Jetzt ist aber Schluss! - Elfi Sinn - E-Book

Jetzt ist aber Schluss! E-Book

Elfi Sinn

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Beschreibung

Jetzt ist aber Schluss! Diesen Satz hat sicher schon jeder einmal gesagt. Immer dann, wenn man endlich schlanker, sportlicher, mutiger, pünktlicher oder ordentlicher werden möchte. Meistens hofft man, dass es dann mit viel Entschlossenheit auch klappt. Doch leider ist der Weg bis zum Ziel oft schwieriger als gedacht. Zum Glück gibt es in einigen Geschichten zauberhafte Hilfe, wie bei Lena, die aus den falschen Gründen abnehmen möchte oder bei Jana, deren Wünsche sich mit Hilfe von Granatsteinen erfüllen. Andere werden eher unfreiwillig zu notwendigen Änderungen gebracht, wie Tim, der eine unerwartete Begegnung mit seinem Schutzengel hat oder Susanne, deren Aufschieberitis überraschenderweise von einem roten Wecker geheilt wird. Manchmal genügen auch der Einfluss der Familie oder guter Freunde, damit sich jemand aus seiner Komfortzone bewegt, wie Sandra oder über sich hinauswächst, wie die kleine Tanja, die ihre Angst überwindet, um Hunde zu beschützen.

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Inhaltsverzeichnis

Plötzlich war alles einfach

Eine unerwartete Begegnung

Das bisschen Haushalt

Statt weiß, trag rot

Morgen, morgen, nur nicht heute

Spürnasen klären auf

Plötzlich war alles einfach!

„Wenn ich nicht hinsehe, bin ich schlank!“ Mit dieser Botschaft im Hinterkopf flanierte Lena Hoffmann durch die Stadt, etwas, das sie höchst selten machte.

Sie schlenderte ganz lässig und leicht die Einkaufsstraße entlang und freute sich über das wunderbare Frühlingswetter. Endlich schien die Sonne wieder und alles war hell und klar.

Natürlich schaute sie die Auslagen in den Schaufenstern an, achtete aber sehr genau darauf, sich nicht zu spiegeln, um auf keinen Fall ihre 15 kg Übergewicht wahrzunehmen. Sie wusste nicht nur, dass es zu viel war, sie spürte es ja auch jeden Tag. Ob es wohl immer noch 15 kg zu viel sind, überlegte sie, denn genau wusste sie es nicht. Bei der erwähnten Kilozahl hatte sie der Waage die Freundschaft gekündigt und sie mit Schwung entsorgt. Eigentlich sollte ich doch mal wieder, vielleicht….

Während sie noch nachdachte, trat sie vor ein neu gestaltetes Schaufenster mit atemberaubenden Kleidern und in diesem Moment traf sie ein Sonnenstrahl von der Seite. Entsetzt hielt sie den Atem an und starrte auf die Scheibe, die ihre Figur deutlich widerspiegelte. Aber was war das?

Als ob unsichtbare Kräfte ihren Körper formen würden, verschwanden die überflüssigen Pfunde und sie war schlank! Natürlich waren ihre Kurven noch da, aber der Bauch, der die Brust fast überholt hatte, war wieder flach wie vor ihrer Hochzeit. Und um die schlanken, straffen Schenkel und diese Wahnsinns-Taille würde sie jeder beneiden! Lena blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen, sie war schlank, richtig schlank! Begeistert näherte sie sich dem Schaufenster, um jede angenehm gestraffte Rundung zu bewundern, …da fiel sie plötzlich und landete genau vor ihrem Bett. Im Fallen hatte sie sich natürlich auch noch den Kopf an der Marmorplatte ihres antiken Nachttisches gestoßen.

Enttäuscht rappelte sie sich hoch und rieb die schmerzende Stelle an ihrem Hinterkopf. Wieder nur ein Traum! Aber bereits der dritte seiner Art.

Wenn man so etwas dreimal träumte, dann musste das doch etwas zu bedeuten haben oder? Wo blieb eigentlich das Universum, wenn man solch tiefgründige Fragen hatte?

Wenn Lena ehrlich mit sich war, dann wusste sie, weshalb sich ihr bewusstes Denken am Tag und auch das Unbewusste in der Nacht mit dem Thema Schlankheit beschäftigten. Seit sie ihren Exmann Arthur mit dieser Model-Schönheit in der Stadt gesehen hatte, war sie von diesem Thema fast besessen.

Wie schon früher, beharrte sie auf ihrer Überzeugung, wenn sie damals nur schlanker gewesen wäre, hätte er sich nie scheiden lassen. Er hatte sie zwar auch schon früher verlassen, war aber immer zu ihr zurückgekehrt, wenn er wieder Mal eine neue Studentin oder Assistentin in sein Bett bekommen hatte und kurze Zeit danach die Ernüchterung einsetzte. Vielleicht brauchte er auch das Verwöhnen und die Streicheleinheiten, die nur sie ihm geben konnte.

Und sie hatte ihn auch jedes Mal wieder zurückgenommen, ohne Fragen, ohne Vorwürfe, weil dieser Mann einfach ihr Schicksal war. Auch sie war einmal eine seiner Studentinnen gewesen, hatte sich rettungslos in ihn verliebt und geglaubt, dass das Glück nie enden könnte. Wahrscheinlich war das damals allen Studentinnen so gegangen, als der neue Dozent für Kunstgeschichte den Hörsaal betrat.

Ein große, schlanke, gut durchtrainierte Gestalt, ein markantes Gesicht, schimmernde, schwarze Haare, die an den Schläfen bereits grau wurden.

Aber das, was am meisten beeindruckte, waren seine silbergrauen Augen, die jeden in ihren Bann zogen. Lena natürlich ganz besonders. Frauen jeden Alters waren hinter ihm her, aber nur sie nahm einen besonderen Platz in seinem Leben ein.

Allerdings nicht lange. Vermutlich hatte er sie schon zu Anfang ihrer Ehe betrogen. Aber Lena war so verliebt, dass sie es erst nach Jahren bemerkte.

Zu diesem Zeitpunkt war sie jedoch noch nicht bereit, ihn aufzugeben, denn Arthur konnte, wenn er da war und sich auf sie konzentrierte, verdammt charmant sein und einer Frau das Gefühl geben, die Einzige zu sein, auch wenn sie es besser wusste. Und jedes Mal, wenn er wieder ging, suchte sie Trost in Süßigkeiten. Das aber nahm die blöde Waage ihr übel. Auch wenn Lena immer wieder tapfer eine neue Diät begann, folgten ihr jetzt die Kilos, wie ein Schwarm Mücken. Kaum hatte sie eins verloren, waren schon wieder neue da.

Gerade als sie ihren sechzigsten Geburtstag vorbereitete, wurde sie von Arthur eiskalt und ohne Vorankündigung mit den Scheidungspapieren überrascht. Er hatte eine wohlhabende Künstlerin gefunden, natürlich schlank, und lebte seit dieser Zeit mit ihr in ihrem großen Haus am See.

Ja, Lena war sich sicher: Das konnte nur an den verflixten Kilos gelegen haben, die sich immer wieder an Hüfte und Taille festgesetzt hatten. Wenn sie wieder schlank wäre, käme auch ihre Welt wieder in Ordnung. Dieses Gefühl hatte er ihr auch vermittelt, wann immer er sie besuchte, um sich bei ihr über seine „Jetztfrau“ zu beklagen und eine „ordentliche“ Mahlzeit zu genießen.

Als sie ihn in der Stadt mit seiner neuen „Neuen“ gesehen hatte, war das wie ein Stich in ihr geplagtes Herz gewesen.

Musste er denn immer noch so gut aussehen? Wäre eine entstellende Narbe zu viel verlangt? Oder wenigstens einen Rettungsring um die Hüften? Aber nein, er war schlank und durchtrainiert wie immer, während sie schon wieder zugelegt hatte, obwohl sie den schwierigen Umzug in die kleinere Wohnung meistern musste.

Es grämte sie immer noch, dass sie in diesem Moment nicht so umwerfend ausgesehen hatte, dass ihm die Gesichtszüge entglitten wären.

Aber jetzt hatte sie ja Zeit, sich um ihre Figur zu kümmern. Zum ersten Mal seit Wochen empfand Lena ihren Vorruhestand als hilfreich und passend. Bisher hatte sie sich eher nutzlos und abgeschoben gefühlt, seit der Kultur-Amtsleiter ihr den Vorschlag unterbreitet hatte.

Vorschlag, ha, sie schnaubte angewidert. Er musste Arbeitskräfte freisetzen und hatte sie mit ihren 63 Jahren schon als überflüssig empfunden. Sie hatte gerne im Kulturbereich gearbeitet, war aufgegangen in ihrer Tätigkeit, vor allem mit bildenden Künstlern. Aber heute war ja alles anders, es mussten spektakuläre Events her, die Aufsehen brachten. Eine behutsame Förderung von Talenten war da nicht mehr gefragt.

Doch jetzt war es gut, so wie es war. Jetzt hätte sie die Zeit eine tolle Diät zu machen, vielleicht auch ein bisschen Sport?

Als sie sich nach dem Duschen mutig im Spiegel betrachtete und ihre Blicke wie immer abschätzig an ihrem runden Bauch hängenblieben, bestätigte sie diesen Gedanken innerlich. Sport musste definitiv sein! Sonst fand sie sich noch ganz passabel. Ihre blonden Haare hatten immer noch ihren honiggoldenen Glanz, natürlich vom Frisör, und betonten ihre jadegrünen Augen, die sie gerade etwas ironisch verdrehte. Gut, die Wangen waren etwas molliger geworden, aber damit auch faltenfreier. Nur Bauch und Hüften brachten sie schon beim Hinsehen zum Stöhnen.

Offensichtlich gehörte sie zu den Frauen, die nur an Kuchen vorbei gehen mussten, um ihn an den Hüften zu haben. Und dort schien er auch bleiben zu wollen. Lena strich mit ihren Händen über den Bauch. Einziehen half da nicht mehr, es musste sich unbedingt etwas ändern, zehn Kilo oder besser zwanzig mussten weg.

„Ab heute keine Süßigkeiten mehr!“ Lena dachte kurz nach, das hatte sie sich schon öfter vorgenommen, aber heute war es ihr wirklich ernst.

Jetzt ist Schluss damit, mit Kuchen, mit Pralinen, am besten mit allem! Noch beim Frühstück überlegte Lena, wie genau sie denn dieses neue schlankere Leben anfangen könnte. Ein Buch mit Anleitungen? Das hatte sie schon probiert und die Diäten in den bunten Blättern wirkten doch sowieso nur bei Frauen um die dreißig. Also wie?

Da fiel ihr ein Plakat ein, das sie unterwegs in einem Schaukasten gesehen hatte. Ganz schön altmodisch, wer machte denn heute noch so was? Bestimmt gab es dazu auch eine Ankündigung im Internet? Oder?

Lena begann zu lächeln und zog die Sportschuhe an, die sie bei ihrem letzten Abnehm-Versuch gekauft hatte. Sie könnte ja auch zu dem weißen Haus laufen, richtig, dort saßen die Silver Girls.

Die Vorträge waren zwar für 65-jährige gedacht, aber die zwei Jahre würden nicht so sehr ins Gewicht fallen. Sie grinste über ihr eigenes Wortspiel und hoffte, dass die zweite Satzhälfte in ihrem Unterbewusstsein hängenblieb.

Das Haus, das sie nach zwanzig Minuten straffen Gehens erreichte, sah etwas sonderbar, aber sehr gepflegt aus. An ein größeres Wohnhaus schloss sich ein langgestreckter Flachbau an, dessen Wände strahlend weiß mit den vielen bunten Frühlingsblumen um die Wette leuchteten. Im Garten, der das Haus großzügig umgab, schien ein Fachmann am Werk zu sein, überlegte Lena. Ihr selbst fehlte der berühmte grüne Daumen. Aber ihr künstlerisch geschulter Blick konnte die meisterhafte Komposition der Farbenvielfalt von Tulpen, Narzissen, Ranunkeln und Tausendschönchen wahrnehmen und anerkennen.

Über der Eingangstür stand auf einem großen Schild Zu den Silver Girls – Treffpunkt für Junggebliebene. Lena lächelte und fühlte sich direkt angesprochen.

Im Haus traf sie erstaunlicherweise sofort genau die richtige Frau: Annie, Köchin und Ernährungsberaterin. „Ich muss unbedingt abnehmen und das möglichst schnell. Wann beginnt euer Kurs?“ „Na, du hast es ja eilig“, lächelte die rothaarige Annie. „Aber du kommst genau richtig. Morgen beginnt wieder die Vortragsreihe für unser Programm 65 – Na und! und der erste Vortrag befasst sich mit Ernährung. Gezielter geht es dann in Seminaren bei mir weiter.

Brauchst du noch genauere Informationen?“ „Nicht notwendig, ich nehme auf jeden Fall beides.“

Mit sich und ihrem schnellen Entschluss höchst zufrieden, trug sich Lena in die Teilnehmerliste ein und machte sich dann auf den Heimweg.

Weil das Wetter so schön war, beschloss sie noch einen längeren Umweg zu riskieren und stellte erst zuhause fest, dass sie heute gar nicht an ihrem Lieblingsbäcker vorbeigekommen war. Eigentlich gar nicht so schlecht, dachte sie. So kann das neue, schlankere Leben sofort beginnen.

Bisher wurde sie immer schon von dem Duft des Gebäcks wie magisch angezogen, der Duft, der sie willenlos machte. Das betonte sie hinterher, wenn sie mindestens zwei Stück Kuchen oder mehrere Kekse verschlungen hatte und sich das schlechte Gewissen meldete, wie üblich zu spät.

„Aber jetzt wird ja alles anders, alles besser!“ Der Spiegel, in den sie sprach, schien unbeeindruckt von ihrem Optimismus, widersprach ihr aber auch nicht. Also holte sie ihre Wii-Spielekonsole aus der hintersten Ecke des Kleiderschranks, um sich todesmutig wiegen zu lassen. Sie keuchte empört auf, als sie sah, dass sie nun schon 18 kg von ihrem Wunschgewicht entfernt war, schluckte dann aber stoisch und ließ sich auch nicht von dem nervenden Hinweis „Iss bloß nicht so viel!“, provozieren.

Nach drei Minuten Jogging war sie zwar erschöpft, doch sehr zufrieden mit sich und gönnte sich zur Belohnung Zeit mit einem neuen Buch und grünem Tee in ihrem Lesesessel. Grüner Tee sollte ja auch schlank machen, hoffentlich!

Annies Vortrag am nächsten Tag stärkte ihren Optimismus. So schlimm würde das alles gar nicht werden. „Um gesund zu sein und auch das eine oder andere Kilo loszuwerden, sollte man fünf Dinge beachten“, hatte Annie erklärt und an den Fingern ihrer erhobenen Hand abgezählt. „Viel Bewegung, das richtige Essen, in ausreichender Menge, zur richtigen Zeit und mit den Inhaltsstoffen, die wir mit 65 plus unbedingt brauchen. Für die Bewegung verweise ich auf unsere Laufgruppen und die Line-Dance-Kurse, aber mit allen Anforderungen an das richtige Essen, werden wir uns heute und in den Seminaren nicht nur beschäftigen, wir werden es auch zubereiten und verkosten.“

Lena sah sich verstohlen um, die meisten Teilnehmer lauschten hingerissen und hoffnungsvoll Annies Erklärungen. Vermutlich kam eine größere Anzahl aus dem nahegelegenen Seniorenprojekt. Dazu war ihr schon ein Artikel in der Lokalzeitung aufgefallen, bevor sie in die kleine City gezogen war.

Eine Genossenschaft hatte einen interessanten Modellversuch gestartet und in einem kleinen Park in der Nähe des Sees, vier Wohnblocks mit jeweils sechs Etagen errichtet, in denen ausschließlich ältere Alleinstehende lebten. Offensichtlich schien ihnen das gut zu bekommen, denn einige der zahlreich vertretenen Männer, sahen ausgesprochen gut aus, graumeliert oder auch mit polierter Platte, aber ziemlich unternehmungslustig.

Vor allem einen, dessen kantiges, schmales Gesicht gut zu seiner weißen Mähne passte, fand sie interessant. Lena schaute schnell wieder auf ihren Block, als ihr der, den sie gerade gemustert hatte, lächelnd zuzwinkerte. Um Himmels Willen, das fehlt mir gerade noch, rief sie sich innerlich zur Ordnung. Männer machen nur Probleme!

Und das wichtigste war jetzt eine schlankere Figur, also konzentrierte sie sich wieder auf Annie. Doch ausgerechnet die, erklärte gerade die Umstellung der Ernährung auf den Bedarf von 65 plus mit dem Wort Love, also Liebe. Das war doch verrückt, aber irgendwie auch faszinierend, überlegte Lena und notierte:

L – Lieblingsrezepte entschärfen;

O- Omega-3-Fettsäuren für die Gelenke, stabile Stimmung und geistige Leistungsfähigkeit;

V – Vitamine, besonders wichtig sind B, C und D;

E - Eiweiß oder besser Proteine für alle wichtigen Reparaturprozesse im Körper.

Das dürfte kein Problem werden.

Davon war Lena auch noch am nächsten Morgen überzeugt, als sie einkaufen ging. Viel Gemüse und Obst hatte ihnen Annie ans Herz gelegt und die Leute, die sich schon mittags von Kuchen ernährten, Pudding-Vegetarier genannt. An dieser Stelle hatte Lena beschämt nach unten gesehen. Sie hatte sich in letzter Zeit auch kaum noch die Mühe gemacht, frisches Essen zuzubereiten und außerdem schmeckte ihre Lieblingstorte Schwarzwälder Sahne einfach himmlisch.

Schon der Gedanke daran, ließ sie seufzen. Nein! Jetzt konzentrieren wir uns auf das Abnehmen. Die Torte kann ich vermutlich nicht entschärfen, überlegte Lena auf dem Weg. Aber die tolle Spaghetti-Pilz-Pfanne nach Sophia Loren käme auch in Frage. Wenn ich die Nudeln wegen der Stärke durch Sojasprossen ersetze, könnte ich den Rest so lassen.

Ganz in der Nähe hatte sie einen kleinen Bio-Laden entdeckt. Da würde sie fündig werden. Überrascht sah sie sich kurze Zeit später in dem blitzsauberen Laden um. Das war ja ein Riesenangebot. Sie nahm sich einen Korb, der schon höchst interessant aussah, Bambus mutmaßte sie und machte sich auf die Suche. Zuerst Omega-3-Fettsäuren! Wenn sie fehlten, hatte Annie betont, würde das Gehirn an einer Art Schnupfen leiden und könnte dann das Sattwerden nicht richtig „riechen“ oder wahrnehmen. Die Folge wäre, man würde endlos weiter essen.

Also wo war das Wundermittel? Als Lena eine kleine Bewegung an ihrem Korb wahrnahm und nachsah, lag dort schon ein kleines Fläschchen Leinöl mit den bewussten Omega-3-Fettsäuren. War das in ihren Korb gesprungen?

Sonderbar, sie konnte sich nicht daran erinnern, es ausgewählt zu haben. Wahrscheinlich warst du abgelenkt, beruhigte sie sich und wandte sich dem Riesenangebot in der Gemüseabteilung zu. Wie sollte sie denn bloß die richtigen Sorten finden, wo ihr doch jetzt schon das meiste fremd war?

Die Sprossen hatte sie relativ schnell entdeckt, allerdings hießen sie Mungobohnen-Sprossen. Egal, wichtig war, dass sie so gut wie keine Kalorien mitbrachten.

Jetzt noch frische Champignons, Knoblauch und Kräuter. Vielleicht noch etwas mit Vitamin C dazu?

Ratlos sah sich Lena um und stutzte. Hatte ihr jetzt gerade eine Paprikaschote zugezwinkert oder wurde sie verrückt? Vorsichtig schaute sie sich um. Niemand da, also kein Scherz vor versteckter Kamera. Sie schaute noch einmal hin. Wieder dieses Zwinkern, wie eine Aufforderung: Nimm mich mit! Gleichzeitig begann ihre Beule am Hinterkopf zu pochen.

Gab es da einen Zusammenhang oder hatte sie als Kind zu oft das Märchen von Frau Holle gehört, in dem auch die Äpfel riefen?

Genau in dem Moment rührte sich auch ein besonders schönes Exemplar davon und erinnerte Lena daran, dass sie für ihr Muntermacher-Müsli am Morgen noch einen Apfel brauchte. Irgendwie war das doch sehr komisch, konnte sie plötzlich mit Obst und Gemüse kommunizieren?

Sie beschloss das zu testen. Was würde sie denn brauchen, um den Bedarf an B-Vitaminen abzudecken?

Schon der Gedanke allein, verursachte solche Kollisionen in den Gemüsefächern, vor allem bei den dunkelgrünen Gemüsen, bei Nüssen und Kernen, dass Lena unheimlich zumute wurde. Sie schnappte sich Brokkoli und Mangold aus dem Regal und im Vorbeigehen auch noch einige Scheiben Putenbraten, bezahlte und verließ den Laden, ehe ihr die Pute auch noch antworten konnte.

Erschüttert machte sie sich auf den Heimweg, wurde aber beim Gehen wieder ruhiger. So etwas kann es doch gar nicht geben!

Vielleicht hat die Beule am Hinterkopf doch mehr Schaden angerichtet? Oder es waren Luftspiegelungen, aber keineswegs gefährlich. Sie musste fast kichern, als sie sich an das Geschehen im Laden erinnerte. Was mag sich das Universum bloß dabei gedacht haben? Vielleicht waren es ja auch versteckte Hinweise, die sie noch entschlüsseln musste. Es musste auf jeden Fall etwas mit dem Abnehmen zu tun haben, denn das war zurzeit ihr wichtigstes Anliegen.

Wenn nicht schon wieder dieser Duft wäre, stöhnte sie innerlich.

Denn ganz aus Gewohnheit hatte sie den üblichen Heimweg gewählt und der führte am Bäcker vorbei. Ich will ja nichts kaufen, versprach sich Lena, nur mal ins Schaufenster sehen.

Als sie dichter an die Scheibe trat, sah sie die ganze Pracht der süßen Sünden, von der geliebten Schwarzwälder-Sahne-Torte bis zur Holländischen Kirsch-Rum-Torte, rosafarbene Biskuit-Rollen, üppige Donauwellen, sahnigen Schneewittchen-Kuchen, Honig- und Marzipangebäck und leuchtend bunte Cupcakes. Lena fühlte, wie sich auf ihrer Zunge so langsam eine Pfütze bildete und schmachtete die süßen Verführungen an.

Plötzlich wurde es dunkler, die Auslagen schienen graubraun zu werden und ein Eigenleben zu entwickeln. Die Holländische Kirsch-Rum-Torte, die vorher mit schneeweißer Creme vor dem Kirschrot geleuchtet hatte, nahm eine gelbbraune, kränkliche Farbe an und fiel in sich zusammen. Die Cupcakes zerbröselten zu grauem Staub und bildeten mit den Donauwellen eine schlammähnliche graubraune Masse. Lena stockte der Atem vor Entsetzen, als die Schwarzwälder-Sahnetorte anfing, sich zu bewegen, rasch anschwoll und explodierte. Heraus floss ein grüngelber ekliger Schleim, der fast alles in der Auslage bedeckte.

So sah also das unheilvolle Trio von Weißmehl, Zucker und Fett wirklich aus, vor dem Annie so eindringlich gewarnt hatte. Während sich die grüngelbe Schlammlawine über die letzten Gebäckstücke wälzte, wurde Lena übel.

So schnell sie konnte, rannte sie davon, nur weg von diesem Geschäft und bloß nie wieder hin. Auch zuhause schüttelte sie sich noch voller Ekel.

Diese Halluzination hatte ihr den Rest gegeben. Das konnte doch nicht wirklich passiert sein! Aber in der Bäckerei nachzufragen, das traute sie sich auch nicht. Also beruhigte sie sich mit einem grünen Tee und versuchte im Internet klüger zu werden.

Niemand schilderte solche Erscheinungen wie sie sie erlebt hatte, aber ziemlich schlüssig erschien ihr die Theorie über eine somatische Intelligenz.

Danach sollte der eigene Körper am besten wissen, welche Nahrungsmittel gebraucht und auch gut verträglich wären. Manche Menschen schnupperten dafür an Lebensmitteln, anderen fiel das Richtige ins Auge und sie, na ja, sie kommunizierte eben mit ihnen. Es gibt ja auch Leute, die mit Blumen reden und das hilft ja auch, beruhigte sie sich.

Am Mittag hatte sie schon wieder Appetit und ihre entschärfte Sprossenpfanne mit Champignons und Knoblauch schmeckte ihr ausgezeichnet. Als sie aber zum Kaffee aus Gewohnheit nach ihren Lieblings-Pralinen greifen wollte, wurde ihr wieder übel.

Zu deutlich war das Erlebnis an der Bäckerei noch in ihrem Gedächtnis, also keine Süßigkeiten.

Ob das wohl eine Art Orientierung sein soll? Wenn etwas zwinkert oder einladend erscheint, greife ich zu, aber wenn mir übel wird, heißt das: Finger weg!

Damit müsste das Abnehmen doch ganz einfach sein. Wenn es auch wirklich so weitergeht, vielleicht…

Obwohl sie immer noch nicht so richtig glauben konnte, was ihr da passierte, blieb Lena beim nächsten Einkauf im Bio-Laden schon gelassener, Es lief das gleiche Spiel. Sie überlegte, was sie für die nächsten Mahlzeiten brauchte und die richtigen Zutaten drängten sich zu ihr wie zutrauliche Haustiere. Total irre!

Als ihr ein Wildlachs an der Fischtheke zuzwinkerte, schaute sich Lena misstrauisch um. Offensichtlich konnte nur sie dieses Phänomen wahrnehmen, denn die Verkäuferin blieb völlig unbeeindruckt. Das beruhigte Lena ungemein.

Erstaunlich war auch, dass es Dinge gab, wie Kartoffeln oder Rosenkohl, die sich vor ihr regelrecht zurückzogen, obwohl sie allgemein als sehr gesund galten. „Die eine Ernährung, die richtig für alle ist, gibt es nicht!“ Das hatte Annie erklärt und Lena verstand das jetzt erst richtig.

Bis zum ersten Seminarabend nach einer Woche hatte sie bereits ein Kilo abgenommen. Das war nicht viel, aber sie freute sich so, als ob es schon zehn Kilos wären. Die Abwärtskurve hatte begonnen und so konnte es weitergehen. Annie hatte sie im Seminar sehr gelobt und sich mit ihr über das schnelle Ergebnis gefreut.

Ein tolles Gefühl! Lästig war nur, dass sich der Zwinkerer vom letzten Mal neben ihr niedergelassen hatte. Gut sah er ja aus.

Und er hatte hellgraue Augen, eine Farbe, bei der sie leicht schwach werden könnte.

Aber jetzt hatte sie ein anderes Ziel und keine Zeit für Flirts, auch nicht für harmlose.

Doch auch in der morgendlichen Walkinggruppe, der sie sich mutig angeschlossen hatte, drängte er sich an ihre Seite.