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Diese Sammlung enthält chronologisch Haiku und gelegentlich dazu entstandene Prosa von Juli 2016 bis zum 1. März 2020. Orte sind unter anderem Tübingen, die Donauquelle, Ostsee-Radfahrt, Jakobsweg von Irun bis Santander, Süd-Indien, Sils Maria, List auf Sylt, Fuerteventura, Kreta, Lissabon, Madeira, Altmühltal, Burgund, Türkei, Griechenland.
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Vor der Morgensonne
Bunte Steine
Edition Blaue Felder
Impressum
Volker Friebel, Edition Blaue Felder,
Denzenbergstraße 29, 72074 Tübingen (Deutschland)
www.Volker-Friebel.de
Texte, Bilder, Gestaltung: Volker Friebel
Lektorat: Elisabeth Menrad
Veröffentlicht: Mai 2024
Druck und Vertrieb durch epubli: Neopubli, Berlin
Titelfoto: Morgendämmerung auf dem Jakobsweg bei Orio (Baskenland, Spanien)
Alle Rechte vorbehalten
Inhalt
Von Quell zu Quell
Wasserläufer
Ostsee-Radfahrt
Auf dem Jakobsweg
Fahl geworden
Süd-Indien
Im Winterwald
Sils Maria – März 2017
Knospen
List auf Sylt – 2017
Offener Schnabel
Sils Maria – Oktober 2017
Jede Nacht
Fuerteventura
Blätter fallen
Kreta
Krokusse
Lissabon
Madeira
Leichtes Gepäck
Altmühltal
Überflutet vom Mohn
Burgund
Sils Maria – 2018
Zur Lerche werden
Türkei
Ende der Nachrichten
List auf Sylt – 2019
Nacht im Museum
Sils Maria – 2019
Totenglöckchen
Weise Worte
Neujahrsböllern
Griechenland
Zu Buch und Autor
Anfang Juli 2016
Wir besuchen die Quellen von Neckar und Donau – und die Schwestern Elisabeths, in Ulm und Waldstetten. In sechs Tage legen wir mit den Fahrrädern von Tübingen aus 450 Kilometer zurück.
Waldkapelle –
ich lausche dem Choral
eines Vogels.
Höhenweg an der Brigach
Donau-Ursprung.
Übern Blütenteppich die Schatten
von Schwertransportern.
bei Donaueschingen, Zusammenfluss von Brigach und Breg
Donauversickerung.
Aus feuchtem Sand steigen
Schmetterlinge.
an der Donauversickerung bei Immendingen
Die Wiese eingerollt
auf dem Hänger. Der Traktor
jault auf.
vor Stetten, nachmittags
Von der alten Linde den Bergpfad hinauf. Gelbe Blumen. Wurzeln über den Weg. Vögel. Wie klingt der Ton einer Schwanenflöte? Es sind die sieben Töne des Waldes. Ich schrieb ein Buch Lyrik darauf.
Geißenklösterle.
Singend steig ich über
bröckelnden Stein.
am Geißenklösterle vor Blaubeuren
Mädesüß.
Pinselstriche setzen sich fort –
als weiße Wolken.
Bank an der Blau vor Blaustein
Ein Bachbett,
von Rindern zerstampft.
Sommermorgen.
Nähe Hummelshalde bei Waldstetten
Eingeschlafen
im Wald. Ein Buchfink zwitschert
in meinen Traum.
Nähe Hummelshalde bei Waldstetten
An den Stacheldraht
lehnen Brennnesseln. Niemand ist hier,
nur der Wind.
Nähe Hummelshalde bei Waldstetten; am Menrad-Kreuz
Mitte Juli bis Anfang August 2016
Lärm von Kampfjets.
Ein Wasserläufer treibt über
die Sonne.
bei Tübingen, Spitzberg
Friedwald-Führung.
Auf den Zigarettenstummel setzt sich
ein Schmetterling.
bei Hohenentringen, auf dem Friedwald
Ein Segelboot
zwischen Bäumen im Wald, umtanzt
von Schmetterlingen.
Fahrradfahrt Holzgerlingen – Weil der Stadt
Fallendes Licht.
Ein Spatz stürzt aus dem Himmel
ins Weizenmeer.
Fahrradfahrt Holzgerlingen – Weil der Stadt
Schattenkühle –
mit dem Schmetterling
flattert sie fort.
Fahrrad-Rundfahrt, Schönbuch, Entringer Sattel
An der Heimat
zerrt der Himmel, flieg,
Distelflaum!
Fahrrad-Rundfahrt, Pfäffingen
Geborstener Asphalt.
Der Schmetterling steigt
höher und höher.
Tübingen-Sand, Waldrandweg
August 2016
Allee alter Erlen.
Die Ostsee rauscht
in meinen Traum.
Fahrradfahrt Wismar – Rostock, hinter Wismar
Gepflügte Felder
am Meer. Ein Spatzenschwarm
verschwindet im Blau.
Fahrradfahrt Wismar – Rostock, hinter Wismar
Salzwiesen.
Graugänse weiden
das Morgenlicht.
Fahrradfahrt Wismar – Rostock, Damm zur Insel Poel
Eine Pappelallee
im Wind vom Meer. Aus meinem Traum
fallen Worte.
Fahrradfahrt Wismar – Rostock, hinter Groß-Strömkendorf
Rast am Steilhang.
In unser Zwiegespräch mischt sich
das Meer.
Fahrradfahrt Wismar – Rostock, Rast am Steilhang zwischen Kühlungsborn und Heiligendamm
Knisternder Weizen.
Spatzen steigen auf, ins Rauschen
der Ostsee.
Fahrradfahrt Rostock – Zingst, vor Ahrenshoop
Ostsee-Brandung.
Aus schwarzen Steinen gelegt
ein Herz.
Zingst, Fahrradausflug zum Ostende, Rast am Strand
Sonnenuntergang
am Meer. – Auf allen Fotos fehlt
das Salz.
Zingst, Strandspaziergang, vor Sonnenuntergang
Sonnenuntergang.
Aus dem Dünengras löst sich
der Mond.
Zingst, Strandspaziergang, nach Sonnenuntergang
Kirche Barth.
Ein Kampfjet bringt die Gerüste
zum Zittern.
Fahrradfahrt Zingst – Stralsund, Barth
Der Fährenbauch
schluckt Mensch um Mensch.
Wir schauen nach Hiddensee.
Stralsund, Hafen, auf der Fähre nach Hiddensee Neuendorf
Mein Leben mit
den Wolken. Die Fähre setzt über,
zur nächsten Insel.
Fährüberfahrt Stralsund – Hiddensee Neuendorf
Hiddensee. Wir radeln am rauschenden Strand. Mit gemähten grünen Weiden und vereinzelten Heurollen.
Mit weißen Wolken, die ziehen, ziehen, niedrig über dem niederen Land. Mit weißen Segeln am Horizont. Mit der Sonne, die auf uns alle scheint.
Mit gelben Blumen im kurzen, zitternden Gras. Mit einem Schmetterling, der seinen Himmel unter den Wolken nicht ausmessen will.
Mit abgestorbenen Birken und Birken, die Blätter tragen. Mit Moor und Schilf, das zum Teil tot ist und zum Teil lebt, und das leben wird. Mit Regentropfen am langen Gras, in dem die Sonne blitzt, in der Bewegung unserer Räder.
Mit Licht und Schatten, mit Reichtum und Not. Mit lila blühendem Heidekraut.
Mit Brombeerhecken, manche Beeren schon schwarz, manche noch rot oder grün.
Weidende Pferde und Rinder. Schafe grasten gleich zu Beginn unserer Fahrt am Deich Hafen Neuendorf.
Eine Schar Wildgänse fliegt schreien über uns weg, aus Richtung Rügen, lässt sich nieder auf einem Binnengewässer. Andere schaukeln schon hier.
Vielleicht bleiben sie. Vielleicht sammeln sie sich für ihren gemeinsamen Flug weiter nach Afrika.
Fahrradfahrt Hiddensee Neuendorf – Kloster
Rassower Strom.
Sie brauchen kein Fährgeld, der Wind
und der Vogel.
Rügen, Fahrradfahrt Schaprode – Kap Arkona, vor der Wittower Fähre
Fischbrötchenbrösel –
ein Spatz steigt schwer
in den Wind.
Rügen, bei Putgarten, Fischerdorf Vitt, Bank am Imbiss
Segel,
gespiegelt, wie Wolken im Meer.
Wir träumen noch.
Rügen, bei Putgarten, auf dem großen Leuchtturm Kap Arkona
Wilde Äpfel,
abends am Abstieg zum Meer.
Ein Liebespaar.
Rügen, bei Putgarten, Gellort, Sonnenuntergang
Leerer Acker.
Ein Reh schaut übers Großsteingrab
ins Rauschen der Ostsee.
Fahrradfahrt Putgarten (Rügen) – Greifswald, am Großsteingrab Nobbin
Hafen von Binz.
Vor der murmelnden Ostsee
ein Shanty-Chor.
Fahrradfahrt Putgarten (Rügen) – Greifswald, Binz
Die alte Dorfkirche
in Trümmern – ein Platz für Efeu
und Schmetterlinge.
Fahrradfahrt Greifswald – Pinnow vor Usedom, Rast an der Dorfkirche Steinfurth
Rübenfelder.
Ein Schmetterling hebt meinen Blick
zu den Wolken.
Fahrradfahrt Greifswald – Pinnow vor Usedom
Polens Staub
im Haar,
im weiß gewordenen Haar.
Fahrrad-Rundfahrt Pinnow vor Usedom – Swinemünde
Vom Nachtregen
schimmerndes Gras. Aus den Wiesen
steigen Wildgänse.
Fahrradfahrt Pfarrhaus Pinnow vor Usedom – Stralsund
Zugvögel
sammeln sich. Der Stromdraht
singt.
Fahrradfahrt Pfarrhaus Pinnow vor Usedom – Stralsund, hinter Neu-Boltenhagen
Auf dem Weg zum Bahnhof radelt ein sehr dicker Mann betont gerade aufgerichtet über die Ampel.
In seinem Fahrradkorb sitzt ein sehr kleiner und dünner Hund. Wie ein Kapitän schaut er nach vorn.
Es ist kein Kapitän, überkommt es mich plötzlich, es ist ein Tourist, womöglich vom Sirius. Von einem Indigenen lässt er sich gondeln durch die fremdartigen Wunder der Menschenstadt.
Stralsund, Fahrradfahrt zum Hauptbahnhof
Zwischen Holz-Skulpturen
ein Lichtstrahl,
tanzender Staub.
Güstrow, Gertruden-Kapelle; Barlach-Skulpturen
Stadtkirche Güstrow.
Ich, still vor der Gläubigkeit
einer Orgel.
Güstrow, Stadtkirche St. Marien
Von Irun bis Santander
Letzter Augusttag bis Mitte September 2016
Morgendämmerung.
Um das Ruderboot spiegelt
der Himmel.
Wanderung Irun – San Sebastian
Auf halber Höhe des Jaizkibel über Irun an der Ermita de Guadalupe bleiben wir stehen, am Rand einer Menschenmenge. Heute ist der Feiertag des Heiligen Sebastian. Inbrünstig singt der Priester in der Kapelle, singen die Menschen im Innern mit ihm, inbrünstig klingt es über Lautsprecher ins Freie zu uns. Wir schweigen.
Die Inbrunst des Singens, das ist der Unterschied zu unserer Heimat. Elisabeth erzählt, dass es so auch in ihrer Kindheit war, im Freien an der Wallfahrtskirche zur Schönen Maria auf dem Rechberg. Ob die Inbrunst da war, weiß sie nicht mehr. Die Kinder mussten mit.
Wir sind weitergegangen. Im Tal rauscht Verkehr, bellen Hunde. Alles ist weit weg. Hier ist die Stille, sind wir. Und ein Ausblick auf das Meer und die Stadt, wo der Grenzfluss mündet.
Von der Bergkirche
verhallend Gesang. Die Schritte
der Pilger.
Aufstieg hinter Irun
Septemberlicht.
Zwei Schmetterlinge umtänzeln sich
über dem Pilgerpfad.
Wanderung Irun – San Sebastian
Hafen Pasaia –
wir in der großen Ruhe
der Dieselmotoren.
Wanderung Irun – San Sebastian, in Pasaia, Bank am Hafen
Steiniger Bergpfad.
Hinter Klippen verschwindet
ein Segelboot.
Wanderung Irun – San Sebastian
Brombeeren –
Hecke um Hecke
werden sie süßer.
Liegt das daran, dass sich unser Geschmack auf das Pilgern einstellt – oder an der vergehenden Zeit und zunehmenden Reife?
Wanderung San Sebastian – Orio
Morgendämmerung.
Aus dem Schritt der Pilger durchs Dorf
kräht ein Hahn.
Wanderung Orio – Zumaia, noch in Orio
Morgens am Strand:
Ein Hund jagt Wellen
zurück ins Meer.
Wanderung Orio – Zumaia, Strandpromenade Zarautz
Titanenschrei –
hochgestemmte Felsen, schief
überm Meer.
Wanderung Orio – Zumaia, hinter Zarautz
Auf und ab durch das Hinterland ... Wir rasten in einem Dorf, auf der Schattenbank bei einer alten Kirche, die geschlossen hat. Auf dem Platz stehen Platanen. Ein Brunnen ist in eine Mauer eingelassen. Einige Basken kommen, trinken, waschen sich, beginnen laut die Rezitation eines Gebets. Die Luft schwingt ...
Am Kloster warten,
auf Einlass. An uns vorbei
fliegt ein Schmetterling.
Zumaia, vor der Herberge San José sitzend
Grobe Steinquader der Kirche San Pedro in Zumaia. Wie fremd hineingesetzt goldene Glaubenssymbole.
Ob es sein kann, dass der Glauben und die Bemühung um ihn wirklich etwas erschafft? Auch wenn es vorher nicht da war? Ob es möglich ist, den Himmel, die Engel, die Hölle, die ewige Seele erst zu erschaffen? Dass sie dann da sind, wie diese steinernen Statuen und Altäre?
Eine Ethik. Einen engen und weiten Geist. Manche Liebe ...
Zumaia, vor der Herberge San José sitzend
Zwischen Worten der Pilger
das Meer.
Sonnenaufgang.
Wanderung Zumaia – Arnope, Rastplatz mit Frühstück
Staub.
Mit jedem Pilgerschritt
heben sich Welten.
Wanderung Zumaia – Arnope, hinter Deba
Die Kapelle –
geschlossen. Ein Blick auf das Meer
und den Horizont.
Wanderung Zumaia – Arnope, hinter Deba Kapelle El Calvario
Pilgerherberge.
Beim Schreiben der Flügelschlag
einer Libelle.
Sie flog in den offenen Vorraum und summte alles ab, wir spürten die Kühle ihres Flügelschlags.
Arnope, Aufenthaltsraum in privater Herberge
Vor Morgendämmern.
Hier und da erwachen im Tal die Geräusche, zur einen Grille, die wohl die ganze Nacht durchgezirpt hat, und den Glocken der Kühe.
Helle Kegel durchstreifen die Landschaft, Autos, die sich auf ihren Weg machen, ihre Besitzer zu deren Arbeitsstätten zu bringen. Gerade fährt eines vorbei.
Die Stille bleibt tief, wird aber mehr und mehr überlagert vom Menschen, der sich gegen die Gegebenheiten der Natur seinen eigensinnigen Weg zu bahnen versucht. Das ist seine Größe – und sein Problem.
Ein Hahn kräht.
Herberge Arnope, am Haus, noch zu dunkel, um loszugehen
Vom Hof bellt ein Hund.
Der Pilger spricht mit sich selbst
und dem Weg.
Wanderung Arnope – Kloster Zenarruza, Waldpfad
Morgenerwachen.
Die Steine des Klosters
atmen.
Kloster Zenarruza
Laudes.
In die Zeremonie schnäuzt
ein Mönch.
Kloster Zenarruza, in der Kirche während Laudes
Auf meinem Hut:
Auch die Fliege pilgert
den Berg hinauf.
Wanderung Kloster Zenarruza – Gernika, hinter Munitibar
Friedensmuseum Gernika.
Vor einer Taube
schließt sich die Tür.
Gernika, im Friedensmuseum
Pilgerfrühstück:
Brombeeren – gewaschen
vom Morgentau.
Wanderung Gernika – Lezama, Waldweg hinter Gernika
In der Kathedrale
ein Klingelton. Spiegelnder
Marmor.
Bilbao, Kathedrale
Sonnenbrillen,
im Dom abgesetzt. Die blinden Augen
der Heiligen.
Bilbao, Kathedrale
Ein Junge verschüttet beim Gang zum Tisch von seinem Kakao, er wird sich über die Schuhsohlen im ganzen Raum klebrig verteilen. Das ist nun ein Problem.
Wenn im Wald eine Biene Nektar verliert, ist das anders. Die Fliegen freuen sich, und wenn von denen keine etwas bemerkt, die Pilze und Bakterien.
Weshalb dieser Unterschied? Weshalb gibt es den Schmutz und das Unreine in der Menschenwelt, aber nicht in der Natur?
Der Fußboden ist funktional auf einen ganz bestimmten Zweck hin gemacht, was dazu nicht passt, beeinträchtigt ihn. Der Wald ist nicht auf einen bestimmten Zweck hin abgestellt, so kann dort viel mehr geschehen, ohne dass er seine Reinheit verliert.
Bilbao, Jugendherberge, Speisesaal, Frühstück
Ich steige schwer
aus dem Meer – leichtfüßig folgt
eine Welle.
Pobeña, Strand, nach dem Baden im Meer beim Herauslaufen
Abenddämmerung.
Der letzte Surfer
kommt auf der Welle heim.
Pobeña, Strand, abends
El Camino ...
Ein alter Japaner verbeugt sich
vor der Morgensonne.
Wanderung Pobeña – Islares
Eine Fabrik,
am Abhang zum Meer.
Brandende Wellen.
Wanderung Pobeña – Islares
Kreuz am Straßensaum –
ein Auto überfährt
meinen Schatten.