Das ist wirklich das Allerletzte! - Elfi Sinn - E-Book

Das ist wirklich das Allerletzte! E-Book

Elfi Sinn

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Beschreibung

Das ist doch wirklich das Allerletzte! Wie oft mag das jeder von uns gedacht haben, bei Behördenirrsinn, bei Menschen, die sich auf Kosten anderer bereichern, bei Gemeinheiten und absoluter Rücksichtslosigkeit durch wen auch immer. Und wie gerne würde man dann, über Möglichkeiten verfügen, zurückzuschlagen oder besondere Fähigkeiten besitzen, um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. So wie Rosi, die ihre Bäckerei fast verliert, Lotta und Bella, die sich gegen enorme Lärmbelästigung wehren müssen oder Laura und Luisa, für die die Freude an Krimis zur harten Realität wird. Die Menschen in den Geschichten dieses Buches entdecken an Tiefpunkten ihres Lebens oder in großer Gefahr, geheimnisvolles Wissen, fast magisches Können und originelle Ideen. Damit und gemeinsam mit guten oder auch neuen Freunden gelingt es ihnen, ihre Probleme doch noch erfolgreich zu lösen.

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Inhaltsverzeichnis

Das gebackene Glück

Kräuterfrau über Nacht

Ein Ratgeber für alle Lebenslagen

In letzter Minute

Endlich wieder Ruhe

Reingelegt

Das gebackene Glück

„Warum tue ich mir das überhaupt noch an!“ Rosi Petersen schob ihren Stuhl vom Tisch zurück und legte erschöpft den Kopf auf die Arme. Schon wieder ein Brief von der Lebensmittelaufsicht, schon wieder irgendeine idiotische Auflage. Dazu kam noch, dass heute die letzten Mieter ausgezogen waren. Natürlich nicht regulär, sondern ohne die offene Miete zu zahlen, einfach bei Nacht und Nebel verschwunden. Wie sollte sie denn jetzt noch klarkommen? Das war wirklich nicht einfach Pech, sondern eine Pechsträhne unendlichen Ausmaßes.

Und dabei lief es bis vor einem halben Jahr noch so hoffnungsvoll. Ihre Bio-Brote waren bei den Kunden genauso beliebt wie die glutenarmen oder glutenfreien Backwaren, die Rosi produzierte. Sie hatte ihr Leben lang gebacken, aber sich auch rechtzeitig spezialisiert, so wie es in ihren Marketing-Büchern vorgeschlagen wurde und hatte jeden Monat sichere Einnahmen gehabt.

Im Wohnhaus gegenüber der Backstube, die noch ihre Großeltern gegründet hatten, wohnte sie recht komfortabel nach der Scheidung von ihrem Mann, im Erdgeschoss. Die obere Etage hatte sie an den Chefingenieur der neuen Fabrik für Solaranlagen in der Nähe vermietet. Das brachte ihr zusätzliches Geld, das sie für Notfälle zurücklegen konnte. Alles in allem, ging es mir damals richtig gut, sinnierte Rosi.

Deshalb machte sie sich auch keine Sorgen, als eine große Einkaufskette in ihrer Nähe einen neuen Lebensmittel-Markt eröffnen wollte. Mit den besten Absichten hatte sie sich mit Herrn Merk, dem Leiter des Marktes, getroffen, um ihre Spezial-Backwaren anzubieten, die über diesen Weg noch mehr Zöliakie-Kranke hätten erreichen können.

Doch der Preis, der ihr für ihre Produkte vorgeschlagen wurde, war so lachhaft gering, dass Rosi zunächst dachte, sie habe sich verhört. Aber auch bei der Wiederholung wurde ihr diese Zumutung mit einem überheblichen Lächeln offeriert.

Natürlich hatte sie abgelehnt. Zu diesen Preisen konnte niemand produzieren, damit konnte man ja nicht einmal die guten Zutaten bezahlen. Das hatte sie versucht klarzumachen, aber ohne Erfolg. Sie war absolut fassungslos, als Herr Merk sie nur noch wütend anblaffte. „Wer meine Preise nicht akzeptiert, wird es bereuen. Entweder Sie verkaufen an mich, zu meinen Bedingungen oder ich vernichte sie!“

Als Rosi in ihre Bäckerei zurück kam, musste sie erst einmal Beruhigungstropfen einnehmen. Ihre Mitarbeiter, damals hatte sie noch Mitarbeiter, versuchten sie auch zu beruhigen. „So schlimm wird es schon nicht kommen.“ Doch es kam noch viel schlimmer. Ab diesem Tag kam die Lebensmittelaufsicht fast regelmäßig, wegen angeblicher Beschwerden.

In den Bewertungsportalen im Internet tauchten negative Äußerungen zu ihren Produkten auf. In einem Leserbrief an die Lokal-Zeitung wurde sogar behauptet. ihre Ware sei nicht wirklich das, was sie vorgebe.

Damit ging zum ersten Mal seit Jahren der Verkauf zurück. Rosi war ratlos. Als sie das Geschäft von ihren Eltern übernommen hatte, ging es immer nur darum, gute Ware anzubieten. Das konnte sie und das tat sie auch noch jetzt.

Aber was konnte sie gegen diese schleichenden Machenschaften tun? Wenn sie sich öffentlich dagegen wenden würde, dann müsste doch jeder annehmen, das seien nur Ausreden.

Also tat sie einfach weiter, was sie immer tat, sie backte, aber ohne Erfolg. Immer mehr Kunden blieben aus. Nach drei Monaten hätte sie ihre Mitarbeiter entlassen müssen, was ihr in der Seele weh tat.

Zum Glück eröffnete am anderen Ende der Stadt gerade eine neue Bäckerei und der Inhaber freute sich, zwei so versierte Mitarbeiter zu bekommen.

Rosi kämpfte weiter, auch wenn es ihr jeden Tag schwerer fiel. Die Freude am Backen, früher ihr Lebenselixier, war ihr irgendwie abhanden gekommen.

Als das Geld noch knapper wurde, zog sie in die kleine Junggesellen-Wohnung über der Backstube und vermietete ihre schöne Drei-Raum-Wohnung. Das verschaffte ihr wieder etwas Zeit, Luft zu holen und ein wenig zu entspannen. Bis vor einem Monat die neue Fabrik für Solaranlagen in Insolvenz ging und die gesamte Belegschaft entließ. Damit verlor sie zunächst die Mieter aus der oberen Etage und jetzt auch noch die letzten aus dem Erdgeschoss.

Rosi stöhnte. Früher war ihr immer so viel eingefallen, um aus einer brenzligen Situation wieder heraus zu kommen. Sie hatte Gleichaltrige belächelt, die über zunehmende Alterserscheinungen klagten. Aber jetzt fühlte sie sich mit ihren 67 Jahren plötzlich auch uralt, ohnmächtig und schwach. Es gab sogar schon Momente, wo sie am liebsten Schluss gemacht hätte. Vermutlich würde es kaum einer merken.

Rosi wusste tief in ihrem Inneren, dass sie das nicht wirklich tun würde, aber heute war einfach alles zu viel! Als das Telefon klingelte, ließ sie es klingeln. „Lasst mich einfach alle in Ruhe!“ Obwohl es niemand hören konnte, hatte sie es laut geschrien.

Erst als der Anrufbeantworter ansprang und sie die Stimme ihrer alten Schulfreundin Gudrun erkannte, sprang sie doch auf und meldete sich am Telefon. „Mensch Rosi, wir haben ja lange nichts voneinander gehört. Du hattest meinen Enkel informiert, dass du ein Haus vermieten willst. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gerne zu dir kommen und mir das ansehen. Ich hätte auch schon einen Vorschlag für die Vermietung, aber lass uns darüber in Ruhe reden. Passt es dir morgen am frühen Nachmittag?“

Rosi brauchte einen Moment, um wieder zu sich zu kommen, aber dann keimte ein kleiner Hoffnungsfunke auf und freudig sagte sie zu.

Als Gudrun am nächsten Tag das Anwesen sah, war sie nicht nur überrascht und erfreut, sie war richtiggehend entzückt. Sie war mit dem Bus bis zu dem neuen Lebensmittelmarkt gefahren. Da es ein schöner sonniger Sommertag war, nicht brütend heiß, sondern angenehm mit einem leichten Lufthauch, ging sie den Rest des Weges zu Fuß.

Was sie erwartet hatte, wäre ein etwas ödes Gewerbegebiet gewesen, aber nicht ein solches Kleinod.

Dichte Hecken aus Thuja und Geißblatt schirmten die Gebäude zur Straße hin ab. Dahinter standen drei große Linden, deren Blätter sich leise im Wind bewegten. Den Eingang bildete ein Torbogen, der über und über mit Rosen bewachsen war, die sicher für den angenehmen Duft sorgten. Nach Bäckerei roch es jedenfalls nicht.

Das Gebäude aus rostroten Ziegelsteinen mit weißen Türen auf der linken Seite schien die alte Backstube zu sein.

Als Gudrun näher kam, sah sie auch den Verkaufsstand durch das Schaufenster. Aber niemand war hier. Jetzt müsste doch eigentlich noch Hochbetrieb sein. Gudrun schüttelte verwundert den Kopf.

Das Haus gegenüber dem Torbogen, kannte sie schon von den Fotos, aber als sie davor stand, kam es ihr noch imposanter vor.

Ein gediegenes altes Bürgerhaus, aber sehr gut erhalten, schätzte sie. Die ursprünglich weiße Farbe war schon etwas nachgedunkelt, leuchtete aber immer noch vor dem vielen Grün. Über dem Erdgeschoss befanden sich möglicherweise zwei Etagen, das würde sie noch genauer prüfen müssen.

Die Backstube und das große Haus bildeten eine L-Form und wurden durch eine weitere Gruppe großer Lindenbäume abgeschlossen.

In der Mitte des Platzes dazwischen befand sich ein Rondell mit Rosen in weiß und rosa und so etwas wie ein Wasserbecken, das aber nicht sprudelte. Hinter den Bäumen schien der Gemüsegarten zu sein, Gudrun konnte lediglich, die Stangen für Kletterbohnen erkennen.

Sie atmete tief die Sommerluft ein, ein so schönes Fleckchen, so ruhig und friedlich. Eigentlich zu ruhig, sollte es hier nicht vor Kunden wimmeln? Als sie ihre Blicke weiter wandern ließ, entdeckte sie Rosi. Zusammen gesunken in einem Korbstuhl, den Kopf in die Hände gestützt, bot sie ein Bild des Jammers.

Gudrun stutzte. So kannte sie Rosi überhaupt nicht. Sie war immer ein fröhlicher Mensch gewesen. Rosi war zwar ein Jahr jünger als sie, aber bis die Eltern die Bäckerei übernahmen und wegzogen, waren sie Nachbarskinder gewesen, die jeden Streich gemeinsam ausheckten. Rosi war manchmal richtig tollkühn gewesen und hatte vor nichts Angst. Wo war diese Lebenslust geblieben? Und sie war schon immer etwas mollig, was ihr aber sehr gut stand. Jetzt schien sie fast abgemagert und die grauen Haare hätten bestimmt auch einen frischen Schnitt gebraucht.

Gudrun räusperte sich leise, trotzdem sah sie wie Rosi erschrocken zusammenzuckte und aufsprang. Da hat aber jemand ein dünnes Nervenkostüm, dachte sie und umarmte ihre alte Freundin.

Rosi freute sich sehr Gudrun zu sehen, schnell wischte sie die letzte Feuchtigkeit von den Wangen und versuchte ein zögerliches Lächeln. „Setz dich zu mir. Ich habe Kaffee vorbereitet und es gibt auch Kuchen. Allerdings weiß ich nicht, ob er schmeckt. Heute habe ich noch nichts verkauft. Aber sag mir doch, wie bist du an meinen Auftrag gekommen?“

Gudrun, die sah, dass Rosi eine kleine Pause brauchte, zeigte ihr Fotos von ihren Enkeln und auch der ersten Urenkelin. „Meinem Enkel gehört das Maklerbüro, an das du geschrieben hast und wo ich manchmal aushelfe. Das ist meine Enkelin, sie ist Lehrerin, aber gerade im Babyjahr. Stell dir vor, für dieses kleine Wesen habe ich meine Wohnung aufgegeben und bin in Hildas Haus gezogen. Meine Wohnung hat jetzt meine Enkelin.“ Auf die fragenden Blicke Rosis hin, plauderte sie munter weiter. „Sag bloß, du hast die ganze Geschichte gar nicht mitbekommen? Hilda war früher in der Redaktion der Lokalzeitung, wir hatten oft miteinander zu tun und haben uns gut verstanden. Hilda hatte sich den Fuß gebrochen und ihr Schwiegersohn, die Luftnummer, hatte nichts Eiligeres zu tun, als ihre Wohnung aufzulösen. Aber nicht mit Hilda!

Als die wieder auf eigenen Füßen stand, hat sie herausgefunden, dass ein Miethai das Haus abreißen und für teure Eigentumswohnungen neu bauen wollte, obwohl es unter Denkmalschutz stand. Er hatte den Baustadtrat bestochen, so dass das unauffällig lief.

Hilda hat uns, also ihre alten Kontakte aktiviert und gegen unsere schnelle Eingreiftruppe, waren selbst solch gewieften Verbrecher machtlos. Aber das Beste kommt noch. Hilda hat genau zu diesem Zeitpunkt im Lotto gewonnen und das Haus gekauft. Natürlich wurde alles in Rekordzeit saniert und jetzt habe ich dort eine sehr schöne altersgerechte Wohnung. Die Eingreiftruppe haben wir natürlich beibehalten. Wir treffen uns dort regelmäßig mit Hilda und Kati, einer Rechtsanwältin. Auch wenn wir nicht mehr die Jüngsten sind, wir haben schon einige Ungerechtigkeiten aufgedeckt und Schweinereien verhindert.“

Rosi blieb vor Staunen der Mund offen stehen. Gab es so etwas wirklich noch? Menschen, die anderen halfen? Sie holte tief Luft und lächelte Gudrun zögernd an. „Ich glaube, dich schickt der Himmel. Mich kann nur noch ein Wunder retten.“

„Oder eine schnelle Eingreiftruppe“, lachte Gudrun. „Also erzähl mir alles. Wo drückt der Schuh?“

Und Rosi redete sich alles von der Seele, wie gut alles gelaufen war, bis der neue Lebensmittelmarkt mit dem fürchterlichen Herrn Merk aufgetaucht war.

Zum Schluss fühlte sie sich tatsächlich schon etwas besser. Gudrun schüttelte empört den Kopf. „Das ist doch echt das Letzte! Was denkt sich dieser Marktleiter eigentlich. Und die Lebensmittelaufsicht tickt auch nicht richtig. Natürlich müssen die jedem Hinweis nachgehen, aber ich denke, wir haben dort einen ähnlichen Fall, wie auf dem Bauamt. Auch im öffentlichen Dienst gibt es faule Eier. Aber wir werden uns damit befassen.

Kommen wir zur Vermietung, vielleicht zeigst du mir erstmal das Haus, damit ich sehen kann, ob es sich für unser Projekt eignet.“

Und Rosi führte sie als erstes durch die Wohnung im Erdgeschoss. Gudrun prüfte fachmännisch die Wände, während sie immer wieder auf den Grundriss schaute. „Könnte man diese Mauer entfernen oder ist das eine tragende Wand?“ „Ich bin kein Fachmann, aber das weiß ich“, lächelte Rosi. „Das ist eine Rigipswand, sie kann ganz leicht entfernt werden. Aber was hast du vor, soll das ein Saal werden?“ „Genau“, nickte Gudrun bekräftigend.

„Was ist eigentlich mit dem Dachgeschoss? Da wäre nach der Zeichnung auch noch etwas Platz.“ „Stimmt“. Rosi strich sich über die Stirn. „Das wollten wir irgendwann mal für unseren Sohn ausbauen. Ist aber leider nichts daraus geworden.“ Auf den fragenden Blick von Gudrun hin, ergänzte sie noch knapp. „Das ist jetzt schon mehr als zwanzig Jahre her, ein Motorradunfall. Daran ist auch meine Ehe zerbrochen.“

Gudrun strich ihr tröstend über die Schultern. „Lass uns nach oben gehen, ich glaube das Haus hat die besten Voraussetzungen für mein Projekt.“

Nachdem Gudrun auch die letzte Ecke des Hauses und auch den Garten gründlich geprüft und bewertet hatte, ließ sie sich mit Rosi wieder auf den Korbstühlen im Innenhof nieder.

„Ich habe kurz überschlagen, was du bisher an Miete eingenommen hast. Unsere Interessenten bieten dir 35% mehr, wenn sie auch das Dachgeschoss, den halben Garten und die Backstube nutzen dürfen.“

Rosi war zunächst sprachlos, aber dann empört. „Aber dann kann ich doch nicht mehr backen, davon lebe ich doch! Ich habe zwar auch eine kleine Rente, aber Backen ist doch mein Leben. Wen schleppst du mir denn da an? Die Konkurrenz vielleicht?“

Gudrun lächelte nur. „Ich bringe dir lauter nette Frauen. Sie backen auch selbst, aber nur Kekse und Plätzchen, die sie über das Internet vertreiben. Und die Backstube würden sie auch nur stundenweise brauchen, ihr könntet euch arrangieren.

Meine Interessenten sind Beginen, die einen neuen Hof für ihr Leben und ihre Beschäftigung suchen. Der bisherige Hof musste verkauft werden, weil der Eigentümer des Grundstück wechselte und der neue hat andere Pläne.“ „Beginen?“ Rosi schaute Gudrun misstrauisch an. „Sind das diese Lesben?“

Jetzt lachte Gudrun laut auf. „Seit wann hast du denn solche moralischen Grundsätze, ich kann mich da an drei heiße Dates mit unterschiedlichen Jungs am gleichen Tag erinnern.“

Auch Rosi erinnerte sich auch und bekam heiße Wangen. Daran hatte sie wirklich lange nicht mehr gedacht. Dann hörte sie Gudrun wieder aufmerksam zu.

„Nein, das ist keine Lesben-Gruppe, obwohl es die bestimmt auch gibt. Beginen gibt es bei uns schon seit dem 13. Jahrhundert, die ersten übrigens 1209 in Köln. Jetzt kann ich ein bisschen mit meinem Wikipedia-Wissen angeben. Ich finde, das war damals wie heute eine gute Möglichkeit, für unverheiratete Frauen oder Witwen, überhaupt eine Unterkunft oder auch Beschäftigung zu finden.

Sie lebten zusammen auf einem Hof, deswegen wäre das hier wirklich ideal, und machten hauptsächlich Handarbeiten, also Weben, Nähen, Sticken und so was. Das machen diese auch, aber außerdem backen sie feines Gebäck. Ihr müsstet euch eigentlich gut verstehen. Also Rosi, haben wir einen Deal?“

Und Rosi schlug erleichtert in die angebotene Hand ein.

An diesem Abend war sie doch überrascht davon, wie viel Hoffnung sie schon verspürte. Gudruns Besuch und ihr Angebot, ließen sie endlich wieder etwas optimistischen an die Zukunft denken.

Und wenn sie an Gudruns Anblick dachte, das schicke hellblaue Kostüm, die glänzenden blonden Haare, fühlte sie sich etwas beschämt.

Gudrun war immerhin ein Jahr älter als sie! Sie seufzte, es war wirklich an der Zeit, sich etwas besser für das Kommende zu präparieren. Was sollten denn die Beginen von ihr denken?

Sie seufzte erneut, griff dann aber bereitwillig zu Shampoo und Haarfön.

Als sich die Meisterin der Beginen am nächsten Tag, begleitet von einer Anwältin, vorstellte, fühlte sich Rosi schon nicht mehr wie Aschenputtels Großmutter und zeigte ihnen gerne die Räume.

Natürlich horchte sie auch interessiert auf alles, was verändert werden würde. Sie war angenehm überrascht, wie normal die Frauen aussahen, keine handgewebten Leinenkleider, keine Schafwollstrümpfe oder Birkenstock-Schuhe. Sie sahen auch nicht sektenmäßig aus, eher wie früher ihre Handarbeitslehrerinnen. Felicitas, die Meisterin, erläuterte noch einmal ihr Anliegen und erklärte genauer, wo sie Umgestaltungsarbeiten vornehmen wollten, um aus dem Anwesen einen echten Beginenhof zu machen.

Rosi, die immer noch etwas misstrauisch war, hörte doch sehr erleichtert, dass es überwiegend um Renovierung ging und die Frauen alle Arbeiten selbst vornehmen würden. „Wenn wir uns einig sind, könnten wir den Vertrag unterzeichnen. Ich zahle Ihnen sofort die erste Miete und morgen kommen meine Schwestern, um mit den Arbeiten zu beginnen.“

Als Rosi nickte, unterschrieb die Meisterin als erste und legte dann das Geld auf den Tisch, das Rosi wieder ruhigere Nächte bescheren würde. Allerdings waren die jetzt wieder genauso kurz, wie früher, als sie schon im Morgengrauen in die Backstube musste.

Denn die Beginen schienen Frühaufsteher zu sein. Seitdem sie mit einem Campingwagen auf dem Hof erschienen waren, wuselten sie im Haus herum und werkelten vor allem in der ersten Etage.

Rosi wusste, dort sollten vier Schlafräume und ein Büroraum entstehen. Auch im Dachgeschoss, das im Rohbau schon fertig war, waren vier Schlafräume geplant. Also würden wahrscheinlich acht Frauen hier einziehen.

Rosi gefiel der Gedanke, nicht mehr allein zu sein und auch jemanden zum Reden zu finden. Außerdem war es beruhigend, falls sie mal krank werden sollte, jemand in der Nähe zu haben, der helfen konnte. Denn die Meisterin hatte ihr erzählt, sie hätten auch eine Heilerin in ihrer Gruppe.

Was die Beginen genau in dem Haus machten, bekam Rosi zunächst gar nicht mit, weil sie auf Gudruns Einladung hin in die Stadt fuhr, um Hildas Eingreiftruppe mit den nötigen Informationen zu versorgen. Kurzerhand hatte sie die Bäckerei für eine Woche geschlossen, was kein großer Verlust war, wie sie wusste. Es kam ja sowieso keiner mehr.

Bei Hildas Eingreiftruppe war sie angenehm überrascht, wie sachkundig die Frauen ihr Problem diskutierten, obwohl einige sehr viel älter sein mussten als sie. Besonders Hilda mit ihren gepflegten, silberblau getönten Haaren, hinterließ einen sehr großen Eindruck bei ihr. Rosi bekam kein Mitleid, das hätte sie auch nicht ertragen, aber die Empörung der anderen darüber, wie man ihr zugesetzt hatte, tat doch gut.

Anschließend vereinbarte sie noch einen Termin bei der Anwältin in Hildas Haus, weil sie von allen ermuntert worden war, die Auflagen der Lebensmittelaufsicht rechtlich prüfen zu lassen.

Höchst zufrieden mit sich und diesem Tag, ging sie auch noch zum Frisör. Älter zu werden war wirklich kein Grund, sich zu vernachlässigen. Das war ihr bei Hildas Frauen noch einmal klargeworden und das Silberblau würde ihr bestimmt auch gut stehen.

Nachdem diese Woche fast vorüber war, erhielt sie Besuch von der Meisterin, die ihr den Umzug der restlichen Gruppe für den nächsten Tag ankündigte und sie einlud, am Nachmittag mit ihnen zu feiern. Rosi, die sich in dieser Woche wie im Urlaub gefühlt hatte, freute sich, ihre Backstube wieder übernehmen zu können. Nachdem sie gründlich sauber gemacht hatte und sich am Gesang der Beginen freute, die die letzten Renovierungsarbeiten beendeten, kam ihr eine Idee. Irgendwo hatte sie gelesen, dass man neue Nachbarn mit Brot und Salz begrüßte. Das gute Fleur de Sel hatte sie noch und Brot war schließlich ihre Domäne.

Fröhlich pfeifend machte sie sich an die Arbeit. Im Nebenraum hatte sie noch ausreichend Sauerteig und so rührte sie fleißig den Brotteig an. Sie hatte lange experimentiert, bis sie aus dem Roggenmehl vom Bio-Bauern ein wirklich lockeres Brot bekam, das auch gut aufging. Auch wenn das mehr Zeit benötigte, es lohnte sich. Mittlerweile waren ihr die notwendigen Handgriffe in Fleisch und Blut übergegangen. Wenn alles gut ging, würde sie den Teig morgen vor dem Frühstück rundwirken und Laibe formen. Nach zwei Stunden konnten sie dann in den Ofen und wären zur Feier der Beginen auch schon wieder abgekühlt.

Als sie die Brote am nächsten Tag aus dem Ofen zog, fühlte sie sich fast wieder so gut, wie vor einem halben Jahr. Schon der Geruch des Brotes, den sie tief einsog, machte sie zufriedener als irgendein Lottogewinn. Obwohl das auch nicht schlecht wäre, im Lotto so viel zu gewinnen, wie Hilda. Und wie klug sie es angelegt hatte. Wenn sie mit achtzig auch noch so clever sein könnte, das wäre schon toll, überlegte sie.

Aber jetzt ging es erst einmal darum, die Bäckerei wieder ins Laufen zu bringen und die Kunden zurückzuholen.

Sie wusste noch nicht genau wie, aber so einfach aufzugeben, kam nicht in Frage. Sie würde es machen wie Hildas Eingreiftruppe und kämpfen.

Am Nachmittag legte sie die beiden Brotlaibe auf ein Holztablett, fügte eine kleine Schale mit Meersalz hinzu und deckte beides mit einer Leinenserviette ab, die noch aus den Beständen ihrer Großmutter stammte. Dann trug sie beides in das große Haus, um die Beginen offiziell zu begrüßen.

Schon im Eingang staunte sie. Alles war in sanften Pastellfarben frisch gemalert, roch aber kaum nach Farbe, sondern eher angenehm nach Zitrone.

Aus ihrer früheren Küche und dem angrenzenden Wohnzimmer war ein großer Speisesaal entstanden, in dem die Beginen an einem langen Holztisch saßen. Rosi überreichte der Meisterin ihren Willkommensgruß und staunte die Frauengruppe an, die ihr Felicitas vorstellte. „Das ist Jasmin, unsere Bäckerin“, erklärte sie, während sich eine schlanke, hübsche Schwarzhaarige erhob und ihr erfreut die Hand schüttelte. „Jasmin heißt im Persischen die Blume und von dort kommt sie auch her.“

Neben der Bäckerin stand eine junge, blonde Frau, die so strahlte, dass es fast wie ein Leuchten erschien. „Das ist Valeria, unsere Heilerin. Sie kommt aus Süddeutschland und ist wie ihr Name schon sagt, gesund. Natürlich sorgt sie auch dafür, dass wir es bleiben, aber sie behandelt auch Kranke. Allerdings kommen die nicht hierher, sie macht Hausbesuche.“

Neben der schlanken Heilerin erhob sich eine Frau, die man früher als Heroine, als Heldendarstellerin, bezeichnet hätte, dachte Rosi. Bestimmt größer als 1,90 m, aber durchtrainiert und kräftig.

„Das ist Florentine, genannt Flo. Sie kommt aus den Niederlanden und ist eigentlich unsere Gärtnerin, zurzeit aber war sie eher als Bauleiterin dafür zuständig, dass wir pünktlich fertig wurden.“

Rosi kam mit dem Händeschütteln kaum nach, als ihr auch noch Henny, die Köchin aus dem Elsass und Dörte, die Weberin aus Norddeutschland vorgestellt wurden. Zum Schluss erhoben sich noch zwei sehr junge Frauen mit blonden Zöpfen. „Das sind Finja und Lillemor, sie kommen aus Estland und absolvieren bei uns so eine Art Praktikum. Später sollen sie einen Beginenhof in der Nähe von Tallinn aufbauen.“ Als man sich wieder setzte und nach altem Brauch das Brot brach, reagierten die Beginen mit einem regelrechten Begeisterungssturm.

„Das ist das beste Brot, was ich je gegessen habe.“ „Haben Sie geheime Zutaten? Irgendetwas ist anders an diesem Brot!“

Rosi konnte sich die Begeisterung gar nicht erklären, aber als sie selbst kostete, lehnte sie sich zurück und seufzte glücklich. „So hat das Brot geschmeckt, als meine Mutter noch gebacken hat. Bei mir war es nie so besonders würzig, so wie heute.“ „Aber woran kann es liegen?“ Jasmin hatte verständlicherweise das größte Interesse, schüttelte aber auch nur verwundert den Kopf, als Rosi die Zutatenliste herunterrasselte.

„War heute irgendetwas anders in der Backstube?“ „ Oder haben sie länger geknetet?“ Auch Finja und Lillemor suchten nach Gründen.

Aber Rosi schüttelte nur ratlos den Kopf. Valeria, die Heilerin, hatte sich die Diskussion eine Weile angehört, bis sie sich zu Wort meldete. „Ich glaube, es hat etwas mit Energie zu tun. Vielleicht haben Sie eine besondere Kraft in den Händen?“ Während sie noch sprach, hielt sie eine Handfläche über Rosis Hand. Die spürte sofort die starke Energie, aber Valeria schüttelte den Kopf. „Sie haben eine wirklich gute Energie, aber auch nicht mehr, als meine Schwestern. Das ist es also nicht. Was haben Sie während des Backens gemacht?“

Rosi grinste. „Ich habe gepfiffen, weil ich mich so gefreut habe. Ich glaube das war es.

Meine Mutter hat immer gesagt: Gutes Brot braucht vier Dinge – Saubere Hände, eine saubere Schürze, gute Zutaten und gute Laune.“

„Genau, und die Energie der guten Laune, die reine Freude ist in den Teig hineingeflossen. Man kann das Wunder also wiederholen.“ Valeria strahlte über diese Gewissheit genauso wie Rosi.

„Ich sage das meinen Schwestern auch immer, dass die gute Energie, alles was wir herstellen, besser macht. Jetzt werden sie es eher glauben.“

„Ich glaube das schon“, rief Flo, „meine Pflanzen wachsen schneller, wenn ich sie lobe oder wenn ich ihnen schöne Musik vorspiele, am liebsten Walzer mit Andre Rieu.“

Rosi wurde nachdenklich, denn vor einem halben Jahr war es ihr doch auch gut gegangen. Aber wenn sie es genauer betrachtete, war da immer die Verantwortung gewesen, für die Mitarbeiter, für die Steuer, für die Kunden, für wen auch immer. Jetzt mit dieser langfristigen Vermietung war sie zum allerersten Mal frei von allen finanziellen Sorgen. Und ihre Bäckerei würde sie sich auch zurückholen.

Natürlich bekam Rosi noch eine Führung durch das Haus, bei dem sie echt überrascht war, wie viel die Frauen in der kurzen Zeit geschafft hatten. Im Raum neben dem Speisesaal standen schon zwei Webstühle und drei Klöppelkissen. An den Wänden gab es hohe Regale, mit Handarbeitszubehör in allen Farben. In der ersten Eta