Das Echte - Volker Friebel - E-Book

Das Echte E-Book

Volker Friebel

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Beschreibung

Diese Sammlung enthält eine Anzahl kleiner Texte, die meisten im Blog „Fluten-Log“ zwischen 2015 und 2022 erstmals veröffentlicht oder aus dem Blog heraus entwickelt. Die Reihenfolge ist nicht immer chronologisch, sondern durcheinander geworfen, wenn das abwechslungsreicher erschien oder es der Satzspiegel nahelegte. Aufgenommen ist alles, was sich am Strand des Flusses Zeit fand: Impression, Erzählung, Essay, Kommentar, Reisebericht, nicht selten in Verbindung mit Haiku. Einige Schwarz-Weiß-Fotos ergänzen die Reisetexte.

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Volker Friebel

 

Das Echte

Bunte Steine

 

Edition Blaue Felder

 

Impressum

 

Edition Blaue Felder,

Volker Friebel, Denzenbergstraße 29,

72074 Tübingen (Deutschland)

www.Volker-Friebel.de 

 

Texte, Fotos und Gestaltung: Volker Friebel

Lektorat: Elisabeth Menrad

Veröffentlicht: Januar 2023

Alle Rechte vorbehalten 

 

Inhalt

Die Zukunft  

Pfauenschreie  

An das Ende der Welt  

Im Dazwischen  

In meiner Macht  

Die Natur beim Lernen ertappt  

Barlach-Atelier, Güstrow  

Möglichkeiten  

Das Blatt ist schön  

Das Geheimnis der Knospe  

Sprache auf Abwegen  

Kammermusik  

Musik  

Das Echte  

Mohn und Korn  

Ausklingen  

Die Spatzen fragen  

Wandern und dichten  

Was ich will  

Alte Lieder  

Ganz gesund  

Musik aus dem Himmel  

Lauschen der Wahrheit  

Noch einmal Musik  

Die revolutionärste Tat  

Rast in Nürtingen  

Das Herz der Welt  

Die Welt erlösen  

Der Anfang  

Arm und reich  

Amsel und Quelle  

Wanderung vom Lej Sgrischus zur Bergkirche Fex Crasta  

Mit Mark Twain in das Irrenhaus  

Die Sprache des Herbstlaubs  

Mit den Spannungen enden  

Im Supermarkt Glück  

Hundert Milliarden  

Wehret den Anfängen  

Erschrecken und Trost  

Veränderung  

Der Schnee meiner Träume  

Goldene 20er Jahre  

Schnelle Wahrheit  

Die Sprache der Amseln  

Gesetz und Gewissen  

Sterne säen  

Bei der Märchenerzählerin  

Natur und Kultur  

Kleine Geschichte des Multiversums  

Prinzessin  

Perspektive  

Wanderrast  

Welt der Motoren  

Blockierende Theorie  

Motorrad und Wanderer  

Demission  

Die Schwerkraft  

Die erste virtuelle Studentin  

Anbrandendes Licht  

Menschen sind unterwegs  

Mirabellgarten, Salzburg  

Das Wissen der Linde  

Schwimmen im Mondsee  

Regulierung  

Relativitätstheorie auf dem Balkon  

Regen-Meditation  

Die Rose betrachten  

Spiegel des Westens  

In düstere Gedanken  

Abstand und Eier  

In die Verheißung  

Schemen der Fichten  

Schmetterling an verschlossener Tür  

Ausschuss zur Rettung der Welt 1  

Verborgen  

Alles ist wahr  

Dicht an der Mauer  

Schon im Stock  

Geräusche des Lebens  

Begegnung  

Vorsatz  

Schweben im Blau  

Fohlen tollen  

Alter auf der Reichenau  

Nicht Lohn, nicht Strafe  

Naturlyrik  

Weil sie möglich ist  

Schlimmer als Unwissen  

Alles ist relativ  

Straßenlokal in Nord-Indien  

Wie viele Drittel  

Treibender Flaum  

Dreifaltigkeitskapelle Braitenbach  

Burg Dürnstein  

Was wir zählen  

Blick auf Budapest  

Stift Melk  

Fanatismus  

Der Spalt in uns  

Der Weiher schaut mich an (oder auch nicht)  

Vorsicht beim Lesen  

Die Förster-Eiche  

In die Sonne  

Streifzug durch Stuttgart  

Die Sprachen der Bäume  

Wachsen  

Einfach sein  

Was aus der Raupe wird  

Überwachung  

Wanderung zu den Geologischen Orgeln  

Die Bremse  

Das Wesentliche  

Ohne das dunkle Kreuz  

Brunnen und Quell  

Wartezeit  

Regen beginnt  

Stimmen  

Der Wert des Selbstverständlichen  

Jedes Herz  

Die Farben selbst  

Lyrik in Sprache und Schrift  

Gründe  

Der Angler  

Zwei Ärzte  

Wanderung zum Asklepieion, Kos  

Vor der Brandung verstummt  

Was man aus uns macht  

Vor dem Berliner Reichstag  

Weltfriedensglocke Berlin  

Zu Buch und Autor  

 

 

Die Zukunft

 

„Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben“ – eine Sentenz von Albert Einstein.

Die meisten Bücher und Filme über die Zukunft sind allerdings ausgesprochen negativ. Ebenfalls mit Albert Einstein ließe sich deshalb sagen:

„Ich denke niemals an die Zukunft. Sie kommt früh genug.“

Doch nein, sie kommt niemals, immerzu löst sie sich auf in die Gegenwart.

 

Pfauenschreie

 

Vor Morgendämmern. Ein Hahn kräht. Grillen zirpen ins Rauschen des Salto de Lajas (Chile). Die Pfauen auf dem Wellblechdach und in ihren Schlafbäumen schweigen, unsichtbar geworden in der Gewalt des Schwarz.

Meine Seele schwebt noch wie zwischen zwei Träumen, gehoben vom Klang des stürzenden Wassers. Doch was ist hier Traum, was ist Wirklichkeit?

Es heißt, das, was wir als die wirkliche Welt nehmen, sei nur ein weiterer Traum, zu dem wir die echte Wirklichkeit gemacht haben. Weil wir in dieser nicht leben können.

In der wirklichen Wirklichkeit gäbe es alles das nicht, was wir wahrzunehmen meinen, nicht so jedenfalls, wie wir es wahrnehmen. Auch nicht diese ersten Autos, die schon über die Brücke fahren, auch nicht die das Erscheinen der Sonne ankläffenden Hunde.

 

Pfauenschreie.

Ins Klirren vom Frühstückstisch

erwachen die Wolken.

 

 

Campplatz Salto de Laja, Patagonien, Chile
 

 

An das Ende der Welt

 

Ortsfest an den Schnellen des Wassers weißer Schaum. Eine Schotterstraße, die verbreitert und asphaltiert werden soll. Viele Baustellen mit einspurigem Verkehr. Staub, so viel Staub.

Die Flüsse und Seen sind schön. Die Wälder und Berge sind schön. Die Lupinen sind schön. Auch die vielen toten Baumstämme, teils liegen sie, teils stehen sie noch, Opfer des letzten Ausbruchs des Cerro Hudson, sind schön. Blumen stehen vertrauensvoll in die Unendlichkeit.

Wir kommen langsam voran. Wo wollen wir hin? Wir wollen weiter, weiter, durch alle Schönheit, bis an das Ende der Welt.

 

Eine Staubwolke

auf der Straße nach Süden.

Wir träumen noch.

 

Im Dazwischen

 

Vom Himmel zurück

auf das Gleis – ich schaue auf,

zu den Wolken.

 

Aus der schwülen Hitze von Buenos Aires über São Paulo nach Tübingen zurück. Das Herz will dieses und jenes. Im Dazwischen aber wird es ganz weit und spürt sich selbst.

 

In meiner Macht

 

Die Machtlosigkeit des Menschen in der streng verwalteten Welt.

„In meiner Macht stand es, mich nicht zu fügen, und ich habe mich nicht gefügt.“ (Alexander Herzen: Briefe aus dem Westen. Nördlingen: Franz Greno, 1989. Aus: Vom andern Ufer, Lebt wohl, Paris, den 1. März 1849, Seite 134.)

In aller Machtlosigkeit gibt es sie trotzdem, die Macht, sich zu verweigern, die Macht zu träumen. Und überraschend wird sie manchmal zur gestaltenden Kraft.

 

Die Natur beim Lernen ertappt

 

Der Zeitstempel des Fotos beweist es: Kamilleblüten am 16. Februar. Wenn sich das Klima dauerhaft umstellt, wird sich die Blütezeit der Kamille entsprechend anpassen.

Besonders interessant aber: Dieses Lernen basiert auf Vergessen.

Dieser Kamillestrauch hat „vergessen“, wann die „richtige“ Blütezeit ist und eine falsche (oder gar keine besondere) erinnert. Über dieses Vergessen streut die Natur ein paar ihrer Kinder über alle Jahreszeiten. Und wenn sich das Klima tatsächlich ändert, liegen manche davon zufällig richtig und retten die Kamille in neue Verhältnisse hinüber.

Für diese verschwenderische Art des Lernens (das weitaus meiste Gestreute geht unter) ist Reichtum und Überschuss nötig. Wir leben mitten in ihm.

 

Barlach-Atelier, Güstrow

 

Lichtstrahlen fallen schräg über die Wand des Barlach-Ateliers, Güstrow, erleuchten einen Streifen der Wand, fallen aus einem Fenster über den Skulpturen, scheinen zu stehen an dieser Wand, ewig zu stehen, hinter Plastiken aus atmender Vergangenheit.

Eine Klimaanlage brummt zum Schutz der Kunstwerke. Draußen wütet die Sommersonne.

Wir sind vertieft in die Falten der Zeit, die mehr über das Leben aussagen könnten, als das Autorauschen der Straße, auf der wir herkamen, mehr als das Rauschen des Windes in den immer neuen Werken des Laubs, vielleicht sogar mehr als dieses Licht.

 

Möglichkeiten

 

Urwälder gibt es kaum mehr. Fast alle Wälder unserer Heimat, ob China oder Europa, sind Forste, sind künstlich errichtet, von Menschen gepflanzt und gehegt und verwaltet. Doch jeder Baum in jedem Forst wächst einfach seiner Natur nach, schöpft ihre Möglichkeiten ganz aus. Auch der Baum, in den der Blitz schlug, dessen Hauptast der Sturm brach, tut das, ohne Abstrich. Auch der beschnittene Obstbaum tut das, ganz wie er kann. In allen Verhältnissen bringt der Baum seine Natur ganz zur Geltung, so wie er kann.

Nur der Mensch hält sich zurück, lässt sich durch Gesetze, Sitten, Drohungen, Bitten, durch seine Vorstellungen über das Mögliche, durch seine Befürchtungen zurückhalten, wie kein noch so beschnittener Baum. 

Das macht sein Geist, das macht Erziehung, das machen Beziehungen.

Wenn Menschen am Ende ihres Lebens zurückschauen, bedauern sie am meisten das, was sie nicht getan haben.

Ist der Geist also der Fluch des Menschen, wenn er die Fülle seiner Möglichkeiten beschränkt? Oder liegt eben darin ein Grund für die Größe des Menschen?

Der daoistische Weise scheint eher zum Baum werden zu wollen, als die Fülle seiner Möglichkeiten auszuschöpfen.

Junge Menschen neigen eher zum Ausschöpfen. Ist das nur ein Ausprobieren ihrer Grenzen? Oder weil sie noch nicht so wie die Alten von Geist und Gesetzen zurechtgestutzt sind?

Alte Menschen neigen eher zur Beschränkung. Ist das, weil sie erkannt haben, was wichtig ist und gut tut? Oder weil ihre Energie unter den Gesetzen und den Auseinandersetzungen ihres Geistes gelitten hat?

 

Das Blatt ist schön

 

Wer betrachtet die Welt aus der Perspektive eines Maßbandes oder einer Uhr? Niemand. Wenn meine Intuition mir aber sagt: dieses Blatt ist 10 Zentimeter lang und das Maßband sagt: Es sind 7,6 Zentimeter, dann glaube ich dem Maßband. Aber das bestimmt nicht meine Weise der Anschauung, die mir sagt: Das Blatt ist schön. Doch es verändert sie etwas.

 

Das Geheimnis der Knospe

 

Das Geheimnis der Knospe wird nicht offenbar, wenn sie sich öffnet. Es verbirgt sich mit dem erscheinenden Blatt oder der Blume sogar noch mehr.

 

Sprache auf Abwegen

 

Sollte es möglich sein, dass Sprache den Menschen in die Irre geführt hat? Was sie könnte – keine Frage! Doch hat sich ihre Funktion nicht ganz ins heitere Bimmeln von Werbesprüchen hinein aufgelöst, in die Lüge also, die Manipulation, weg von Berührung, Verständnis, Verständigung? 

Liegt inzwischen nicht leise Ironie im Blick des Eichhörnchens oder der Kuh, die keine solche Sprache haben, wenn wir ihnen Auge in Auge gegenüber stehen?

---ENDE DER LESEPROBE---