Machen wir es wie Miss Marple! -1 - Elfi Sinn - E-Book

Machen wir es wie Miss Marple! -1 E-Book

Elfi Sinn

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Beschreibung

Schließlich hätte es auch schlimmer kommen können! Tessie ist eine geborene Optimistin. Für sie ist das Glas immer halbvoll, bis sie durch eine Brandstiftung ihren Kindergarten und streckenweise auch den Glauben an die Menschheit verliert. Aber da sie gerne Krimis liest, in denen Frauen mit Instinkt, Logik und einer großen Portion Chuzpe ihre Fälle lösen, entscheidet sie sich, wie Miss Marple und andere kluge Frauen, den Brand selbst aufzuklären. Das gelingt ihr so erfolgreich, dass sie auch später, nachdem sie ein ungewolltes Erbe verwaltet, immer dann, wenn sie mit Unrecht und Verbrechen konfrontiert wird, wieder ermittelt. Gemeinsam mit ihrer Mutter Lea, ihrer Tochter Polly und ihrer Enkelin Rina wehrt sie sich nicht nur gegen Brandstifter, Betrüger, Erpresser und Identitätsdiebe, sondern lässt auch die Familie bei gemeinsamen Projekten wieder zusammen wachsen.

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Inhaltsverzeichnis

Wer ist wer?

Die Brandstiftung

Der unwiderstehliche Cheesecake

Ein Fall von Erpressung

Angriff aus dem Hinterhalt

Das gestohlene ICH

Die geheimnisvolle Mieterin

Wer ist wer?

Tessie Sommer, Kindergärtnerin, mit roten Locken, ist eine geborene Optimistin. Ihr Lieblingsspruch ist: Es hätte schlimmer kommen können. Sie verliert ihr Lebenswerk und gewinnt dennoch viel mehr, als sie erwartet hätte. Sie liest leidenschaftlich gerne Krimis.

Lea Sommer, Köchin, Mutter von Tessie, mit immer noch roten Locken, fühlt sich ihrem Amazonen-Erbe verpflichtet und lässt sich trotz eines großen Verlustes nicht so leicht unterkriegen. Sie liest leidenschaftlich gerne Krimis.

Polly Sommer, Konditorin, Tochter von Tessie, mit langen roten Haaren, hat einige Krisen und Enttäuschungen überstanden und hofft noch auf echte Liebe und Erfolg für ihre Backleidenschaft. Sie liest leidenschaftlich gerne Krimis.

Rina Sommer, Tochter von Polly, mit roten Zöpfchen, kann manches, das noch passieren wird, ziemlich genau vorausahnen. Sie liest leidenschaftlich gerne Krimis und besucht die 2. Klasse.

Dennis Braun, Architekt, hat Schweres durchgemacht und falsche Rücksichten genommen, ist leidenschaftlicher Fan der Peanuts.

Charlie Braun, Sohn von Dennis, mit schokoladenbraunen Locken, ist ein heimliches Computer-Ass und besucht die 3. Klasse. Er besitzt einen Hund namens Snoopie

Katja, beste Freundin von Tessie, Heilpraktikerin für Psychotherapie.

Julian Richter, Geschäftsführer in Henrys Weinhandlung.

Fabian Köster, ehemaliger Polizist, arbeitet als Privatdetektiv und schreibt Krimis.

Dr. Christian Winter, Rechtsanwalt.

Heidi, Henny, Nicki, ehemalige Kolleginnen von Tessie, die beim Aufbau des Karrees helfen und auch dort einziehen Außerdem einige unbekannte oder auch ungenannte, aber nicht weniger wichtige Personen, die Anlass zu Nachforschungen geben oder bei den Ermittlungen helfen.

Als Inspiration, Anregung und mit praktischen Tipps sind auch folgende berühmte und bekannte Detektivinnen und Hobby-Detektivinnen indirekt vertreten:

Miss Jane Marple von Agatha Christie,

Jackie Dupont von Eve Lambert,

Goldy Schulz von Diane Mott Davidson und

Flavia de Luce von Alan Bradley

Die Brandstiftung

Auch nach der dunkelsten Nacht folgt immer ein heller Tag.-Amerikanisches Sprichwort

„Nein, tun Sie das nicht! Oh, verdammt…“

Tessie Sommer sah wie die Flammen an der Hauswand emporloderten und alles verzehrten, was sie sich in den vergangenen dreißig Jahren aufgebaut hatte. Und sie konnte nichts tun!

Ihre Hände waren mit Kabelbindern gefesselt. Sie versuchte sich zu erinnern, wie sie hierher gekommen war, aber da gab es nur überwältigende Schwärze.

Trotz des Feuers fröstelte sie und versuchte hektisch die Fesseln zu lösen. Irgendjemand musste sie überwältigt und aus dem Bett gezerrt haben, denn sie trug nur einen Schlafanzug und war barfuß. Wie konnte das sein?

Sie versuchte wieder krampfhaft nachzudenken, aber das fiel ihr enorm schwer. Also hörte sie auf zu grübeln.

Da vernichtete jemand gerade ihr Lebenswerk, sie musste etwas tun! Obwohl ihre Handgelenke schon wahnsinnig schmerzten, zog sie weiter an den Plastikstreifen.

Angst verspürte sie kaum, aber eine wachsende Wut auf den Täter. Sie konnte ihn nicht sehen, aber es musste ein Mann sein, der sie brutal hierher gezerrt hatte. Wenn sie doch wenigstens nach ihm treten könnte! Aber er hielt sich ständig hinter ihr, bisher hatte sie nur seine Hand mit einem Flammen-Tattoo gesehen.

Wieder bewegte sie ihr rechtes Handgelenk und spürte endlich einen Hoffnungsschimmer, denn der Kabelbinder lockerte sich etwas und sie konnte ihr Handgelenk, das schon vom Blut glitschig war, herausziehen. Wenn sie jetzt noch die zweite Hand… Sie zog heftig, schlug um sich und schrie.

Dabei wachte sie auf, schweißnass und die Bettdecke seltsam verdreht um die Arme geschlungen. Sie stöhnte auf, als sie zum Wecker sah. 3.30 Uhr!

Wieder dieser verfluchte Alptraum, der sie jede Nacht heimsuchte, seit sie vor vier Tagen gefesselt mit ansehen musste, wie ein maskierter Unbekannter ihren Kindergarten abfackelte.

Sie setzte sich auf und schüttelte bei der ständigen Erinnerung daran, wieder den Kopf.

Auch nach all dem Grübeln konnte sie einfach keinen Grund finden, weshalb ihr jemand so etwas antat. Hatte jemand etwas gegen Kindergärten oder gab es ein privates Motiv? Hatte sie irgendjemanden unabsichtlich verletzt oder beleidigt?

Aber sie war sich keiner Schuld bewusst und konnte sich auch nicht vorstellen, dass ein Mensch derartig heftig reagieren würde.

Früher hätte sie angenommen, dass es vielleicht um das Grundstück gegangen wäre und sie einem Investor in die Quere gekommen sei.

Inzwischen gab es aber ein Gutachten, nachdem das Grundstück kontaminiert und so gut wie wertlos war. Aber warum wurde dann ihr Kindergarten zerstört? Und warum musste sie das jede Nacht immer wieder erleben?

Selbst am Tage wanderten ihre Gedanken unweigerlich in diese Richtung und sie erlebte die Hilflosigkeit und den Schrecken immer wieder.

Die Wunde am Handgelenk war schon fast verheilt, aber ihr Inneres war noch total erstarrt, denn dieser Vorfall hatte ihr Weltbild extrem erschüttert.

Eigentlich war ihr bisher fast alles gelungen und sie hielt sich für ein Sonntagskind des Schicksals. Damals als sich das Leben aller politisch wendete, hatte sie gerade noch ihre Pädagogische Fachschule abschließen können, aber die Kindergärten, die sie kannte, gab es nicht mehr.

Kurz entschlossen gründete sie einen Verein und gestaltete ein leerstehendes Haus mit Grundstück zu einem Kindergarten um, das sie später auch kaufen konnte.

Als Jüngste übernahm sie die Aufgabe der Chefin und es hatte bisher immer wunderbar geklappt. Sehr schnell war ihr Kindergarten der beliebteste weit und breit geworden.

Daran änderte sich auch nichts, als der wirklich begabte Musiker Jimmy zu ihr zog und ihre Tochter Polly geboren wurde. Anfangs half ihre Mutter Lea, die zusätzlichen Aufgaben zu bewältigen, aber es gab ständig Streitereien mit Pollys Vater, vor allem wegen seiner Neigung, sich jeder Verantwortung als Vater und Partner zu entziehen. Genau genommen hätte Tessie ihrer Mutter zustimmen müssen, aber deren herrische Art war schon immer etwas gewesen, das ihren Widerspruchsgeist hervorgerufen hatte.

Als sich die Mutter zurückzog, blieb ihr gar nichts anderes übrig, als den nichtsnutzigen Jimmy selbst vor die Tür zu setzen und ihre Tochter alleine groß zu ziehen. Mittlerweile war Polly erwachsen, hatte selbst eine Tochter und war beruflich sehr erfolgreich, aber leider nicht in der Liebe.

Auch Tessie hatte versucht die Tochter zu warnen, nur hatte die eben auch ihren eigenen Kopf. Genau wie sie damals.

Sie lächelte. Obwohl sie mit ihrer Tochter schon sehr lange zerstritten war, wusste sie über alles Bescheid, denn Rina, ihre Enkelin, telefonierte regelmäßig mit ihr.

Wieso hatte Rina eigentlich genau an dem Tag nach dem Feuer angerufen? Sie hatte sehr aufgeregt geklungen, so als ob sie auch schon Dinge vorausahnte, wie sie früher auch. Rina hatte sich aber gleich beruhigt, als sie hörte, dass ihre geliebte Omi fast unversehrt war.

Was natürlich nicht stimmte, aber Rina war so ein freundliches und liebevolles Kind und musste nicht auch noch beunruhigt werden.

Tessie seufzte und drehte sich wieder auf die andere Seite, während sie das Bild der Kleinen auf dem Nachttisch betrachtete.

Auch mit dem leichten Lächeln im Gesicht, schien sich der Schlaf nicht einzustellen, weil ihre Gedanken sofort wieder zu dem Ereignis wanderten, das ihre gesamte bisherige Einstellung auf den Prüfstand stellte.

Bisher war das Glas für sie immer halbvoll und ihr Spruch bei allem gewesen: Es hätte schlimmer kommen können.

Und hier kam es schlimmer und zwar knüppeldicke!

Anfangs war sie nur froh, dass kein Mensch zu Schaden gekommen war und ein Haus konnte man schließlich wieder aufbauen, immerhin war sie gut versichert. Deshalb hatte sie auch noch am Tag nach dem Brand den Schaden gemeldet, aber dann begannen weitere Probleme.

Statt die großzügige Schadenersatzsumme möglichst schnell zu überweisen, sperrte sich die Versicherung. Da es bisher weder einen Täter noch ein erkennbares Motiv gab, vermutete die Versicherung, Tessie selbst habe den Brand gelegt und bezog sich auf das Gutachten vom Umweltamt. Die Bereinigung des kontaminierten Bodens würde Unsummen verschlingen und einen Versicherungsbetrug denkbar machen.

So hatte es ihr die Mutter eines Kindes zugeflüstert, die bei dieser Versicherung arbeitete. Natürlich hatten ihr das, die Schadensermittler so nicht erklärt, aber man verschleppte die Bearbeitung und so konnte sie nicht in ihrer üblichen Art, sofort wieder aufbauen, was gebraucht wurde.

Fälschlich verdächtigt zu werden und dazu noch untätig sein zu müssen, war etwas, das Tessie absolut überforderte.

Und natürlich die ständigen Alpträume, die an ihrem Selbstwertgefühl nagten. Das Wissen, jemandem ausgeliefert gewesen zu sein und keine Erinnerung daran zu haben, was wirklich passiert war und vor allem weshalb, beschäftigte sie ständig.

„Es ist zum Verzweifeln“, stöhnte sie und schleppte sich in die Küche, um sich einen Melissentee zu machen, den ihre Freundin Katja immer für solche Situationen empfahl.

Als sie im Flur an dem großen Garderobenspiegel vorbeikam, schob sie seufzend, die immer noch leuchtend roten Locken aus dem Gesicht.

„Du hast auch schon besser ausgesehen“, murmelte sie, als sie den matten Blick, die Augenringe und die scharfe Falte zwischen den Brauen registrierte.

Noch letzte Woche hatte sie sich viel jünger gefühlt, da hatten ihre grünen Augen unternehmungslustig gefunkelt, ständig hatte sie neue Ideen gehabt.

Wieso fiel ihr jetzt nichts ein, was ihr helfen würde?

Über den Mann würde sie sicher nicht Neues heraus finden, aber vielleicht über den Brand?

Die Polizisten, die ihren Fall untersucht hatten, schienen sie nicht verdächtigt zu haben. Sie hatten ja auch das Blut und die Wunden an den Handgelenken gesehen, auch wenn die Fesseln verschwunden waren, als der Hausmeister des Kindergartens, sie gegen 4.00

Uhr auf dem Rasen des Spielplatzes gefunden und die Feuerwehr alarmiert hatte. Da er in der Nähe wohnte, schien er auch als erster die Flammen bemerkt zu haben. Oder gab es dafür auch andere Gründe?

Tessies Gedanken schossen in alle Richtungen.

Die Polizei war erst von den Feuerwehrleuten gerufen worden, als sie die blutende und leicht orientierungslose Frau am Brandort gefunden hatten.

Die Polizisten hatten zunächst die Riesenbeule an ihrem Hinterkopf begutachtet und ihre Aussage protokolliert. Der ältere der beiden, war dann mit ihr in die Klinik gefahren, wo ihr Blut abgenommen, die Wunden an den Handgelenken versorgt und eine Vergewaltigung ausgeschlossen wurde.

Also haben sie mir doch geglaubt, überlegte Tessie, während sie ihren Tee in kleinen Schlucken trank.

Andererseits hatten die Brandermittler zwar die Brandstiftung zweifelsfrei festgestellt, aber keine Einbruchsspuren finden können. Das sprach wieder gegen sie. Wenn ich mich doch nur besser erinnern könnte! Vielleicht weiß ich ja doch etwas mehr über den Täter und habe es einfach verdrängt?

Sie wurde schläfrig, Katjas Tee schien zu wirken. Vielleicht kann mir Katja auch bei diesem Problem helfen, dachte sie noch, ehe sie wirklich einschlief.

Für den nächsten Tag hatten die Brandermittler das Gebäude oder die Reste davon freigegeben. Deshalb machte sie sich gleich morgens auf den Weg, um mehr über den Brand zu erfahren, um vielleicht Spuren zu finden und sich auch ein Bild über das Ausmaß der Schäden zu machen.

Der Weg war nicht weit, nur zwei Querstraßen weiter, aber mit den ersten Schritten begann sich ihr Gedankenkarussell schon wieder zu drehen. Es gab so vieles, was ihr unklar war.

Die Brandermittler hatten ihr erklärt, dass das Feuer mittels einer Zeitschaltung gezündet worden sei, die vor Ort mit einem Handy ausgelöst wurde. Hätte dafür nicht jemand eine solche Vorrichtung im Haus anbringen müssen?

Der Hausmeister und sie waren an jenem Tag die letzten gewesen, die das Gebäude verlassen hatten. Sonst hatte doch niemand einen Schlüssel!

Noch ehe sie das Grundstück erreichte, wurde sie von einem empörten Ehepaar angegriffen. „Alle Achtung, das haben Sie ja wirklich gut geplant!“ Die Frau klatschte höhnisch lächelnd Beifall.

„Sie fackeln alles ab, kassieren eine riesige Versicherungssumme und wir müssen sehen, wo wir unsere Kinder unterbringen. Das ist sowas von verantwortungslos!“

Tessie wurde blass. Dieses Ehepaar hatte zwei Söhne in ihrem Kindergarten und bisher hatte sie sich mit beiden immer gut verstanden. „Wie, wie kommen Sie denn auf so etwas?“

Sie war so entsetzt, dass sie fast stotterte, aber die beiden schienen mit ihr fertig zu sein und wandten sich einfach ab.

„Frau Köpping hat uns über alles informiert. Sie sollten sich schämen“, rief ihr die Frau noch über die Schulter zu.

Tessie wurde schwindlig. Halt suchend lehnte sie sich an das steinerne Becken des Brunnens, der dort schon stand, als es noch keinen Kindergarten gab.

Für einen kurzen Moment fühlte sie sich wie in einen Strudel hineingezogen, aus dem es keine Rettung gab. Aber dann meldete sich ihre Wut wieder.

Was brachte ihre Stellvertreterin dazu, solche Lügen über sie zu verbreiten? Sie hatte die Frau, die bei den anderen nicht sehr beliebt war, immer in Schutz genommen, sie geduldig gefördert und viel zu oft dabei die unguten Gefühle verdrängt. Und genau das schien sich jetzt als Fehler herauszustellen. Das würde sie klären, und zwar gleich!

Auf dem Grundstück liefen offenbar die ersten Aufräumarbeiten. Zwei Männer trugen einige Möbel ohne Brandschäden aus dem Haus und luden sie auf einen Kleinlaster.

Wer hatte das veranlasst? Wütend stürmte sie in das ausgebrannte Haus, das noch relativ stabil erschien, da das Feuer fast nur in dem Teil, der zum Spielplatz zeigte, gewütet hatte. In einem der hinteren Räume, der einmal ihr Büro war, fand sie Frau Köpping, die offensichtlich gerade den Schreibtisch durchsuchte.

„Was machen Sie hier? Wer gibt Ihnen das Recht, in meinen Sachen zu wühlen?“

Helma Köpping war eine große, athletisch gebaute Frau, die hinter ihrem Rücken von einigen Kolleginnen „Knüppelkuh“ genannt wurde, in Anlehnung an den amerikanischen Film Matilda.

Jetzt schob sie, genau wie diese Filmfigur, ihre dünnen, mausbraunen Haare zurück und stemmte die Hände in die Seiten, wie um ihre Muskeln spielen zu lassen.

„Na, Sie haben es ja gerade nötig! Ich dachte, Sie wären schon im Knast, was wohl das Beste wäre. So eine Schande! Fackelt den

eigenen Laden ab und liegt dann noch stockbesoffen auf dem Spielplatz!“

Im ersten Moment hätte Tessie das Weib erwürgen können, zähmte aber ihr Temperament, um die wichtigste Information zu überprüfen. „Wer hat gesagt, ich sei betrunken gewesen?“

Ihre Stimme war gefährlich leise geworden. Frau Köpping, die dem Unterschied keine Bedeutung mehr beimaß, antwortete höhnisch.

„Na, der Hausmeister hat das doch gerochen, als er sie aufgelesen hat. Ich habe alle Eltern darüber informiert. Es wird das Beste sein, wenn Sie sich hier nie wieder blicken lassen. Ihre persönlichen

Unterlagen habe ich bereits gepackt. Wegen des Grundstücks wird sich mein Anwalt bei Ihnen melden, damit ich diesen Kindergarten wieder aufbauen kann. Auf Nimmerwiedersehen!“

Tessie nahm den Karton wortlos und wie versteinert entgegen.

Nur die Tatsache, dass sich ihr Gehirn mit der Lüge des Hausmeisters beschäftigte, bewahrte sie davor, handgreiflich zu werden oder etwas zu zerschlagen. Im Moment wollte sie nur noch eins, nach Hause und sich neu sortieren.

Hier läuft doch etwas völlig verkehrt, hätte sie am liebsten laut geschrien. Ich bin angegriffen worden, jemand hat mich zum Opfer gemacht und alle benehmen sich, als sei es meine Schuld! Zuhause ließ sie den Karton schon im Flur achtlos fallen. Im Wohnzimmer schlüpfte sie in ihre wärmste dunkelgrüne Strickjacke und rollte sich so auf der Couch zusammen, als wollte sie sich vor dem Rest der Welt schützen.

Die Lage schien hoffnungslos, ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Was bleibt mir noch? Mein Kindergarten ist zerstört, mein Ruf offensichtlich auch. Konnte es wirklich noch schlimmer kommen? Wird man mich vielleicht auch noch anklagen?

Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie wirklich ratlos. Was kann ich jetzt noch tun, soll ich einfach aufgeben?

Einen kurzen Moment war sie fast dazu bereit, aber dann meldete sich ihr Kampfgeist erneut. Nein! Ich werde mich wehren!

Eine Amazone weicht nur deshalb zurück, um richtig Schwung für den nächsten Angriff zu holen. Wie oft hatte sie das von ihrer Mutter gehört? Sonderbar, dass sie sich jetzt daran erinnerte.

Gerade als sie eine größere Packung Schokoladeneis aus dem Gefrierfach angelte, um sich moralisch zu stärken, klingelte es.

Einen kurzen Moment durchfuhr sie die Angst. Kamen sie jetzt schon, um sie festzunehmen? Aber dann setzte die Vernunft wieder ein. Wollte sich etwa noch jemand mit ihr anlegen?

Das können sie gerne haben, dachte sie und riss wütend die Tür auf, um im nächsten Moment erleichtert, ihrer ältesten und besten Freundin Katja um den Hals zu fallen.

„Wo kommst du denn her? Hast du geheime Informationen darüber, wann ich dich am dringendsten brauche?“

Katja lachte und schüttelte ihren dunkelbraunen Bob, in dem einige silbergraue Strähnen schimmerten. Sie wies auf den kleinen eleganten Koffer, den sie hinter sich her zog.

„Ich habe hier eine Fortbildung und würde gerne dein Gästezimmer nutzen. Das habe ich dir auch gemailt, aber ich weiß, dass du im Moment andere Sorgen hast. Der Taxifahrer hat mir schon einiges erzählt. Meine Fortbildung beginnt erst in zwei Tagen, also kann ich dir helfen, bei allem was nötig ist.“

„Kannst du denn deine Praxis so lange schließen?“

Tessie war erstaunt, denn normalerweise arbeitete ihre Freundin sehr begeistert in ihrer Heilpraxis, aber meist viel zu viel.

Katja schüttelte wieder lächelnd den Kopf. „Seit ich das neue Wundergerät gegen Allergien habe, übernimmt das mein Mann liebend gerne, er hat damit in seiner Arztpraxis ungeheuren Erfolg. Also was genau ist bei dir passiert?“

Nachdem Tessie bei einer Tasse Tee alles berichtet hatte, woran sie sich erinnern konnte und auch die Alpträume und das ständige, zwanghafte Grübeln über das Geschehene beklagte, nickte Katja verstehend. „Diese Hilflosigkeit ist für dich eine absolute Ausnahmesituation, eine wirklich traumatische Erfahrung, die noch nicht verarbeitet ist. Deshalb hast du jetzt so etwas wie eine emotionale Endlosschleife in deinem Energiesystem. Die sorgt dafür, dass du, durch die kleinste Erinnerung daran, das Ganze wieder durchlebst und dich zwanghaft damit beschäftigst, wie eine Schallplatte, die immer wieder an der gleichen Stelle hängt.“

„Das hört sich furchtbar an.“

„Stimmt und es wäre schlimm, wenn es so bleiben würde.“

Katja strich ihr beruhigend über die Schultern. „Aber da können wir etwas machen. Am besten gleich, aber was ich bis jetzt nicht verstehe: Wie kam jemand in deine Wohnung und wie konnte er dich überwältigen? Du hast doch immer solche asiatischen Kampfsportsachen gemacht und uns früher beschützt, wenn wir nachts um die Häuser gezogen sind.“

Tessie sah sie betroffen an. „Das kann ich mir überhaupt nicht erklären. Anfangs dachte ich, es sei Müdigkeit gewesen, aber ich konnte mich kaum bewegen, nicht einmal richtig denken. Du glaubst auch, ich sei betäubt gewesen?“

„Ja, aber bei einer Injektion hättest du bestimmt schon die Einstichstelle bemerkt und das wäre auch bei der Untersuchung in der Klinik aufgefallen. Kannst du dich erinnern, was du an diesem Tag als letztes gegessen und getrunken hast?“

Tessie schüttelte zwar zweifelnd den Kopf, zählte aber brav auf: „Am Nachmittag habe ich mit der Leiterin eines anderen Kindergartens einen Kaffee getrunken. Wir wollten eine Kooperation vereinbaren, aber das hat sich wohl jetzt erledigt. Abends habe ich mir den Rest von meiner Bohnensuppe aufgewärmt und dann bin ich schlafen gegangen. Nein, das stimmt nicht ganz. Vorher habe ich noch mein Edelsteinwasser ausgetrunken, das du mir gegen Stress empfohlen hast.“

„Solltest du das nicht tagsüber trinken?“ Katja schaute tadelnd, aber Tessie grinste nur beschwichtigend.

„Sonst mache ich das auch, aber an diesem Tag kam ständig was dazwischen. Die Flasche stand in meinem Büro, aber ich hatte einfach keine Zeit.“

„Und in dein Büro kann jeder hinein? Du schließt doch bestimmt nicht ab.“

Tessie reagierte ein wenig schuldbewusst, aber auch empört.

„Du denkst doch nicht, dass es jemand von meinen Leuten war?

Na ja, inzwischen weiß ich, dass ich da auch ein paar übertriebenen Vorstellungen hatte.“

„Wenn wirklich in deiner Abwesenheit etwas in die Flasche gelangt ist, könnte man den Personenkreis doch eingrenzen, oder?“

„Katja, das ist wirklich brillant.“ Tessie begann etwas Hoffnung zu verspüren. „Vielleicht kann man diesen ganzen Schlamassel doch aufklären. Ich bin schließlich mit den Geschichten von Miss Marple aufgewachsen und habe selbst genügend Krimis gelesen, um weitere Ansatzpunkte zu sehen.“

Sie lehne sich etwas entspannter zurück und spürte, wie ihr neue Ideen durch den Kopf schossen.

„Vielleicht beginnst du erst mal damit, deinen uralten Anrufbeantworter abzuhören, der schon die ganze Zeit beharrlich leuchtet, bevor du zu Sherlock Holmes wirst.“ Katja schob sich ironisch lächelnd eine verirrte Haarsträhne hinter die Ohren und wartete gespannt auf neue Informationen.

Tessie sprang auf, um zum Festnetz-Telefon zu gehen, an dem sie immer noch festhielt, musste aber zuvor etwas klarstellen. „Sherlock Holmes auf keinen Fall! Wann hätte sich diese Familie jemals auf die Ideen eines Mannes verlassen? Schließlich gibt es jede Menge weibliche Detektive, die besser sind!“

Katja lachte amüsiert. „Ihr mit eurem Amazonen-Mythos!“ Dann aber lauschte sie genauso aufmerksam, wie Tessie der Nachricht der Polizei, sie möge am nächsten Morgen zum Revier kommen, die Ergebnisse der Laboruntersuchungen seien eingetroffen.

„Es gibt Laborergebnisse, das muss etwas bedeuten. Endlich scheint sich das Blatt zu wenden.“