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Drei Schussechos donnerten durch das Bankgebäude. Das geschäftige Treiben der Angestellten und Kunden gefror augenblicklich. Entsetzt starrten sie auf die drei maskierten Gestalten, die mit ihren Gewehren im Anschlag die Schalterhalle stürmten.
Zwei Wachleute hielten sich in der Halle auf. Einer von ihnen war ein breitschultriger, leicht übergewichtiger Mensch, der zweite ein Pantherdämon. Seine dunklen Barthaare vibrierten, während er sich aus seiner starren Haltung löste und seine Waffe zog.
Der Dämon reagierte viel zu langsam. Noch ehe er auf die Räuber anlegen konnte, geriet er selbst unter Feuer. Dünne Rauchfäden lösten sich aus den Gewehren der drei Männer, während sich ihre Geschosse mit brachialer Gewalt in die behaarte, von einer Fantasieuniform verhüllte Brust gruben ...
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Seitenzahl: 157
Cover
Impressum
Was bisher geschah
Piraten der Dämmerung
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
»Geisterjäger«, »John Sinclair« und »Geisterjäger John Sinclair« sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Timo Wuerz
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-5351-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Die Hauptpersonen dieses Romans sind:
Wynn Blakeston: Gestrandeter aus einer anderen Dimension
Bella Tosh: Lieutenant beim TC Police Department
Kajahn: Panthermann, Sergeant beim TC Police Department
Corinna Dekker: Wynns Kollegin beim Twilight Evening Star
Captain Dekker: Corinnas Vater, einst Anführer der »Pirates of the Dawn«
Kranos: Vampir, vor vielen Jahren die rechte Hand des Piratenkapitäns Dekker
Dylanon: ehemaliges Mitglied der Pirates of the Dawn
Isabelle: Mischung aus Werkatze und Mensch, Dylanons Partnerin
Jeff Poulsen: Gefängniswärter auf Land’s End
Johnny Conolly hat seine Mutter verloren. Sie wurde von einem Schnabeldämon brutal ermordet. Als dieser Dämon durch ein Dimensionstor flieht, folgt Johnny ihm.
Kurz darauf wird das Tor für immer zerstört, sodass es für Johnny keine Möglichkeit zur Rückkehr gibt. Das Dimensionstor spuckt ihn schließlich wieder aus – in einer anderen Welt. Er ist in Dark Land gelandet, genauer gesagt in Twilight City, einer Stadt voller Geheimnisse.
Menschen und Dämonen leben hier mehr oder weniger friedlich zusammen, und doch ist Twilight City voller Gefahren. Die Stadt ist zudem von einem dichten Nebelring umgeben, den kein Einwohner jemals durchbrochen hat. Niemand weiß, was hinter den Grenzen der Stadt lauert …
In dieser unheimlichen Umgebung nennt sich Johnny ab sofort Wynn Blakeston – für den Fall, dass irgendjemand in Twilight City mit seinem Namen John Gerald William Conolly etwas anfangen kann und ihm möglicherweise Übles will. Schließlich wimmelt es hier von Dämonen aller Art – und die hat Wynn in seiner Heimat immer bekämpft.
Wynn findet heraus, dass der Schnabeldämon Norek heißt und skrupelloser und gefährlicher ist als alle seine Artgenossen, die sogenannten Kraak.
Als Wynn wegen eines unglücklichen Zwischenfalls zu einer langen Haftstrafe verurteilt wird, zahlt der geheimnisvolle Sir Roger Baldwin-Fitzroy das Bußgeld und nimmt ihn in bei sich auf – warum, das weiß Wynn nicht.
Er lernt Sir Rogers Tochter Abby und seinen Diener Esrath kennen, die auch in Sir Rogers Villa leben. Er freundet sich mit Abby an, sie wird schon bald zu seiner engsten Vertrauten in dieser mysteriösen Welt.
Was Wynn nicht ahnt: Auch sein geheimnisvoller Gönner hat noch eine Rechnung mit dem Dämon Norek offen. Als es Sir Roger schließlich gelingt, Norek zu schnappen, liefert er den Kraak dem Wissenschaftler Dr. Shelley aus, der gleichzeitig Leiter des Sanatoriums Dead End Asylum im Deepmoor ist. Dieser verpflanzt Noreks Gehirn in einen anderen Körper und sperrt Norek in seinem Sanatorium ein.
Sir Roger aber präsentiert Wynn Noreks toten Körper, sodass der glaubt, der Kraak wäre für immer besiegt.
Doch einen Ausweg aus Dark Land scheint immer noch in weiter Ferne, und Wynn muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass sein Aufenthalt in dieser Welt wohl noch länger andauern wird. Mit Abbys Hilfe hat er inzwischen einen Job beim Twilight Evening Star ergattert, der größten Zeitung von TC. Als man dort erkennt, dass er für Größeres bestimmt ist, steigt er vom Archivar zum Reporter auf.
Und schon bald stellt Wynn fest, dass noch ganz andere Aufgaben in TC auf ihn warten …
Währenddessen ist Abby dem Geheimnis ihrer verstorbenen Mutter ein Stück näher gekommen. Offenbar war diese eine Hexe, und Sir Roger scheint eine düstere Vergangenheit zu haben. Nun fragt Abby sich, ob das Erbe ihrer Mutter auch in ihr schlummert …
Piraten der Dämmerung
von Rafael Marques
Drei Schussechos donnerten durch das Bankgebäude. Das geschäftige Treiben der Angestellten und Kunden gefror augenblicklich. Entsetzt starrten sie auf die drei maskierten Gestalten, die mit ihren Gewehren im Anschlag die Schalterhalle stürmten.
Zwei Wachleute hielten sich in der Halle auf. Einer von ihnen war ein breitschultriger, leicht übergewichtiger Mensch, der zweite ein Pantherdämon. Seine dunklen Barthaare vibrierten, während er sich aus seiner starren Haltung löste und seine Waffe zog.
Der Dämon reagierte viel zu langsam. Noch ehe er auf die Räuber anlegen konnte, geriet er selbst unter Feuer. Dünne Rauchfäden lösten sich aus den Gewehren der drei Männer, während sich ihre Geschosse mit brachialer Gewalt in die behaarte, von einer Fantasieuniform verhüllte Brust gruben …
Der Dämon brüllte auf. Eine Fontäne schwarzen Blutes schoss aus seinem Körper, als eines der Projektile an seinem Rücken wieder heraustrat.
Schemenhaft sah er, wie Joe Thurnbull, sein menschlicher Kollege, von einer Kugel in den Kopf getroffen wurde. Nicht einmal ein Stöhnen entwich seinem Mund, als Joe auf der Stelle zusammenbrach. Nur durch seine gewaltigen Pantherkräfte gelang es Darkran, dem Dämon, sich noch auf den Beinen zu halten. Die Pistole rutschte jedoch aus seinen Fingern.
Er sah die drei Maskierten lächeln. Einer von ihnen zog etwas hervor, das seine schwindenden Sinne als Handgranate identifizierten. Während der Räuber das Ei in seine Richtung warf, stand Darkran einfach nur da. Zu mehr war er durch seine schweren Verletzungen nicht in der Lage.
Im nächsten Moment explodierte die Handgranate. Für wenige Sekundenbruchteile sah er einen Feuerball auf sich zurasen, dann wurde sein Körper auf der Stelle zerrissen …
***
»Das ist ein Überfall!«, brüllte Thonbar in die Menge. »Keine Mätzchen mehr, habt ihr gehört? Wenn ich erlebe, wie einer von euch auch nur niest, blase ich ihm das Hirn weg. Ich hoffe, jeder von euch hat verstanden, was wir mit denjenigen machen, die sich uns in den Weg stellen.«
Der Vampir begann erneut zu grinsen, als er in die vom Schrecken gezeichneten Gesichter der Menschen und Dämonen blickte. Keiner von ihnen wagte es, sich auch nur um einen Deut zu bewegen. Viele starrten noch auf den von der Handgranate zerfetzten Körper des Pantherdämons. Thonbar genoss diese Momente. Erst jetzt spürte er, wie sehr er es vermisst hatte, Angst und Schrecken in der Stadt zu verbreiten.
Ob die Leute Angst um sich selbst oder nur um ihr Geld hatten? Wahrscheinlich beides. Doch der Vampir war nicht an den Beads interessiert, die manche der Kunden sogar in Säcken in die Bank geschleppt hatten.
Das Geldinstitut war in den letzten Jahren deutlich modernisiert worden. Die insgesamt fünfzehn Schalter waren aus edlen Hölzern gefertigt. Mehrere kleine Zierbäume gaben der Wartehalle eine entspannte Atmosphäre. An der Decke hing ein breiter Kronleuchter.
Über dem Vampir zog sich eine Art Galerie, auf der sich die Büros der höheren Bankangestellten befanden. Thonbar sah, wie sich ein grauhaariger Mann im Anzug über das Geländer beugte und zu ihm heruntersah. »Bist du der Direktor?«, rief er ihm zu.
Der Mann zuckte zusammen und schüttelte den Kopf. Da drückte der Vampir erneut ab. Das Projektil zerfetzte die linke Schulter des Grauhaarigen, der über dem Geländer zusammensackte. Dunkelrotes Blut tropfte nur wenige Zentimeter neben Thonbar herab. Der Drang, einfach das Maul aufzureißen und den Lebenssaft in seine Kehle tropfen zu lassen, war übergroß. Dennoch riss sich der Blutsauger zusammen.
»Ich will den Direktor sprechen!«, rief er in die Menge. »Sonst gibt es noch mehr Tote. Das wollt ihr doch nicht, oder?«
»Ich hole ihn«, meldete sich ein spindeldürrer Bankangestellter zu Wort. Der Mann verließ seinen Schalter, hob die Arme und bewegte sich in Richtung der Aktenberge, die die gesamte rückseitige Wand der Bank abdeckten. In ihnen waren alle Kunden des Geldinstituts, die Art und der Wert ihrer Einlagen und ihre Kontobewegungen verzeichnet. Ein krakenähnlicher Dämon mit acht Armen war gerade dabei gewesen, einige Ordner aus der Wand zu ziehen, als der Überfall begonnen hatte. Mittlerweile stand er ebenso starr da wie all seine Kollegen.
Nur der dürre Anzugträger bewegte sich weiter in Richtung Wand. Endlich sah Thonbar, was er vorhatte. Mitten zwischen den Aktenbergen befand sich eine Tür. Der Feigling wollte also nicht den Direktor holen, sondern seine Kollegen und Kunden zurücklassen, um seine eigene Haut zu retten.
Thonbar gab der Gestalt neben ihm ein Zeichen. Der Narde war zwar deutlich kleiner als er, dafür aber nicht minder gefährlich. Der Leichenfresser war ein geübter Scharfschütze. Mit einem kurzen Sprung erreichte er die Sitzfläche einer der aufgestellten Stühle und legte auf den Fliehenden an.
Ein einziger Schuss krachte. Thonbar sah, wie die Kugel den Mann mitten in die Stirn traf. Durch das gewaltige Kaliber des Geschosses blieb von seinem Kopf kaum etwas übrig. Wie ein gefällter Baum brach er zusammen.
»Ich bin Dorian Kurtz, der Direktor. Bitte nicht mehr schießen!«
Über eine breite Holztreppe schritt ein etwa vierzig Jahre alter Mann herunter. Sein Äußeres deutete auf einen Menschen hin, doch Thonbars geschärfte Sinne sorgten dafür, dass er ihm direkt in die Augen sehen konnte. Sie waren komplett schwarz. Was für eine Art von Dämon er war, konnte er so zwar nicht erkennen, aber zumindest wusste er jetzt, dass er den Kerl nicht unterschätzen durfte.
Der Bankdirektor rückte seine dunkle Fliege zurecht. Er wirkte durch die Waffen der Räuber keineswegs eingeschüchtert. Dafür sprach auch sein schmales Grinsen »Was kann ich für Sie tun, die Herren?«, fragte er mit ruhiger Stimme.
Thonbar wies Carl, den Narden, an, mit ihm zu kommen. Vhonizz, sein zweiter Komplize, blieb zurück und behielt die Geiseln im Auge. Er wusste, dass er dem Baumdämon blind vertrauen konnte. An ihm würde keiner so leicht vorbeikommen.
»Ich möchte, dass Sie mich zum Tresorraum mit den Schließfächern führen«, erklärte der Vampir, als er Dorian Kurtz direkt gegenüberstand. Noch immer war er sich nicht sicher, mit was für einem Dämon er es zu tun hatte. In Twilight City gab es unzählige Arten. Manche von ihnen waren so selten, dass niemand genau wusste, wer sie eigentlich waren.
Der Direktor öffnete seinen Mund. Einen Augenblick lang sah Thonbar die spitzen, strahlend weißen Zähne seines Gegenübers. »Zu den Schließfächern?«, fragte er.
»Ja, das sagte ich doch. Sind Sie dazu in der Lage, oder muss ich erst noch einige Exempel statuieren?«
»Das wird nicht nötig sein. Ich führe Sie hin, mein Herr. Bitte folgen Sie mir.«
Kurtz drehte sich um und ging an der Treppe vorbei in den Hinterraum der Bank. Thonbar folgte ihm, wenn auch mit etwas Sicherheitsabstand. Er traute dem Dämon nicht über den Weg. Seine Selbstsicherheit war mehr als verdächtig.
Der Bankdirektor führte sie zu einer Doppeltür. Als er sie öffnete, erkannte Thonbar, dass sie den Eingang zu den unteren Geschossen des Geldhauses darstellte. Eine breite, gut beleuchtete Steintreppe führte vor ihnen in die Tiefe.
Der Blutsauger hatte schon davon gehört, dass sich dort unten ein riesiger Bottich voll mit Beads befinden sollte. Bei einer anderen Gelegenheit hätte er sicher versucht, ihn auszuräumen, doch im Moment ging es ihm um etwas ganz anderes.
Zunächst einmal durfte er Dorian Kurtz nicht aus den Augen verlieren. Der Dämon hatte bereits einen Teil der Treppe zurückgelegt. Thonbar ließ dem Narden den Vortritt. Der kleine Leichenvertilger huschte erstaunlich flink die Stufen herab, bis er Kurtz erreichte. Wortlos legte er mit seiner Waffe auf ihn an. Der Bankdirektor wirkte nicht im Mindesten beeindruckt. Er nickte Carl nur kurz zu und setzte seinen Weg fort.
Da nahm auch der Vampir die Verfolgung auf. Die Treppe führte gut vierzig Meter in die Tiefe, bis sie in einem wie geleckt wirkenden Gang mündete. Die Steinwände waren mit weißer Farbe bestrichen. Der Boden war sogar gefliest. Etwa alle zwanzig Meter waren zu beiden Seiten schwere Eisentüren in die Wände eingelassen worden.
Kurtz lief einfach weiter, bis er das Ende des Korridors erreichte. Dort befand sich eine weitere Doppeltür, die mit einem Tresorschloss gesichert war. Mit wenigen, geübten Bewegungen drehte er das Schloss bis zu den geforderten Zahlenkombinationen. Ein Knacken erklang, woraufhin die beiden Türflügel aufschwangen.
Da sah Thonbar, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Der Raum war riesig. Langsam ahnte er auch, warum die Bank einen etwa fünfzig Meter in die Höhe ragenden Turm hatte. Der Schließfachtresor reichte so weit nach oben, dass die Decke von den letzten Lichtstrahlen nicht mehr erreicht wurde.
Der etwa zwanzig mal zwanzig Meter große Raum musste Millionen von Schließfächern beinhalten. Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen war dagegen schon eine leichte Übung. Es gab keine Treppen oder Fahrstühle, um die einzelnen Fächer zu erreichen. Thonbar konnte sich höchstens in seine Fledermausgestalt verwandeln, aber darauf wollte er eigentlich verzichten.
Stattdessen zog er eine auf weißes Papier geschriebene Liste mit sechs Namen hervor, deren Schließfächer er finden wollte. »Ich will den Inhalt dieser Fächer«, erklärte er dem Bankdirektor, während er ihm das Blatt reichte.
Kurtz grinste. »Das lässt sich sicher einrichten«, erwiderte er und riss den Mund auf.
Plötzlich blickte Thonbar in einen gewaltigen, dunklen Schlund. Nach kurzer Zeit nahm er mehrere Bewegungen wahr. Etwas kroch den Hals empor. Es waren dunkle, geflügelte Gestalten. Drei nackte Zwerge von der Größe einer Menschenhand, mit glatter ledriger Haut und kurzen Schwingen auf dem Rücken. Der Vampir sah in kleine, rot leuchtende Augen. Die bizarren Wesen öffneten die Mäuler und präsentierten ihm ihre spitzen Reißzähne.
Obwohl der Blutsauger so etwas wie diese Wesen noch nie zuvor gesehen hatte, blieb er ruhig. Mit seiner freien Hand zog er eine zweite Handgranate hervor und hielt sie Dorian Kurtz entgegen, der wohl nur als Wirtskörper für diese zwergenähnlichen Kreaturen diente.
»Glaubt bloß nicht, dass ich mich von eurem Auftritt beeindrucken lasse«, rief er den Geflügelten zu. »Eine falsche Bewegung, und ich sprenge euer hässliches Zuhause in die Luft. Einer von euch darf das Maul verlassen und die Schließfächer holen. Die anderen beiden bleiben zurück. Falls euer Bruder auf die Idee kommt, den Helden zu spielen …«
Die Kreaturen wirkten für einen Moment unschlüssig. Mehrmals zischten sie sich leise etwas in einer Thonbar unbekannten Sprache zu. Schließlich löste sich eines der Wesen aus dem Dreierverbund und stieg den Rest des Halses empor. Von dem glatten Körper der Kreatur, die, abgesehen von dem Flügelpaar, wirklich wie die verkleinerte Version eines Menschen wirkte, tropfte eine undefinierbare Flüssigkeit. Noch einmal zischte sie dem Vampir etwas entgegen, dann breitete sie ihre Flügel aus und glitt empor.
In den folgenden Minuten verrichtete die kleine Kreatur ihr Werk. Jedes Mal, wenn sie ihr Ziel erreichte, musste sie einfach nur beide Hände auf die Tür des Schließfachs legen, woraufhin eine Art magisches Schloss entriegelt wurde. Wie der kleine Dämon die richtigen Fächer fand, blieb ein Rätsel. Möglicherweise hatte er eine Art fotografisches Gedächtnis.
Thonbar nahm sich nicht die Zeit, den Inhalt der eisernen Behältnisse zu kontrollieren. Stattdessen ließ er Carl sie einfach in einen Sack stecken und über die Schulter werfen.
Nachdem er seinen Auftrag erfüllt hatte, flatterte der Geflügelte zurück zu seinem Wirtskörper und landete auf Dorian Kurtz’ Kopf.
»Und jetzt?«, fragte der schwarze Dämon, dessen zischende Stimme kaum zu verstehen war.
»Jetzt …«, begann er, sprach aber nicht zu Ende und drückte einfach ab.
Die Kugel zerfetzte die kleine Gestalt, noch ehe sie reagieren konnte. Gleichzeitig zog der Vampir den Stift aus der Granate und schleuderte sie in den Rachen des Bankdirektors. Dann gab er dem Körper noch einen Tritt, der ihn in die Mitte des Raumes schleuderte.
Um die folgende Explosion kümmerte sich Thonbar nicht mehr. Nachdem auch Carl den Raum verlassen hatte, schloss er die Doppeltür wieder und machte sich auf den Weg nach oben. Trotz seiner geringen Körpergröße hatte der Narde keine Probleme, den schweren Sack zu tragen.
In der Schalterhalle erwartete ihn bereits Vhonizz, der Baumdämon. »Keiner hat sich gerührt«, erklärte er mit der für seine Art typischen, grollenden Stimme. »Sie waren sehr artig.«
Thonbar wollte ihn bereits loben, als ein Geräusch von außerhalb der Bank erklang, das ihm überhaupt nicht gefiel. Es war eine Polizeisirene. »Verdammt«, fluchte er. Dabei hatte er alles so genau durchgeplant. Nur dass er so viel Zeit in dem Tresorraum verlieren würde, damit hatte er nicht gerechnet. Dafür bekam er jetzt die Quittung.
»Was jetzt?«, fragte Carl.
»Was wohl? Wir schießen uns den Weg frei. Und du sorgst dafür, dass wir keines der Fächer verlieren. Vhonizz und ich geben dir Feuerschutz.«
»Okay.«
Obwohl er äußerlich ruhig geblieben war, verspürte der Vampir doch eine gewisse Nervosität in sich aufsteigen. Die Glasfront der Bank war von breit gefächerten Jalousien verhüllt. Zwar war die Dämmerung bereits über die Stadt hereingebrochen, doch in Twilight City wurde es nie ganz dunkel. Außerdem gab es in der näheren Umgebung noch einige Straßenlaternen. So konnte er zumindest erkennen, dass es mindestens zwei oder drei Polizeiwagen waren, die vor dem Gebäude Stellung bezogen hatten.
Etwas schabte über den Boden. Es waren die dicken Wurzelknollen des Baumdämons, die Vhonizz als Beine dienten. Auch sein Kumpan wusste, dass sie auf keinen Fall versagen durften. Schließlich hing von ihrer Aktion viel ab.
»Los jetzt!«, wies Thonbar seine Helfer an.
Der Eingang der Bank bestand ebenfalls aus einer Glastür. Während Vhonizz ihre Flucht nach hinten absicherte, trat der Vampir die Tür einfach auf und begann zu schießen. Kugel um Kugel jagte er aus dem Lauf und auf den Vorplatz. Er sah, wie die ersten Scheiben der Polizeiwagen zerplatzten. Einer der Beamten ging getroffen zu Boden, die anderen brachten sich schreiend in Sicherheit.
Die drei dunklen Streifenwagen waren nebeneinander postiert und boten den Polizisten so einigen Schutz. Vhonizz, Carl und er konnten sich dagegen nur auf ihre Bewaffnung verlassen.
Der Vampir hörte, wie in der Bank Geschrei aufbrandete. Gleichzeitig hörte er das laute Quietschen von Reifen. Eine dunkle Limousine schoss mit waghalsiger Geschwindigkeit über die nahe gelegene Kreuzung und hielt direkt auf den Vorplatz zu.
Thonbar wusste, was zu tun war, und lief los. Dabei zog er noch eine Pistole, die er die ganze Zeit über unter seinem langen Mantel verborgen gehalten hatte. Mit allem, was er besaß, feuerte er auf die Polizisten.
Wieder spritzte Blut, als eine Uniformierte im Bereich des Halses getroffen wurde. Ihre Kollegen gaben jedoch nicht auf. Einer von ihnen legte mit einer Handkanone auf den Blutsauger an und drückte ab. Eine dunkle, von Flammen durchzogene Wolke schoss direkt auf Thonbar zu.
Im letzten Moment gelang es dem Vampir, sich zur Seite zu werfen und so der tödlichen Feuerwolke zu entkommen. Vhonizz dagegen hatte nicht so viel Glück. Die Flammen trafen ihn voll. Im Nu stand er lichterloh in Flammen.
Seinem Kumpan war nicht mehr zu helfen. Carl hatte den Fluchtwagen fast erreicht. Immerhin etwas. Mit aller Kraft sprang der Vampir wieder auf die Beine, feuerte noch einmal in Richtung der Polizisten und sprintete los. Er hörte noch die Schüsse der Beamten, wurde auch einmal an der Schulter getroffen, doch letzten Endes gelang es ihm, den Wagen zu erreichen und sich auf den Beifahrersitz zu werfen.
Da gab der Fahrer Gas. Mit quietschenden Reifen jagte der Maskierte über das Kopfsteinpflaster und zurück auf die Straße. Hinter sich hörte er noch die Polizeisirenen, die jedoch langsam verklangen. Als ihm klar wurde, dass sie es wirklich geschafft hatten, konnte Thonbar wieder lächeln.
***