Das gelbe Mädchen am Brückenpfeiler - Tarius Toxditis - E-Book
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Das gelbe Mädchen am Brückenpfeiler E-Book

Tarius Toxditis

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Beschreibung

A- Geschichte (Das gelbe Mädchen am Brückenpfeiler): Inzwischen ist der Gärtner Wendland Raschke auch schon beinahe 40 Jahre. Noch immer unverheiratet, ist er seither für die Garten- und Landschaftsbaufirma Vermehren tätig. Unlängst waren sie monatelang an einem lukrativen, wenn auch schweißtreibenden Auftrag gebunden, galt es doch die Schlossparkanlage von irgendwelchen feudalen Superreichen zu verschönern, beziehungsweise auf Vordermann zu bringen. Raschke selbst sehnt sich nach dieser harten Zeit nur noch nach Urlaub. Für Vermehren, seinem Chef, spricht auch nichts dagegen. Einzig ein neuerlicher Auftrag müsste kurzerhand erledigt werden. Danach könne so viel Urlaub gemacht werden, wie man wolle. Und schließlich handle es sich um ein Projekt, was bestenfalls nur noch eine Woche in Anspruch nehme. Raschkes Verschlafen am nächsten Morgen indes lediglich ein schlechtes Omen? Sein Nachbar hingegen nicht nur ein ausgewiesener Schauspieler, sondern wieder mal nicht gefrühstückt hat. Dafür liegt Raschkes neue Arbeitsstätte am Arsch der Welt. Weit außerhalb der Stadt an einem Brückenpfeiler in unmittelbarer Nahe zur Autobahn. Hinzu ein vertrocknetes, unansehnliches Gestrüpp. Und bis zum Mittag ist Raschke nur damit beschäftigt, es von Müll zu befreien. Als jedoch ein völlig gelbgekleidetes Mädchen an seinem Brückenpfeiler erscheint, wandelt sich die triste Umgebung zu einem farbenfrohen Spektakel. Als allerdings zum Feierabend Vermehren erscheint, hat Raschke noch immer nicht einen Handstreich an dem Strauch vorgenommen. / B- Geschichte (Das fehlende Sammelbild): Die kleine Paxoline ist traurig, denn ihre Zwillingsschwester Payoline will das Bild mit dem Fußballer Riviera, der in ihrem Sammelalbum noch fehlt, nicht rausrücken. Obwohl sie dafür vielleicht sogar fünf Rivas geben würde- wenn man denn nur welche hätte.

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Seitenzahl: 169

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Aufbau des Buchs

A-Geschichte (Das gelbe Mädchen am Brückenpfeiler): Diesmal unter anderem dabei:

A1: Der Gärtner Wendland Raschke

A2: Das gelbe Mädchen am Brückenpfeiler

A3: Der nächste Tag

A4: Das rote Mädchen am Brückenpfeiler

A5: Ein Tag später

A6: Der blaue Junge am Brückenpfeiler

A7: Nochmal von vorn?

A8: Der orangene Junge am Brückenpfeiler

A9: Hat ja alles nichts geholfen

A10: Das lila Mädchen am Brückenpfeiler

A11: Wird es wieder so gewesen werden?

A12: Der grüne Junge am Brückenpfeiler

A13: Am Sonntagmorgen

A14: Zurück daheim

A-Geschichte (Diesmal dabei gewesen):

B-Geschichte (Das fehlende Sammelbild): Diesmal unter anderem dabei:

B1: Das fehlende Sammelbild

B2: Tobie Muck und Tommie

B3: Am Kaugummiautomaten

B4: Tommie und Anne Hoch

B5: Anne Hoch und Kalle Mitzwitz

B6: Lieferant Schöller und Doktor Fuhrbeck

B7: Doktor Fuhrbeck und Otto Wieschensriether

B8: Fannie Vandor und der Wandler

B9: Der Wandler und Otto Wieschensriether

B10: Tankwart Tunkel und Starchen

B11: Starchen und Erich Tolstoi

B12: Leonid Zimmermann und Waisenkind Sophie

B13: Waisenkind Sophie und Prick Trick Prick

B14: Waisenkind Sophie und die Warmlampe

B15: Sophie und Selfus

B16: Tissie Andere und der Kartoffelmann

B17: Der Kartoffelmann und Löwi

B18: Chantal Island und Wolf Stenzmann

B19: Vanessa Weißmann und Gartenmann Nichts

B-Geschichte (Diesmal dabei gewesen):

ANHANG I: ALLE BISHERIGEN VERÖFFENTLICHUNGEN VON TARIUS TOXDITIS- ÜBERSICHT

ANHANG II: NÄHERES AUS DEM FIGURENKABINETT

Aufbau des Buchs

Dieses Buch besteht aus zwei voneinander völlig unabhängigen Geschichten.

Diese sind:

A-Geschichte: Das gelbe Mädchen am Brückenpfeiler

B-Geschichte: Das fehlende Sammelbild

A-Geschichte (Das gelbe Mädchen am Brückenpfeiler): Diesmal unter anderem dabei:

Wendland Raschke Gärtner

Gelbes Mädchen am Brückenpfeiler

Horst Karl Maria Vermehren Chef einer Gartenbau- und Landschaftsbaufirma

Madeleine Wurm Busfahrerin

Typ mit dem Warbonnet Schauspieler, Raschkes Nachbar

Ini Waibel Plakatiererin

Bailey Rattermann Straßenbahnfahrer

Violinist Straßenmusiker

Blauer Junge am Brückenpfeiler

Rotgekleidete Frau Schreibwarenhändlerin

Bildhauer Künstler

Poetin Literatin

A1: Der Gärtner Wendland Raschke

Für den mittlerweile nun auch schon beinahe vierzigjährigen Gärtner Wendland Raschke war die Landschafts- und Gartenbaufirma Vermehren nun mehr seit mehr wie ein Vierteljahrhundert so etwas wie berufliche Heimat- oh ja, beziehungsweise zu Hause, wie immer dies zu verstehen war; dies aber auf einem anderen Blatt stand- grün her, verwelkt her.

Einschließlich Ausbildungszeit verstand sich, die freilich auch schon unter dem Dach Vermehren verbracht wurde- alles zusammen wirklich mehr wie ein Vierteljahrhundert. Und so manche Grünanlage nicht zuletzt dank seiner tatkräftigen Mithilfe und seinen langjährigen Erfahrungen verschönert wurde- nicht selten unter schweißtreibenden, kräftezehrenden Bedingungen; doch wie war dies am Ende: von nichts kommt bekanntermaßen nichts- oder vielleicht etwa doch? Und was spielte es am Ende für eine Rolle, dass die Aufträge für die Firma gleichermaßen von öffentlicher Hand waren? Wie auch von privater Natur?

So war es, dass Wendland Raschke zuletzt monatelang für eine riesige Schlossanlage von irgendwelchen Superreichen zuständig war. Neben ihm hatte die Firma Vermehren ein Dutzend weitere Gärtner und Landschaftsbauer abgestellt, bis das ganze Projekt endlich picobello war: Bäume, Sträucher, Beete und Rasen, alles fein gestriegelt und gestutzt, beschnitten und gepflegt- so wie es eben für das Ambiente und Flair der Schlossherren angemessen war.

Oh, nein, anders dies nicht gesagt werden konnte. Umso überraschter Raschke war, als er am Abend des letzten Tages, nachdem er in der Schlossanlage lediglich noch ein paar Wege von Unrat freifegte, in der Firmenzentrale gleich mit dem nächsten Auftrag konfrontiert wurde.

Horst Karl Maria Vermehren Oder spricht was dagegen?

Wendland Raschke Nein, natürlich nicht. Es ist nur, dass ich jetzt eigentlich etwas Urlaub machen wollte. Nach den langen Monaten.

Horst Karl Maria Vermehren Können Sie doch immer noch. Sobald die Arbeit erledigt ist.

Wendland Raschke Aber.

Horst Karl Maria Vermehren Nichts aber. Es handelt sich ja auch nur um einen kleinen Auftrag. Dauert ja auch nur ein paar Tage, höchstens eine Woche.

Wendland Raschke Ach, wissen Sie, ich.

Horst Karl Maria Vermehren Und hinterher können Sie dann Urlaub machen, so viel wie Sie wollen. Meinetwegen, spricht ja auch wirklich nichts dagegen.

Vermehren im Übrigen der Firmenbegründer, der auch nicht mehr der Allerjüngste war; nein, beileibe nicht. Eilig steckte er Raschke alle wichtigen Daten und Infos zu. Demnach es sich wirklich um nichts Besonderes handelte: lediglich ein Strauch, der unter einem Brückenpfeiler gestriegelt und gestutzt werden sollte; geschnitten und gepflegt nicht zu vergessen.

Horst Karl Maria Vermehren Ach ja, und es liegt etwas außerhalb. An der Autobahn. Am Einfachsten mit der Straßenbahn zu erreichen.

Raschke im Übrigen noch immer ein Unverheirateter war. Mitten im Stadtzentrum bewohnte er ein schickes Zweizimmerappartement, welches er sein Eigen nennen durfte. Kaum, dass er jedoch sein Zuhause erreichte, wurde er von Müdigkeit geradezu befallen, so dass er sich sehr bald schon ins Bett begab.

Er schlief fest und gut, sicherlich auch ein Tribut an dem arbeitsreichen Tag, welchen er hinter sich brachte. Als die ersten Sonnenstrahlen in sein Schlafzimmer drangen, blinzelte er auf. Er schaute auf den Wecker. Nicht, dass er ihn am Ende überhörte- schlichtweg verschlafen. Dabei stellte er ihn kurz vor dem Hinlegen doch noch eigenmächtig eine Stunde zurück, denn er wollte die neue Tätigkeit keinesfalls unpünktlich beginnen. Zum einen war es der Ruf für die Zuverlässigkeit, die ihm nicht zuletzt bis an den Schreibtisch von Vermehren vorauseilte; zum anderen die Aussicht auf Urlaub, sobald der Strauch unter jenem Brückenpfeiler zurechtgeschnitten war.

Üblich war es für Wendland, bevor er sich unter die Dusche begab, Kaffeemaschine, Toaster und Eierkocher anzuwerfen. Anschließend sich seine grüne Gärtnerkluft verpasst, schaute er aus dem Fenster: es schien ein sonniger Tag zu werden; bestätigt durch den Wetterfrosch des Frühstücksfernsehen.

Wetterfrosch des Frühstücksfernsehens Ein sonniger Tag.

Wendland Raschke Ja, ich weiß.

Wetterfrosch des Frühstücksfernsehens Mit gelegentlich kühlen Winden.

Wendland Raschke Na, wenn Sie meinen.

Wetterfrosch des Frühstücksfernsehens Na, dann ist ja gut.

Wendland warf sein schweres Gepäck auf dem Rücken, denn am Tag zuvor kramte er noch einiges in der Firma Werkzeug zusammen, auch um auf diese Weise Wege und Zeit zu sparen; nicht zuletzt aufgrund einer Empfehlung von Vermehren.

Doch kaum das Raschke den Schlüssel seiner Wohnungstür umdrehte, polterte es davor: kein Geringerer wie sein Nachbar. Auch der war eigentlich auf dem Weg zur Arbeit- eigentlich. Und auch er war im Prinzip hierfür schon gekleidet. Nur dass er im Unterschied zu Wendland Raschke eben kein Gärtner und Landschaftsbauer war, nein, mitnichten, sondern.

Ja, sondern Schauspieler, und welcher gerade auf dem Weg zu einem Set für einen Western war, wo er in die Rolle eines Indianerhäuptlings schlüpfte. Somit der Typ mehr oder minder nackt war; abgesehen von Warbonnet und Lendenschurz und etwas Kriegsbemalung. Und eigentlich auf dem Weg- denn:

Wendland Raschke Herr Nachbar, was soll das denn jetzt? Sie sehen doch, dass ich es eilig habe.

Typ mit dem Warbonnet Ach wissen Sie, Raschke. Ich habe heute noch nichts gefrühstückt.

Wendland Raschke Oh, bitte fallen Sie mir doch wenigstens heute nicht auf die Nerven.

Typ mit dem Warbonnet Es ist ja nur. Bin einfach nicht zum Einkaufen gekommen.

Wendland Raschke Aber für die Kneipe hat es wieder mal gereicht.

Typ mit dem Warbonnet Okay, muss ich vielleicht sogar eingestehen. Aber es war doch diesmal wirklich zum allerletzten Mal.

Wendland Raschke In Ihrem Fall wohl zum tausendsten Mal zum allerletzten Mal.

Typ mit dem Warbonnet Ganz bestimmt. Ich schwöre.

Wendland starrte in die Küche, wo der Toaster am Dampfen war, der Eierkocher auch noch nicht ausgeschaltet war.

Wendland Raschke Na gut, von mir aus, bedienen Sie sich. Komm ja heute früh ohnehin nicht dazu.

Typ mit dem Warbonnet Oh, Raschke ich wusste es doch, dass Sie ein Herz haben.

Wendland Raschke Ja, ja, gut, wenn Sie nur nachher die Tür hinter sich zu ziehen.

Typ mit dem Warbonnet Selbstverständlich. Nur noch eine Frage: ob Sie vielleicht auch über saure Gurken verfügen?

Wendland Raschke Im Kühlschrank müsste noch ein Glas stehen.

Typ mit dem Warbonnet Na, sehen Sie! Und mehr wollte ich doch gar nicht.

Wendland Raschke Außer dass das mit der Kneipe zum allerletzten Mal.

Typ mit dem Warbonnet Ich schwöre.

Wendland Raschke Oh, Herr Nachbar, lassen Sie es doch einfach. Ist doch sowieso noch nie was Gescheites rausgekommen.

Typ mit dem Warbonnet Na, wenn Sie meinen.

A2: Das gelbe Mädchen am Brückenpfeiler

Von dem im TV angekündigten Wind nicht den Hauch einer Spur. Und da der Vormittag langsam fortschritt, während es für Raschke und seinem Strauch unter irgendeinem Brückenpfeiler immer später wurde, stand die Sonne auch schon ziemlich hoch.

Zu seinem Glück befand sich die Straßenbahnhaltestelle in unmittelbarer Nähe seines schmucken Ambientes. Gerade war eine am Losquietschen; am Ende ein Tribut an ein ständiges Zuspätkommen? Zumindest für jenen Tag?

Eine Viertelstunde Wartezeit, bis die nächste kommen sollte. Gelegenheit für den Gärtner, am Kiosk an der Haltestelle doch noch was zu erstehen. Immerhin war bei aller Hast, mit welcher Wendland seine Wohnung verließ, auch nichts für die Mittagszeit eingesteckt worden.

Wendland Raschke Ihre Brötchen sind doch noch frisch.

Bührer Bühler Was für ein Glück für Sie!

Wendland Raschke Und mit Butter?

Bührer Bühler Also, die ist aber nun wirklich frisch.

Wendland Raschke Und vielleicht noch ‚ne Flasche Wasser. Und ‚n Schokoriegel. Für den Nachtisch.

Gegenüber der Haltestelle sich im Übrigen der Städtische Zoo befand. Ach, wie oft er doch auch schon dort Grünanlagen pflegte.

Am Zaun wurde gerade ein Plakat angebracht:

INSEKTEN- SONDERAUSSTELLUNG

Hier in unserem Zoo!

Ohne es wohl selbst so richtig zu bemerken, wandte sich Raschke der Plakatiererin zu.

Wendland Raschke Was soll das?

Ini Waibel Was soll was?

Wendland Raschke Als ob es nicht schon genug Tiere dort zu sehen gibt.

Ini Waibel Keine Ahnung. Interessiert mich auch nicht. Ich mach hier nur meinen Job.

Wendland Raschke Und dann noch so klein.

An der Stelle war es möglich, durch die Ritze zweier Holzplanken zu schauen.

Wendland Raschke Löwen seh ich dort. Löwen, aber keine Insekten.

Ini Waibel Oh, mein Gott! Insekten sind ja wohl auch keine Löwen.

Wendland Raschke Umgekehrt meinen Sie wohl.

Ini Waibel Plakatleimgenau.

Es läutete schrill in seinen Ohren; die nächste Straßenbahn erschien. Er zeigte dem Fahrer das Ticket, welches er am Tag zuvor von Vermehren erhielt.

Wendland Raschke Ich muss bis ganz nach außerhalb.

Bailey Rattermann Ja, ja, schon gut. Ja, ja, schon gut. Nur ihr Gepäck, nur ihr Gepäck! Ganz schön viel.

Wendland Raschke Ja, muss ich zugeben.

Bailey Rattermann Ganz schön viel, ganz schön viel.

Wendland Raschke Wird auch nicht mehr vorkommen.

Bailey Rattermann Schon okay, ist schon okay.

Wendland Raschke Könnten Sie mir trotzdem sagen, wann ich aussteigen muss?

Bailey Rattermann Ich gebe ihn dann schon Bescheid, ich gebe ihn dann schon Bescheid.

Und er sagte Bescheid, der Straßenbahnfahrer: und zwar eine Dreiviertelstunde später an der Endhaltestelle, indem er Raschke wachrüttelte.

Bailey Rattermann Aussteigen, Endstation, aussteigen!

Wendland Raschke Oh, etwa eingeschlafen?

Bailey Rattermann Alles aussteigen! Gilt auch für Sie!

Von der Wendeschleife der Straßenbahn stand ihm noch ungefähr eine halbe Stunde Fußmarsch bevor. Dabei war es beinahe schon elf. Vielleicht etwas mehr wie hundert Meter vor jener Brücke, die in der Tat über eine Autobahn führte, ein holpriger Abweg, der von einer Seite von mehrstöckigen Wohnhäusern flankiert wurde. Die Fassaden verfallen und schmutzig, die Bewohner nahezu ausschließlich Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, wohl auch ein hoher ausländischer Anteil, vor allem Türken.

Der holprige Abweg führte direkt bis unter die Brücke, direkt an der Autobahn. Raschke einen dicken Frustkloß in den Hals bekam. Ein Wunder bei dem ohrenbetäubenden Lärm?

Wendland Raschke Anstatt Urlaub- na ja!

Der Strauch wurde selber wohl längere Zeit nicht gepflegt. In der Tat wirkte er ziemlich verwahrlost und vertrocknet.

Nicht, dass Wendland Raschke zu seufzen hatte- oder vielleicht etwa doch nicht?

Wendland Raschke Was soll‘ s. Machen wir uns ans Tagewerk.

Bis zum Mittag war er eigentlich nur beschäftigt, dass Gestrüpp von Müll zu befreien, welches mutmaßlich von den vorbeirasenden Auto- oder Brummifahrern dort reingeworfen war. Oder von der Brücke herunter.

Wenigstens hatte Raschke ausreichend Müllbeutel dabei. Nach der Mittagspause wollte er dann mit dem Stutzen und Schneiden beginnen; zumindest hatte er sich dies vorgenommen.

Angelehnt an einem Brückenfeiler packte er das vom Kiosk erstandene Brötchen aus, die Flasche mit dem Wasser nicht zu vergessen,

Für den Nachtisch legte Wendland noch den Schokoriegel aus.

Mädchenstimme Kann ich ihn haben?

Gemeint natürlich der Schokoriegel. Wendland schaute auf; unter seinem Brückenpfeiler war ein kleines Mädchen, das vor seinen Füßen kniete.

Dies jedoch nicht alles war; denn das Mädchen etwas eigenartig erschien, war es doch komplett gelb gekleidet: Jacke, Rock, sogar Strumpfhose und Schuhe- alles total gelb: einzig die Haare, die blond,

und zu einem Zopf geflochten.

Gelbes Mädchen Bitte. Hab heut noch gar nichts gegessen.

Wendland zog die Augenbrauen nach oben. Letztlich schob er dem Mädchen den Schokoriegel zu. Er schaute auf die Häuserreihe am Wegesrand.

Wendland Raschke Bist wohl eine aus den Häusern da unten.

Er blickte das gelbe Mädchen an. Zu einem Erstaunen hatte er festzustellen, dass es nicht mehr vor seinen Füßen saß. Ja, wie vom Erdboden verschluckt, und ja, Wendland Raschke in der Tat zu staunen hatte.

Wendland Raschke Komisch irgendwie. Ja, komisch. Na, was soll‘s, machen wir lieber weiter.

Er nahm seine Motorsäge zur Hand.

Wendland Raschke Nanu?

Ja, nanu? Denn der vertrocknete Strauch, den er endlich bearbeiten wollte, war verschwunden ebenda. Mehr noch: denn an der Stelle, wo dies unwirkliche Gestrüpp war, unmittelbar unter der Brücke, nun ein wunderschönes Sonnenblumenbeet.

Wendland sich nur noch am Kopf kratzte. Ja, er etwas brauchte, um dies alles zu verarbeiten, wenn dies als solches überhaupt bezeichnet werden konnte, als eine männliche Stimme erklang.

Wendland Raschke Nanu?

Die Melodie kam vom Abweg, wo sich die ärmliche Siedlung befand. Und wo er auch die Herkunft jenes seltsamen, merkwürdigen, gelben Mädchens vermutete. Doch auch die war verschwunden, die ärmliche Siedlung- gleichsam wie das gelbe Mädchen zuvor, gleichsam wie das hässliche Gestrüpp.

Stattdessen eine gepflegte, gelbe Häuserreihe. Dazu noch ein paar Marktstände, an welchen im überwiegenden Maße Zitronen und Bananen angeboten wurden. Auch die Leute, die zwischen den Ständen flanierten, waren zumeist gelb gekleidet- in überwiegenden Maße wohlgemerkt.

Vor dem ersten Haus hockte ein Mann in einem gelben Kapuzenumhang, der sich selbst mit einer gelben Violine begleitete.

Violinist Fluss unter der Brücke,

Gleichsam wie die Zeit.

Wendland Raschke Nanu? Aber unter der Brücke fließt doch kein Fluss.

Violinist Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.

Wendland Raschke Sondern Autos.

Violinist Wenn Sie mir trotzdem etwas zustecken würden.

Wendland Raschke Wie komme ich dazu?

Violinist Ach, wissen Sie, ich lebe von der Substanz.

Wendland Raschke Wie von der Substanz?

Violinist Na, so wie ich‘ s sage.

Wendland Raschke Was Sie nur für einer sind?

Violinist Ach, Ich weiß gar nicht, was ich darauf antworten soll.

Wendland Raschke Und wie wäre es mit der Wahrheit?

Violinist Wenn Sie unbedingt darauf bestehen.

Wendland Raschke Allerdings.

Violinist Also, ich komme aus der Vergangenheit, und gehe in die Zukunft.

Wendland Raschke Vergangenheit, Zukunft- ist doch keine Antwort.

Violinist Ich lebe ohnehin in der Gegenwart.

Wendland Raschke Ach, wissen Sie. Bevor Sie mich weiter nerven.

Raschke kramte nach dem Schokoriegel, und wollte ihn in den Topf, der sich vor den Füßen des Musikers befand, legen. Doch zu seinem Verwundern musste er feststellen, dass der Topf nicht mehr vorhanden war- um nicht zu sagen, ebenfalls etwas wie vom Erdboden Verschlucktes. Einschließlich Musiker.

An dem Shop, neben dem der gelbe Violinist hockte, beklebte eine alte Frau ihre Schaufenster mit einem Plakat:

SCHREIBWAREN

NEUERÖFFNUNG

Die war zu seiner Verwunderung mit einem roten Umhang und einem roten Kopftuch bekleidet.

Wendland Raschke Verzeihen Sie die Störung. Aber können Sie mir sagen, wo der Musiker abgeblieben ist?

Rotgekleidete Frau Musiker?

Wendland Raschke Na, der gelbe Violinist. Mit der gelben Violine.

Die alte Frau zuckelte mit den Achseln.

Rotgekleidete Frau Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ehrlich gesagt.

Wendland Raschke Ja, aber der saß doch eben noch vor ihrer Tür.

Rotgekleidete Frau Also, ich habe nichts bemerkt.

Wendland Raschke Unmöglich.

Rotgekleidete Frau Wahrscheinlich bin ich auch zu sehr mit dem Bestücken meines Schaufensters beschäftigt. Wissen Sie, wir eröffnen nämlich heute neu.

Wendland Raschke Das sehe ich.

Rotgekleidete Frau Vielleicht darf ich Ihnen bei der Gelegenheit frische Froschschenkel anbieten.

Wendland Raschke Und ich dachte, Sie verkaufen Schreibwaren.

Rotgekleidete Frau Ach, ja, stimmt ja.

Die Frau öffnete ihre Ladentür.

Rotgekleidete Frau Sie haben ja sowas von Recht. Da muss ich irgendwas verwechselt haben.

Und mit einem letzten Blick, bevor sie die Tür zumachte.

Rotgekleidete Frau Nur keine Sorge, ich hol für Sie schon noch das Passende.

Wendland Raschke Überhaupt nicht nötig.

Rotgekleidete Frau Wie wäre es mit ein paar frischen Kugelschreibern?

Wendland Raschke Oh nein, die brauche ich nun wirklich nicht.

Er wollte ihr hinterher, doch war die Tür bereits zu. Er kratzte sogar dagegen, doch sie ließ sich – zumindest von außen- nicht öffnen.

Ein kühler Wind wehte Papier und Dosen bis vor seine Füße. Die stammten aus seinem Müllbeutel, der am Brückenpfeiler gelehnt war.

Wendland Raschke Hey, was soll das!

Denn fiel ihm ins Auge, dass auch die vorbeirasenden Autofahrer Abfall herausschleuderten. Schon wieder oder noch immer? Der Strauch, den er am Vormittag gerade erst davon befreite, inzwischen wieder hoffnungslos übersät mit Papier und Dosen. Oder waren das etwa die von der Brücke?

Den Rest des Tages war er bemüht, den Strauch erneut von all dem Müll zu befreien. Auch den von dem umgekippten Beutel sammelte Raschke wieder ein. Von den gepflegten, gelben Reihenhäusern nichts mehr zu sehen, auch nicht von den Leuten oder den Zitronen- oder Bananenständen. Stattdessen wieder die tristen, grauen Fassaden.

Doch endlich schaffte er es, den trockenen Strauch von allem Unrat zu befreien. Auch warf seit Längerem niemand mehr was hinzu. Allerdings war es inzwischen vier, die Sonne längst überm Zenit, und merklicher kühler geworfen. Gerade schwang er die Motorsäge in die Höhe und wollte endlich beginnen.

Wendland Raschke Nee, groß anzufangen lohnt sich jetzt eigentlich nicht mehr.

Raschke versteckte die Säge und auch all sein anderes Material in die Hecke, als ein Firmenwagen den Abhang herunterschlitterte. Es saß aber kein Geringerer wie Vermehren selber drin.

Horst Karl Maria Vermehren Wollte nur mal schauen, wie weit Sie heute schon sind.

Wendland Raschke Äh, die eigentliche Arbeit, äh, ich meinte, eigentlich bin ich noch zu gar nichts gekommen.

Horst Karl Maria Vermehren Das sehe ich.

Wendland Raschke Das Gestrüpp, der viele Unrat. Bin eben gerade erst damit fertig geworden.

Vermehren schwang sich aus dem Wagen.

Vermehren Kann ich auch gleich mitnehmen.

Und verstaute die vollen Müllbeutel.

Horst Karl Maria Vermehren Die entsorge ich.

Wendland Raschke Dass Sie auch mal was tun.

Horst Karl Maria Vermehren Kein Problem. Komm ohnehin noch an der Mülldeponie vorbei.

Wendland Raschke Okay, dann fang ich vielleicht doch noch an.

Vermehren, der schon wieder am Einsteigen war, machte eine Handbewegung.

Horst Karl Maria Vermehren I wo. Morgen ist doch auch noch ein Tag. Jetzt ist sowieso Feierabend.

Wendland Raschke Na ja. Ich wollte ohnehin.

Horst Karl Maria Vermehren Und verstecken Sie ihr Zeug ruhig im Gestrüpp. Hier wird sowieso nichts geklaut.

Wendland Raschke Wie denn auch? Wenn sowieso niemand vorbeikommt.

Horst Karl Maria Vermehren Allemal besser, wie das Zeug jeden Tag hin- und herzuschleppen. Kommen Sie, steigen Sie endlich ein.

Wendland Raschke Wie?

Horst Karl Maria Vermehren Ich fahre Sie noch bis zur Haltestelle.

Machte Raschkes Chef gleich noch eine Anmerkung? Kurz nach der Anfahrt?

Horst Karl Maria Vermehren Diese grauen Fassaden. Könnte man eigentlich auch mal was machen.

Wendland Raschke Wie?

Horst Karl Maria Vermehren Ein sattes Gelb zum Beispiel! Dass man die Fassaden einfach mal alle gelb anstreicht.

Wendland Raschke Vermehren!

Horst Karl Maria Vermehren Was das für ein Hingucker wäre. Ich werde mich mal sachkundig machen. Ob wir den Auftrag nicht an Land ziehen könnten. Na, Raschke, was meinen Sie!

Wendland Raschke Aber Vermehren! Wir sind doch Landschafts- und Gartenbau.

Horst Karl Maria Vermehren Ach, stimmt ja.

Wendland Raschke Und kein Malerbetrieb!

Horst Karl Maria Vermehren Mensch, Raschke! Sie haben ja sowas von Recht. Oh, wie mir so etwas unterlaufen konnte. Oder ob‘ s allein am Alter liegt?

Wendland Raschke Wieso? Ich bin doch noch keine vierzig.

Inzwischen man jene Endhaltestelle erreicht.

Horst Karl Maria Vermehren Sind Sie heute früh eigentlich gut rausgekommen?

Wendland Raschke Ich hatte etwas Probleme mit dem Wecker.

Horst Karl Maria Vermehren Oh, das kenn ich. Sehr gut sogar. Ich steh mit dem Ding auch immer auf Kriegsfuß. Und manchmal würde ich es am liebsten einfach an die Wand klatschen. Oh, Raschke, ich denke, in dieser Hinsicht nehmen wir uns nichts.

Die Straßenbahn stand gerade in der Wendeschleife. Im Führerhaus diesmal eine Fahrerin, nämlich die punkige Madeleine Wurm mit einer Zigarette. Raschke sein Portemonnaie zückte.

Madeleine Wurm