John Sinclair 2018 - Rafael Marques - E-Book

John Sinclair 2018 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

Atlantis war dem Untergang geweiht.

Nur wenige wussten die Zeichen, die dieser mit Magie angefüllte Kontinent aussandte, richtig zu deuten. Seit Wochen regnete es ununterbrochen. Selbst kleine Bäche hatten sich zu reißenden Fluten entwickelt und ganze Dörfer mit sich gerissen.

Tausende Menschen, Mutationen und andere Wesen hatten bereits ihr Leben verloren. Doch das war nur ein Vorspiel. Das wahre Grauen stand den Bewohnern von Atlantis erst bevor ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Herrscher von Atlantis

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Unholy Vault Designs

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4532-2

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Herrscher von Atlantis

von Rafael Marques

Ca. 8.000 v. Chr.

Wie ein Klagelaut eines urwelthaften Monstrums drang das Heulen des Sturms durch die Finsternis. Sintflutartige Regenfälle ergossen sich auf die zerklüfteten Berghänge. Hin und wieder zuckten Blitze durch die Luft, deren Licht den gesamten Himmel erleuchtete. Durch die gewaltigen Wolkenberge glitzerte nicht ein Stern. Und wenn der Wind doch eine Lücke in die schwarzgraue Wand riss, wünschte jeder Beobachter sich, nichts gesehen zu haben …

Atlantis war dem Untergang geweiht. Nur wenige wussten die Zeichen, die dieser mit Magie angefüllte Kontinent aussandte, richtig zu deuten. Seit Wochen regnete es ununterbrochen. Selbst kleine Bäche hatten sich zu reißenden Fluten entwickelt und ganze Dörfer mit sich gerissen.

Tausende Menschen, Mutationen und andere Wesen hatten bereits ihr Leben verloren. Doch das war nur ein Vorspiel. Das wahre Grauen stand den Bewohnern von Atlantis erst bevor. Der helle Stern, der sich manchmal in einer der wenigen Lücken in der Wolkenwand zeigte, wurde immer größer.

Es war der Planet der Magier, der sich bisher in einer anderen Dimension um den alten Kontinent gedreht hatte. Ein Hort der Magie, der auch Atlantis lange Zeit seine Kraft gespendet hatte. Nicht wenige mächtige Dämonen, die auf dem alten Kontinent große Macht hatten, stammten von diesem Planeten. Nun jedoch war er dabei, auf die Erde zu stürzen – genau auf Atlantis, daran gab es keine Zweifel.

Wer sich nicht in Sicherheit brachte, war schon so gut wie tot. Einige Wesen jedoch schafften es. Meist waren es Dämonen, die in die Hölle oder eine andere Dimension flohen. Andere suchten jenseits des Meeres eine neue Heimat.

Der Dämon, der in der nur schwach erleuchteten Höhle stand und auf den Untergang seiner Heimat wartete, suchte ebenfalls einen Ausweg. Und er war nicht allein. Monströse Wesen, die wie Ausgeburten der Hölle wirkten, hatten ihn umringt. Seine Diener erwarteten von ihm, ebenfalls gerettet zu werden.

Die einzige Lichtquelle, die in dieser Höhle existierte, war ein kreisrunder, schwach leuchtender See. Der Dämon wusste, dass in ihm so etwas wie eine magische Quelle schlummerte. Wem es gelang, diese zu aktivieren, der war in der Lage, mit anderen Welten zu kommunizieren und Dinge zu sehen, die den meisten anderen verborgen blieben.

Schweigend hielt der Dämon das in den Händen, was für ihn alles bedeutete. Es war eine goldene Maske! Das uralte Prunkstück gab ein sanftes, kaum wahrnehmbares Leuchten ab. Normalerweise verhüllte er damit sein Gesicht, in diesem Moment jedoch wollte er sie selbst ansehen. Er musste mit Wesen Kontakt aufnehmen, die viel älter und mächtiger waren als er. Schon seit Tagen wartete er vergeblich auf eine Reaktion, aber jetzt sollte alles anders werden.

Der Dämon flüsterte längst vergessene Beschwörungsformeln. Er formulierte Worte in der Sprache eines vor Jahrtausenden untergegangenen Volkes. Erst durch den Besitz der Maske war sie ihm zugänglich gemacht worden. Und nun sollten sie ihm dabei helfen, dem sicheren Tod zu entgehen.

Zunächst tat sich nichts. Zumindest wäre ein neutraler Beobachter davon ausgegangen. Der Dämon jedoch spürte, dass sich etwas verändert hatte. Der Tod kam!

Es begann mit einem gewaltigen Rauschen. Der Dämon brüllte einen Befehl und ließ einen seiner Diener die Höhle verlassen. Mittels der Magie des Sees konnte er durch die Augen des anderen Wesens sehen. Und was er sah, ließ ihn erschaudern.

Der Himmel war weit aufgerissen. In Fetzen stoben die Gewitterwolken davon. Sie hatten Platz gemacht für einen gewaltigen Feuerball, der sich dem alten Kontinent immer weiter näherte. Es konnte nicht einmal mehr eine Minute dauern, dann würde seine Existenz enden.

»Erhört mich!«, rief der Dämon noch einmal in der uralten Sprache. »Nehmt mich zu euch, und ich werde Atlantis weiterleben lassen!«

Das Brausen verstärkte sich noch einmal um ein Vielfaches. Plötzlich heulte der Sturm auch durch die Höhle, so stark, dass der Dämon kämpfen musste, nicht mitgerissen zu werden. Die goldene Maske löste sich für einen Moment aus seinen Händen und strahlte hell auf.

Im nächsten Moment schon schien die Welt um ihn herum unterzugehen. Schwarze Schlieren rissen die Höhle auseinander und griffen nach seinen Dienern und ihm. Der Dämon hörte die lauten Schreie der anderen Kreaturen, er selbst jedoch blieb ruhig. Er wusste, dass eine höhere Macht eingegriffen hatte und ihm den Weg in die Zukunft weisen würde.

***

London, etwa 10.000 Jahre später

Gareth Summers rannte um sein Leben!

Wie ein schattenhaftes Geschöpf huschte er durch das Licht der Straßenlaternen. Sein Herz klopfte wie wild, doch er ignorierte den Schmerz in seiner Brust und lief weiter. Wenn er stehen blieb, war er verloren.

Er hörte die Verfolger nicht. Zu sehen waren sie ebenfalls nicht. Aber sie waren da, das wusste er genau. Er hatte es am eigenen Leib erfahren, als sie ihn fast erwischt hätten. Eine blutige Krallenspur zog sich über seinen Rücken. Nur durch seine schnelle Reaktion war er den albtraumhaften Gestalten entkommen.

In seiner Nähe erhoben sich die Hochhäuser wie graue, seelenlose Betonklötze. In einigen Wohnungen brannte Licht, aber Gareth wagte nicht, um Hilfe zu fragen. Wenn, hätte er nur noch mehr Menschen in Lebensgefahr gebracht. Und wer hätte ihm schon geglaubt, wenn er den Leuten von den monströsen Wesen berichtet hätte, die sich an seine Fersen geheftet hatten?

Gareth lief so schnell, wie ihn seine Füße tragen konnten. Als Dampfwolken quoll der Atem aus seinem Mund. Er spürte, wie seine Kräfte langsam nachließen. Mit jedem Herzschlag verschwamm sein Bewusstsein ein Stück mehr. Die Welt um ihn herum begann sich bereits zu drehen, doch er gab nicht auf. Gareth rannte immer weiter, auch wenn seine Knie langsam weich wurden.

Die Schmerzen an seinem Rücken waren kaum zu ertragen. Tief hatten sich die Krallen in seinen Körper gewühlt. Unaufhörlich pumpte Blut aus seinen schrecklichen Wunden.

Plötzlich ertönte ein Knurren! Gareth wusste sofort, dass sie ihn wieder erreicht hatten. Sehr langsam wurde ihm bewusst, dass er in dieser Nacht sterben würde. Er konnte den Kreaturen einfach nicht entkommen. Und wenn doch, würde er vielleicht trotzdem verbluten.

Er musste etwas tun. Wenn er schon sterben sollte, wollte er zumindest dafür sorgen, dass nicht noch mehr Menschen seinen Verfolgern zum Opfer fallen würden. Ohne Vorwarnung drehte er ab und rannte in eine Seitenstraße.

Aus den zahlreichen hier abgestellten Mülltonnen drang grauer, widerlich stinkender Dunst. Doch das nahm er nur am Rande wahr. Mit letzter Kraft ließ er sich gegen eine Mauer fallen und lehnte sich an den kalten Beton. Er wusste endlich, was er zu tun hatte. Ihm drehte sich der Magen um, als er nur daran dachte, aber es gab keine andere Möglichkeit.

Zitternd wanderte seine Hand an seinen Rücken. Als er seine Finger in die Wunde drückte, schrie er auf. Er wunderte sich, dass seine Verfolger noch nicht erschienen waren. Das gab ihm zumindest noch eine Galgenfrist.

Blut tropfte von seinen Fingern, als er sie gegen den Beton drückte. Trotz seiner Schmerzen gelang es ihm, etwas an die Wand zu schreiben. Eine Botschaft an die Nachwelt. Einer würde sie mit Sicherheit verstehen, und er hoffte, dass derjenige daraus die richtigen Konsequenzen zog.

Als er gerade noch einmal ansetzen wollte, waren seine Verfolger da. Ohne Vorwarnung traf ihn ein mächtiger Hieb am Rücken. Mit voller Wucht prallte er gegen die Betonwand. Seine Stirn platzte auf, während er zusammensackte.

Verschwommen nahm er seine Umgebung wahr. Dennoch sah er die beiden Gestalten, die sich direkt vor ihm aufgebaut hatten.

»Bitte, lasst mich …«, begann er mit schwacher Stimme. Doch die Kreaturen ließen ihn gar nicht erst ausreden. Brüllend stürzten sie sich auf ihn und nahmen ihm auch die letzte Lebensenergie, die noch in seinem Körper gesteckt hatte …

***

»Na, was sagst du?«

Ich blickte von meiner Kaffeetasse hoch und grinste. Glenda Perkins, die die Frage gestellt hatte, hatte sich ein neues Kleid gegönnt und wartete nun auf meine Reaktion.

»Nicht schlecht«, antwortete ich.

Glendas Miene verfinsterte sich. »Nicht schlecht?«, wiederholte sie mit gereiztem Unterton und strich über das dunkelrote Kleid. »Nicht schlecht ist der kleine Bruder von Mist.«

Ich grinste weiter. »Es sieht toll aus, Glenda«, gab ich letztendlich doch zu.

»Schon besser«, erwiderte sie, drehte sich um und setzte sich wieder hinter ihren Schreibtisch. »Aber wegen deiner Frechheit wirst du erst einmal auf einen genaueren Blick verzichten müssen.«

Ich hob die Schultern. »Ganz wie du meinst.«

Wir kannten uns lange genug. Deshalb wusste ich auch, wann Glenda nur schauspielerte und wann sie wirklich sauer war. In diesem Fall war ganz sicher Ersteres der Fall. Ich hoffte, trotz ihrer Ankündigung das Kleid später am Tage noch genauer betrachten zu können. Immerhin hatten wir uns für den Mittag zu einem gemeinsamen Essen in einem Restaurant verabredet. Danach würden wir uns den Rest des Tages freinehmen. Was dann geschehen würde, würden wir alles auf uns zukommen lassen.

Ich hoffte nur, dass uns dabei nicht etwas dazwischenkam. In einem Job wie meinem konnte man sich da nie sicher sein. Die andere Seite machte leider keine Pause, das hatte ich oft genug erlebt.

Mit langsamen Schritten ging ich zurück in das Büro, das ich mir mit meinem Freund und Partner Suko teilte. Der Inspektor hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und die Füße auf den Schreibtisch gelegt. Ein wenig wunderte es mich, dass er keinen Kommentar abgab, als ich den Raum betrat.

»Hey, schläfst du?«, rief ich Suko zu.

Mein Partner zuckte zusammen und wäre fast vom Stuhl gefallen. Im letzten Moment gelang es ihm, sich am Schreibtisch festzuhalten. »Mist«, murmelte er und gähnte.

Ich setzte mich und lehnte mich zurück. »Schlecht geschlafen?«

»Das kann man wohl sagen«, erwiderte Suko, stand auf und streckte sich. »Shao hat Montezumas Rache getroffen. Und das, obwohl wir nicht einmal in Mexiko waren. Du kannst dir vorstellen, dass wir diese Nacht kein Auge zugetan haben.«

»Deswegen warst du auf der Fahrt so schweigsam«, bemerkte ich.

Mein Partner setzte sich wieder. »Genau. Ich habe mich gefühlt wie ein Zombie.«

Ich lächelte. »Vielleicht solltest du dir ausnahmsweise auch mal einen Kaffee holen. Aber sprich Glenda bloß nicht auf ihr neues Kleid an.«

»Was hast du wieder angestellt, John?«, fragte er und erhob sich erneut. »Na ja, ich werde mal deinen Ratschlag beherzigen. Du kannst ja so lange Berichte schreiben.«

»Klar«, erwiderte ich. »Immer bleibt das an mir hängen.«

Nachdem Suko das Büro verlassen hatte, lehnte ich mich zurück und schloss die Augen. Nicht jeder Tag begann so entspannt wie dieser. Ich hoffte nur, dass meine Feinde mich wenigstens auch den Rest des Tages in Ruhe ließen. Anderenfalls würde mir Glenda wahrscheinlich die Hölle heiß machen.

Als wollte mich jemand für meinen fehlenden Arbeitseifer bestrafen, klingelte das Telefon. Ich unterdrückte einen Fluch, öffnete die Augen wieder und griff nach dem Hörer. »Ja?«, fragte ich etwas unwirsch in die Sprechmuschel.

»Störe ich dich bei irgendetwas?«, erklang eine raue, wohlbekannte Stimme. Sie gehörte niemand anderem als Chiefinspektor Tanner.

»Nur beim Faulenzen«, antwortete ich, diesmal etwas freundlicher.

»Tja, stell dir vor – manch einer muss auch tatsächlich arbeiten. Und es wäre wirklich reizend, wenn du das bald auch tun würdest.«

Ich konnte gut den Sarkasmus in Tanners Stimme heraushören. Mein alter Freund wusste genau, was für harte Tage ich schon hinter mir gehabt hatte. Manchmal hatte er das auch am eigenen Leib erlebt, wenn er stärker in meine Fälle involviert worden war.

»Hast du nur angerufen, um mir das zu sagen?«, fragte ich spöttisch.

»Nein. Ich rufe an, weil in Charlton ein Mann auf bestialische Weise ermordet worden ist. Aber da ist noch etwas, weswegen du unbedingt herkommen solltest. Anscheinend hat der Tote mit seinem eigenen Blut eine Botschaft für dich hinterlassen.«

»Was für eine Botschaft?«, fragte ich.

Tanner spannte mich auf die Folter. »Das solltest du dir besser selbst ansehen. Sonst kommst du noch auf die Idee, weiter in deinem Büro zu bleiben und zu faulenzen.«

Schnell notierte ich mir die Adresse, die mir Tanner in den folgenden Sekunden durchgab. »Okay, ich komme«, bestätigte ich.

»Gut. Bis nachher dann.«

Ich legte auf und verzog das Gesicht. Eigentlich hatte ich ja damit rechnen müssen. Jedes Mal, wenn ich glaubte, die andere Seite würde mich für eine Weile in Ruhe lassen, kam es doch ganz anders. Dabei fragte ich mich, wovor ich mehr Angst haben musste: Vor dem, was mich in Charlton erwartete oder das, was ich von Glenda Perkins zu befürchten hatte …

***

ATLANTIS LEBT

JOHN S

Die mit Blut geschriebene Botschaft war unmissverständlich. Als ich die Worte las, rann mir ein Schauer über den Rücken. Atlantis! Der versunkene Kontinent war ein Hort der Magie und Dämonen gewesen. Viele schreckliche Gestalten hatten ihn bewohnt, unter anderem auch einer meiner ältesten und größten Feinde, der Schwarze Tod.

Und nun wurde ich wieder mit dem Erbe von Atlantis konfrontiert. Nicht nur ich allein, sondern auch Suko und Tanner, der uns hergerufen hatte. Zu dritt standen wir vor dem heruntergekommen wirkenden Hochhaus, an dessen Wand die blutige Botschaft geschrieben worden war.

Zu unseren Füßen lag – in ein weißes Laken gehüllt – ein Toter. Der Mann, der mit seinem eigenen Blut die Worte geschrieben haben musste, war regelrecht ausgeweidet worden. Ich hatte nur einen kurzen Blick auf die Leiche geworfen, aber der hatte mir schon gereicht.

Wie oft hatte ich schon erlebt, dass Dämonen den Untergang von Atlantis überlebt und bis in die Gegenwart ihr Unwesen getrieben hatten? Obwohl ich keinen direkten Beweis dafür hatte, stand für mich fest, dass eine atlantische Kreatur für diesen schrecklichen Mord verantwortlich sein musste. Schon allein die tiefen Kratzwunden am Körper des Toten sprachen eine deutliche Sprache.

Aber warum hatte der Tote gerade mir eine Botschaft geschickt? ›JOHN S‹ – wer sollte damit sonst gemeint sein? Doch als ich einen Blick auf das Gesicht des Toten geworfen hatte, hatte ich sofort gewusst, dass ich ihn noch nie im Leben gesehen hatte. Andererseits gab es genug Menschen und andere Wesen, die wussten, wer ich war und welche Erfahrungen ich schon mit Atlantis gesammelt hatte.

In Momenten wie diesen wünschte ich mir, meine atlantischen Freunde bei den flaming stones einfach anrufen und um Rat fragen zu können. Aber Myxin, Kara, Sedonia und der Eiserne Engel zeigten sich nur, wenn sie es wollten, und lebten ansonsten abgeschieden von der normalen Welt. Ganz abgesehen davon war bei unserer letzten Begegnung einiges vorgefallen. Sedonia lag im Koma, und ihr Schicksal war noch immer ungewiss.1) Das hatte den Eisernen Engel hart getroffen, und er hatte sich seitdem völlig zurückgezogen.

»Atlantis«, murmelte ich nur und verzog das Gesicht.

»Hast du eine Ahnung, wer oder was so etwas getan haben könnte?«, fragte mich Suko. Sein Gesichtsausdruck hatte sich ebenso verfinstert wie mein eigener.

»Nein. Aber wir kennen doch schon genug Monster aus Atlantis, die zu so etwas in der Lage wären.«

»Das stimmt allerdings«, erwiderte mein Partner. »Bei dem Anblick des Toten hätte ich aber erst auf einen Werwolf getippt.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Auch in Atlantis gab es Werwölfe. Aber es kann natürlich auch ein ganz anderes Monstrum gewesen sein. Mich wundert nur, dass niemand so eine Gestalt gesehen haben will. Und dieser Mord kann doch nicht lautlos vonstattengegangen sein.«

»Die Leute hier haben wahrscheinlich gelernt, dass es manchmal besser ist, zu schweigen«, entgegnete Suko.

»Wir haben zumindest den Toten identifizieren können«, meldete sich Tanner zu Wort. Auch ihm war der Anblick sichtlich an die Nieren gegangen. Ebenso wie den anderen Polizisten, die den Tatort absicherten und nach verwertbaren Spuren suchten. »Sein Name ist Gareth Summers«, berichtete unser alter Freund. »Er wohnt nicht einmal weit weg von hier. In der Fairfield Grove, in der Nähe des Parks.«

»Hat er Angehörige?«, fragte ich.

Tanner hob die Schultern. »Das versuchen wir gerade herauszufinden. Zwei Kollegen sind zu seiner Wohnung gefahren. Wahrscheinlich schicke ich nachher noch die Spurensicherung dahin.«

»Dann sollten wir mal deinen Kollegen Gesellschaft leisten«, schlug Suko vor und gähnte.

»Lange Nacht gehabt?«, fragte Tanner.

Ich grinste schief. »Frag lieber erst gar nicht, Tanner. Sonst trifft dich vielleicht auch noch Montezumas Rache.«

***

Das Haus, in dem Gareth Summers bis zu seinem Tod gewohnt hatte, gehörte zu den vornehmeren von Charlton. Es strahlte eine gewisse Modernität aus, die so gar nicht zu diesem Arbeiterviertel passte. Ein etwa fünf Meter hoher, schmaler Zierbaum reckte sich vor dem quadratischen Bau in die Höhe. Summers hatte sicher nicht zu den ärmsten Menschen Londons gehört.

Vor der Garage parkte der Streifenwagen der beiden Kollegen der Metropolitan Police. Tanner hatte ihnen bereits per Funk durchgegeben, dass wir ebenfalls dem Haus des Toten einen Besuch abstatten würden.

Automatisch fragte ich mich, ob Gareth Summers ein Zufallsopfer oder gezielt getötet worden war. Wenn letzteres der Fall war, konnten wir im Haus des Toten vielleicht sogar Hinweise auf seinen Mörder finden. Irgendetwas musste Summers jedenfalls mit Atlantis zu tun gehabt haben, sonst hätte er nicht diese Botschaft hinterlassen.

Ich überlegte, vielleicht Purdy Prentiss anzurufen und die Staatsanwältin zu fragen, ob sie eine Botschaft erhalten hatte, die ihr erstes Leben auf dem versunkenen Kontinent betraf. Schließlich verschob ich es auf später, ohne es ganz aus meinem Gedächtnis zu streichen.

»Würdest du hier wohnen wollen?«, fragte mich Suko, während wir aus dem Rover stiegen.

Ich schüttelte den Kopf. »Aber auffallen kann man damit in Charlton auf jeden Fall.«

Wir schritten an dem leeren Streifenwagen vorbei und liefen durch den kleinen Vorgarten in Richtung Tür. Auf dem Klingelschild war nur der Name des Opfers abgedruckt. Damit konnten wir davon ausgehen, dass er allein gelebt hatte.

Die Tür stand einen Spaltbreit offen. Wahrscheinlich hatten die beiden Polizisten sie geöffnet, um uns den Zugang zu erleichtern. Mich wunderte nur, dass keiner von ihnen neben dem Eingang Wache hielt, um ungebetene Gäste abzuhalten.

»Hallo?«, rief ich, als ich in den breiten Flur trat.

Auch das Innere des Hauses war modern eingerichtet. Allerdings strahlte es durch die weißen Wände und die zahlreichen recht abstrakten Kunstwerke eher die Atmosphäre eines Krankenhauses aus. An einem Kleiderständer hing eine dunkle Jacke, auch zwei Paar Schuhe entdeckten wir. Auf einen Kampf wies hier jedenfalls nichts hin.

Aber auch von den beiden Beamten entdeckten wir keine Spur. »Ist jemand hier?«, rief nun Suko. Doch auch er erhielt keine Antwort.

»Da stimmt doch etwas nicht«, bemerkte mein Partner und zog seine Beretta.

Ich nickte und nahm ebenfalls meine Waffe in die Hand. Natürlich konnten sich die Beamten auch einfach im ersten Stock aufhalten, aber ich glaubte nicht so recht daran.

Durch den Flur erreichten wir ein ausladendes Wohnzimmer mit einer breiten Sitzlandschaft, einem Flachbildfernseher und sogar einer Leinwand. Auch hier hingen Kunstwerke an den Wänden. Diese Bilder zeigten allerdings völlig andere Motive. Ich sah Darstellungen von Wäldern, Schluchten und sogar antiken Städten.

»Atlantis …«, murmelte ich.

»Sieht aus, als hätte sich unser toter Freund gut dort ausgekannt«, kommentierte Suko unsere Entdeckung. »Vielleicht ist er ja auch ein Wiedergeborener.«