Spatz auf die Tonnen - Tarius Toxditis - E-Book

Spatz auf die Tonnen E-Book

Tarius Toxditis

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Beschreibung

Der Bankier Attika Troll hat es eigentlich sehr eilig. Doch noch beim Verlassen des Hauses drückt ihm seine Ehefrau Naradelle etwas Restmüll in die Hand. Draußen wird er jedoch mit dem neuen Müllsystem der Städtischen Verwaltung konfrontiert: vier Mülltonnen mit vier verschiedenfarbigen Deckeln. Doch welche Farbe ist welcher Müllart zugeordnet? Da ist guter Rat teuer. Zudem wird Troll von einem auf den vier Deckeln tanzenden Spatzen an der Entsorgung gehindert. Zum Glück erscheint Trolls Nachbar Wolf Stenzmann, der das Haus gegenüber bewohnt, und in dessen Garten die gleichen vier Mülltonnen mit den bunten Deckeln stehen. Anschließend kehrt Stenzmann zurück in sein Haus, um sein Fahrrad einzustellen. Dabei fällt dem arbeitslosen Hobby- Aktmaler ein, dass er ja eigentlich am Ausgehen gewesen ist, um einen Termin beim Arbeitsamt wahrzunehmen. Anschließend dann noch zum Supermarkt, um frisches Gemüse einzuholen. Denn seine Freundin Susi, die Kohlsuppe über alles liebt, hat in einem Brief ihre Rückkehr angekündigt. Unterwegs dann ist es immer wieder dieser freche Spatz, der erscheint. Die Nacht dann wird von einem tragischen Ereignis überschattet…. / In der B- Geschichte stellt der Gärtner Wendland Raschke fest, dass das Verfallsdatum für seine geliebten Cornflakes abgelaufen ist – zu seinem Leidwesen freilich. Seltsame Dinge, die ihm dann auf dem Weg zur Arbeit begegnen. Zudem ist es ein Nachbar, der ihm ständig auf den Keks geht. Ob dies daran liegt, weil der ständig mit dem Warbonnet eines nordamerikanischen Indianer- Häuptlings herumrennt?

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INHALTSVERZEICHNIS

Heute unter anderem dabei (A- Geschichte: Spatz auf die Tonnen):

A1: Spatz auf die Tonnen

A2: Postmann am Zaun

A3: Die Ankündigung der Freundin

A4: Im Arbeitsamt

A5: Im Büro von Raubald

A6: An der Friedhofshecke

A7: Im Supermarkt

A8: Auf dem Spielplatz

A9: Vor dem Gartenschuppen

A10: Ankunft der Freundin

A11: Susi und Wolf

A12: Spatz in der Nacht

A13: Kommissar Huber

Heute dabei gewesen (A- Geschichte: Spatz auf die Tonnen):

Heute unter anderem dabei (B- Geschichte: Cornflakes abgelaufen):

B1: Cornflakes abgelaufen

B2: Der Typ mit dem Warbonnet

B3: Sammelbilder und Ranzen

B4: Am Kiosk

B5: In der Straßenbahn

B6: Vor dem Schulgelände

B7: Im Lembelhaus

B8: Fahrkarte und Cornflakes

B9: Cornflakes gut

Heute unter anderem dabei gewesen (B- Geschichte: Cornflakes abgelaufen):

Heute unter anderem dabei (A- Geschichte: Spatz auf die Tonnen):

Wolf Stenzmann arbeitsloser Hobby- Aktmaler

Attika Troll Bankier

Naradelle Troll Hausfrau

Susi Studentin; Freundin von Wolf

Cecille Troll Schülerin

Raubald Arbeitsamts- Sachbearbeiter

eine vollständige Auflistung aller Beteiligten am Ende dieser Geschichte

A1: Spatz auf die Tonnen

Attika Troll hatte es sehr eilig. Wie an jedem Tag, wie immer eigentlich - an diesem allerdings besonders. Nicht nur, weil es kurz vor halb acht war, und noch immer im Haus. Mit der Aktentasche unterm Arm stürmte der wie ein feiner Bankier gekleidete feine Bankier ins Erdgeschoß, wo sich Küche und Diele befanden. Unter anderem wohlgemerkt, und wo es zugegebenermaßen schon recht verführerisch nach frisch aufgebrühten Kaffee duftete. Ach ja, viel zu sehr, beim Hinunterstürzen auf den Treppen noch die Edelkrawatte zurechtgezogen, keine Frage. Dann in der Küche, nach einer bereits gefüllten Tasse unter dem Kaffeeautomaten auf einer Anrichte gegriffen.

Mit erhöhter Schlagzahl ging‘ s dann weiter. Ruckzuck drei, vier, fünf Zuckerwürfel hineingepfeffert, viel zu viele natürlich. Beziehungsweise eigentlich. Hastig umgerührt, viel zu wenig eigentlich. Beziehungsweise natürlich. Und dann nichts wie in den Schlund, heruntergestürzt, keine Frage, viel zu heiß natürlich. Und um Haaresbreite hätte sich Troll, der im besten Mannesalter stand, auch noch verschluckt. Vom Verbrennen von Gaumen und Zunge ganz zu schweigen.

Das Husten und Prusten seinerseits rief Ehefrau Naradelle, die sich gerade an der Spülmaschine befand, auf den Plan.

Naradelle Troll: „Jetzt nimm dir doch wenigstens einmal etwas mehr Zeit.“

Nichtsdestotrotz kippte Herr Troll das Zeug weiter in sich hinein, frei nach dem Motto „als ob dies nichts wäre – aber auch rein gar nichts“:

Attika Troll: „Geht nicht, Liebling, geht nicht. Gerade heute, wo der Termin doch heute ist.“

Naradelle Troll: „Ja, ja, ich weiß. Eure komische Abordnung aus den Emiraten.“

Attika Troll: „Aus dem Bahrein, meine Liebste, aus dem Bahrein.

Naradelle Troll: „Ja, ja, schon gut.“

Attika Troll: „Und komisch gleich dreimal nicht.“

Naradelle Troll: „Wie oft du mir damit in den Ohren gelegen bist.“

Naradelle seufzte tief und laut.

Attika Troll: „Oha - dann weißt du ja auch sicherlich, wie wichtig es heute ist.“Naradelle Troll: „Seit Wochen nichts anderes.“

Attika Troll: „Für unsere Bank.“

Naradelle Troll: „Wenn nicht Monate. So als ob es nichts mehr anderes gäbe. Und um Cecile hast du dich auch kaum noch gekümmert.“

Herr Troll knallte die Tasse auf den Küchentisch.

Attika Troll: „Also, zu was ich überhaupt keine Ader habe, sind Diskussionen.“

Naradelle Troll: „Ach, du meine Güte!“

Attika Troll: „Und heute gleich dreimal nicht.“

Naradelle Troll: „Bloß, weil ich einmal die Wahrheit ausgesprochen habe.“

Attika Troll: „Ich weiß gar nicht, was du willst. Ehrlich gesagt, und immerhin geh‘ n wir doch Sonntag schon in den Zoo.“

Naradelle Troll: „War‘ s nicht der Zirkus?

AttikaTroll: „Auf jeden Fall versprochen.“

Naradelle Troll: „Ja, versprochen, das hast du. Allerdings.“

Attika Troll: „Und ich halte gewöhnlicherweise meine Versprechen.“

Naradelle Troll: „Wer‘ s glaubt, wird selig.“

Attika Troll: „In dieser Hinsicht solltest du mich aber auch kennen.“

Naradelle Troll: „Eben drum.“

Attika Troll wollte hinausstürzen. Beziehungsweise stürmen.

Naradelle Troll: „Stopf wenigstens noch dein Hemd richtig in die Hose.“

Worauf der Vollbluts- Bankier noch einmal inne hielt. Kurz vor der Tür nach draußen. Sie wandte sich ihm zu und half ihm beim Hineinstopfen, während er nochmals seine Krawatte nachzog. Dann schon praktisch auf der Türschwelle, schien ihr noch etwas einzufallen:

Naradelle Troll: „Du könntest wenigstens etwas von dem Müll mit nach draußen mitnehmen.“

Was ein leichtes Zürnen in ihm auslöste; zumindest schien es so.

Naradelle Troll: „Wenn du sowieso schon auf dem Weg bist.“

Attika Troll: „Muss das denn wirklich jetzt sein?“

Doch wie aus heiterem Himmel hatte sie schon eine mit Müll befüllte Plastiktüte hervorgezückt – aus irgendeiner Ecke, scheinbar wie aus einem heiteren Nichts.

Attika Troll: „Ausgerechnet heute!“

Wenigstens setzte er seiner Gattin noch ein Küsschen auf die Stirn. Durch den Vorgarten ihres Bungalows, so wie alle hier in dieser Vorstadtgegend, öffnete er die Tür des Zauns. Davor standen die Müllbehältnisse, seit Neuestem gleich vier. In Reih und Glied, schwarzgraue, nur durch die Farben der Deckel zu unterscheiden – das Resultat einer Stadtverordnung, so dass jeder dieses Müllsystem vor seiner Haustür zu haben hatte.

Allerdings fand er die Mülltonnen nicht gänzlich alleine vor, nein, dies konnte nicht gerade behauptet werden, nein, mitnichten. Nein, Cecile, das Töchterchen, hatte er dort aufgefunden. Bewaffnet mit einem schweren, rosafarbenen Schulranzen auf dem Rücken, glänzte die etwa Zehnjährige durch ein ach so typisches „Kleines- Mädchen- Outfit“: rosa Jäckchen, rosa Röckchen, rosa Strumpfhose, sogar die Halbschuhe, alles rosa. Die Haare blond und zu einem Zopf gebunden – gehalten von einer schmetterlingsförmigen Spange – rosafarben natürlich, frei nach dem Motto: „was denn sonst auch?“.

Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen, die Sonne bereits aufgegangen, erhellt das vornehme Vorstadtgebiet mit den vornehmen Einfamilienhäusern. Auf der kaum befahrenen Vorstadtstraße indes ein Taxi herantuckerte.

Das Vorfinden seiner Tochter vor den Mülltonnen löste bei Attika alles andere wie Freude aus – ganz im Gegenteil, ganz im Gegenteil.

Attika Troll: „Kannst du mir vielleicht mal verraten, was du hier machst?“

Cecile deutete mit einem Zeigefinger auf die Mülltonne, wo sich ein dicker Spatz eingefunden hatte.

Attika Troll: „Ein dicke Vogel! Na und!“

Cecile Troll: „Aber Papa! Ist doch gar nicht dick!“

Attika Troll: „Ob dick oder nicht dick. Noch lange kein Grund, zu trödeln.“

Cecile Troll: „Der kann sogar singen.“

Attika Troll: „Was!“

Als ob dies nun so etwas war, zu was Attika nun wirklich überhaupt keine Zeit hatte? Beziehungsweise keine Lust?

Attika Troll: „Wozu ich überhaupt keine Lust habe, sind Ammenmärchen.“

Das Mädchen stapfte mit einem Fuß auf.

Cecile Troll: „Überhaupt keine Ammenmärchen!“

Der Vater fasste seiner Tochter an den Rücken, so als ob er die nun auch noch anschieben wollte.“

Attika Troll: „Marsch jetzt!“

Die schien den Tränen nah, fing an zu Winseln.“

Cecile Troll: „Und wie der Spatz singen kann. Oh, Papa, und tanzen!“

Attika Troll: „Tanzen?“

Cecile Troll: „Ja! Ganz traurig!“

Attika Troll: „Traurig?“

Cecile Troll: „Ja! Ganz traurig. Irgendwie.“

Attika Troll: „Jetzt reicht es mir aber!“

Cecile Troll: „Aber Papa!“

Attika Troll: „Nichts aber Papa!“

Cecile Troll: „Aber stimmt doch.“

Er versetzte ihr einen durchaus nicht unsanften Hieb, mit welchem er sie endgültig in Gang zu setzen versuchte – zumindest erschien es so.“

Attika Troll: „Ab jetzt!“

Die Kleine am Hinwegstapfen nun war.

Attika Troll: „Wenn du weiterhin so unartig bist, gehen wir Samstag nicht in den Wildpark.“

Derweil das Taxi vorgefahren war.

Attika Troll: „Guten Morgen, Zimmermann. Und eine etwas zügigere Fahrweise heute. Wir sind sowieso schon spät dran.

Zimmermann war natürlich der Taxifahrer.

Leonid Zimmermann: „Aber die Straßenverkehrsordnung werde ich wohl dann doch noch einhalten dürfen.“

Attika Troll hatte bereits einen Fuß ins Auto gesetzt. Zwecks einsteigen.

Attika Troll: „Oh, Zimmermann!“

Leonid Zimmermann: „So ganz nebenbei wohlgemerkt.“

Attika Troll: „Wofür ich heut überhaupt keine Ader habe, ist ihr Zynismus.“

Leonid Zimmermann: „Man wird ja wohl noch das Recht haben, etwas auszusprechen.“

Attika hatte sich hinten reingesetzt.

Attika Troll: „Wenn Sie jetzt einfach nur losfahren würden.“

Leonid Zimmermann: „Das ist allerdings etwas, was im Leben eines Taxifahrers schon mal vorgekommen ist. Durchaus.“

Attika Troll: „Und auch das Einzige, worum ich sie bitte.“

Leonid Zimmermann: „Es ist doch nur.“

Attika Troll: „Die Zeit. Sie drängt.“

Leonid Zimmermann: „Weil ich mich wundern muss.“

Attika Troll: „Oh, Zimmermann! Oh, Gott, von mir aus, wenn es Ihnen Spaß macht.“

Leonid Zimmermann: „Über Sie.“

Attika Troll: „Aber doch nicht jetzt! Unsere Vertragspartner – ich kann sie doch nicht warten lassen.“

Leonid Zimmermann: „Nämlich warum Sie Ihren Müll mitnehmen?“

Attika bestaunte seinen Schoß, ein kleiner Schrecken, der ihm durch die Glieder fuhr.

Attika Troll: „So ein Mist!“

Leonid Zimmermann: „Nicht, dass Sie ihn bei euch den Safe sperren wollen.“

Attika Troll: „Ach, Sie!“ Können Sie nicht wenigstens einmal Ihren Mund halten?“

Während sich Zimmermann zähneknirschend ins Fäustchen kicherte, stieg Troll notgedrungen aus. Auf eine der Tonnen war noch immer der dicke Spatz, der frech um sich schaute.

Attika Troll: „Mach jetzt! Weg mit dir!“

Leonid Zimmermann: „Ich warte ja nur auf Sie.“

Attika Troll: „Ach, Sie – Sie mein ich doch gar nicht.“

Leonid Zimmermann: „Mich zu duzen verbiete ich mir im Übrigen auch.“

Attika Troll: „Mann, Zimmermann!“

Leonid Zimmermann: „Wird ja immer heiterer.“

Den Gefallen, sich von den Tonnen zu erheben, tat der Spatz dem Attika Troll aber nicht – ganz im Gegenteil, ganz im Gegenteil. Stattdessen hüpfte er wild umher, von einem der farbigen Deckel zum Nächsten. Hin und her, wobei es keine feste Reihenfolge zu geben schien. Oder vielleicht etwa doch? Wie war das gleich noch? Das Ammenmärchen seiner Tochter Cecile? Der freche Spatz? Der sogar tanzen kann? Zumindest nach den Worten seiner Kleinen? Durch Herumhüpfen auf den verschiedenen Deckeln? Und dazu zwitscherte - ein Zwitschern, dass seine Tochter als Singen bezeichnete? Beziehungsweise verstanden haben wollte? Nicht, dass man hierfür allerdings ziemlich genau hinhören musste – oder etwa doch? Doch selbst wenn, was hätte es zu bedeuten gehabt? Wenn überhaupt. Beziehungsweise hätte bedeuten können?

Ein Hupen schien ihn zurück auf den Plan zu holen.

Leonid Zimmermann: „Mann, Troll!“

Attika Troll: „Ja, ja, schon gut.“

Leonid Zimmermann: „Oder glauben Sie, ich will hier Wurzeln schlagen!“

Attika Troll: „Ich versteh Sie ja. Sehr gut sogar. Ist ja schließlich auch in meinem Interesse.“

Nicht, dass er am Ende doch noch was von dem Spatzen wahrnahm – oder vielleicht etwa doch? Ein klein wenig zumindest?“

Spatz auf die Tonnen: „Morgens lach ich, abends wein ich.

Ach wie wäre es schön,

Könnt ich dich noch einmal wiedersehn!

Kurz zog es dem Attila Troll durch die Glieder.

Attika Troll: „Du, du, du!

Leonid Zimmermann: „Na, was ist jetzt!“

Attika Troll: „Du freches Vieh!“

Beziehungsweise durch Mark und Knochen. Und wie war das eigentlich mit dem traurig sein? Wirklich? Wirklich traurig? Troll zog sich das Jackett seines teuren Edelanzugs zusammen. Nicht, dass es am Ende an einer kühlen Windböe lag? Die das vornehme Vorstadtgebiet erfasst hatte.

Mit einer Faust schlug Troll auf einen der Deckel, so dass der Spatz aufflatterte und wegflog. Für ein paar wenige Momente schaute Attika dem Spatzen hinterher. Nicht, dass er ins Grübeln geraten war – traurig hin, traurig her. Oder etwa doch? Er öffnete eine der Tonne. Irgendeine, zufälligerweise die mit dem blauen Deckel. Da fiel ihm ins Gedächtnis, dass die verschiedenen Farben ja eine Bedeutung hatten. Doch, wie waren die gleich nochmal? Er beschaute den Müllbeutel, den er immer noch in der Hand hielt. Überwiegend Plastik wie Joghurt- oder ähnliche Becher. Also Kunststoffe, Wiederverwertbares, und war dies schließlich nicht auch eine der Interessen der Stadt? Soweit er sich dies vergegenwärtigte? Vergegenwärtigen konnte?

Attika Troll: „Also gelb!“

Leonid Zimmermann: „Haben Sie was gesagt, Troll?“

Attika Troll: „Nichts für ungut, Zimmermann, nichts für ungut.“

Leonid Zimmermann: „Mein Taxameter läuft im Übrigen.“

Attika Troll: „Ach, jetzt lassen Sie mich doch wenigstens einmal in Ruhe.“

Leonid Zimmermann: „Schließlich ist auch für uns Taxifahrer Zeit Geld.“

Attika Troll: „Ja, ja, ist ja schon gut.“

Leonid Zimmermann: „Und nicht nur für euch Bankleute.“

Troll wollte gerade den gelben Deckel öffnen.

Attika Troll: „Oder grün?“

Leonid Zimmermann: „Oh, Troll – warum gucken sie nicht einfach rein?“

Attika Troll: „Nee, dann kann es grün nicht sein. Ganz bestimmt nicht.“

Leonid Zimmermann: „Nach meinem Wissen blau.“

Attika Troll: „Grün ist für Bio.“

Leonid Zimmermann: „Und machen Sie das Ding um Himmelswillen wieder zu. Stinkt schon bis zu mir.“

Attika Troll: „Dann muss es ja für blau sein.“

Eine andere – männliche – Stimme: „Nee, gelb.“

Attika Troll schaute sich um. Hinter dem Taxi hatte sich jemand mit seinem Fahrrad eingefunden. Dies war freilich niemand Geringerer wie Stenzmann – Wolf Stenzmann.

Der noch recht junge Stenzmann bewohnte das Haus gegenüber. Beziehungsweise auf der anderen Seite. Bestenfalls dreißig, höchstens, glänzte der Alleinstehende stets mit einer modischen Kurzhaarschnittfrisur. Groß gewachsen wirkte Wolf durchaus kräftig.

Gekleidet mit einer modischen Jeans und einem karierten Hemd, welches über die Hose hing, galt er im ganzen Viertel als sehr eigen. Ob dies daran lag, dass er doch meist sehr zurückgezogen lebte, dort gegenüber, und kaum Kontakt zu einem der anderen hier in der Nachbarschaft hegte? Beziehungsweise pflegte, ja, vielen galt er als sonderbar. Allein die Tatsache, wie ein Arbeitsloser sich ein derart exquisites Haus halten konnte.

Ja, Stenzmann war seit mehreren Jahren ohne festen Job, hielt sich lediglich mit Aktmalerei über Wasser. Das war etwas, was die Wenigsten wussten – oder besser gesagt, so gut wie keiner. Und in den seltensten Fällen verkaufte er auch was.

Allerdings hatte er sich für sein Malen noch nie jemand zum Modellstehen ins Haus geholt. Dafür war sein Budget einfach zu eng und schmal, und selbst der eine oder andere Verkauf hätte die Auslagen für ihre Gagen kaum wieder eingespielt - nein, mitnichten. Allein das Stemmen der Kosten für Farben und Leinwände bereitete ja schon erhebliche Schwierigkeiten.

Als Vorlage für seine Kunst, wenn diese denn als solche bezeichnet hätte werden können, dienten Fotos diverser Hochglanzmagazine – natürlich nur die billigen, die er so dann und wann im Supermarkt einholte. Und was ihm Schamesröte einbrachte, wenn er diese Dinger vor den Augen der Kassiererinnen auf das Band zu legen hatte. Von den Leuten, die mit ihren Einkaufswagen dahinterstanden, ganz zu schweigen.

Derweil wurde er von Attika Troll bemustert.

Attika Troll: „Sicher?“

Wolf Stenzmann: „Absolut sicher – blau ist für Restmüll.“

Attika öffnete die Tonne mit dem gelben Deckel.

Wolf Stenzmann: „Immerhin habe auch ich mich mit dem neuen Müllsystem befassen müssen.“

Attika Troll: „Sie wollen sagen?“

Wolf Stenzmann: „Sagen will ich gar nichts. Nur dass dieselben Tonnen bei mir im Garten stehen.“

Attika Troll wandte sich dem Taxi zu.

Attika Troll: „Danke, Herr Nachbar.“

Leonid Zimmermann: „Können wir jetzt endlich?“

Wolf Stenzmann: „Nix für ungut.“

Attika Troll: „Danke.“

Stenzmann schwang sich auf sein Fahrrad.

Leonid Zimmermann: „Warten Sie noch, junger Mann!“

Attika Troll: „Zimmermann!“

Leonid Zimmermann: „Nur eine Frage noch. Wofür ist dann die Tonne mit dem roten Deckel? Ich meine, wenn Sie sich schon so gut auskennen.““

Wolf Stenzmann: „Für Metallisches. Wird aber kaum genutzt.“

Leonid Zimmermann: „Ah!“

Wolf Stenzmann: „Zumindest von mir nicht.“

Attika Troll: „Und ich dachte für Papier.“

Wolf Stenzmann: „Nix für ungut.“

Attika Troll: „Und fahren Sie jetzt doch endlich!“

Leonid Zimmermann: „Nur keine Sorge. Das Taxameter ist doch schon an.“

Attika Troll: „Taxifahrer!“

A2: Postmann am Zaun

Während das Taxi sich entfernte, schlenzte Stenzmann hinüber zu seinem Haus. Die Tür des Zauns davor stand ein Spalt weit offen, was ihm ärgerte. Unterm Strich eine Nachlässigkeit allerdings, nicht mehr.

Der Vorgarten war mit durchaus gepflegten Sträuchern und Blumenbeeten versehen, und die jetzt, zur Frühjahrszeit, zu Sprießen und Gedeihen begannen. Gemütlich schob Stenzmann sein Fahrrad auf einem schmalen Pfad, der durch die grüne Anlage führte. Um das Haus herum, in dessen Rücklage sich ein kleiner Schuppen befand. Mit allerlei Geräten für die Gartenarbeit, aber natürlich auch zum Abstellen für sein Fahrrad.

Am Schuppen befanden sich seine vier Mülltonnen mit vier verschiedenfarbigen Deckeln. Alles andere wie amüsiert war Stenzmann beim Anblick derselben. Nicht dass es daran, dass es sich hierbei haargenau um solche handelte wie die, die vor Trolls Anwesen standen – nein, mitnichten. Allerdings hüpfte auf den vier Deckeln der dicke Spatz umher – auf und ab, wild durcheinander. Ja, ja, der gleiche Spatz wie bei Troll. Nur sang er diesmal nicht zu seinem Tanz.

Dafür:

Wolf Stenzmann: „Was grinst du eigentlich so!“

Daraufhin stoppte der Spatz das Hin- und Her, blieb stattdessen auf einem Deckel stehen, windete sein Köpfchen, so als ob er den Wolf Stenzmann bemusterte – nein, anders hätte man‘ s nicht vermuten können.

Wolf Stenzmann: „Etwas, was ich überhaupt nicht leiden kann.“

Er patschte auf dem Deckel, auf dem der Spatz hockte, so dass dieser aufflatterte und wegflog.

Wolf Stanzmann: „Blödes Vieh!“

Verärgert schob er den Riegel des Schuppens auf. Beziehungsweise die etwas morsch anmutende Holztür. Zwischen all den Haken und Garteneimern, Schläuchen und Rasenmähern und Sonstigem war an einer Seite eine Fläche frei, wo er gewöhnlicherweise sein Fahrrad lehnte, als es ihm wie Schuppen aus den Haaren fiel.

Wolf Stenzmann: „Was mach ich eigentlich hier?“

Und:

Wolf Stenzmann: „Was für ein schöner Mist!“

Denn er war doch eigentlich am Ausfahren gewesen, hatte er doch einen festen Termin beim Arbeitsamt.

Wolf Stenzmann: „Ach herrje! Wie kann man denn nur so blöde sein!“

Er verstand nicht, warum er nach dem Verlassen seines Ambientes, beziehungsweise nach der Begegnung mit Troll vor dessen Mülltonnen, wieder zurückgekehrt war. Nein, sich selbst verstand er nicht. Nicht dass es am Ende genau daran lag, am Verstand, und dass er haargenau den ausgeschaltet hatte – oder vielleicht doch?

Mühselig wendete er sein Fahrrad, um es wieder vors Haus zu schieben. Eile war geboten, denn durch den unnötigen Zeitverlust war es genau die, die drängte. Die Zeit wohlgemerkt, frei nach dem Motto: „ja, ja, die gute alte Zeit.“ Der Termin war fix, und eine Verspätung hätte unangenehme Folgen für ihn haben können. Beziehungsweise ein hundertprozentiges Nichterscheinen gar, wie das Gekürzt werden seines Arbeitslosengeldes zum Beispiel. Vor allem dies, dabei lebte er doch ohnehin schon mit der Hand im Mund. Seine Nacktbilder, wie wenig die sich doch verkauften, unterm Strich betrachtet, zu wenig und zu schlecht – zu sehr es nichts weiter waren wie irgendwelche billigen Erotikkopien von irgendwelchen billigen Erotikfotos aus irgendwelchen billigen Erotikzeitschriften.

Sie hätten ihm das Geld sogar hundertprozentig streichen können. Ja, sie hätten es machen können, und spätestens dann wäre die Katastrophe perfekt gewesen. Unlängst hatte er eine Mahnung von den hiesigen Stadtwerken erhalten, weil er sowohl mit den Strom- beziehungsweise Müllgebühren im Verzug war. Ja, das Abschalten des Stromes, etwas, was sie ihm angedroht hatten, in dem Mahnschreiben, in dem Unwirklichen. Von dem nicht mehr Leeren der Mülltonnen mit den bunten Deckeln ganz zu schweigen.

Kaum dass Stenzmann, der kalte Schweißtropfen auf der Stirn spürte, um das Haus herum war, wieder herum genauer gesagt, klingelte das Fahrrad. Dabei handelte es sich allerdings nicht um seines. Nein, außerdem hätte es sich ja auch nicht um seines handeln können, bei ihm die Klingel schon seit Jahren nicht mehr funktionierte.

Vielmehr war es die Klingel vom Postmann Steve Steven. Ach, wie gut kannte er sie, diese Klingel, der Stenzmann? Und wie viele Jahre schon? Jeder kannte sie, jeder hier in diesem vornehmen Einfamilienhäuser- Viertel, die Klingel des Postmanns.

Direkt an der Tür des Zauns wurstelte Steven in seinem gelben Postbehältnis, welches auf dem Gepäckträger. Und wo Briefe und Zeitschriften aller Größen und Sorten einsortiert worden waren – doch, doch, ganz offenbar war dem so.

Markenzeichen des überaus mageren Steven sein kurzgeschorenes, rötliches Haar – ja, lediglich ein paar Stoppeln, millimetergenau, um es vielleicht einmal so zu formulieren. Und noch recht jung, doch, doch, war er, vielleicht gerade mal fünfundzwanzig – auf jeden Fall nicht älter, nein, dies wohl kaum.

Just in dem Moment, da Stenzmann um das Haus geschlendert kam, wurde dieser auch schon erspäht. Wobei es keine Rolle spielte, ob er dies gewollt hatte, oder eben auch nicht.

Steve Steven: „Ah, Herr Stenzmann! Dass man Sie auch mal antrifft.“