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Es handelt sich hier um die Lebensgeschichte einer heute sechzigjährigen Frau. Schon als Kleinkind geschlagen, abgewertet, ausgegrenzt und Schuld an allem, ziehen sich diese Erfahrungen in Form von permanenten Retraumatisierungen wie ein roter Faden durch ihr Leben. Erst mit 57 Jahren als hochfunktionale Autistin diagnostiziert, ändert sich für sie gar nichts. Der Autismus führt zu weiteren Ausgrenzungen, zum Mobbing und vielerlei gesundheitlichen Schädigung. Oftmals ganz bewusst gegen sie eingesetzt.
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Seitenzahl: 91
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Rolf Horst
ASS Autismus-Spektrums-Segnung
Inklusion ist keine Einbahnstraße Carolina ist jetzt 58 und glücklich verheiratet.
Sie hat eine Katze und einen Hund und beide kommen aus dem Tierschutz. So konnte sie geschundenen Seelen ein liebevolles Zuhause geben. Und die Tiere, vor allem die Hündin, geben Ihrem Tag eine Struktur. Das war ihr besonders wichtig. Sie hatte nie verstanden warum, aber jetzt hatte sie Klarheit. Sie war auf dem Autismus-Spektrum! Bis vor Kurzem hatte man ihren Grad noch als Asperger-Syndrom bezeichnet, aber aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Ausprägungen spricht man nur noch von Austismus-Spektrums-Störung. Und in diesem Zusammenhang merke man sich ein Zitat von einem/einer mir unbekannten Autor*in:
„Kennst du einen Autisten, dann kennst du einen Autisten!“
2
Rolf Horst
ASS
Autismus
Spektrums
Segnung
Inklusion ist keine
Einbahnstraße
Biografische Erzählung
Sonderausgabe ohne die
Zeichnungen des Autors
3
Über den Autor: Rolf Horst ist Jahrgang 1960 und wurde in Bremen geboren. Sein erster Roman „Klima, Krankheiten und andere Katastrophen oder Der Sommer als Jule kam“ ist im März 2023 bei tredition erschienen. Er ist verheiratet und lebt mit seiner Frau, einer Hündin und einer Katze in einer norddeutschen Kleinstadt.
© 2024 Rolf Horst
ISBN Softcover: 978-3-384-32865-6
ISBN Hardcover: 978-3-384-32866-3
ISBN E-Book: 978-3-384-32867-0
Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926
Ahrensburg, Germany.
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung
"Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926
4
Ahrensburg, Deutschland.
5
für Nicole
6
7
Inhaltsverzeichnis Vorwort
9
Kapitel
Neuanfang
13
Wege:
Therapie 1 und Rückblick
19
Rinzai-Zen
27
Therapie 2 – Sucht ist nicht heilbar 37
Therapie 3 – Weigerung und Flucht
45
Spirituelle Irrwege
49
Wohnraum-Schutzraum-Albtraum
67
Diagnosen und andere Irrtümer
99
Klarheit und Ruhe
107
Nachwort
111
Anhang
113
8
9
Vorwort
Meine Frau sagt immer: „Inklusion ist keineEinbahnstraße!“ Und sie weiß, wovon sie spricht, hat sie doch jeden Tag mit dem Unverständnis der neurotypischen Gesellschaft zu kämpfen, die immer wieder verlangt, dass alle Menschen so zu sein haben, wie es der
„Gesellschaftsmechanismus“ vorschreibt. Aber Autist*innen müssen schon ein sehr anstrengendes Masking betreiben und damit an ihre Grenzen gehen, um nur annähernd so zu erscheinen, wie es neurotypisch üblich ist.
Meine Frau wundert es immer wieder und sie sagt dazu: „Von Rollstuhlfahrer*innen verlangt ihr doch auch nicht, dass sie aufstehen und gehen sollen, nur weil ihr das so macht.
Warum muss ich mich als Autistin verhalten, als sei ich neurotypisch? Ich brauche meine Stille, meine Struktur, meine Schlichtheit, dann fühle ich mich wohl. Ich brauche keinen Small-Talk, keine Leuchtreklamen, keine lauten Geräusche oder hektische Menschen um mich herum. Das macht mich krank! Ich brauche Projekte, in denen ich mit meinem Wissen und meinen Fähigkeiten gefordert werde. Dann kann ich auch mit anderen Menschen zusammenarbeiten. Egal ob auf 10
dem Acker, im Chor, in der Gastronomie-Küche oder beim Essen austeilen in einer sozialen Einrichtung: Solange man mich in Ruhe lässt, mir keine Gespräche aufzwingt und damit klarkommt, dass ich nach getaner Arbeit einfach nach Hause gehe, ist alles in Ordnung. Ich mag diese gezwungene gesellschaftliche Nähe nicht, wo die Menschen dann nach getaner Arbeit oder gemeinsamen Hobby unbedingt anschließend noch in die Kneipe müssen, um etwas zusammen zu trinken.“
Es gibt Autismus-Therapie-Zentren, in denen Kindern und Jugendlichen geholfen wird, mit der Umwelt klarzukommen. Warum gibt es eigentlich keine Neurotypischen-Therapie-Zentren? Hier könnte man der Gesellschaft beibringen, wie sie mit anders begabten Menschen umgehen muss. Dazu gehört natürlich als Erstes einmal, dass man diese Menschen fragt, was sie brauchen und wie man ihnen begegnen soll und muss, damit sie sich wohlfühlen.
Ich bin Autistin und ich bin es gerne! Also nehmt mich so, wie ich bin, ich will gar nicht anders sein. Für mich ist die Diagnose Autismus keine Krankheit, sondern die 11
Erlösung. Ich habe keine Austismus-Spektrums-Störung, sondern eine Autismus-Spektrums-Segnung.
Mittlerweile ist Autismus in aller Munde, aber er ist so vielfältig wie die Natur und wir Menschen es sind. Es gibt nicht „den Autisten“
oder „die Autistin“, zu unterschiedlich sind die, wie wir neurotypischen Menschen es nennen,
„Krankheitsbilder“
oder
„Entwicklungsstörungen“. Es wird viel darüber geschrieben, gebloggt, geredet, und Unmengen an Videos von Menschen mit einer ASS oder von deren Angehörigen sind im Netz zu finden. Ja, obwohl Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen sich einig sind, dass Autismus nicht heilbar ist, finden sich im Netz auch Videos von Leuten, die behaupten, sie gehören zu den „Geheilten“. Eine Diagnose zu bekommen ist sehr schwer und zeitaufwendig, vor
allem
wartezeitaufwendig.
Psychiater*innen und Kliniken mit einer Autismus-Ambulanz haben lange Listen mit Patient*innen, die auf einen Diagnosetermin warten, und diese Wartezeit beträgt mittlerweile 2 Jahre und mehr.
Dieses Buch soll kein weiterer Ratgeber sein, 12
sondern beschäftigt sich mit der Autistin Carolina als Romanfigur. Der Weg vom Kleinkind bis hin zur diagnostizierten Asperger-Autistin – diese Bezeichnung ist alt
– ist von Umwegen und Irrwegen gekennzeichnet. Es ist eine lange Strecke bis zu der Erkenntnis: Ich bin nicht falsch – ich bin, so wie ich bin, genau richtig!
All die Jahre wurde von Caro immer wieder verlangt, sich neurotypisch zu verhalten.
Niemand hat sich die Mühe gemacht, einmal genau hinzuschauen und zu hinterfragen, was sie braucht. Immer wird gesagt: „Du übertreibst“, „Stell Dich nicht so an“. Egal wo, egal wer, Carolina soll sich anpassen und so verhalten, wie es der „normalen“ Gesellschaft angemessen ist. Aber warum lässt man die Autisten nicht so, wie sie sind und bestärkt sie in ihren Fähigkeiten?
Ähnlichkeiten oder Übereinstimmungen mitlebenden oder bereits verstorbenenPersonen wären rein zufällig und nichtbeabsichtigt.
13
14
Neuanfang
1987. Da war es wieder, dieses Engegefühl um den Brustkorb, so eng, dass ihr die Luft zum Atmen fehlte. Auch dieser Kloß im Hals, der ihr das Sprechen unmöglich machte, und dieses Bleigefühl in den Armen. Sie konnte ihre Hand nicht heben, um sich zu melden und eine Antwort zu geben. Hatte sie gerade daran gedacht, etwas zu sagen? In diesem Raum vollgestopft mit fremden Menschen?
Unmöglich!
„Carolina?“
Noch nie hatte sie in einem der Schulzweige von sich aus den Mund aufgemacht. Was stand in den Zeugnissen der Grundschule: „Sie ist zu still!“ oder „Sie beteiligt sich nicht oder zu wenig am Unterricht!“
„Caro?“
Oder später auf dem Gymnasium. Sie, als Tochter eines Kneipenwirtes, der zudem selbst sein bester Kunde war, zwischen all den Reichen und Schönen. Nein, sie meldete sich grundsätzlich nicht, denn die, war es wirklich 15
Angst?, saß ihr im Nacken. Und lächerlich machen wollte sie sich nicht, dafür sorgten schon Andere - auch Lehrer! Und schon trat dieses Bild wieder vor ihr geistiges Auge: „Du hast aber schöne Zähne!“, sagte der Lehrer, der sowohl
Sozialpädagoge
als
auch
stellvertretender Schuldirektor war, zu ihr und sie wollte gerade zu einem Lächeln ansetzen.
„Gibt es die auch in Weiß?“ Das Lächeln gefror zu einer Grimasse und sie wäre am liebsten im Erdboden versunken. Für diesen Satz hasste sie ihn und noch Jahre später wünschte sie ihm dafür die „Pest an den Hals“.
„Carolina? Du siehst so nachdenklich aus, als hättest Du zu unserem Thema etwas Wichtiges zu sagen.“
Sie blickte auf und sah in das Gesicht ihres Dozenten. Mit einem Mal fiel ihr ein, dass sie im Abendgymnasium der Erwachsenenschule war, und JA, sie hatte etwas zu sagen.
Der Lehrer und ihre Kommiliton*innen blickten sie erstaunt an. Carolina war ein halbes Jahr nach Schulstart in die Klasse gekommen und hatte sich bislang nie beteiligt.
Aber jetzt hörte sie gar nicht wieder auf, und was sie sagte, das hatte Hand und Fuß! Der 16
Dozent war mit sich selbst zufrieden, denn er hatte einmal mehr den richtigen Riecher gehabt. Man musste sie vorsichtig auffordern, dann ging es wie von selbst. Von diesem Moment an hielt er im Unterricht, soweit es ging, Augenkontakt zu Carolina. Immer wenn er merkte, dass sie sich beteiligen wollte, aber irgendwie blockiert war, dann ermunterte er sie mit einem Blick oder forderte sie direkt auf. Außerdem informierte er seine Kolleg*innen, so dass Carolina von allen Seiten Unterstützung bekam.
Als es dann später in die mündlichen Prüfungen ging, passierte etwas, womit sie nie und nimmer gerechnet hatte. Im Vorfeld hatte sie die Dozenten gefragt, ob es möglich wäre, dass der Direktor während der Prüfung nicht anwesend wäre. Das war so nicht üblich. Als Carolina das Zimmer betrat, saß dort auch der Direktor des Abendgymnasiums. Er schaute Caro an, lächelte, stand auf und verließ den Raum. Zur Prüfung ließ er sie mit den drei Dozenten – von denen sich zwei diese Stelle teilten – allein.
Der Stein, der ihr hier vom Herzen fiel, hätte ein weltweites Beben auslösen können.
Carolina und eine weitere junge Frau 17
bestanden als Jahrgangsbeste mit 1,1 das Abitur. Nun gab es hier noch eine Besonderheit:
Aufgrund
erschwerter
Bedingungen – gegenüber einem regulären Abitur – erhielten die Prüflinge einen Bonus von 0,5 Punkten! So ergab sich rechnerisch ein NC von 0,6. Jetzt könnte sie jeden Studiengang auf jeder Universität besuchen.
Caro wollte aber gar nicht weg aus der Stadt.
Hier hatte sie ihre Nebenjobs, ihre Wohnung und ihre Gewohnheiten. Also schrieb sie sich in der hiesigen Uni ein. Germanistik, Französisch und Sport auf Lehramt, das schien ihr genau das Richtige zu sein. Wie enttäuscht war sie, als sie zum ersten Mal in einem dieser miefigen Hörsäle mit unerträglichem Geräuschpegel saß. Umgeben von schwafelnden
Möchtegern-Professor-sein-
Student*innen und vorne am Pult ein lustloser Professor, der es längst aufgegeben hatte, auf die Interesse heuchelnden Menschenmassen einzugehen. Carolina erlebte es immer wieder, dass ihr Professor nicht zu der vereinbarten Gesprächszeit anwesend war. Wahrscheinlich wusste er nicht einmal ihren Namen, geschweige denn, dass sie überhaupt einen Termin hatten.
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Die nächste Enttäuschung war der Sportunterricht! Es ging um Kanufahren und alle sollten sich ein Kanu aussuchen. Mit einem Mal ging es zu wie in einer Schlacht.
Da wurden Student*innen aus Booten, die sie bereits besetzt hatten, ins Wasser geworfen, nur damit man selbst hineinkam. Carolina brachte sich in Sicherheit und schaute aus einiger Entfernung zu – wollte sie sich so etwas wirklich antun?
Wieder einmal kam sie sich vor wie ein Marsmännchen, von allen unverstanden und nicht in deren Umgebung gewollt.
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Wege
Therapie 1 und Rückblick
Carolina hatte sich etwa zu dieser Zeit auf der Uni nach einer Psychotherapeutin umgesehen.
Sie brauchte dringend Unterstützung und Stärkung. Allerdings handelte es sich bei dieser Frau nicht um eine „studierte oder ausgebildete“ Therapeutin, die von der Krankenkasse bezahlt wird. Nein, Caro musste Crissy selber bezahlen, und das war gut so, auch wenn es bedeutete, dass sie sich noch weiter einschränken musste. Niemand konnte ihr die Anzahl der Stunden vorschreiben, niemand konnte die Entwicklung überprüfen.
Hier war alles auf persönliches Vertrauen aufgebaut. Doch es war die richtige Entscheidung. Sie hatte eine unglaubliche Intuition und war so ganz anders als Carolina: Laut, extrovertiert. Ein rothaariges Energiebündel. Aber hochsensibel. Caro hat es bis heute nicht bereut, sich für eine Zusammenarbeit entschieden zu haben. Und Crissy hatte es in sich! Sie wusste immer, was gerade bei ihren „Patient*innen“ ablief, konnte 22
die Dinge benennen und machte mit Caro erst einmal ausführliches Focussing.