Lyrik 3 - Volker Friebel - E-Book

Lyrik 3 E-Book

Volker Friebel

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Beschreibung

Lyrik von Volker Friebel. Dieser dritte von drei Bänden enthält, leicht überarbeitet, die Original-Bücher „Die Lieder der Gräser“ (2018), „Lebensgezeiten“ (2019), „Manchmal Tau“ (2019) mit zusammen 258 Seiten Lyrik, Haiku, Haiga, Fotografien. Volker Friebel wurde an einem Schneesonntag gegen Ende des Jahres 1956 in Holzgerlingen geboren. Nach Studium der Psychologie Promotion. Tätig als Ausbildungsleiter (Entspannung, Innere Bilder), Schriftsteller, Bildermacher und Musiker. Er lebt in Tübingen.

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Volker Friebel

 

 

 

Lyrik

 

3

 

 

Die Lieder der Gräser
Lebensgezeiten
Manchmal Tau

 

 

Edition Blaue Felder, Tübingen

 

Impressum

 

Alle Rechte: Volker Friebel,

Denzenbergstraße 29, 72074 Tübingen (Deutschland)

www.Volker-Friebel.de 

 

Edition Blaue Felder, Tübingen

 

Text, Bild, Satz und Gestaltung: Volker Friebel

Veröffentlicht: Samstag, 1. Oktober 2022

 

 

Inhalt

Achtes Buch 

Die Lieder der Gräser 

Vorwort 

Die Lieder der Gräser 

Neuntes Buch 

Lebensgezeiten 

Zehntes Buch 

Manchmal Tau 

Zurück geblieben 

Haiku 1 

Die Karten aufgedeckt 

Papierschiffchen 

In der Mitte der Welt 

Das Strömen 

Letzte Worte einer Seiltänzerin 

Einfach vorbei 

Mein Jubeldidubel 

Ein Segelboot 

Nicht zu Hause 

Alles ist einfach 

Dunkle Fenster 

Gefrorener Wasserfall 

Einfache Worte 

Letzter Tanz 

Offene Tür 

Haiku 2 

Dichter in dürftiger Zeit 

Haiku 3 

Acht Ansichten vom Hölderlinturm 

Segelflieger 

Studentin auf dem Treppenabsatz vor dem Philosophischen Seminar, Alte Burse 

Pflastersteine vor der Alten Burse 

Unglücklich liebende Frau 

Handelsreisender 

Geschichts-Professor, privat 

Der Neckar 

Spatz auf der Mauer 

Haiku 4 

Hölderlin in Tübingen 

Haiku 5 

Heilig / Der letzte Mensch 

Haiku 6 

Die Lieder der Bäume 1 

Kiefer am Bergsee 

Ringe um Ringe 

Im Raureif 

Nymphe in der Weide 

Die Weide 

Lindenblüten 

Stangen ins Licht 

Schaukel im Apfelbaum 

Haiku 7 

Die Lieder der Bäume 2 

Gebogenes Herz 

Nagel in der Fichte 

Schlehengehölz 

Esche im Schnee 

Platane hinterm Taubenhaus 

Birkenbesen 

Samen geworfen 

Sag, Wind 

Haiku 8 

Die Lieder der Bäume 3 

Schleifspur 

Die Buche 

Birke im Moor 

Wilder Bienenstock 

Schriften vom Leben 

Die Tanne 

Apfelbaum an der Säge 

Lieder der Bäume 

Zum Buch 

 

Zu Werk und Autor 

 

 

Achtes Buch

Die Lieder der Gräser

Lyrik

 

 

Vorwort

 

Das sind die Lieder der Gräser – und die Lieder eines Menschen, der sich zwischen sie gesetzt hat. Das sind immer neue Versuche um dasselbe, die sich manchmal ergänzen, die sich manchmal zu widersprechen scheinen. 

Weshalb die Beschäftigung mit den Gräsern, mit ihren Liedern? Was meine ich, das ich, das wir Menschen von ihnen lernen können? Sicher nicht, Gräser zu sein. Das liefe nur auf eine Illusion hinaus, eine weitere der vielen Illusionen unseres Lebens. 

Wir können von den Gräsern lernen, Menschen zu sein. Das werden wir zuerst unter Menschen, in der Auseinandersetzung mit Menschen als Gegenüber – aber dann eben auch, indem wir uns gegen etwas halten, das nicht Mensch ist. Soweit wir das andere denn überhaupt sehen, uns vorstellen, verstehen können. 

Beim Kreisen um die Erde oder bei einem Blick vom Mond erkenne ich die Gestalt der Erde. Ich habe sie schon vorher gewusst. Aber dieser Blick von den Rändern her, aus dem anderen heraus, mit einem Abstand, den das andere gibt, zeigt sie mir konkreter, unmittelbar. 

Gräser nehmen Wasser auf. Schon zu sagen, dass sie trinken, dass sie auf Regen warten, ist falsch. Wir haben keine Worte zu erfassen und zu beschreiben, wie das Verhältnis der Gräser zum Wasser und der Erwartung des Regens ist. Wir haben unsere Worte, um uns diesem Verhältnis ein wenig anzunähern und vom Versuch dieser Annäherung zu lernen. 

Was immer wir ablehnen, lehnen wir in Hinsicht auf uns selbst ab. Was immer wir annehmen, nehmen wir in Hinsicht auf uns selbst an. Immer sind wir selbst, ist unsere Art, unser Nutzen, Maß und Entscheidungsgrund. Die Art der Gräser muss, wie schon ein Blick auf sie zeigt, eine andere sein – die allerdings evolutionsgeschichtlich nicht minder erfolgreich ist. 

Eine solche Einstellung setzt mich zwischen die Dinge, mitten unter die Dinge. Und es setzt mich mehr in ein Beobachten, als in ein Handeln. Ich begebe mich damit mitten in die Wiese und lache dabei. Es macht mich kleiner und die Welt größer. Vielleicht ist das eine Antwort auf die Lieder der Gräser: Staunen und Respekt vor der nichtmenschlichen Welt um mich herum. 

Streng genommen kann ich nicht einmal die Position anderer Menschen einnehmen, ich mache mir nur Vorstellungen über sie und täusche mich selbst, wenn ich meine, nach einem solchen Versuch andere Menschen tatsächlich zu kennen. 

Ganz streng genommen kann ich nicht einmal mich selbst verstehen. 

Allerdings erweitere ich mit meinen Vorstellungen meinen Raum, verändere meinen Horizont. 

Ich erweitere meine Welt, indem ich mich in andere Menschen hineinversetze, in ein Gegenüber, in die fiktiven Menschen eines Romans, und die Welt damit wie mit anderen Augen sehe. Es kommt nicht darauf an, dass diese anderen Augen tatsächlich existieren. Es kommt darauf an, dass es andere Augen als meine gewohnten sind. 

Ich erweitere meinen Horizont, indem ich die Lieder der Gräser singe oder mich hinknie und zu verstehen versuche, wie diese Weinbergschnecke in der Welt ist. Ich erweitere meinen Horizont, indem ich den Horizont betrachte und mich hinein in die Lieder der Bäume und der Wolken begebe. 

Das ist mindestens etwas wunderlich, wenn nicht gar verrückt, sobald ich vergesse, was ich tue, sobald ich glaube, wirklich ein Grashalm zu sein oder die Schnecke tatsächlich zu verstehen meine. 

Es ist eine Erweiterung des eigenen Lebens und Horizonts, wenn ich mir bewusst bin, was ich tue. Wenn ich die Wolken betrachte, als Wolken zu betrachten versuche, als eigene, für sich gültige Existenz, und nicht nur als Störung zwischen mir und der Sonne oder als etwas, das hoffentlich oder leider bald Regen bringt, kann ich meine eigene Existenz ein wenig erweitern. 

Dann spreche ich mit der Weinbergschnecke. 

Dann singe ich mit den Vögeln und dem Wind. 

Dann singe ich die Lieder der Gräser. 

Diese Versuche bleiben immer in der Perspektive des Menschen, unter meiner Perspektive, auch wenn sie von Gräsern gesungen werden. Doch mein Blick ist weiter geworden als zuvor. 

 

Läge es nicht näher, sich dem zuzuwenden, was sich in der Welt des Menschen ereignet? Wäre es nicht besser, hier Position zu beziehen, teilzunehmen an den Auseinandersetzungen der Menschen? Wenn wir denn eben darin zuallererst Mensch geworden sind, mit anderen Menschen als Gegenüber? Ist es in unserer Zeit, in jeder Zeit, nicht Eskapismus, sich zwischen Grashalme zu setzen und zu behaupten, mit ihnen singen zu können? 

Auseinandersetzungen sind gut. Anderen vorschreiben zu wollen, wie sie zu denken und zu tun haben, ist es allerdings nicht. Das scheint mir nicht Teil von Menschwerdung, die immer auch Individualisierung ist, sondern von Ideologisierung, es scheint mir nicht Teil von Erweiterung, sondern von Verengung mit Fantasiegestalten als Gegenüber und der Weigerung, andere Menschen als Menschen zu sehen. 

Vielleicht lässt sich gegenwärtig nur noch bei den Grashüpfern ergründen, was Menschlichkeit ist, lassen sich nur noch bei den Gräsern, den Wolken, den Bächen und Seen und im einfachen, selbstverständlichen Miteinander der Menschen Möglichkeiten erkunden, die Welt schöner, bunter, offener zu machen und Beweise dafür finden, dass sie schön, bunt und offen immer schon war. 

 

Die Lieder der Gräser sind eine Sammlung, ihre Folge ist nicht chronologisch oder im Sinne einer Entwicklung zu verstehen. So etwas herstellen zu wollen, hat der Autor irgendwann aufgegeben. Viele Stücke beziehen sich trotzdem auf ihre Nachbarn. Auch sie werden nichts dagegen haben, wenn das Lesen irgendwo zwischen ihnen beginnt. 

 

Volker Friebel 

 

Die Lieder der Gräser

 

 

1

 

Die Grasspitze bebt leicht,

während eine Mücke um sie herum

ihren Bogen zieht, während der Weiher ruht

und im Schilfrohr der Frosch

einen einzigen Laut gibt.

 

Durch den Morgen kommt

ein Mensch, in ausgetretenen Spuren

der Ahnen, durch Vogelsang,

durch das Gespräch von Wasser

und Stein.

 

In weicher Erde aufgegangen

verliert sich der Pfad. Blumen duften.

Auge ist er geworden und Lauschen

in die Hymnen der Farben. Plötzlich hört er

die Lieder der Gräser.

 

 

2

 

Fliegen schwirren, Sonnenstrahlen

fallen ein aus der Höhe. Das langsame Steigen

der Erde in uns.

 

An den Wegsaum hat sich ein Mensch gesetzt,

der lauscht unseren Liedern,

der singt nun selbst.

 

Trifft er den Ton der Wiese,

trifft er ihn nicht? Seine Stimme

verändert sich.

 

 

3

 

Eingeschrieben in unseren Leib

sind die Ebenen der Vorzeit – Dinosaurier

starrten uns an. Unter hohe Bäume

gab uns die Erde. Wie das Moos betete.

Wie Farne sich in den Frühling ausrollten.

Vögel sangen für uns ihre Hymnen

aus Gegenwart. Und das Licht sprach uns zu,

wir nahmen es auf und wandelten es

in fließende Zeit.

 

Eingeschrieben in unseren Leib ist das Wissen

aus Erdzeitaltern, aus Jahrmillionen blinden Tastens,

ist das Verlangen der Sterne

neu geboren zu werden, lebendig zu werden,

aus unsterblicher Schönheit in das,

was alt wird, was stirbt, was gefressen wird,

was durch allen Tod und jede Verwandlung

neu sich aufrichtet

und in den Himmel steht.

 

 

4

 

Das Einfache scheint das Schwache zu sein,

schwach wie das Gras, das vom Hasen

gefressen wird, den der Fuchs frisst,

den der Jäger schießt ...

 

Kleine Saurier erhoben sich in die Luft,

um der Gefahr zu entkommen –

und bald schon gab es Jäger und Gejagte

im Himmel.

 

Entwicklungsspiralen. Gewonnener Vorteil

schmilzt schnell dahin. Über allem unverändert

die Sonne – und unter ihr

das standhafte Gras.

 

Das Einfache bleibt – wenn es bleibt,

was es ist, wenn es die Stufen zum Himmel

nicht wissen will, wenn es nicht einmal verzichtet,

weil es nichts anderes kennt.

 

 

5

 

Minerale strömen durch mich,

aufwärts, dem Himmel zu – und wenn mich

ein Hase frisst oder ein Reh,

 

noch einmal höher, vielleicht bis in ein Auge,

mit dem die Erde

den Himmel betrachtet.

 

Jedes Zittern meines Leibes im Wind

ist das Zittern der ganzen Erde

unter dem ruhenden Himmel.

 

Jeder Sonnenstrahl, der mich trifft,

ist eine Leiter des Himmels

in das Herz dieser Welt.

 

Was ich vom Himmel nehme,

nimmt die Erde von mir. Was von der Erde

ich bin, bin ich vom Himmel.

 

 

6

 

Wind ist Schwanken, Regen Labsal,

Sonne das Mysterium Himmel,

sie nährt, sie zieht hinauf, sie verbrennt.

Ihr Geheimnis wollen die Menschen erkennen,

wir leben unter ihr.

 

Hahnenfuß, mit uns im Wind,

als die Fliege sich auf dich setzte,

streifte ihr Flügel auch mich,

Pollen stoben in die Wirbel,

wo sie gerade noch war.

 

Durch das Zittern der Luft schwebt

eine Hummel. Auf einer Kleeblüte

lässt sie sich nieder, wir Gräser

umstehen sie, hier, in der Mitte

der Welt.

 

Beben des Hummelleibs.

Flügel sind sichtbar geworden

in ihrer Ruhe.

 

Klee schwankt im Meer

all der Düfte. Die vielen Lieder

des Grüns.

 

Das tiefe Lied

der Dämmerungen. Was war, verging.

Wir wachsen aus ihm.

 

Stimmen von Menschen.

Auch da

das Zittern.

 

Pferdehufe auf dem Asphalt.

Im Wald tiefer Atem,

der Wipfel Summen.

 

Wenn es nur Grün gibt,

sind die Variationen des Grüns

unsere Welt.

 

Nur das Weiß einer Kleeblüte

sticht hervor.

Es ist grün.

 

 

7

 

Brennnesseln sind auferstanden

und singen ein weiteres Jahr,

unter Flügelschlägen der Schmetterlinge,

am Taubengurren, nahe am

strömenden Wasser. Erleuchtet

vom Pfiff eines Vogels die Tiefe

des Waldes.

 

Ein Weiher. Geöffnete Seerosen

zeigen die Sonne, die Sonne zeigt sie.

 

Ein Distelsamen kommt mit dem Wind,

will hier bleiben.

 

Zwischen Gräser lässt er sich nieder

ins flutende Licht.

 

 

8

 

Standhaft sein heißt

in der Drohung des Todes nicht

zu flüchten, die Erde

nicht loszulassen – weil du

ihr einziger Halt bist.

 

Wir Gräser sind standhaft.

Wir stammen aus dem Herzen

der Welt. Das lassen wir nicht.

Es ist unser Leben.

Wir sind seine Kinder.

 

So wie es der Schmetterling ist

und der Vogel. So wie der Waldbach

das Herz durchströmt

und selbst das Herz ist,

wie die Steine am Abhang,

wie das äsende Reh,

wie die Blumen.

 

 

9

 

Ob auch ich Mensch etwas sein kann,

im Herzen der Erde?

Noch glüht die Spur hinter mir.

 

Wenn ich rufe, hör ich mein Echo,

und selbst das verschluckt oft

der Wald.

 

Wenn ich lausche, hör ich die vielen

Stimmen des Lebens,

hör ich mich selbst –

 

doch nirgendwo etwas,

das von sich aus mich anspricht

oder mir antwortet.

 

 

10

 

Unter dem Sommerwind biegen, wiegen,

wir berühren einander – und den Himmel.

Wir sind gegen den Sturm gestanden.

 

Vielleicht fürchten Eichen den Blitzschlag,

nicht wir. Doch zu sein, ist zu wenig,

wir wachsen.

 

Den Menschen, so heißt es, ist alles

zu wenig, die vertrauen einander kaum

im Sturm und kaum in der Stille.

 

Die strecken sich, stehen auf Zehenspitzen,

kommen nie an.

 

 

11

 

Berührung des Windes,

Berührung der Luft im Flügelschlag

einer Mücke, Berührung durch

den Klang einer Grille, die Wellen des Schalls –

und wenn uns ein Häschen anfrisst,

so ist auch das Berührung, wie Regen,

wie der Lärm des Donners,

der durch uns geht.

Berührung ist unser Sein,

ein Wissen, dass neben uns andere sind,

so wie wir, mit denen wir sind.

Bäume leben das auch. Und die Tiere im Wald?

Der Mensch hat neben sich nichts,

er steht über dem anderen, beutet es aus,

will es schützen, spricht über es,

doch nicht mit ihm.

 

 

12

 

Gehört der Mensch zum Leben dazu,

hat er sich abgetrennt,

hat einen Thron gebaut, auf dem er nun sitzt

und Masken wechselt.

 

Maske des Gärtners, Maske des Jägers,

Maske des Kaufmanns ... Dahinter

ein blasses Gesicht:

ein Mensch, eine Suche.

 

 

 

 

 

13

 

Windstille. Im Zittern der Luft

zittern Halme. Alle Bewegung

kommt aus der Berührung der Sonne,

die ruht. Doch ihre Kinder schwirren, sirren,

es sind die Strahlen des Lichts. Gräser nehmen sie auf,

sie sind im Zirpen der Grillen.

 

Ein Mensch hat am Brunnen gesessen

und dem Wasser gelauscht. Ein Mensch hat

die Gräser in ihrer Demut spöttisch bewundert.

Ein Mensch hört in der Stille tanzender Luft

die Stille in sich. Sie ist aus der Stille

der Sonne.

 

Doch aus der Stille des leeren Raums

ist sie auch. Und aus der Stille

des Brunnens. Wo er hinein lauscht,

ist auch die Stille. Als er sich fragt,

was er ohne sie ist,

kommt keine Antwort.

 

Keine Antwort vom Löwenzahn.

Keine Antwort vom weißen Klee.

Keine Antwort vom Gras

oder aus den Liedern der Steine.

Nur zwischen Blättern ein Vogel

pfeift und pfeift.

 

 

14

 

Ein Grashüpfer fällt aus dem Himmel

landet auf mir, rappelt sich auf, klammert sich

an das Blatt einer Schwester, ruckt,

scheint zu lauschen, dann reiben seine Beine

die Flügel – er singt.

 

Unser Gesang wird mit dem Wind,

auch unser Flug, eine Wolke aus Samen,

wir lauschen sonst nur, wir stehen zusammen.

Der Wind ist ein Schicksal, wie der Grashüpfer.

Wir leben mit ihm.

 

 

15

 

Der Same des Grases will sich beflügeln,

will neue Horizonte suchen und Heimat finden.

Vielleicht in der Wiese am Parksee,

wo eine Frau plötzlich vom Buch in die Welt schaut,

und die Welt schaut zurück, wo keine Frage nach Sinn

jemals laut wird, aber die Erfüllung so groß

wie der Himmel ist.

 

Kennt sie wohl etwas von den Liedern der Gräser?

Kennt sie wohl etwas vom Licht?

 

 

16

 

Gräser stehen hinab bis zum Waldbach.

Ob sie dem Glucksen lauschen?

Ob sie dem Wind der Weite nachspüren?

Da ist der Friede des Lichts

und der seiner Kinder.

 

Je ferner der Quelle, umso ferner

sind die Wasser dem Ursprung.

In der Weite zerstreiten die Nachkommen sich,

im Strom der Zeit werden sie

Katzen und Mäuse.

 

Die Gräser sind einfältig

in der ersten Wahrheit geblieben.

Löwen schreiten durch sie.

Hasen knabbern sie an. Das Licht

ist in ihnen.

 

 

17

 

Tiere wandeln fremdes Leben

in eigenes – und in Kot. Wir nur erschaffen

Leben ganz neu.

 

Eine Büffel-Herde in der Savanne,

Löwen schleichen um sie, durch unser Wogen,

das friedlich wie Licht ist.

 

In uns will das Licht

sich verwandeln. Büffel und Löwen

starren taub durch sein Lied.

 

Wer weiß, was das Licht singt.

Wir trinken seine Farben, wandeln sie um –

und es lebt!

 

Wer weiß, was die Erde raunt.

Unsere Wurzeln nehmen ihre Elemente auf –

und sie lebt!

 

 

18

 

Wir sind nicht gleich.

Doch wir beugen uns nur dem Wind

und dem Regen, dem Schnee,

dem Tritt eines Rehs, nicht voreinander,

weil jedes von uns seinen Platz hat

und nur seinen Platz halten und keinen

anderen gewinnen kann.

 

Könnten wir wandern, würden sich Kriege erheben

um die besten Fluren des Landes,

Herzöge führten die Fahnen an.

Doch wir sind Gräser, wir bleiben am Fleck

und nehmen von oben und unten

was zu uns kommt,

was eins mit uns werden will.

 

Wie süß das Licht singt.

Wie Wasser murmelt, dunkel und hell.

Wie Minerale knistern.

Was die Gefühle sind, von denen Menschen

reden und reden? Freude und Stolz

sind Leib geworden

in uns.

---ENDE DER LESEPROBE---