Aufgeben ist keine Option! - Elfi Sinn - E-Book

Aufgeben ist keine Option! E-Book

Elfi Sinn

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Beschreibung

Aufgeben ist keine Option! Wer ändern will, findet Wege, wer das nicht will, findet Ausreden. Die Frauen in diesen sieben Geschichten gehören nicht zur zweiten Kategorie. Sie wollen ihre Probleme lösen, auch wenn sie zunächst unlösbar erscheinen und auch die ersten Versuche nicht immer erfolgreich sind. Egal, ob es um neue Jobs, ein neues Geschäft, den Mann fürs Leben oder ein prickelndes Abenteuer geht, die Frauen geben nicht auf. Und wenn zu den eigenen Anstrengungen noch etwas zauberhafte Hilfe kommt, dann gelingt vieles, sogar ein neues Leben.

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Inhaltsverzeichnis

Euch werde ich‘s zeigen!

Eine neue Chance

Ein bemerkenswertes Gedächtnis

Drachenblut

Jetzt erst recht!

Der Mann fürs Leben

Die geheimen Wünsche

Euch werde ich‘s zeigen!

„Dann behalte doch dein Geld bis du stirbst, lange kann es ja nicht mehr dauern!“

Leonore Köhler saß noch wie erstarrt, als ihre wütenden Schwiegersöhne das Büro schon längst wieder verlassen hatten. Sie fuhr sich seufzend durch ihre silbergrauen Haare und sah sich in dem Raum um, der jetzt nicht mehr ihr gehörte und ihr auch nicht mehr die gleiche Sicherheit wie früher bot.

Von Martin, dem Mann ihrer ältesten Tochter Manuela, hatte sie noch nie viel gehalten, es aber leider auch nicht verhindern können, dass er in die Familie kam. Sie seufzte wieder, denn sie war sich ihrer Schuld wohl bewusst.

Es war nie genug Zeit für die Kinder dagewesen, damals als sie gemeinsam mit ihrem Mann die kleine Firma „Küchenkräuter“ aufbaute. Und später als die Firma besser lief, wurden die beiden Mädchen zu sehr verwöhnt, denn noch immer hatte sie wenig Zeit, aber genügend Geld, um die Kinderaugen wieder leuchten zu lassen und ihr eigenes schlechtes Gewissen zu beruhigen. Sie hätte sie wirklich gründlicher auf das wahre Leben mit einem soliden Beruf vorbereiten sollen, doch beide hatten zu keiner Zeit Interesse an einer Ausbildung gezeigt, sondern erwartet, dass die Eltern auch in Zukunft für ihr verwöhntes Leben sorgten. Und die Schwiegersöhne toppten diese Ansprüche noch. Martin hatte sein BWL-Studium nicht beendet, weil es ihm zu langweilig erschien, pochte aber darauf, in der Firma der Schwiegereltern einen guten Job zu bekommen. Auch Michael, der Mann ihrer jüngsten Tochter Gloria, entwickelte keinen besonderen Ehrgeiz im Studium, aber wenigstens schloss er es ab und verfügte über praktische Erfahrungen aus der Firma seiner Eltern.

Zumindest hatte Gloria das immer behauptet und Leonore drückte um des lieben Friedens willen sämtliche Augen zu, wenn ihr wieder einmal eine Fehlentscheidung der beiden zugetragen wurde und korrigierte sie dann still. Sie wusste, dass das falsch war und das hatte sich im nach hinein auch böse gerächt.

Als ein schwerer Verkehrsunfall ihren Mann plötzlich aus seinem Arbeitsleben riss, hatten die Schwiegersöhne die unerwartete Chance sofort im eigenen Interesse genutzt. Während sie Tag und Nacht am Bett ihres Mannes gesessen hatte und ihr alles andere egal war, auch was aus der Firma wurde, hatten die beiden so viel Geld wie möglich, für ihren privaten Verbrauch abgeschöpft und die Firma in Grund und Boden gewirtschaftet.

Auch das hatte sie lange Zeit nicht hören wollen. Nachdem ihr Mann verstarb, versank sie in so tiefe Trauer, dass sie niemand mehr erreichte. Immerhin hatte sie gerade das Wichtigste im Leben, ihren Halt und ihre große Liebe verloren. Sie verharrte lange in diesem Zustand, zu lange. Sie war erst wieder zu sich gekommen, als die ehemalige Betriebsrätin, eine Frau, die schon bei der Gründung der Firma dabei war, sie besuchte und Klartext mit ihr redete. „Die Firma steht kurz vor dem Konkurs und 90% der Beschäftigten sollen entlassen werden. Deine Schwiegersöhne haben behauptet, du seist einverstanden, aber Leonore, das kannst du doch nicht machen!“

Nein, das konnte sie wirklich nicht! In dem Moment war ihr so, als habe jemand den großen schwarzen Schleier über ihrem Kopf weggezogen. Jetzt kam ihr Kampfgeist wieder zum Vorschein, aber auch die Scham darüber, wie sie das, was sie und ihr Mann mit viel Liebe und Verantwortung aufgebaut hatten, so vernachlässigen konnte.

Schon am nächsten Morgen waren die beide Schwiegersöhne abgesetzt und mit einer vertretbaren Abfindung aus der Firma entfernt.

Dann hatte sie wie früher intensive Ideenkonferenzen mit den Abnehmern und auch den Beschäftigten abgehalten und eine Reihe von weitreichenden Veränderungen in Gang gesetzt, um die Firma zu retten. An die notwendige Digitalisierung der Herstellungs- und Lieferprozesse, wagte sie sich nur widerwillig. Sie konnte zwar in einem Computer alles finden, was sie suchte, wäre selbst aber niemals imstande gewesen den Einkauf und die Lieferung der Produkte auf die neuesten technischen Entwicklungen umzustellen.

Auf der Suche nach Mitarbeitern, die genau dieses Können mitbrachten, war sie in einem IT-Ausbildungsbereich auf den dunkelhaarigen Nick gestoßen, der damals gerade 9 Jahre alt war, aber mit seinen Fähigkeiten in einem Erwachsenen-Kurs alle in Staunen versetzte. Gleich als sie von seiner schwierigen Familiensituation erfuhr, hatte sie ihn unter ihre Fittiche genommen.

Und er versetzte sie dann in die Lage, von ihrer neuen IT-Abteilung auch das Äußerste zu verlangen. Sie lächelte unwillkürlich, als sie an den Jungen dachte. Nick war ein anderes Kapitel, mit ihm würde sie nachher sprechen.

Jetzt musste sie erst mal mit dieser gemeinen Androhung fertig werden. Die machte ihr doch ziemlich zu schaffen, aber sie dachte nicht daran nachzugeben. Sie hatte fast drei Jahre und viel intensive Arbeit gebraucht, um die ehemalige Gewürzmühle wieder flott zu machen. Aus der kleinen Küchenkräuterfirma war das moderne Unternehmen „Der geheime Würztipp“ entstanden, welches in der Branche seinesgleichen suchte.

Aber kaum hatte sie es erfolgreich an zwei junge Unternehmerinnen verkauft, die auch die Beschäftigten übernahmen, standen die Schwiegersöhne auf der Matte und verlangten 80% der Verkaufssumme als vorgezogenen Erbteil.

Bei so viel Unverschämtheit war ihr zunächst die Luft weggeblieben und ihr hatten die Worte gefehlt, um passend zu antworten.

Deswegen hatte sie die beiden einen Moment lang nur total verblüfft gemustert und gedacht: Sie haben sich kein bisschen verändert und gehen wieder davon aus, dass ihr bequemes Leben auf meine Kosten weitergeht. Aber irgendwann muss Schluss sein!

Deshalb hatte sie die übliche Zurückhaltung abgelegt, die Hände in die Hüften gestemmt und Klartext geredet.

„Von welchem Erbe sprecht ihr? Sehe ich aus, als wäre ich tot? Ihr solltet euch vorher besser informieren. Mein Mann und ich hatten ein Berliner Testament und danach bin ich die einzige Erbin und das ohne Ausnahme. Und mein Erbe wird erst nach meinem Tod fällig, das heißt vorher gibt es weder für euch noch für meine Töchter irgendwelche Anteile.“

Danach war dieser boshafte Satz gefallen, der ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Sicher, sie war Anfang Siebzig und würde wahrscheinlich nicht ewig leben, aber einige Jahre hätte sie gerne noch gehabt.

Eigentlich wusste sie schon ganz genau, warum ihr diese gemeine Androhung so viel zu schaffen machte. Sie hörte es doch ständig von ihrer Hausärztin, dass ihr Blutdruck gefährlich hoch sei, dass die Blutzuckerwerte an der Grenze zur Diabetes stünden und dass sie bestimmt 20 Kilo zu viel wog. Das war sicher ernst zu nehmen, aber machte sie das gleich zu einer Kandidatin für den nächsten Bestatter?

Ganz bestimmt nicht! Dann stutzte sie plötzlich. Wieso wussten diese Idioten von Schwiegersöhnen eigentlich so viel über ihren Gesundheitszustand? Ja, klar, ihre Töchter gingen zur gleichen Ärztin. Und so etwas nannte sich ärztliche Schweigepflicht!

Sie schüttelte empört den Kopf. Auf jeden Fall würde sie sich sofort einen neuen Arzt suchen, der dann auch Abhilfe für die nächsten 20 Jahre schaffen könnte. Ihre Laune besserte sich sofort, als sie daran dachte, dass ihre Schwiegersöhne auch schon Mitte Fünfzig waren. Mit etwas Einsatz und guter Medizin könnte sie die beiden sogar noch überleben.

Sie packte ihre Sachen zusammen und murmelte schon ziemlich entschlossen. „Euch Vollpfosten werde ich‘s zeigen. Das macht ihr nicht mit mir, nicht mit Leo!“

Der letzte Spruch war ihr Schlachtruf geworden, damals als sie das Ruder wieder herumreißen musste. Wer ihr an den Karren fahren wollte, sollte wissen, dass sie immer gewappnet war und meist noch ein Ass im Ärmel hatte. Bei ihrem Schlachtruf musste sie wieder lächeln, denn das erinnerte sie an eine der ersten Begegnungen mit dem damals 9-jährigen Nick. Als sie das nach einem Telefonat wütend rief, hatte er sie mit seinen dunklen Augen fragend gemustert. „Wer ist Leo?“

„Na ich“, hatte sie geantwortet.

Er musterte sie zweifelnd. „Ist Leo nicht ein Löwe?“

„Na und“, hatte sie lächelnd behauptet. „Ich bin eine Löwin!“

Und genauso fühlte sie sich jetzt wieder. „Euch werde ich’s zeigen!“

Sie hatte schon ganz andere Sachen gedeichselt und würde sich weder von ein paar Kilos zu viel, noch von ungünstigen Zuckerwerten aufhalten lassen. Denn eigentlich wollte sie sowieso noch viel länger gesund und leistungsfähig sein, um sich um Nick kümmern zu können, der für sie der Enkel war, den sie nie hatte Für ihn würde es sich lohnen, noch einige Jahre auf dieser Welt zu sein. Sie holte tief Luft. Genau, Nick war schon oft die Lösung ihrer Probleme gewesen oder hatte den Anstoß dazu gegeben, er würde auch für diese Sache etwas im Internet finden.

Als Nick am Nachmittag vom Unterricht kam, leuchtete die Neugier in seinen Augen. Er hing seine Schulmappe an den Haken und kam sofort zu ihr. „Wie war’s Leo? Waren die neuen Eigentümerinnen zufrieden mit unserer Arbeit?“

Leonore lächelte. So eine Reaktion hätte sie sich von der eigenen Familie auch gewünscht!

„Es lief alles wunderbar, deine Apps haben sie wirklich begeistert.“

„Aber du bist nicht zufrieden, haben die etwa nicht bezahlt?“

Sie musterte ihn erstaunt. Ihr Poker-Face, das sie bei allen geschäftlichen Unternehmungen perfekt beherrschte, war inzwischen schon Legende. Niemand konnte ihr Ärger, Unmut oder Überraschung ansehen, aber dieser Junge war die berühmte Ausnahme.

Sie seufzte und setzte sich zu ihm an den kleinen Esstisch in ihrer Küche. „Ich hatte unerwarteten Besuch. Meine Herren Schwiegersöhne brauchen schon wieder Geld und verlangen 80% des Kaufpreises als vorgezogenen Erbteil.“

„Aber du hast ihnen nichts gegeben, oder?“ Empört sah er sie an.

„Nein, nein, das nicht. Sie bekommen keinen Cent. Als sie das endlich eingesehen hatten, haben sie mir gedroht. Lange könnte es nicht mehr dauern, bis sie ans Erbe kommen, so krank wie ich sei.“

„Aber du bist doch nicht krank.“ Nick sah sie betroffen an. „Du hast noch nie krank im Bett gelegen und es war auch noch nie ein Arzt da.“

Leonore verneinte sofort mit einer Geste. Sie kannte die ganze traurige Geschichte von Nicks kleiner Schwester, die an einer unheilbaren Erbkrankheit litt und die gesamte Aufmerksamkeit der Mutter einforderte. Trotzdem liebte er das kleine Mädchen und machte sich ständig Sorgen. Deshalb beruhigte sie ihn gleich und gab sich sicherer, als ihr zumute war. „Ich habe einige Probleme mit dem Blutdruck, mit dem Blutzucker und dem Gewicht, das ist aber nichts, was man nicht ändern könnte. Ich suche mir einen neuen Arzt, der kriegt das bestimmt hin.“

Nick musterte sie zweifelnd. „Aber zu hohe Zuckerwerte können sehr gefährlich sein, sie greifen auch das Gehirn an.“

Leonore stockte kurz der Atem. Bloß das nicht! Aber dann schob sie die Bedenken resolut zur Seite. „Du suchst etwas Tolles im Internet, was mir schnell hilft und dann kann ich diese beiden Idioten vielleicht noch überleben. Was hältst du davon?“

Nick strahlte sie an. „Das machen wir! Wir schaffen das gemeinsam.“ Er hielt ihr die Hand zum Abklatschen hin und begann listig zu grinsen. „Ich habe schon eine tolle Idee, es gibt da etwas, das nennt man Biohacking. Das solltest du unbedingt probieren. Hier sieh dir das an.“

„Moment“, wehrte Leonore ab, nachdem sie die Überschriften überflogen hatte. „Ich will doch keine Leistungssportlerin werden, wahrscheinlich genügen mir schon die richtigen Tabletten.“

Drei Tage später wusste sie, dass das ein Irrtum war und nicht der einzige, dem sie gefolgt war. Der neue Arzt, ein relativ junger Mann, hatte sich viel Zeit für sie genommen, aber die Diagnose war nicht besser ausgefallen. Er hatte sie aufmerksam gemustert und sie dann herausgefordert. „Ich könnte Ihnen jetzt genauso viel Angst vermitteln wie meine Vorgänger, aber das wird Ihnen nicht helfen. Das Übergewicht ist gar nicht so ein großes Problem, aber ganz sicher am leichtesten zu beeinflussen, Trauen Sie sich zu 4 kg abzunehmen?“

Leonore erschien das lächerlich wenig, deshalb antwortete sie völlig überzeugt: „Natürlich!“ So genau konnte sie sich zwar nicht erinnern, wann der Zeiger auf der Waage das letzte Mal nach unten gegangen war, aber sie würde das hinkriegen, wie alles andere auch.

Der Arzt lächelte skeptisch und machte sich Notizen. Dann sah er sie wieder an und betonte. „Die 4 kg sollten sie aber nicht durch Hungern verlieren, sondern durch eine gesündere Ernährung und mehr Bewegung. Das wird Sie in Ihrem Alter möglicherweise etwas überfordern, also nehmen Sie sich Zeit und erwarten Sie nicht allzu viel.“

Noch als Leonore die Arztpraxis verlassen hatte, verlieh ihr die Wut fast Flügel und sie stürmte die Straße in schnellem Tempo entlang. Was bildeten sich diese jungen Leute eigentlich ein?

Gestern noch führte sie eine Firma, die Hunderttausende wert war und heute wurde sie behandelt, als habe sie bereits ihr Gehirn abgegeben. Das wird Sie in Ihrem Alter möglicherweise überfordern… Noch einer, dem sie’s zeigen würde! Und sie würde nicht nur 4 kg, sondern mindestens das Doppelte abnehmen!

Dann begann sie wieder ruhiger zu überlegen. Wie sollte sie das mit der gesünderen Ernährung hinkriegen? Das einfache FdH würde bestimmt nicht ausreichen. Sie müsste spezielle Rezepte finden und wissen, wie man sie richtig zubereitete. Für sich hatte sie bisher nur das Übliche gekocht, für alles andere hatte sie in der Firma exzellente Köche.

Ein Buch mit den richtigen Empfehlungen und schnell wirksamen Rezepten könnte da schon Abhilfe schaffen. Sie sah sich suchend um, aber da war keine Buchhandlung zu sehen, nur die Stadtbibliothek. „Ob die wirklich etwas Neues haben?“, murmelte Leonore zweifelnd, ging dann aber doch suchend die Gänge entlang, die ihr die Mitarbeiterin gezeigt hatte.

Noch während sie ihre Blicke aufmerksam über Bücher mit Rezepten aus aller Welt schweifen ließ, fiel hinter ihr ein Buch aus dem Regal. Die Frau am Tresen sah unwillig hoch und Leonore beeilte sich, das Buch wieder ins Regal zu stellen. Aber kaum war sie zwei Schritte weitergegangen, fiel es wieder nach unten. Sie hob es erneut auf und betrachtete es irritiert. Da war kein geheimer Mechanismus, es war ein ganz normales Buch, aber der Titel faszinierte sie. „Biohacking – für alle, die Hundert werden wollen!“

Hatte nicht Nick über so etwas gesprochen? Oder war es etwas Anderes gewesen? Sie begann zu zweifeln. Unsicher stellte sie das Buch wieder sorgfältig ins Regal, aber kaum hatte sie sich umgedreht, da fiel es ihr wieder entgegen.

„Ich glaube, dieses Buch will unbedingt zu Ihnen“, lachte die Mitarbeiterin. „Sie sollten es gleich ausleihen, das scheint sehr beliebt zu sein.“

Leonore betrachtete das Buch mit misstrauischen Blicken. War ihr schon jemals ein Buch regelrecht hinterhergelaufen? Gab es so etwas tatsächlich? Ein kurzer Blick ins Inhaltsverzeichnis überzeugte sie dann doch. Dieses Buch musste für sie bestimmt sein. Als sie es am Nachmittag Nick zeigte, grinste der nur erfreut.

„Das habe ich doch schon vor dir entdeckt.“

Leonore schüttelte nur den Kopf, setzte dann aber nach: „Was du mir gezeigt hast, war für junge und trainierte Leute bestimmt, dieses Buch macht mehr. Es gibt unterschiedliche Tipps für bestimmte Altersphasen. Im ersten Drittel geht es bis 33, im zweiten dann bis 66 und im dritten Teil für alle zwischen 67 und 100. Und das passt haargenau zu mir. Aber was bedeutet den Biohacking überhaupt?“

Nick räusperte sich wie für eine lange Ansprache, faltete seine Hände auf dem Rücken und setzte eine ernsthafte Miene auf wie ein alter Professor. Dann grinste er sie wieder an. „Du weißt was ein Hacker ist?“

„Ja.“ Leonore antwortete lächelnd. „Du bist ein besonders guter, weil du in jedes Computer-System hineingelangen kannst.“

„Stimmt!“ Nick strahlte sie an. „Und das kann ich, weil ich die Systeme sehr gut kenne. Ein Biohacker kennt demzufolge die biologischen Systeme besonders gut und kann sie optimieren. Eigentlich sollte jeder Mensch sein Betriebssystem, also seinen Körper, gut kennen und wissen, wodurch er besser funktionieren könnte.“

„Danke Herr Professor. Heißt das auch, dass ich jetzt herausfinde, wie ich das Gewicht und die Blutzuckerwerte reduzieren kann?“

Sie schlug sofort das geheimnisvolle Buch auf und suchte das entsprechende Drittel, während Nick sich bereits sicher war. „Natürlich gibt es genau dafür Tipps. Lass uns nachsehen, es steht bestimmt etwas über Ernährung und Bewegung in dem Buch.“

Leonore hatte nur mit halbem Ohr zugehört, weil sie immer noch blätterte und sah etwas unwillig hoch.

„Du glaubst doch nicht, dass ich in ein Fitnessstudio gehe, in meinem Alter!“

Nick grinste nur. „Das brauchst du nicht. Gibt es keine Tabatas in deinem Abschnitt?“

Leonore sah ihn entgeistert an. „Was sind denn schon wieder Tabatas?“

„Die hat ein Japaner erfunden, kleine Übungen, kurze intensive Belastungen. Sieh her, das ist doch ganz leicht zu schaffen.“

Leonore studierte eingehend die knappen Schrittbewegungen einer älteren Frau auf Nicks Laptop, die dabei aber ein ziemliches Tempo vorlegte. Das könnte sie bestimmt auch, vorausgesetzt ihre Luft würde dafür ausreichen. „Muss das eigentlich so schnell sein?“

Nick sah sie von der Seite etwas ungeduldig an. „Das ist ja der Trick dabei! Das Tempo ist wichtig für den Nachbrenneffekt, hier steht, dass man auch nach dem Training immer noch Kalorien verbrennt.“

„Dann mache ich das gleich morgens, das genügt dann aber auch an Bewegung.“

„Schade!“ Nick wandte sich ab. „Ich hatte gehofft, du könntest mir helfen, meine Ausdauer zu verbessern. Mein Sportlehrer hat schon gedroht, dass meine Note wackelt.“

„Natürlich helfe ich dir, ich habe doch jetzt viel Zeit. Was sollst du denn machen? “ Leonore war sofort bereit, übersah dabei aber wie so oft das listige Funkeln in Nicks Augen.

„Ich soll die Seepromenade bis zum Landungssteg laufen und dann die Zeit und den Puls notieren. Das geht besser zu zweit.“

Schon am nächsten Tag umrundeten sie den See und Leonore war so mit seiner Kondition beschäftigt, dass sie fast übersah, wie schwer ihr so ein straffer Spaziergang fiel. Irgendwie hatte sie sich flinker in Erinnerung und hätte gerne geflucht, aber die Luft….

Nachdem sie an den nächsten Tagen den See zum dritten Mal umrundet hatten, musste sie nicht mehr stehenbleiben, um wieder atmen zu können. Jetzt geht es vorwärts, dachte sie erfreut und ließ sich auch durch kleine Rückschläge nicht entmutigen. Denn auch die Tabatas erwiesen sich als nicht so einfach, wie sie ihr beim ersten Zusehen erschienen waren, dennoch war Aufgeben sowieso für sie keine Option!

Nach dem ersten Tabata-Morgen war sie zwar so geschafft, dass sie einfach nur liegen bleiben wollte. Aber dann half es ihr, daran zu denken, weshalb sie sich so anstrengte. Sie würde auch vor diesem Problem nicht zurückweichen. Und auch dieser japanische Arzt mit seinen verrückten Übungen würde es nicht schaffen, sie von ihrem Ziel abzubringen. Nicht mit Leo!

Mit der Veränderung des Essens hielt sie sich noch zurück. Es war so schön, jeden Morgen ohne Zeitdruck zu frühstücken, die Zeitung zu überfliegen oder sich Gedanken über den Tag zu machen. Das genoss sie und nahm es der Waage wirklich übel, als die schon wieder ein Kilo mehr anzeigte. „Das muss wirklich aufhören!“, schleuderte sie der Waage schon morgens entrüstet entgegen und befestigte als erste Maßnahme ein Foto ihrer Schwiegersöhne als Abschreckung an der Kühlschranktür.

Dann wagte sie sich an die Tipps des Buches für das Essen, das sie bis Hundert fithalten sollte. Sie überflog etwas gelangweilt die Hinweise. Natürlich das Übliche, viel Gemüse, kein Zucker, kein Weizen, bis ihre Augen an einem Begriff hängenblieben, der sie faszinierte. Von Reishi, dem Pilz der Unsterblichkeit, hatte sie noch nie etwas gehört, den brauchte sie unbedingt, wenn sie andere überleben wollte. Und auch einige der empfohlenen Gemüsesorten, wie Blumenkohl, Brokkoli und besonders Brokkoli-Sprossen, die gegen Entzündungen wirken sollten, wollte sie in ihr Programm aufnehmen, aber wie? Wer könnte denn wissen, wie man sie so zubereitete, damit sie auch den richtigen Effekt hatten?

Nach kurzem Überlegen rief sie Veronika an, die früher in ihrer Firma als Köchin gearbeitet hatte, jetzt auch in Rente und ebenfalls alleine war. „Ich brauche deine Hilfe.“

Nachdem sie alles ausführlich erklärt hatte, war Veronika sofort bereit, in Leos Programm einzusteigen, weil sie ähnliche Probleme hatte. „Du hast recht, das schaffen wir gemeinsam schneller. Ich weiß genügend über gesundes Essen, aber alleine bin ich zu bequem, um mich daran zu halten. Am besten kommst du zu mir und wir kochen gemeinsam.“

Schon beim ersten Treffen verstand es Veronika hervorragend das Gemüse so schmackhaft zuzubereiten, dass Leonore sich fast dafür begeistern konnte. Natürlich behauptete sie anfangs, dass es nur durch die ausgezeichneten Würztipp-Kräuter so wunderbar schmecken würde, aber dennoch schien das Gemüse etwas zu haben, dass ihr guttat.

Nach der ersten Woche mit der neuen Ernährung stieg sie sie ganz gespannt auf die Waage und glaubte fest an ein fantastisches Ergebnis. Aber sie wurde schwer enttäuscht. Sie hatte nicht abgenommen, sondern sogar minimal zugenommen! Die erwarteten Siegesfanfaren blieben aus. Minutenlang starrte sie wütend auf die Waage und hätte sie im ersten Moment am liebsten aus dem Fenster geworfen und die ganze Sache abgeblasen.

Aber dann fiel ihr wieder der boshafte Satz ihres Schwiegersohnes ein. Nein, so schnell würde sie nicht aufgeben! Vielleicht genügte es schon, nur eine Kleinigkeit zu ändern?

Mit Argusaugen verglich sie ihre Notizen. Sie hatte doch wirklich alles richtiggemacht, da hätte sie doch auch ein exzellentes Ergebnis verdient gehabt! Sie blätterte wieder in dem geheimnisvollen Buch. Da wurde plötzlich Intervall-Fasten empfohlen, um den langsamen Stoffwechsel wieder anzukurbeln und noch ein Kaffee, der sie faszinierte. Leonore schüttelte den Kopf. Hatte das vorher schon in diesem Buch gestanden? Sie erinnerte sich nicht genau daran, war sich aber sicher, dass sie noch nie von einem kugelsicheren Kaffee gehört hatte.

Als Nick am Nachmittag aus der Schule kam, war sie bereits vorbereitet und demonstrierte ihm ihre neue Errungenschaft, die er gebührend bestaunte. „Du hast den „Bulletproof-Coffee“ ausprobiert?“

„Noch nicht, ich beginne gerade damit.“ Sie musterte ihren Becher, eigentlich sah der Inhalt genauso aus wie ein etwas aufgeschäumter Milchkaffee. Nach dem ersten Schluck seufzte sie angenehm überrascht, wie gut dieser Kaffee schmeckte.

Nick beobachtete sie genau, während er einen Artikel im Internet überflog. „Hier steht der neue, heiße Scheiß. Schmeckt es auch so?“ Er kicherte, war aber sofort bereit zu kosten. „Super! In diesem Artikel steht, dieser Kaffee macht so satt, dass er das Frühstück ersetzen kann.“

Leonore war geschockt und blätterte rasch in ihrem Buch.