Die Schlager-Goldies greifen ein - Elfi Sinn - E-Book

Die Schlager-Goldies greifen ein E-Book

Elfi Sinn

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Beschreibung

Kann man mit Schlagern Probleme lösen? Mascha Nussek ist davon fest überzeugt. Sie ist Rentnerin, singt Sopran in einem Chor, liebt Krimis und stört sich an allen ungelösten Problemen. Nachdem sie vor einigen Jahren aus der Stadt in einen idyllischen kleinen Ort gezogen ist, vermisst sie den früheren Zusammenhalt und möchte deswegen wieder mehr Freude und Gemeinschaftsgefühl in das Dorf bringen. Als ihr Chor nicht mehr gefragt ist, macht sie kurzerhand daraus einen Schlagerchor, der mit Oldies plötzlich erfolgreich wird. Auch sonst ändern die Frauen jetzt gemeinsam mit neuem Schwung einiges im Ort, greifen aber auch an anderen Stellen ein, ob bei Diebstahl, bei einer Erpressung in einem Apfelhof, dem Kampf gegen eine Müll-Mafia, bei Love-Scamming, Grundstücksbetrug und anderen gefährlichen Machenschaften.

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Inhaltsverzeichnis

Wer ist wer?

Die verschwunden Skulptur

Erpressung im Bio-Apfelhof

Zu schön, um wahr zu sein

Das alte Haus von Rocky Docky

Der Kampf gegen die Müll-Mafia

Ein Haus am Meer

Wer ist wer?

Mascha Nussek, 67, haucht dem Chor und ihrer Gemeinde neues Leben ein, singt Sopran und organisiert am liebsten Chorauftritte, liebt Krimis und stört sich an allen ungelösten Problemen.

Friedel Neumann, 82, leitet den Chor musikalisch seit die Leiterin weggezogen ist, spielt Klavier, singt Sopran und liebt alte Schlager.

Claudia Graf, 67, singt Alt, liebt ihre roten Haare genauso sehr, wie das Singen und hat eine künstlerische Ader.

Gaby Kästner, 67, singt Sopran, übt sich im Kuppeln und fährt das am besten aussehende Auto.

Sigrid Kerner, 67, singt Sopran und ist als gelernte Schneiderin auch für die Bühnengarderobe zuständig.

Nadja Böhme, 68, singt Alt, hat den Chor zeitweise verlassen und kehrt jetzt zurück.

Max Graf, 10, Enkel von Claudia und Computerspezialist.

Die verschwunden Skulptur

Cindy, oh Cindy, dein Herz muss traurig sein, der Mann, den du geliebt, ließ dich allein. 1957-gesungen Margot Eskens

„Und warum singen wir nicht einfach mal was anderes?“

Auf Mascha Nusseks Frage reagierten die anderen Frauen so überrascht und fassungslos, als wäre einer der legendären Chippendale-Tänzern plötzlich in ihrer Mitte aufgetaucht und würde sich so präsentieren, wie Gott ihn geschaffen hat. Alle drehten sich erstaunt zu ihr um.

„Aber…“, wollte die blonde Gaby, eine der jüngsten, gerade beginnen.

Mascha war jedoch gut vorbereitet und wollte sich nicht beirren lassen. „Nein, lasst es mich erklären.“ Sie hob abwehrend die Hand. „Ich verstehe euch ja, ich singe die alten Volkslieder auch gerne, aber wer will sie denn noch hören? Wir hatten seit zwei Jahren keinen Auftritt mehr und unser Chor schrumpft auch nicht ohne Grund. So macht es vielen keine Freude mehr.“

„Aber…“, jetzt war Gaby wieder fähig zu sprechen, „wir haben das doch immer so gemacht.“

„Und genau deswegen müssen wir es auch ändern!“ Mascha war fest entschlossen, denn sie spürte schon länger wie die Aktivität erlahmte, nicht nur im Chor, sondern in der gesamten Gemeinde.

Viele jüngere Leute waren in die nahe Großstadt abgewandert und zurück blieben die, die einfach gleichgültig oder auch zu müde waren, um sich gegen den allgemeinen Rückgang zu stemmen.

Inzwischen war auch ihr Dorf in die Großstadt eingemeindet, aber das führte nur dazu, dass das öffentliche Leben noch weiter erlosch.

Mit der Schließung der Gemeindebibliothek, die Mascha bis zu ihrer Rente leitete, verschwand der letzte Funken Kultur. Ärzte gab es auch schon lange nicht mehr, nur noch einen kleinen Lebensmittel-Laden mit Poststelle, den alle „Tante Emmi“ nannten und den „Dorfkrug“, eine Kneipe, in deren Hinterzimmer der Chor übte.

Allerdings waren von den 30 Frauen, die früher dort begeistert sangen, lediglich noch 5 übrig geblieben. Mascha betrachtete diese Entwicklung schon länger mit Sorge.

Mit 50 hatte sie sich nach der Scheidung entschieden, von der quirligen, lauten Großstadt ins grüne Randgebiet zu ziehen und dort die damals noch große Bibliothek zu übernehmen. Weniger Stress und mehr Natur und natürlich die gute Luft, all das hatte sie überzeugt.

Dazu kam der idyllische Ort, der aussah, als würde die Zeit hier einfach langsamer vergehen. Große starke Laubbäume säumten die Dorfstraße und spendeten im Sommer ausreichend Schatten, während sie im Herbst alle mit einer grün-rot-goldenen Farbenpracht erfreuten. Dazwischen die hellgetünchten Häuser, von denen keines zu hoch aufragte. Die drei Blocks mit sechs Etagen und Lift, in denen Maschas Wohnung lag, fügten sich am Ortsrand gut ein.

Und als zusätzlichen Pluspunkt gab es einen See mit Badestrand, den sie sogar von ihrem Balkon aus sehen konnte. Alles schien, als würde es immer so bleiben. Niemand schien von der Modernisierungswut befallen, die sie in anderen Gemeinden gesehen hatte.

Hier wurden die Straßenlaternen immer noch mit Blumenampeln dekoriert und an den Fenstern jedes Hauses blühte es aus üppigen Blumenkästen.

Und was ihr anfangs recht ungewohnt erschien, man kümmerte sich umeinander. Wer krank war oder einfach Hilfe brauchte, konnte damit rechnen, dass ohne langes Bitten jemand auf der Matte stand, um zu helfen. Denn jeder kannte jeden, nicht nur die Namen, sondern auch die Geschichte oder die Schwierigkeiten. Privatsphäre war daher wirklich nur eine Illusion und Klatsch und Tratsch waren der Treibstoff des Zusammenlebens, aber auch des Zusammenhaltes. Daher pflegte man das Gespräch mit den Nachbarn so regelmäßig wie seinen Vorgarten und hielt alles in Ordnung.

Damals hatte sie sich in den Ort verliebt, allerdings war er damals auch noch viel lebendiger gewesen und die Menschen bereitwilliger, etwas für die Gemeinschaft zu tun. Leider hatte sich diese idealistische dörfliche Mentalität nicht gehalten. Das alles müsste man wieder beleben, aber wie?

Das brachte sie in ihren Überlegungen wieder zum Chor zurück.

„Wir brauchen mehr Sachen, die Freude machen, nicht nur hier im Chor, sondern überall. Aber hier fangen wir an. Friedel, was hast du am liebsten gesungen, als du 17 warst?“

Die weihaarige Friedel, die älteste der Teilnehmerinnen, die den Chor übernahm, als die frühere Leiterin weggezogen war, saß schon am Klavier. Bei dieser Frage lächelte sie sofort strahlend.

„Natürlich Schlager!“ Dann griff sie in die Tasten und stimmte Cindy, oh Cindy an. Erstaunlicherweise konnte sie mit ihren 82 Jahren auch den Text noch fehlerfrei singen.

Die anderen fielen zunächst zögernd und dann aber mehr und mehr begeistert ein. Als Friedel die Hände von den Tasten nehmen wollte, protestierten die anderen sofort.

„Kennst du auch Der Mond hält seine Wacht?“, rief Gaby.

Friedel nickte nur und legte los. Auch danach konnte sie sich vor Wünschen kaum retten. Als sie Schöner fremder Mann, Weiße Rosen aus Athen und Seemann, deine Heimat ist das Meer sogar zweimal gesungen hatten, schaute der Wirt herein.

„Feierabend, meine Damen! Ihr habt eure Zeit überzogen. Aber was ihr heute gesungen habt, das könnt ihr öfter machen. So lange sind die Leute sonst nicht bei ihrem Bier geblieben, jeder will immer schnell nach Hause, aber heute nicht.“

In der folgenden Woche waren sie das Ortsgespräch schlechthin, denn den Leuten gefiel das sehr, was der Chor jetzt sang. Für Mascha war es keine Überraschung, dass die Menschen ihren fröhlichen Gesang liebten, der sie an die eigene Jugendzeit erinnerte und ihnen ihre Probleme etwas versüßte. Schon als Bibliothekarin hatte sie sich häufig über Kritiker geärgert, die nur solche Bücher als gute Literatur anerkannten, in denen schwere Schicksale vorherrschten und die Hauptpersonen nichts zu lachen hatten.

Allerdings führten die meisten Menschen, die sie kannte, nicht das Leben einer Drama-Queen und entschieden sich wesentlich häufiger und lieber für Erzählungen, die lustig waren, sie schmunzeln und sich besser fühlen ließen. Warum also wurden Frohsinn und Optimismus nicht höher geachtet, als die Fähigkeit, bei jedem Problem, mindestens einen Liter Tränenflüssigkeit abzugeben?

Außerdem lachten die meisten lieber, als zu weinen.

Bei Schlagern war es ähnlich. Warum sollte man nicht beides mögen können. Sie liebte klassische Musik, sang aber für ihr Leben gerne alte Schlager, je kitschiger, desto besser.

Gab es nicht sogar mal eine richtige Kampfansage in einem Schlager? Richtig! Schmunzelnd erinnerte sie sich an den Text Wir lassen uns das Singen nicht verbieten. Das sollten wir unbedingt ins Repertoire aufnehmen.

Als sich die fünf wieder, wie üblich am Dienstag Nachmittag trafen, waren die meisten noch genauso begeistert und wollten unbedingt mit Schlagern weiter machen. Mascha hatte klugerweise schon einige Liedtexte für alle kopiert und so konnten sie sich besser auf den Gesang konzentrieren und auch wieder zweistimmig singen. Sie sangen alle Titel, die sie schon in der Vorwoche gesungen hatten und zum Schluss noch einmal Cindy, oh Cindy, das Friedel besonders gut gefiel.

„Wir klingen wirklich toll“, jubelte Claudia, die von ihren leuchtend roten Haaren immer noch behauptete, das sei alles Natur.

„Damit könnten wir sogar auftreten und alte Schlager liegen im Trend.“ Sie sah sich begeistert um.

Die anderen nickten eifrig, auch als Mascha vorschlug. „Dann sollten wir auch ein richtiger Schlagerchor sein. Wie wollen wir uns nennen?“

Von Die Sirenen, Oldies but Goldies, Oma singt Schlager, Die kessen Fünf bis Schlager-Goldies, gab es viele Vorschläge.

Alle sahen sich fragend an, fest davon überzeugt, den besten Namen vorgeschlagen zu haben, bis sich Friedel als musikalische Leiterin um eine Entscheidung bemühte: „Das ist gar nicht so einfach.

Der Name soll uns gefallen und gleichzeitig den Leuten in Erinnerung bleiben. Die Bezeichnung Sirenen ist schön, immerhin sollen sie ja in der Odysseus-Sage betörend gesungen haben. Aber wer boshaft ist, könnte diesem Namen auch einfach mit Geheul gleichsetzen. Also gestrichen. Alt, aber gut sind wir bestimmt, nur als Name passt Oldies but Goldies eher in die Großstadt. Die kessen Fünf sagt zu wenig darüber, was wir singen und Oma singt Schlager stimmt zwar, reißt aber keinen vom Hocker.

Mir gefällt Schlager-Goldies am besten. Das ist nett, das ist sympathisch, die meisten denken dann vielleicht an die Golden Girls und keiner erwartet zwanzigjährige Schlagersternchen.“

„Super!“ Mascha freute sich. „Dann bastele ich an meinem Computer ein bisschen Werbematerial und dann wird die Welt von den „Schlager-Goldies“ hören. Sigrid, du hast gar nichts gesagt. Du bist doch nicht dagegen, oder?“

Die Angesprochene sah sie nur erschrocken an. „Ich war abgelenkt, ich habe ein Problem, das macht mich fertig und deswegen kann ich kaum an was anderes denken.“

„Was hast du denn?“

„Bist du etwa krank?“

„Hast du Schulden?“ Die Frauen scharten sich nach ihren Fragen eifrig um Sigrid, die ihre halblangen silbergrauen Haare ungeduldig hinter die Ohren schob, bevor sie erklärte. „Ihr kennt doch Professor Förster, der in dem gelben Haus auf der anderen Seite des Sees wohnt. Mit seiner Frau Lilian bin ich schon ewig befreundet. Jetzt liegt sie für zwei Wochen im Krankenhaus, keine schwierige Operation, aber sie muss liegen und ich habe ihr zugesagt, einmal in der Woche das Haus des Professors zu putzen.“

„Na hör mal, die Leute haben doch genug Geld, um sich eine Putzfrau zu leisten.“ Claudia war empört. „Du bist in Rente und musst nicht mehr arbeiten.“

Aber Sigrid schüttelte vehement den Kopf. „Das macht mir doch nichts aus, ich bin gerade erst 67 geworden, das ist doch noch kein Alter! Und etwas Bewegung bekommt mir gut, ich habe schon wieder 5 kg zugenommen.“

„Aber das ist jetzt nicht dein Problem, oder?“ Mascha klang etwas spitz, weil sie das ewige Jammern über zu viel Gewicht satt hatte, denn das endete jedes Mal in einer regelrechten Kuchen-Orgie.

„Nein, das ist es nicht. Wer schon mal dort war weiß, dass im Haus des Professors mindestens so viel Kunst steht, wie in einem Museum. Aber mehr so moderne Sachen, bei denen man nicht so richtig weiß, was es sein soll. Lilian ist eine ganz bekannte Kunstsammlerin. Zu ihr kommen große Magazine, um Reportagen zu machen. Sie versucht mir jedesmal, wenn sie etwas Neues hat zu erklären, wie toll es ist, aber ich sehe einfach nicht das, was sie an diesen Gebilden so fasziniert Seit letztem Wochenende ist eine Skulptur verschwunden. Lilian weiß noch nichts davon, weil sie im Krankenhaus liegt. Mich hat bisher keiner verdächtigt, aber ich habe das ungute Gefühl, dass es nicht mehr lange dauern wird, schließlich bin ich die einzige, die außerhalb der Familie einen Schlüssel hat.“ „Das reicht doch nicht aus“, warf Mascha ein, aber Sigrid war noch nicht fertig.

„Wahrscheinlich sind alle noch zu sehr mit der Urenkelin beschäftigt, um mich zu verdächtigen, denn die hat den schlimmsten Anfall von Liebeskummer, den ich je erlebt habe, mit 15 Jahren! Sie wollte sich sogar das Leben nehmen, die arme Kleine. Und als wir jetzt Cindy, oh Cindy gesungen haben, musste ich wieder daran denken, sie heißt nämlich auch Cindy.“

„Wie groß war denn diese Skulptur? Es macht ja schließlich einen Unterschied, ob man etwas vom Tisch einfach in die Tasche stecken oder ob jemand so ein Teil nur mit dem Kran wegbringen kann.“ Claudia fand, dass das ziemlich logisch klang und sah sich stolz um.

„Ich würde sagen, so lang wie mein Unterarm, also circa 50 cm“, erklärte Sigrid, die früher Schneiderin war und sich mit diesen Maßen auskannte.

Mascha überlegte bereits eifrig. Sie hatte schon bevor sie Bibliothekarin wurde viel gelesen, besonders gerne Krimis, in denen starke Frauen ermittelten. Sie bewunderte Agatha Christies Miss Marple, die gezeigt hatte, dass eine alte Dame mit Rückenschmerzen, dank ihres klugen Kopfes, noch Mörder überführen konnte. Und am Fernseher hatte sie so oft mit der hübschen Privatdetektivin Laura Holt mitgefiebert, die den sagenhaften Remington Steel erfunden hatte, damit man sie ernst nahm. Vielleicht war es auch eher der junge Pierce Brosnan gewesen, der sie in dieser Rolle besonders begeistert hatte.

Auf jeden Fall hatte sie gelernt, dass es für Straftaten irgendwelcher Art immer ein Motiv gab, dem man nachgehen musste.

„Und war es ein bekanntes Werk? Also etwas, wonach Sammler vielleicht suchen oder eher eine Erinnerung an den Keramik-Kurs in der Volkshochschule? Wenn man das wüsste, könnte man den Fall besser bewerten und mehr herausfinden.“

Aber als sie diese Richtung ansteuerte, wurde sie sofort von Friedel abgebremst. „Das ist doch nicht unsere Aufgabe, nach dem Ding kann die Polizei suchen.“

„Die haben aber bisher lediglich den Diebstahl erfasst“, wandte Sigrid fast verzweifelt ein. „Bisher gibt es absolut keine Ergebnisse. Vermutlich ist das Ding auch noch sehr teuer, jedenfalls sagte der Professor es sei gut versichert gewesen.“

Sie nickte Mascha dankbar für ihre Unterstützung zu, denn ihr tat das Interesse der anderen Frauen gut.

„Wenn es moderne Kunst ist“, begann wieder Mascha, „würde ich mal messerscharf schließen, dass das nicht jeder gleich entsprechend einschätzen kann. Bei alter Kunst gibt es klare Regeln, da kennt man den Künstler, man kennt das Jahrhundert und den möglichen Preis. Aber bei moderner Kunst wüsste ich oft nicht, ist das Kunst oder kann es weg?

Deswegen glaube ich nicht, dass es im Auftrag und für einen Sammler gestohlen wurde, sondern von jemandem der einfach damit Geld machen will und gar keine Ahnung vom echten Wert hat. Was hat denn die Polizei gesagt, was sie als nächstes machen werden?“

Sigrid schüttelte betrübt den Kopf. „Der Polizist, der das bearbeitet, hat gesagt, sie würden sich die Hehler ansehen. Aber das könnte dauern, sie hätten zu wenig Personal.“

„Das dachte ich mir schon. So wird das ganz bestimmt nichts. Ihr habt doch alle schon Miss Marple gelesen?“

Die Frauen nickten überrascht. Mascha muss ein Elefantengedächtnis haben, dass sie sich noch erinnern kann, was wir früher in der Bibliothek ausgeliehen haben, überlegte Gaby und hatte fast ein schlechtes Gewissen. Hoffentlich hat sie vergessen, wie oft ich mir Lady Chatterley geholt habe.

Aber Mascha war schon weiter. „Erinnert euch, in wie vielen Fernsehserien heute die Frauen Straftaten aufklären. Wir Frauen können das garantiert genauso gut wie Männer oder sogar besser. Und deshalb greifen wir jetzt bei diesem Fall auch ein.“ Grinsend zog sie ihr neues Notebook aus der Tasche, das von den anderen immer noch mit etwas Abwehr, aber auch mit Faszination betrachtet wurde. Dann ging sie zur Tür und rief dem Wirt zu.

„Günther, kann ich dein WLAN benutzen?“

Der lachte nur. „Mein WLAN kannst du gerne benutzen, wenn es denn geht. Früher gab es mal das Tal der Ahnungslosen, heute betrifft das ganze Landstriche.“

Mascha probierte es dennoch, aber es dauerte. In der Zwischenzeit summte sie einen alten Schlager an, der ihre Denkrichtung deutlich machte und von den anderen sofort aufgenommen wurde. Mit dem Text von Souvenirs, Souvenirs schien es auch bei den anderen Frauen Klick zu machen und auch Mascha hatte Glück.

Nach kurzer Zeit hatte sie, was sie suchte und setzte sich zu Sigrid, um sie auf die Seite schauen zu lassen, auf der bei einem digitalen Auktionshaus Kunstobjekte angeboten wurden. Die anderen schoben sich vorsichtig näher, um über die Schultern zu schauen, als Sigrid plötzlich aufschrie. „Da, das ist es. Für mich sieht es aus, wie ein Weinkrug mit Beinen und Hörnern.“

Mascha sah kurz über das Angebot. „Da werden 300 Euro verlangt.

Da scheint einer überhaupt keine Ahnung zu haben oder die Skulptur ist noch unbekannt“ Zum Vergleich zeigte sie andere Objekte mit fünfstelligen Preisen und schaute verwundert hoch, als Sigrid aufsprang und rief: „Das muss ich Professor Förster gleich mitteilen. Der wird Augen machen.“

„Und dann vielleicht erst recht denken, dass du Bescheid wusstest oder es möglicherweise organisiert hast“, stoppte Mascha sie gleich wieder. „Nein, ich habe eine viel bessere Idee. Aber mein Plan ist noch nicht ausgereift. Wer hätte morgen oder spätestens übermorgen Zeit, um diesen Diebstahl aufzuklären?“ Sigrid und Gaby meldeten sich sofort, während Friedel und Claudia noch Termine hatten, aber unbedingt bei der Vorbereitung dabei sein wollten.

„Ich muss meinen Enkel Max zu mir holen, weil meine Tochter fix und fertig ist. Man hat ihr erstmal eine Psychotherapie verordnet“, erklärte Claudia, „aber wenn wir jetzt Miss Marple spielen, können wir ihr Problem vielleicht auch aufklären. Es gab mal so einen Schlager Hinter ihnen geht einer, oder so ähnlich.“

„Hinter Ihnen geht einer, hinter Ihnen steht einer, drehn Sie sich nicht um!“ Friedel, die wieder am Klavier saß, hatte sofort lächelnd das Lied gesungen.

„Du meinst deine Tochter wird gestalkt?“ Mascha war sofort interessiert. „Das kann gefährlich werden, da muss sie sehr vorsichtig sein. Was macht der Stalker denn?“

„Bisher schickt er Blumen“, grinste Claudia. „Ich hätte mich in dem Alter gefreut wie Bolle, aber seit sie in der Stadt wohnt, denkt sie immer gleich das Schlimmste. Wir waren damals noch nicht so darauf bedacht, immer gleich etwas Böses zu vermuten. Aber meine Vanessa war ein Spätling, vielleicht habe ich sie auch zu sehr behütet. Sie macht sich immer viel zu viele Gedanken. “ „Vielleicht hat sie ja auch recht“, gab Mascha zu bedenken. „Halte uns bitte auf dem Laufenden, aber jetzt wollen wir erstmal unseren aktuellen Fall lösen.“

Dann erläuterte sie ihre ersten Vorstellungen, die nicht nur Sigrids Augen leuchten, sondern die ganze Gruppe in Aufregung geraten ließ. Als erstes teilte sie dem Anbieter ihr Interesse mit und bat um einen Termin, an dem sie das Objekt gründlich prüfen könne. Dann besprach sie noch einige Vorbereitungen mit den anderen Chormitgliedern, die noch mehr allgemeine Hektik auslösten, als bereits am Abend ein Terminvorschlag für den kommenden Tag kam.

Erst dann begann sich Mascha Gedanken um das Gelingen ihres Projektes zu machen. Wie schafften das die taffen Frauen in den Büchern? Kam ihnen nie vorher der Gedanke, dass alles schiefgehen könnte? Wenn man eine Theorie hat, die alle Tatsachen berücksichtigt, dann muss sie richtig sein. Das hatte sie bei Miss Marple oft gelesen, aber hatte sie wirklich alle Tatsachen berücksichtigt? Wer konnte denn ungesehen in das Haus des Professors kommen? Leute, die solche Wertstücke sammelten, hatten garantiert eine Alarmanlage. Brach jetzt ihr toller Plan zusammen?

Noch die halbe Nacht wälzte sie sich mit solch trüben Gedanken im Bett, bis sie von einem vorwitzigen Sonnenstrahl geweckt wurde, den sie als ein gutes Zeichen für das Gelingen ihres Planes deutete.

An Nachmittag bestiegen zwei auf reich und kunstsammelnd getrimmte Damen eine Stunde vor dem Termin, ein frisch poliertes Auto und fuhren in Richtung Großstadt. Gaby lenkte den Wagen, weil ihr Auto das teuerste war und auch so aussah, während Mascha und Sigrid auf der Rückbank erfolglos versuchten, ihre Nervosität zu verbergen.

Vorher waren sie mit Hilfe aller, dem Anlass entsprechend ausgestattet worden. Mascha trug stolz das einzige Armani-Kostüm, das sie je besessen hatte. Das hatte sie sich nach der Scheidung geleistet, weil das Blau die Farbe ihrer Augen betonte und sie immer ein wenig besser aussehen ließ, als sie sich fühlte. Dazu kamen Claudias beste Gucci-Tasche und das tolle blaugrüne Hermes-Tuch, das Friedel beigesteuert hatte, um den künstlerischen Style anzudeuten, aber nicht zu übertreiben. Deshalb hatte sie auch den malerischen Schlapphut von Claudia abgelehnt, die so etwas früher getragen hatte, als sie noch in einer Galerie arbeitete.

Auch Sigrid war ähnlich, aber etwas zurückhaltender gekleidet, da sie „nur“ die Assistentin zu spielen hatte. Allerdings musste sie noch einen Spezialauftrag erledigen und war dafür von Gaby ausführlich im Gebrauch der Handy-Kamera geschult worden.

Als die Erwartungsspannung fast nicht mehr zu steigern war, hielten sie endlich vor der angegebenen Adresse. Der etwas herunter gekommene Altbau wurde von ihnen eher misstrauisch betrachtet.

„Hoffentlich laufen wir nicht einer kriminellen Bande in die Hände“, murmelte Sigrid und prüfte nervös, ob Gaby auch ihr Handy in Bereitschaft hatte. „Wenn wir nicht in einer halben Stunde zurück sind, musst du sofort die Polizei rufen.“

„Bleib ruhig“, ermahnte Mascha sie. „Das Haus sieht nicht nach einem wohlhabenden Kunstkenner aus, aber das haben wir doch vorher schon gewusst.“

„Du hast recht.“ Sigrid nickte beklommen. „Vielleicht ist er ja nur ein armes Schwein, das dringend Geld benötigt?“

„Natürlich“, höhnte Mascha, „und rein zufällig ist er dabei in das Haus des Professors geraten und die Skulptur ist in seine Tasche gehüpft? Zähme bitte deine soziale Ader, hier geht es um Diebstahl, der dir möglicherweise angelastet wird.“

Nach Maschas Standpauke nahm Sigrid ihr Handy wieder entschlossener in die Hand. „Du hast recht. Lass uns den Mistkerl überführen!“

Da sie mit nervös klopfenden Herzen, grimmig blickende Bandenmitglieder erwarteten war das, was dann kam, für beide eine große Überraschung, denn die Tür wurde von einem jungen Mann geöffnet, der wie ein Engel aussah.

Oder wie man sich einen sanften, tröstlichen Engel wünschen würde, formulierte Mascha in Gedanken um, denn so schöne Männer sah man wirklich selten. Nachdem sie wieder atmen konnte, betrachtete sie die blonden Locken, die im Flurlicht hell aufleuchteten, die strahlend blauen Augen, den sanften Mund und das gut geschnittene Gesicht genauer.

Was hatte sich das Universum eigentlich dabei gedacht, ausgerechnet einen Bad Boy so wunderschön auf die Menschheit loszulassen?

Sie räusperte sich, um auf ihr Anliegen zurück zu kommen, als er sie bereits lächelnd begrüßte. Und auch noch eine Ausstrahlung zum dahin Schmelzen, das ist wirklich zu viel, grummelte sie innerlich.