Auf Malta entschied sich ihr Schicksal - Anne Alexander - E-Book

Auf Malta entschied sich ihr Schicksal E-Book

Anne Alexander

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Volker Hauff hatte noch den Wortlaut des anonymen Briefes im Kopf, den er an diesem Morgen, nach der Rückkehr von einer mehrwöchigen Reise, unter seiner Post gefunden hatte. Leise sprach er ihn vor sich hin, während er seinen Wagen durch den Stuttgarter Fasanenhof lenkte: »An Ihrer Stelle würde ich mich mehr um meine Tochter kümmern! Adina geht es schlecht bei Frau Kleingärtner. Sie sperrt das Kind ein, so daß man es kaum im Garten sieht, aber weinen hört man es oft.« Volker hoffte, daß es sich bei diesem Brief nur um eine Verleumdung handle. Schließlich hatte ihm seine Schwägerin gleich nach Elkes Tod das Angebot gemacht, Adina bei sich aufzunehmen. Wieso sollte Anita die Kleine nun plötzlich schlecht behandeln? Das wollte ihm nicht in den Kopf. Volker dachte an seine Frau, die vor knapp einem halben Jahr bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Ein betrunkener Autofahrer hatte eine Ampel in der Stuttgarter Innenstadt nicht beachtet und war bei Rot über die Kreuzung gefahren. Er hatte Elke mit dem Kotflügel seines Wagens erfaßt und beiseite geschleudert. Für Elke war jede Hilfe zu spät gekommen. Noch vor Eintreffen des Krankenwagens war sie gestorben. Volker bog jetzt in die Nelkenstraße ein. Rechts und links der Straße standen hübsche Reihenhäuser mit gepflegten Vorgärten. Kinder spielten auf den Treppenstufen und auf dem Rasen. Die meisten von ihnen waren in Adinas Alter, doch seine kleine Tochter war nicht unter ihnen. Volker hielt vor dem Eckhaus, das Anita Kleingärtner, der Schwester seiner verstorbenen Frau, gehörte. Er kam unverhofft, denn sie erwartete ihn erst Anfang der nächsten Woche von seiner Reise zurück. Gewöhnlich rief er an, wenn er vorhatte, Adina zu besuchen, aber diesmal hatte er das nicht getan.

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Leseprobe: Gefühle preiswert abzugeben

Sehr verehrte Leserin, sehr geehrter Leser! Stellen Sie sich vor: Ihnen begegnet sie, die Liebe auf den ersten Blick. Da haben Sie den Salat! Ohne Ankündigung betreten Sie sein oder ihr Haus. Sie merken – hoppla! Da wohnt ja noch jemand? Eine Frau? Ist der Herr gebunden? Und wenn ja: Warum hat er nichts gesagt? Warum gibt er vor, auch in Sie verliebt zu sein? Dabei denke ich, dass er doch wirklich einen guten Eindruck gemacht hat, der Kilian, oder? Seriös, wenigstens. Was ist da los?

Haben Sie auch schon mal davon geträumt – was wäre, wenn … ja, wenn ausgerechnet Sie den Jackpot abräumten? 7,5 Millionen! Was könnte man damit alles machen? Also, ich hätte da die eine oder andere Idee, das können Sie glauben! Was ich überraschend finde, ist, dass Ludwig nur den geringsten Teil der Kohle für sich ausgeben will. Er verteilt ja schon kräftig. Aber wer weiß? Vielleicht macht ihn das glücklicher, als sich selbst ›mein Haus, mein Boot, mein Pferd‹ zu leisten. Ich könnte mir vorstellen, dass Geld so vielleicht doch glücklich machen kann. Du kannst nichts mitnehmen, sagte meine Oma immer. Und ›Das letzte Hemd hat keine Taschen‹. Recht hatte sie.

Am wichtigsten ist allerdings die Frage: Was ist den nun mit unserem Chefarzt? Ist er inzwischen doch wieder gesund geworden? Oder muss er den Beruf an den Nagel hängen? Haben Sie nachgesehen? Steht irgendwas von ›letzte Folge› auf dem Einband? Nicht? Aha! Dann ist es wohl wie bei Ihnen und bei mir. Wie im wahren Leben, eben. Es geht immer irgendwie weiter. Wie meinen Sie? Ja, Sie haben recht. Auch ein Spruch meiner Oma!

So, wo sind wir gerade? Ein schönes Haus, bayrischer Stil. Wir befinden uns mit Frau Fürstenrieder und Herrn Kreuzeder auf dem Flur im Eingangsbereich. Erinnern wir uns: Oben ging gerade das Licht an, und eine Frauenstimme rief nach Kilian …

Enttäuschungen

Der Blick, den Frau Fürstenrieder Kilian zuwarf, kombinierte Entsetzen und Enttäuschung. Sie verharrte in Erstarrung wie weiland Lots Weib, als könnte Sie durch völlige Bewegungslosigkeit die Katastrophe, den Untergang ihrer Träume und Hoffnungen, verhindern.

Wortlos öffnete Kilian eine Tür und griff hinein, um den Lichtschalter zu drücken.

Sophienlust – 297 –

Auf Malta entschied sich ihr Schicksal

Die kleine Adina freut sich auf ihr neues Zuhause

Anne Alexander

Volker Hauff hatte noch den Wortlaut des anonymen Briefes im Kopf, den er an diesem Morgen, nach der Rückkehr von einer mehrwöchigen Reise, unter seiner Post gefunden hatte. Leise sprach er ihn vor sich hin, während er seinen Wagen durch den Stuttgarter Fasanenhof lenkte: »An Ihrer Stelle würde ich mich mehr um meine Tochter kümmern! Adina geht es schlecht bei Frau Kleingärtner. Sie sperrt das Kind ein, so daß man es kaum im Garten sieht, aber weinen hört man es oft.«

Volker hoffte, daß es sich bei diesem Brief nur um eine Verleumdung handle. Schließlich hatte ihm seine Schwägerin gleich nach Elkes Tod das Angebot gemacht, Adina bei sich aufzunehmen. Wieso sollte Anita die Kleine nun plötzlich schlecht behandeln? Das wollte ihm nicht in den Kopf.

Volker dachte an seine Frau, die vor knapp einem halben Jahr bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Ein betrunkener Autofahrer hatte eine Ampel in der Stuttgarter Innenstadt nicht beachtet und war bei Rot über die Kreuzung gefahren. Er hatte Elke mit dem Kotflügel seines Wagens erfaßt und beiseite geschleudert. Für Elke war jede Hilfe zu spät gekommen. Noch vor Eintreffen des Krankenwagens war sie gestorben.

Volker bog jetzt in die Nelkenstraße ein. Rechts und links der Straße standen hübsche Reihenhäuser mit gepflegten Vorgärten. Kinder spielten auf den Treppenstufen und auf dem Rasen. Die meisten von ihnen waren in Adinas Alter, doch seine kleine Tochter war nicht unter ihnen.

Volker hielt vor dem Eckhaus, das Anita Kleingärtner, der Schwester seiner verstorbenen Frau, gehörte. Er kam unverhofft, denn sie erwartete ihn erst Anfang der nächsten Woche von seiner Reise zurück. Gewöhnlich rief er an, wenn er vorhatte, Adina zu besuchen, aber diesmal hatte er das nicht getan. Er wollte wissen, was hinter dem anonymen Brief steckte.

Mit wenigen Schritten hatte Volker den Vorgarten durchquert. Auf dem mit Kies bestreuten Weg ging er um das Haus herum. Er hoffte, Adina auf dem Spielplatz zu finden, den er für sie noch vor seiner Abreise nach Sardinien angelegt hatte, aber die Kleine war weder im Sandkasten noch auf der Schaukel.

Resignierend drehte sich Volker um und ging zur Haustür. Er mußte zweimal klingeln, bevor er Schritte im Korridor hörte. Ziemlich heftig wurde die Tür aufgerissen.

»Volker!« Anita Kleingärtner starrte entgeistert auf ihren Schwager. Sie hatte damit gerechnet, wieder einen Vertreter vor der Tür zu finden, aber nicht Volker. »Was tust du denn hier?« fragte sie nicht eben freundlich. Dann zwang sie sich zu einem Lächeln. »Ich habe dich erst nächste Woche erwartet.«

»Ich bin eine Woche früher von meiner Reise zurückgekehrt. Es war leichter, als ich erwartet hatte, das nötige Material für mein neues Buch zu beschaffen.«

»Warum hast du nicht angerufen? Du tust es doch sonst immer«, sagte Anita. Sie strich sich die blonden Haare zurück. Nach dem Mittagessen legte sie sich immer etwas hin. Volker hatte sie aus dem Schlaf gerissen.

»Möchtest du mich nicht einlassen, Anita?« fragte Volker, als seine Schwägerin keine Anstalten machte, beiseite zu treten.

»Aber natürlich!« Anita wies in den Korridor. »Ich brühe rasch einen Kaffee für dich auf. Kuchen vom Sonntag hast du auch noch. Du ißt doch Apfelstrudel?«

»Danke!« Volker ging an ihr vorbei in das peinlich aufgeräumte Wohnzimmer. Nirgends lagen Bauklötze oder andere Spielsachen herum. Bei seinen früheren Besuchen hatte auf der Couch gewöhnlich Adinas Schlenkerpuppe gesessen. »Wo ist Adina?« fragte er. »Ich höre gar nichts von ihr.«

»Sie schläft noch«, erwiderte Anita schnell. »Ich war heute morgen einkaufen. Dadurch haben wir erst gegen zwei Uhr zu Mittag gegessen. Und nach dem Essen hält Adina ihren Mittagsschlaf. Darauf bestehe ich. Kinder in ihrem Alter brauchen noch viel Schlaf.« Sie wies auf einen Sessel. »Bitte, setze dich! Ich stelle jetzt die Kaffeemaschine an, und während das Wasser durchläuft, wecke ich die Kleine.«

»Ich werde sie selber wecken, Anita!« Volker wandte sich zur Tür. »Sie fehlt mir sehr, der kleine Schatz. Es ist schon fast eine Ewigkeit her, daß ich sie zusammen mit Elke allabendlich zu Bett gebracht habe. Fragt sie oft nach mir?«

»Adina ist erst drei, Volker. So ein kleines Kind vergißt einen Menschen schnell, wenn es ihn nur alle paar Wochen sieht. Sie fragt ab und zu nach ihrem Papi, aber ich glaube, sie ist auch hier ganz glücklich. Natürlich wird sie sich freuen, dich wiederzusehen. Und bestimmt wird sie auch wieder verlangen, daß du sie mitnimmst. Aber darauf darfst du nichts geben.«

Warum sagt sie mir das alles? dachte Volker. Irgend etwas stimmte da nicht! »Also, ich werde sie wecken«, sagte er. »Adina wird Augen machen, wenn ich plötzlich vor ihrem Bett stehe.« Er freute sich darauf, ihre kleinen Arme um seinen Hals zu spüren und ihre Küßchen auf seiner Wange.

»Sie könnte erschrecken«, wandte Anita ein und stellte sich zwischen ihren Schwager und die Tür. »Bleib nur ruhig hier unten. Ich bringe Adina gleich.«

»Warum sollte sie vor mir erschrecken?«

»Du warst so lange nicht hier. Sie könnte dich im ersten Moment für einen Fremden halten, und du weißt doch, wie ängstlich sie ist.«

»In vier Wochen kann sie doch nicht vergessen haben, daß ich ihr Vater bin«, protestierte Volker. Er erkannte, Anita wollte etwas vor ihm verbergen. Er spürte ihre Angst fast körperlich. »Stell dich nicht so an, schließlich bin ich kein Kinderschreck!« Er drängte seine Schwägerin beiseite und war schon bei der Treppe, bevor Anita recht wußte, wie ihr geschah.

»Volker, warte!« Anita stürzte ihm nach. »Ich muß dir etwas erklären!«

»Bitte!« Volker stieg die Treppe empor.

»Adina ist ein sehr unruhiges Kind. Sie ist schon oft aus dem Bett gefallen. Sie…«

Volker hatte inzwischen das Kinderzimmer erreicht und öffnete leise die Tür. Er drehte sich halb zu seiner Schwägerin um und legte den Finger auf die Lippen. »Pst!« machte er. »Wir können nachher über alles reden.«

Das Kinderzimmer war ein hübscher großer Raum mit weißen Schleiflackmöbeln, einem rosa Teppichboden, den dazu passenden Vorhängen und einer Märchentapete. Volker selbst hatte das Zimmer vor einigen Monaten eingerichtet. Wenn Adina schon nicht bei ihm leben konnte, so sollte sie es wenigstens so schön wie möglich haben.

Wie im Wohnzimmer herrschte auch in diesem Raum peinliche Ordnung. Nirgends lag Spielzeug herum, alles war sauber in die Regale des offenen Spielzeugschrankes eingeräumt. Volker konnte auf dem Boden nicht einen einzigen Bauklotz entdecken.

Das Zimmer war abgedunkelt, das Kinderbett stand gegenüber der Tür. Auf Zehenspitzen huschte Volker über den Teppichboden und zog ein wenig die Vorhänge zurück. Dann trat er ans Bett. Entsetzt prallte er gleich darauf zurück.

Adina schlief. Ihr dunkelblondes, kinnlanges Haar ringelte sich auf den bunten Kissen. Sie schien noch vor kurzem geweint zu haben, denn auf ihren Wangen waren deutlich Tränenspuren zu sehen. Doch das war es nicht, was den jungen Mann so entsetzte. Ein Kind weinte schnell einmal, aber Adinas Händchen waren mit Bändern am Bettgitter festgebunden. Es war ihr unmöglich, sich auch nur herumzudrehen.

Volker drehte sich kurz zu Anita um, die in der Tür stehengeblieben war. »Ich hoffe, du läßt dir eine gute Erklärung hierfür einfallen«, sagte er empört.

»Ich sagte doch bereits, daß Adina sehr unruhig ist. Wenn sie aufwacht, will sie immer aus dem Bett klettern. Erst neulich ist sie aus dem Bett gestürzt.«

Volker hörte nicht auf ihre Worte. Behutsam band er Adinas rechtes Händchen los. Die Kleine schlug die Augen auf. Ungläubig starrte sie ihn an. »Papi?« fragte sie zaghaft.

»Ja, ich bin es, mein Liebling!« Volker strich ihr über die Wangen. »Noch einen Moment, Kleines, dann habe ich dich losgebunden. So, siehst du, jetzt bist du wieder frei!« Er schob seine Hände unter Adinas Rücken und hob sie leicht an. »Hau ruck!« scherzte er, obwohl ihm nicht zum Scherzen zumute war. Nicht einen Tag länger wollte er Adina in der Obhut ihrer Tante lassen.

Adina sah ihn an, und plötzlich schlang sie impulsiv ihre Arme um seinen Hals. »Nicht mehr weggehen, Papi, nicht mehr weggehen«, bettelte sie und vergrub ihr Gesichtchen an seiner Schulter.

»Ich nehme dich mit, Kleines. Du brauchst keine Angst mehr zu haben.« Mit seiner Tochter im Arm drehte er sich erneut zur Tür und sah, daß Anita bereits gegangen war.

»Fahren wir ganz weit fort, Papi?« fragte Adina, als er sie auf den Boden stellte. »Darf ich jetzt immer mitkommen?«

»Das wird nicht gehen, Adina«, erwiderte Volker. »Du weißt doch, daß der Papa arbeiten muß. Aber ich verspreche dir, daß ich dich nicht mehr bei Tante Anita lasse.«

Er zog der Kleinen das Nachthemd über den Kopf. Er war froh, daß sie darunter ihre Wäsche trug. So brauchte er sie nicht völlig anzukleiden. »Was möchtest du denn anziehen?« fragte er und öffnete den Kleiderschrank.

»Das da!« Adina zeigte auf ein luftiges Baumwollkleidchen. »Papi, kriegt Tante Anita jetzt von dir Haue, weil sie mich immer festbindet?« fragte sie, als er ihr das Kleid über den Kopf streifte.

»Tante Anita hat es nicht böse gemeint«, erklärte Volker gegen seine Überzeugung. »Sie hat dich festgebunden, weil sie nicht will, daß du aus dem Bett fällst.« Er kauerte sich neben Adina. »Sag einmal, Liebes, hat dich Tante Anita auch geschlagen?«

Adina schüttelte den Kopf. »Immer nur festgebunden, aber in den Garten darf ich auch nicht. Und wenn sie weggeht, schließt sie mich ein. Und schimpfen tut sie ganz toll.«

Wenigstens hat sie Adina nicht geschlagen, dachte Volker. Er nahm seine kleine Tochter auf den Arm und trug sie die Treppe hinab. Im Wohnzimmer setzte er sie in einen Sessel. »Bleib schön sitzen, Adina, bis ich wieder da bin«, sagte er.

Der Kaffeetisch war bereits gedeckt. Volker schnitt ein Stück von dem Apfelstrudel ab und drückte es seinem Töchterchen in die Hand. »Iß brav!«

Anita Kleingärtner war in ihrer tipptopp aufgeräumten Küche. Sie füllte gerade den Kaffee aus dem Glasbehälter der Maschine in eine zum Service passende Kaffeekanne. Sie drehte sich nicht um, als ihr Schwager die Tür öffnete.

»Ich will dir nicht verschweigen, warum ich so plötzlich gekommen bin«, sagte Volker mit mühsam unterdrückter Wut. Anitas scheinbare Ruhe brachte ihn zum Siedepunkt. »Jemand aus deiner Nachbarschaft hat mir geschrieben und mir mitgeteilt, daß du Adina schlecht behandelst.«

»Das ist eine bodenlose Verleumdung!« Anita fuhr herum. »Ich habe alles für das Kind getan, aber auch alles!«

»Stimmt, du hast sogar noch ein übriges getan und Adina ans Bett angebunden.«

»Nur zu ihrem eigenen Wohl. Denkst du denn, die Leute würden nicht reden, wenn Adina ständig aus dem Bett gefallen wäre und aufgeschlagene Stellen gehabt hätte?«

»Du hast Adina nicht ans Bett angebunden, weil du Angst hattest, sie würde herausfallen, sondern weil du deine Ruhe haben wolltest«, widersprach Volker ihr. »Schau dir doch deine Wohnung an! Alles wirkt wie ein Schmuckkästchen, selbst das Kinderzimmer. Und in den Garten hast du Adina auch nicht gelassen.« Ironisch fügte er hinzu: »Womöglich hätte sie den Rasen zertrampelt!«

»Ein Kind muß beizeiten lernen, Ordnung zu halten«, entgegnete Anita Kleingärtner.

»Mich wundert nur, daß es bei dir dann nicht so ganz ordentlich aussah, wenn ich nach Anruf herkam«, meinte Walter. »Pech für dich, daß ich gerade heute kommen mußte. Wer weiß, mich welchen Methoden du Adina eingeschüchtert hättest, wenn ich mich zuvor angemeldet hätte.«

»Wenn du jetzt behaupten willst, ich hätte sie mißhandelt, dann…«

»Ich weiß, daß du sie nicht geschlagen hast, aber man kann ein Kind auch auf andere Weise mißhandeln. Zum Beispiel dadurch, daß man es im Bett anbindet.«

»Weißt du, wie schwer es ist, ein dreijähriges Kind zu beaufsichtigen? Den ganzen Tag muß ich hinter Adina herlaufen. Ich bin auch nur ein Mensch.«

»Andere Frauen haben mehrere Kinder zu beaufsichtigen und kommen nicht auf den Gedanken, sie anzubinden.«

»Gehen wir erst einmal Kaffee trinken«, schlug Anita vor. »Wenn du darauf bestehst, verspreche ich dir, Adina in Zukunft nicht mehr anzubinden. Ich muß eben überlegen, wie ich sie dann daran hindern kann, aus dem Bett zu klettern.«

Volker hielt seiner Schwägerin die Tür auf. »Du brauchst dir darüber nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, Anita. Ich nehme Adina mit. Ich möchte dich daher bitten, ihre Sachen zu packen.«

»Aber Volker, ich denke, ich soll für sie sorgen?« protestierte Anita. Sie war noch gar nicht auf den Gedanken gekommen, daß ihr Schwager ihr Adina wegnehmen könnte. »Du weißt ja gar nicht, wie man ein so kleines Kind versorgt! Oder hast du etwa schon jemanden für sie gefunden? Willst du wieder heiraten?«

»Keines von beiden, aber ich nehme Adina trotzdem mit. Du kannst nicht verlangen, daß ich sie auch nur einen Tag länger in deiner Obhut lasse.«

»Das ist nun der Dank für all meine Mühe und dafür, daß ich mein eigenes Leben aufgegeben habe, um für die Tochter meiner Schwester zu sorgen.« Anita kniff die Lippen zusammen. Mit der Kaffeekanne in der Hand stand sie im Flur. »Schau dir deine Tochter noch einmal an«, sagte sie nach einigen Sekunden, »so sieht ein Kind, dem es schlechtgeht, nicht aus. Ich habe an nichts gespart. Adina hat immer genug zu essen bekommen, und bei Kleidern habe ich nie auf den Pfennig gesehen. Frag doch die Leute hier von der Straße, ob Adina nicht immer wie ein Püppchen ausgesehen hat.«

»Bei den achthundert Mark Unterhalt, die ich dir monatlich für Adina gezahlt habe, ist es nur natürlich, daß sie immer gut angezogen war und genug zu essen hatte«, erwiderte Volker. »Doch darum handelt es sich nicht. Du sagst, Adina sieht immer wie ein Püppchen aus, aber meine Tochter ist keine Puppe, sondern ein menschliches Wesen aus Fleisch und Blut. Mein Entschluß steht fest, Anita. Ich nehme Adina mit!«

»Dann tue, was du nicht lassen kannst«, antwortete Anita aufgebracht. »Glaube aber ja nicht, daß du nach einigen Tagen oder Wochen wieder ankommen kannst, um Adina bei mir abzuliefern. Spätestens heute abend wirst du deinen Entschluß bitter bereuen.«

Anita stieß die Wohnzimmertür auf. »Adina, du Ferkel, was machst du denn da?« schrie sie entsetzt auf. Mit wenigen Schritten war sie beim Tisch, stellte die Kaffeekanne ab und zog die Kleine vom Sessel. »Alles hast du voller Krümel gemacht. Sieh nur dein Kleid an! Als ob ich nicht schon genug zu waschen hätte.«

»Papi, das war gut!« Adina rieb sich das Bäuchlein. Sie strahlte, ungeachtet der scheltenden Worte ihrer Tante.

Während Adina sich eifrig bemühte, jeden einzelnen Krümel vom Sessel abzulesen, nahm Volker seine kleine Tochter auf den Arm, wobei sie ihm mit ihren klebrigen Händen ins Gesicht fuhr.

Anita Kleingärtner richtete sich auf. Ihre Miene sprach Bände. »Glaube mir, Volker, du wirst mit Adina noch dein blaues Wunder erleben«, prophezeite sie düster.

*

Wie jeden Tag stand Danielle Foncesa auch an diesem Morgen erwartungsvoll am Fenster ihres Zimmers und blickte über die niedrige Hofmauer hinaus auf die Straße. Wenn sie das von Valetta kommende Postauto sah, konnte sie es kaum noch erwarten, daß Maria ihr die für sie bestimmten Briefe brachte. Meist mußte sie sich aber sehr lange gedulden, denn bei der Postverteilung stand sie an letzter Stelle.

Zuerst kamen stets ihr Vater und ihr Cousin Jean an die Reihe. Oft verging eine halbe Stunde, bis Maria auch zu ihr kam.

Aber das wird sich gründlich ändern, dachte Danielle. Ein Lächeln glitt dabei über ihre Züge. Sie wollte endlich selbständig sein und hatte sich deshalb bei einem Reisebüro in Valetta beworben. Doch davon ahnte bisher weder ihr Vater noch Jean etwas.