Die Silver Girls - Elfi Sinn - E-Book

Die Silver Girls E-Book

Elfi Sinn

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Beschreibung

Gibt es ein Leben jenseits der 65? Ein Leben, das auch noch Spaß, Abenteuer, heiße Nächte und mehr verspricht? Dieser Frage gehen Sonja Keller und ihre vier Freundinnen Ellen, Karla, Annie und Vera nach. Sie kennen sich aus der Schule und waren früher die berüchtigten Petticoat Girls. Später haben sie sich aus den Augen verloren, aber jetzt wo sie mehr oder weniger freiwillig in Rente geschickt wurden, finden sie wieder zusammen. Gemeinsam nach neuen Lebensinhalten suchend, beginnen sie, ein Programm gegen den Jugendschwund umzusetzen und widmen sich all jenen Bereichen, die Frauen lange jung und unternehmungslustig halten.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

1. Kapitel,

in dem alles mit einem Programm gegen Jugendschwund beginnt

„Wenn doch der Tag erst vorbei wäre!“

Sonja Keller quälte sich aus ihrem Bett. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass wenigstens der Vormittag schon fast vorüber war.

Vergessen war die Zeit, da sie pünktlich mit dem ersten Ton des Weckers regelrecht aus ihrem Bett sprang, um für sich und ihren Mann das Frühstück vorzubereiten und dann arbeiten zu gehen.

Ihr Frank war eines Tages einfach nicht mehr aufgewacht.

Herzversagen, hatte der Arzt erklärt. Dabei hatten sie immer gesund gelebt und Frank war sogar viel sportlicher gewesen als sie, aber natürlich brachte seine Arbeit als Rettungssanitäter viel Stress mit sich.

„Du fehlst mir immer noch“, murmelte sie fast vorwurfsvoll mit Blick auf sein Foto, das auf ihrem Nachttisch stand. Mehr als zwei Jahre war sie jetzt schon alleine. Anfangs hatte sie sich in die Arbeit in der medizinischen Dokumentation gestürzt, um den Schmerz zu dämpfen, aber dann vor einem Jahr wurde ein neuer Leiter in ihrem Bereich eingesetzt. Ein richtiger Überflieger, mit hervorragenden Abschlüssen und noch besseren Beziehungen und ehe sie wusste, was geschah, war sie vorzeitig in Rente geschickt worden.

Angeblich war sie mit fast 64 zu alt für die Aufgaben, die sie bisher mit Bravour gemeistert hatte.

Das hatte Sonja nicht nur den Boden unter den Füßen weggezogen, sondern ihr auch jegliche Orientierung genommen.

Sie wusste, dass sie sich manchmal gehen ließ. Aber warum sollte sie morgens aufstehen, wenn doch niemand sie brauchte?

Warum sollte sie kochen? Für sie alleine lohnte es doch nicht.

Warum sollte sie sich nicht ab und zu ein Gläschen Wein mehr gönnen? Damit konnte sie wenigstens schlafen und wälzte sich nicht stundenlang frustriert im Bett.

Sie schaute zum Fenster, durch das die Sonne hereinschien, immer noch unschlüssig, was sie machen sollte. Das satte Grün und die bunten Blumen des späten Frühlings nahm sie kaum wahr. Sie schaute wieder zum Foto ihres Mannes.

Wenn sie ganz ehrlich war, und das war sie ab und zu mit sich selbst, war die schlimmste Trauer schon einer Art Wehmut gewichen, einer stillen Resignation. Was ihr mehr zu schaffen machte, war die Langeweile des Tages, der vor ihr lag.

Die große, grüne Langeweile! Sonja musste schmunzeln, als sie an den russischen Märchenfilm „Feuer, Wasser und Posaunen“ dachte, in dem der Wassermann auch die große, grüne Langeweile am meisten fürchtete.

Das Lächeln fühlte sich ungewohnt an. Wann habe ich eigentlich das letzte Mal richtig gelacht?

Ihr Blick fiel auf den Kalender, den sie aufrecht an das Fenster gelehnt hatte, damit sie ihn gleich sehen würde. Richtig!

Heute kam Ellen, ihre beste Freundin zurück in ihre Heimatstadt. Eine Nacht würde sie bei Sonja bleiben und morgen käme der Umzugswagen, hatte sie am Telefon erzählt.

Es wird schön sein, Ellen wieder hier zu haben, sinnierte Sonja, vielleicht war das der Moment, wieder die Kurve zu kriegen.

Mit mehr Schwung als üblich ging sie ins Bad, denn jetzt hatte sie zu tun, wie schön!

Mit kritischen Blicken musterte sie ihr Bad, als sie aus der Dusche trat. Sah das schon immer so vernachlässigt aus? Was sollte Ellen von ihr denken? Schneller als sonst trocknete sie sich ab und cremte sich sorgfältig ein. Beim Frisieren betrachtete sie auch ihre müden Züge und die Augenringe kritisch. Früher hatten ihre braunen Augen unternehmungslustig gefunkelt, jetzt waren sie nur noch glanzlos. Irgendwie hatte ich mich jünger in Erinnerung, dachte sie ironisch. Aber das war kein Problem, das man mit einem guten Abdeckstift nicht in den Griff bekäme.

Zum Glück hatten ihre Haare noch immer eine schöne braungoldene Farbe, die Frank immer Herbstgold genannt hatte, und nur an den Schläfen silberne Fäden.

Jetzt noch einen starken Kaffee und dann war eine Schnellreinigung der Wohnung und besonders des Gästezimmers angesagt.

Ein wenig abgehetzt stand sie dann Stunden später am Bahnhof und schloss ihre längste und beste Freundin Ellen in die Arme.

Ellen sah eigentlich aus wie immer, hochgewachsen und schlank. Immer noch hellblonde halblange Haare, die aber schon ein wenig silbern schimmerten und gut zu ihren strahlend blauen Augen passten. Und sie lächelte, als hätte es nie Probleme gegeben. Offensichtlich war sie gut mit der hässlichen Scheidung fertiggeworden, dachte Sonja. Sie sieht jünger aus als ich, dabei sind wir doch beinahe gleichaltrig.

Auch Ellen musterte sie, überrascht von den Zeichen der Zeit, die vorher nie so deutlich waren und witzelte: „Wo ist der Dura-cell-Hase?“

Sonja schaute sie irritiert an, aber Ellen lachte nur über die verdutzte Miene. „Na, der Hase mit der unendlichen Energie, so warst du doch früher.“

Das öffnete sämtliche Schleusen bei Sonja und die Tränen, die sie so lange zurückgehalten hatte, flossen reichlich. Ellen war regelrecht erschüttert, hielt sich aber zurück und umarmte sie tröstend.

„Komm lass uns einen Kaffee trinken und ein wenig beim Kuchen sündigen, dann geht es uns gleich besser. Danach können wir immer noch zu dir fahren.“

„Das Schlimmste ist“, erzählte Sonja, als sie in dem gemütlichen Cafe saßen, „dass mich keiner mehr braucht. Mein Sohn wohnt schon ewig in Los Angeles, mit den Enkeln konnte ich kaum warm werden, so lange habe ich sie schon nicht gesehen. Ich will mich ja keinem aufdrängen. Und Freunde? Wahrscheinlich bin ich früher zu sehr in meiner Arbeit aufgegangen und jetzt ist es eh zu spät, um noch neue Freunde zu finden.“

Ellen lachte und tätschelte ihr die Schulter.

„Dann ist es ja gut, wenn man alte Freunde hat, die sowas auch schon erlebt haben. Ich denke, wir machen eine kleine Programmänderung. Gleich um die Ecke gibt es ein kleines Spa, ich kenne die Besitzerin. Wir lassen uns jetzt beide ein wenig verwöhnen, etwas Kosmetik, eine Massage, dann sieht die Welt gleich ganz anders aus.“

„Hast du etwa im Lotto gewonnen?“ Sonja schaute ihre Freundin misstrauisch an. „Das ist doch alles viel zu teuer!“

Aber Ellen lachte nur. „Ich habe ein wenig extra verdient und außerdem spare ich das Hotelzimmer, wenn ich bei dir übernachte. Also los. Und anschließend machen wir bei dir einen gepflegten Weiberabend nach dem Motto: Wein, Weib…

„Und Geheul“, setzte Sonja den alten Schlachtruf fort.

„Nein, heute ohne Geheul!“ Lachend zog Ellen ihre Freundin weiter.

Am Abend, nach einem guten Essen und einer noch besseren Flasche Wein, begann Ellen zu erzählen, was sie sich für die nächsten Jahre noch vornehmen wollte.

Sonja, die gerade begann, den Abend zu genießen, an dem sie endlich einmal nicht allein war, konnte es nicht fassen.

„Das kann doch nicht wahr sein! Du willst wirklich wieder in die Platte ziehen. Kannst du dich nicht mehr daran erinnern, wie glücklich wir damals waren. Endlich richtige Wohnungen, wo du nicht mehr hörst, was der Nachbar seiner Frau gerade vorhält? Glaubst du wirklich, sowas geht dort auch?“

Sonja wies auf ihr gemütliches Wohnzimmer in gedämpften Herbstfarben, in dem sich klassische Möbel, einige wenige Antiquitäten und Stuck an der Decke vorteilhaft ergänzten.

Vorwurfsvoll sah sie Ellen an, die es sich gerade in dem großen Sessel bequem gemacht hatte, an ihrem Wein nippte und lächelte. „Wenn du die Wohnungen gesehen hättest, die ich kenne, dann wüsstest du, dass die Platte so schlecht auch nicht war.

Außerdem sind heute schon viele so saniert, dass man dort sogar ruhiger wohnt, als in manchem Neubau.“

Sonja wusste, dass die Fachkenntnis auf Ellens Seite war, schließlich hatte sie viele Jahre in einer Wohnungsgesellschaft gearbeitet. „Ich weiß ja, dass du die Fachfrau bist, aber warum ausgerechnet die Platte und dann noch in einer Gegend, die kein Mensch kennt?“

Ellen zog ein reichlich zerknittertes Blatt aus ihrer Tasche und reichte es Sonja. „Deswegen mache ich das!“

Sonja starrte auf das Blatt aus einer Zeitschrift. „Aber da steht „Fünfzig und was nun? Was hat das mit dir zu tun? Du bist 65, genau wie ich.“

Ellen lehnte sich bequem zurück. „Natürlich weiß ich, wie alt ich bin, ich spüre das schließlich jeden Morgen.

Aber dieses Programm für die zweite Lebenshälfte hat mich fasziniert. Älter werden, ohne die lästigen Beschwerden und Einschränkungen, auch jetzt noch etwas bewegen zu können.

Das ist mein größter Wunsch. Noch mal jung, will ich gar nicht sein, aber gesund bleiben und den Jugendschwund ein bisschen aufhalten. Bisher hatte ich nie die Zeit, wirklich etwas für mich zu tun. Aber jetzt! Deshalb habe ich das Programm für mein Alter umgeschrieben und diese Punkte werde ich umsetzten.“

Sie drückte Sonja ein Blatt mit 10 Maßnahmen in die Hand.

„Das ist meine neue To-do-Liste. Du kannst das behalten, falls du mitmachen möchtest.“ Aber Sonja winkte nur ab und starrte auf die Seite mit dem Titel:

65 und was nun? - Programm für die 2. Hälfte

Ernährung auf den Bedarf von 65 plus umstellen

Finanzielle Sicherheit schaffen

Ballast abwerfen

Körperliche Fitness trainieren

Geistige Fitness pflegen

Sexuelles Feuer wieder entfachen

Rechtlich für Betreuung und Pflege vorsorgen

Entscheidung zum Wohnumfeld treffen

Sich pflegen und verwöhnen

Spaß und Abenteuer planen

Nachdem Sonja die Punkte überflogen hatte, war sie wider Willen doch beeindruckt. Eigentlich gar nicht schlecht, so eine Orientierung.

Ellen deutete auf ihr Programm.

„Siehst du, der 8. Punkt betrifft das passende Wohnumfeld. Man soll sich rechtzeitig entscheiden, wie das künftige Wohnumfeld aussehen soll. Will ich in 20 Jahren noch die große Wohnung putzen und die horrende Miete zahlen, für wen? Ich musste mich verkleinern und will es auch. Außerdem wollte ich wieder dort wohnen, wo ich Menschen gut kenne und mag. Und das ist hier.“

Sie lehnte sich zurück und strahlte Sonja so an, dass die gar nicht anders konnte, als ihr zuzustimmen. „Es ist super, dass du wieder da bist. Und natürlich hast du recht. Wer weiß, wie wir uns in zwanzig Jahren fühlen. Auf meinen Sohn kann ich mich da nicht verlassen. Der ist viel zu weit weg.“

„Ich schätze, das geht allen so. Man will ja keinem zur Last fallen. Selbst wenn wir völlig gesund bleiben. Und auch dazu bin ich fest entschlossen. Das Haus, in das ich morgen ziehe, bietet andere Wohnformen für Ältere. Dort kann ich etwas völlig Neues ausprobieren.“

Während Sonja sie immer noch verwundert ansah, breitete Ellen Fotos und Grundrisse des Hauses auf dem Tisch aus.

„Das wird eine Senioren-WG der besonderen Art. In diesem Wohnblock gibt es 1-und 2-Raum-Wohnungen, ausschließlich für Alleinstehende. Jeder hat seine eigene Wohnung, aber für alle ist im Erdgeschoss ein Gemeinschaftsraum, in dem man sich treffen kann. Natürlich gibt es alle notwendigen Notrufeinrichtungen und ärztliche Versorgung.“

„Das hört sich für mich fürchterlich an, wie ein Pflegeheim!“

Sonja schüttelte sich etwas übertrieben.

Aber Ellen lachte nur. „Für mich klingt das eher wie Ferienlager oder Jugendherberge. Wer will, kann sich jederzeit zurückziehen, aber wer Spaß an Gesellschaft hat, findet immer jemand zum Klönen. Ich wünsche mir, wieder mal gemeinsam zu singen. So wie früher.“

Auch Sonja musste jetzt lächeln. „Du meinst damals, als wir noch die berüchtigten Petticoat Girls waren und eine Party ohne uns gar nicht möglich sein konnte“.

Daran hatte sie lange nicht mehr gedacht. Damals waren sie eine kleine Sensation gewesen.

Eigentlich war die Musik der Fünfziger schon wieder unmodern gewesen, aber sie hatten mit ihren Auftritten diese etwas aufmüpfige Zeit für viele zurückgeholt und einen tollen Mix aus Elvis Presley, Bill Haley, Ted Herold und Lolita geschaffen.

„Das waren echt tolle Zeiten, wir im roten Tupfenkleid, weiße Petticoats und eine Taille von 62. Aber gesungen haben wir wirklich gut. Auch wenn es nicht jedem gepasst hat. Hast du eigentlich mal was von den anderen gehört?“ Ellen beugte sich interessiert vor, aber Sonja winkte nur ab.

Sie studierte immer noch die Liste.

„Wenn du jetzt beim 8. Punkt bist, bleiben ja nur noch zwei.“

„Schön wär`s.“ Ellen lachte vergnügt. „Das ist eigentlich die erste Sache, die ich ernsthaft durchziehe. Für die anderen brauche ich Hilfe oder auch jemanden, der mitmacht.“

Sonja fühlte den Wink mit dem Zaunpfahl, zögerte aber noch.

„Lass uns erst mal schlafen gehen. Du hast morgen einen anstrengenden Tag. Und dann sehen wir weiter. Aber es ist so schön, dich wieder hier zu haben.“

Am nächsten Morgen staunte Sonja, als sie Ellens künftige Wohngegend betrachtete. Vier Blocks mit jeweils sechs Etagen lagen in einem kleinen hübschen Park mit großen, alten Bäumen und blühenden Sträuchern.

„Also so schlimm, wie ich befürchtete, sieht es nicht aus. Das ganze Grün, das ist ja wie auf dem Land. Und so viel Platz zwischen den Blocks.“

„Außer den Blocks für das Senioren-Wohnprojekts gibt es hier auch wenig. Aber hinter den Bäumen ist eine kleine City mit jeder Menge Einkaufsmöglichkeiten. Sonst gibt es hier nur noch Protz-Villen.“ Ellen deutete nach rechts, wo man an einem größeren See ausladende weiße Villen erkennen konnte.

Im Haus selbst glänzte alles und roch neu. Sonja geriet erneut ins Staunen, wie großzügig und sauber alles verarbeitet war. Die Wohnungen waren hell und gut geschnitten, so dass mehr Platz als erwartet zur Verfügung stand und als endlich der Umzugswagen kam, konnte sie erneut das Organisationstalent ihrer Freundin bewundern. Ellen hatte alles bis ins Kleinste geplant, genau festgelegt, wo ihre Möbel zu stehen hatten und wo welche Kiste gebraucht wurde.

In kürzester Zeit hatten sie die ersten Kisten für die Küche ausgeräumt und den Inhalt in den neuen Schränken verstaut. Auch der Kleiderschrank stellte kein Problem dar. Sonja kam aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Hätten ihre Kleider überhaupt in diesem Schrank Platz gehabt? Ganz sicher nicht. Vielleicht sollte sie auch mal ein wenig aussortieren?

Als sie fast fertig waren, reckte Sonja ihren schmerzenden Rücken und schaute sich im Wohnzimmer um. „Bleibt das jetzt so? Also wohnlich ist das nicht!“

Ellen grinste nur.“Wozu habe ich dich? Du hast von solchen Sachen viel mehr Ahnung als ich. Weiter auspacken kann ich auch später noch. Komm wir gehen einkaufen.“

Zwei Tage später dekorierte Ellen nach Sonjas Anweisungen das Wohnzimmer so, dass es gemütlicher wurde.

„Ach Sonja, du hast wirklich ein Händchen für Farben und Gestaltung. Alleine hätte ich das nicht hingekriegt.“

Sonja freute sich über die Anerkennung, schließlich hatte sie in der kurzen Zeit ausreichend Vorhänge, Kissen und Decken in unterschiedlichen Blautönen genäht und Bilder mit Seemotiven gestaltet, die den Raum heimeliger machten und Ellen immer an die Küste erinnerten, die sie besonders liebte.

Für die kleine Küche hatte sie kurze Vorhänge und Backhandschuhe aus Blaudruck gefertigt und vielleicht auch ein wenig gehofft, in den Genuss von Ellens Backkünsten zu kommen.

Es war viel Arbeit gewesen, aber es war ihr leicht von der Hand gegangen. Und sie hatte nicht ein einziges Mal zur Uhr gesehen und geseufzt, der Tag möge endlich vorbei sein. Fast wie früher, dachte sie. Mir fehlt das sehr.

2. Kapitel,

in dem zu erfahren ist, dass manchmal weniger mehr ist, dass Liebe jünger macht und erstaunlich gut schmeckt

Wieder zu Hause ging Sonja das Vorhaben von Ellen nicht mehr aus dem Kopf. So eine Orientierung könnte ihrem Leben auch wieder eine Richtung geben. Schön, wenn man morgens aufwacht und weiß, welche Aufgabe wartet.

Wie nach Anregungen suchend, ging sie durch die Wohnung.

Hier müsste sich auch einiges ändern. Ballast abwerfen! Das stand in Ellens Programm.

Genau das brauche ich auch, dachte sie, als sie ihren überquellenden Kleiderschrank betrachtete und in Gedanken mit dem von Ellen verglich. Alles passte farblich gut zusammen und alles waren Sommerfarben, mit denen Ellen am besten aussah.

Wahrscheinlich hatte sie eine Farb- und Stilberatung. Sowas habe ich doch auch mal gelernt! Irgendwo ist bestimmt noch mein Farbenpass. Ja, früher hatte sie sich beim Einkaufen immer an leuchtenden Herbstfarben orientiert. Aber irgendwann nach Franks Tod war alles grau in grau geworden, wie ihre Stimmung. Das muss anders werden, entschied sie.

Ich muss Platz machen für Neues, in meinem Kleiderschrank, in meiner Wohnung und in meinem Leben. Am besten jetzt gleich, dachte sie und begann den Kleiderschrank völlig auszuräumen und neu nach passend und unpassend zu sortieren.

Nachdem sie vier Kisten mit ungeliebter Kleidung gefüllt hatte, räumte sie ihren Schrank wieder ein und freute sich an dem Anblick.

Alles war nach ihren Herbst-Farben sortiert und praktisch zusammengestellt, so dass man mit einem Griff ein passendes Outfit zur Verfügung hatte.

Eigentlich hätte sie nach den ganzen Anstrengungen müde sein müssen, aber sie fühlte sich so energiegeladen, fast wie früher.

Also nahm sie sich nach einem leichten Essen etwas vor, was sie lange vor sich hergeschoben hatte. Sie räumte die Sachen ihres Mannes aus.

„Du verstehst das doch“, murmelte sie mit Blick auf sein Foto, „du bleibst in meinem Herzen, aber jetzt muss ich dich loslassen und weiter leben.“

An die Stelle des zweiten Bettes, das sie in den Abstellraum gebracht hatte, kam ihre Nähmaschine, für die sie vorher kaum Platz gehabt hatte. Mit einem kleinen Schrank und einem Regal für das Zubehör hatte sie jetzt einen richtig einladenden Arbeitsplatz, nur für sich.

Obwohl sie mittlerweile doch spürte, dass sie nicht mehr zwanzig war, entschied sie sich auch noch gründlich zu lüften und zu putzen. In dieser Nacht schlief sie tief und fest, ohne Wein und ohne Frust.

Am nächsten Tag, als das Schlafzimmer, auch unter ihren strengen Blicken, endlich leichter, luftiger und piecksauber war, nahm sie sich die Bücher im Wohnzimmer vor.

Alles, was sie jetzt noch lesen wollte, waren nette Bücher, in denen die Menschen freundlich miteinander umgingen, die Probleme wirklich zu lösen waren und die Leserin mit einem Happy-End belohnt wurde.

Die medizinischen Fachbücher von Frank wanderten in eine der unzähligen Kisten, die sie aus dem Keller geholt hatte. Von Krankheiten wollte sie eigentlich überhaupt nichts wissen, es genügte schon, von der Schwägerin ständig über den aktuellen Stand ihrer unzähligen Gebrechen informiert zu werden.

Auch Sonjas früher unverzichtbare Fachliteratur ging den gleichen Weg, aber alle Bücher, die sie zu Farbgestaltung, Stil oder auch zu Nähtechniken fand, wurden wie lange vermisste Freunde begrüßt und blieben im Regal.

Sogar einige Farbenpässe und passende Tücher hatten sich unter den Unterlagen ihres Mannes noch angefunden, als ob sie auf das gewartet hätten, was sich Sonja jetzt schon ausmalte.

Während sie gerade überlegte, was sie eigentlich mit den Kleidern und den Bücher machen könnte, rief Ellen an. „Hast du morgen Abend Zeit? Ich habe eine Überraschung für dich.“

Sonja lächelte fast bei der Frage. „Natürlich habe ich Zeit, worum geht es denn?“

„Wir sind eingeladen. Ich habe Annie gefunden und sie ist tatsächlich eine Fachfrau für die erste Maßnahme. Also hat sie uns zum Essen eingeladen. Karla kommt auch. Am besten hole ich dich gegen 17.00 Uhr ab und wir gehen gemeinsam.“

„Du meinst wirklich die, mit der wilden roten Mähne, die wir immer „Annie, get your gun“ gerufen haben?“

„Genau die“, bestätigte Ellen lachend. „Es sieht so aus, als hätte ich doch noch einige Mitstreiter für mein Programm. Also bis morgen.“

Sonja wandte sich wieder ihren Kisten zu. Eigentlich sind die Sachen viel zu schade zum Wegwerfen, dachte sie.

Noch war Platz im Abstellraum, in den sie alles brachte, während sich in ihrem Kopf eine neue Idee abzeichnete.

Am nächsten Tag steuerten Sonja und Ellen, mit Blumen und Wein gut vorbereitet, ein Haus in einem älteren Stadtviertel an.

“Hier ist bestimmt seit Jahren nichts verändert worden, es sieht alles so düster aus.“ Sonja sah sich um, hier würde sie abends nicht alleine langgehen.

Von Annie, deren rote Haare sich immer noch so wild lockten wie früher, wurden sie herzlich empfangen. Ihre hellgrünen Augen strahlten mit ihrem Lächeln um die Wette.

„Kommt herein, Karla wartet schon auf euch. Aber lasst euch erst mal anschauen. Wir haben uns ewig nicht gesehen, aber euch beide hätte ich sofort wiedererkannt. Eigentlich ist es eine Schande, dass wir in einer Stadt leben und Ellen muss erst von außerhalb kommen, um uns wieder zusammen zu bringen.“

Lächelnd schob Annie ihre Gäste ins Wohnzimmer, wo an einem großen, runden Tisch unverkennbar die schwarze Karla saß. Neugierig erhob sie sich und kam ihnen lächelnd entgegen.

Ihre Augen waren immer noch dunkelbraun, wie Schokolade, nur ihre Haare waren nicht mehr schwarz, sondern von hellem silbergrau. Auch sie freute sich und umarmte die Neuankömmlinge herzlich.

„Jetzt ist die alte Bande fast wieder zusammen. Nur Petticoat-Girls sind wir nicht mehr, eher Silver Girls.“ Karla deutete auf ihre Haare. „Trotzdem fühle ich mich gleich vierzig Jahre jünger, könnte Rock `n Roll tanzen oder singen. See you later, Alligator.“

Und die drei antworteten wie früher. „In a while, crocodile.“

„Super, das klappt immer noch“, freute sich Annie. „Setzt euch erstmal, darauf müssen wir anstoßen!“

Als alle ihren Wein hatten, schlug Annie vor, auf Ellens Programm zu trinken. „Ohne diese fantastische Idee wäre Ellen nicht zurückgekommen und wir hätten uns nicht getroffen.“

Alle stimmten ihr zu. Nach den ersten Schlucken, schon fast auf dem Weg in die Küche, drehte Annie sich noch einmal um.

„Eine Änderung hätte ich noch. Mit 50 kann man sich noch fragen: Und was nun? Aber wir doch nicht mehr, nicht mit 65.

Wenn ich früher an Frauen in diesem Alter dachte, dann waren das immer grauhaarige Matronen, die ihr Zipperlein pflegten. So sind wir nicht und so werden wir auch nicht sein. Also schlage ich vor: 65 – Na und! Wir sind nicht mehr 30, aber wir haben noch den Mumm, uns ein Programm gegen den Jugendschwund vorzunehmen.“

Jubelrufe und Beifall bestätigte ihr, dass sie genau das Richtige getroffen hatte.

„Das stimmt doch auch!“ Karla warf sich regelrecht in Pose.

„Neben uns sehen doch einige Jüngere eher blass aus. Also ich bin mit meinem Aussehen noch sehr zufrieden, wahrscheinlich habe ich gute Gene erwischt. Nur meinen Bauch, den hätte ich gerne etwas flacher, so wie früher.“

„Mach dir nichts draus“, lachte Ellen. „Kugelbauch ist auch `ne Kurve und nur drauf kommt es an.“

„Das stimmt“, ergänzte Karla. „Erinnert ihr euch noch an die blonde Iris aus unserer Klasse, die hatte mehr Kurven als eine Gebirgsstraße und alle Jungs waren scharf auf sie.“

Ellen nickte. „Mein Ex hat immer gesagt: Eine dünne Frau ist wie eine Hose ohne Taschen, man weiß nie, wo man die Hände lassen soll. Und der musste es ja wissen, bei seinem Verschleiß!“

Inzwischen war Annie mit einem schwerbeladenen Tablett an den Tisch getreten.

„Ich schlage vor, wir essen erst und unterhalten uns dann über die Ernährung. Es gibt Hackbraten, Püree und grüne Bohnen.“