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Plötzlich war das Feuer da! Wie aus dem Nichts schossen die Flammen aus dem Kornfeld in die Höhe. Eduard Müller schrie auf, geriet ins Straucheln und fiel hin. Die Hitze, die die Flammen ausstrahlten, war unerträglich. Fast hatte er das Gefühl, als wären die Feuerzungen bereits auf seine Haut übergesprungen.
Unwillkürlich zuckte er zusammen. Er hatte nicht gesehen, wo die Gestalt hergekommen war, aber plötzlich stand sie vor ihm. Ein dunkles, schattenhaftes Wesen mit langen, wehenden Haaren und einem weiten Kleid baute sich nur wenige Meter vor ihm auf.
Die Schattenfrau war gekommen! Und sie war nicht allein ...
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Seitenzahl: 139
Cover
Impressum
Die Rache der Schattenfrau
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock/Lario Tus
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2928-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Rache der Schattenfrau
von Rafael Marques
Eduard Müller blieb mitten auf dem einsamen Feldweg stehen und schloss die Augen. Alles, was er hörte, war der Wind, der über die mannshoch stehenden Ähren strich. Gerade verschwand die Sonne hinter einer dunklen Wolke, doch das störte den Mann nicht. Er genoss diese einsamen Spaziergänge, die ihn oft weit hinaus in die Felder und manchmal auch durch die Wälder führten.
Noch ahnte er nicht, dass dieses Mal alles anders sein würde. Das Grauen wartete schon …
Als Leiter eines Ingenieursbüros in Hannover verbrachte Eduard Müller meist fünf Tage die Woche in einem kleinen Apartment im Zentrum der Landeshauptstadt. An den Wochenenden jedoch kehrte er in das Haus seiner Eltern in der kleinen Gemeinde Rodewald zurück. Aber dieser Zustand würde nicht mehr lange so anhalten.
Mit seinen sechsundfünfzig Jahren erkannte er langsam, dass es mehr im Leben gab als nur die berufliche Karriere. Er hatte genug verdient, um bereits jetzt in den Ruhestand zu gehen, und genau das hatte er auch vor.
An den Feldern um Rodewald hatte sich in all den Jahren nichts geändert. Schon als Kind hatte Eduard oft mit seinen Freunden in ihnen gespielt. Diese Zeiten waren längst vorbei, aber wenn er so die Gerüche der Felder in sich aufnahm, dann hatte er das Gefühl, noch einmal eine Zeitreise in seine Kindheit zu unternehmen.
Lächelnd öffnete Eduard die Augen wieder und setzte seinen Weg fort. Seine kurze Lederjacke hatte er über die Schulter gelegt und die Ärmel seines Hemds hochgekrempelt.
Außer ihm war niemand auf dem Feldweg unterwegs, auch kein Bauer. Ein wenig wunderte er sich darüber, wie hoch der Roggen in diesem Jahr gewachsen war. Normalerweise reichte er ihm allenfalls bis zu den Schultern, diesmal jedoch ragte er sogar wenige Zentimeter über seinen Kopf hinweg. Vielleicht handelte es sich einfach nur um diesen fast zwei Meter hoch wachsenden Bio-Roggen, von dem er schon einmal etwas gelesen hatte.
Seit einem Skiunfall vor drei Jahren humpelte Eduard leicht. Schmerzen hatte er keine mehr, aber schnell laufen konnte er nicht mehr. Die Verletzung hielt ihn jedoch nicht von seinen Wanderausflügen ab.
Tief sog er die Luft ein. Doch diesmal war es nicht nur der Geruch nach Getreide, der in seine Nase drang. Noch konnte er den Duft nicht richtig einordnen, unbekannt war er ihm jedoch auch nicht.
Es roch nach Verbranntem!
Wie ein Blitz schoss ihm der Gedanke durch den Kopf. Plötzlich war seine gute Laune verflogen. Nervös blickte er sich um, doch keine Rauchsäule stieg von den Feldern um ihn herum auf. Trotzdem verstärkte sich der Brandgeruch noch einmal. Wenn in den Roggenfeldern wirklich ein Feuer loderte, konnte es für ihn lebensgefährlich werden.
Sofort beschleunigte er seine Schritte. Er merkte jedoch schnell, dass er nicht so gut vorankam, wie er eigentlich wollte. Auch wenn er es versuchte, er konnte nicht feststellen, aus welcher Richtung der Gestank kam.
Als sich direkt vor ihm die Ähren wie von Geisterhand bewegten, bildete sich auf seinem gesamten Körper eine Gänsehaut. Kein Wind wehte, und doch wurden die starken Halme zur Seite gedrückt. Lauerte dort jemand im Feld?
Eduard Müller trat einige Schritte zurück. Plötzlich waren die dicht stehenden Kornhalme für ihn zu einem düsteren Dschungel geworden, in dem finstere Gestalten lauerten und nur auf einen günstigen Moment warteten, um ihn anzugreifen.
Doch nichts geschah. Plötzlich schoss ihm etwas durch den Kopf, an das er schon seit seiner Kindheit nicht mehr gedacht hatte: die Legende von der Roggenmuhme. Angeblich sollte in den Feldern ein weiblicher, dämonischer Geist hausen, der unartige Kinder fing, mit sich nahm und nie wieder freiließ. Zumindest hatte ihm das seine Großmutter erzählt.
Natürlich war das nur eine von vielen Geschichten gewesen, um seine Freunde und ihn zu ängstigen und dazu anzuhalten, brav zu sein. Aber was, wenn doch ein Körnchen Wahrheit in dieser Legende steckte?
Fast hätte Eduard gelacht, als er daran dachte. Er wusste selbst nicht, was ihn auf diese Idee gebracht hatte. Die Roggenmuhme war nur eine Sagengestalt, mehr nicht. Was er hier erlebte, konnte auch einen ganz anderen Hintergrund haben. Zumal in dieser Geistergeschichte niemals Rauch oder Feuer eine Rolle gespielt hatten.
Schwer atmend setzte er seinen Weg fort. Doch jedes Mal, wenn er einen Schritt weiter ging, bewegte sich auch das Getreide mit ihm. Was auch immer da geschah, ihm fiel keine logische Erklärung dafür ein.
Sein Herz pochte immer schneller. Bis zu seinem Haus waren es fast zwei Kilometer. Selbst wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, seine Schritte zu beschleunigen, hätte er für den Weg noch viel zu viel Zeit gebraucht.
Plötzlich war das Feuer da! Wie aus dem Nichts schossen die Flammen aus dem Kornfeld in die Höhe. Überrascht schrie Eduard Müller auf, geriet ins Straucheln und fiel zu Boden. Die Hitze, die die Flammen ausstrahlten, war unerträglich. Fast hatte er das Gefühl, als wären die Feuerzungen bereits auf seine Haut übergesprungen.
Nur mit großer Mühe gelang es ihm, wieder auf die Beine zu kommen. Dunkle Rauchwolken quollen ihm entgegen. Nicht nur das eine Feld stand in Flammen, sondern auch das auf der anderen Seite des Weges. Selbst über das Gras vor seinen Füßen züngelte Feuer.
Eduard hustete. Langsam bekam er keine Luft mehr. Trotzdem wollte er weiterlaufen, auch wenn er gar nicht mehr wusste, wohin er noch fliehen konnte. Die Flammen hatten ihn längst eingeschlossen. Durch den rötlich-gelben Feuervorhang schien es keinen Ausweg mehr zu geben.
Unwillkürlich zuckte er zusammen. Er hatte nicht gesehen, wo die Gestalt hergekommen war, aber plötzlich stand sie vor ihm. Ein dunkles, schattenhaftes Wesen mit langen, wehenden Haaren und einem weiten Kleid baute sich nur wenige Meter vor ihm auf.
Die Roggenmuhme war gekommen! Wieder schoss ihm dieser Name durch den Kopf. Er kam einfach nicht von diesem Gedanken weg. Die Fremde sah genauso aus, wie man ihm diese Sagengestalt immer beschrieben hatte.
Doch die Schattenfrau war nicht allein. Etwas wühlte sich durch die brennenden Ähren und trat an ihre Seite. Zuerst dachte Eduard an einen Hund, und das stimmte auch irgendwie. Allerdings handelte es sich bei dem Tier eher um eine monströse Abart mit rasiermesserscharfen Fangzähnen und rötlichen Augen, in denen das Feuer der Hölle zu lodern schien.
»Bitte, ich …«, begann Eduard.
Doch es war bereits zu spät! Wie auf einen geheimen Befehl hin schossen alle Feuerzungen um ihn herum gleichzeitig auf ihn zu. Als er spürte, dass er lichterloh in Flammen stand, schrie er noch einmal all seinen Schmerz heraus. Dann brach er zusammen und blieb regungslos auf dem Feldweg liegen. Langsam schrumpfte seine verbrannte Leiche zusammen, bis das, was von ihm übrig war, kaum noch an einen Menschen erinnerte.
So plötzlich, wie das Feuer gekommen war, verschwand es auch schon wieder. Bereits nach wenigen Minuten war von der Schattenfrau, dem Hund und den Flammen nichts mehr zu sehen. Friedlich und unversehrt bewegten sich die Ährenhalme im Wind. Nur die verbrannte Leiche erinnerte daran, dass an dieser Stelle ein schrecklicher Mord geschehen war.
***
»Kommst du jetzt endlich?«, fragte Nadine und grinste. »Oder hast du etwa Angst?«
»Nein!«, konterte Simon energisch.
»Scheint mir aber so.«
»Ist mir egal, wie dir das scheint. Ich komme mit.«
Es war Simon Haller alles andere als egal, was das Mädchen mit den langen, rotbraunen Haaren von ihm dachte. Aber er musste Nadine Engel seine wahren Gefühle für sie ja nicht unbedingt auf die Nase binden.
Hastig band der Vierzehnjährige seine Schuhe zu und lief Nadine hinterher, die bereits bis zu den Kornfeldern vorgelaufen war. Als er sie beobachtete, wie sie mit wehenden Haaren an der alten Eiche vorbeirannte, pochte sein Herz gleich doppelt so schnell.
Er versuchte vergeblich, die immer mehr in ihm aufkeimende Nervosität zu unterdrücken. Wegen des eigentlichen Grundes ihres Ausflugs machte er sich eigentlich kaum Gedanken.
Alex Hartmann und sein Bruder Nick hatten mal wieder eine gewaltige Entdeckung gemacht, wie sie es Nadine und Simon in einer SMS mitgeteilt hatten. Die beiden suchten stets nach dem großen Abenteuer, was aber meist eher nüchtern endete. Vor zwei Jahren hatten sie einmal behauptet, eine Leiche gefunden zu haben. Allerdings hatte sich diese bei näherer Betrachtung als ausrangierte Schaufensterpuppe herausgestellt.
An ihrer Freundschaft hatte dieses peinliche Erlebnis jedoch nichts geändert. Seit ihrer Kindheit hielten Alex, Nick, Nadine und er wie Pech und Schwefel zusammen.
Seine Jacke hatte Simon Haller auf der Terrasse zurückgelassen. Seine Eltern wohnten am Rande von Rodewald. Von seinem Zimmer hatte er einen wundervollen Ausblick auf die Umgebung.
Manchmal fragte er sich, ob Nadine etwas von seinen Gefühlen für sie ahnte. Nicht, dass er nicht schon längst versucht hatte, sie ihr zu verdeutlichen. Dass ihr Vater der Bürgermeister der Stadt und ihr älterer Bruder der gefürchtetste Schläger der Schule waren, machte ihm da weniger Sorgen. Er war einfach nicht in der Lage, über seinen eigenen Schatten zu springen.
Er versuchte, die Gedanken daran wieder abzuschütteln und sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Diesmal hatten Alex und Nick behauptet, inmitten der Felder ein verbranntes Haus entdeckt zu haben. Dabei wusste Simon eigentlich genau, dass das gar nicht möglich war. Er kannte das Getreidemeer um den Ort herum wie seine Westentasche. Wenn es da irgendwo ein einsames Haus geben würde, wüsste er das.
Dort, wo Alex und Nick die Ruine entdeckt haben wollten, war nichts als ein großes Roggenfeld. Aber er wollte den beiden nicht den Spaß verderben – und vor allem gegenüber Nadine nicht als Feigling dastehen.
Als er seine Freundin endlich eingeholt hatte, klingelte sein Smartphone. Nick Hartmann rief an.
»Was gibt’s?«, fragte Simon, nachdem er das Gespräch angekommen hatte.
Nick lachte. »Das wollte ich dich gerade fragen. Kommst du oder nicht?«
»Keine Sorge, ich bin schon unterwegs. Nadine auch. Wo treffen wir uns?«
»An der alten Kapelle. Aber macht euch auf etwas gefasst. Diesmal wird es garantiert kein Flop. Ich habe das Haus mit eigenen Augen gesehen. Warte, ich schicke dir ein Foto. Bis gleich!«
Bevor Simon etwas erwidern konnte, hatte Nick bereits das Gespräch beendet. Etwas irritiert blickte er zu seinem Smartphone herab, auf dem ihn gerade eine Bildnachricht erreichte. Neugierig trat Nadine neben ihn und blickte ebenfalls auf das Display. Als beide das Bild sahen, musste Simon schlucken. An eine Fotomontage glaubte er nicht, als er das verkohlt wirkende Haus sah. Zumindest die Fassade war noch intakt, wie es im Inneren des Gebäudes aussah, konnte er jedoch nicht erkennen. Anscheinend war diesmal doch etwas an den Behauptungen der Brüder dran.
Fragend blickte ihn Nadine an. »Das sieht verdammt echt aus, oder?«
»Würde ich auch sagen«, erwiderte Simon zögerlich und steckte sein Smartphone wieder weg.
Seine Freundin gab sich damit nicht zufrieden. »Hat es in letzter Zeit hier mal gebrannt?«
»Ganz bestimmt nicht. Mein Vater ist doch bei der Freiwilligen Feuerwehr. Wenn, dann wüsste ich davon.«
»Dann ist die Ruine schon ein paar Jahre alt.«
Simon hob die Schultern. »Ja, aber andererseits – ich kenne das Feld, von dem Alex und Nick erzählt haben. Da gibt es kein Haus. Nur Roggen.«
»Anscheinend nicht mehr.«
»Dann lass uns nachsehen«, erwiderte Simon diesmal etwas energischer.
Ein Lächeln huschte über Nadines Lippen. »Gut, dann los!«
Wieder liefen sie los. Bis zur alten Kapelle war es ein gutes Stück. Sie stand mitten zwischen den Feldern an einer Weggabelung. Niemand wusste so wirklich, warum man sie eigentlich so weit draußen errichtet hatte und warum sie von den Einheimischen Kinderkirche genannt wurde. Zudem machte sie auf Simon stets einen düsteren Eindruck.
Nadine lachte, während sie direkt vor ihm lief. Seine Freundin machte aus allem gerne einen Wettbewerb, aber wenn es ums Laufen ging, konnte er ihr nicht das Wasser reichen.
Als sie nach etwa fünfzehn Minuten endlich die Kapelle erreichten, lief Simon bereits der Schweiß über die Stirn. Allerdings versuchte er, sich seine Anstrengung so wenig wie möglich anmerken zu lassen.
Hinter der Kapelle traten Nick und Alex hervor. Die beiden glichen sich wie Zwillinge, allerdings war Nick Hartmann ein Jahr älter, wenn auch nicht wirklich reifer. Beide hatten kurze, dunkelblonde Haare. Auffällig an Alex’ Gesicht waren besonders die zahlreichen Sommersprossen.
Als Simon sich seinen Freunden näherte, sah er ihre Fahrräder im hohen Gras liegen. Nick hielt noch immer sein Handy in der Hand und winkte ihm damit zu.
»Na, was sagst du jetzt?«, fragte er grinsend. »Diesmal ist alles echt. Das Haus gibt es wirklich.«
»Ich glaube es dir ja«, erwiderte Simon.
Auch Alex mischte sich in das Gespräch ein. »Willst du es sehen?«
»Klar.«
»Es ist ganz in der Nähe.« Alex Hartmann wies auf ein Feld mit dicht zusammenwachsenden Kornhalmen. »Da drin steht es.«
Simon Haller sagte zunächst nichts. Die beiden Brüder hatten ihm in der SMS ja bereits beschrieben, wo sich das Haus befinden sollte. Auch wenn er das Foto gesehen und Alex etwas anderes gesagt hatte, so recht glauben wollte er es noch immer nicht. Dennoch gab er sich keine Blöße und ging los.
Schon nach einigen Metern erkannte er, dass der Roggen doch nicht so dicht stand, wie es aus der Ferne den Anschein gehabt hatte. Offenbar hatten sich Alex und Nick bereits einen Tunnel durch die Kornreihen gegraben. Simon hoffte nur, dass Karl Sacker, dem die meisten Felder in dieser Gegend gehörten, die Zerstörungen nicht entdeckte. Wenn doch, würde er ihnen die Hölle heißmachen.
»Da habt Ihr ja ganze Arbeit geleistet«, sagte Nadine, als sie die niedergedrückten Halme betrachtete.
»Wir wollten eben, dass ihr euch nicht so durch die Büsche schlagen müsst wie wir«, erklärte Nick grinsend. »Nur einen roten Teppich zum Ausrollen haben wir nicht gefunden.«
»Sehr witzig«, entgegnete Nadine.
Simon Haller trat als Erster in das Feld. »Wie seid Ihr eigentlich darauf gekommen, euch ausgerechnet hier in das Feld zu schlagen?«, fragte er.
Alex Hartmann wies auf seine Nase. »Riechst du nichts?«
»Nein«, erwidere Simon schnell, konzentrierte sich aber dennoch auf die Gerüche seiner Umgebung.
Und tatsächlich – ein leichter Brandgeruch lag in der Luft! Simon hatte ihn wahrscheinlich nicht bemerkt, weil er zu sehr mit den Gedanken an das Haus und an Nadine beschäftigt gewesen war.
»Ich rieche auch was«, stieß Nadine aus.
Alex hob die Schultern. »Tja, sag ich doch …«
Statt etwas zu erwidern, drehte sich Simon um und lief in den Tunnel. Der Trampelpfad führte in mehreren Kurven tief in das Feld hinein. Die Kornhalme um ihn herum standen so dicht, dass er fast das Gefühl hatte, sie würden immer näher rücken, um ihn schließlich zu zerquetschen. Er wusste selbst nicht, warum er daran dachte. Vielleicht, weil hier etwas geschehen war, das über seinen Verstand hinausging. Oder weil die Ähren seiner Meinung nach viel höher standen als gewöhnlich.
Wenn es das abgebrannte Haus in dem Feld wirklich gab, musste es quasi über Nacht hier erschienen sein. Wie in Trance lief er über die niedergedrückten Halme hinweg. Dennoch nahm er wahr, dass sich der Brandgeruch noch einmal verstärkte. Nicht mehr lange, dann musste er den Ursprung des Gestanks vor sich sehen.
Erschrocken zuckte er zurück, als der Trampelpfad plötzlich zu Ende war und er wieder ins Freie trat. Vor ihm stand das verbrannte Haus! Er konnte es kaum glauben. Sein Mund klappte auf, ohne dass ein Ton herausdrang.
Obwohl das dreistöckige Gebäude von dem Brand völlig zerstört sein musste, war es nicht eingestürzt. Simon erkannte, dass es aus Stein und Holz erbaut worden war. Das Dach war teilweise eingestürzt, die Fenster allesamt nicht mehr vorhanden. Ein wenig erinnerte es ihn an eines der alten Bauernhäuser, wie es sie zuhauf in der Gegend gab.
Aber nicht hier!, schoss es ihm durch den Kopf. Es war doch nicht möglich, dass ein verkohltes Haus einfach so mitten auf einem Feld erschien. Dass das Gebäude sehr alt sein musste, erkannte Simon trotz der Brandschäden.
»Na, was sagst du nun?«, fragte Alex Hartmann, der fast lautlos an ihn herangetreten war.
Simon drehte sich herum. Auch Nadine blickte mit einer Mischung aus Faszination und Überraschung auf das Haus. Gleichzeitig schoss Nick Hartmann mit seinem Smartphone noch einige Fotos.
»Das ist – unglaublich«, entfuhr es Simon.
Alex grinste. »Und wir haben es entdeckt.«
»Wart Ihr auch schon drin?«, fragte Simon spontan.
Etwas verlegen rieb sich Alex über den Nacken. »Na ja, wir … wir wollten auf euch warten. Willst du nicht vorgehen?«
Diesmal war es Simon, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. »Hast du etwa Angst?«
Alex schien etwas erwidern zu wollen, blickte jedoch kurz zu Boden, bevor er antwortete. »Ja, vielleicht. Keine Ahnung. Sag doch nicht, du hättest keine. Ich meine, da geht doch irgendetwas nicht mit rechten Dingen zu. Vielleicht ist es ja ein Geisterhaus.«