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Systemtheorie, systemische Fragetechniken und zahlreiche lösungsorientierte Methoden für Coaches, Berater, Trainer und Psychologen! Dieses Buch vermittelt alles, was man an theoretischen Grundlagen und Wissen benötigt. Es führt detailliert und verständlich in die wissenschaftlichen Hintergründe ein und bietet praktische Abläufe und Methode, die sofort umgesetzt werde können. Klassische Methoden und die typischen Systemischen Fragetechniken werden vorgestellt. Das bietet das Buch Was ist Systemisches Coaching bzw. Systemische Beratung? Ein Überblick über die wissenschaftlichen Hintergründe und die wichtigsten Fachbegriffe wird gegeben. Einsatzgebiete: Wann und für wen empfiehlt sich Systemisches Coaching? Kompetenzen einer beratender Position werden dargestellt. Der Coachingprozess: 2 exemplarische Gesprächsabläufe mit Minutenangabe werden dargestellt. Es werden strukturierte Sitzungsabläufe vorgestellt. Unterscheidung der Klienten – wer ist coachbar? Die Auftragsklärung wird besprochen - was ist ein Auftrag, was nicht? Die wichtigsten Fragetechniken in der Systemik werden beispielhaft vorgestellt. Wichtige und hilfreiche Methoden werden geboten, die sofort anwendbar sind. Die Technik und die Haltung des Systemischen Coachings sind hilfreich für wirklich jeden Gesprächsanlass und –kontext. Das Buch ist für alle Menschen geeignet, die beruflich Gespräche führen müssen. Ob man eine Führungsposition innehat oder Mitarbeiter im Human-Ressource ist: Alle Personen, die im BereichBeratung und Coaching tätig sind, können die Ideen, Haltungen und Methoden der Systemik nutzen. Auch Psychologen und psychologische Berater profitieren von den Methoden und Gesprächsabläufen. Ziel für den Berater ist es, das Wissen, welches der Kunde unbewusst in sich trägt, nutzbar zu machen. Durch die Gesprächstechniken und die Art der Fragen wird das Unbewusste aktiviert und sichtbar gemacht. Oft ist der Kunde ganz überrascht, was er alles in sich trägt. Mit diesem Buch gelingt es, die Coachingtheorie in der Praxis umzusetzen.
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Diplom-Pädagogin Michelle Amecke
BASISWISSEN
SYSTEMISCHES COACHING
Grundlagen der Systemtheorie und Methodenkoffer
Zunächst: Die Beschreibungen, Methoden, Worte, Sätze und Anregungen habe ich möglichst einfach gehalten! Komplizierte wissenschaftliche Abhandlungen gibt es reichlich. Mir ist es wichtig, komplizierte Sachverhalte möglichst einfach darzustellen.
Der Begriff „Coach“ ist nicht geschützt, doch ist es absolut sinnvoll, sich mit dem Coaching wirklich vertraut zu machen. Ich selbst arbeite seit fast 30 Jahren mit Menschen. Begonnen habe ich Anfang 20 mit meinem Studium der Diplom-Pädagogik, wo ich viele Jahre in der Erwachsenenbildung tätig war.
Viele Aus- und Fortbildungen haben sich angeschlossen. Doch erst später in meiner Ausbildung zum Systemischen Coach habe ich den richtigen Feinschliff erhalten, was Gesprächsführung und vor allem das Stellen von Fragen angeht.
Die Systemik beruht auf bestimmten Haltungen, die ich dir gern näherbringen möchte. Zudem gibt es ein paar einfache, effektive Tools und Methoden, mit denen du wunderbar starten kannst, wenn du ein wenig Übung bekommen möchtest.
Mit diesem Ratgeber möchte ich dich unterstützen. Ich möchte dir die wichtigsten Fragetechniken und Methoden für die Arbeit als Systemischer Coach an die Hand geben.
Menschen zu begleiten und zu unterstützen, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Viele Menschen befinden sich in Krisen, sind überarbeitet oder im Burnout, müssen sich neu orientieren oder sich neu erfinden. Die Zeiten sind unsicher und wir alle brauchen ein gewisses Maß an Flexibilität. Um in der Gesellschaft gesund bestehen zu können und um alle Rollen erfolgreich ausfüllen zu können, brauchen wir nicht selten Unterstützung. Jemanden, der uns hilft, Struktur, Klarheit und Übersicht in diese weitverzweigte Existenz zu bringen und dafür wenden wir uns an einen Coach.
Gerade das Systemische Coaching ermöglicht die Erweiterung des Handlungsspielraumes und hilft bei der Vorbereitung auf neue Aufgaben. Aus persönlichen Krisen erfolgt die Erschaffung eines neuen Selbst. Systemisches Coaching bietet passgenaue Hilfestellungen und Orientierung auf dem Weg dazu, die Version unseres Selbst zu werden, die wir gerne sein möchten.
Die beste Version, wie man so schön sagt.
Hier kannst du einige Unterlagen aus dem Buch herunterladen:
https://systemik.michelleamecke.de/
Kapitel 1
Theorie des Systemischen Coachings
Worum geht es beim Systemischen Coaching? Die Frage ist gleichzeitig sehr simpel und hochkomplex zu beantworten. Simpel, weil sich die Absicht in einem einzigen Satz zusammenfassen lässt: Man möchte den Klienten dabei unterstützen, seine Fähigkeiten und Ressourcen so abzurufen, dass er innerhalb des Systems, in dem er sich befindet, das für ihn bestmögliche Verhalten an den Tag legen kann. Komplex wird es, wenn man sich die Details hinter dem Prozess und den zugrunde liegenden Erkenntnissen genauer ansieht. Zunächst einmal bekommst du alles präsentiert, was du an Theorie und Hintergrundwissen benötigst. Später erfolgt dann der praktische Einstieg in das konkrete Vorgehen im Coaching-Prozess mit Übungen, Anleitungen und Techniken.
Systemisches Coaching – was ist das überhaupt? Zunächst einmal möchte ich dich damit vertraut machen, worauf Systemisches Coaching überhaupt basiert. Wie hat es sich entwickelt, welche Lehren und Erkenntnisse der Forschung liegen der Idee zugrunde, wann wird es angewendet und nicht zuletzt: Wer kommt überhaupt zu dir? Später steigen wir dann vertieft ein in die theoretischen Grundlagen, sodass du detailliert und umfassend mit den zugrunde liegenden Lehren und Prinzipien vertraut bist.
Woher stammt diese Idee? Erstmals ausformuliert wurde die Systemtheorie in den 1960ern vom Soziologen und Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann. Er befasste sich damit, die Gesellschaft als ein großes, umfassendes System zu betrachten, das alle anderen Systeme einschließt. Dieses System ist in sich geschlossen, alle Elemente bedingen sich gegenseitig und hängen voneinander ab. Das heißt, auch das Verhalten einzelner Elemente innerhalb eines Systems ist bestimmt von all den anderen Elementen, mit denen es in einem Gefüge steht. Das bedeutet, dass hier das Verhalten nicht nach Ursache und Wirkung erklärbar ist, sondern von vielen verschiedenen Faktoren abhängt.
Die Systemtheorie versucht nun, das jeweilige System möglichst genau zu analysieren und gewissermaßen in seine Einzelteile zu zerlegen:
Welche Mechanismen wirken?
Welche Elemente sind beteiligt?
Wie bedingen sie einander?
Welche Wechselwirkungen und Beziehungen bestehen?
Je mehr dieser Fragen beantwortet werden können und je detaillierter ihre Aufschlüsselung gelingt, desto präzisere Voraussagen können über das Verhalten einzelner Elemente getroffen werden. Diese Theorie hat Luhmann im Übrigen keinesfalls nur mit Blick auf die Gesellschaft entwickelt oder angewandt, ganz im Gegenteil lassen sich die Grundlagen auf sämtliche Systeme übertragen: Die Biologie befasst sich mit Systemen wie dem Körper, einzelnen Zellen oder Zusammenschlüssen aus mehreren solchen Funktionseinheiten, die Informatik betrachtet Computersysteme und ihre Zusammenhänge, Ingenieure beschäftigen sich mit den in sich geschlossenen Systemen von Maschinen. Dieser Ansatz aus der Naturwissenschaft oder auch Chemie nennt sich Kybernetik – dies beschreibt die Steuerung oder Steuerungslehre von technischen Systemen im weitesten Sinne.
In jedem dieser Systeme gilt der Grundsatz, dass alle Elemente und Aspekte in unauflösbarer Wechselwirkung miteinander stehen. Das bedeutet selbstverständlich, dass das Fehlverhalten eines Elements nicht isoliert für sich stehen kann, sondern unvermeidbar auch das Verhalten der anderen Elemente beeinflusst und ändert. Eine gebrochene Schraube innerhalb des Systems eines laufenden Motors führt beispielsweise dazu, dass ein Teil nicht mehr in der korrekten Position gehalten werden kann. Dadurch wirkt seine Kraft nicht mehr auf den beabsichtigten Punkt des benachbarten Teils, der dadurch wiederum das nächste Element nicht so bewegen kann, wie er sollte, und so läuft es fort, bis am Ende der Motor stehenbleibt.
Wie kann ich einen Zustand erreichen, wenn ich den Istzustand und den Sollzustand vergleiche? Das Ziel ist immer das gleiche: Eine Balance herstellen – das nennt man hier Homöostase.
Das gleiche Prinzip gilt natürlich für soziale Systeme, und zwar für jede denkbare Zusammenstellung, seien es nun Eltern-Kind-Beziehungen, Familien, Großfamilien-verbunde, Paarbeziehungen, Abteilungen in einer Firma oder auch das gesamte Belegschaftsgefüge einer Firma. Ein Vater beispielsweise, der auf einmal nicht mehr morgens zur Arbeit geht und Geld verdient, wird somit unweigerlich das Leben und somit Verhalten seiner Tochter oder seiner Ehefrau innerhalb des Systems „Familie“ verändern, genauso wie ein Angestellter, der beschließt, all seine Arbeit künftig nur noch handschriftlich zu erledigen.
Die angeführten Beispiele mögen nicht sonderlich relevant klingen, aber sie führen deutlich vor Augen, in welcher Abhängigkeit einzelne Elemente innerhalb eines Systems existieren. Während Luhmann nun die von ihm betrachteten sozialen Systeme vorrangig als Kommunikationssysteme betrachtete, wählten die Erziehungswissenschaftler Eckard König und Gerda Volmer einen anderen Ansatz: In ihrem gemeinsamen Buch „Einführung in die Systemische Organisationsberatung“ etablierten sie das Konzept der Personalen Systemtheorie, das sich auf die beteiligten Personen eines Systems konzentriert. Die relevanten Fragen sind die nach den beteiligten Personen, nach deren Sicht auf Dinge, nach den Regeln und Kodizes, die innerhalb des Systems gelten, nach den Mustern und Strukturen der Kommunikation, nach der Entstehungsgeschichte eines Systems und nicht zuletzt danach, wo die Grenzen des jeweiligen Systems verlaufen und inwiefern dieses von Faktoren außerhalb des Systems beeinflusst wird. Später entfernte man sich von der Idee der Homöostase als wichtigstes Element und legte den Fokus eher auf die Möglichkeit der Veränderung von innen heraus. Die eher unplanbare Veränderung wurde in den Mittelpunkt gerückt.
All das lässt sich nun in für konkretes Coaching entscheidender Weise zusammenfassen: Jeder Mensch – jeder Klient – existiert, handelt, scheitert und exzelliert innerhalb des Systems, in das er eingebunden ist. Auch seine Schwierigkeiten bestehen und entstehen innerhalb dieses Systems und wenn du ihm als Coach dabei helfen willst, seine Probleme zu betrachten und vor allem auf andere Weise zu betrachten, dann kann dies nur zielführend sein, wenn du sein ganzes Umfeld – das System – mit in die Betrachtungen einbeziehst.
Genau das ist die Definition jeder systemischen Intervention: Den Einzelnen als Teil eines ihn umgebenden Geflechtes betrachten. Zusätzlich zum systemischen Aspekt soll der Coachingaspekt noch einmal präzisiert werden: Die Grundannahme ist, dass der Klient alles in sich trägt, was er zur Lösung seiner Probleme benötigt. Er ist natürlich selbst der oberste Sachverständige für seine Probleme. Systeme, so sagt man, verändern und entwickeln sich aus sich heraus. Dazu komme ich nochmals genauer in den Haltungen der Systemik.
Deine Rolle als Coach besteht darin, den Klienten durch begleitende und unterstützende Gesprächsführung dazu zu befähigen, alternative Sichtweisen zuzulassen, neue Ansätze zu entdecken und auszuprobieren, Lösungsstrategien konkret auszuarbeiten und dann auf ihre Übereinstimmung mit seiner jeweiligen Lebensrealität hin zu überprüfen. Keinesfalls ist es deine Aufgabe, ihm Lösungen zu präsentieren, für ihn Lösungen auszuarbeiten, seine Ansätze als richtig oder falsch zu bewerten oder auch nur ihn durch taktische Gesprächsführung dorthin zu bewegen, wo du ihn am liebsten sähest.
Es ist stets der oberste Grundsatz, die Eigenständigkeit und Fähigkeit zur freien Entscheidung des Klienten uneingeschränkt und bedingungslos zu achten und zu fördern. Coaching ist eine Beziehung auf Augenhöhe, kein Lehrer-Schüler- oder Arzt-Patienten-Verhältnis.
Wie du schon gemerkt hast, ist die Systemtheorie ein sehr komplexes Thema. Es gibt hier einige Grundbegriffe, die dir immer wieder über den Weg laufen werden, wenn du dich mit dem Thema etwas tiefer auseinandersetzen möchtest. Wenn du hier tiefer gehen möchtest, solltest du dir weitere Literatur zulegen – zum Beispiel die Standardwerke von Arist von Schlippe oder Jochen Schweitzer. Hier findest du eine Erläuterung der wichtigsten Begrifflichkeiten.
Konstruktivismus
Der erste wichtige Terminus ist der Begriff des Konstruktivismus. Dieser spielt keinesfalls nur im Bereich des Coachings eine Rolle, sondern auch in anderen Fachrichtungen wie beispielsweise der Psychologie, der Soziologie oder der Philosophie. Die Grundaussage ist immer die Gleiche: Alles ist subjektiv. Der Einzelne konstruiert seine Wirklichkeit aus seinen Beobachtungen, seinen Interpretationen dieser Beobachtungen, seinen Erfahrungen und seinen Reaktionen darauf – bzw. seinem Empfinden als Resultat all dieser Dinge. Eine objektive Wirklichkeit gibt es daher nicht oder sie spielt zumindest keine Rolle. Ein konstruktivistischer Ansatz im Coaching bedeutet nun, dass die Weltsicht des Klienten uneingeschränkt hinzunehmen und zu akzeptieren ist. Und zwar als die Realität, in der er lebt, und zunächst als die einzige für ihn gültige Realität. Es wird nicht versucht, ihn aus dieser Realität herauszulösen oder gar eine universell gültige Realität zu postulieren. Alle Bemühungen des Coaches richten sich darauf, dem Klienten neue Wege aufzuzeigen, wie er in seiner Realität handeln und reagieren kann. Es geht darum, ihm eine möglichst große Vielfalt an Handlungsmustern innerhalb seiner Weltsicht anzubieten, um ihn zu befähigen, bestmöglich darin zurechtzukommen. Wenn ein Mensch ein Problem hat, läuft es schlussendlich darauf hinaus, dass er vergeblicherweise versucht, sich ein Bedürfnis zu erfüllen. Vergeblich deshalb, weil er einer unangemessenen Interpretation der Wirklichkeit folgt. Also unterstützt du ihn als Coach dabei, alternative Sichtweisen auf die Realität zu entwickeln.
Kybernetik 1. Ordnung
Ein weiterer Begriff, über den du immer wieder stolpern wirst, ist die Kybernetik. Die Kybernetik hängt eng mit der Systemtheorie zusammen. Wie schon im vorigen Kapitel beschrieben, leitet sich einiges in der Systemik aus der Technik ab. So auch dieser Begriff, der beschreibt, dass in einem Regelkreis die Veränderungen fortwährend von den Elementen ausgeglichen werden. Einfach gesagt handelt es sich hierbei um die Mechanismen der Steuerung und Informationsweitergabe in komplexen Systemen. Der Vergleich hinkt vielleicht, doch man sieht die Ähnlichkeit im Einfluss des Therapeuten, der auch ein Gleichgewicht herstellt. Dieser Zustand wird als Homöostase bezeichnet. Bis in die späten 70er Jahre ging man davon aus, dass Therapeuten z. B. ein Familiensystem im Verhaltensmuster beobachten, beeinflussen und ändern könnten!
Kybernetik 2. Ordnung
Es gibt auch eine 2. Ordnung – sie tritt gewissermaßen einen Schritt weiter nach hinten, hat einen weiteren Blick und umfasst explizit zusätzlich den Betrachter der Systeme. Hier hat man sich damit beschäftigt, wie der Beobachter selbst sich entwickelt und dass er im Grunde die Systeme erschafft, die er beobachtet.
Auch geht man davon aus, dass der Therapeut nicht außerhalb des Systems befindlich ist, sondern gleichzeitig Teil dessen ist. Insofern er Teil ist, kann er nicht erkennen oder wissen, was der Coachee1 braucht. Hier beginnt der Prozess auf Augenhöhe, in welchem dem Coachee ebenso viel Professionalität wie dem Coach zugesprochen wird. Wenn man es genau nimmt, wird ein System (bzw. zumindest die Idee davon) erst dadurch erschaffen, dass ein Außenstehender auf dieses blickt. Der Fokus verschiebt sich von der Frage nach dem Gleichgewicht innerhalb eines Systems auf die Frage, wie ein System sich verändert. Systeme, bei denen dies für dich als Coach relevant ist, sind vor allem Einheiten wie Familien, Abteilungen in einem Betrieb oder Arbeitsgruppen.
Beide müssen auf einer höheren Ebene, der Metaebene, das System reflektieren, um so die Möglichkeiten einer Lösung erkennen zu können. Wie du siehst, gibt es hier mehrere unfassbar komplexe Ebenen. Das Thema ist für den eigentlichen Coaching-Prozess allerdings nicht unbedingt wichtig. Deine Kompetenz als Coach ist nicht an das Wissen der tiefen Theorie der Systemtheorie geknüpft.
Kybernetik in Beziehungen
Die Motivation von Menschen lässt sich nicht durch die einfache Frage nach dem „warum“ und durch ein schlichtes „weil“ erklären. Es kommen äußerst viele Faktoren hinzu, denken wir nur an die Interpretationsmöglichkeiten einer Aussage im Sinne von Schulz von Thun. Bei Ehepaaren beobachtet man häufig das Festhängen in Teufelskreisen –der Mann zieht sich zurück, weil die Frau drängend und eifersüchtig ist. Es entsteht ein allabendliches Gespräch über: „Immer kommst du so spät“, und „Du mit deiner zickigen Art, da muss ich ja um die Häuser ziehen.“ Die Frau wünscht sich ein bestimmtes Verhalten des Mannes, das durch Vorwürfe (Ist- und Sollzustand) erreicht werden soll. Je mehr sie fordert, desto mehr zieht sich der Mann zurück.
Jetzt nach einer Ursache zu suchen, wird der Komplexität dieser zwei ineinandergreifenden Regelkreise nicht gerecht. Es gibt hier kein schlichtes „warum“. Sinnvoller sind hier Fragen wie: Wozu dient das Verhalten? oder Wie funktionieren die beiden Systeme von Mann und Frau?
So erst lässt sich erkennen, wie die Kommunikationsmuster ineinandergreifen. Auf einer Metaebene lassen sich hier die „Kreisläufe“ der zwei Personen betrachten und eine Kommunikation über die Kommunikation darf entstehen, in der neue Verhaltensweisen etabliert werden können, um den Kreislauf zu durchbrechen. Es geht nicht darum, allen Zusammenhängen auf den Grund zu gehen und alles aufzudröseln – wichtiger ist immer die Erweiterung des „Möglichkeitenspielraums“ für die Beteiligten.
Homöostase
Der Begriff wurde 1929 vom Physiologen Cannon eingeführt. Es beschreibt die Fähigkeit von Systemen, sich in einem stabilen Zustand zu halten. Hier lässt sich auch schön das Kompensationsprinzip von C. G. Jung heranziehen. Ein System strebt immer nach Balance – so werden z. B. „Gewohnheiten“ wie das Rauchen nicht als negativ beschrieben, sondern zunächst als Ausgleich des Systems. Es wird in Balance gebracht und das Rauchen könnte hier beispielsweise eine Lösung für Stress sein.
Konzept der Autopoiese
Dies fußt auf biologischen Forschungen, vor allem von Maturana und Varela. Es bedeutet, dass Systeme in ihrer Selbstorganisation autonom sind. Und nicht nur das, Systeme sind laut den Forschern selbsterhaltend. Das System ist eine Art Black Box, sodass die Einflüsse der Therapeuten oder Coaches relativ sind – ihr Einfluss besteht darin, das System in ein kleines Chaos zu stürzen, es durcheinanderzuwirbeln, um die Möglichkeit zu bieten, sich neu zu organisieren und neue Verhaltensweisen an den Tag zu legen. Vergleiche den Mann und die Frau in der Ehekrise – erst durch ein Aufrütteln, durch das neue Sichtweisen ermöglicht werden, ist eine Änderung möglich. Black Box bedeutet, dass der Coach vorher nicht mit Sicherheit sagen kann, ob die Intervention nützt bzw. was die Intervention an Änderungsmöglichkeiten bringt. Potential und Ressourcen zur Veränderung trägt das System in sich – ebenso gibt es Grenzen, innerhalb derer das System sich nur verändern kann.
Dies beschränkt natürlich sehr stark die Möglichkeiten eines Coaches. Alles, was dir bleibt, ist, gewisse Störungen im System hervorzurufen bzw. anzuregen, durch die im System Veränderungen auftreten können. Nach Heinz von Foerster gilt folgende Maxime: „Handle stets so, dass du die Anzahl der Möglichkeiten vergrößerst!“
Prinzip der Zirkularität
Das nächste wichtige Prinzip für die Theorie der Systemik ist die Zirkularität. Darunter versteht man, dass ein Ereignis an einer beliebigen Stelle eines Systems nicht auf diese Stelle begrenzt bleibt. Vielmehr pflanzt es sich im System fort, stößt andernorts Veränderungen an und wirkt wieder zurück auf den Auslöser der Veränderung.
Besonders in der therapeutischen oder coachenden Arbeit mit Familien spielt dieses Konzept eine große Rolle, wie bereits früher im Text angedeutet wurde. Die Verhaltensänderung etwa eines Familienmitglieds kann keinesfalls ohne Auswirkung auf die anderen Mitglieder bleiben. Verhaltensweisen und -muster der Menschen in einem System beeinflussen sich fortwährend.
Vergleich doch noch einmal die Ehekrise in meinem Beispiel. Diese Krise, das Problem der beiden, entsteht aus dem sich wechselseitig triggernden Verhalten bzw. auch der Kommunikation. Wie man so schön sagt: „Ein Wort gibt das andere.“ Es entsteht ein Teufelskreis, dessen Ursache irgendwo im System liegt – aber nicht in der Schuld des einen oder anderen. Hier denkt man in Konsequenzen oder Wirkungen.
Letztlich gilt für jedes System: Man muss Ursachen, Symptome und Auswirkungen immer mit Blick auf das gesamte System betrachten.
Wenn ein Arbeitnehmer beispielsweise unmotiviert schlechte Arbeit leistet, so greift es irreführend zu kurz zu sagen: Der Arbeitnehmer ist schuld, er arbeitet einfach nicht gut. Vielmehr gilt es, nach den anderen Punkten im System zu suchen, die damit in ursächlicher Verbindung stehen: mangelnde Herausforderung oder Wertschätzung vielleicht, ein prägendes, falsch verstandenes Ereignis im Kollegenkreis, schiefgelaufene Kommunikation, schlecht vermittelte Zielsetzung, persönliche Frustration des Arbeitnehmers oder womöglich private Schwierigkeiten.
Selbstverständlich gibt es eine Reihe von Fragen, die sich stellen. Diese beziehen sich nicht nur auf das Systemische Coaching, sondern dies sind Fragen, die in JEDEM Coaching-Prozess wichtig sind und gestellt werden sollten, bevor du dir ein Coaching-Business aufbaust, egal ob online oder offline vor Ort.
Warum möchte ich überhaupt coachen?
Wer ist meine Zielgruppe?
Bin ich kompetent?
Wo sind meine Grenzen?
Du siehst, was die Idee hinter Systemischem Coaching ist und kennst ebenfalls die grundlegende Herangehensweise. Die nächste Frage, die sich nun stellt, ist folgende: Wer kommt denn dann zu einem Systemischen Coaching?
Anders gefragt: Für wen eignet sich Systemisches Coaching, bei welchen Problemlagen kommt es in Frage und wo ist es nicht das zielführende Instrument? Coaching lässt sich hervorragend sowohl mit Einzelpersonen als auch mit Gruppen anwenden. Online kannst du hervorragend im „Zoomraum“2 mit Gruppen arbeiten.
Prinzipiell ist Systemisches Coaching für jeden geeignet, der sich in irgendeiner Form eine Veränderung in seinem Leben wünscht. Das können Veränderungen im privaten Umfeld ebenso sein wie im beruflichen. Nicht selten hängen beide ohnehin enger miteinander zusammen, als den meisten Menschen bewusst ist. Meist fehlt dem Klienten die Sicherheit über das eigene Handeln oder das eigene Verhalten, Fremdbild und Selbstbild können nicht wahrgenommen werden. Hieraus erwachsen oft unterschiedliche Probleme – so zum Beispiel Burnout, Konflikte, Probleme im Führungsbereich mit Mitarbeitern, fehlende Motivation etc.
Nicht wenige Coachees sind Führungs- und Managementkräfte, die sich eigener Unzulänglichkeiten in ihrem Führungsstil oder ganz allgemein im Umgang mit ihnen unterstellten Mitarbeitern bewusstwerden oder zumindest bemerken, dass der gegenseitige Umgang miteinander konflikt- oder spannungsbelastet ist. Sie nehmen wahr, dass sie im beruflichen Umgang mit anderen Verhaltenstendenzen aufweisen, die einem effizienten und angenehmen Miteinander nicht gerade zuträglich sind und bemerken die daraus resultierenden Probleme. Dies können beispielsweise ineffizientes Arbeiten durch Verweigerungs- oder Ausweichverhalten der Mitarbeiter, hoher Krankenstand, ausgeprägte Fluktuation der Mitarbeiter etc. sein.
Nicht selten ist auch eine noch unspezifische, aber deutlich wahrgenommene Unzufriedenheit in beruflicher Hinsicht Anlass, sich an einen Coach zu wenden. Beispielsweise, wenn sich die Karriere trotz objektiv großer Bemühungen nicht so entwickelt wie gewünscht. Manchmal wird auch die derzeitige Aufgabe nicht als erfüllend wahrgenommen und der Coachee sieht selbst keinen Ausweg, mit dem er konkret etwas an der Situation ändern könnte. Nicht selten fehlt ebenfalls das klare Wissen, was denn eigentlich der tatsächliche Grund für Unzufriedenheit ist. Mangelnde Motivation, Antriebs- und Lustlosigkeit sind nicht selten die Symptome, die jemanden antreiben, sich professionelle Unterstützung zu suchen.
Auch wenn es innerhalb eines Teams offensichtlich zu Spannungen kommt, beispielsweise keine Einigung in wichtigen Grundsatzfragen erzielt werden kann, sich Grüppchen bilden und eine Wir-gegen-die-Mentalität entsteht, kann Coaching ein sinnvoller, zielführender Ansatz sein.
Das Gleiche gilt, wenn innerhalb einer Firma, einer Abteilung oder einer Arbeitsgruppe grundlegende Änderungen im Aufgabenbereich, im Führungsstil oder in der Zielsetzung vorgenommen werden sollen. Dann kann es hilfreich sein, diesen Prozess von einem Coach begleiten zu lassen.
Es muss nicht immer bereits zu schwerwiegenden Problemen gekommen sein, oftmals steht Coaching auch unter dem Vorzeichen positiv formulierter Zielsetzung. Ein bestimmtes Ziel soll erreicht werden und die Begleitung durch einen externen Berater erscheint hilfreich, da er außerhalb des Systems steht, das sich die Veränderung wünscht.
Wie bereits erwähnt, sind oftmals die Grenzen zwischen Beruflichem und Privatem fließend und so wird ein Coach oft auch dann in Anspruch genommen, wenn das diffuse Gefühl besteht, nicht sicher zu sein, ob das eigene Leben eine Richtung nimmt, die man sich wünscht.
Viele Klienten benötigen eine grundlegende Evaluierung ihres derzeitigen Lebens, der aktuellen Ausrichtung und den tatsächlichen Wünschen, um zu sehen, ob diese Dinge zum gegenwärtigen Zeitpunkt kompatibel sind. Oftmals spielen hier Entwicklungen in der Partnerschaft oder im Familienleben eine Rolle, aber auch Hobbys, Interessen, die Balance zwischen Arbeit und Freizeit oder die Umgangskultur im Familienkreis können wichtige Faktoren eines Coachings sein. Manche Klienten kommen mit dem Anliegen eines ganz konkreten Problems bzw. einer akuten Krise und wünschen hierbei die Begleitung durch einen Coach.
Und schließlich wird Coaching nicht selten dann in Anspruch genommen, wenn jemand grundlegende Merkmale in seinem eigenen Verhalten bemerkt, die störend oder hinderlich für seine Lebensentwicklung sind. Beispielsweise mangelhaftes Selbstvertrauen, ausgeprägte Ängstlichkeit, tief verankerte Unsicherheiten im Umgang mit dem anderen Geschlecht oder fehlendes Durchsetzungsvermögen.
Systemisches Coaching findet man auch sehr häufig im Bereich von sozialpädagogischer Familienhilfe. Viele Coaches aus diesem Bereich gehen noch den weiteren Schritt hin zur Systemischen Familientherapie. Gerade Familien profitieren natürlich vom systemischen Ansatz, da alle Familienmitglieder und systemrelevanten Einflüsse einbezogen werden und Beachtung finden. In Familien ist es besonders wichtig, dass Hilfe zur Selbsthilfe geleistet wird und das Potential der einzelnen Familienmitglieder entwickelt wird und Ressourcen gestärkt werden.
Sicher kannst du dir nach dieser Aufzählung schon denken, dass die möglichen Klienten, die dein Coaching in Anspruch nehmen, ebenso vielfältig sein werden wie ihre Anliegen. Das führt nun zu der Frage, was für Menschen das tatsächlich sein werden, die sich an dich wenden. Du tust gut daran, dich bereits im Vorfeld darauf vorzubereiten.
Zusammengefasst:
Neue und unbekannte Situationen und Aufgaben und die Vorbereitung darauf
Unterstützung bei Konflikten jeder Art
Innere Kündigung
Burnout-Prävention
Selbst- und Fremdwahrnehmung
Potentiale und Ressourcen stärken
Erlernen des Umgangs mit Krisen, Stärken des Selbstvertrauens
Begleitung bei Krankheiten
Teamarbeit fördern
Veränderung oder Einführung von Führungsstilen
Organisationsentwicklung, Organisationsstrukturen und deren Veränderung oder Bearbeitung
Verbesserung der Paarbeziehung
Probleme mit den Kindern
Familiäre Situation verbessern
Ängste, Lampenfieber
Veränderung von Rollen in einer Firma, Integration neuer Mitarbeiter
Stellensuche, Kompetenz- oder Potentialanalyse
Man kann die Kunden anhand ihres Verhaltens und ihrer Erwartung unterteilen. Dir sollte klar sein, dass man nicht mit jedem Kunden arbeiten kann. Das liegt zum einen natürlich an der Persönlichkeit und der Wellenlänge, zum anderen aber auch an der Einstellung der Kunden. Vielleicht hast du schon an anderen Stellen im Leben gemerkt, dass es schwierig ist, jemanden von etwas zu überzeugen, der sich partout nicht überzeugen lassen will. Gründe dafür gibt es viele. Wichtig allein ist zu lernen, dies so stehen zu lassen.
Der Besucher
Nicht wenige kommen übrigens mit einer Einstellung, die das Coaching schwierig macht, in manchen Fällen sogar unmöglich. Werfen wir noch einmal einen kurzen Blick darauf, was dein Selbstverständnis als Coach voraussetzen sollte: Du bist ein externer Beobachter, der dem Klienten durch geschickte Gesprächsführung dabei hilft, zu entdecken, dass alles, was er benötigt, bereits in ihm zu finden ist. Eine große Schwierigkeit sind zuerst einmal Klienten, die eigentlich gar nicht begreifen, worum es beim Coaching tatsächlich geht: Sie kommen zu dir und erwarten von dir die Lösung für ihr Problem.
Mit einem Klienten, der in dieser Auffassung verhaftet bleibt, wirst du keine Erfolge haben, denn er versteht nicht, dass er selbst die Lösung seiner Probleme in Angriff nehmen muss bzw. die Veränderungen, die er möchte, herbeiführen sollte. Er wird darauf warten, dass du das für ihn übernimmst und entsprechend unzufrieden wird er sein, wenn das Problem nicht „weggezaubert“ wird. Es ist hier von großer Bedeutung, diese falsche Auffassung bereits in den ersten Klärungsgesprächen (Näheres zum Ablauf wird später noch erläutert) zu identifizieren und auch zu thematisieren. Ist der Klient nicht bereit oder in der Lage, den Unterschied wahrzunehmen und demzufolge seine Einstellung zum Coaching-Prozess zu ändern, so solltest du ihn – in euer beider Interesse – nicht als Klienten annehmen.
Der Gesandte
Eine weitere Variante des schwierigen Klienten ist derjenige, der gar nicht aus eigenem Antrieb zu dir kommt. Er ist eigentlich der Meinung, dass alles prima läuft und er gar keine Beratung oder Unterstützung notwendig hat, aber Kollegen, Ehefrau, Vorgesetzter etc. haben ihn geschickt. Bereitschaft, wirklich etwas zu ändern, bringt er kaum mit, vielmehr wird er sich von dir bestätigen lassen wollen, dass er eigentlich mit allem im Recht ist und keinerlei Unterstützung braucht. Mit solchen Klienten ist Coaching nicht möglich und du solltest das auch hier deutlich kommunizieren. Seine Motivation, regelmäßig zu kommen, wird allerdings vermutlich ohnehin nicht besonders ausgeprägt sein.
Der perfekte Berater
Ebenso viel Zustimmung fordert ein dritter Kliententypus ein. Das ist derjenige, der einsieht, dass Schwierigkeiten bestehen, aber gleichzeitig davon überzeugt ist, bereits selbst die optimale Lösung gefunden zu haben. Es fällt solchen Klienten schwer, einzusehen, dass sie nicht perfekt sind und wie jeder andere Mensch in bestimmten Situationen auf die Unterstützung anderer angewiesen sind. Diese problematische Grundhaltung rührt entweder daher, dass sie überdurchschnittlich oft mit inkompetenten Menschen zu tun haben und regelmäßig die Erfahrung machen, dass andere ihnen tatsächlich keine Hilfe sind. Oder aber sie bekommen viel zu selten realistisches Feedback bezüglich ihrer tatsächlichen Fähigkeiten und sind so davon überzeugt, dass sie eigentlich alles können, und zwar besser als die meisten anderen. Mit diesen Klienten zu arbeiten ist nicht unmöglich, verlangt aber Geduld und Fingerspitzengefühl. In jedem Falle solltest du Lösungsansätze, die der Klient bereits mitbringt, würdigen, wenn sie tatsächlich etwas zur Lösung des Problems beitragen können. Falls nicht, sensibilisiere den Klienten dafür, dass er die Situation möglicherweise noch nicht umfassend oder zutreffend genug einschätzt, und biete ihm an, ihm beim Entwickeln weiterer Alternativen zu helfen. Betone in jedem Fall den Vorteil, mehrere Strategien zur Auswahl zu haben – so vermeidest du, ihn mit kompromissloser Kritik zu kränken.
Das klagende Opfer
Ein weiterer Typ von Klienten ist im Umgang herausfordernd. Das ist derjenige, der gewissermaßen völlig in seinem Elend versinkt. In erster Linie möchte er über sein Unglück klagen und von dir als Coach erwartet er eher Mitleid und Bestätigung als konstruktive Unterstützung. Hier gilt es, herauszufinden, wie weit diese Einstellung tatsächlich reicht: Möchte der Klient sein Problem eigentlich gar nicht tatsächlich loswerden, weil er viel zu sehr an seinen Klagegewohnheiten hängt und auch nicht ernsthaft der Meinung ist, dass Dinge geändert werden können oder überhaupt sollen? Oder ist er nur so tief in seinen Problemen verstrickt, dass er es überhaupt nicht schafft, über den Tellerrand seines Unglücks zu blicken, wünscht sich aber nichts mehr, als das Problem wirklich zu lösen? Dann brauchst du viel Geduld und Einfühlungsvermögen, kannst aber durchaus beeindruckende Erfolge erwirken.
Der perfekte Coachee
Zu guter Letzt kommt nun dein Musterklient: Er weiß, was ihn stört und was er ändern möchte, sieht aber ein, dass er alleine an diesem Punkt nicht weiterkommt. Trotzdem ist ihm klar, dass die tatsächliche Arbeit daran in seinen Händen liegt und er ist motiviert und aufgeschlossen gegenüber Anregungen, Vorschlägen und neuen Denkanstößen. Er wirkt aktiv am Veränderungsprozess mit und verfolgt ihn aufmerksam und gedankenvoll. Mit diesem Kunden wirst du die meiste Freude haben – gemeinsam erarbeitete Fortschritte und Erfolge werden nicht lange auf sich warten lassen.
Welche Art Klient auch immer zu dir kommt, das Entscheidende ist, so früh wie möglich zu erkennen, mit wem du es zu tun hast. So kannst du dein Coaching-Handeln zielgerichtet gestalten und falls nötig die Grenzen deiner Möglichkeiten kommunizieren. Tatsächlich solltest du dich nicht scheuen, dir und dem potentiellen Klienten gegenüber ehrlich zu sein: Niemand von euch beiden hat etwas davon, wenn du einen Klienten annimmst, dem du nicht helfen kannst. Beide Seiten erleben lediglich Frustration und bei mangelndem Erfolg bleiben Klagen des Klienten oft nicht aus, immerhin hat er Geld dafür bezahlt, seine Probleme gelöst zu bekommen. Es empfiehlt sich in einem solchen Fall definitiv, deine Einschätzung der Situation offen anzusprechen und notfalls auch die Beendigung des Coaching-Verhältnisses in Erwägung zu ziehen. Klient um jeden Preis? Nein danke – und zudem gilt: Du solltest dir selbst stets vor Augen halten, dass es von deiner Seite eine Unverschämtheit wäre, dem Klienten seine Zeit und sein Geld zu stehlen.
Nun haben wir bereits ausführlich darüber gesprochen, welche „Voraussetzungen“ deine Klienten erfüllen sollten bzw. was für einen Umgang sie jeweils erforderlich machen – viel wichtiger für dich ist aber vielleicht die gegenteilige Frage: Was solltest du selbst eigentlich mitbringen, um ein guter Coach zu sein?
Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Fest steht: Es geht zunächst nicht um spezifische Qualifikationen oder konkrete Kenntnisse, es ist weder ein Wirtschafts- noch ein Psychologiestudium erforderlich. Manche fürchten, sie müssten im Wirtschafts- oder Managementbereich ausgebildet sein, da ein großer Teil der Klienten sich aus dem Unternehmensbereich rekrutiert, aber dies ist nicht notwendig. Natürlich kann es sehr hilfreich sein, mit den personellen und wirtschaftlichen Strukturen in Unternehmen vertraut zu sein, aber als Coach bist du kein Unternehmensberater! Du arbeitest mit Menschen an ihrem „Menschsein“, dafür ist kein Rechnungswesen nötig und du musst auch keine Finanzpläne erstellen können. Sonst wärst du ein Berater.
Nötig sind natürlich sowohl gute Kenntnisse der Systemischen Theorie und der Grundlagen systemischer Arbeit als auch eine fundierte Ausbildung als Coach, weswegen du ja unter anderem diesen Ratgeber liest. Zudem solltest du über ein breites Repertoire an Gesprächsführungstechniken verfügen und weitere Werkzeuge in deinem Methodenkoffer haben. Nicht zuletzt spielen deine menschlichen Qualitäten eine große Rolle.
Die Fähigkeiten, für die du als Coach angeheuert wirst, spielen sich jedoch vor allem auf der interpersonellen – eher psychologischen – Ebene ab. Was gefragt ist, ist deine Persönlichkeit. Du solltest eine gereifte Persönlichkeit und hohe Fähigkeiten der Reflexion – auch Selbstreflexion – besitzen, breite Lebenserfahrung ist natürlich von Vorteil. Des Weiteren solltest du natürlich Freude daran haben und mit Motivation daran arbeiten, andere Menschen ein Stück auf ihrem Lebensweg zu begleiten. Das heißt, du selbst solltest in der Lage sein, ernsthaftes Interesse an den Problemen oder der spezifischen Situation deiner Klienten zu empfinden und den persönlichen Antrieb verspüren, an einer Verbesserung mitzuwirken. Wenn dir dieser Antrieb fehlt oder du Coaching nur als eine von zahlreichen Möglichkeiten siehst, Geld zu verdienen, wird es dir vermutlich sehr schwerfallen, erfolgreich zu sein.
Die Arbeit des Coaches lebt davon, dass er selbst wünscht, seinem Klienten hilfreich zur Seite stehen zu können, allerdings ist hier eine feine Gratwanderung erforderlich: Du musst dich ernsthaft auf die Situation eines Klienten einlassen können, um ihn durch diese zu begleiten und gleichzeitig ist es oberstes Gebot, dich nicht „mit hineinziehen“ zu lassen. Deine Geschichte steht absolut im Hintergrund.
Objektivität und professionelle Distanz dürfen vom Coach niemals aufgegeben werden, ganz gleich, wie sehr eine bestimmte Sache ihn möglicherweise anrührt oder auch, wie drängend und fordernd ein Klient eventuell ist. Benötigt wird ein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen, fehl am Platz sind Mitleid oder Betroffenheit.
Du solltest in der Lage sein, gut und aufmerksam zuzuhören und einen Sinn dafür haben, Erzähltes in eine logische Struktur zu bringen.
Was erzählt dir dein Klient?
Was ist der rein sachliche Inhalt der Informationen und was kannst du aus der Art des Berichtes herauslesen?
Wie erzählt er und warum erzählt er so, wie er erzählt?
Was ist seine Absicht in Bezug auf die Informationen, die er preisgibt und welche Absichten steuern ihn vielleicht zusätzlich, aber ohne, dass er sich ihrer bewusst ist?
Welche möchte er womöglich nicht preisgeben?
Was erkennst du in seinem Verhalten während der Erzählung?
Du brauchst ein gutes Gespür für Brüche, Lücken oder ein Zögern im Gespräch und die Fähigkeit, an diesen Stellen zielgerichtet, empathisch und ohne eine Richtung vorzugeben, einzuhaken. Ebenfalls eine Herausforderung ist die Zurücknahme der eigenen Person und vor allem der eigenen Ansichten. Während der erste Punkt noch leichter fällt – es geht eben um deinen Klienten, nicht um dich –, ist es oftmals schwieriger, im zweiten Aspekt an der erforderlichen professionellen Rolle festzuhalten.
Nicht selten wird es dir im Klientengespräch passieren, dass du am liebsten aufspringen und rufen möchtest: „Aber XY ist doch ganz eindeutig falsch, das dürfen Sie auf keinen Fall mehr tun!“, oder „Wie kann es sein, dass Sie XY nicht sehen oder begreifen?“ Das ist aber nicht deine Aufgabe. Systemisches Coaching fußt auf der Annahme, dass dein Klient nicht davon profitiert, wenn du ihm eine lehrreiche Predigt hältst (dies ist, wenn dann die Aufgabe von Fachberatern oder Ärzten).
Er profitiert nur davon, sich Erkenntnisse selbst erarbeitet zu haben und infolgedessen alle notwendigen Zusammenhänge und Bedingungen zu begreifen. Zudem ist auf diese Weise sichergestellt, dass alles, was er sich erarbeitet, im Einklang mit seinen persönlichen Werten und Ansichten steht. Dies ist der zweite wichtige Punkt, in welchem du dich zurückhalten kannst, ohne jedoch den Respekt vor deinem Klienten zu verlieren oder ihn und sein Anliegen „aufzugeben“. Dein Klient möchte ein Leben ohne Familie und du bist der festen Überzeugung, Kinder sind das Schönste im Leben? Dein Klient ist religiös und du bist festverhaftet auf dem Boden der Naturwissenschaften und des Atheismus? Dein Klient hängt einer veganen Ernährungsweise oder politischen Ansichten an, die du für unsinnig hältst? Nichts davon hat im Coaching-Prozess etwas zu suchen.
Deine Aufgabe ist es, den Klienten in der Realität, die er für sich gewählt hat, zu begleiten und dafür solltest du in der Lage sein, deine eigenen Überzeugungen vom Coaching-Prozess getrennt zu halten.
Der Klient ist in der Welt, in der er lebt, anzunehmen, so wie er ist. Lediglich dann, wenn es sich während des Coaching-Prozesses abzeichnet, dass ein Teil dieser Welt an sich das Problem sein könnte, hast du die wichtige Aufgabe, ihn zu dieser Erkenntnis zu begleiten. Doch auch hier ist es niemals deine Sache, ihn darauf hinzuweisen oder dorthin zu drängen.
Wozu du allerdings bereit und fähig sein darfst, ist Konfrontation. Mehrere Gesprächs- bzw. Fragetechniken verlangen genau das und es ist deine Aufgabe, die Balance zwischen aufrüttelnder Konfrontation, die Bewegung in Festgefahrenes bringen kann, und unangemessener Einmischung oder sogar Abschreckung zu finden. Dies ist das Schütteln, das System erst ins Chaos zu bringen, von dem ich im ersten Teil schon sprach.
In diesem Balanceakt ist ein entscheidender Faktor deine Glaubwürdigkeit: Kannst du dem Klienten vermitteln, dass du ihn aufrichtig ernst nimmst und respektierst, auch wenn du in seinem Verhalten problematische Muster erkennst?
Womöglich sogar Dinge, die deinen persönlichen Überzeugungen zuwiderlaufen? Weder Heuchelei noch Ablehnung oder Bekehrung sind hier zielführend, sondern lediglich deine Aufrichtigkeit und charakterliche Stabilität. Dein Klient muss nicht das Gefühl haben, dass du sein bester Freund wirst, er muss das Gefühl haben, dass du ein ernsthaftes Interesse daran hast, ihn bei seiner Entwicklung zu begleiten – ganz gleich, wie die aussehen mag.
Voraussetzungen des Rahmens
Abschließend gibt es noch einige ganz offensichtliche Voraussetzungen, die du bereit sein musst, mitzubringen.