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Es war lange her. Viel war geschehen, seit Marek, der Pfähler, gestorben war. Doch das Vampirpendel existierte immer noch. Und nun war die Zeit gekommen, es wieder einzusetzen.
Denn er war da. Ein alter Feind. Ein Vampir, den es nicht mehr geben dürfte, der aber trotzdem wieder existierte ...
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Seitenzahl: 148
Cover
Impressum
Böses Blut
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock/Svetlana Rib
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4627-5
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
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www.bastei.de
Böses Blut
von Rafael Marques
»Ich sterbe, Bruce.«
Die Worte des alten Mannes waren kaum zu verstehen. Sein Gesicht wirkte wie das eines Toten. Die Wangen waren eingefallen, die Augen lagen tief in den Höhlen. Seine einstmals braun gebrannte Haut war aschfahl und leicht rötlich. Wenn er sprach, bewegten sich seine Lippen nur sehr langsam …
Bruce Hanson schluckte. So wie jetzt hatte er seinen Vater nie zuvor erlebt. Gil Hanson war bis ins hohe Alter ein willensstarker, kräftiger und kerngesunder Mann gewesen. Doch kurz nach dem achtzigsten Geburtstag, bei dem die Familie noch einmal zusammengekommen war, war es mit ihm steil bergab gegangen.
Als die Ärzte zudem einen bösartigen, inoperablen Tumor bei ihm festgestellt hatten, hatte sich Gil Hanson quasi selbst aufgegeben. Die Diagnose lag erst ein paar Tage zurück. Dabei hatte Dr. Hart ihm noch mindestens zwei Monate gegeben.
»Dad«, presste Bruce hervor. Er wollte nach der Hand seines Vaters greifen, zögerte jedoch. Er dachte daran, dass Gil Hanson nie viel von Sentimentalitäten und Zärtlichkeiten gehalten hatte.
»Sag nichts, Junge«, erwiderte der alte Mann mit brüchiger Stimme. »Ich weiß, dass es zu Ende geht. Aber es tut gut, dass ich mein Ende wenigstens zu Hause erleben kann.«
Bruce Hanson nickte. Er hatte seinem Vater im Wohnzimmer ein Bett hergerichtet. Von hier aus konnte er zumindest seinen Blick über den großen Garten und die Bäume schweifen lassen, die ebenfalls zu dem Grundstück gehörten.
Er dachte auch an seine Frau. Sie litt ebenso so sehr unter dem Zustand seines Vaters wie er selbst. Im Moment war sie unterwegs, um einige Besorgungen zu machen. Vielleicht war es auch besser so, dass sie nicht miterlebte, wie es mit ihrem Schwiegervater zu Ende ging.
Bruce überwand sich und legte seinem Vater eine Hand auf die Schulter.
Gil Hanson schien die Geste kaum wahrzunehmen. »Ich hatte nie Angst vor dem Tod«, erklärte er. »Deswegen ist auch alles so gekommen, wie es jetzt ist. Aber es hätte auch anders sein können. Ich hatte die Wahl.«
Bruce blickte seinen Vater irritiert an. »Was meinst du damit?«, fragte der fünfundvierzig Jahre alte Mann.
Sein Vater schwieg. Für einen Moment dachte Bruce, er wäre tot. Doch noch nahm er leise Atemgeräusche war. Eine Antwort erhielt er dennoch nicht.
Bruce wollte es nicht darauf beruhen lassen. »Dad, verdammt! Lass es nicht so zu Ende gehen! Ich habe deine Geheimniskrämerei satt. All die Jahre hast du mir nie etwas über dich, dein Leben und deine Arbeit erzählt. Willst du mich wirklich so verlassen?«
»Nein, das will ich nicht«, hauchte Gil Hanson hervor. Ein Stöhnen glitt über seine Lippen, als er sich mit letzter Kraft zur Seite drehte und seinem Sohn direkt in die Augen sah. Dann sprudelte es förmlich aus ihm hervor. »Ich war kein guter Vater, das weiß ich. Ich würde gerne viele Dinge ungeschehen machen. Aber ich bin stolz, dass aus dir trotzdem ein guter Mann geworden ist. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich kann dir nicht zu viel erzählen, sonst würde ich dich damit auch in Gefahr bringen. Nur so viel – ich habe viele Jahre in Osteuropa für die britische Regierung gearbeitet.«
Bruce Hanson wusste nicht, was er sagen sollte. Mit einer solchen Eröffnung hatte er nicht gerechnet. Wie oft hatte er das Gefühl gehabt, sein Vater wäre ein unnahbarer Fremder gewesen? Auch die Beziehung zu seiner Mutter war stets sehr kühl geblieben. Allmählich verstand Bruce auch, warum.
»Was ich vorhin meinte, hat etwas mit meinem Beruf zu tun«, fügte Gil Hanson hinzu. Immer wieder lief dabei ein Zittern durch seinen Körper. »Ich habe dabei vor vielen Jahren einen Mann getroffen, der mir sehr dankbar gewesen ist. Deshalb hat er mir etwas überlassen, das ich jedoch nie angerührt habe. Er meinte, ich könnte ewig leben, wenn ich es trinke. Aber ich habe mich nie getraut. Außerdem wollte ich nicht ewig leben. Alles muss ein Ende haben.«
»Was soll das gewesen sein?«, fragte Bruce und schüttelte den Kopf.
Er konnte nicht fassen, was er da gerade gehört hatte. Sein Vater, der sein Leben lang Realist und Pragmatiker gewesen war, wollte ihm tatsächlich erzählen, dass es ein Mittel gab, das einem das ewige Leben ermöglichte.
Gil Hanson beugte sich noch weiter zu seinem Sohn herüber. »Blut! Es war Blut, Bruce! Er hat mir sein eigenes Blut gegeben, denn er war ein Vampir. Ich habe das Geschenk angenommen, aber die Flasche nie wieder angerührt. Sie steht noch immer im Keller. Nicht in dem, den du kennst. Neben den Weinregalen gibt es einen Geheimgang. Du musst den braunen Stein in die Wand drücken, dann wirst du …«
Plötzlich begann Gil Hanson zu röcheln. Seine Arme gaben nach. Er sackte förmlich in sich zusammen. Nun wich auch der letzte Lebensfunke aus seinem Körper. Sein Atem verflachte, bis schließlich nichts mehr zu hören war. Wie ein Schlafender lag er flach auf dem Bett. Doch er schlief nicht. Gil Hanson war tot.
Sein Sohn stand einfach nur da. Mit leerem Blick starrte Bruce Hanson auf den zusammengesunkenen Körper seines Vaters. Tränen flossen über seine Wangen, doch er nahm sie kaum wahr.
Er wusste nicht, was ihn mehr geschockt hatte: Der so plötzliche Tod seines Vaters oder das, was er ihm in den letzten Minuten seines Lebens mitgeteilt hatte.
Bruce Hanson konnte nicht mehr. Mit schweren Schritten wankte er zu einem Sessel, ließ sich fallen und schloss die Augen.
***
Wie lange er in dieser Position ausgeharrt hatte, wusste Bruce selbst nicht. Es konnten wenige Minuten gewesen sein, vielleicht aber auch Stunden. Es kam ihm jedenfalls wie eine Ewigkeit vor.
Sein Atem ging flach. Er spürte seinen Herzschlag kaum. Es war, als hätte er seinen Körper verlassen und würde in anderen Sphären schweben. Und vielleicht war das auch genau das, was er sich in diesen Momenten wünschte.
Doch irgendwann holte ihn die Realität wieder ein. Müde öffnete Bruce Hanson die Augen. Sofort fiel sein Blick auf den leblosen Körper seines Vaters. Er würde sich nie wieder erheben. Und all die Geheimnisse, die er seinem Sohn sein Leben lang verschwiegen hatte, hatte er mit in sein Grab genommen.
Bis auf eines. Bruce konnte noch immer nicht fassen, was er da gerade gehört hatte. Sein Vater hatte Vampirblut geschenkt bekommen und es in einem geheimen Kellerraum versteckt. Zumindest nach seiner Aussage, den letzten Worten eines Sterbenden.
»Dad, verdammt …«, murmelte er und schlug die Hände vors Gesicht.
Vampire – so etwas gab es doch gar nicht. Das waren Legenden, Märchen und Sagen, die man sich seit Jahrhunderten erzählte. Bruce Hanson hatte sich mit diesen Geschichten nie beschäftigt. Er hatte sich auch nie einen Vampir-Film angesehen oder ein Buch darüber gelesen. Die pragmatische Erziehung seines Vaters hatte ihn einfach zu sehr geprägt.
Und jetzt das! Sein Vater musste im Wahn gesprochen haben, anders konnte Bruce sich diese Aussagen nicht erklären. Andererseits war sein Vater bis zuletzt geistig klar geblieben, trotz des Tumors. Und er war nie jemand gewesen, der sich solche Geschichten ausgedacht hätte.
Trotzdem – das konnte einfach nicht sein. Oder doch? Eigentlich gab es nur eine Möglichkeit, das herauszufinden: Er musste in den Keller und nach dem Geheimgang suchen.
Bruce schüttelte über sich selbst den Kopf. Er konnte nicht glauben, dass er das überhaupt in Erwägung zog. Doch der innere Drang war einfach zu stark. Er musste Gewissheit haben, auch wenn sie noch so ernüchternd sein würde.
Wieder war er froh, dass Sarah nicht zu Hause war. Er hatte schon genug mit sich selbst zu tun.
Als er sich erhob und noch einmal auf seinen toten Vater blickte, rann ein Schauer über seinen Rücken. Schnell wandte er sich ab und ging mit langsamen Schritten durchs Wohnzimmer.
Bis zum Keller war es nicht weit. Dennoch kam es ihm wie eine Weltreise vor. Seine Knie zitterten, ebenso seine Finger. Er fühlte sich schwach und ausgelaugt. Fast, als wäre mit seinem Vater auch ein Teil von ihm selbst gestorben.
Schließlich erreichte er die Kellertür. Seine rechte Hand zitterte noch mehr, als er sie auf den Metallknauf legte. Für einen Moment schloss er die Augen. Dann drehte er den Knauf herum.
Die Kälte, die ihm aus dem Keller entgegendrang, ließ ihn frösteln. Bruce hatte die Dunkelheit nie als etwas Feindliches oder Gefährliches angesehen. Jetzt aber hatte er das Gefühl, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden.
Das änderte sich auch nicht, als er das Licht einschaltete. Vorsichtig trat er auf die erste Stufe der Treppe. Danach ging alles wie von selbst. Er fühlte sich wie in Trance, als er auch die restlichen Stufen herunterlief, immer schneller und schneller.
Erst als er unten ankam, stoppte er. Der Keller der alten Villa war ungewöhnlich groß. Es gab mehrere Räume. Einige wurden von Sarah und ihm als Abstellkammern, andere für die Wäsche benutzt. Ein weiterer diente als Weinkeller.
Sein Vater hatte dort hunderte Flaschen gelagert. Nur einige wenige gehörten Bruce selbst. Er benötigte sie nicht für sich, sondern für besondere Anlässe oder Besuche von Bekannten.
Die abgestandene Luft und der Geruch von altem Staub kamen ihm noch intensiver vor als sonst. Seine Sinne waren durch das gerade Erlebte besonders geschärft. Hin und wieder strich er über die kahlen Steinwände.
Der Weinkeller lag etwas abseits der anderen Räume. Bruce wusste, dass er nicht besonders gut beleuchtet war. Bisher hatte er sich über den Grund dafür keine Gedanken gemacht. Aber was, wenn sein Vater damit hatte verhindern wollen, dass er diesen geheimen Raum entdeckt?
Bruce wollte, nein, er musste es herausfinden! Seine innere Stimme trieb ihn weiter voran. Und das, obwohl er das Gefühl hatte, seine Knie würden jeden Moment nachgeben.
Endlich erreichte er die Holztür, hinter der die Weine lagerten. Als er sie leicht aufdrückte, drang ihm sofort ein kühler Luftzug entgegen. Bruce Hanson fröstelte. So etwas hatte er hier unten noch nie erlebt.
Vorsichtig schob er die Tür auf und trat in den Raum. Auch ohne Licht konnte er die Umrisse der Regale erkennen, die an den Steinwänden angebracht waren. Nur, welches hatte sein Vater gemeint?
Bruce schaltete das Licht an. Es wurde kaum heller. Die Birne hing weit oben an der Decke und war durch eine dicke Schicht aus Staub und Spinnweben kaum mehr als solche zu erkennen.
Um sich zu orientieren, reichte das Licht jedoch. Bruce schluckte hart und blickte sich um. Sein Vater hatte die Flaschen von seinen zahllosen Reisen mitgebracht. Manche waren sicher ein Vermögen wert, aber das war ihm im Moment egal. Er suchte nach einer Lücke zwischen den Regalen, in der sich dieser braune Stein befinden konnte.
Und er fand sie. Am anderen Ende des Raums war eine kahle Stelle in der Wand zu erkennen. Gerade groß genug, um einen Menschen hindurch zu lassen.
Sein Herz pochte immer schneller. Noch hatte er keinen wirklichen Beweis für die Existenz der Geheimtür entdeckt. Aber etwas sagte ihm, dass sich das bald ändern würde.
Auch als er direkt vor der Wand stand, konnte er keinen braunen Stein erkennen. Vielleicht hätte er mit einer Taschenlampe mehr gesehen, doch er wollte nicht noch einmal zurück.
Zögerlich strich Bruce über die Steinmauer. Fast hätte er den Kopf geschüttelt, als er daran dachte, wie lächerlich er sich eigentlich verhielt. Sein Vater war tot, und er drehte völlig durch. Diesen Geheimgang konnte es einfach nicht geben.
Plötzlich erstarrte er. Als er beide Hände auf einen Stein legte, rann ein Schauer über seinen Rücken. Mit einem Mal hatte er das Gefühl, nicht mehr allein in dem Weinkeller zu sein.
Im Stand fuhr er herum. Niemand war zu sehen. Bruce konnte sich seine Reaktion selbst nicht erklären. Er hatte keine Stimme gehört, auch kein Geräusch, und doch fühlte es sich an, als befände sich eine zweite Person in seiner Nähe.
War es der Geist seines Vaters? Bruce Hanson schloss die Augen und versuchte mit aller Macht, diesen Gedanken zu verdrängen. Dabei umklammerten seine Hände den Stein noch fester – und drückten ihn in die Wand hinein!
Bruce zuckte überrascht zurück. Vor ihm bewegte sich die Steinmauer zur Seite. Eine etwa zwei Meter hohe, düstere Höhle breitete sich vor ihm aus.
Noch zögerte er. Sein Verstand sagte ihm, sofort kehrtzumachen und den Keller nie wieder zu betreten. Doch er konnte nicht anders. Was er hier erlebte, war unglaublich. Sein Vater hatte recht behalten. Es gab den geheimen Raum – und auch das Vampirblut?
Bruce zweifelte noch immer. Er wollte es einfach nicht wahrhaben, dass so etwas überhaupt existieren konnte. Und das auch noch direkt in seiner Nähe, ohne dass er je etwas registriert hatte.
Bruce Hanson ballte die Hände zu Fäusten. Wieder rannen Tränen über seine Wangen. Doch er war entschlossener denn je, auch den letzten Schritt zu gehen.
Wie ein ferngelenkter Roboter trat er in die Dunkelheit. Die Luft war kaum zu atmen. Wahrscheinlich hatte diesen Raum seit Jahrzehnten niemand mehr betreten.
Bruce tastete nach einem Lichtschalter – und fand ihn tatsächlich. Als er ihn herunterdrückte, flackerten über seinem Kopf einige Glühbirnen. Sie erhellten eine Art Abstellkammer. Mehrere Regale waren hier aufgestellt worden und enthielten Dinge, die Bruce nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte.
Er sah einige Bücher und Gemälde, aber auch Waffen. Von Pistolen, Revolvern bis hin zu Schwertern und Dolchen war hier alles vertreten. Aber auch gerahmte Fotos entdeckte er.
Bruce trat näher heran. Hin und wieder entdeckte er seinen Vater auf den Bildern, aber auch andere Männer, die er nie zuvor gesehen hatte. Oftmals waren die Fotos an verschneiten Orten aufgenommen worden. Hatte Dad nicht erwähnt, er hätte in Osteuropa gearbeitet? Die Häuser im Hintergrund passten jedenfalls dazu.
Er entdeckte auch Fotos, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließen. Sie zeigten Leichen, Männer wie Frauen. Manche blutüberströmt, andere nur mit gebrochenem Blick. Dass sein Vater für ihren Tod verantwortlich war, daran hatte Bruce kaum einen Zweifel. Für die britische Regierung wollte Gil Hanson gearbeitet haben. Aber als was? Als Killer?
Langsam stieg in Bruce das Gefühl hoch, dass er diesen Raum nie hätte betreten sollen. Nicht umsonst hatte ihm sein Vater all die Jahre seine Existenz verschwiegen. Was er hier über seinen Vater erfuhr, hatte er niemals wissen wollen.
Bruce Hanson wollte sich bereits abwenden, als er erneut erstarrte.
Geh nicht!, erklang aus dem Nichts eine Flüsterstimme.
Bruce glaubte, den Verstand zu verlieren. Er musste sich diese Stimme einfach eingebildet haben. Niemand sonst befand sich in dem Raum. Oder doch? Vor wenigen Minuten noch hatte er das Gefühl gehabt, nicht mehr allein zu sein. Und jetzt diese Stimme – die Stimme seines Vaters? Nein, die hätte er sofort erkannt. Der Sprecher war ihm völlig fremd.
Seine Knie zitterten noch mehr als zuvor. Das Herz in seiner Brust schien jeden Moment zu zerspringen, so sehr stand er unter Druck.
Wieder ließ Bruce seinen Blick über die Regale wandern. Dabei trat er immer tiefer in den Raum hinein. Als er etwas entdeckte, das wie ein altertümlicher Glasbehälter aussah, rann erneut ein Schauer über seinen Rücken.
Vorsichtig trat er näher heran. Auf den ersten Blick glaubte er, eine halb volle, nicht etikettierte Rotweinflasche vor sich zu haben. Sie war bis zum Hals mit goldenen, gemusterten Blättchen beklebt. Bruce konnte nicht genau erkennen, was da eigentlich abgebildet war. Aber vielleicht wollte er das auch gar nicht wissen.
Durch die goldenen Auflagen war der Inhalt nur schwer zu erkennen. Als er die Flasche leicht zur Seite kippte, sah er eine dunkle Flüssigkeit hin und her schwappen. Plötzlich wurde Bruce klar, dass jedes Wort seines Vaters der Wahrheit entsprochen hatte. Sogar das Vampirblut existierte wirklich.
»Nein!«, stieß Bruce hervor. »Nein, das darf nicht sein!«
Er ging einen Schritt zurück, dann noch einen. Er wollte nur noch weg. Doch von einer Sekunde zur nächsten verlor er die Kontrolle über seinen Körper. Eine fremde Macht griff nach ihm und zog ihn in seinen Bann.
So nicht!, drang wieder die Flüsterstimme an seine Ohren. Nein, so kommst du mir nicht davon. Ich warte nicht noch einmal zwanzig Jahre. Dein Vater hat mich enttäuscht, aber dafür hole ich mir jetzt seinen Sohn!
Bruce Hanson wollte etwas sagen. Doch nicht ein Wort drang über seine Lippen. Er war nicht mehr Herr seines eigenen Willens. Den hatte die andere Kraft übernommen.
Wieder kam er sich wie ein Roboter vor, während er sich erneut auf die Flasche zu bewegte. Mit der rechten Hand griff er nach ihr und zog sie am Hals aus dem Regal.
Das Zittern war verschwunden, ebenso das Herzrasen. Er hatte das Gefühl, als würde es überhaupt nicht mehr schlagen.
Mit einer Hand zog er den Korken aus der Flasche. Ein widerlicher Geruch nach abgestandenem Blut drang ihm entgegen. Doch das hielt ihn nicht auf. Er drückte die Öffnung gegen seine Lippen und ließ die dunkelrote Flüssigkeit in seinen Mund rinnen.
Bruce Hanson schluckte nicht einmal, als er das Blut in seine Kehle fließen ließ. Als die Flasche leer war, ließ er sie einfach fallen. Plötzlich spürte er, wie die fremde Macht die Umklammerung um ihn löste.
Hustend und würgend sackte er in die Knie. Etwas von dem widerlichen Zeug musste ihm in die Luftröhre gelaufen sein. Er konnte kaum noch atmen. Ein eisiger Gürtel spannte sich um seine Brust und schnürte ihm die Luft ab.
Endlich! Du entkommst mir nicht mehr, Bruce Hanson!
Überlaut schallte die fremde Stimme durch seinen Kopf. Sie gab Bruce den Rest. Schwarze Schlieren wischten vor seinen Augen durch den Raum, bevor er endgültig zusammensackte. Wie tot blieb er auf dem kalten Steinboden liegen.
***