Krankheit vielleicht von ihrem Sturz vom Barren?
Das war schon ein paar Monate her. Sie hatten im Turnunterricht am Barren gearbeitet, und plötzlich war Darinka gestürzt. Es war so schnell gegangen, daß niemand mehr hatte helfend zugreifen können. Ja, und kurz danach waren dann die Schmerzen gekommen. Und auch das Blut. Es mußte mit diesem Sturz zusammenhängen.
»Darinka, du bist ja schon zu Hause.«
Die Stimme ihrer Großmutter riß sie aus ihren Gedanken. Erschrocken fuhr sie hoch und errötete, als hätte sie etwas Verbotenes getan, doch ihre Großmutter bemerkte es nicht.
»Komm, Kindchen, ich habe dir Milchreis mit Früchten gemacht«, fuhr sie fort. »Den magst du doch so gern.«
»Ja, Oma«, stimmte Darinka artig zu, dabei verspürte sie nicht den geringsten Appetit.
Aufmerksam sah Martha Stöber ihre Enkelin an.
»Was ist denn los, Kleines?« wollte sie wissen. »Du siehst so blaß aus. Fühlst du dich nicht wohl?«
Darinka erschrak erneut. Konnte man ihr die Krankheit jetzt schon ansehen? Sekundenlang war sie versucht, ihrer Großmutter alles zu erzählen, verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder. Wie sollte sie ihrer Großmutter erklären, wo das viele Blut herkam. Und vor allen Dingen – Oma war alt, und der Arzt sagte immer wieder, sie müsse sich schonen, ihr Herz wäre nicht mehr das gesündeste. Nein, sie durfte Oma auf keinen Fall aufregen.
»Mit mir ist alles in Ordnung«, zwang sich Darinka zu sagen. »Wir hatten in der Schule ziemlichen Streß, weißt du.«
Martha Stöber nickte. Sie wußte schon, was von den armen Kindern heutzutage verlangt wurde.
»Also, dann komm zum Essen, Darinka«, meinte sie.
Mit Mühe unterdrückte das Mädchen einen Seufzer, bevor es der Großmutter nach unten folgte. Die Bauchschmerzen waren so schlimm, daß sie am liebsten geweint hätte, und nur mit Mühe zwang sie sich zu einer Miniportion Milchreis, was Martha Stöber erneut stutzig machte.
»Mit dir stimmt doch etwas nicht«, behauptete sie. »Milchreis gehört zu deinen Lieblingsspeisen.« Fürsorglich legte sie einen Arm um Darinkas Schultern. »Sag doch, Mädelchen, hast du Sorgen?«
Darinka schüttelte den Kopf. »Es ist wirklich nichts, Oma. Ich bin nur ein bißchen müde.«
»Dann leg dich ins Bett«, riet Martha. »Und wenn du dich morgen nicht besser fühlst, wirst du zu Dr. Gärtner gehen.«
Darinka verzog das Gesicht. Sie mochte den alten Arzt nicht so besonders. Irgendwie hatte sie immer das Gefühl, als würde er gar nicht zuhören, was man ihm erzählte. Und außerdem hatte sie kein großes Vertrauen zu ihm. Er wäre mit Sicherheit der Letzte, dem sie von ihrer Krankheit erzählen würde.
»Ich bin ganz bestimmt nicht krank«, versicherte sie ihrer Großmutter aus diesen Gedanken heraus, dann stand sie auf. »Ich werde mich ein bißchen ausruhen, Oma.«
Langsam verließ sie die große Wohnküche und kehrte in ihr Zimmer zurück. Als sie bald darauf im Bett lag und an die Decke starrte, fragte sie sich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis sie sterben würde.
*
»Was ist los, Robert? Willst du heute Überstunden machen?«
Dr. Daniel sah von dem Krankenblatt auf, in dem er noch gelesen hatte und genau in Dr. Gebhards Augen. Mit einem tiefen Seufzer lehnte er sich zurück.
»Ach, weißt du, Kurt, hier in der Praxis, bei meiner Arbeit, da kann ich so schön vergessen«, meinte er. »Und nach Hause zieht es mich überhaupt nicht.«
Die Worte weckten wieder Mitleid in Dr. Gebhardt. Schon damals – vor fast genau vor fünf Jahren – hatte er sich gefragt, weshalb ein so guter Mensch wie Robert Daniel so hart bestraft wurde. Völlig verzweifelt war er nach München gekommen und hatte seinen einstigen Studienfreund angefleht, ihn aufzunehmen.
»Seit Karina ausgezogen ist, ist es in meiner Wohnung wie ausgestorben«, fuhr Dr. Daniel fort und riß den Freund damit aus seinen Gedanken.
Dr. Gebhardt zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. »Ich weiß, wie es jetzt in dir aussehen muß«, meinte er, und Dr. Daniel spürte, daß seine Anteilnahme echt war. »Als meine Tochter damals zu ihrem Freund gezogen ist, ging es mir ähnlich. Ich habe sie ganz schrecklich vermißt, und so gar heute gehe ich noch ab und zu in ihr Zimmer und denke an die Zeit, als sie noch mein kleines Mädchen war.« Er zwang sich zu einem Grinsen. »Verrückt, was?«
»Ja, vielleicht…« Dr. Daniel senkte den Kopf. »Nach Christines Tod waren meine Kinder mein einziger Halt. Es war schon schlimm für mich, als Stefan diese kleine Wohnung in Schwabing gefunden hat und ausgezogen ist, aber jetzt… jetzt bin ich ganz allein.« Er schwieg kurz. »Sicher, Karina ruft fast jeden Abend an, und an den Wochenenden besucht sie mich. Manchmal kommt auch Stefan mit, aber… diese verdammte Einsamkeit bringt mich irgendwann um.« Die letzten Worte hatte er nur noch geflüstert.
»Möchtest du mit zu mir kommen?« fragte Dr. Gebhardt spontan, doch Dr. Daniel schüttelte nur den Kopf.
»Danke, Kurt, aber du hast eine Frau zu Hause, und ihr habt euch einen ruhigen Feierabend redlich verdient«, entgegnete er. »Ich werde noch ein bißchen arbeiten und dann nach Hause gehen.«
»Na dann…« Dr. Gebhardt stand auf und ging zur Tür, doch dort drehte er sich noch einmal um. »Glaubst du, es ist wirklich richtig, jetzt schon nach Steinhausen zurückzukehren?«
»Jetzt schon?« wiederholte Dr. Daniel. »Meine Güte, Kurt, ich habe meine Praxis fünf Jahre lang geschlossen gehalten. Es ist höchste Zeit, daß ich nach Steinhausen zurückgehe.«
Bedächtig wiegte Dr. Gebhardt seinen Kopf hin und her. »Ich weiß nicht, Robert… du hast Christines Tod längst noch nicht verwunden, und…«
»Und ich werde es nie verwinden können, daß sie mich so früh verlassen mußte«, vollendete Dr. Daniel niedergeschlagen. »Christine wird immer ein Teil von mir sein, und ich muß lernen, damit zu leben – auch in Steinhausen.«
*
Bis kurz vor Mitternacht blieb Dr. Daniel noch in der Praxis, dann machte er sich schweren Herzens auf den Heimweg, Tagsüber, im Gespräch mit seinen Patientinnen und auch in der Sorge um sie, konnte er sein privates Schicksal zurückdrängen, doch abends, da überfiel ihn die Einsamkeit wie ein drohendes Gespenst.
Mit einem tiefen Seufzer blickte er die Fassade des riesigen Mietshauses empor, in dem er nun schon seit fünf Jahren wohnte. Im Vergleich zu seiner Villa in Steinhausen war es ein winziges Appartement, trotzdem hatte er sich eine Weile sogar ein bißchen wohl gefühlt. Die Erinnerung an seine geliebte Frau, die er viel zu früh hatte hergeben müssen, war hier nicht so erdrückend gewesen.