John Sinclair 2020 - Rafael Marques - E-Book

John Sinclair 2020 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

Nadja Kahl weinte. Sie konnte einfach nicht mehr. Sie wünschte sich weit weg, doch die Schmerzen holten sie stets in die Realität zurück.

Wie lange sie schon so dalag, wusste sie selbst nicht. Irgendwann versiegten ihre Tränen. Schließlich nahm sie noch einmal alle Kraft zusammen und richtete sich auf. Mit verzerrtem Gesicht drehte sie sich um - und blickte in die Mündung eines Revolvers!

"Du hast dir den falschen Ort ausgesucht", hörte sie die scharfen, von einer Frau gesprochenen Worte.

Die Frau war nicht allein. Hinter ihr bauten sich drei Begleiterinnen auf.

Nadja zitterte am ganzen Körper. Todesangst hatte sie erfasst.

"Wer seid ihr?", presste sie mühevoll hervor.

"Hexen."

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Seitenzahl: 138

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Inhalt

Cover

Impressum

Das Hexengrab

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Frank Fiedler/Rainer Kalwitz

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4534-6

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Das Hexengrab

von Rafael Marques

Tripolis war eine lebendige Stadt. Weder ihre wechselvolle Geschichte noch der Kampf gegen das alte Regime oder der noch immer andauernde Bürgerkrieg hatten daran etwas ändern können. Das Leben in der vor mehr als zweitausend Jahren von den Phöniziern gegründeten Metropole pulsierte förmlich.

Die Stadt war auch ein Treffen der Kulturen. Nicht nur, weil viele Flüchtlinge aus den südlicheren Teilen Afrikas Libyen als Brücke nach Europa ansahen. Über die Jahrhunderte war der Islam zwar zum Kernpunkt des religiösen Lebens der Menschen in Tripolis geworden, doch auch andere, viel ältere Kulte hatten sich im Geheimen gehalten …

Nicht überall war die Stadt so lebendig wie an der Küste, den Touristenzentren und den Wohn- und Regierungsvierteln. Tripolis besaß auch eine historische Altstadt, in der noch immer das Flair vergangener Zeiten zu spüren war. Abseits der Hauptstraßen gab es verwinkelte Gassen, die an abbruchreifen, scheinbar verlassenen Häusern vorbeiführten. Wer hier wohnte, wusste, dass es ein tödlicher Fehler sein konnte, eines von ihnen zu betreten.

So reagierte auch niemand, als aus einem der Häuser leise, gepeinigte Schreie drangen. Die hölzerne Tür war geschlossen. Durch die verschmutzten Fenster war kaum ein Blick möglich.

Nur wenige wussten, dass sich hinter den Mauern ein Antiquitätengeschäft verbarg. Der Besitzer, ein verschrobener Einzelgänger namens Mohammad al Bashid, wurde von den meisten Nachbarn gemieden. Seine Kunden waren meist Ausländer. Mysteriöse Gestalten, die von weit her anreisten und den Laden meist nur nachts betraten. Viele Leute munkelten, dass er mit Iblis, dem bösen Dschinn, dem Verräter des Himmels in Verbindung stand. Aber das waren nur Gerüchte.

Wieder erklang ein grauenvolles Stöhnen. Inmitten der antiken Möbel, Statuen und Gemälde kauerte ein grauhaariger Mann auf einem alten Lehnsessel. Sein weißes Hemd war zerrissen und mit Blut besudelt. Der Blick seiner Augen flackerte. Der alte Mann litt furchtbare Schmerzen. Doch er war nicht bereit, aufzugeben.

»Ich warne dich, alter Mann«, erklang die Stimme seiner Peinigerin, die sich direkt vor ihm aufbaute. »Sag mir, wo das Buch ist. Sonst wird mein nächster Schlag tödlich sein.«

Mohammad al Bashid lachte bitter. Blut rann über seine Lippen. »Ich fürchte den Tod nicht. Nein, ich empfange ihn sogar mit offenen Armen. Damit kannst du mir nicht drohen, du verfluchtes Weib. Du wirst das Buch nie bekommen.«

»Bist du sicher?«, fragte die Frau. Ohne sich von ihm abzuwenden, trat sie einen Schritt zurück und nahm etwas von einem Tisch. »Bist du wirklich sicher?«

Der alte Mann atmete schwer. Die Frau war noch gerissener, als er befürchtet hatte. Zwischen ihren Fingern sah er ein Foto seiner Familie. Seine Frau Ismaila und seine Söhne Omar und Ibrahim.

Mit sadistischem Genuss sprach die Frau jeden einzelnen der Namen aus und strich über ihre Gesichter. »Ich weiß alles über dich, alter Mann. Du gibst dich stark, aber jeder hat einen schwachen Punkt. Wenn du mir nicht das Buch gibst, werde ich mir auch deine Familie holen. Ich werde dein Erbe von dieser Welt tilgen. Ist es dir das wirklich wert?«

In Mohammad al Bashid arbeitete es. Einer Frau wie dieser konnte er nicht trauen. Er hätte es eigentlich besser wissen müssen, doch er hatte sich von ihrer Schönheit blenden lassen und ihr Eintritt gewährt. Und nun würde er sterben, trotz allem, was er in seinem Leben geleistet hatte. Seine Seele würde ihren rechtmäßigen Platz finden, aber seine Familie würde nicht bei ihm sein. Er wollte – nein, er musste um jeden Preis verhindern, dass auch sie starben.

»Also gut, ich sage dir, wo du das Buch finden kannst, wenn du schwörst, meiner Familie nichts zu tun.«

Die Frau hob beide Hände an und lächelte. »Ich schwöre.«

Mohammad al Bashid nickte schwach. Dann gab er sein Geheimnis preis.

Seine Peinigerin trat vor. Ihr Gesicht zeigte keine Regung. Auch dann nicht, als ihre Hände vorschossen und sich wie spitze Dolche in seine Brust bohrten. Augenblicklich wurde sein Leben ausgelöscht.

Doch Mohammad wusste, dass der Tod nicht das endgültige Ende war. Er hatte seine Seele einem anderen verschrieben, und der würde sie nun in Empfang nehmen. Das Jenseits, diese kalte, furchtbare Welt, würde er nie erreichen.

»Verräter!«, schallte es aus der tiefen Schwärze, die ihn umfangen hielt.

»Nein, ich …«

»Verräter! Verräter!«

Mohammad al Bashid konnte nichts mehr sagen. Er besaß keinen Körper mehr, und doch hatte er den Eindruck, als würde er in einen tiefen Schacht fallen. Erst als er tief unter sich die Flammen des Fegefeuers sah, wusste er, dass er alles falsch gemacht hatte.

***

Als die Frau längst verschwunden war, trat ein weiterer Mann in den Raum. Er hatte sich die ganze Zeit über hinter einem schweren Vorgang verborgen gehalten. Eigentlich hatte er seinem Freund und Lehrmeister helfen wollen, doch die Angst hatte sich wie eine unsichtbare Fessel um seinen Körper gelegt.

Und nun war Mohammad al Bashid tot. Seine Mörderin hatte sich das geholt, weshalb sie gekommen war. Nur wenige Menschen ahnten, welche Geheimnisse in dem Buch schlummerten, das die Frau gestohlen hatte. Es in den Händen einer Feindin zu wissen, ließ den jungen Mann seine Hände zu Fäusten ballen.

Er musste etwas tun. Schnell wurde ihm auch klar, was. Hastig lief er in Mohammads Arbeitszimmer und griff nach dem Telefon. Doch er ahnte nicht, dass er mit dem Anruf ein Räderwerk des Grauens in Gang setzte, das sich bis in ein weit entferntes Land auswirkte.

***

Ein gewaltiger Donnerschlag riss Nadja Kahl aus dem Schlaf!

Benommen sah sie sich um. Sintflutartig prasselte der Regen gegen die Scheiben des Opels. Von der Außenwelt war durch den Wasserschleier kaum mehr etwas zu erkennen. Auch die Scheibenwischer kamen dagegen nicht an. Nadja wunderte sich, wie Marco den Wagen überhaupt noch auf der Straße halten konnte.

Mit einem Seitenblick erkannte sie die Anstrengung im Gesicht ihres Freundes. Marco Dietrichs war zwanzig und damit genauso alt wie sie. Durch seinen dunkelblonden Vollbart wirkte er jedoch mindestens zehn Jahre älter.

»Guten Morgen«, sagte er und grinste schief.

Nadja stöhnte, streckte sich und richtete den Sitz wieder in seine Normalposition. »Morgen?«, fragte sie. »Wie lange habe ich geschlafen?«

»Vier Stunden. So viel Ruhe würde ich gern mal finden.«

Die dunkelhaarige junge Frau wischte sich über das Gesicht. Eigentlich hätten sie das Hotel schon längst erreicht haben müssen. Marco hatte ihr versprochen, sie zu wecken. Da hatte sie jedoch damit gerechnet, noch gut eine Stunde unterwegs zu sein.

»Wir hatten einen kleinen Stau«, erriet Marco ihre Gedanken, während er seine Finger weiter eisern um das Lenkrad klammerte. »Und außerdem – du siehst es ja selbst. Weltuntergangsstimmung.«

Nadja nickte stumm. Obwohl es gerade zwei Uhr Nachmittag war, war es draußen dunkel wie am Abend. Das lag neben den tief hängenden Regenwolken auch daran, dass sie durch einen tiefen Wald mit hohen, dicht stehenden Nadelbäumen fuhren.

»Bist du sicher, dass wir noch auf dem richtigen Weg sind?«, fragte sie und blies die Luft aus.

So hatte sie sich den ersten Tags ihres Urlaubs mit ihrem Freund nicht vorgestellt. Vierzig Stunden die Woche quälte sie sich durch ihre Ausbildung zur Bürokauffrau, da wollte sie sich auch mal etwas Erholung gönnen. Doch bisher war davon kaum etwas zu spüren.

»So sicher wie das Amen in der Kirche«, entgegnete ihr Freund.

»Was sagt das Navi?«

»Das sagt: Ich habe Feierabend. Wir sind noch knapp zehn Kilometer entfernt vom Hotel, da habe ich es ausgestellt. Mit dem Ding komme ich mir immer geistig zurückgeblieben vor.«

Nadja verdrehte die Augen. Marco konnte zwar ungemein süß sein, am Steuer allerdings war er ein sturer Hund. Er ließ sich nichts sagen, nicht einmal von einem Navigationsgerät.

»Man sieht doch die Hand vor Augen nicht mehr«, versuchte sie dennoch, an seine Vernunft zu appellieren. »Wie willst du da den richtigen Weg finden?«

Marco starrte sie für einen Moment verärgert an. »Lass mich einfach, okay?«

Nadja hob beschwichtigend die Hände und wandte sich ab. Sie hatte keine Lust, sich gleich am ersten Urlaubstag zu streiten. Noch dazu über so ein Thema. Stattdessen starrte sie aus dem Fenster und versuchte zumindest etwas von dem Wald zu erkennen.

Das Erzgebirge bot wirklich wunderbare Landschaften. Die Nadelbäume standen dicht an dicht und wuchsen den gesamten Hang entlang bis zu dem Bach hinunter, von dem sie im Moment nichts sah. Gerade diese freie Natur war es, die sie in diese Gegend gelockt hatte. Marco hätte die sieben Tage sicher lieber in einer Großstadt wie Köln oder Frankfurt verbracht, was auch deutlich näher an ihrer Wohnung in Kassel gelegen hätte. Aber schließlich hatte er klein beigegeben und Nadja ihren Willen gelassen.

Die Straße war schmal und führte serpentinenartig durch den Wald. Ganze Sturzbäche bahnten sich ihren Weg über die Fahrbahn. Auch einzelne Äste lagen auf dem Asphalt. Marco ließ sich davon jedoch nicht aufhalten. Mit eiserner Entschlossenheit lenkte er den Opel an den Hindernissen vorbei.

Vor ihnen lag eine scharfe Linkskurve. Dennoch nahm Marco eine Hand vom Lenkrad und legte sie Nadja auf die Schulter. »Tut mir leid«, sagte er kleinlaut. »Du kennst mich doch, ich hab es nicht so gemeint.«

»Ja, ich …«, begann Nadja, bevor sich ihre Augen weiteten. »Pass auf!«, schrie sie erschrocken.

Mitten in der Kurve stand ein schwarzer Geländewagen halb auf der rechten Fahrspur. Marco bremste und riss das Lenkrad nach rechts. Doch es war bereits zu spät. Mit dem Heck prallte der Opel gegen den Land Rover. Da verlor Marco endgültig die Kontrolle über den Wagen. Auf dem nassen Asphalt schlingerte er gegen die Felsen, die die Fahrbahn auf der anderen Seite begrenzten. Glas und Blech splitterten, während Nadjas Freund aufschrie und erneut das Lenkrad herumriss.

Nadja erkannte im nächsten Augenblick, dass das genau das Falsche gewesen war. Der Opel rutschte von der Fahrbahn, durchbrach die Leitplanke und jagte die Böschung hinunter.

Schon bei dem ersten Überschlag verlor Nadja das Bewusstsein …

***

»Scheiße«, murmelte Nadja, als sie wieder zu sich kam. Nur langsam klärte sich ihr Blick. Mit ihren Sinnen kehrte auch die Erinnerung zurück. Das letzte, was sie gesehen hatte, bevor sie das Bewusstsein verloren hatte, war der lange, mit Bäumen gesäumte Weg ins Tal.

Und jetzt lag sie auf einer weichen Unterlage und stöhnte leise vor sich hin. Langsam wurde ihr klar, dass der Airbag ihr das Leben gerettet hatte. Dennoch nahm sie den Geschmack von Blut in ihrem Mund wahr. Wahrscheinlich hatte sie sich auf die Zunge gebissen.

Aber auch ihre Arme, Beine und der Kopf taten ihr an mehreren Stellen weh. Zum Glück waren es aber wohl nur Prellungen. Bewegen konnte sie jedenfalls alles noch.

Marco!

Der Gedanke an ihren Freund ließ sie zusammenzucken. Angsterfüllt sah sie nach links – und erstarrte. Marco war tot. Ein Blick genügte, um das zu erkennen. Auch sein Airbag war aufgegangen. Das hatte ihn jedoch nicht davor geschützt, dass sich der Ast eines Baumes in seinen Hals gebohrt hatte. Sein Oberkörper war blutüberströmt, und noch immer floss der rote Lebenssaft aus der schrecklichen Wunde.

Nadja presste beiden Hände auf ihren Mund. Tränen traten in ihre Augen. Sie stand kurz davor, sich zu übergeben. So etwas Furchtbares hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen.

Sie schrie, schluchzte und jammerte. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Sie musste hier raus! Der Anblick ihres toten Freundes war für sie einfach nicht mehr zu ertragen. Verzweifelt löste sie den Gurt und tastete mit ihren Fingern über die Seitentür. Endlich fanden sie den Griff. Doch die Tür ließ sich nicht bewegen.

Nadja schrie erneut. So einfach wollte sie nicht aufgeben. Mit aller Gewalt drückte sie die Tür auf und warf sich mehrmals mit der Schulter gegen sie. Schließlich hörte sie das Splittern von Holz. Der Druck gab nach. Noch einmal wuchtete sie sich gegen die Tür. Ihr Schwung war jedoch so groß, dass sie regelrecht aus dem Wagen stürzte. Schreiend fiel sie gut einen Meter in die Tiefe und schlug hart mit ihrer rechten Seite auf einigen Steinen auf.

Die Zwanzigjährige stöhnte vor Schmerzen. Verschwommen erkannte sie, dass der Opel zwischen zwei Bäumen eingekeilt war. Diesel floss aus dem aufgerissenen Tank und in den Bach hinein, der zu einem reißenden Strom angeschwollen war.

Die Wassermassen zogen an ihren Beinen. Erst jetzt nahm sie wahr, dass sie halb im Wasser lag. Bevor sie von dem Sturzbach mitgerissen werden konnte, robbte sie einige Meter zur Seite. Zwischen feuchtem Moos und dicken Wurzeln blieb sie liegen.

Nadja weinte. Sie konnte einfach nicht mehr. Sie wünschte sich ganz weit weg, doch die Schmerzen holten sie stets in die Realität zurück. Hilfe holen konnte sie auch nicht. Ihr Smartphone lag im Wagen, und zurück zu dem toten Marco wollte sie auf keinen Fall.

Wie lange sie schluchzend dalag, wusste sie selbst nicht. Irgendwann versiegten ihre Tränen. Der Regen prasselte weiter unaufhörlich auf sie nieder. Schließlich nahm sie noch einmal alle Kraft zusammen und richtete sich auf.

Mit verzerrtem Gesicht drehte sie sich um – und blickte in die Mündung eines Revolvers!

***

Nadja Kahl hätte am liebsten erneut geschrien. Doch jeder Laut blieb ihr im Halse stecken. Sie konnte einfach nicht fassen, was geschehen war. Gerade hatte sie noch gedacht, die schlimmsten Minuten ihres Lebens überstanden zu haben. Und jetzt das!

»Du hast dir den falschen Ort für einen Unfall ausgesucht«, hörte sie die scharfen, von einer Frau gesprochenen Worte.

Nadjas Blick wanderte von der Mündung weg. So sah sie endlich die Person, die sie mit der Waffe bedrohte. Die dunkelhaarige Frau war vielleicht Mitte Dreißig. Ihre lange Mähne quoll aus der Kapuze ihrer dunkelblauen Regenjacke hervor. Das Gesicht war scharf geschnitten, wobei besonders die asiatisch wirkenden Augen auffielen.

Und noch etwas erkannte Nadja: Die Frau war nicht allein. Hinter ihr bauten sich drei Begleiterinnen auf. Eine blondhaarige Frau war ebenfalls bewaffnet. Mit beiden Händen hielt sie eine Kalaschnikow fest. Die anderen beiden trugen Schaufeln über den Schultern.

»Ich habe doch gesagt, wir sollten woanders parken«, rief die zweite Bewaffnete der Frau zu, die Nadja bedrohte.

Die Dunkelhaarige hob die Schultern. »Ja, du hattest recht. Aber jetzt ist das Kind schon sprichwörtlich in den Brunnen gefallen. Also versuch jetzt, den Wagen umzuparken. Ich bringe unsere neue Freundin zu der anderen. Galina und Sonja werden weiter graben. Verstanden?«

Keine der Frauen wagte zu widersprechen. Die Blonde warf sich die Kalaschnikow über die Schulter und ging wortlos den Hang hinauf.

»Du fragst dich bestimmt, wer ich bin, oder?«, sprach die Dunkelhaarige Nadja erneut an. Dabei beugte sie sich zu ihr herunter und drückte ihr die Mündung des Revolvers gegen das Kinn.

Die Zwanzigjährige schluchzte und zitterte. Doch die Frau kannte kein Erbarmen. Mit ihrer freien Hand strich sie geradezu sanft über ihr Gesicht, den Hals und ihren Nacken hinweg.

»Du wirst ihr bestimmt gefallen«, flüsterte sie ihr zu. »Ich bin übrigens Tara.«

Nadja wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie zitterte am ganzen Körper. Todesangst hatte sie erfasst. Auch als Tara die Mündung der Waffe von ihrem Kinn löste, fiel die Panik nicht von ihr ab. Hätte die Dunkelhaarige nicht nach ihrer Schulter gegriffen, wäre sie zusammengebrochen.

Tara lachte. »So einfach kommst du uns nicht davon.«

»Wer seid ihr?«, presste Nadja mühevoll hervor.

»Hexen.«

»Was?« Die trockene Antwort der Frau ließ sie erneut zusammenzucken.

Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht mit dieser Entgegnung. Hexen! Konnte das wahr sein? Gut, sie wusste, dass es solche Gestalten nicht nur im Märchen gab. Eine ehemalige Schulfreundin hatte ihr einmal berichtet, dass sie ihr Studium abgebrochen hatte, um sich einem Wicca-Kult anzuschließen. Dennoch wirkte die Antwort in diesen Momenten so absurd.

»Du glaubst mir wohl nicht, hm?«, fragte Tara. Ihr Mund verzog sich dabei zu einem eiskalten Lächeln. »Ich werde dir schon noch das Gegenteil beweisen. Komm!«

Nadja konnte sich nicht wehren. Sie wurde von der Frau einfach mitgerissen. Mit wackeligen Schritten stolperte sie am Ufer des Sturzbaches entlang. Auch der Regen setzte ihr zu. Die dicken Tropfen waren so hart, dass sie jedes Mal einen Stich spürte, wenn sie ihre Haut trafen.

Die anderen beiden Frauen, die ihre Peinigerin Galina und Sonja genannt hatte, schritten wortlos vor ihnen her. An ihren Schaufeln klebte feuchte Erde. Tief in ihrem Inneren fragte Nadja sich, wonach sie gegraben hatten. Oder ob sie einfach nur ein Grab ausgehoben hatten.