Mondsteine - Volker Friebel - E-Book

Mondsteine E-Book

Volker Friebel

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Beschreibung

Konradin und Iris sind 15 Jahre alt. Obwohl sie sich nie begegnen, sind ihre Schicksale eng miteinander verknüpft. Nach ihrem Austausch durch einen Brunnen zwischen den Welten gerät Konradin auf der Sonnenwelt unter die Stadtstreicher, findet zu Demian und dem Konsortium und wendet während einer Schlacht in der Halle der Macht das Schicksal des Mondreichs. Iris wird in der Mondwelt von den Fahrenden auf eine Burg gebracht, lernt die Großen des Albenreichs kennen und reitet mit dem Mädchen Lucia auf einem Einhorn in das Abenteuer ihres Lebens. Sie lernt den Mondstein beherrschen und entscheidet damit über die Zukunft zweier Welten.

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Volker Friebel

 

Mondsteine

Die Geschichte von Iris und Konradin

Eine Erzählung aus den Mond-Chroniken

 

Edition Blaue Felder, Tübingen

 

 

Impressum

 

EditionBlaue Felder, 

Denzenbergstraße 29, 72074 Tübingen (Deutschland)

www.Blaue-Felder.de 

 

Text, Fotografie und Gestaltung: Volker FriebelISBN PapierBuch: 978-3-936487-88-6 

ISBN eBuch, epub-Format: 978-3-936487-89-3

Veröffentlicht im Mai 2015

Alle Rechte vorbehalten

 

Inhalt

  1 – Konradin auf dem Weg in die Sternengrotte 

  2 – Ein Auftrag für Konradin 

  3 – Besprechung zum Brunnentauchen 

  4 – Iris und die Brunnenfahrt 

  5 – Konradin in der Sonnenwelt – die Wallfahrtskapelle 

  6 – Konradin in der Stadt 

  7 – Konradin unter der Brücke 

  8 – Iris beim Treck: Kunkelmagen oder Schwertmagen? 

  9 – Iris bekommt einen Mondstein 

10 – Am Lagerfeuer 

11 – Iris arbeitet am Mondstein 

12 – Konradin entdeckt den Fernseher 

13 – Wolkenschloss 1 

14 – Iris in der Stadt und am Hafen – ein Fremder in der Bar 

15 – „Verkauft!“ 

16 – Konradin auf dem Kongress – Demian 

17 – Konradin und Demian – Besprechung bei Demian – die Sternenbrücke 

18 – Wolkenschloss 2 

19 – Aus den Mond-Chroniken: Die Geschichte des Schnees 

20 – Ein Frosch lädt zum Frühstück oder zum Abendessen – Felix 

21 – Aus den Mond-Chroniken: Die Sternengrotte 

22 – Die Sternenbrücke – in der Halle der Macht 

23 – Einar 

24 – Einar bittet um Hilfe 

25 – Rückkehr zur Sonnenwelt 

26 – Wolkenschloss 3 

27 – Besprechung auf der Burg – König Alberich und Lucia 

28 – Iris entdeckt den Burggarten 

29 – Demians Traum 

30 – Festvorbereitungen 

31 – Mitternachtessen auf der Burg – Lucia und Felix 

32 – Die Einhörner – Lucia erzählt 

33 – Aus den Mond-Chroniken: Die Fahrenden – Besuch bei Hendricks im Kuckuckswald 

34 – Iris und Felix im Rosengarten 

35 – Aus den Mond-Chroniken: Die Entstehung der Rosen – Worte 

36 – Iris und Felix im Rosengarten 

37 – Iris und Lucia auf der Lichtung 

38 – Alarm 

39 – Anflug der Schattenvögel 

40 – Die Schattenvögel 

41 – Wolkenschloss 4 

42 – Festmahlbestellung 

43 – Die Zwerge bauen auf 

44 – Fest und Krönung 

45 – Die Sondereinsatztruppe greift ein 

46 – Kampf um die Brunnen 

47 – Der Zweikampf 

48 – Tanz um die Quelle – Frau Perchta 

49 – Iris allein auf der Lichtung 

50 – Aus den Mond-Chroniken: Frau Perchta – Mythen-Poker 

51 – Iris und Lucia unterwegs – Aus den Mond-Chroniken: Von der Herkunft der weißen Schlange 

52 – Der Adler und ein weiterer Schlüssel 

53 – Die Sphinx und der Löwe 

54 – Der Drache und das verwunschene Schloss 

55 – Gespräch auf dem Heimritt 

56 – Der tote Schattenvogel 

57 – Das Geheimnis des Mondsteins 

58 – Mit der Seeschwalbe zur Sternengrotte 

59 – Wiedersehen mit Felix – und Abschied 

60 – In der Kapelle 

61 – Die Freundinnen – der Mondstein 

62 – Konradin zurück in der Sternengrotte 

63 – Wolkenschloss 5 

64 – Der Hel-Ritter 

 

1 – Konradin auf dem Weg in die Sternengrotte

Ort: Albenreich, Zeit: Neumondnacht

 Konradin wöffelte unter dem Leuchtkäferbaum. Er nahm die ganze strahlende Schönheit der Silberhaar-Ranken in sich auf, an denen sich in der Neumondnacht die paarungsfähigen Käfermännchen zu Tausenden versammelt hatten, um ihre Lichtkämpfe auszutragen, während die Weibchen sie zirpend aus der Ferne beobachteten. Der Wind trug ihm den Duft frisch aufgesprungener Mondblüten zu, und er schnupperte, um sie ganz in seinen inneren Kristall einzulassen und festzuschreiben.

Die Zeit stand still.

Die Zeit dehnte sich in alle Richtungen gleichzeitig aus, wie eine der Lichtexplosionen der platzenden Blüten nach der Paarung der Leuchtkäfer. Dann lief sie wie zuvor weiter.

Konradin blinzelte und schüttelte sich. Das Wöffeln erschütterte ihn immer wieder aufs Neue. Sein Kristall war schon zu fast einem Zehntel vollgeschrieben, fünfzehn Mondjahre hatten ihr Licht und ihre Schatten in ihm hinterlassen, aber nach jedem Wöffeln kam die Welt ihm so frisch vor wie neugefallener Schnee, fast wie damals, als er selbst aus dem Ei geschlüpft war.

Er blinzelte nochmals. Dann lief er durch den Wald vorwärts und übte dabei seinen Auftritt.

„Konradin Möchtegern Maier, Edler von Klingenfels, Infant des Rosenheimschlosses, Hel-Knappe des freien Schwertordens: Die Welt ist in großer Gefahr“, so würde er beginnen. Aber wie weiter? Seine Schilderung der vergangenen Ereignisse durfte weder zu lang, noch zu knapp werden. Sie musste eine Spannung aufbauen, auf einen Höhepunkt zuführen, ein grimmiger Ausblick auf die zu befürchtende weitere Entwicklung musste die Zuhörer erschaudern lassen – und dann seine Lösung, seine geniale Idee, die ihm mit einem Mal den Titel eines ,Weißenhaar‘, wenn nicht gar eines ,Segensreich‘ einbringen – zumindest aber doch eines ,Wahrefest‘ – und ihn auf jeden Fall mit einem Schlag von diesem ,Möchtegern‘ befreien würde. Fünf Rangstufen sollte er mindestens überspringen! 

Also wie weiter?

Konradin ging noch einmal seine Stichworte durch. Beginnen würde er mit dem Frieden, mit einem Lobgesang auf das Albenreich im Jubel des Wöffelns und der Kristallgesänge. Das würde vor allem bei den Alten gut ankommen, bei denen die Verwahrung der Mondsteine und alle Entscheidungsgewalt lag. Dann eine steigende Dramatik mit sich zunehmend überstürzenden Ereignissen: Die ersten Heuler zum Wintermond, die ungerufenen Visionen der großen Kristallen in der Sternengrotte, die rasche Ausbreitung der Seuche über weite Teile des Albenreichs, das Verschwinden von Frau Perchta, der nach der Einäscherung eines verstorbenen Heulers erste entdeckte Kristallbruch, das Auftauchen der Schattenvögel, und die Verfinsterung des Mondes durch ihre schweigend kreisenden Scharen. Und dann seine Lösung – und sein Triumph!

Plumps, fiel er lang hin. Ein Stein, eine Wurzel – nun lag er mit ausgebreiteten Armen mitten im duftenden Moos. Vögel sangen ringsum. Konradin nahm seinen Herzschlag wahr, lauschte ein paar Mondwolken lang einfach seinem Atem und verspürte das starke, fast unwiderstehliche Bedürfnis zu wöffeln. Aber er riss sich zusammen und sprang auf. Rasch klopfte er sich die Kleidung ab und nahm sein Bündel wieder auf. Dann eilte er weiter, im Sternenlicht, einem gähnenden Schlund zwischen den Felsen zu.

Dem Mond sei Dank! Durch den Eingang der Sternengrotte drängelten gerade einige Alben. Der letzte war er also nicht, auch hinter ihm klangen Stimmen. Giftig zischten die beiden Feuerdrachen, die den Eingang bewachten, verwirrt durch die Vielzahl der Gäste, aber er widerstand der Versuchung nach einem Wegezauber, zog einfach die Schultern hoch, hob seinen Schild mit einem der Mondsteine von Klingenfels und drückte sich zwischen ihnen hindurch.

Hinter dem Eingang zur Hauptgrotte blieb er stehen und sah sich um. Zahllose Leiber wogten auf dem Versammlungsplatz. Schreie hallten zwischen den Wänden. Der Spektakel tat seinen Ohren weh. Doch vor den Sitzen der großen Familien flatterten im Kristallwind die Fahnen, Leuchtfeuer sicherer Hafen.

Die Farben von Klingenfels wiesen Konradin die Richtung. Er bahnte sich strahlend den Weg durch das Volk. Atemlos erreichte er den inneren Kreis der großen Familien und die schweigenden Seinen. Konradin suchte erst gar nicht nach Entschuldigungen für sein spätes Eintreffen. Richard Mondenpreis wies ihm ernst seinen Platz.

Fanfaren erklangen. Konradin setzte sich und atmete tief durch. Offenbar war er gerade rechtzeitig gekommen. Der Lärm in der riesigen Grotte verhallte.

 

 

2 – Ein Auftrag für Konradin

Ort: Albenreich, Zeit: Neumondnacht

 Auf halber Höhe der Wand im hinteren Teil der Grotte begann sich die Königsterrasse zu füllen. Unten reckten sich neugierig Hälse, wer denn da alles zu sehen war. Etwas kletterte in den Thron, ruckelte, schaukelte sich zurecht – ein Hinweis auf die Bedeutung des Treffens. König Alberich wirkte zwischen den mächtigen Lehnen noch kleiner. In seinen strahlenden Kleidern verschwand er fast. Ein Einhorn stand zu seiner Linken, ein zweites neben dem anderen, leeren Thron an seiner rechten Seite. Einen Augenblick meinte Konradin, Frau Perchta kommen zu sehen – aber das konnte nicht sein.

Dann setzte sein Herzschlag eine Mondwolke lang aus: Frau Hel war es, die angebetete Namensdame des freien Schwertordens, geleitet von ihren Ehrenrittern! Auch andere hatten sie wohl erkannt, denn in der Grotte schwoll wieder Gemurmel an. Konradin mochte den Blick kaum wenden – aber der höchst ehrenwerte Kanzler Siegwart trat nun vor, richtete sich zu seiner ganzen, allerdings nicht sehr stattlichen Größe auf und eröffnete unter dem Banner des Albenreichs die Versammlung.

„Nun, die Ereignisse sind allen bekannt“, begann Kanzler Siegwart langgezogen, fast gähnend. „Ein paar Schwierigkeiten mit Kristallen und Vögeln. Frau Perchta ist unauffindbar, wahrscheinlich verreist. Vielleicht hat jemand unachtsam ein paar Zauberknochen herumliegen lassen.“ In der Grotte begann sich Unruhe auszubreiten. Offenbar hatten umlaufende Gerüchte schon ihre Wirkung getan. Jemand trat zum Kanzler und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

„Keine Zauberknochen, richtig, schon richtig, immerhin doch Schwierigkeiten mit den Kristallen, und diesen Vögeln, das wird niemand leugnen wollen, ich wenigstens nicht, und wohl auch ein paar geringfügigere Verunreinigungen im Wasser des Kristallsees“.

In der Höhle wurde es ganz still. Davon hatten erst wenige gehört. Der Kanzler sprach beiläufig weiter. „Nichts Wichtiges bisher, aber sicher, wer weiß? Die Meistermagiere des Inneren Kreises haben ein bisschen herumgehorcht und über die Nachtklippen Witterung aufgenommen. Anscheinend nur ein paar Menschen. Oder ein paar Probleme bei den Menschen in ihrer merkwürdigen eigenen Welt.“ Das Flüstern in der Höhle nahm wieder stark zu. Der Kanzler schien es gar nicht zu hören. „Die Frage ist, was wir tun.“ 

Das war die Stunde von Konradin. Glühenden Hauptes trat er die vorgeschriebenen Schritte vor die Familienfahne und neigte sich tief, zum Zeichen, dass er zu sprechen bereit war. Dann richtete er sich zu seiner ganzen Größe auf, streckte den Rücken durch, wippte ein paarmal spielerisch bis auf die Zehenspitzen und wartete auf die Erteilung des Wortes.

Der Kanzler sprach weiter, den Blick gesenkt, wie zu sich selbst. „Vielleicht erst einmal abwarten. Vielleicht regelt sich alles allein. Die Katzen könnten die Vögel fressen, und die Kristalle, wer weiß schon, vielleicht ... Und das Wasser ...“ Die Stimme des Kanzlers war kaum mehr zu hören im aufbrandenden Stimmengewirr.

Auch oben auf der Königsterrasse nahm die Unruhe zu. Ein Gnom drängte sich entschlossen zwischen den Wachen durch und trat neben den Kanzler. Irritiert schaute der hoch. Die Spannung in der Sternengrotte erreichte einen Höhepunkt. Olaf Mondenhort Gerner, Edler von Tannenfels: Der erste Hüter des Zaubergürtels war jedem bekannt.

„Entschuldigt“, unterbrach er entschieden, „ich bringe Neuigkeiten. Die Zaubergilde hat sich erneut mit den Ereignissen auseinandergesetzt. Ich komme direkt von den Steinen. Der Blick über die Nachtklippen hat das Problem jetzt deutlich enthüllt ... Und wir haben auch eine Lösung – oder zumindest den Ansatz dazu.“

In der Grotte war es wieder sehr still geworden. Alle lauschten gebannt. Nach einer überraschten Pause fragte der Kanzler. „Nun also, was haben deine Meistermagiere ausgebrütet? Schon wieder eine Mondschattenbeschwörung? Ein Kristallopfer? Vom letzten zahlen wir noch heute die Schulden ab! Einen Schneeblütenzauber? Einen Mythentanz?“

„Mit all dem ist uns nicht mehr geholfen“, stellte Olaf Mondenhort fest. „Die Bedrohung ist groß. Wenn wir nicht entschieden handeln, ist das ganze Reich in Gefahr. Die Seelenkristalle werden zerbrechen. Beschwörungen helfen uns nicht. Wir müssen an die Wurzel des Übels. Jemand muss in die Sonnenwelt.“

Ein erschrecktes Raunen ging durch die Sternengrotte. Kanzler Siegwart streckte wie zur Abwehr seine Schwerthand aus und wich einen halben Gnomenschritt zurück. „Jemand muss gehen!“, bekräftigte Olaf Mondenhort heftig. „Ich komme auf geradem Weg von den Schirmen. Die Muster sind eindeutig und endlich stabil.“ Die Wachen auf der Terrasse standen starr.

„Nun denn“, der Kanzler straffte sich und versuchte, die Initiative zurückzuerlangen. „Es wurde auch Zeit. Nach dem Wort der Zaubergilde benötigen wir einen Freiwilligen. Ich denke, für eine erste Erkundung schicken wir jemanden, der sich seine Sporen erst noch verdienen muss. Irgendein Möchtegern oder Mondträumer. Und später dann ...“ Der Kanzler ließ seine Blicke über die Versammelten schweifen. „Eine verantwortungsvolle Aufgabe. Niemand ist zu groß oder zu gering dafür. Am liebsten würde ich selbst gehen. Na ja ... Also wer meldet sich?“

In der Sternengrotte wurde es sehr still, als die Blicke des Kanzlers langsam über die Fahnen strichen, um die sich die großen Familien geschart hatten. „Kein großer Andrang zum Abstieg in die Sonnenwelt, aber ein Freiwilliger aus der Familie derer von –, derer von – Klingenfels“, sagte der Kanzler erleichtert. „Nenne deinen Namen und bestätige“, fuhr er freundlich fort.

Die Blicke aller hatten sich auf die Fahne von Klingenfels gerichtet, suchten umher – und fanden ihr Ziel. Alle, bis auf die Blicke von Konradin, der immer noch vorgetreten vor der Familienfahne stand, um seinen Vorschlag zur Rettung des Albenreichs vorzubringen. Seine Blicke suchten vergeblich. Endlich, unter dem aufmunternden Nicken des Kanzlers verstand er, dass er selbst dieser Freiwillige war. „Äh“, murmelte er hilflos. Und deutlicher: „Ähem!“ Dann gab er sich einen Ruck und sagte entschlossen: „Konradin Maier, Möchtegern von Klingenfels, Infant des Rosenheimschlosses, Hel-Knappe des freien Schwertordens. Ich habe eine Eingabe zur Rettung der Welt.“ 

„Wie schön“, antwortete der Kanzler sanft. „Ein Möchtegern aus einer der angesehensten Familien. Du setzt die große Tradition fort, die dein Ur-ur-ur-ur-urgroßvater begann. Ein Schwertkämpfer. Frau Hel wird sich freuen.“ Der Kanzler verbeugte sich leicht zur Loge der Hohen Dame. Dann fuhr er laut fort: „Ich akzeptiere dich hiermit offiziell für die große Erkundung, für den Hinabstieg zur Sonnenwelt. Fanfaren –“ Er hob leicht den Arm und ein Signal erklang, Bestätigung für den Erlass eines Reichsbeschlusses. Donnernder Beifall brandete auf und erfüllte die Sternengrotte.

Die Seinen waren zu Konradin geeilt, umringten ihn, betätschelten ihn, hieben ihm auf die Schultern. Er setzte mehrfach zum Sprechen an, um das Missverständnis aufzuklären, aber die Begeisterung derer, die nun nicht hinab in die Sonnenwelt mussten, war einfach zu groß. Glückwünsche aus anderen Familien trafen ein. Ein Ehren-Ritter des Schwertordens überbrachte ein schneeweißes Taschentuch und ein Amulett mit freundlichen Grüßen Frau Hels.

Schließlich gelang Konradin sogar noch ein Lächeln.

 

 

3 – Besprechung zum Brunnentauchen

Ort: Albenreich, Zeit: Neumondnacht

 „Wie der König das aushält?“ Konradin hörte den Wortwechsel einiger vorbeihuschender Bergalben nur mit halbem Ohr, zu sehr beschäftigten ihn seine eigenen, so überraschend gewendeten Angelegenheiten. „Ich habe gehört, er trägt Ohrstöpsel, wenn der Kanzler eine Rede hält“, klang eine Antwort. Einiges Wispern und Kichern von Frauen. Konradin hatte es schon lang aufgegeben, daraus klug werden zu wollen. Er schloss die Augen und rief sich ganz in den Augenblick. Er öffnete die Augen wieder und schaute hoch. Olaf Mondenhort hatte seine Ausführungen unterbrochen und setzte sie nun fort.

„Ich darf dich mit Felix Mondenblick Müller, Edler von Sternenborn bekanntmachen. Er leitet das Projekt „Kristallbruch“ und hat alle wesentlichen Berechnungen zum Hinabstieg auf die Sonnenwelt durchgeführt.“ Felix schien nur wenige Mondjahre älter als Konradin und war ihm schon deshalb gleich sympathisch. Er lächelte und neigte leicht den Kopf. Seine Augen glommen wie Mondsteine. Als er aber zu sprechen begann, kam er sofort zur Sache.

„Die Suchkristalle weisen eindeutig auf Menschen als Urheber unserer Probleme hin. Wie alles zusammenhängt, wissen wir noch nicht. Offenbar hat es in der Sonnenwelt aber eine Veränderung gegeben, die zu den katastrophalen Veränderungen unserer Seelenkristalle führt.“ Felix verhielt einen Augenblick nachdenklich und fuhr dann fort.

„Wie du natürlich weißt, sind die Menschen unsere direkten Vorgänger in der Kette der Existenzen. Die Seele eines gestorbenen Menschen bildet die Keimzelle des Seelenkristalls eines jeden Alben, auch von dir und von mir. Unsere Existenz ist also abhängig von den Menschen. Und etwas, das sich in der Sonnenwelt ereignet hat, verändert die Seelen der Menschen. Direkte Auswirkungen bei den Menschen sind kaum zu beobachten, da diese Veränderung erst nach etwa 120 Sonnenjahren“ – Konradin schloss bei diesem Ausdruck einen Moment erschreckt die Augen, doch Felix sprach ungerührt weiter – „manifest wird. So lange leben Menschen gar nicht. Erst wir bekommen die Auswirkungen zu spüren, wenn sich nach Ablauf dieser Zeit der Keimkristall zu verändern beginnt und die Schäden auf den ganzen gewachsenen Seelenkristall übergreifen – beim einen früher, beim anderen später, bei den meisten hoffentlich nie.“

„Wie –“ Konradins Zunge klebte am Gaumen, „wie wirken die Menschen denn auf den Seelenkristall ein?“, fragte er.

„Die Menschen tun dies nicht bewusst“, sagte Felix. „Wie genau es dazu kommt, dass sich die Seelenkristalle verändern, wissen wir nicht. Wir stellen es uns wie Strukturveränderungen vor, Instabilitäten aufgrund uns unbekannter Erschütterungen, die im Laufe der Zeit stärker werden und schließlich zum Zusammenbruch führen. Natürlich ist das recht vage. – Es gibt auch eine Ansicht“, fuhr er dann nach einem Seitenblick auf Olaf Mondenhort fort, „dass es sich um Viren handelt, um Viren mit denen die Seelenkristalle in der Sonnenwelt infiziert werden, die dort inaktiv sind und erst bei uns hier in geeigneter Atmosphäre aufleben und ihr zerstörerisches Tun beginnen. – Viren“, setzte er mit Blick auf das staunende Gesicht Konradins hinzu, „Viren sind kleine Lebewesen, so klitzeklein, dass niemand sie sehen kann – oder es ist eine Theorie über solche Lebewesen. Nicht alle glauben daran.“

Felix sah Konradin einige Mondwolken lang sinnend an, dann lächelte er und sprach vorsichtig weiter. „So oder so: Wir brauchen einen Kundschafter auf der Sonnenwelt. Jemand muss hinab, durch den Brunnen.“

„Das ist Jahrhunderte nicht mehr geschehen“, sagte Konradin beklommen.

Olaf wiegte den Kopf. Felix aber überging einfach den Einwurf und sprach weiter: „Wir haben einen Zwölfer-Mondkreis gebildet, gemeinsam gewöffelt und in die große Kristallmatrix der Sternengrotte geschaut. Obwohl das Wolkenschloss leer steht und niemand etwas über den Aufenthalt von Frau Perchta zu sagen weiß, ist es möglich: Ein Eimer aus Rosenduftholz, ein Seil geflochten aus den niemals geschorenen Haaren einer Jungfrau der Bergalben, das reine Sternenlicht zur tiefsten Stunde einer Neumondnacht durch die Öffnung im Felsendom ...“ „Und natürlich ein mutiger Krieger“, setzte Olaf Mondenhort hinzu. „... das ist es, was wir benötigen“, fuhr Felix fort. „Und wir benötigen es heute. Denn heute ist Neumond, der Himmel ist klar, das Seil geflochten, der Eimer geschnitzt.“ Konradin schluckte. „Und wir haben Sehnsuchtskraut in den Brunnen gestreut. Das wird jemand Passenden auf der anderen Seite anlocken, so dass wir den Austausch vollziehen können. Denn wenn jemand von hier in die Sonnenwelt will, dann muss jemand von dort zu uns. Wir können dazu freundlich auffordern und selbst bereit sein. Erzwingen können wir nichts.“

„Die Kristalle sagen uns aber, dass alle Zeichen für die kommende Mitternachtsstunde günstig stehen“, meinte Olaf Mondenhort. „Das Sehnsuchtskraut wird ein Übriges tun. Wenn jemand von uns bereit ist, dann ist um Mitternacht die Zeit.“

„Bist du bereit?“, fragte Felix leise und sah Konradin an. „Es sollte ein Krieger sein“, fügte er fast entschuldigend hinzu. „Das Zeichen des Kriegers warf den blausten Schatten bei der Befragung der großen Mondkristalle. Aber wenn du den Abstieg nicht wagst, werde ich gehen.“ 

„Eigentlich wollte ich ...“, begann Konradin zaghaft. Aber dann straffte er sich, als er die Mienen von Felix und Olaf sah. „Ich bin bereit!“, sagte er und sah die beiden ernst an. Sie nickten und lächelten leicht. Gemeinsam wöffelten sie und gingen dann langsam zum Brunnen.

 

 

4 – Iris und die Brunnenfahrt

Ort: Sonnenreich, Zeit: Neumondmittag

 Iris wurde ganz flau. Was hatte sie sich eigentlich bei der ganzen Sache gedacht? Der Brunnenschacht schien enger und enger zu werden. Sie traute sich nicht mehr nach oben zu schauen. Ihre Freundinnen waren noch immer lustiger Dinge, natürlich, das wäre sie oben jetzt auch; die lachten und scherzten, wie bis vor kurzem auch sie, etwa bis zur ersten Metermarke in diesem alten Holzeimer, den die Mädchen so eifrig hinunterkurbelten.

Iris spürte ihr Herz pochen, als klopfte jemand bei ihr an, ungeduldig, mit harten Schlägen. Die Luft war schwer und nass und dunkel, und sie schien immer schwerer zu werden, wie auch ihr eigenes Gewicht, und immer schwächer wurde das Licht. Iris traute sich auch nicht mehr nach unten zu sehen. Sie sah nur noch starr auf das Dunkel vor sich. So war sie ganz überrascht vom festen Aufprall des Eimers.

Da stand er nun auf dem Grunde des Brunnens. Der Brunnen war ausgetrocknet. Wenigstens etwas! Die Freundinnen oben quietschten und riefen. Es wurde noch dunkler, als sich vier Gesichter über den Brunnenrand beugten. „Wiiie geeehts da uuunten?“, hallten die Wände. Iris hielt sich die Ohren zu. „Guuut“, rief sie dann kläglich zurück. Sie stieg aus dem Eimer. Viel Platz war nicht. Ein bisschen Wasser schwappte zwischen den Steinen.

Es schien noch dunkler zu werden.

Iris nahm sich zusammen: „Alles ganz wunderbar hier, grüne Wiesen und Hügel, ganz wie im Märchen“, rief sie nach oben. „Schaut es euch selbst an, zieht mich wieder hinauf!“

Die Freundinnen antworteten nicht. – Aber das Seil straffte sich.

---ENDE DER LESEPROBE---